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1 „Tear down this wall“ Sektorengrenzen jetzt öffnen! BVES Strategiepapier Power-to-X Sektorenkopplung als unverzichtbarer Baustein für eine erfolgreiche Energiewende und das Erreichen der Klimaziele Stand: September 2018

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„Tear down this wall“ …Sektorengrenzen jetzt öffnen!

BVES Strategiepapier Power-to-X

Sektorenkopplung als unverzichtbarer Baustein für eine

erfolgreiche Energiewende und das

Erreichen der Klimaziele

Stand: September 2018

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Inhalt 1. Die Mauern müssen fallen: Von STROM 2.0 zu ENERGIE 2.0 ...........................3

2. Regulatorische Hemmnisse ................................................................................6

2.1 Abgaben und Umlagen ............................................................................... 6

2.2 Verbot der Eigenversorgung ....................................................................... 7

2.3 Keine hinreichende Anerkennung der CO2-Reduktion ................................ 8

3. Handlungsbedarf und Handlungsoptionen ..........................................................9

3.1 Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Startbedingungen .................... 10

4. Zusammenfassung und Fazit ............................................................................ 12

5. Anwendungsbeispiele ................................................................................... 13 ff.

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1. Die Mauern müssen fallen: Von STROM 2.0 zu ENERGIE 2.0

Um den Energiebedarf einer industriellen Volkswirtschaft zu decken, braucht es neben der

Energiebedarfsreduzierung und der direkten Elektrifizierung des verbleibenden

Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen auch die Substitution fossiler Brennstoffe durch

synthetische Kraft- und Brennstoffe, die aus der Umwandlung von Strom aus Erneuerbaren

Quellen (EE) stammen. Bei diesen, unter dem Begriff Power-to-X (PtX) zusammengefassten

Umwandlungstechnologien wird im Wesentlichen zwischen zwei Pfaden differenziert:

• Power-to-Gas (PtG) zur Erzeugung von Wasserstoff aus EE-Strom. Dieser „grüne“

Wasserstoff kann direkt eingesetzt werden als Kraftstoff für Brennstoffzellen, (Busse,

Züge, Flugzeuge, PKW, stationäre Generatoren), als Rohstoff für die Industrie

(Raffinerien, Grundstoffindustrie), oder er kann auch weiterverarbeitet werden zu

Power-to-Methane (PtM) oder Power-to-Liquid (PtL).

• Power-to-Heat (PtH) zur Wärmeversorgung mit erneuerbarem Strom. Etwa

50 Prozent des Energiebedarfs in Deutschland resultiert aus der Wärmeerzeugung.

PtH kann eingesetzt werden für industrielle Wärme, in Fernwärmenetzen oder auch

zur individuellen Wohnraumbeheizung sowie in der Kraftwerkstechnik mit der

Möglichkeit zur Rückverstromung.

Pfade der Sektorenkopplung über Gas und Wärme

Abbildung: Pfade der Sektorenkopplung, grafische Darstellung BVES

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Mit diesen Power-to-X Technologien wird die Dekarbonisierung insbesondere in den

Sektoren Gebäude, Industrie und Verkehr unterstützt. Auf PtX basierende synthetische

Kraft- und Brennstoffe werden wohl noch länger benötigt, um den Wandel und die

Umstellung unseres Energiesystems gesellschafts- und industrieverträglich zu gestalten und

um sich weitere technologische Entwicklungspfade und Zukunftsoptionen offenzuhalten.

Allen PtX-Technologien gemein sind die systemische Flexibilisierung durch die effizientere

Nutzung erneuerbarer Energien und die damit verbundene Reduzierung von CO2-

Emissionen durch die verringerte Nutzung fossiler Energieträger. Dabei erfolgt die

Reduzierung von CO2-Emissionen nicht nur durch den Einsatz effizienterer Technologien

und der Verwendung elektrischer Energie aus EE, sondern zusätzlich durch die Verwertung

von gegenwärtig noch kaum vermeidbarem CO2 aus industriellen Prozessen.

Überdies kann die Integration von PtX-Systemen auch das Potential der EE-

Erzeugungsanlagen (z.B. im Fall von Abregelungen) steigern. Die Sektorenkopplung trägt

auf diesem Wege nachhaltig zur Versorgungssicherheit bei, was dem Klimaschutz

zugutekommt und darüber hinaus einen kostensenkenden Effekt auf das System und die

Energiewende entfaltet.

Dass die Energiewende mehr sein muss als die bloße Stromwende, ist spätestens auch seit

Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommens überdeutlich. Alle Sektoren, also

Strom, Wärme/Kälte und Mobilität müssen einbezogen und in die Energiewende integriert

werden. Bisher werden nur knapp 13 Prozent des Primärendenergiebedarfs in Deutschland

durch EE abgedeckt. Eine systemische und ganzheitliche Herangehensweise, insbesondere

was den regulatorischen Rahmen angeht, ist für das Erreichen der Klimaschutzziele

unabdingbar. Maßnahmen wie der EE-Ausbau oder der Netzausbau sind dabei nicht Ziel

sondern Mittel zum Gelingen der Energiewende. Und Klimaschutzziele sind in erster Linie

CO2-Reduktionsziele bis hin zur kompletten Dekarbonisierung. Erstes zentrales Ziel muss es

daher sein, den CO2-Ausstoß zu vermindern oder zumindest die zirkuläre Nutzung von CO2

zu erreichen.

Technologieoffenheit ist essentiell

Sektorenkopplung hat das Potential, einen erheblichen wirtschaftlichen und

industriepolitischen Mehrwert zu generieren. Welche technologischen Ansätze sich

letztendlich in welchem Segment durchsetzen, muss sich unter marktwirtschaftlichen

Gesichtspunkten entscheiden. Dafür ist ein offener Wettbewerb der Technologien

notwendig, die die Anforderungen unseres Energiesystems am besten erfüllen und CO2-

Reduktionsziele vorantreiben.

Wesentliche regulatorische Bedingung hierfür ist, von einem reinen Strom- zu einem

barrierefreien Energiesystem zu kommen, in dem die Energie zwischen den Sektoren frei

fließen kann.

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Technologien sind heute schon verfügbar

Verschiedene Technologien für PtX-Anwendungen sind bereits heute kommerziell und im

industriellen Maßstab verfügbar. Beispiele dafür sind:

• Elektrodenkessel und Wärmepumpen zur Erzeugung von Heißwasser (Fernwärme,

Prozesswärme) und Prozessdampf

• Anlagen zur Erzeugung von Wasserstoff (H2) mittels Elektrolyse

• Anlagen zur Erzeugung gasförmiger und flüssiger Brenn- und Kraftstoffe (z.B.

Methan, Methanol, Benzin) unter Einsatz von CO2 und H2.

Größtes Hemmnis ist der regulatorische Rahmen

Die Wirtschaftlichkeit von PtX-Systemen ist maßgeblich durch den regulatorischen Rahmen

und die staatlich veranlassten Strompreisbestandteile auf den Netzbezugsstrom bestimmt.

Findet keine Rückverstromung der gewandelten Energie statt, so zählt die Umwandlung des

(„grünen“) Stroms in einen anderen Energieträger aktuell als Letztverbrauch.

Die Strombezugskosten sind somit der größte Kostenfaktor und regelmäßig das Hindernis

für einen wirtschaftlichen Anlagenbetrieb. Daneben sind auch die Investitionskosten des

Elektrolyseurs sowie die Bereitstellung von CO2 von Relevanz in der Kostenbetrachtung.

Erlösseitig spielen die erzielbaren Marktpreise für die Endprodukte (Heißwasser,

Prozessdampf, Brenn- und Kraftstoffe, Chemikalien) die wesentliche Rolle. Auch der

Marktwert von PtX-Produkten ist noch stark von politischen und gesetzgeberischen

Randbedingungen beeinflusst, da etwa die dekarbonisierende Eigenschaft von PtX-

Produkten energiewirtschaftsrechtlich nicht anerkannt wird.1

Der regulatorische Rahmen ist durch ein überkommenes Energiesystemverständnis

geprägt, das in dieser Form nicht mehr existiert, noch jemals wieder Grundlage sein wird.

Dringend notwendig sind neue angepasste Rahmenbedingungen auf einer deutlich

marktwirtschaftlich orientierten Basis. Ermöglicht würde dies durch ein Überdenken der

einseitigen Belastung des Strombezugs zur Finanzierung der Energiewende, bspw. durch

eine sektorenübergreifende Kostenwälzung auf alle Energieerzeugnisse.

Zum anderen brauchen PtX-Technologien langfristige Planungs- und Investitionssicherheit.

Hierzu zählen auch ein barrierefreier Zugang zu den Stromnetzen und die Anerkennung der

dekarbonisierenden Eigenschaft auf das Gesamtsystem bspw. über „grüne“

Herkunftszertifikate bzw. basierend auf einer Lebenszyklusbewertung (LCA).

Die wesentlichen aus dem regulatorischen Rahmen resultierenden Hemmnisse und der

entsprechende Handlungsbedarf werden nachfolgend im Detail aufgezeigt und

unerschlossene Potentiale im Anhang anhand von Anwendungsbeispielen dargestellt.

1 Einzige Ausnahme hiervon bietet derzeit die mögliche Anrechnung von PtX-Kraftstoffen auf die Biokraftstoffquote, sofern der

eingesetzte EE-Strom direkt an der Erzeugungsanlage gewandelt wird gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 37. BImSchV.

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2. Regulatorische Hemmnisse

PtX-Anwendungen werden im Stromsektor, wie alle Speichertechnologien derzeit als

„Letztverbraucher“ behandelt. Damit ist der Strombezug (aus dem Netz) mit Abgaben,

Umlagen und Steuern belastet. Die reinen Marktkosten des Stroms (für den Einkauf vom

Stromerzeuger oder von einem Händler) von rd. 6 Ct/kWh erhöhen sich dementsprechend je

nach Technologie und anwendbaren Ausnahmeregelungen teils um bis zu 400 Prozent auf

28 Ct/kWh, sobald der Strom nicht direkt an der Erzeugungsanlage „on-site“ gewandelt wird

(und bspw. netzentlastend Überschüsse aufnimmt). Selbst unter Ausnutzung aller

marktwirtschaftlichen Möglichkeiten ist unter dieser hohen Abgabenbelastung eine

Amortisation nicht möglich.

Für PtX-Technologien, die für eine reine Zwischenspeicherung von Strom eingesetzt

werden, gibt es bereits rechtliche Ansätze im EnWG, der StromNEV, dem StromStG und

dem EEG 2017, die auf die Vermeidung der Doppelbelastung einer Strommenge mit

Letztverbraucherabgaben abzielen. Zu einer solchen Doppelbelastung kommt es jedoch

weiterhin bei der Energiesteuer, die (nach bereits entrichteter Stromsteuer) nochmals im

Zielsektor anfällt, wenn das PtX-Produkt dem eigentlichen Letztverbrauch (etwa als Wärme

oder Kraftstoff) zugeführt wird. Ferner erschwert das sogenannte Eigenversorgungsverbot

seit dem EEG 2017 die Umsetzung von PtX-Projekten an EEG-Anlagen und erzielte CO2-

Reduktionen werden im aktuellen Gesetzesrahmen nicht belohnt. Darüber hinaus sind auch

genehmigungsrechtliche Fragen (etwa zum Netzanschluss) in vielen Szenarien zusehends

von Belang.

2.1 Abgaben und Umlagen

Wie oben aufgeführt, liegt das wesentliche Hemmnis für die wirtschaftliche Umsetzung von

PtX-Projekten in der erheblichen Belastung des Bezugsstroms mit sog.

Letztverbraucherabgaben, die sich im Detail wie folgt aufteilen.

• EEG - Umlage

Basierend auf der aktuellen Einordnung, dass es sich bei PtX-Anlagen um Letztverbraucher

handelt, unterliegen sie grundsätzlich der vollen EEG-Umlage in Höhe von aktuell etwa

6,79 Cent/kWh (vlg. BDEW Strompreisanalyse Mai 2018). Ausnahmen gelten nur im Bereich

der Eigenversorgung vor Ort2 oder bei Vorliegen der Voraussetzungen der Besonderen

Ausgleichsregelung zur Begrenzung der EEG-Umlage für stromkostenintensive

Unternehmen (§§ 63 ff. EEG 2017).

2 Dies trifft für Anlagen zu, die vor dem Beginn der Ausschreibungen am 1.1.2017 in Betrieb genommen wurden oder für die keine Förderung nach dem EEG besteht.

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• Netzentgelte

Weiterer Hauptkostenblock sind die Netzentgelte, die bei Strombezug der PtX-Anlage aus

dem Netz entstehen und aktuell bei etwa 7,27 Cent/kWh (vlg. BDEW Strompreisanalyse Mai

2018) liegen. Für bestimmte PtX-Technologien greift zwar eine Regelung zur Befreiung von

den Entgelten für neue Stromspeicher und Elektrolyseure gemäß § 118 Abs. 6 S. 3, 7

EnWG. Auch ist das aus Strom gewandelte Gas von der grundsätzlichen

Rückverstromungspflicht befreit, doch ist diese Netzentgeltbefreiung zeitlich eng befristet

und gilt zudem nur für das direkte Netzentgelt. Netznebenentgelte und die weiteren

netzentgeltgebundenen Umlagen und Abgaben, die im folgenden Abschnitt thematisiert

werden, sind nach wie vor fällig und verhindern einen wirtschaftlichen Betrieb.

• Netzentgeltgebundene Abgaben und Umlagen

Bei jedem Einsatzfall von PtX-Anwendungen kommen neben der EEG-Umlage und dem

direkten Netzentgelt noch die sog. netzentgeltgebundenen Abgaben und Umlagen hinzu.

Dies umfasst ein ganzes Bündel weiterer Belastungen wie u.a. die „§ 19 StromNEV-

Umlage“, die „Offshore-Haftungsumlage“, „KWK-Umlage“, Konzessionsabgaben und die

„Abschaltbare Lasten-Umlage“ sowie die Stromsteuer. Abhängig von der

Konzessionsabgabe liegt der Abgabenblock bei etwa 3,00 bis 4,50 Cent/kWh.

Für die Stromsteuer sieht der Verordnungsgeber zwar partiell Privilegierungen vor, u.a. für

Elektrolysebetreiber des produzierenden Gewerbes gemäß § 9a Nr.1 StromStG sowie § 9

Abs. 1 Nr. 1 bei direktem EE-Strombezug. Diese Privilegierung gilt jedoch nur partiell und

teils nicht ausreichend, um eine rechtssichere umfassende Entlastung sicherzustellen. Nicht

alle Technologien werden erfasst und ein direkter EE-Strombezug ist nur im Ausnahmefall

konzeptionell umsetzbar. Überdies kommt es im Falle der Stromsteuer sogar zu einer

Doppelbelastung über die Energiesteuer, wenn das PtX-Produkt dem eigentlichen

Letztverbrauch im Zielsektor (etwa Wärme, Verkehr) zugeführt wird.

2.2 Verbot der Eigenversorgung

Bei neueren Anlagen, die nach dem 1. Januar 2017 im Zeitalter der Ausschreibungen in

Betrieb genommen wurden, ist der Betreiber einer EE-Anlage nicht berechtigt, den Strom

vor Ort selbst zu nutzen (sog. Eigenversorgungsverbot). Davon gibt es nach § 27a EEG

2017 nur enge Ausnahmen, was eine Kopplung von EEG-Anlagen mit PtX-Anlagen und

damit eine weitergehende Nutzung des grünen Stroms unnötig erschwert.3 Da der

Stromeinsatz im Elektrolyseur als Letztverbrauch gewertet wird, kann der Anlagenbetreiber

also selbst eine PtX-Anlage im direkten Zusammenhang nicht mit seiner EE-Anlage

3 Da PtX-Anlagen regelmäßig selbst das PtX-Produkt nicht rückverstromen, gilt für sie etwa die besondere Ausnahme nicht,

dass der Strom zur Eigenversorgung in Anlagen im Sinne des EEG verbraucht werden darf, die über denselben

Netzanknüpfungspunkt ans Stromnetz angeschlossen sind, vgl. §27a Nummer 1 EEG. Denn um als Anlage zu gelten, wäre es

erforderlich, dass die jeweilige Anlage die zwischengespeicherte Energie aus der EEG-Anlage auch wieder in elektrische

Energie umwandelt, vgl. §3 Nummer 1 Halbsatz 2 EEG.

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betreiben, ohne dass er seinen Förderanspruch verliert, was ein weiteres Hemmnis für eine

markt- und systemorientierte Betriebsweise der PtX-Anlage bedeutet.

2.3 Keine hinreichende Anerkennung der CO2-Reduktion

Zwar besteht im Falle einer Rückverstromung für die in das Stromnetz eingespeiste

Strommenge ein Förderanspruch in der Höhe des Anspruchs, der ohne die

Zwischenspeicherung bestanden hätte. Diese Ausnahme trägt jedoch nicht, da die mit der

Erzeugung, dem Transport im Gasnetz und der Verstromung des Speichergases

verbundenen Mehrkosten in der Förderhöhe nicht berücksichtigt werden. Auch im Falle

einer Rückverstromung setzt das EEG 2017 damit keinen hinreichenden Anreiz für die

Nutzung von PtX-Produkten. Zudem fehlt es an rechtlichen Regelungen, die die Senkung

von CO2-Emissionen belohnen und somit einen Anreiz für den Betrieb einer PtX-Anwendung

schaffen.

Im folgenden Abschnitt werden verschiedene Handlungsoptionen aufgezeigt, wie ein Anreiz

für PtX-Anwendungen geschaffen werden kann.

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3. Handlungsbedarf und Handlungsoptionen

Nur wenn heute die erforderlichen Weichen gestellt werden, können PtX-Projekte realisiert

und die ambitionierten Klimaschutzziele erreicht werden.

Von grundlegender Bedeutung hierfür ist, dass die aktuelle Unübersichtlichkeit der

regulatorischen Rahmenbedingungen sowie das undurchschaubare Regel-Ausnahme-

Verhältnis beseitigt und ein konsistenter und stabiler Rechtsrahmen für die zentralen

Technologien und Anwendungen der Zukunft geschaffen werden. Vorschläge für

Lösungsansätze:

• Sektorengerechte Wälzung der Kosten auf alle Energieerzeugnisse

Energiespeicher sind das Bindeglied zwischen den Sektoren und keine Verbraucher.

Die Grenzen zwischen den Sektoren müssen anwendungs- und

technologiespezifisch neu definiert und Kosten verursachungsgerecht verteilt

werden.

Zentrale Elemente einer nachhaltigen Verbesserung des regulatorischen Rahmens

sind die Reform der EEG-Umlage und der Netzentgelte. Hierzu sind in der jüngeren

Zeit bereits zahlreiche Vorschläge unterbreitet worden, die zu einer gleichmäßigen

(weil für alle Stromverbraucher geltenden) und nichtdiskriminierenden (weil für alle

Technologien gleichermaßen geltenden) Entlastung des Strompreises von den

Abgaben führen. Beispielhaft sei an dieser Stelle auf die Möglichkeit der Honorierung

von CO2-Senkungen oder eine nicht energiebezogene Abgabe (Steuerfinanzierung)

verwiesen, die im Interesse einer umfassenden Sektorenkopplung eine neue Phase

der Finanzierung der Energiewende ermöglichen könnten.

• Honorierung der Senkung von CO2-Emissionen

Kurzfristig können die CO2-Senkungspotentiale z.B. über eine monetäre Honorierung

der Senkung von CO2-Emissionen gehoben werden.

Auch eine Abgabe auf fossile Brennträger könnte den politisch gewollten marktnahen

Ausbau der Erneuerbaren zu (keinen oder) möglichst geringen Fördersätzen

voranbringen. Über eine einheitliche CO2-Lebenszyklusanalyse könnten

Technologien hinsichtlich ihrer tatsächlichen CO2-Emissionen miteinander

vergleichbar gemacht werden.

• PtX als zertifiziertes umweltfreundliches Produkt

Grundsätzlich bedarf es einer klaren Anerkennung der EE-Eigenschaft bzw. der

dekarbonisierenden Eigenschaft auch bei Netzstrombezug, sofern es sich

zuverlässig und bilanziell nachvollziehbar um EE-Strommengen handelt. Erforderlich

ist eine klare Aussage (auch auf Ebene des europäischen Rechts), dass die

Mitverarbeitung von "grünem" Wasserstoff in Raffinerien auf die

Erfüllungsverpflichtung zur energetischen erneuerbaren Quote angerechnet werden

kann (Technologieneutralität gegenüber Biokraftstoffen). Dies könnte über "grüne"

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Herkunftszertifikate erfolgen, die von der Erzeugung des EE-Stroms bis hin zum

Endprodukt weitergegeben werden und im Prozess der Energiewandlung

dokumentieren, wie sich der EE-Strom in der Sektorenkopplung fortsetzt. Ein

weiterer Weg wäre eine sog. Massenbilanzierung, die den EE-Stromanteil mittels

entsprechender Messkonzepte zuordnet.

3.1 Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Startbedingungen

Die vorstehend dargestellten Maßnahmen bedürfen grundlegender Veränderungen des

regulatorischen Rahmens. Hierzu braucht es Zeit, die man sich zur widerspruchsfreien

umfassenden Ausgestaltung auch einräumen sollte, damit PtX-Anlagen gebaut und

wirtschaftlich sinnvoll betrieben werden können.

Folgende Sofortmaßnahmen stehen zur Verfügung, um kurzfristig durch geringfügige

Anpassungen der bestehen regulatorischen Vorgaben konkrete Projekte zu ermöglichen:

• Stärkung von PtX Anwendungen als netzdienliches Element

Die netzdienlichen Potentiale von PtX-Projekten könnten dann voll zur Geltung

kommen, wenn die Anlagen aufgrund von Vereinbarungen zwischen Netzbetreibern

und Anlagenbetreibern in netzdienlicher Weise betrieben werden und hierfür eine

Vergütung erhalten, ggf. in Kombination mit Reduzierungen der Kostenlast, wie z.B.

der Befreiung von Netzentgelten. Dabei kann an die bereits in § 13 Abs. 6a EnWG

enthaltenen Regelungen für KWK-Anlagen in Netzausbaugebieten - die sog.

zuschaltbaren Lasten - angeknüpft werden, nach denen bis zu 2 GW an Anlagen

entsprechend vertraglich eingebunden werden können.

Des Weiteren steht mit § 13i Abs. 1 und 2 EnWG bereits eine Verord-

nungsermächtigung zur Verfügung, die kurzfristig genutzt werden kann, um weitere

PtX-Anlagen in den Mechanismus einzubeziehen. Bei der Ausgestaltung einer

solchen Verordnung ist zu beachten, dass Investitionen in PtX-Anlagen einer

hinreichenden Amortisationsdauer bedürfen. Die in § 13 Abs. 6a S. 4 EnWG

vorgesehene vertragliche Mindestdauer von fünf Jahren erscheint hier zu kurz. Eine

längere Vertragsfrist schafft die notwendige Investitionssicherheit.

• Aufnahme von PtX-Lösungen in EEG-Innovationsausschreibungen (InnoA)

Darüber hinaus bieten die sich derzeit in der Ausarbeitung befindlichen EEG-

Innovationsausschreibungen großes Potential für eine systemdienliche

Implementierung von PtX-Technologien. In Regionen mit regelmäßigen EE-

Überschüssen ist die flexible Aufnahme dieser von zentraler Bedeutung. Unter dem

Credo "nutzen statt abregeln" können PtX-Technologien einen nachhaltigen Beitrag

zur Dekarbonisierung des gesamten Energiesystems leisten. Um von einer

Stromwende zu einer ganzheitlichen Energiewende zu kommen, sollte auch das

EEG über den "Strom-Tellerrand" blicken.

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• Lockerung des Eigenversorgungsverbotes und Klarstellung des

Anlagenbegriffes unter dem EEG

Seit dem EEG 2017 erschwert das sogenannte Eigenversorgungsverbot die

Umsetzung von PtX-Projekten an EEG-Anlagen. Zwar ist ein Eigenverbrauch in

Zeiten negativer Preise (Nr. 4) zulässig oder auch in Situationen, in denen es sonst

zu einer Abregelung gem. § 14 Abs. 1 EnWG käme (Nr. 5), doch für eine

wirtschaftliche und systemdienliche Implementierung von PtX-Technologien ist dies

bei weitem nicht ausreichend. Durch eine Erfassung von PtX-Anlagen als zulässige

Eigenversorgung in § 27a EEG könnten sinnvolle Anreize für die systemdienliche

Nutzung von EE-Strom in Zeiten von Einspeisemanagement geschaffen werden.

Im Zusammenspiel der Definitionen der Anlage in § 3 Nr. 1 EEG und der

Eigenversorgung in § 3 Nr. 19 EEG könnte zudem klargestellt werden, dass eine mit

einer EE-Anlage gekoppelte PtX-Anlage für die Zwecke der Eigenversorgung als Teil

der Anlage angesehen wird (und damit ein Eigenverbrauch ohne anteilige Belastung

mit der EEG-Umlage erfolgt).

• SINTEG Verordnung nutzen und ausbauen

Als kurzfristige Möglichkeit, die Entwicklung der Projekte politisch auf eine

wirtschaftlich tragfähige Grundlage zu stellen, könnten die Experimentierklauseln der

SINTEG-Verordnung entsprechend erweitert werden. Aufbauend auf den aktuell

angewandten Regelungen kann durch Einräumung eines ausreichenden

Amortisationsrahmens für die getätigten Investitionen erreicht werden, dass sich die

Projekte am Markt messen und sowohl die Technologiereife im großen Maßstab als

auch ihre Profitabilität beweisen können.

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4. Zusammenfassung und Fazit

PtX-Systeme können einen bedeutenden systemischen und CO2-mindernden Beitrag zur

Energiewende leisten und stehen dabei ebenso für ein verlässliches, effizientes und

nachhaltiges Energiesystem. Darüber hinaus können sie in system-, netz- und

marktdienlicher Betriebsweise die Volatilität erneuerbarer Energie ausgleichen und damit

einen kostensenkenden Effekt auf das Gesamtsystem entfalten.

Ebenfalls für das Gelingen der Energiewende und Erreichen der sektoralen Klimaziele ist es

von grundlegender Bedeutung, dass klimafreundliche Energien frei und multidirektional

zwischen den Sektoren über alle Energieinfrastrukturen (Gas, Wärme, Strom) fließen

können.

Viele PtX-Systeme sind bereits heute kommerziell und industriell verfügbar. Als Beispiele für

PTH, PTG und PTL seien an dieser Stelle Elektrodenkessel und Wärmepumpen zur

Erzeugung aller Arten von Wärme, Anlagen zur Erzeugung von Wasserstoff mittels

Elektrolyse und Anlagen zur Erzeugung gasförmiger und flüssiger Brenn- und Kraftstoffe

(z.B. Methan, Methanol, Benzin) unter Einsatz von CO2 und H2 genannt. Mit diesen

Technologien wird die Dekarbonisierung der Sektoren Gebäude, Industrie, Gewerbe und

Verkehr unterstützt. Insbesondere im Fernverkehr und in der Schiff- und Luftfahrt werden

synthetische Kraftstoffe wohl noch eine große Rolle spielen.

Das aktuell größte Hemmnis, welches der Wirtschaftlichkeit und damit der Realisierung von

PtX-Projekten entgegensteht, ist die Einordnung als Letztverbraucher, an die die Erhebung

von Umlagen und Abgaben knüpft. Darüber hinaus erkennt der regulatorische Rahmen bis

auf wenige Ausnahmen die Senkung von CO2-Emissionen nicht an. Weiterhin fehlt es an der

dringend erforderlichen längerfristigen Planungs- und Investitionssicherheit.

Der regulatorische Rahmen ist derzeit ein Flickenteppich von Privilegierungs- und

Ausnahmetatbeständen und bedarf eines grundlegenden Umdenkens weg von einer

einseitig über den Stromsektor finanzierten Energiewende hin zu einer

sektorenübergreifenden Kostenwälzung auf alle Energieerzeugnisse. Das zukünftige

Energiemarktdesign muss verlässliche Rahmenbedingungen für eine wirtschaftliche

Sektorenkopplung schaffen.

• Energiewende = Stromwende + Wärmewende + Mobilitätswende

• Speicherung und Energiewandlung ist kein Energieverbrauch

• Splitting der Energiewendekosten in alle Sektoren

• Anerkennung der Senkung von CO2- Emissionen

Der Fokus sollte auf einer umfassenden Umstrukturierung des Abgaben-, Umlagen- und

Steuersystems liegen, welcher nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen und unter

Berücksichtigung der Technologieoffenheit aufgestellt ist.

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5. Anwendungsbeispiele

Die im folgenden beschriebenen Anwendungsbeispiele zeigen, dass bereits heute

bedeutende Projektgrößen umsetzbar sind und teils umgesetzt wurden, die entsprechende

Investitionen auch jenseits des F&E-Bereichs ermöglichen und für Marktakteure interessant

sind.

• Power-to-Gas

Erneuerbare Gase für Mobilität, Industrie und Energieerzeugung

• Power-to-Methane

o Biologische Methanisierung mit lebenden Organismen

o Katalytische Umsetzung von Wasserstoff zum „grünen“ Energieträger Methan

• Power-to-Liquid

Konversion immanenter CO2-Quellen mit Wasserstoff in flüssige Kohlenwasserstoffe

als Roh- und Treibstoffe

• Power-to-Heat

Steinkohle-Block weicht „grüner“ Wärmeversorgung durch Power-to-Heat

• Power-to-Heat-to-Power

Effizienzsteigerungen durch Flexibilisierung konventioneller Kraftwerke

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Power-to-Gas (PtG)

Erneuerbare Gase für Mobilität, Industrie und Energieerzeugung

Technologie und Anwendungen

In einem Elektrolyseur wird Wasser mittels Stroms in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Der

Wasserstoff (H2) kann als chemischer Energieträger für eine Reihe von Endanwendungen zur

Verfügung gestellt werden.

Bisher wird Wasserstoff nahezu vollständig aus Erdgas hergestellt und vorwiegend stofflich in der

Raffinerie und chemischen Industrie verwendet.

Für die Zukunft ist von einer steigenden energetischen Nutzung in Brennstoffzellen (stationär und

mobil) und entsprechend adaptierten Gastturbinen auszugehen.

Einer der Hauptvorteile neben der CO2-Emissionssenkung durch regenerativ erzeugten

Wasserstoff ist die Möglichkeit der nahezu verlustfreien Speicherung über längere Zeiträume.

Für die Lagerung des Wasserstoffs kommen je nach Größenordnung verschiedene Technologien

in Frage. Die Möglichkeiten reichen von Flaschenbündeln über Drucktanks bis hin zu

untertägigen Salzkavernen mit mehreren 100.000 m³ Fassungsvermögen.

Alternativ zur Nutzung oder Speicherung vor Ort kann der Wasserstoff auch in geringen

Konzentrationen direkt dem Erdgas beigemischt und somit im Erdgasnetz gespeichert werden.

Für eine direkte (und komplette) Einspeisung in das Erdgasnetz kann es vorteilhaft sein, den

Wasserstoff zuvor in Methan zu wandeln (siehe Anwendungsbeispiel „Power-to-Methane“).

Dieser Methanisierungsprozess kann auch auf biologischer Basis erfolgen.

Aufgrund der vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten bietet Power-to-Gas das Potential,

erneuerbare Energien in die verschiedenen Energieverbrauchsbereiche zu integrieren.

Senkung von CO2-Emissionen

„Grüner“ Wasserstoff kann in nahezu allen Segmenten der Industrie und Mobilität eingesetzt

werden:

Rund 60% der Strecken im öffentlichen Schienenregionalverkehr sind nicht elektrifiziert und

werden derzeit von Dieselloks befahren, die mit fossilen Kraftstoffen betrieben werden. Darüber

hinaus sind heute über 90% der im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) eingesetzten Busse

(noch) Dieselfahrzeuge. Der Einsatz von „grünem“ Gas mit Brennstoffzellenantrieben bietet hier

enorme Potentiale, die Luftqualität in den Kommunen zu verbessern und die Dekarbonisierung

des Verkehrssektors voranzutreiben. Auch für den Einsatz beim Schwerlast- oder Schiffsverkehr

eignet sich der Einsatz von Brennstoffzellenantrieben zur Verdrängung von fossilen Kraftstoffen.

Neben der großen Spannweite im Verkehrssektor kann „grüner“ Wasserstoff auch zahlreiche

Dekarbonisierungspotentiale im Industriesektor erschließen.

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Wirtschaftlichkeit

Die Kostenreduktion der Technologie schreitet sehr schnell voran. Für die Installation von

modernen PEM-Elektrolyseuren sind die Kosten innerhalb weniger Jahre von circa 5.000

EUR/kW installierter Elektrolyseleistung auf rund 1.500 EUR/kW gefallen. Das weitere

Kostensenkungspotential ist erheblich – insbesondere, wenn die Produktion von PEM-

Elektrolyse-Stacks von manueller bzw. halbautomatischer Fertigung in Folge wachsender

Installationszahlen auf industrielle Fertigung umgestellt werden kann. Die Erfahrungen der

vergangenen Jahre untermauern nachweisbar die Regel, dass bei einer Verdoppelung der

produzierten Stackleistung jeweils eine Kostenreduktion von etwa 20% realistisch ist. Angesichts

der noch sehr geringen Produktionszahlen birgt dies ein enormes weiteres

Kostensenkungspotential. Beim Bau von Groß-Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff mittels

alkalischer Elektrolyse lassen sich sogar bereits heute Investitionskosten von 700 EUR/kW und

weniger realisieren.

Regulatorische Hemmnisse

Unter den derzeit gegebenen regulatorischen Rahmenbedingungen ist es trotz der deutlich

gesunkenen Investitionskosten noch nicht möglich, die Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff aus

EE-Strom wirtschaftlich zu realisieren. Entscheidend ist dabei die Tatsache, dass der EE-

Strombezug des Elektrolyseurs energiewirtschaftsrechtlich als Letztverbraucher eingeordnet wird

und durch die staatlich veranlassten Strompreisbestandteile vergleichsweise zu teuer wird.

Dadurch steigen die Kosten für den Strombezug von Elektrolyseuren etwa in Schleswig-Holstein

von durchschnittlich 30 EUR/MWh auf bis zu 180 EUR/MWh an, je nach Höhe der örtlichen

Entgelte und Abgaben. Die Steuern, Umlagen und Abgaben müssen zudem auch für Strom

bezahlt werden, der ohne die Nutzung durch den Elektrolyseur über Einspeisemanagement

entschädigungspflichtig abgeregelt würde.

In der folgenden Abbildung wird die Dominanz der Strombezugskosten auf die

Wasserstoffproduktionskosten deutlich.

Mit den aktuellen Investitionskosten

von 1500 EUR/kW Elektrolyseleistung

ergeben sich Produktionskosten von

knapp 4 EUR/kg Wasserstoff bei einem

Strompreis von 30 EUR/MWh

gegenüber Kosten von über 12 EUR/kg

bei einem Strompreis von 180

EUR/MWh, jeweils unter der Annahme

von 5000 Betriebsstunden pro Jahr1.

Die Sensitivität gegenüber den Investi-

tionskosten (und entsprechend

angepassten Betriebskosten) ist bei

einer Variation um +/- 500 EUR/kW Elektrolyseleistung mit rund 0,7 EUR/kg Wasserstoff

wesentlich geringer.

1 Weitere Annahmen: Abschreibung über 10 Jahre, Betriebskosten 4% der Investition, Effizienz 4,9 kWh/Nm³ H2

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Power-to-Methane (PtM)

Biologische Methanisierung mit lebenden Organismen

Technologie und Anwendungen

Bei der biologischen Methanisierung wird der natürliche Stoffwechsel von Mikroorganismen,

sogenannten Archaeen, genutzt, um aus Wasserstoff (H2) und Kohlendioxid (CO2) synthetisches

Methan (Synthetic Natural Gas (SNG), CH4) herzustellen. Der für den biokatalytischen Prozess

eingesetzte Wasserstoff wird durch die Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff

(Elektrolyse) gewonnen (siehe Anwendunsbeispiel „Power-to-Gas“). Die Energie für die

Elektrolyse stammt aus erneuerbarem Strom. Für die Zuführung von CO2 bieten sich

insbesondere Biogas-, Klär-, Fermentationsanlagen und Geothermie als Quellen an.

Die äußerst robusten Archaeen produzieren das SNG, das oft auch Biomethan, „grünes“

Methan oder Wind- und Sonnengas genannt wird, in gleichbleibend hoher Netzqualität. Die

Einspeisung des SNG erfolgt ohne Einschränkungen in das bestehende Erdgasnetz. Transport,

Speicherung und spätere Entnahme sind zeit- und ortsunabhängig möglich. Die

Erdgasinfrastruktur kann so als Speicher für Erneuerbare Energien eingesetzt werden sowie

jahreszeitlich bedingt unterschiedlichen Bedarf an SNG ausgleichen. Aufgrund der hohen

Dynamik der Biomethanisierungsanlagen kann der Power-to-Gas-Prozess bedarfsgerecht

sowohl im Start-Stopp, im Volllast- als auch im Teillastbetrieb gefahren werden.

SNG kann ebenso wie Erdgas in nahezu allen Segmenten der Industrie und Mobilität eingesetzt

werden. Durch seinen Einsatz im Wärmemarkt und Transportsektor erlaubt es eine flexible

Sektorenkopplung mit gleichzeitiger Dekarbonisierung aller Sektoren.

Ein weiterer großer Vorteil für den Einsatz von PtM-Anlagen liegt darin, dass neben einer

dynamischen Entlastung der Stromnetze auch folgende kommerziell vermarktungsfähige

Produkte entstehen:

• Die bei der Methanisierung entstehende „grüne“ Prozesswärme kann über einen

Wärmetauscher abgeführt und im Nahwärme- und Prozesswärmebereich eingesetzt

werden.

• Der ebenfalls im Prozess entstehende Sauerstoff kann für zahlreiche Anwendungen, wie

z.B. Kläranlagen, Fischzucht, Glasproduktion, Metallverarbeitung oder Medizintechnik,

genutzt werden.

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Senkung von CO2-Emissionen

SNG ist im Gegensatz zu Erdgas nahezu CO2-neutral und bietet dabei dieselben

Nutzungseigenschaften wie Erdgas. Durch den Einsatz CO2-freier Wind- und Sonnenenergie für

die Elektrolyse und das Recycling von bereits freigesetztem biogenen CO2 zeigen verschiedene

CO2-Life-Cycle-Analysen eine um bis zu 80 Prozent niedrigere CO2-Bilanz.

Wirtschaftlichkeit

In den letzten Jahren konnten die Investitionskosten für Biomethanisierungsanlagen deutlich

gesenkt und der Wirkungsgrad auf bis zu 80 Prozent signifikant gesteigert werden.

Eine Anlage mit einer nominalen Stromaufnahme von 10 MW hat ein Investitionsvolumen von

14 Mio. EUR und würde bei 5000 Betriebsstunden pro Jahr etwa 30 GWh SNG erzeugen, das in

Deutschland derzeit zu ca. sechs bis zwölf EUR Cent/kWh vermarktet werden kann.

Abbildung: Gegenüberstellung der jährlichen Aufwände und Erlöse für eine 10 MW PtM-Anlage in

Deutschland

Die Abbildung zeigt, dass ähnlich wie für Power-to-Gas der große Block staatlich veranlasster

Strompreisbestandteile (Abgaben, Umlagen und Steuern) das Hemmnis für einen profitablen

Betrieb ist, insbesondere beim Strombezug aus dem öffentlichen Netz, der derzeit ca. 23 Prozent

an den gesamten jährlichen Aufwendungen ausmacht. Ohne diese Abgaben und Umlagen wäre

die Wirtschaftlichkeit einer 10 MW Anlage bei den derzeitig angenommenen Investitionskosten

bereits heute gegeben.

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Power-to-Methane (PtM)

Erdgassubstitut Methan: Die katalytische Umsetzung von Wasserstoff zum

„grünen“ Energieträger Methan

Technologie und Anwendungen

Im katalytischen Prozess wird aus Kohlenstoffdioxid (CO2) und Wasserstoff (H2) regeneratives

Methangas, ein Erdgassubstitut (CH4) erzeugt. Dieses Verfahren ist seit mehreren Jahren in der

Entwicklung und Demonstration. So besteht mit der Power-to-Gas-Anlage der Firma Audi in

Werlte eine erste Produktionsstätte im industriellen Maßstab (6 MW). Die Vorzüge des Verfahrens

sind hohe Raumzeitausbeuten und Produktselektivität, eine Abwärmenutzung über 200°C sowie

eine gute Skalierbarkeit. Sowohl die Elektrolyse als auch der Methanisierungsreaktor lassen sich

durch eine Erhöhung der Reaktionsfläche, bzw. des Reaktorvolumens anpassen.

Dazu findet das exotherme Verfahren auf einem hohen Temperaturniveau (von mehreren 100°C)

statt. Durch Prozessintegration können Abwärmen aus Elektrolyse und Methanisierung für die

CO2-Bereitstellung genutzt werden. Zum anderen kann das hohe Temperaturniveau sehr gut für

Wärmeanwendungen in Industrie und Wärmenetzen ausgekoppelt werden. Wodurch sich

insgesamt hohe Ausnutzungsgrade der eingesetzten regenerativen Energie erreichen lassen.

Senkung von CO2-Emissionen

Sowohl durch eine Kopplung der Methanisierungsanlage mit einer Biogasanlage oder einer

Biomassevergasung kann „regeneratives“ CO2 für die Methan-Erzeugung bereitgestellt werden.

Dies ist eine regulatorische Voraussetzung, um ein biogasäquivalentes Produkt zu erhalten.

Gleichzeitig bietet dies auch die Möglichkeit, die Kohlenstoffausbeute aus der

Biomasseanbaufläche deutlich zu erweitern. Der Kohlenstoffertrag wird verdoppelt bis

vervierfacht und damit eine Entschärfung der „Tank oder Teller“1 - Diskussion erzielt. Zudem kann

auf weitere unterschiedliche Biomassesubstrate als Eingangsstoff zurückgegriffen werden, die

nicht mit jenen in Konkurrenz stehen, die zur Nahrungsmittel-Produktion genutzt werden. In

Verbindung mit einer Holzvergasung können auch holzartige Biomassefraktionen, wie

Waldrestholz, Straßenbegleitgrün oder Reststoffe der Anbaubiomasse wie Stroh eingesetzt

werden. Letztlich kann auch gänzlich auf den Einsatz von Biomasse verzichtet werden indem

durch Verfahren wie der „Direct Air Capture“ - Technologie das erforderliche CO2 direkt aus der

Umgebungsluft gewonnen wird.

Wirtschaftlichkeit

Die Wirtschaftlichkeit der PtM-Technologie wird erreicht, wenn das SNG zu vergleichbaren

Gestehungskosten wie Biogas oder fossiles Erdgas erzeugt werden kann und somit

konkurrenzfähig wird. Um dies zu erreichen besteht die Möglichkeit an drei unterschiedlichen

Hebeln anzugreifen (siehe untenstehende Grafik).

1 Die sog. „Tank oder Teller“ – Diskussion ist vor dem Hintergrund entfacht, dass für die Produktion von Biokraftstoffen Anbauflächen

beansprucht werden, die nicht mehr für die Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung stehen

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Der erste Hebel (a) ist die technologische Weiterentwicklung:

Ziele des technologischen Fortschritts sind:

- Die Steigerung der Effizienz und der Nutzungsgrade zum Beispiel durch Verbesserung

der dynamischen Betriebsweise zur Anpassung an fluktuierende Energieerzeuger aus

Wind und Sonne oder einer Stärkung der Einbindung in bestehende Energienetze

(Einspeisung von Mischgasen ins Erdgasnetz, Nutzung der Abwärme etc.)

- Die Senkung der Investitions- und Betriebskosten durch neue Anlagendesigns,

Materialanpassungen und Produktionstechniken

- Der Aufbau von automatisierten Produktionsanlagen im Gegensatz zur heutigen

manuellen Fertigung von Einzelanlagen

Der zweite Hebel (b) liegt im regulatorischen Rahmen:

- Errichtung eines ganzheitlichen Energiesystems, in dem die Energie zwischen den

Sektoren frei fließen kann, ohne dabei mit verbrauchsinduzierten Abgaben und

Umlagen belegt zu sein (siehe Kapitel 3 „Handlungsbedarf und Handlungsoptionen“).

Der dritte Hebel (c) liegt in einer Internalisierung externer Kosten fossiler Energieträger:

- Gerade fossile Energieträger erzeugen für die Allgemeinheit Kosten, wie zum Beispiel

die Anpassung an den Klimawandel, die nicht in den Gestehungskosten enthalten

sind. Durch Einführung einer Abgabe auf CO2-Emissionen nähern sich die

Gestehungskosten der fossilen und erneuerbaren Pendants an - eine wesentliche

Voraussetzung zur Marktakzeptanz.

Abbildung: Erzeugungskosten am Beispiel Power-to-Gas; Darstellung ZSW

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Power-to-Liquid (PtL)

Konversion immanenter CO2-Quellen mit Wasserstoff in flüssige Kohlenwasserstoffe als Roh- und Treibstoffe Technologie und Anwendungen

Die Reduzierung von CO2-Emissionen ist das zentrale Ziel der Energiewende. Neben der

unmittelbaren Vermeidung der CO2-Entstehung kann dabei auch die sinnvolle zirkuläre Nutzung

von gegenwärtig nur schwer vermeidbarem CO2 aus industriellen Prozessen einen wertvollen

Beitrag leisten. So lässt sich CO2 aus unterschiedlichen Quellen als Wertstoff nutzen, um CO2-

arme Chemikalien, synthetisches Methan, Methanol oder andere Roh- und Kraftstoffe

herzustellen.

Bei der als Power-to-Liquid bezeichneten Konversion reagiert das abgeschiedene CO2 mit

Wasserstoff zu einem flüssigen Kohlenwasserstoff wie z.B. Methanol. Methanol lässt sich als

Treibstoff einsetzen oder beimischen (Benzin, Kerosin) oder in andere Treibstoffe (z.B.

Dimethylether) oder Chemikalien weiterverarbeiten.

Der Wasserstoff kann mit Hilfe der Wasserelektrolyse mit elektrischem Strom aus erneuerbaren

Energien hergestellt werden oder ist an einem Standort ohnehin überschüssig vorhanden. Zur

Nutzung der Abwärme aus der Elektrolyse für die Methanolproduktion empfiehlt sich die

Kombination mit einer Hochtemperatur-Wärmepumpe, die beispielsweise zusätzlich einen

Wärmeexport in ein Wärmenetz (Fernwärme, Prozesswärme, Prozessdampf) ermöglicht.

Durch die CO2-Nutzung, Einbeziehung elektrischer Energie und die Nutzung von Abwärme

können die Sektoren Energieerzeugung, Industrie, Wärme und Mobilität in flexibler Weise

verzahnt werden.

Zielgruppen der Technologie sind

• die Energieindustrie (Kraftwerke, Biogasanlagen),

• die Entsorgungsindustrie (Müllverbrennungsanlagen),

• die Prozessindustrie (Stahlwerke, Zementwerke, chemische und petrochemische

Anlagen) oder

• der Mobilitätssektor (Automobilindustrie, Flugzeugindustrie).

Senkung von CO2-Emissionen

Bereits heute werden 27% der weltweiten Methanolproduktion im Mobilitätssektor genutzt. Die

Herstellung synthetischer Kraftstoffe und zirkuläre Nutzung von CO2 als Wertstoff leisten damit

einen nachhaltigen Beitrag zur Dekarbonisierung des Verkehrssektors.

In Kombination mit „grünem“ Wasserstoff als Ressource ist das CO2-Senkungspotential

dementsprechend höher.

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Wirtschaftlichkeit

Für die Raffinerien, in denen „grüner“ Wasserstoff mittels der PEM- bzw. Alkalischen Elektrolyse

eingesetzt wird, ergeben sich bei einer

• Jahresvollbenutzungsdauer der von 3.000 h/a,

• einem Strompreis von 60 EUR/MWh und

• einem spezifischen Investitionsbedarf von bis zu 1.500 EUR/kWel

keine Mehrkosten gegenüber der Verwendung von Wasserstoff aus der Dampfreformierung.

Der wesentliche Grund hierfür ist die Anrechenbarkeit der Treibhausgasminderungen auf die in

den Verkehr gebrachten „grünen“ Treibstoffe.

Geht man von der doppelten Jahresvollbenutzungsdauer (6.000 h/a) aus, ergeben sich bei

identischem Investitionsbedarf (1.500 EUR/kWel) bis zu einem Strompreis von bis zu 80

EUR/MWh keine Mehrkosten gegenüber der Verwendung von Wasserstoff aus der

Dampfreformierung. Dies zeigt einmal mehr, dass die Wirtschaftlichkeit nur in geringerem Maße

von der Höhe der Investitionskosten abhängt.

Daneben sind für die wirtschaftliche Realisierung von Power-to-Liquid-Projekten die

regulatorischen Rahmenbedingungen sicherzustellen. Diese sind in Kapitel 3 „Handlungsbedarf

und Handlungsoptionen“ beleuchtet.

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Power-to-Heat (PtH)

Wärmewende in Berlin - Steinkohle-Block weicht „grüner“ Wärmeversorgung durch Power-to-Heat

Technologie und Anwendungen

Power-to-Heat bezeichnet eine Technologie, die ähnlich einem überdimensionierten

Tauchsieder elektrischen Strom in Wärme umwandelt und besonders gut für die Integration

erneuerbarer Energie in ein Wärmenetz geeignet ist. Hierbei wird Wasser als ohmscher

Widerstand genutzt und im direkten Kontakt mit sechs Elektroden erhitzt. Über die

Kontaktfläche der Elektroden mit dem Wasser kann die Leistungsabgabe sehr präzise und

sicher geregelt werden. Aufgrund der erhöhten Leitfähigkeit wird das erwärmte Wasser über

einen Wärmeübertrager mit einem Sekundärkreislauf (Fernwärmenetz) verbunden. Im

Kreislaufsystem wird das nun kalte Wasser erneut dem Kessel zugeführt. Diese

Heißwassererzeuger haben einen Wirkungsgrad von 99,9 Prozent. Das so genannte

„Tauchsieder“-Prinzip kommt auch in Berlin zum Einsatz, wo eine PtH-Anlage mit einer

Gesamtleistung von 120 MW thermisch gebaut wird.

Senkung von CO2-Emissionen

Das Projekt bringt die Berliner Wärmewende in zweierlei Hinsicht voran. Ab 2020 soll die

Anlage Fernwärme aus Strom für bis zu 30.000 Haushalte erzeugen. Nach der

Inbetriebnahme sämtlicher Heißwassererzeuger kann Block C (132 MW) des Steinkohle‐

Heizkraftwerks Reuter nach der Heizperiode 2019/2020 vom Netz gehen. Damit werden

dauerhaft in hohem Maße CO2-Emissionen eingespart.

Die PtH‐Anlage wird nicht nur den Einsatz des Heizkraftwerkes optimieren, sondern in Zukunft

auch die Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen zur Erzeugung von

klimaschonender Fernwärme möglich machen. Als Konsequenz müssen weniger Windräder

und PV-Anlagen abgeregelt werden, womit ein doppelter Beitrag zu den Klimazielen erbracht

wird. Die abgenommene erneuerbare Energie entspricht 10 Prozent des gesamten Berliner

Strombedarfs im Sommer – oder der Energiemenge für 750.000 Kühlschränken.

Wirtschaftlichkeit und Regulatorische Hemmnisse

Das Investitionsvorhaben ist ein Projekt unter dem Dach von WindNODE, der

nordostdeutschen Modellregion im Rahmen des Programms ‚Schaufenster intelligente

Energie‘ (SINTEG). Damit konnte das Projekt realisiert werden.

Um den politischen Willen zur Ausweitung der Sektorenkopplung in breiterem Maßstab zu

realisieren, müsste der regulatorische Rahmen so angepasst werden, dass die Energie

zwischen den Sektoren frei fließen kann (siehe Kapitel 3 „Handlungsbedarf und

Handlungsoptionen“). Eine Option zusätzlich zur bundesweiten Ausweitung des § 13 Abs. 6a

EnWG („Nutzen-statt-Abregeln“) wäre eine zeitliche Verlängerung der Experimentierklauseln

der SINTEG-Verordnung.

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Power-to-Heat-to-Power (PtHtP)

Effizienzsteigerungen durch Flexibilisierung konventioneller Kraftwerke

Technologie und Anwendungen

Zwei Drittel des Energieverbrauchs im Industriebereich werden zur Erzeugung von

Prozesswärme (Heißwasser oder Prozessdampf) benötigt. Gleichzeitig wird Abwärme in der

Größenordnung von jährlich etwa 445 TWh erzeugt. Oft handelt es sich um Abwärme auf einem

so niedrigen Temperaturniveau, dass eine weitere Nutzung nicht sinnvoll ist. Wenn Abwärme

aber nutzbar gemacht werden kann, dann lässt sich deutlich Primärenergie einsparen. Die

Speicherung mittels Hochtemperatur-Wärmepumpen und einer zeitversetzten Erzeugung von

CO2-armem Prozessdampf leistet einen wirksamen Beitrag zur Flexibilisierung der

Energieerzeugung und gleichzeitig zur Sektorenkopplung. Durch den Einsatz von

Hochtemperatur-Wärmepumpen lässt sich damit Primärenergie in der Größenordnung von bis

zu 25% einsparen. Zusätzlich kann fluktuierende elektrische Energie aus erneuerbaren

Energiequellen oder elektrische Energie, die beispielsweise an einem Industriestandort

überschüssig erzeugt wird, aber deren Einspeisung in das elektrische Stromnetz aus

wirtschaftlichen Gründen wenig attraktiv erscheint, zur Erzeugung von Prozesswärme

eingesetzt werden.

Die thermische Energie kann dann Stunden, Tage oder Wochen im thermischen Speicher

gelagert und zeitversetzt in den thermodynamischen Kreislauf von konventionellen Kraftwerken

zurückgegeben werden. Es besteht damit das Potential, konventionelle Kraftwerke zu

„Stromspeichern“ zu wandeln und damit die Investitionskosten des Speicherkraftwerks durch

Nutzung des Bestands zu senken.1

Abbildung: Beispiel für ein Power-to-Heat-to-Power - Konzept mit kommerziell verfügbaren thermischen

Kraftwerkskomponenten

1 Grundsätzlich sind verschiedene Technologien zur thermischen Speicherung im Hochtemperaturbereich bekannt. Diese nutzen unterschiedliche Prinzipien: sensible Speicherung in Feststoffen und Flüssigkeiten, sowie Latentwärme- und thermochemische Speicherung. Kommerziell verfügbar sind derzeit sensible Feststoffspeicher (Regeneratoren) und sensible Flüssigspeicher (Druckwasser, Flüssigsalzspeicher). In der Forschung und Entwicklung befinden sich Strom-Wärme-Strom-Speichersysteme, die einen Wärmepumpenprozess anstatt eines Elektroerhitzers nutzen. Der Einsatz von Wärmepumpenprozessen bietet das Potential, den Strom-zu-Strom-Wirkungsgrad zukünftig erheblich zu steigern.

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Ein wesentlicher Vorteil an dieser Entwicklung ist, dass nicht nur Kurzfristbereiche, wie die

Primärreserve, sondern auch längere Flexibilitätsbereiche adressiert werden können. Power-

to-Heat-to-Power-Speichersysteme bieten somit großes Potential, die Lücke zwischen Batterien

und Power-to-Gas Anlagen zu schließen.

Auch im aktuellen Koalitionsvertrag ist dieses große Potential erkannt: „Wir werden prüfen,

inwieweit zukünftig nicht mehr benötigte Kraftwerksstandorte für große thermische Speicher-

Kraftwerke genutzt werden können“ (vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD,

19. Legislaturperiode, Zeilen 3321-3322)

Senkung von CO2-Emissionen

Das beschriebene Anwendungsbeispiel führt in zweierlei Hinsicht zu CO2- Einsparungen. Für

ein Speichervolumen von 1 GWh bringt die Einspeicherung erneuerbarer Quellen und

Rückverstromung mit Nutzwärmeerzeugung eine CO2 Einsparung von bis zu 65.000t mit sich.

Die wirkungsgradsteigernden Effekte im Hinblick auf die Reduzierung der Kraftwerksanfahrten

und Optimierung der Teillastfahrweise ergeben weiterhin eine CO2-Einsparung von etwa

10.000t.

Wirtschaftlichkeit

Die Wirtschaftlichkeit von kraftwerksnahen Hochtemperatur-Wärmespeichern speist sich derzeit

aus zahlreichen internen betriebswirtschaftlichen Parametern im Kraftwerksbereich wie

Verschleißminderung, Ersatz von Zündbrennstoffen, Beschleunigung der Anfahrflanken etc.

Diese Parameter sind hochspezifisch für jedes Kraftwerk.

Die Investitionskosten von Hochtemperatur-Wärmespeichern liegen bei 20 bis 150 EUR/kWhth

und sind bis zu einigen 1000 MWh skalierbar. Beispielsweise wurden Flüssigsalzspeicher in

solarthermischen Kraftwerken mit einer Kapazität von über 4000 MWhth realisiert (Solana,

USA).

Auch in diesem Beispiel steht der Wirtschaftlichkeit zusätzlich der aktuelle Energierechtsrahmen

entgegen (siehe Kapitel 3 „Handlungsbedarf und Handlungsoptionen“).