Auch sie haben kein ewiges Leben: Altern und Alter …...B ei Höheren Pflanzen nennt man die erste...

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B ei Höheren Pflanzen nennt man die erste Entwick- lungsphase nach der Keimung juvenile Phase, auf die die adulte Phase und schließlich die reproduktive Phase folgt. Bei vielen krautigen Pflanzen geht die re- produktive Phase in der Regel mit einer Alterung der Blätter einher (siehe Kasten „Die Seneszenz der Blät- ter“ auf Seite 176). Während der Seneszenz werden wertvolle Inhaltsstoffe in den Blättern remobilisiert und zu den sich entwickelnden Blüten und Früchten mit den Samen transportiert. Die Seneszenz führt zum Bei Pflanzen gibt es eine Vielzahl verschiedener Lebensstrate- gien. Während solche mit vegetativer Vermehrung potenziell unsterblich sind, gibt es andere mit kurzer Lebensspanne, die bereits nach einmaliger Fruchtbildung sterben. Bei der Suche nach den zellulären Ursachen des Alterns und nach möglichen Alterungssignalen stieß man auf die reaktiven Sauerstoffverbindungen, die auch bei anderen Organismen- gruppen Alterungsprozesse auslösen. Auch sie haben kein ewiges Leben: Altern und Alter bei Pflanzen K ARIN K RUPINSKA DOI:10.1002/biuz.200610335 174 | Biol. Unserer Zeit | 3/2007 (37) © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Die mit einem grünen Pfeil markierten Begriffe werden im Glossar auf Seite 179 erklärt. ABB. 1 a) Männliche und weibliche Pflan- zen des Hanfes (Cannabis sativa) während der Blühphase. Während die Blätter der männlichen Pflanzen (b) schon vergilbt sind, sind die der weiblichen Pflanzen (c) noch grün. a) b) c)

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Bei Höheren Pflanzen nennt man die erste Entwick-lungsphase nach der Keimung juvenile Phase, auf

die die adulte Phase und schließlich die reproduktivePhase folgt. Bei vielen krautigen Pflanzen geht die re-produktive Phase in der Regel mit einer Alterung derBlätter einher (siehe Kasten „Die Seneszenz der Blät-ter“ auf Seite 176). Während der Seneszenz werdenwertvolle Inhaltsstoffe in den Blättern remobilisiertund zu den sich entwickelnden Blüten und Früchtenmit den Samen transportiert. Die Seneszenz führt zum

Bei Pflanzen gibt es eine Vielzahl verschiedener Lebensstrate-gien. Während solche mit vegetativer Vermehrung potenziellunsterblich sind, gibt es andere mit kurzer Lebensspanne, die bereits nach einmaliger Fruchtbildung sterben. Bei der Suche nach den zellulären Ursachen des Alterns und nachmöglichen Alterungssignalen stieß man auf die reaktivenSauerstoffverbindungen, die auch bei anderen Organismen-gruppen Alterungsprozesse auslösen.

Auch sie haben kein ewiges Leben:

Altern und Alter bei Pflanzen KARIN KRUPINSKA

DOI:10.1002/biuz.200610335

174 | Biol. Unserer Zeit | 3/2007 (37) © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Die mit einem grünen Pfeil markierten Begriffewerden im Glossarauf Seite 179erklärt.

A B B . 1a) Männliche undweibliche Pflan-zen des Hanfes(Cannabis sativa)während derBlühphase. Während dieBlätter dermännlichenPflanzen (b) schon vergilbtsind, sind die der weiblichen Pflanzen (c) noch grün.

a) b)

c)

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Tod der betroffenen Organe und bei einjährigen Pflan-zen schließlich zum Tod der ganzen Pflanze.

Im Vergleich zu Tieren gibt es bei Pflanzen erheb-liche Unterschiede in der Lebensdauer: von wenigenTagen bis hin zu mehreren tausend Jahren im Fall eini-ger Bäume und zur potenziellen Unsterblichkeit vonKlonen mit vegetativer Vermehrung. Die Lebensdauerder verschiedenen Organe kann von der Lebensdauerder gesamten Pflanze deutlich abweichen. Dies ist be-sonders auffällig bei den Laubbäumen, die jährlich ihreBlätter abwerfen, ohne dabei selbst zu sterben.

Pflanzen mit verschiedenen Lebensstrategienund unterschiedlicher Lebensdauer

Im Hinblick auf Reproduktion und Lebensdauer kannman zwei große Gruppen von Pflanzen unterscheiden:� monokarpische und � polykarpische Pflanzen.

Bei den monokarpischen Pflanzen kommt esnach der Reproduktion zum Absterben der gesamtenPflanze. Das bedeutet, dass die Reproduktion und dasAltern beziehungsweise Sterben hier zusammen zu be-trachten sind. In der Regel sind monokarpische Pflan-zen ein- oder zweijährig. Allerdings gibt es auch Aus-nahmen, wie beispielsweise die Sisalagave, die in derRegel erst nach sechs bis zwölf Jahren blüht und da-nach abstirbt (siehe Tabelle auf dieser Seite).

Vielen Hobbygärtnern wurde erst durch das Bam-bussterben von 1990 bewusst, dass auch mehrjährigePflanzen altern und sterben. In der Regel vermehrt sichder einkeimblättrige Bambus vegetativ durch Bildungneuer Sprosse aus den Wurzeln. Zur Blüte kommt es jenach Art nur alle sechs bis 100 Jahre. Da alle Garten-bambuspflanzen in Deutschland vermutlich von einerPflanze abstammten, kam es 1990 zu einem Massen-sterben, das sich nach 15 Jahren wiederholt hat. Einähnliches Massensterben von Bambuspflanzen hatte inden 1980er Jahren in China zur Folge, dass 250 der damals insgesamt noch 1500 lebenden Pandabären

starben, denn Pandabären benötigen 12–18 kg Bambuspro Tag.

Eine Besonderheit unter den monokarpischenPflanzen sind zweihäusige Pflanzen, bei denen dieweiblichen etwas länger leben als die männlichenPflanzen. Ein Beispiel hierfür ist der Hanf (Cannabissativa). Der bei der Seneszenz der männlichen Pflan-zen freigesetzte Stickstoff wird in den Boden transpor-tiert und dient den weiblichen Pflanzen schließlich alsDünger. Auf diese Weise wird sowohl der Stickstoff ausden weiblichen als auch aus den männlichen Pflanzenfür den Aufbau der Früchte verwertet.

Als polykarpische Pflanzen bezeichnet manBäume und Sträucher, die wiederholte Reproduktions-phasen haben und deren Lebensspanne unabhängigvon der sexuellen Reproduktion ist. Bei diesen Pflan-

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TA B . M A X I M A L E L E B E N S DAU E R VO N P F L A N Z E N -

A R T E N ( O B E R I R D I S C H E T E I L E )

Pflanze maximale Lebensdauer

EEiinnjjäähhrriiggee PPffllaannzzeenn::Amaryllis lucida 10 TageArabidopsis thaliana 8 – 10 WochenHanf (Cannabis sativa), männliche Pflanzen ca. 4 MonateHanf (Cannabis sativa), weibliche Pflanzen ca. 5 Monate

PPeerreennnniieerreennddee ((aauussddaauueerrnnddee)) PPffllaannzzeenn::Sisalagave (Agave sisalana) 6 – 12 JahreGelbe Waldanemone (Anemone ranunculoides) 7 JahreSkandinavischer Thymian (Thymus chamaedrys) 14 JahreEfeu (Hedera helix) 200 JahreBirke (Betula verucosa) 120 JahreApfelbaum (Pyrus malus) 200 JahreSchottische Kiefer (Pinus silvestris) 500 JahreOlivenbaum (Olea europaea) 700 JahreRiesensequoia (Sequoia gigantea) 3200 JahreBristlecone-Kiefer (Pinus aristata) 4600 JahreAngaben u.a. aus [8].

A B B . 2 Ver-schiedenblättrig-keit beim Efeu(Hedera helix).Die Schemazeich-nung von Blät-tern a) jungerund b) alterTriebe stammtaus [8]. Die Pho-tographie zeigtEfeu an einem Eichenstamm.Die breiten ge-lappten Blätterder jungen Triebesind deutlich vonden lanzettförmi-gen Blättern deralten Triebe zuunterscheiden.

a) b) c)

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zen wird der Alterungsprozess stärker durch Umwelt-faktoren beeinflusst als bei monokarpischen Pflanzen.In der Regel wachsen alte Pflanzen langsamer als jungePflanzen und zeigen eine typische Abnahme der Ver-zweigungen. Einige Pflanzen weisen auch altersabhän-gige Unterschiede im Habitus und in der Blattmorpho-logie auf. Beim Efeu, Hedera helix, kann man an einerPflanze juvenile Triebe und alte Triebe, die Blüten bil-den, einfach an der Blattform unterscheiden. An jun-gen Trieben sind die Blätter stark gelappt und an älte-ren Trieben einfach rautenförmig ausgebildet (Abbil-dung 2). Außerdem bilden junge Triebe Wurzeln, altenicht. Die Blattform wird beibehalten, wenn Stecklingezur Vermehrung verwendet werden. Die „Jungpflan-

zen“ aus den Zweigen der Blütenregion werden fälsch-licherweise als unterschiedliche Varietät unter dem Na-men Hedera helix var. arborea verkauft.

In anderen Fällen kann man junge und ältere Blätteran der Blattaderung unterscheiden. So sind die Ma-schen der Nervatur bei alten Weinstöcken erheblichenger als bei jungen Weinstöcken [8].

Auch unter den Bäumen findet man zweihäusige Ar-ten, bei denen die männlichen Pflanzen ihre Blätter vorden weiblichen Pflanzen abwerfen [8]. Dazu gehörtder Gingko, ein beliebter Parkbaum, der auch als le-bendes Fossil bezeichnet wird.

Einjährige Pflanzen, die an Wüstenstandorte ange-passt sind, haben eine besonders kurze Lebensdauer.

D I E S E N E S Z E N Z D E R B L Ä T T E R

Das Phänomen der Blattalterung, auch Blattseneszenz genannt,ist jedem von der herbstlichen Laubverfärbung bekannt. Die demLaubfall vorangehende auffällige gelbe bis rote Verfärbung derBlätter geht auf den Abbau des Chlorophylls [3] zurück, das injungen Blättern die gelben Farbstoffe (Carotinoide) überdeckt.Das für die grüne Farbe der Pflanzen verantwortliche Chlorophyllist im Photosyntheseapparat der Chloroplasten an der Umwand-lung von Lichtenenergie in chemische Energie beteiligt. EinigeBlätter, beispielsweise die des Weines, bilden während der Seneszenz auch zusätzlich rote Anthocyane. Während Chloro-phylle und Carotinoide in den Chloroplasten vorkommen, akkumulieren die Anthocyane in der Vakuole der Zelle.

Zusätzlich zu den Chlorophyllen werden während der Blattsenes-zenz auch die übrigen Komponenten des Photosyntheseappara-tes – die Proteine und Lipide – abgebaut. Folge dieses Abbaus isteine Abnahme der Photosyntheseleistung. Die während der Seneszenzphase freigesetzten Bausteine der Proteine (Amino-säuren) werden entweder für die Synthese von Speicherproteinenoder für den Aufbau neuer Proteine in jungen Blättern, Samenund Früchten verwendet. Die Bausteine der Lipide werden alsEnergiequelle genutzt. Die farblosen Abbauprodukte des Chloro-phylls werden in die Vakuole eingelagert.

Die Blattseneszenz ist also ein Recyclingprozess für Stickstoff undandere wertvolle Stoffe.

Bei Bäumen wird der Stickstoff in Form von Amiden (Glutamin,Asparagin) über das Phloem in den Stamm transportiert, wo erzum Aufbau von Speicherproteinen genutzt wird (Winter-speicher). Auch in Zwiebeln und Knollen kann der Stickstoff ge-speichert werden. Bei den ein- und zweijährigen Pflanzen wirdder Stickstoff aus den älteren Blättern zu jüngeren Blättern trans-portiert und von dort aus letztlich für den Aufbau von Samenund Früchten genutzt.

Drei Viertel des gesamten Stickstoffs in einer Pflanzenzelle befin-det sich in den Chloroplasten. Davon entfallen 70 % des Stick-stoffs in den Chloroplasten auf das Schlüsselenzym der Kohlen-dioxidfixierung, die Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase (Rubisco). Die übrigen 30 % liegen in den Pigment-Protein-Kom-plexen des Photosyntheseapparates vor. Erst nach dem Abbaudes Chlorophylls sind die Proteine dieser Komplexe für Proteasenzugänglich. Das bedeutet, dass Pflanzen, in denen der Abbau der

Chlorophylle gestört ist, weniger Stickstoff remobilisieren kön-nen. An transgenen Tabakpflanzen, die während der Seneszenz-phase vermehrt � Cytokinine bilden und daher länger grün bleiben, konnte gezeigt werden, dass sich dies unter Nähr-stoffmangelbedingungen nachteilig auf die Produktivität (Biomasse, Samenertrag) auswirkt. Den Cytokininen ähnelndeStoffe werden von Blattparasiten – Pilzen und Insektenlarven –ausgeschieden, um den Abtransport der Nährstoffe aus befalle-nen Bereichen des Blattes zu verhindern. Diese Bereiche sind aufvergilbenden Laubblättern als „grüne Inseln“ erkennbar [3].

Die Steuerung der Blattseneszenz wurde in den vergangenenzehn Jahren vorwiegend an einer Laborlinie der ModellpflanzeArabidopsis thaliana untersucht. Bei den Rosettenblättern von A. thaliana kommt es nach kurzer Vergilbung sofort zum Ein-trocken und Verbraunen der Blätter. Dies führte dazu, dass dieSeneszenz von vielen Forschern als eine besondere Form des programmierten Zelltods eingeordnet wurde.

Durch Untersuchungen an Rosettenblättern von A. thaliana undBlättern anderer Pflanzen wie Gerste, Mais und Tabak hat manGene identifiziert, die während der Seneszenzphase eine erhöhteAktivität besitzen. Diese Gene werden als seneszenzassoziierteGene (SAG) bezeichnet. Die meisten codieren für Proteine, dieeine Rolle bei den Abbauprozessen während der Seneszenz spie-len. Andere codieren für Proteine, die die Zellen vor oxidativemStress und zu frühem Zelltod schützen.

Einige der seneszenzassoziierten Gene sind auch bei Zelltodpro-zessen infolge von Pathogenbefall oder anderer Stresseinwir-kung aktiv. Es ist anzunehmen, dass in den befallenen Blattteilenvor dem Tod noch wertvolle Nährstoffe remobilisiert werden. Untersuchungen an Pflanzen, deren Blätter wie beim Tabak oderden Getreidepflanzen vor dem Absterben eine lange Phase derVergilbung aufweisen, haben klar gezeigt, dass Zelltod und Se-neszenz unabhängige Prozesse sind und unterschiedlich gesteu-ert werden. Während Cytokinine das Seneszenzprogramm unter-drücken können, haben sie keinen Einfluss auf den Zelltod. Pflan-zen, in denen die Seneszenzphase unterdrückt wird, können die wertvollen Nährstoffe nicht vollständig remobilisieren undhaben daher eine geringere Produktivität. Daraus ist zu folgern,dass die Blattseneszenz eine wichtige Bedeutung für das Über-leben und die Fortpflanzung von Pflanzen hat.

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Auch viele Knollengewächse haben sehr kurze Lebens-zeiten. Der angeblich älteste heute noch lebende Baumist eine Kiefer in Kalifornien, deren Alter auf 4600 Jahregeschätzt wird. Auch wenn sie nicht mehr sehr an-sehnlich aussieht, ist sie auch heute noch in der Lage,neue Blätter zu bilden (Abbildung 3). Derartig alteBäume werden gern für eine Jahresringchronologie he-rangezogen. Damit erhält man Auskunft über das Klimavergangener Zeiten. Knollen und vor allem Samen kön-nen erheblich älter werden als die eigentliche Pflanze.So hat man für Samen einiger Pflanzen gezeigt, dass sieihre Keimfähigkeit über mehrere hundert Jahre erhal-ten können.

Die Altersangaben in der Tabelle auf Seite 175 gel-ten nur für die oberirdischen Teile einer Pflanze. Esgibt Beispiele für Pflanzen, bei denen der Wurzelstockerheblich älter werden kann. Bei der so genannten„tausendjährigen Rose“ am Hildesheimer Dom nimmtman an, dass der Wurzelstock tatsächlich mehrere hun-dert Jahre alt ist.

Bei einigen Pflanzen hängt die Lebensdauer auchvom Standort ab. Molisch (1929) nennt Berichte, nachdenen in unseren Breiten angebaute Kulturpflanzenwie der Flachs (Linum) unter anderen klimatischenBedingungen ausdauernd werden und baumartigeStämme entwickeln können. Auch durch Pfropfungkann sich die Lebensdauer ändern: So berichtet Mo-lisch (1929), dass ein normaler Apfelbaum 200 Jahre altwird, aber nur 15 bis 25 Jahre, wenn er auf den so ge-nannten Paradiesapfel Malus paradisiaca gepropftwird [8]. Durch Propfung auf mehrjährige Unterlagenkönnen auch Sprosse von einjährigen Pflanzen mehr-jährig werden.

Wie messen Pflanzen die Zeit?Wie alle Organismen besitzen Pflanzen eine biologi-sche Uhr, mit der sie die chronologische Zeit messenkönnen. Für das Altern scheint in vielen Fällen abereine physiologische/metabolische Zeitmessung ent-scheidend zu sein. In seiner 1929 abgefassten Schriftüber die „Lebensdauer der Pflanzen“ hat Molisch be-reits das Tempo der Assimilations- und Dissimilations-prozesse für das Altern verantwortlich gemacht. Bei-spielsweise können die Zahl der Blätter, Organe oderdie Aktivität der Photosynthese für die Alterung wich-tig sein [8].

Bei den monokarpischen Pflanzen ist die Zeitmes-sung offensichtlich mit der Entwicklung gekoppelt.Obwohl Pflanzen mit vegetativer Vermehrung poten-ziell ewig leben könnten, gibt es auch hier klare Anzei-chen dafür, dass die Wuchskraft mit der Zeit abnimmt.Entsprechende Beobachtungen hat man beispielsweisebei der zu den Teichlinsen (Lemnaceae) gehörendenSpirodela spec. gemacht. Bei Klonen von Gräsern ver-mutet man, dass sie mehr als 10.000 Jahre alt sind. DieUrsache von Altern und Tod ist bei Klonen wie auch

bei Bäumen und Sträuchern wahrscheinlich eine An-sammlung von Mutationen in den Zellen der � Meris-teme.

Von Molisch wurde 1929 die Theorie vertreten,dass Pflanzen altern, weil sie im Laufe ihres Lebens to-xische Substanzen und Mineralien akkumulieren wür-den. Toxische Substanzen können als Nebenproduktedes Stoffwechsels entstehen. Damit wäre die Lebens-zeit an die metabolische Aktivität des Organismus ge-koppelt. Vor 50 Jahren stellte Harman die Theorie auf,dass das Altern von Zellen und Organismen sowie de-generative Krankheiten durch die so genannten freienRadikale verursacht würden. Die toxischen Substanzenvon Molisch und Harmans Radikale würde man ausheutiger Sicht als reaktive Sauerstoffverbindungen (� ROS) bezeichnen. In tierischen Zellen entstehen siezu 90 % in den Mitochondrien, in Pflanzenzellen ist diePhotosynthese in den Chloroplasten die Hauptquelle.Den reaktiven Sauerstoffverbindungen wird bei allenOrganismen eine Schlüsselrolle in den Alterungspro-zessen zugesprochen. Entsprechend gibt es Hinweise,dass bei Pflanzen wie bei Tieren eine erhöhte Mengean antioxidativen Verbindungen, die ROS unschädlichmachen können, zu einer Verlängerung der Lebens-dauer führen kann.

Genetische Grundlagen des AlternsWie bei den Tieren ist bei den Pflanzen die Lebens-dauer ein Charakteristikum der Art. Besonders intensiv

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A B B . 3 EinExemplar der„Bristlecone-Kiefer“ (Pinusaristata) in denWhite Mountainsin Kalifornien.Von dieser Kiefergibt es Exem-plare mit einemAlter von mehrals 4600 Jahren.Aus: Urania Pflan-zenreich 1992,Urania-Verlag Leip-zig, Jena, Berlin.

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untersucht sind die genetischen Faktoren, die die Le-bensspanne bestimmen, bei der Modellpflanze Acker-schmalwand (Arabidopsis thaliana), deren Genom imJahr 2000 vollständig entschlüsselt war. Von A. tha-liana gibt es umfangreiche Mutantensammlungen, indenen man auch Mutanten mit unterschiedlicher Le-bensdauer findet.

A. thaliana ist eine typische Ruderalpflanze mitkurzer Lebensdauer, die man umgangssprachlich alsUnkraut bezeichnen würde. Die Untersuchungen anMutanten von A. thaliana unterstützen die „Radikal-theorie des Alterns“. Mutanten mit verlängerterLebensdauer besitzen auch eine erhöhte antioxidativeKapazität und Toleranz gegenüber Herbiziden, die oxi-dativen Stress auslösen. Damit besteht sowohl beiPflanzen wie auch bei Tieren ein Zusammenhang zwi-schen der Produktion reaktiver Sauerstoffverbindun-gen und der Lebensspanne.

Die Lebensdauer einer monokarpischen Pflanzewie A. thaliana ist eng gekoppelt mit der Zeit des Blü-hens und scheint vorwiegend vom Übergang von dervegetativen Phase zur reproduktiven Phase abzuhän-gen. Entsprechend ist zu erwarten, dass Mutanten mitverlängerter Lebensdauer auch später blühen. ExtremeBespiele sind die Mutanten gi (gigantea) und lfy(leafy), die kontinuierlich Blätter und Seitensprosse

bilden. Das Gen lfy ist offensichtlich am Übergang vonder vegetativen zur reproduktiven Phase beteiligt. Überdas Gen gigantea ist die Pflanzenentwicklung an diebiologische Uhr gekoppelt. Die Mutante efs mit einerverkürzten Lebensdauer ist eine typische Frühblühmu-tante. In diesem Fall fehlt ein Faktor, der die Blütenbil-dung hemmt.

Für Untersuchungen zur genetischen Grundlageder Lebensdauer eignen sich vor allem solche Mutan-ten, die nicht nur im Blühzeitpunkt verändert sind, son-dern bei denen alle Phasen der Entwicklung gleichmä-ßig verkürzt oder verlängert sind. Ein Beispiel ist dieMutante tfl1. Wenn man das betreffende Gen in Pflan-zen zur Überexpression bringt, erhält man Pflanzenmit verlängerter Lebensdauer. Der SeneszenzforscherLarry Noodén (University of Michigan, USA) hat syste-matisch untersucht, ob Mutanten mit veränderter Le-bensdauer auch eine entsprechend veränderte Lebens-dauer der Blätter haben. Die Ergebnisse dieser Unter-suchungen zeigten, dass eine verlängerte Lebenszeit inder Regel mit der Produktion von mehr Blättern ein-hergeht [10], ohne dass sich die Lebensdauer der Blät-ter ändert. Dies deutet darauf hin, dass auch bei mono-karpischen Pflanzen die Alterung der Pflanze und dieSeneszenz der Blätter unabhängige Prozesse sind. Es istbislang nur eine Mutante bekannt, bei der die Lebens-

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Birke

a) b)

Erle

c)

A B B . 4 a) Wäh-rend die Blätterder Birke auf derlinken Seite ver-gilben, bleibendie Blätter derErle auf der rech-ten Seite grün. b) An den grünenAdern eines se-neszierenden Bir-kenblattes (rechtsoben) kann mangut erkennen,dass das Gewebeum die Leitbah-nen länger lebt alsdas umgebendeBlattgewebe.Diese Bereiche le-ben länger, damitdie remo-bilisierten Stoffeaus dem Blatttransportiertwerden können.c) Wie a): linksvergilbende Birke,rechts grüne Erle.

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dauer der Blätter in gleicher Weise verändert ist wie dieLebensdauer der Pflanze. Dies ist die Mutante apg-9,der ein Protein fehlt, das am Abbau von defekten Orga-nellen und Proteinkomplexen beteiligt ist. Den in derMutante veränderten Prozess nennt man � Autophago-cytose.

Da man über die Mutantenanalyse mehrere Genekennengelernt hat, die die Lebensdauer beeinflussen,kann man unter Verwendung gentechnischer Metho-den nun gezielt Pflanzen mit veränderter Lebensdauererzeugen. Ein Beispiel sind langlebige Pflanzen, die dasapg9-Gen aus Hefezellen enthalten und das zugehörigeProtein herstellen. Die transgenen Pflanzen zeichnensich gegenüber den Kontrollpflanzen durch eine er-höhte Kapazität zum Abbau defekter Organellen undProteinkomplexe über Autophagocytose aus.

Bisher kennt man von polykarpischen Pflanzenkeine Mutanten mit veränderter Lebensdauer der Blät-ter und der gesamten Pflanze. Allerdings gibt es auchdort deutliche Anzeichen für eine genetische Kontrolleder Lebensdauer. Altersabhängige Veränderungen inder Physiologie und Struktur der Blätter gehen einhermit Änderungen in der Genexpression.

Die Bedeutung der Blattseneszenz für das Überleben

Die Lebensdauer einzelner Organe, wie beispielsweiseder Blätter, ist bei Pflanzen unabhängig von der Le-bensdauer der gesamten Pflanze. Bei den einjährigenPflanzen beträgt die Lebensdauer der Blätter nur we-nige Monate. Bei den Koniferen erreichen die Blätter inder Regel ein Alter von mehreren Jahren. Ein besondersextremes Beispiel ist das bis zu 100 Jahre alt werdendeBlatt von Welwitschia mirabilis, einem lebenden Fossilaus der Gruppe der nacktsamigen Cycadophytina.

Von A. thaliana gibt es eine Reihe von Mutanten,die eine veränderte Blattlebensdauer haben, ohne dassdie Lebensdauer der Pflanze verändert ist. Gentechni-sche Ansätze ermöglichten es, gezielt die Lebensdauerder Blätter zu manipulieren, ohne die Lebensspanneder Pflanze zu verändern. Zu deutlichen mehrtägigenVeränderungen in der Lebensspanne von Blätternkommt es bei Manipulation von übergeordneten Ge-nen: Diese codieren für die Transkriptionsfaktoren,welche die Transkription von seneszenzassozierten

Genen bewirken. Kürzlich wurde berichtet, dass inMutanten mit einem fehlenden Vertreter der NAC-Transkriptionsfaktoren die Lebensdauer der Blätter ver-längert ist, während Blätter von transgenen Pflanzen,die den Faktor vermehrt bilden können, schneller al-tern [1].

Die augenscheinliche Veränderung der Blätter wäh-rend der Seneszenz ist der Verlust des Chlorophylls. AlsFolge des gezielten Abbaus von Chlorophyllen, Prote-inen und Lipiden sinkt die Photosyntheseleistung derBlätter (siehe Kasten „Die Seneszenz der Blätter“ aufSeite 176).

Um ein effizientes „Recycling“ von Proteinen undanderen wertvollen Substanzen in den Blättern zu ge-währleisten, müssen diese auf ganz bestimmten dafürvorgesehenen biochemischen Wegen abgebaut wer-den. Die Abbauprodukte werden dann aus dem senes-zierenden Blatt heraustransportiert (Zucker und Amideals Transportstoffe) und an anderer Stelle als Baustoffezum Aufbau neuer Biomoleküle eingesetzt. Vorausset-zung für den Transport ist, dass die Zellen um die Leit-gewebe später altern als der Rest der Blätter. Dies kannman beispielsweise bei den seneszierenden Blätternder Birke im Herbst sehr schön beobachten. Doch esgibt auch Bäume, die verschwenderisch mit dem Stick-stoff umgehen und ihre Blätter grün abwerfen. Ein Bei-spiel ist die Erle, die in Symbiose mit Actinomycetenlebt, die den Luftstickstoff fixieren können (Abbil-dung 4).

Einfluss von Umweltfaktoren auf die Seneszenz

Umweltfaktoren beeinflussen die Entwicklung derPflanze in allen Phasen und damit auch das Altern. DerEinfluss von Klima und Standort auf das Altern wurdebereits von Molisch (1929) beschrieben [8]. Heute wis-sen wir, dass viele Stresssituationen die Photosynthesebeeinträchtigen und die Bildung von reaktiven Sauer-stoffverbindungen (ROS) fördern können, wodurchAlterungsprozesse ausgelöst und beschleunigt werden.

Unter den Umweltfaktoren, die die Lebensdauerder Blätter beeinflussen, kommt dem Licht eine beson-dere Rolle zu. Eine hohe Lichtdosis infolge langer Tageund/oder hoher Lichtintensitäten fördert die Alte-rungsprozesse. Dieser Befund weist darauf hin, dass

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G LOSSA R

Autophagocytose: Komplizierter Prozess, der dem Abbau vondefekten Organellen in der Zelle dient. Der Prozess ist am bestenan Zellen der Bäckerhefe untersucht, kommt aber bei allen höheren Organismen vor.

Cytokinine: Pflanzenhormone, die vielfältige Wirkungen aufWachstum und Entwicklung haben; unter anderem verzögernsie Alterungsprozesse.

Meristeme: Gewebe mit teilungsfähigen, totipotenten Zellen(Stammzellen).

monokarpische Pflanzen: Pflanzen, die nur einmal fruchten; in der Regel ein- oder zweijährige Pflanzen.

polykarpische Pflanzen: mehrjährige Pflanzen, die wiederholtblühen und fruchten.

ROS: reaktive Sauerstoffverbindungen.

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eine erhöhte Aktivität der Photosynthese die Alterungunterstützt. Die Lichtdosis kann über die Photosyn-theseaktivität beziehungsweise die dabei entstehendenreaktiven Sauerstoffverbindungen als Zeitmesser die-nen. Wenn weniger reaktive Sauerstoffverbindungengebildet werden, wie dies bei niedrigen Temperaturen,niedrigen Lichtintensitäten beziehungsweise im Schat-ten der Fall ist, dann werden die Alterungsprozesse inder Regel verzögert.

Unter Feldbedingungen wird der Seneszenzverlaufvon einer Vielzahl gleichzeitig auf die Pflanzen einwir-kender Faktoren beeinflusst. Dennoch ist es möglich,den Einfluss einzelner Faktoren zu beobachten, wenndiese sich plötzlich ändern. Bei unseren Versuchen zurSeneszenz von Gerstenpflanzen wurde beobachtet,dass ein Regentag nach einer Phase sonnigen undtrockenen Wetters den Seneszenzprozess umkehrenkann. Zieht man Gerstenpflanzen unter kontrolliertenBedingungen in einer Klimakammer mit hoher Lichtin-tensität an und senkt plötzlich die Lichtintensität,kommt es vorübergehend zu einem Anstieg in der Pho-tosynthese, der hier als Zeichen für eine Umkehr desSeneszenzprogramms gewertet werden kann (Abbil-dung 5).

Neben abiotischen Faktoren wie Licht und Tempe-ratur haben auch Pathogene verschiedener Art (bioti-sche Faktoren) einen Einfluss auf den Seneszenzver-lauf. Untersuchungen zur Genexpression in infiziertenBlättern haben ergeben, dass normalerweise währendder Seneszenz aktivierte Gene auch bei der Abwehrvon Pathogenen aktiviert werden. Für die Koordinationder Abwehrprozesse verwenden Pflanzen die Signal-substanz Salicylsäure, deren Menge in Blättern auchwährend der Seneszenz zunimmt.

Es ist anzunehmen, dass Pflanzen zur Abwehr vonPathogenen um die Infektionstellen herum das Senes-zenzprogramm einschalten. Aus den seneszierendenBereichen werden die Nährstoffe abtransportiert, wo-durch den Pathogenen die Lebensgrundlage entzogenwird (Abbildung 6).

Beim Befall von Blättern durch Pathogene sowieauch unter vielen anderen Umweltsituationen, die dieSeneszenz beschleunigen, kommt es zu einer vermehr-ten Bildung von reaktiven Sauerstoffverbindungen. Eswurde gezeigt, dass die Entgiftung von reaktiven Sau-erstoffspezies in jungen Pflanzen effektiver ist als in al-ten Pflanzen. Folglich sind junge Pflanzen in der Regelstressresistenter als alte Pflanzen. Beispielsweise habenSergi Munné-Bosch und Leonore Alegre von der Uni-versität in Barcelona zeigen können, dass bei Zistrosen,einem typischen holzigen Gewächs der mediterranenMacchia, die Menge an Vitamin E–Verbindungen inBlättern älterer Pflanzen geringer ist als in Blättern jün-gerer Pflanzen und der oxidative Stress in den Chloro-plasten mit zunehmendem Alter der Pflanzen ansteigt[9].

Als Folge des Verbrennens von fossilen Energieträ-gern wird in Zukunft eine noch stärkere Erhöhung derKohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre undeine Erwärmung der Erde erwartet. Dieses Phänomenist bekannt als Treibhauseffekt. Mit einer Vielzahl anUntersuchungen versucht man schon heute, die Aus-wirkungen dieser Klimaänderung auf die Landwirt-schaft und die gesamte Vegetation zu verstehen. Dabeiwurde festgestellt, dass eine erhöhte Kohlendioxid-

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Änderungen in der Effizienz der Photosynthese (y-Achse) während der Alte-rung von Gerstenblättern unter verschiedenen Lichtbedingungen.HL: hohe Lichtintensität, nL: niedrige Lichtintensität, hL/nL: nach 24 Tagenbei hoher Lichtintensität wurde die Lichtintensität abgesenkt. Nach [2].

Aktivität eines seneszenzassozierten Genes(SAG) der Gerste in den vergilbenden Be-reichen eines Blattes, das mit Pyrenophorateres infiziert wurde (verändert nach Kru-pinska et al., Plant Physiol 2002, 130, 1172-1180). Die RNA-„Blot“-Analyse zeigt nurein Signal in den vergilbenden Bereichen(1) und nicht im grünen Teil des Gerstenblattes (2).Anscheinend hungern die Pflanzen die Pathogeneaus, indem sie das Seneszenzprogramm aktivieren.

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konzentration die Entwicklung der Blätter und damitauch die Seneszenzphase beschleunigt [7]. WelcheAuswirkungen die beschleunigte Blattentwicklung aufdas Alter mehrjähriger Pflanzen hat, ist zur Zeit kaumabzuschätzen. Zu vermuten ist aber, dass die Lebens-dauer der Pflanzen durch diese Klimaveränderungenbeeinflusst wird. Es ist anzunehmen, dass die klimati-schen Veränderungen – wie auch damit gekoppelte Än-derungen in der Stoffwechselaktivität – die Aktivitätdes Genoms über Modifikationen des Chromatins ohneÄnderungen in der DNA-Sequenz nachhaltig verändern(Epigenetik).

Wirtschaftliche Bedeutung derBlattseneszenz

Die Lebensdauer der Blätter von Kulturpflanzen ist fürdie Landwirtschaft von großer Bedeutung. Der Ertraghängt direkt von der Photosyntheseleistung der Blätterund der Remobilisierung der Assimilate ab. Kommt esbei Getreidepflanzen in Folge von Trockenperioden zueiner verfrühten Vergilbung der Blätter, nimmt der Er-trag stark ab. Man spricht in diesem Fall von „Notreife“.Aufgrund der hohen Temperaturen bei geringem Nie-derschlag lagen beispielsweise die Erträge im Sommer2006 deutlich unterhalb des Durchschnitts.

Während Getreidepflanzen sehr effiziente Verwer-ter und Recycler von Stickstoff sind (siehe Kasten „DieSeneszenz der Blätter“ auf Seite 176), ist Raps sehrineffizient im Hinblick auf die Wiederverwertung desStickstoffs. Durch einen verfrühten Blattabwurf wäh-rend der Reife gelangt Stickstoff zurück in den Boden,steht für die Ertragsbildung nicht mehr zur Verfügungund belastet die Atmosphäre mit stickstoffhaltigen Ga-sen. Dies ist ein aktuelles Problem im Fall des Raps, derin den dichten Feldbeständen alle unteren Blätter ver-liert. Da die Bedeutung von Raps als Öl- und Energie-pflanze in Europa stetig zunimmt, sind die Züchter auf-gefordert, Sorten mit einer erhöhten Stickstoffeffizienzbereitzustellen (Mitteilung der Norddeutschen Pflan-zenzucht-Lembke KG, Hohenlieth). Zukünftige Sortensollten den Stickstoff der Blätter besser remobilisieren,um höhere Ölerträge für die Produktion von Biodieselzu erzielen.

Seneszenzprozesse haben auch eine große ökono-mische Bedeutung für den Verkauf von Gemüsen, Obstund Schnittblumen. Die Alterung der Pflanzenpro-dukte während der Lagerung nennt man post-harvestSeneszenz. Wie bei der Blattseneszenz kommt es zumAbbau des Chlorophylls und zum Erschlaffen des Ge-webes. Durch Lagerung bei niedrigen Temperaturenund in einer sauerstoffarmen Atmosphäre kann diepost-harvest Seneszenz verzögert werden.

Reaktive Sauerstoffverbindungen als SignaleUnter Stressituationen vermehrt gebildete reaktive Sau-erstoffverbindungen können die natürlichen Alte-

rungsprozesse verfrüht auslösen und beschleunigen. Inletzter Zeit mehren sich die Hinweise, dass das lang-lebige Wasserstoffperoxid als Signalmolekül an derAuslösung der Seneszenz beteiligt ist. Durch eine spe-zifische Färbung kann man es zu Beginn der Seneszenzin den Adern der Blätter nachweisen (Abbildung 7).

Mögliche Quellen für Wasserstoffperoxid sind dieMitochondrien und die Chloroplasten. Wenn es bei-spielsweise bei Stress zu einem Abfall in der Photosyn-theseleistung des Blattes kommt, können die in derLichtreaktion der Photosynthese aus dem Wasser frei-gesetzten Elektronen nicht mehr zur Reduktion vonKohlendioxid eingesetzt werden, sondern werden aufSauerstoff übertragen. Bei dieser Ventilreaktion wirdder Sauerstoff oft nicht vollständig zu Wasser reduziert,sondern es entsteht Wasserstoffperoxid. Eine alterna-tive Quelle in den Chloroplasten ist der NDH-Atmungs-komplex, über den in [4] berichtet wurde.

Wasserstoffperoxid ist im Vergleich zu anderen re-aktiven Sauerstoffverbindungen relativ langlebig undkann auch über Membranen diffundieren. Die Mengean Wasserstoffperoxid in der Zelle kann durch Enzymebeeinflusst werden. Dazu gehören die Ascorbatperoxi-dase in den Chloroplasten sowie die Katalase. Diese En-zyme sind in der Lage, das Wasserstoffperoxid in Was-ser und in Sauerstoff zu zerlegen. Da die Aktivität die-ser Enzyme zu Beginn der Seneszenz abnimmt, kann es dann zu einem Anstieg in der Menge an Wasser-stoffperoxid kommen. Ulrike Zentgraf in Tübingen hatkürzlich gezeigt, dass die Menge an Wasserstoffperoxidin Blättern von Arabidopsis thaliana kurz vor Beginnder Seneszenz ansteigt [11].

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A B B . 7 Farbnachweis von Wasserstoffperoxid im Leitgewebe eines ausge-wachsenen Blattes von Arabidopsis thaliana. Das Blatt wurde vor der Färbungdurch Extraktion der Chlorophylle gebleicht. Das rechte Bild zeigt einen ver-größerten Ausschnitt. Bild: C. Desel, Botanisches Institut der CAU Kiel.

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Als antagonistisch wirkendes Signalmolekül kannStickstoffmonoxid (NO) die Seneszenzprozesse regu-lieren. Es kann sowohl die Seneszenz als auch Frucht-reifungsprozesse verzögern [6]. Es ist denkbar, dass dasVerhältnis dieser beiden Signalmoleküle über den Be-ginn und Verlauf der Seneszenzprozesse entscheidet.Von beiden Signalmolekülen weiß man, dass sie die Ak-tivität von Genen regulieren, unter anderem von Ge-nen für Transkriptionsfaktoren.

Während man beginnt, die Steuerung von Senes-zenzprozessen bei einjährigen Pflanzen und bei Pflan-zenorganen zu verstehen, sind die Faktoren, die das Al-ter von mehrjährigen polykarpischen Pflanzen steuern,noch nicht bekannt. Die einzige Baumart, von dertransgene Linien für molekulargenetische Untersu-chungen zur Verfügung stehen, ist die Pappel (Populustremula, Populus alba). Darunter gibt es auch trans-gene Pflanzen mit verändertem Gehalt an antioxidati-ven Enzymsystemen. Ob sich die erhöhte antioxidativeKapazität in den Blättern dieser Pflanzen auch auf dasLebensalter auswirkt, lässt sich aber momentan nochnicht absehen.

Zusammenfassung Bei vielen Pflanzen ist die Alterung mit der sexuellen Repro-duktion verbunden. Bei diesen als monokarpisch bezeichne-ten Pflanzen kommt es nach dem Fruchten zum Tod. Mehr-jährige polykarpische Pflanzen, die mehrfach fruchten, be-vor sie sterben, altern unabhängig von ihrer Reproduktion.Pflanzen unterschiedlichen Alters können sich in der Mor-phologie und im Stoffwechsel unterscheiden. Ältere Pflan-zen haben eine niedrigere Stressresistenz und können reak-tive Sauerstoffverbindungen schlechter entgiften als jün-gere Pflanzen. Wie bei tierischen Organismen sind dieseSauerstoffverbindungen an der Alterung beteiligt. Sie wir-ken in hoher Konzentration toxisch und können in geringenMengen Signalwirkung haben.

Literatur[1] Y. Guo, S. Gan, AtNAP, a NAC family transcription factor, has an im-

portant role in leaf senescence, Plant Journal 2006, 46, 601-612.[2] K. Humbeck, K. Krupinska, The abundance of minor chlorophyll

A/b-binding proteins CP29 and LHCI of barley (Hordeum vulgareL.) during leaf senescence is controlled by light, J. Exp. Bot. 2003,54, 375-383.

[3] K. Krupinska, Warum wird das Blattgrün im Herbst abgebaut?,Biol. Unserer Zeit 2006, 36, 278.

[4] K. Krupinska, Atmungskomplex in den Chloroplasten löst Alte-rungsprozesse aus, Biol. Unserer Zeit 2005, 35, 294-295.

[5] K. Krupinska, Cannabis sativa L. – Nutzpflanze mit Vergangenheitund Zukunft, Biol. Unserer Zeit 1997, 27, 123-129.

[6] Y. Y. Leshem, Nitric oxide in plants. Occurrence, Function and Use,2000, Kluwer Academic Publishers, Niederlande.

[7] A. Miller, C. H. Tsau, D. Hemphill, M. Endresm, S. Rodermel, M.Spalding, Elevated CO2 effects during leaf ontogeny – a new per-spective on acclimation, Plant Physiology 1997, 115, 1195-1200.

[8] H. Molisch, Die Lebensdauer der Pflanzen, 1929, Verlag Gustav Fischer, Jena.

[9] S. Munné-Bosch, L. Alegre, Plant aging increases oxidative stress inchloroplasts, Planta 2002, 214, 608-615.

[10] L. D. Noodén, J. P. Penney, Correlative controls of senescence andplant death in Arabidopsis thaliana (Brassicaceae), J. Exp. Bot.2001, 52, 2151-2159.

[11] P. Zimmermann, C. Heinlein, G. Orendi, U. Zentgraf, Senescence-specific regulation of catalases in Arabidopsis thaliana (L.) Heynh,Plant, Cell and Environment 2006, 29, 1049-1060.

Die AutorinKarin Krupinska, geb. 1954 in Kassel. Promotion1984 im Fachbereich Biologie der Universität Mar-burg; 1986-1987 Forschungsaufenthalt am Carls-berg-Forschungszentrum in Kopenhagen; 1994 Ha-bilitation; 1990 bis 1995 Leiterin einer vom BMFTgeförderten Nachwuchsgruppe am Institut für All-gemeine Botanik in Hamburg; 1995-1998 Lehr-stuhl für Allgemeine Botanik am Botanischen Insti-tut der Universität zu Köln; ab 1998 Professorin fürZellbiologie am Botanischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Forschungsgebiete:Regulation der Blattseneszenz; Genexpression inPlastiden; Funktion der Tocochromanole (Vitamin E).

KKoorrrreessppoonnddeennzz:: Prof. Dr. Karin KrupinskaBotanisches InstitutOlshausenstraße 4024098 KielEmail: [email protected]

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