Augustin Wer Sabotiert Hier Die Justiz - 278a Justizfarce Wr. Neustadt

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tun & lassen Nr. 292, 23. 2. - 8. 3. 201 1 7 Ex-Strafverteidigerin beobachtete r den Augustin die Gerichtsfarce von Wr. Neustadt W er sabotiert hier d ie Justiz? Sonja Arleth, die Richte- rin im Wiener Neustädter Tierschützerprozess, lässt . sic h durch die Bestimmu n gen der Strafprozessord nung un d der Mensch en rechtskonvention i n ihrer Prozessführung nicht einen gen. Wi e für Petra Velten vom Institut fü r Strafrechtswissen schaften an der Uni Lin z ist auc h fo r die ehemalige Rechtsanwäl tin und Strajverteidigerin Ka- tharina Rueprecht das Verfah ren zu r Farce geraten. Für den Augustin beobachtete Rueprecht das «permanente Unterlaufen der Verteidiger-Rechte» durch Frau Arleth. I eh würd' Sie bitten, nicht « immer Paragrafen zu zitie- ren, weil das sinnlos i s t ! ~ So weist die Richterin die Verteidige- rInnen im Tierschützerprozess zu- ! recht. Diese haben es ohnehin schon bemerkt: Das Zitieren von gesetzli chen Bestimmungen zur Durchset zung ihrer Rechte in diesem Verfah ren ist tatsächlich sinnlos. Sie tu n es für das Protokoll, vermute ich. Damit alles festgehalten ist, für den Fall, dass de r Europäische Gerichts hoffUr Menschenrechte einmal dar über zu befinden hat, ob das Gebot des fairen Verfahrens nach der Men- schenrechtskonvention eingehalten wurde oder nicht . Das Recht de r Verteidigung, Fra in de r Strafprozessordnung in Artikel 6 de Menschenrechtskon vention normiert un d steht in Ös terreich damit in Verfassungsrang. Gerade dieses Recht wird von de r Richterin permanent unterlaufen, indem sie Antworten au f die Fra gen verhindert. So ließ sie die ver deckte Ermittlerin au f die Fragen der Verteidigung meistens nicht antworten, sondern las stattdessen selbst aus de m Akt vor. Un d zwar lange. Seiten weise. Wa s ei nmal vom Publikum mi t dem Zwischenruf Wenn ein Mann wie Ex-Min is te r Grasser fre i herumläuft und Tie r rechtsaktivis tinnen kriminalis ier t werden , wac hsen in Wien solche Sprüche ••• «Prozessversch leppung» quittiert wurde. Dies machte die Richterin etwa bei jeder zweiten Frage. Es war läh mend. Ich konnte jedenfalls über haupt nicht erkennen, was die se endlos langen Vorlesungen aus de m Gerichtsakt für einen Sinn ha Ode r s ie unterb rach die Fragen mit de n Worten f(Sagen Sie konkret, wo rauf Sie Bezug nehmen» oder f(Das ist nicht relevant» oder «Das hat ten wir schon». Einmal erklärte sie, sie sei ver pflichtet, Wiederholunge n nicht zuzulassen, was mi r neu war. Dazu ist zu sagen, dass sich oft erst durch eine nachfolgende Frage er gibt, worau f eine Frage abzielt, ode r erst durch eine Folge von Fragen. Dabei wird etwa in de n ersten ein bis zwei oder drei Fragen mitunter bereits Aktenkundiges wiederholt, um die Zeugin oder den Zeugen zu einem ganz bestimmten Punkt hin zuführen, un d erst dann wird eine Frage gestellt, deren Beantwortung möglicherweis e einen Widerspruch zu den au f die vorangehenden Fra gen gegeben en Antworten beinhal tet. Diese Aneinan derreihung von gehört zu m Handwerkszeug jeder Verteidigung un d ist aus de n Ge richtsfilmen wohlbekannt. Die Rich terin in diesem Prozess ließ eine An einanderreihung von Fra gen jedoch so gut wie gar nicht zu. Eine «Unschädlichmachung des Fragerechts » Manchmal hat sie a uch noch au f ande re Weise de n Fragenfluss un - terbrochen, etwa indem sie sag te: «Langsam, langsam. damit sich die Zeugin darauf einstellen kann», oder: «Sie müssen schon vorsichtig sein bei de r Befragung, damit Sie sich nicht au f ein Gebiet begeben, zu de m die Zeugin nichts sagen kann», oder auch indem sie de n Wortlaut de r Frage umformulierte un d selbst fragte. Petra Velten, Vorständin des In stituts für Strafrechtswissenschaf ten an der Uni UnI, hält ihre Ein drücke in einem Aufsatz im Journal für Strafrecht 2010/6 fest. Nachfol gend gebe ich einige Passagen da von wieder. Am 13. 12.2010 nahm ich an ei- ner Einzelrichtersitzung am Landes- gericht Wiener Neustadt teil - und traute meine Augen und Ohren nicht. Obwohl ich als ehemalige Strafvertei- digerin so einiges gewöhnt bin, hätte ich das, was sich am Landesgericht Wiener Neustadt ereignete, nicht für möglich gehalten ... Zur Vernehmung eines Zeugen schreiben die §§ 248 Abs. 1, 161 Abs. 2 der Strafprozess- ordnung vor; dass der Zeuge nach der Vernehmung zur Person um eine zu sammenhängende Darstellung seiner Wahrnehmungen zu ersuchen ist. Ob die Richterin diese Vorschrift kann te, bezweifle ich. Sie leilete die Ver nehmung durch einen Katalog von Fragen. die der Zeuge meist nur mit einem Satz, oft sogar bloß mit ja be- antworten konnte. Dieses enge Fra genkorsett wurde nie verlassen . .. Die Richterin unternahm nicht ein- mal den Versuch (man war geneigt zu mutmaßen: Sie ging nicht erst das Risiko ein), zu erfahren, was der Zeuge aus eigenem Wissen erzählen würde ... Sodann durfte der Staats- anwalt fragen - ungehindert, unmit telbar und kontinuierlich ... Darauf folg te das kr asseste Beisp i el für den vieldiskutierten Schulterschlusseffekt, das ich je in der forensischen Praxis erlebt habe. Als die Verteidiger und Verte i digerinnen mit ihre r Befragung begannen, wurden sie zunächst da- rüber belehrt, dass sie sachlich und ohne Emotionen zu fragen hätten . Fortsetzung au f Seite 8

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8/7/2019 Augustin Wer Sabotiert Hier Die Justiz - 278a Justizfarce Wr. Neustadt

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tun & lassen Nr. 292, 23. 2. - 8. 3. 201 1 7

Ex-Strafverteidigerin beobachtete für den Augustin die Gerichtsfarce von Wr. Neustadt

Wer sabotiert hier die Justiz?

Sonja Arleth, die Richte-rin im Wiener NeustädterTierschützerprozess, lässt .sich durch die Bestimmungen der Strafprozessordnung und der Menschenrechtskonvention in ihrerProzessführung nicht einengen. Wie für Petra Velten vomInstitut für Strafrechtswissen

schaften an der Uni Linz ist auch

for die ehemalige Rechtsanwäl

tin und Strajverteidigerin Ka-

tharina Rueprecht das Verfah

ren zur Farce geraten. Für den

Augustin beobachtete Rueprecht

das «permanente Unterlaufender Verteidiger-Rechte» durch

Frau Arleth.

I

eh würd' Sie bitten, nicht

« immer Paragrafen zu zitie-ren, weil das sinnlos i s t ! ~ So

weist die Richterin die Verteidige-

rInnen im Tierschützerprozess zu- !recht. Diese haben es ohnehin schonbemerkt: Das Zitieren von gesetzlichen Bestimmungen zur Durchsetzung ihrer Rechte in diesem Verfah

ren ist tatsächlich sinnlos. Sie tun

es für das Protokoll, vermute ich.Damit alles festgehalten ist, für denFall, dass der Europäische GerichtshoffUr Menschenrechte einmal dar

über zu befinden hat, ob das Gebotdes fairen Verfahrens nach der Men-

schenrechtskonvention eingehaltenwurde oder nicht.

Das Recht der Verteidigung, Fragen an die Zeugen zu stellen, ist inder Strafprozessordnung un d inArtikel 6 der Menschenrechtskonvention normiert und steht in Österreich damit in Verfassungsrang.Gerade dieses Recht wird von der

Richterin permanent unterlaufen,indem sie Antworten auf die Fra

gen verhindert. So ließ sie die verdeckte Ermittlerin au f die Fragender Verteidigung meistens nicht

antworten, sondern las stattdessenselbst aus dem Akt vor. Und zwarlange. Seitenweise. Was einmal vomPublikum mi t dem Zwischenruf

Wenn ein Mann wie Ex-Min is te r Grasser frei herumläuft und Tie rrechtsaktivistinnen kriminalisier t werden, wachsen in Wien solche Sprüche •••

«Prozessverschleppung» quittiert

wurde.Dies machte die Richterin etwa

bei jeder zweiten Frage. Es war lähmend. Ich konnte jedenfalls überhaupt nicht erkennen, was diese endlos langen Vorlesungen ausdem Gerichtsakt für einen Sinn haben sollten.

Oder sie unterbrach die Fragen mitden Worten f(Sagen Sie konkret, worauf Sie Bezug nehmen» oder f(Das

ist nicht relevant» oder «Das hatten wir schon». Einmal erklärte sie,sie sei verpflichtet, Wiederholungennicht zuzulassen, was mir neu war.

Dazu ist zu sagen, dass sich oft erstdurch eine nachfolgende Frage er

gibt, worauf eine Frage abzielt, ode rerst durch eine Folge von Fragen.Dabei wird etwa in den ersten einbis zwei oder drei Fragen mitunterbereits Aktenkundiges wiederholt,

um die Zeugin oder den Zeugen zueinem ganz bestimmten Punkt hin zuführen, und erst dann wird eine

Frage gestellt, deren Beantwortungmöglicherweise einen Widerspruch

zu den auf die vorangehenden Fragen gegebenen Antworten beinhaltet. Diese Aneinanderreihung vonaufeinander abgestimmten Fragengehört zum Handwerkszeug jeder

Verteidigung und ist aus den Gerichtsfilmen wohlbekannt. Die Richterin in diesem Prozess ließ eine Aneinanderreihung von Fragen jedochso gut wie gar nicht zu.

Eine «UnschädlichmachungdesFragerechts»

Manchmal hat sie auch noch auf

andere Weise den Fragenfluss un-

terbrochen, etwa indem sie sagte: «Langsam, langsam. damit sich

die Zeugin daraufeinstellen kann»,oder: «Sie müssen schon vorsichtigsein bei der Befragung, damit Siesich nicht aufein Gebiet begeben, zudem die Zeugin nichts sagen kann»,

oder auch indem sie den Wortlautder Frage umformulierte und selbstfragte.

Petra Velten, Vorständin des Instituts für Strafrechtswissenschaf

ten an der Uni UnI, hält ihre Eindrücke in einem Aufsatz im Journal

für Strafrecht 2010/6 fest. Nachfolgend gebe ich einige Passagen davon wieder.

Am 13. 12.2010 nahm ich an ei-

ner Einzelrichtersitzung am Landes-

gericht Wiener Neustadt teil - und

traute meine Augen und Ohren nicht.

Obwohl ich als ehemalige Strafvertei-

digerin so einiges gewöhnt bin, hätte

ich das, was sich am Landesgericht

Wiener Neustadt ereignete, nicht für

möglich gehalten ... Zur Vernehmungeines Zeugen schreiben die §§ 248

Abs. 1, 161 Abs. 2 der Strafprozess-

ordnung vor; dass der Zeuge nach der

Vernehmung zur Person um eine zu

sammenhängende Darstellung seiner

Wahrnehmungen zu ersuchen ist. Ob

die Richterin diese Vorschrift kann

te, bezweifle ich. Sie leilete die Ver

nehmung durch einen Katalog von

Fragen. die der Zeuge meist nur mit

einem Satz, oft sogar bloß mit ja be-

antworten konnte. Dieses enge Fra

genkorsett wurde nie verlassen ...Die Richterin unternahm nicht ein-

mal den Versuch (man war geneigt

zu mutmaßen: Sie ging nicht erst

das Risiko ein), zu erfahren, was der

Zeuge aus eigenem Wissen erzählen

würde ... Sodann durfte der Staats-

anwalt fragen - ungehindert, unmittelbar und kontinuierlich ... Darauf

folg te das krasseste Beisp iel für den

vieldiskutierten Schulterschlusseffekt,

das ich je in der forensischen Praxis

erlebt habe. Als die Verteidiger und

Verte idigerinnen mit ihrerBefragungbegannen, wurden sie zunächst da-

rüber belehrt, dass sie sachlich und

ohne Emotionen zu fragen hätten.

Fortsetzung auf Seite 8

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8 Nr. 292, 23. 2. - 8. 3. 2011

FQrtsetzung von Seite 9

Der Zeuge wurde darüber unterrichtet, dass zuerst die

Richterin über die Zulässigkeit der Fragen befinde, bevorer sie beantworten müsse. Vielleicht trifft es diese Beleh-

rung besser. wenn man sie als Warnung an den Zeugen

charakterisiert, nicht voreilig zu antworten, bevor die

Frage nicht die Vorzensur durch das Gericht erfolgreich

passiert habe. Das nahm im Folgenden groteske Formenan, die auch das Publikum - zu dem keineswegs nur Un-

terstützeT der Angeklagten zählten - nicht unberührt lie-

ßen. Bei vielen, vor allem bei jenen, die zum ersten Mal

diesen Prozess miterlebten, war Fassungslosigkeit zu be-

merken. Viele lachten, um nicht weinen zu müssen ...

Die Unterbrechungen liefen auf eine .Unschädlich-machung» des Fragerechts hinaus. Hätte es etwas gege-

ben, was dem Zeugen hätte entlockt werden können, so

hat das Stör/euer an Unterbrechungen und Zurückwei·sungen der Fragen dies gründlich unterbunden. Dass die

VerteidigerInnen gleichwohl weitgehend die Contenancebewahrten, war bewundernswert ... Das Verfahren mag

eine Ausnahrneerscheinung sein (das wäre sehr zu hof-

fen). Mir scheint aber doch deutlich zum Ausdruck ge-

kommen zu sein, dass eine österreichische Richterin (irr-

tümlich) glaubt, sich nicht fürchten zu müssen, in aller

Öffentlichkeit mit den Angeklagten und ihren Verteidi-

gern so zu verfahren, als wären sie Saboteure. Was den

Zuschauern dabei die Sprache verschlug, war die Un-

verfrorenheit, mit der sich die Richterin als Instanz ver-

stand, die darüber befinden darf, welche Verteidigungs-

aktivitäten sie zulässt und welche nicht ...

Der feige Anschlag auf die Damentoilette

Seitdem Frau Prof. Velten an der Verhandlung t e i l ~ nahm, sind mehr als zwei Monate vergangen.

I n z w i ~ sehen hat einer der Angeklagten einen aus hundert

Punkten bestehenden Antrag auf Ausschließung der

Richterin eingebracht, und zwar mit der Begründung,

dass ~ e r h e b l i c h e Zweifel an ihrer vollen Unvoreinge·

nommenheit und Unparteilichkeit bestehen)). Der Vor·

trag dieses Antrages dauerte gute drei Stunden. Unteranderem wird darin die systematische Beschneidung

des Fragerechts und der Verteidigungsrechte gerügt.

Oder, dass die Richterin selbst Anzeige erstattet hatte,

weil sie sich als das Opfer einer Straftat fUhlt: Auf der

Damentoilette des Gerichts soll jemand geschrieben

haben, die Richterin habe sich kaufen lassen. (Die von

ihr erstattete Strafanzeige hat die Richterin damals in

der Verhandlung verlesen.)Die Richterin entscheidet über den Antrag auf Aus·

schließung der Richterin selbst und weist ihn erwar·

tungsgemäß ab: «Es liegen keine Gründe vor, die Un·voreingenommenheit in Frage zu stellen.» Sie sei dafür

verantwortlich, keine Fragen zu erlauben. die nicht

der Erörterung. sondern nur der Verfahrensverzöge·

rung dienen.

In diesem Verfahren stehen dreizehn Personen we·

gen angeblicher Mitgliedschaft in einer ktiminellen Or

ganisation vor Gericht. Der Strafrahmen beträgt sechs

Monate bis fUnf Jahre. Wenn die Sache fUr die Ange

klagten nicht so bitterernst wäre, würde ich sagen. das

Verfahren ist vollends zur Farce geraten. I