Aus dem Lot - Viveka-Verlag · so ausführlicher Artikel die notwendige Anschauung, Erfahrung ......

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V IVEKA 26 S. 28 ●●● ●●● I m Zusammenhang mit der Praxis von Âsana verdienen Ungleich- seitigkeiten des Körpers ohne Frage eine besondere Beachtung. Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist es ein Anspruch jeder Âsanapraxis, die Aufrichtung und Ausrichtung des Körpers zu unterstützen und zu verbessern. Ungleichgewichte, die dem ent- gegenstehen, sollten dabei erkannt und wo möglich auch verringert und ausgeglichen werden. Zum anderen können Ungleichseitigkei- ten auf ein gravierendes strukturel- les Problem hinweisen. Sie zu ver- stehen ist dann notwendig, um Fehler zu vermeiden und mit der Auswahl und Praxis von Âsana kein gesundheitliches Risiko zu schaffen. Den Körper aufzurichten und auszurichten ist eine Arbeit, in de- ren Mittelpunkt die Wirbelsäule steht. Natürlich meint „Wirbelsäu- le“ dabei nicht die bloße Aufrei- Ungleichseitigkeiten des Körpers sind häufig. Welche Rolle spielen sie in der Praxis des Yoga? Wann sollten sie korrigiert werden und wie? Sollten erkannte Seitenunterschiede Anlass sein, beson- dere Übungen vorzuschlagen? Welche Risiken gibt es in der Âsa- napraxis zu beachten, wenn ein Körper nicht im Lot ist? Welche Erkenntnisse aus medizinischer Sicht sind nützlich beim Umgang mit Skoliosen und anderen Seitendifferenzen? Auf diese und andere Fragen versucht der folgende Artikel einige Antworten zu geben. Dabei wird deutlich, wie wichtig es sein kann, die Besonderheiten einer Körperstruktur zu erkennen. Das gilt für Yoga Praktizierende ebenso wie für Yoga Unterrichtende. Gleichzeitig zeigt sich, dass es nicht immer ganz einfach ist, das einmal Beobachtete richtig zu deuten. Und noch mehr Fragen stellen sich, wenn es schließlich darum geht, daraus einen treffen- den Praxisvorschlag zu entwickeln. Dafür kann natürlich kein noch so ausführlicher Artikel die notwendige Anschauung, Erfahrung und Diskussion ersetzen, die es im Yoga für einen professionellen Umgang mit diesem Thema braucht. Trotzdem hoffen wir, den Blick zu schärfen und einige Anregungen geben zu können für die eigene Praxis ebenso wie für den Alltag des Unterrichtens. Aus dem Lot Über Skoliose und andere Asymmetrien

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Im Zusammenhang mit der Praxisvon Âsana verdienen Ungleich-seitigkeiten des Körpers ohne

Frage eine besondere Beachtung.Das hat mehrere Gründe.

Zum einen ist es ein Anspruchjeder Âsanapraxis, die Aufrichtungund Ausrichtung des Körpers zuunterstützen und zu verbessern.Ungleichgewichte, die dem ent-gegenstehen, sollten dabei erkanntund wo möglich auch verringertund ausgeglichen werden. Zumanderen können Ungleichseitigkei-ten auf ein gravierendes strukturel-les Problem hinweisen. Sie zu ver-stehen ist dann notwendig, umFehler zu vermeiden und mit derAuswahl und Praxis von Âsana keingesundheitliches Risiko zu schaffen.

Den Körper aufzurichten undauszurichten ist eine Arbeit, in de-ren Mittelpunkt die Wirbelsäulesteht. Natürlich meint „Wirbelsäu-le“ dabei nicht die bloße Aufrei-

Ungleichseitigkeiten des Körpers sind häufig. Welche Rolle spielensie in der Praxis des Yoga? Wann sollten sie korrigiert werden

und wie? Sollten erkannte Seitenunterschiede Anlass sein, beson-dere Übungen vorzuschlagen? Welche Risiken gibt es in der Âsa-napraxis zu beachten, wenn ein Körper nicht im Lot ist? WelcheErkenntnisse aus medizinischer Sicht sind nützlich beim Umgang

mit Skoliosen und anderen Seitendifferenzen? Auf diese und andere Fragen versucht der folgende Artikel einige

Antworten zu geben. Dabei wird deutlich, wie wichtig es seinkann, die Besonderheiten einer Körperstruktur zu erkennen. Dasgilt für Yoga Praktizierende ebenso wie für Yoga Unterrichtende.

Gleichzeitig zeigt sich, dass es nicht immer ganz einfach ist, daseinmal Beobachtete richtig zu deuten. Und noch mehr Fragen

stellen sich, wenn es schließlich darum geht, daraus einen treffen-den Praxisvorschlag zu entwickeln. Dafür kann natürlich kein noch

so ausführlicher Artikel die notwendige Anschauung, Erfahrungund Diskussion ersetzen, die es im Yoga für einen professionellen

Umgang mit diesem Thema braucht. Trotzdem hoffen wir, denBlick zu schärfen und einige Anregungen geben zu können für die

eigene Praxis ebenso wie für den Alltag des Unterrichtens.

Aus dem LotÜber Skoliose und

andere Asymmetrien

Aus dem Lot

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re äußere Einflüsse und Belastungenentwickeln kann.

Was aber immer zu ihrer Entste-hung beigetragen hat, die je beson-dere Körperstruktur eines Menschenist der Ausgangspunkt jeden Bemü-hens um Aufrichtung und Ausrich-tung. Findet sich in dieser Körper-struktur ein Ungleichgewicht, stelltsich deshalb die Frage danach, obund wie Âsanas hier korrigierendeingreifen sollen.

Und tatsächlich sind wir mit derErfahrung vertraut, dass eine ent-sprechendes Yogapraxis einen über-mäßig gerundeten Rücken streckenund einen aufrechteren Gang lehrenkann. Sie kann unnötige Spannungabbauen, kann der alltäglichen Fehl-haltung entgegen steuern, kannSchwächen ausgleichen, kann mehrBewegungsfreiheit geben, kannDisharmonien korrigieren, kannBeschwerden lindern oder heilenhelfen. Deshalb ist das Bedürfnis nurzu verständlich, als YogaübendeRoder LehrendeR auf einmal erkannteUngleichgewichte korrigieren zuwollen. Ein schwacher Rücken lässtan Kräftigung denken, eine Steifheitdaran, ihn beweglicher zu machen,eine ausgeprägte Krümmung anAufrichtung.

Wie also soll im Yoga damit um-gegangen werden, wenn zum Bei-spiel bei jemandem die Schulternungleich hoch stehen, das Beckenzur Seite geneigt ist oder die Beineungleich lang erscheinen; Wie,wenn die Wirbelsäule vom Lot ab-weicht? Gibt es Âsanas, die dannbesonders gut tun? Gibt es Âsanas,die hier kurz- oder langfristig scha-den könnten?

Seitendifferenzen

erkennen

Mit etwas geschultem Blick sind

hung der einzelnen Wirbelknochen.Im Zusammenhang mit Yogapraxissoll der Begriff Wirbelsäule vielmehrdie Gesamtheit jener Strukturen undFunktionen beschreiben, die unserezentrale Körperachse ausmachen.Von deren Struktur, Funktion undForm wird unsere gesamte Körper-haltung wesentlich geprägt. DieseAchse gibt jeder Bewegung ihrenHalt, darüber hinaus wird von ihrder Fluss des Atems getragen.

Ausrichtung und

Aufrichtung

Âsanapraxis möchte und kannauf diese Mitte Einfluss nehmen.Deshalb wird im Üben immer wie-der das Bemühen thematisiert, dieBeweglichkeit, Stabilität, Kraft undHarmonie der Wirbelsäule zu erhal-ten, zu fördern und zu erweitern.Dazu gehört auch, negativen Ten-denzen und Ungleichgewichtenentgegen zu arbeiten. NegativeEinflüsse auf unsere Körperhaltungergeben sich zum einen aus denBelastungen des Alltags wie etwamonotones Sitzen, zu wenig Bewe-gung usw. Belastungen könnenaber auch entstehen durch ein ge-gebenes Ungleichgewicht in unsererKörperstruktur wie zum Beispiel dieSeitkrümmung und Verdrehung derWirbelsäule bei einer Skoliose. Na-türlich sind diese beiden Aspekte -alltägliche und strukturelle Belastun-gen - oft eng miteinender verbun-den. Zu viel Sitzen und zu wenigBewegung etwa kann schließlicheinen Rücken dauerhaft schädigen:Aus einer alltäglichen Fehlbelastungkann ein tiefgreifendes Ungleichge-weicht erwachsen, das die Wirbel-säule schließlich sogar in ihrer Struk-tur verändert. Das Beispiel der Sko-liose zeigt aber, dass sich ein Un-gleichgewicht auch ohne erkennba-

Es sind nichtviele Âsanas,die manbraucht, umbei genauerBeobachtungeine Skolioserecht sichererkennen zukönnen. Un-bedingt not-wendig istdabei derBlick auf denRücken beieiner Vorbeuge wie Cakravâkâsanaaus dem Kniestand oder Uttânâsanaaus dem Stand.

Deutlicher treten die Asymme-trien der Skoliose hervor, wenndie Arme angehoben werden:Die Position von rechtem undlinkem Arm mit einfach wahr-nehmbarem Unterschied.

Bei leichten Skoliosen oft nicht sehr deutlichaber typisch für eine skoliotische Krümmung im

Bereich der Brustwirbelsäule: Die Vorwölbung der einen Rückenseite. Am

besten zu beobachten ist diese Asymmetrie inVorbeugen.

Wissen

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Im Stand: Der Oberkörperist nicht im Lot. Die Schul-tern stehen oft unterschied-lich hoch.

Im Liegen zeigt sich häufig wie hiereine Abweichung von einer gedach-ten Mitte. Auch hier schon zu sehen:die Füße stehen in unterschiedli-chem Winkel.

Vorsicht mit zu schnellenSchlussfolgerungen. Die

unterschiedliche Fußstellunghat hier tatsächlich ihren

Grund in den Auswirkungender Schiefstellung des Be-

ckens auf die Beine undFüße. Es gibt aber auch

noch andere Gründe, ausdenen sich eine solche Asym-

metrie ergeben kann, zumBeispiel einen unterschied-lichen Tonus (Grundspan-

nung) in den Beinen. Auffällig ist auch die schein-

bare Längendifferenz derBeine (das rechte Bein

scheint länger zu sein). Tat-sächlich sind beide Beine

gleich lang, die Ursache fürden Längenunterschied liegt

im leichten Schiefstand desBeckens.

Eine Skoliose zu erkennen ist mit et-was Übung und Erfahrung nicht

schwierig. Zwei Beispiele mögen diesveranschaulichen. Im medizinischen

Sinn gehören die Skoliosen beiderhier dargestellter Frauen zu den

„leichten Skoliosen“; manche Ärztewürden - auch wenn es nicht ganz

korrekt ist - nur von einer „skolioti-schen Fehlhaltung“ sprechen. In bei-

den Fällen handelt es sich aber um„echte“ sogenannte idiopatische Sko-

liosen.

Auch hier wird die Asym-metrie des Körpers deu-licher, wenn die Armeangehoben sind. Vorallem fällt dieunterschiedliche Stellungder Arme auf.

Auch im Liegen ist die Asymmetrienicht übermäßig auffallend (die ge-strichelte Linie ist das Lot durch dieKörpermitte). Das Bein und der Armrechts liegen etwas mehr abgespreiztals auf der linken Seite.

Wieder ist es die Vor-beuge, hier Uttânâsana,in der die Krümmungder Wirbelsäule amdeutlichsten hervor trittund eine Skoliose sehrwarscheinlich macht. Die Vorwölbung auf derlinken Rückenseite ent-steht durch die leichtgedrehten Wirbel imBereich der Brustwir-belsäule. Die Rippenmüssen dieser Drehungfolgen und verändernentsprechend die Formdes ganzen Brustkorbs.

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Im Stand schon sichtbar:Die Asymmetrie im Be-reich des Schultergürtels.Wenig offensichtlich istdie leichte Seitneigungdes Oberkörpers.

Seitendifferenzen recht einfach zuerkennen. Im Stand sind Unterschie-de in der Schulterhöhe oft am auf-fälligsten. Durch das Anheben derArme tritt eine unterschiedlicheSchulterstellung deutlicher hervor.In der entspannten Rückenlage fal-len Seitenunterschiede oft dadurchauf, dass der Kopf, Rumpf oder dieBeine vom Körperlot abweichen. Indieser Position lassen sich auch ambesten scheinbare oder tatsächlicheDifferenzen in der Beinlänge fest-stellen.

Stehen die Arme unterschiedlichzum Rumpf, ist dies sowohl im Ste-hen als auch im Liegen erkennbar.

Selbst wenn sie nicht durch Klei-dung bedeckt ist: Mit der Ausnah-

me von sehr starken Skoliosen lässtsich eine skoliotische Verkrümmungder Wirbelsäule direkt oft nurschwierig sicher beobachten. MehrKlarheit bringt die genauereBetrachtung ausgewählter Bewe-gungen und Haltungen. Dabei of-fenbaren vor allem bestimmte Vor-beugen den genauen Verlauf derWirbelsäule.

Die Bedeutung von

Seitendifferenzen

Um einmal festgestellte Asym-metrien im Zusammenhang mit den

Übungen des Yoga richtig zu beur-teilen, braucht es ein Verständnisihrer unterschiedlichen Ursachen.Für die Praxis am wichtigsten er-weist sich dabei das Erkennen „ech-ter“ Skoliosen. Mit einer einigerma-ßen systematisch aufgebauten Be-obachtungsabfolge und etwas Er-fahrung ist dies auch gut möglich.Folgendes ist dabei vor allem zubeachten:

1. Nicht jede Ungleichseitigkeitist Ausdruck einer Skoliose, alsoSeitverbiegung der Wirbelsäule.

2. Auch wenn es selten ist: Seit-verbiegungen der Wirbelsäule sindnicht immer „echte“ idiopathischeSkoliosen. Bekanntes Beispiel: EineDifferenz in den Beinlängen führtauch zur Seitkrümmung der Wirbel-säule.

3. „Echte“, also „idiopathische“Skoliosen sind den Betroffenen oftbekannt und lassen sich mit einfa-chen Mittel recht sicher erkennen.Bei einem Erwachsenen sind echteSkoliosen in ihrer Form nur sehrbegrenzt veränderbar. Trotzdemergeben sich daraus für die Âsana-praxis einige wichtige Konsequen-zen.

1. Nicht jede Ungleichseitigkeitentsteht durch eine Skoliose,also Seitverbiegung der Wirbel-säule.

Bei kaum einem Menschen istdie eine Körperseite das vollkomme-

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ne Spiegelbild der anderen. Schul-tern sind unterschiedlich gestellt,Füße stehen in unterschiedlicheRichtungen, ohne dass dafür dieForm der Wirbelsäule verantwortlichsein muss. Deshalb sollten alle be-obachteten Seitendifferenzen zuerstnur als eine Aufforderung verstan-den werden, genauer hinzuschauen.Voreilige Schlussfolgerungen sinddas größte Hindernis für eine richti-ge Beobachtung.

2. Es gibtWirbelsäulenverkrümmungen,die keine idiopathischen Skolio-sen sind.

Praktisch gesehen am wichtig-sten sind dabei die Skoliosen, derenUrsache in einer unterschiedlichenLänge der Beine liegt. Diese Längen-differenz bringt das Becken in einenSchiefstand. Das schiefe Beckenwiederum zwingt die Wirbelsäule ineinen seitlichen Schwung. In derRegel lässt sich eine solche Seitnei-gung durch eine Unterlage untereinen Fuß ausgleichen. Die Wirbel-säule kommt dadurch wieder weitgehend in ihr Lot. Deshalb kann esbei dieser Art von Skoliosen einmalsinnvoll sein, bei der Praxis bestimm-ter stehender Âsanas mit einerUnterlage unter einen Fuß zu arbei-ten. Dies vor allem dann, wenndie/der Übende auch im Alltag aneinen solche Ausgleich durch dasTragen entsprechender Einlagengewohnt ist. Ansonsten ist geradehier Vorsicht geboten vor der Ge-fahr, Fehlhaltungen „über“zukorri-gieren. Die Folge davon ist nicht nurein unnötiger und ablenkender Auf-wand an Hilfsmitteln. Oft hat derKörper auch über die Jahre hinwegein gut funktionierendes Gleichge-wicht mit seiner Ungleichseitigkeitgefunden. Mit einem Zuviel an Kor-rektur kann dieses wertvolle Gleich-gewicht zerstört und dadurch derRücken oder große Gelenke wie die

Unsere Wirbelsäule kann nebenden normalen physiologischen

Verbiegungen nach vorn (Lordose)und hinten (Kyphose) auch Krüm-mungen in seitlicher Richtung auf-weisen. Solche seitlichen Verbiegun-gen der Wirbelsäule werden seit2000 Jahren als Skoliosen bezeich-net. Der griechische Arzt Galenusbenutzte für ihre Beschreibung imzweiten nachchristlichen Jahrhun-dert den griechischen Begriff „sko-lios“: gekrümmt, gebogen. In derheutigen medizinischen Terminolo-gie wird streng genommen untereiner „echten“ Skoliose nur die sogenannte „idiopathische Skoliose“verstanden. Diese echte, „idiopati-sche“ Skoliose begegnet uns mitgroßem Abstand am häufigsten.Etwa 90 % aller Menschen, dieseitliche Verkrümmungen der Wir-belsäule aufweisen, gehören in die-se Gruppe. Die idiopathischen Sko-liosen bilden sich während der kind-lichen und jugendlichen Wachs-tumsphasen heraus und ihre Ursa-chen sind noch nicht aufgeklärt.Skoliosen dieser Art sind dadurchcharakterisiert, dass bestimmte Be-reiche der gekrümmten Wirbelsäulein ihrer Form fixiert, also grundsätz-lich nicht vollständig korrigierbarsind. Das liegt auch daran, dass beidieser Art von Skoliosen die Wirbel-körper selbst zu einer Seite hin ab-geschrägt sind: Die Wirbelsäulefolgt in ihrer Biegung der Form der

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EinigesWissenswerteüberSkoliosen

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Wirbelknochen. Solche „stabile“seitliche Verbiegungen der Wirbel-säule nennt man deshalb auch„strukturell“. Davon lassen sich„funktionelle“ Seitkrümmungenunterscheiden, die sich bei entspre-chender Gegenbewegung mehroder weniger einfach strecken las-sen. Solche Seitbiegungen der Wir-belsäule sind zum Beispiel zu beob-achten, wenn sie ihre Ursache ineiner unterschiedlichen Beinlängehaben. Auch unter Schmerzen –wenn etwa der Ischiasnerv schmerzt- können solche funktionellen Sko-liosen auftreten. Man spricht dann

oft auch von einer „skoliotischenFehlhaltung“, um damit den Unter-schied zu den viel üblicheren ech-ten, idiopathischen Skoliosen her-auszustellen. Auch in der Praxiserweist es sich als hilfreich, diesenUnterschied zu verstehen. „Idiopa-thische“ und das heißt eben fast

alle Skoliosen können durch keinenoch so raffiniert ausgedachteÜbung, noch so intensive oder ge-schickte Gegenbewegung durchkeine noch so intensive Streckunggerade gezogen werden. Wenn wiralso lesen oder hören, durch einebestimmte Übung oder Methode sei

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BA C D

Skoliosen können verschiedene Formen annehmen. Mit großem Abstand amhäufigsten finden sich der Abbildung A und B ähnliche Formen: Die deutlichsteKrümmung zeigt sich dabei in der Regel im Bereich der Brustwirbeelsäule. Sehrviel seltener sind Skoliosen, die wie in Abbildung C und D ihren Schwerpunktvor allem im unteren Rücken ausgebildet haben.

Charakteristisch für eine „idiopatische“ Skoliose, die überaus häufigste Artseitlicher Wirbelsäulenverkrümmungen (über 90%): Die Hauptkrümmung (a) -meistens wie hier auch abgebildet im Bereich der Brustwirbelsäule - lässt sichauch durch die entsprechende Gegenbewegung nicht beeinflussen (b), sie istweitgehend fixiert. Nur die kompensatorisch entstandene und oft noch bewegli-che Gegenkümmung im Bereich der Lendenwirbelsäule (c) streckt sich bei derentsprechenden Gegenbewegung (d).

a b

Abbildung 1 und 2 zeigt den eherseltenen Fall einer „funktionellen“Skoliose (weit unter 10% der Skolio-sen insgesamt): Becken- und Schulter-schiefstand entstehen durch eine Ver-kürzung eines (hier linken) Beines.Das besondere dieser Art von Skolio-sen: Durch eine entsprechende Kor-rektur (hier eine Unterlage unter denlinken Fuß) lassen sie sich wieder zumLot hin ausrichten.

cd

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es möglich gewesen, die Seitkrüm-mung einer Wirbelsäule unmittelbarzu verändern, dann betrifft dasnicht jene Fehlhaltungen, die unsnormalerweise als Skoliose begeg-nen. Über die Möglichkeiten, lang-fristig auch auf die echten, idiopa-thischen Skoliosen Einfluss zu neh-

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men, kommen wir später zu spre-chen.

Nicht nur Seitneigung, sondernauch Drehung

Neben der Seitneigung zeigt dieWirbelsäule im Falle einer echten

Skoliose auch eine Drehung. Dort,wo die Wirbelsäule zur Seite ab-weicht, sind die Wirbelkörper immerzueinander verdreht. Ebenso wie dieSeitneigung hat auch diese Verdre-hung ihren Grund in der besonde-ren Form der Wirbelkörper im Be-reich der skoliotischen Seitkrüm-mung. Deshalb kann die Wirbelsäu-le auch nicht durch eine Gegenbe-wegung aus dieser Rotation wirklichherausgedreht werden. Leider mög-lich ist allerdings bei entsprechenderDrehbewegung eine Verstärkungder Rotation der Wirbelkörper zu-einander und damit eine Intensivie-rung der skoliotischen Krümmung.

Im Bereich des Brustkorbs folgenauch die Rippen der Drehung derWirbelkörper und lassen dadurch imRückenbereich eine manchmal sehrdeutlich wahrnehmbare Vorwöl-bung entstehen.

Generell gilt: Je stärker die Sko-liose, um so ausgeprägter ist dieRotation der betroffenen Wirbel.

Die Ursachen

Nur selten also ist der Grundeiner Skoliose offensichtlich; zumBeispiel wenn die Missbildung einesWirbelkörpers oder unterschiedlicheBeinlängen die Wirbelsäule in eineKrümmung zwingen. Wie schonerwähnt, entstehen dagegen etwa90% der Skoliosen, ohne dass mandie dafür verantwortlichen Mecha-nismen kennt. Deshalb auch dieBezeichnung „idiopathisch“ („aussich selbst heraus entstehend“). Seitlangem bemühen sich immer wiederForschungsprojekte bei großen or-thopädischen Instituten und Klini-ken in Europa und USA, eine Erklä-rung für das Entstehen dieser Wir-belsäulenveränderungen zu finden.Trotzdem gibt es dazu immer nochmehr Fragen als Antworten. Alsgesichert wird heute eine genetischbedingte Ursache angenommen.Aus einer vererbten Veranlagung

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Die Krümmung einer idiopatischenSkoliose von vorn gesehen: Deutlichzu sehen ist die Verformung der Wir-

belkörper selbst. Sie sind zur einenSeite hin abgeflacht. Einmal gesche-hen, ist diese Wachstumsstörung derWirbelkörper nicht mehr rückgängig

zu machen. Idiopatische Skoliosenlassen sich deshalb in ihrer Form

kaum verändern.

Die beim Vorbeugen deutlich sichtba-re einseitige Vorwölbung der Rippen

bei einer starken (rechtskonvexen)skolitischen Krümmung der Brustwir-

belsäule.

Das bei jeder Skoliose veränderteKnochenwachstum führt zu einer mehr

oder weniger ausgeprägten Verfor-mung der Rippen (a). Die Dornfortsät-ze der Wirbelkörper weichen zur einen

Seite aus (b), die Wirbelkörper selbstzur anderen. Diese knöcherne Verän-derungen erzwingen die für jede Sko-

liose typische Ver drehung der Wir-belsäule.

ab

c

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heraus bildet sich die idiopathischeSkoliose dann als eine Wachstums-störung heraus. Bei der Beschrei-bung und Erklärung dieser Wachs-tumsstörung weist die Forschungder letzten Jahrzehnte allerdings insehr verschiedene Richtungen. Ein-mal wird eine sehr frühe Wachs-tumsstörung des Bandapparats derWirbelsäule diskutiert. Wenn dierechts und links an der Wirbelsäuleentlang führenden Bänder unter-schiedlich stark gespannt sind, führtdies zu einem ungleichen Wachs-tum der Wirbelkörper. Die Form derWirbelsäule folgt ganz langsamdiesen „schiefen“ Wirbeln undschließlich wird dies als Krümmungder Wirbelsäule sichtbar. Eine ande-re viel diskutierte These geht davonaus, dass Skoliosen entstehen, weileine ebenfalls sehr frühe genetischbedingte kleine Störung des neuro-

muskulären Kontrollsystems zu einerminimalen seitenunterschiedlichenAktivität in der Rückenmuskulaturdes heranwachsenden Kindes führt.Obwohl so gering, reicht diese Sei-tendifferenz aus, den rasch wach-senden Wirbelkörper eine asymme-trische Form zu geben. Schließlichwird als Ursache der idiopathischenSkoliose auch eine Disharmonie imhormonellen System in Erwägunggezogen. Biomechanische, neuro-muskuläre oder innersekretorisch-hormonelle Störung - in jüngsterZeit gibt es immer wieder Versuche,diese Erklärungsansätze miteinanderzu verbinden. Allerdings noch im-mer ohne wirklichen Erfolg. Nach-weislich keine wesentliche Rolle beider Entstehung echter Skoliosenspielen entgegen manch landläufi-ger Meinung Fehlbelastungen wieetwa das einseitige Tragen einer

schweren Schultasche.Weil Skoliosen Wachstumsstö-

rungen sind, zeigen und verstärkensie sich vor allem in Phasen intensi-ven Längenwachstums: Am häufig-sten beginnt ihre deutlich sichtbareAusprägung überhaupt erst zur Zeitder Pubertät. Sehr milde Formenvon Skoliosen bleiben aber nichtselten unerkannt und fallen dannmanchmal zuerst einer aufmerksa-men Yogalehrerin auf.

Es ist auch zu beobachten, dassSkoliosen in ihrer Krümmung nocheinmal zunehmen können in Le-bensabschnitten, die von der Um-stellung wesentlicher Körperfunktio-nen geprägt sind: Dazu gehört beiFrauen die Schwangerschaft und vorallem das Klimakterium. Auch imhöheren Alter kann sich eine Skolio-se noch einmal verschlechtern: Ver-antwortlich dafür ist eine zuneh-

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ca. 25°

Eine im Brustwirbelbereich rechtskonvexe Skoliose. Nach der in der Medizinüblichen Einteilung zählt diese Skoliose zu den „leichten Skoliosen“. Um denSchweregrad einer Skoliose genau festzustellen, muss anhand des Röntgenbildesdie Krümmung der Wirbelsäule gemessen werden. Solche genauen Bestimmun-gen der Skoliose sind nur nötig, wenn über einen längeren Zeitraum hinweg derErfolg oder Misserfolg einer Therapie zweifelsfrei nachgewiesen werden mussoder - bei Kindern - wenn die Frage gestellt ist, ob bei einer schweren Skoliosedas Tregen eines Korsetts oder gar eine Operation in Erwägung gezogen wer-den soll.Die abgebildete Skoliose zum Beispiel zeigt allerdings „nur“ einen Winkel (ge-messen nach der Methode von Cobb) von ca. 25°. Von einer schweren Skoliosespricht man erst, wenn der auf diese Art gemessene Winkel über 50° - 60° auf-weist.

Wissen

findlicher reagieren als andere. Zusolchen Belastungen zählt offen-sichtlich auch das regelmäßige Prak-tizieren von Übungen, die auf inten-sive Weise die Wirbelsäule in eineDrehung bringen. Solche Übungengibt es in der Gymnastik und solcheÜbungen gibt es natürlich auch imYoga, zum Beispiel in Âsanas wiedem Triko~âsana oder dem Dreh-sitz. Immer wieder kommen Men-schen zu uns, deren Beschwerdensich erst unter einer entsprechendintensiven und für sie ungeeignetenYogapraxis entwickelt haben undnach entsprechender Änderung derÜbungen wieder verschwinden.

Anders als leichte führen schwe-re Skoliosen sehr oft zu starkenRückenbeschwerden. Sind sie sehrausgeprägt, können sie schließlichsogar die Herzfunktion negativ be-einflussen und die Atembewegungernsthaft behindern.

Die Therapien

Die meisten Skoliosen sind leichtund wie schon gesagt, haben einigesogar die Tendenz, sich spontan zubessern. Deshalb sollte man kritischbleiben gegenüber Behandlungser-folgen, die sich manche Methodenin der Arbeit mit Skoliosen selbstlautstark zuschreiben. Oft hätte sichdie Wirbelsäulenverkrümmung wohlauch ohne Therapie zum Besserenhin entwickelt.

Ganz anders steht es mit extremausgeprägten Skoliosen. Sie habenoft die Neigung, sich weiter zu ver-stärken. Und spätestens im Erwach-senenalter sind vermehrte Problemefür den Rücken zu erwarten. Auchwünschen sich viele Betroffene imErwachsenenalter eine Korrektursolcher Skoliosen aus ästhetischenGründen: die oft sehr deutlicheVorwölbung einer Brustkorbseiteerscheint als „Buckel“ und die ge-krümmte Körperhaltung wird alsBehinderung empfunden. Auf

Grund dieser Perspektiven wird vonmedizinischer Seite aus viel ver-sucht, die Ausbildung extrem star-ken Seitkrümmungen zu verhindern.Ist das Körperwachstum einmalabgeschlossen, lassen sich derartausgeprägte Fehlstellungen derWirbelsäule nicht mehr korrigieren.Deshalb sind die Chancen, einer sichherausbildenden schweren Skolioseentgegen zu wirken am Besten,wenn mit einer Therapie möglichstfrühzeitig begonnen wird.

Heutzutage ruht die medizini-sche Behandlung starker Skoliosenauf drei Säulen, nämlich einer spe-ziellen Krankengymnastik, gegebe-nenfalls dem zeitweiligen Anlegeneines Korsetts und in besondersschweren Fällen der Operation.

Korsett:Die noch formbare Wirbelsäule

des Kindes wird mit Hilfe von Kor-setts oder im Gipsbett in Streckstel-lung fixiert. Betroffene erinnern sichan diese Zeit bisweilen mit Grauen:In einem Alter, das meist von derFreude an ständiger Bewegung ge-prägt ist, mussten sie sich beimSchlafen oder sogar tagsüber in einKorsett quälen. Trotzdem ist derErfolg solcher therapeutischer Ein-griffe unbestritten. Viele Untersu-chungen bestätigen, dass das kon-sequente Tragen eines Korsetts inder Wachstumsphase die Ausprä-gung extremer Skoliosen entschei-dend verringern kann.

Operation:In schwersten Fällen wird schon

seit Jahrzehnten durch eine Opera-tion die Wirbelsäule versteift und sodie Zunahme ihrer Krümmung ver-hindert. So massiv ein solcher Ein-griff auch ist, bei gegebener Indika-tion sind die Erfolge operativer Kor-rekturen schwerster Skoliosen unbe-stritten. Sie ermöglichen den Betrof-fenen einen einigermaßen aufrech-ten Gang, verhindern ein Zusam-

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mende Osteoporose und degenera-tive Veränderungen an den Wirbel-körpern.

Mädchen sind von echten Sko-liosen etwa vier Mal häufiger be-troffen als Jungen.

Die überaus meisten idiopathi-schen Skoliosen krümmen sich imBrustwirbelbereich nach rechts (sinddort also „rechtskonvex“) und imLendenbereich nach links (sind dortalso „linkskonvex“). Der Schwer-punkt der skoliotischen Krümmungliegt häufiger im Bereich der Brust-wirbelsäule, seltener in der Lenden-wirbelsäule.

Während sehr starke Skolioseneher selten sind (von tausend Men-schen sind etwa 2 davon betroffen),finden sich sehr leichte und leichteSkoliosen etwa bei jedem Zehnten.Diese Mehrzahl der Skoliosen ver-schlechtern sich nach einem erstenSchub in der Regel nicht weiter. ImGegenteil: Leichte Skoliosen, dieüber längere Zeit unverändert blei-ben, neigen dazu, sich im weiterenWachstumsverlauf von alleine wie-der etwas zu verbessern.

Skoliosen werden in der Medizinnach ihren Schweregraden einge-teilt. Dazu wird auf eine bestimmteArt („nach Cobb“, einem Arzt, derdiese Methode entwickelt hat) ge-messen, in welchem Winkel dieWirbelsäule vom Lot abweicht. EineAbweichung bis zu 40° gilt noch alsleichte Skoliose, schwere Skoliosenweisen einen Winkel über 60 ° auf.

In verschiedenen umfangreichenUntersuchungen wurde immer wie-der nachgewiesen, dass leichteSkoliosen zu keinen nennenswertenEinschränkungen führen. Erstaunli-cherweise gilt dies auch für Rücken-schmerzen: Von leichten SkoliosenBetroffene unterscheiden sich beider Anfälligkeit für Rückenschmer-zen nicht vom Rest der Bevölke-rung. Allerdings lehrt die Erfahrung,dass sich solche Menschen auf ganzbesondere Belastungen oft emp-

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mendrücken des Herz-Lungenraumsund sorgen im Alter für wenigerBeschwerden im Rücken.

Krankengymnastik:Spezielle Krankengymnastik ist

heute Teil jeder Skoliosetherapie.Während sie bei operativen Eingriffein der Vor- und Nachsorge ihrenPlatz hat, wird jede Korsetttherapieüber ihre ganze Anwendungszeithinweg von intensiver krankengym-nastischer Haltungsschulung beglei-tet.

Bei Verkrümmungen, die wederdas Tragen eines Korsetts noch gareine Operation nötig machen, ste-hen schließlich Körperübungen al-lein im Mittelpunkt der Therapie.Auch hier ist der größte Erfolg dannmöglich, wenn mit dem Üben früh-zeitig begonnen wird und über dieganze Zeit des Wachstums hinwegkonsequent weitergeübt wird. Überdie Jahre haben sich dabei einigekrankengymnastische Methodenetabliert, die meist nach ihren Be-gründerInnen genannt werden: InDeutschland am verbreitetsten undbekanntesten ist die Methode nachSchroth. Daneben bedeutsam sinddie Methoden nach Vojta, Hanke

und Klapp. Trotz einiger Ähnlichkei-ten ist ihr jeweiliger Ansatz doch einbesonderer. Je nach Methode ste-hen die Kräftigung der Rückenmus-kulatur, besondere Dehntechnikenoder das manuelle Reizen bestimm-ter Muskeln und Knochen imVordergrund. In einer der neuerenwissenschaftlichen Untersuchungenwird abschließend zusammenge-fasst, dass „Skoliosen in bestimmtenFällen durch spezielle Krankengym-nastik korrigiert werden können,Korsettbehandlungen aufgeschobenwerden können und die primäreKorrektur im Korsett wesentlichverbessert werden kann.“

Für das betroffene Kind sind alldiese Therapieangebote oft mit vielMühe, der Forderung nach außeror-dentlicher Disziplin und großer psy-chischer Belastung verbunden. Alsentscheidend für alle Therapieversu-che erweist sich deshalb immer wie-der, in welchem Maß es gelingt,solche Kinder in diesen langwierigenProzess in guter Weise einzubindenund immer wieder neu zu motivie-ren. Das gilt übrigens auch, wenndafür Übungen des Yoga genutztwerden.

Hüften oder Knie destabilisiert undgeschädigt werden.

3. Idiopathische Skoliosen kön-nen mit einfachen Mitteln iden-tifiziert werden.

Erste Hinweise ist eine Seitendif-ferenz im Stand. Am einfachsten zuvergleichen ist die Stellung der bei-den Schultern zur Waagrechten.Durch das Anheben der Arme wer-den vorhandene Unterschiede nochdeutlicher. Bei echten Skoliosenentstehen diese Unterschiede durchdie Wirbelsäulenkrümmung imBrustwirbelbereich. Sie führt zueiner Schiefstellung und leichtenVerdrehung des Schultergürtels.

Im Liegen fällt oft zuerst einescheinbare Längendifferenz derBeine auf: Eine Ferse liegt körperfer-ner als die andere. Die Ursache da-für ist aber keine unterschiedlicheBeinlänge, sondern die auch imLiegen fixierte Krümmung der Wir-belsäule, die das Becken in einenSchiefstand zieht. Durch das schiefliegende Becken ist ein Bein höhergezogen als das andere underscheint deshalb als kürzer. Dassbeide Beine gleich lang sind, lässtsich grob, aber für unsere Zweckevöllig ausreichend auf einfacheWeise prüfen: Werden beide Beinevom Boden angehoben und nachoben gestreckt gehalten, verschwin-det die scheinbare Längendifferenz.Der Grund: Weil das Becken zwarseitlich schief, zum Boden aber ge-rade und parallel liegt. Beide Beinebeginnen in dieser Position alsowieder in gleicher Höhe und zeigendabei, dass sie von gleicher Längesind.

Am sichersten zeigt sich eineSkoliose schließlich in der Vorbeuge:Die eine Seite des Rückens erscheintdabei höher als die andere. DieseVorwölbung entsteht im Bereich desoberen Rückens vor allem durch diegedrehten und leicht verformten

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Das Röntgenbild zeigt, wieeine schwere Skoliose(rechtskonvex) operativdurch eine Metallstangestabilisiert wurde.

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Rippen. Im Lendenbereich durcheinen einseitig etwas nach obengedrehten Muskelstrang, denRückenstrecker. Deshalb ist dieseAnhebung einer Rückenseite sehrviel einfacher zu sehen, wenn dieKrümmung der Wirbelsäule imBrustwirbelbereich ihren Schwer-punkt hat. Dies ist der häufigste Fall.Etwas genauer muss man hinschau-en, will man auf diese Weise eineskoliotische Krümmung auf derHöhe der Lendenwirbelsäule erken-nen.

Was tun?

Für den Umgang mit echtenSkoliosen in der Âsanapraxis hatsich die Beachtung einiger wenigerGrundsätze bewährt. Die wichtig-sten sind hier zusammengefasst:

1. Vorsicht mit Korrekturen ander Körperhaltung.

2. Âsanas werden oft wirksamer,wenn sie durch entsprechende Arm-oder Beinvarianten unsymmetrischgeübt werden.

3. Es gibt einige wenige schwerwiegende Risiken beim Üben vonÂsanas. Diese Risiken entstehen vor

Wissen

allem im Zusammenhang einer in-tensiven Praxis von Drehungen undSeitbeugen.

1. Vorsicht mit Korrekturen ander Körperhaltung.

Menschen, deren Wirbelsäuledurch eine Skoliose verformt ist,zeigen diese Asymmetrie in vielenKörperbereichen. Nicht nur dieSchultern stehen ungleich hoch,auch der Kopf ist oft leicht gedrehtoder – vor allem im Liegen - etwaszur Seite geneigt. In aufrechter Hal-tung (Samasthiti) weicht der Ober-körper ebenso vom Lot ab, wie ineiner Vorbeuge aus dem Stand (zumBeispiel uttânâsana). Das gleiche giltfür die im Stehen angehobenenArme. In der Rückenlage (‡avâsana)sind Rumpf und Beine nicht in einerAchse. Alle diese Abweichungenvon der Mitte haben ihre Ursache inder besonderen Krümmung derWirbelsäule. Diese Krümmung kannnicht dadurch beeinflusst werden,dass ein Körperteil wie der Kopfoder die Beine zurück ins Lot ge-bracht, gelegt oder gezogen wird.Stattdessen verschiebt und verdrehteine solche Korrektur nur die betrof-fenen Körperteile zur fest bleiben-den Wirbelsäule: Die vom Körpergefundene Harmonie wird gestört.Es macht deshalb keinen Sinn, hierkorrigierend einzugreifen, zum Bei-spiel um den Kopf im Liegen nachder Mitte hin auszurichten. Stattausgleichend zu wirken, führt einederartige Korrektur eher dazu, dassder Nacken mit dem Aufbau vonGegenspannung reagiert. Darüberhinaus fühlt sich die so „ausgerich-tete“ Person meist „aus dem Lot“.Und dies zu Recht: Die von der Mit-te abweichende Position des Kopfes(oder der Beine, oder der Arme,oder der Schultern, oder des Rump-fes beim nach vorn Beugen...) ist inder Regel jene Haltung, in der sichalle Körperteile zueinander in be-stem Einklang befinden.

Natürlich lässt sich mit Âsanasauch eine durch Skoliose geprägteHaltung verbessern. Dies kann abernicht durch ein Zurechtrücken desKörpers oder etwa der Aufforde-rung erreicht werden, den Kopfbewusst nach dem Körperlot hinauszurichten. Vielmehr muss dafürin geschickter Weise Einfluss auf dieWirbelsäule selbst genommen wer-den. Damit sind wir beim nächstenPunkt:

2. Âsanas werden oft wirksa-mer, wenn sie durch entspre-chende Arm- oder Beinvarian-ten unsymmetrisch geübt wer-den.

Für Menschen mit einer Skolioseist es wesentlich, den in seinerAsymmetrie besonders beanspruch-ten Rücken zu aktivieren, zu stärkenund in seiner Funktion zu harmoni-sieren. Unter anderem sind dafürRückbeugen besonders gut geeig-net. Dabei hat sich gezeigt, dassderen Wirkung deutlich verbessertwird, wenn sie selbst durch entspre-chende Variationen asymmetrischpraktiziert werden. Offensichtlicherreicht das wechselseitige Anhebennur eines Beines im Ardha ‡alabhâs-ana die beiden Rückenseiten jeweilsintensiver und im Gesamteffektausgewogener als das gleichzeitigeAnheben beider Beine im vollen‡alabhâsana. Es scheint, als würdein der asymmetrischen Varianteauch jene Seite des Rückens in diePflicht genommen, die bei einersymmetrischen Rückbeuge der„stärkeren“ gewohnheitsmäßig dieHauptarbeit überlässt.

Ähnliches gilt zum Beispiel auchfür Varianten von Bhuja~gâsana, indenen die Bewegung und Positionder Arme jeweils verschieden ge-wählt werden.

3. Eine Destabilisierung derRückenmuskulatur und die Ver-

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Aus dem Lot

stärkung derWirbelsäulenkrümmung habensich als die am schwersten wie-genden Risiken beim Üben vonÂsanas erwiesen.

Solche negativen Auswirkungenvon Yogapraxis zeigen sich vor al-lem im Zusammenhang einer inten-siven Praxis von Drehungen undkräftigen Seitbeugen.

Von Skoliose Betroffene solltendeshalb die regelmäßige Praxis in-tensiver Drehhaltungen und Seit-beugen vermeiden. Der Grund da-für, dass diese Art von Âsanas beimVorliegen von Skoliosen häufig ge-sundheitliche Probleme machen,liegt in der Struktur der Skolioseselbst. Dabei sind zwei Gegebenhei-ten von entscheidender Bedeutung.Zum einen ist jede Skoliose mit einerVerdrehung der Wirbelsäule verbun-den. Zum anderen ist bei jeder Sko-liose ein Bereich der Wirbelsäule inseiner Krümmung nahezu fixiertwährend andere Bereiche ihre Be-weglichkeit bewahrt haben. Dazuzuerst. Jede Bewegung, die im Falleeiner Skoliose von der Wirbelsäulegefordert wird, trifft dort auf zweivöllig unterschiedliche Strukturen.Eine der Krümmungen, meist die imBrustkorbbereich, bleibt weit ge-hend starr. Entsprechend intensiverals bei einer normal ausgebildetenWirbelsäule wird dafür ihre nochbeweglichen Bereiche bewegt. BeiDrehungen und Seitbeugen ist diesmeist die Lendenwirbelsäule. DieserMechanismus lässt sich durch keinnoch so ausgeklügeltes System,keine noch so differenzierten An-weisungen, durch kein bei der Âsa-napraxis übliches Hilfsmittel außerKraft setzen. Kein noch so kräftigerMuskel kann der hier gegebenenStruktur entgegenarbeiten. Weranderes behauptet, spricht nichtvon echten, idiopatischen Skoliosen,die eben gerade durch die hier be-schriebene besondere Struktur cha-rakterisiert sind.

Das bedeutet, dass entsprechen-de Âsanas bestimmte Teile einerskoliotischen Wirbelsäule über eingesundes Maß hinaus mobilisierenkönnen. Die oft zu beobachtendeFolge davon ist eine Destabilisierungund als Folge davon das Auftretenvon Schmerzen vor allem im Bereichdes unteren Rückens.

Von intensiven Drehungen wiezum Beispiel Triko~âsana kann einEÜbendeR mit Skoliose nichts Positi-ves erwarten. Dafür verantwortlichist die besondere Verdrehung derWirbel, die jede echte Skoliose (oh-ne Ausnahme) aufweist. In jedemder meist zwei Schwünge der Sko-liose drehen die Wirbel in die jeweilsentgegen gesetzte Richtung. Wieimmer man es auch anstellen wür-de: Bei jeder Drehung wird so einTeil der Skoliose noch intensiver ineine ihrer inneren Drehungen hin-eingeschraubt. Das belastet Wirbel-gelenke, Bänder und Bandscheibengleichermaßen. Leider kann dieskoliotische Wirbelsäule auch nochviel einfacher weiter „ver“dreht alsaus der gegebenen Drehung „her-ausgedreht werden. Es wird alsobeim Drehen nicht einmal der eineTeil der Wirbelsäule gegen die vor-handene Drehrichtung aufgerichtetwährend der andere sich noch mehrverwinden muss. Intensiv praktizier-te Drehübungen verstärken die Wir-belverdrehungen einer Skoliose unddamit auch die Wirbelsäulenver-krümmung. Das gleiche gilt für in-tensive Seitbeugen, die immer mehrdie schon vorhandene Seitkrüm-mung verstärken als dass sie dieWirbelsäule strecken könnten. Es istbei echten Skoliosen biomechanischeinfach unmöglich, eine innere Fi-xierung oder Gegenspannung auf-zubauen, die diese Mechanismenentkräften könnte. Deshalb könnenzum Beispiel Seitbeugen auch imRahmen spezifischer krankengym-nastischen Übungen nur dann ge-nutzt werden, wenn mit Hilfe einer

ausgeklügelten äußeren Fixierungder Schultergürtel fixiert wird. Es giltdeshalb ohne Einschränkung: BeimVorliegen einer echten idiopathi-schen Skoliose erweist sich eineintensive Praxis von Âsanas, die denRumpf drehen oder seitbeugenlangfristig gesehen als schädlich.

Wie weit diese Fakten Einflussnehmen müssen auf einen Grup-penunterricht, in dem vor allemdynamisch geübt wird und intensiveDrehungen oder Seitbeugen nur allepaar Wochen angeboten werden,kann nur am einzelnen Beispiel dis-kutiert werden. Geht es allerdingsum eine regelmäßig geübte Praxis,ist für Kompromisse wenig Spiel-raum. Schließlich möchte sicherniemand durch die Praxis von Âsanaseine Gesundheit gefährden.

Auf der anderen Seite kann eineregelmäßige Yogapraxis für Men-schen mit Skoliose von großem Nut-zen sein. Immer wieder machen wirdie Erfahrung, dass das kontinuierli-che Üben von passend ausgewähl-ten Âsanas positive Wirkung zeigt.Der Rücken wird belastbarer, vor-handene Schmerzen werden weni-ger und das Körpergefühl insgesamtverbessert sich. Das liegt sicher auchdaran, dass durch ein geschicktesVariieren von Âsanas der Rückenauf besondere Weise aktiviert wer-den kann: Alle seine oft nochschlummernden Potentiale zu Auf-richtung und angemessener Reak-tion auf alltägliche Belastungenkönnen so ausgeschöpft werden.

Oft zeigen gerade die asymme-trischen Varianten der dabei genutz-ten Âsanas die besten Erfolge. t

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