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7.3 Ausbildungsziele in der Physiotherapie 93 7 7.3 Ausbildungsziele in der Physiotherapie 7.3.1 Physiotherapeuten – leistungs- fähige Partner im Gesundheits- wesen Physiotherapeuten stellen Gesundheit wieder her, bewahren sie und sorgen für das „Wohlfühlen“ des Menschen. Sie behandeln z. B. Beeinträchtigungen und Dysfunktionen seiner Bewegungen. Diese Stö- rungen können sich aus angeborenen Fehlhaltungen oder Deformitäten, Verletzungen, neurologischen Erkrankungen etc. ergeben, aber ebenso aus psy- chischen und emotionalen Ungleichgewichten. Bewegungseinschränkungen gehen zumeist mit Schwierigkeiten bei der Ausführung funktioneller Aktivitäten im Alltag und im Berufsleben einher. Es ist daher das primäre Ziel der Physiotherapie, den Patienten beim Bemühen um das Wiedererlangen seines größtmöglichen Bewegungspotenzials oder seiner „normalen“ Funktion zu begleiten. So fördert Physiotherapie seine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Um dies zu erreichen, lindern Physiotherapeuten z. B. Schmerzen, verbessern Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer, schulen Atemfunktionen, fördern Gleichgewicht und motorische Kontrolle. Zur Rolle des Physiotherapeuten gehört es aber auch, Patien- ten und deren Angehörige anzuleiten, zu instruieren und darüber aufzuklären, unter welchen Bedingun- gen und mittels welcher Vorgehensweisen maxi- male Lebensqualität wiederzuerlangen ist. Ganz allgemein beinhaltet die Rolle des Physio- therapeuten (vgl. hierzu auch WCPT 1999; Higgs et al. 2001): T Leistungen anzubieten, die es Menschen ermögli- chen, über einen bestimmten Zeitraum hinweg maximale Bewegungsmöglichkeit und Funktions- fähigkeit zu entwickeln, diese aufrechtzuerhalten und/oder sie wiederherzustellen; T Präventive Maßnahmen anzubieten, die Behinde- rungen, Beeinträchtigungen und Funktionsein- schränkungen, die im Zusammenhang mit sozio- kulturellen, sozioökonomischen und lebensstil- abhängigen Faktoren auftreten können, minimie- ren; T Behandlungsziele und -strategien zusammen mit dem Patienten festzulegen, die sich aus dessen individuellen Bedürfnissen, der ärztlichen Diag- nose, aus den Ergebnissen der physiotherapeuti- schen Untersuchung ergeben, aber auch auf der Grundlage einer therapeutischen Haltung formu- liert werden, die jeden einzelnen Patienten als eine unverwechselbare Person mit charakteristi- schen Merkmalen respektiert; T Vielfältige Behandlungsmöglichkeiten einzuset- zen, um diese Ziele zu erreichen. Dazu gehören z. B. Mobilisationen, Manipulationen, Massagen, hydro- und elektrotherapeutische Maßnahmen, Entspannung, Trainieren motorischer Fähigkeiten etc. Auf all diese Leistungen, die unterschiedliche Rollen mit sich bringen, können Physiotherapieschüler in der Ausbildung vorbereitet werden. Die physiotherapeutischen Behandlungen basie- ren u. a. auf der Kenntnis von Anatomie, Physiologie, Pathologie, Biomechanik, auf Wissen in den Berei- chen Medizin, Psychologie, Pädagogik und Sozial- wissenschaften sowie auf der Kenntnis der Behand- lungsmethoden und Konzepte, die die Physiothera- pie eigenständig hervorgebracht hat. Betrachtet man sich die o.g. Bezugsdisziplinen und theoretischen Grundlagen der Physiotherapie, wird deutlich, dass sich die Wissensbereiche der Physiotherapeuten vielfältig mit jenen anderer angrenzender Berufe überschneiden, etwa mit jenen von Ergotherapeuten, Logopäden, Ärzten sowie Angehörigen der Pflegeberufe. Daraus lässt sich einerseits ableiten, dass Physiotherapeuten in einem interdisziplinären Team tätig sind. Anderer- seits sind viele Schnittstellen zu anderen Berufs- gruppen, die ähnliche Leistungen anbieten, zu erkennen. Physiotherapeuten müssen in Zukunft noch klarer als bisher, ihr Angebot an die Patienten – sprich ihre Leistungen im Gesundheitssystem – definieren. Gelingt dies, lassen sich auch Konflikte an den Schnittstellen zu anderen Berufsgruppen begrenzen (siehe unten). 7.3.2 Schritt halten mit der Entwicklung des Arbeitsfeldes Physiotherapie Die Zukunft wird Physiotherapeuten neue Rollen und Aufgaben bringen. Sich diesen zu stellen, sie anzunehmen und zu bewältigen wird dazu beitra- gen, im medizinischen System zu bestehen. Es ist die Aufgabe einer zukunftsorientierten Physiothera- pieausbildung, die Schüler darauf vorbereiten. Bei- spiele solcher Aufgaben sind: T das wissenschaftliche Arbeiten (siehe Kap. 9); T das Integrieren von Managementaufgaben in den beruflichen Alltag, sei es in Kliniken oder in eige- nen Praxen; Hüter-Becker/Dölken, Beruf, Recht, wissenschaftliches Arbeiten (ISBN 3131368519), © 2004 Georg Thieme Verlag

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7.3 Ausbildungsziele in der Physiotherapie 93 7

7.3 Ausbildungsziele in der Physiotherapie

7.3.1 Physiotherapeuten – leistungs-fähige Partner im Gesundheits-wesen

Physiotherapeuten stellen Gesundheit wieder her,bewahren sie und sorgen für das „Wohlfühlen“ desMenschen. Sie behandeln z.B. Beeinträchtigungenund Dysfunktionen seiner Bewegungen. Diese Stö-rungen können sich aus angeborenen Fehlhaltungenoder Deformitäten, Verletzungen, neurologischenErkrankungen etc. ergeben, aber ebenso aus psy-chischen und emotionalen Ungleichgewichten.Bewegungseinschränkungen gehen zumeist mitSchwierigkeiten bei der Ausführung funktionellerAktivitäten im Alltag und im Berufsleben einher. Esist daher das primäre Ziel der Physiotherapie, denPatienten beim Bemühen um das Wiedererlangenseines größtmöglichen Bewegungspotenzials oderseiner „normalen“ Funktion zu begleiten. So fördertPhysiotherapie seine Teilhabe am gesellschaftlichenLeben.

Um dies zu erreichen, lindern Physiotherapeutenz.B. Schmerzen, verbessern Beweglichkeit, Kraftund Ausdauer, schulen Atemfunktionen, fördernGleichgewicht und motorische Kontrolle. Zur Rolledes Physiotherapeuten gehört es aber auch, Patien-ten und deren Angehörige anzuleiten, zu instruierenund darüber aufzuklären, unter welchen Bedingun-gen und mittels welcher Vorgehensweisen maxi-male Lebensqualität wiederzuerlangen ist.

Ganz allgemein beinhaltet die Rolle des Physio-therapeuten (vgl. hierzu auch WCPT 1999; Higgs etal. 2001):T Leistungen anzubieten, die es Menschen ermögli-

chen, über einen bestimmten Zeitraum hinwegmaximale Bewegungsmöglichkeit und Funktions-fähigkeit zu entwickeln, diese aufrechtzuerhaltenund/oder sie wiederherzustellen;

T Präventive Maßnahmen anzubieten, die Behinde-rungen, Beeinträchtigungen und Funktionsein-schränkungen, die im Zusammenhang mit sozio-kulturellen, sozioökonomischen und lebensstil-abhängigen Faktoren auftreten können, minimie-ren;

T Behandlungsziele und -strategien zusammen mitdem Patienten festzulegen, die sich aus dessenindividuellen Bedürfnissen, der ärztlichen Diag-nose, aus den Ergebnissen der physiotherapeuti-schen Untersuchung ergeben, aber auch auf derGrundlage einer therapeutischen Haltung formu-liert werden, die jeden einzelnen Patienten als

eine unverwechselbare Person mit charakteristi-schen Merkmalen respektiert;

T Vielfältige Behandlungsmöglichkeiten einzuset-zen, um diese Ziele zu erreichen. Dazu gehörenz.B. Mobilisationen, Manipulationen, Massagen,hydro- und elektrotherapeutische Maßnahmen,Entspannung, Trainieren motorischer Fähigkeitenetc.

Auf all diese Leistungen, die unterschiedliche Rollenmit sich bringen, können Physiotherapieschüler inder Ausbildung vorbereitet werden.

Die physiotherapeutischen Behandlungen basie-ren u.a. auf der Kenntnis von Anatomie, Physiologie,Pathologie, Biomechanik, auf Wissen in den Berei-chen Medizin, Psychologie, Pädagogik und Sozial-wissenschaften sowie auf der Kenntnis der Behand-lungsmethoden und Konzepte, die die Physiothera-pie eigenständig hervorgebracht hat.

Betrachtet man sich die o.g. Bezugsdisziplinenund theoretischen Grundlagen der Physiotherapie,wird deutlich, dass sich die Wissensbereiche derPhysiotherapeuten vielfältig mit jenen andererangrenzender Berufe überschneiden, etwa mitjenen von Ergotherapeuten, Logopäden, Ärztensowie Angehörigen der Pflegeberufe. Daraus lässtsich einerseits ableiten, dass Physiotherapeuten ineinem interdisziplinären Team tätig sind. Anderer-seits sind viele Schnittstellen zu anderen Berufs-gruppen, die ähnliche Leistungen anbieten, zuerkennen. Physiotherapeuten müssen in Zukunftnoch klarer als bisher, ihr Angebot an die Patienten –sprich ihre Leistungen im Gesundheitssystem –definieren. Gelingt dies, lassen sich auch Konfliktean den Schnittstellen zu anderen Berufsgruppenbegrenzen (siehe unten).

7.3.2 Schritt halten mit der Entwicklungdes Arbeitsfeldes Physiotherapie

Die Zukunft wird Physiotherapeuten neue Rollenund Aufgaben bringen. Sich diesen zu stellen, sieanzunehmen und zu bewältigen wird dazu beitra-gen, im medizinischen System zu bestehen. Es istdie Aufgabe einer zukunftsorientierten Physiothera-pieausbildung, die Schüler darauf vorbereiten. Bei-spiele solcher Aufgaben sind:T das wissenschaftliche Arbeiten (siehe Kap. 9);T das Integrieren von Managementaufgaben in den

beruflichen Alltag, sei es in Kliniken oder in eige-nen Praxen;

Hüter-Becker/Dölken, Beruf, Recht, wissenschaftliches Arbeiten (ISBN 3131368519), © 2004 Georg Thieme Verlag

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7 94 7 Die Rollen des Schülers in der Physiotherapie

T die Auseinandersetzung mit physiotherapeutischrelevanten Modell- und Theorieansätzen (sieheKap. 5), um einerseits physiotherapeutischesHandeln definieren, erklären und begründen zukönnen und andererseits Physiotherapie gegen-über anderen Berufsgruppen, die ähnliche Leis-tungen erbringen, abzugrenzen;

T die Beziehungen zwischen Patient/Klient undTherapeut neu zu reflektieren.

Erste Ansätze in diese Richtung gibt es bereits, dieStudiengänge an den Fachhochschulen sind ent-sprechend ausgerichtet (siehe Kap. 4). Aber auch

viele Lehrer der Berufsfachschulen bieten aktuelle,zukunftorientierte Ausbildungsinhalte (und da-mit nicht selten ein qualitativ höheresAusbildungsniveau als es die bestehende, 10 Jahrealte Ausbildungs- und Prüfungsverordnung vor-sieht!).

In Zukunft werden alle Lehrer der Physiotherapieeine akademische Ausbildung haben, und nicht nureinige. Sie werden dann noch besser darauf vorbe-reitet sein, ihren Schülern physiotherapeutischeSchlüsselkompetenzen zu vermitteln, die für die o.g.Aufgaben gebraucht werden.

7.4 Rollenerwartungen an Physiotherapieschüler

Wie eingangs bereits gesagt, werden im Lauf derdreijährigen Ausbildung sehr viele unterschiedlicheErwartungen an Physiotherapieschüler gestellt.Viele Rollen werden ihnen abverlangt. DieserAbschnitt des Kapitels soll dazu beitragen, diese Rol-len zu erkennen, Rollenkonflikte oder Rollenambi-valenzen zu vermeiden oder mindestens zu verrin-gern.

Vorschlag: Überlegen Sie einmal, in welchen unter-schiedlichen Rollen Sie sich in Ihrer Ausbildung bisherwiedergefunden haben.

7.4.1 Der Schüler im theoretischen undfachpraktischen Unterricht

Während der Ausbildung lernen Physiotherapie-schüler in einer immensen Vielfalt (und in kürzesterZeit) unterschiedliche Wissensbereiche kennen. Sielernen die Grundformen therapeutischer Tätigkei-ten, therapeutischen Handelns und therapeutischerInteraktion kennen. Und sie werden auch befähigt,diese mit und an dem Patienten/Klienten, mit seinenAngehörigen, im Kontakt mit Kollegen, Ärzten undanderen im Gesundheitswesen tätigen Personenumzusetzen.

Solche Grundformen therapeutischer Tätigkeitsind unter anderemT helfen,T beraten,T betreuen,T fördern,T unterstützen,T behandeln undT ermutigen.

Liest man diese Verben, erkennt man unschwerdirekte Parallelen zu pädagogischen Tätigkeiten.

Vorschlag: Suchen Sie Gemeinsamkeiten und Unter-schiede zwischen therapeutischer und pädagogischerTätigkeit.

Weiter wird deutlich, dass die Schüler lernen, kom-plexe berufliche Situationen zu bewältigen. Ihrerworbenes fachliches Können müssen sie in unter-schiedlichsten Bereichen unter Beweis stellen. Kon-kret bedeutet das, dass sie während ihrer Ausbil-dung mit sehr verschiedenen Kompetenzen ausge-stattet werden. Die folgende Checkliste fasst dieseKompetenzen zusammen:

Vorschlag: Finden Sie Beispiele für die unterschiedlichenKompetenzbereiche eines Physiotherapeuten.

Checkliste

GnostischesKönnen

Erkennen und Analysieren therapeuti-scher Sachverhalte

ProjektivesKönnen

langfristiges, strategisches Planen thera-peutischer Prozesse

KonstruktivesKönnen

kurzfristiges, operatives Planen therapeu-tischer Prozesse

Organisatori-sches Können

zeitliches und materiell-technisches Vor-bereiten und zweckmäßiges Gestaltendes Arbeitsprozesses

KommunikativesKönnen

Kooperation und soziale Kommunikationauf verschiedenen Ebenen, z. B. auf denEbenen Schüler-Patient/Klient, Schüler-Lehrer, Schüler-Kollegen

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7.4 Rollenerwartungen an Physiotherapieschüler 95 7

Was müssen Schüler lernen, um alsBerufsanfänger optimal auf das Arbeits-feld Physiotherapie vorbereitet zu sein?

Vernetztes Denken - die Wirkorte der Physio-therapie erkennen

Die im Zuge der Zusammenführung der beidendeutschen Staaten erforderliche Revidierung undNeuregelung der Ausbildung- und Prüfungsordnungfür Physiotherapeuten ist 1994 in Kraft getreten. Dienun insgesamt dreijährige Ausbildung untergliedertsich in 2.900 Stunden theoretischen und fachprakti-schen Unterrichts sowie 1.600 Stunden praktischerAusbildung am Patienten. Selbstverständlich ent-sprechen die vor 10 Jahren festgelegten Inhaltenicht mehr in vollem Umfang dem heutigen Wis-sensstand und auch nicht mehr dem heutigen phy-siotherapeutischen Selbstverständnis. Es ist daherAufgabe der Schulen, Ausbildungsinhalte perma-nent auf ihre Aktualität hin zu Überprüfen und ent-sprechend zu verändern.

Die Physiotherapie entwickelt sich ständig wei-ter. Ein Meilenstein der Entwicklung ist das 1996entstandene Neue Denkmodell der Physiotherapie(Hüter-Becker 1996).

Das Neue Denkmodell zeigt, dass die klassischeFächeraufteilung (wie sie in der Ausbildungs- undPrüfungsordnung steht) nach den medizinischenFachgebieten moderner Physiotherapie nicht mehrganz gerecht wird. Patienten in der Neurologie kön-nen Befunde aufweisen, die das Bewegungssystembeeinträchtigen, z.B. die instabile Schulter bei hemi-plegischen Patienten, und Patienten in der InnerenMedizin können z.B. durch ihre Zuckerkrankheitperiphere Lähmungen haben.

Das Neue Denkmodell berücksichtigt diese Tatsa-che und macht deutlich, dass die Wirkorte der Phy-siotherapie jeweils die gleichen sind, egal ob einPatient in der Orthopädie oder in der Neurologiebehandelt wird. Diese im Denkmodell beschriebe-nen Wirkorte sindT das Bewegungssystem,T die Bewegungsentwicklung und Bewegungskon-

trolle,T die Inneren Organe undT das Erleben und Verhalten des Patienten (Hüter-

Becker 1996 und 2002).

Physiotherapieschüler, aber auch ihre Lehrer, sind aufge-fordert, die vielen Mosaiksteine der theoretischen undpraktischen Ausbildungsinhalte zu einer Physiotherapiezusammenzufügen. Einer Physiotherapie, die denMensch in seiner Gesamtheit sieht und ihn nicht in

„orthopädische“ oder „neurologische Schubladen“steckt. Dass die aktuelle Ausbildungs- und Prüfungsord-nung, wie bereits erwähnt, noch eine Aufteilung derFächer nach medizinischen Fachrichtungen vorsieht,also z. B. Physiotherapie in der Orthopädie, Physiothera-pie in der Neurologie, ist kein Hinderungsgrund für neuesDenken und für den vom Denkmodell geforderten Per-spektivenwechel!

Im Gegenteil: Schüler, die ihre Ausbildung amPatienten zum Beispiel in der Orthopädie absolvie-ren, werden bald erkennen, dass der Patient mit sei-nem neuen Hüftgelenk auch eine Atemwegserkran-kung haben kann. Sie werden abwägen, ob das phy-siotherapeutische Mindern der Symptome der pul-monalen Störung nicht erste Priorität in der Thera-pie haben sollte ... und verlassen so das Schubladen-denken!

Selbstständiges, selbstgesteuertes Lernen

Das Lehr-Lernparadigma erfährt in der heutigen Zeiteine gravierendende Entwicklung hin zum Lernen-den als dem zentralen Fokus im Lehr-Lernprozess.Lag bisher allgemein der Schwerpunkt auf der Wei-tergabe von Wissen durch den Lehrenden (lehrer-zentrierte Ausbildung) so zentriert sich Bildung nunmehr auf den Lernenden (lernendenzentrierte Aus-bildung). Die Rollen der Lehrer und der Schüler ver-ändern sich. Die Qualität der Ausbildung wird nichtmehr (alleine) nach dem Input durch die Lehrerbewertet, sondern am sog. „Qutcome“, am Ergebnisdes Lernprozesses. Es ist anzunehmen, dass vieleLernprozesse in Zukunft umstrukturiert werden(González und Wagenaar 2003).

Beim problemorientierten Lernen (problembased learning) kommt dem Lehrenden die Aufgabezu, den Lernprozesse zu begleiten, ihn zu unterstüt-zen. Schüler werden nicht mehr mit Fakten (und mitHilfe des berühmten Trichters) gefüttert, sie lernenselbstständig am jeweiligen Problem.

Die Wurzeln des problemorientierten Lernensgehen auf das Jahr 1965 zurück und sind an derMcMaster University in Canada zu finden (Saarinen-Rahiika et al. 1998). Ziel dieser Bildungsform ist es,eine adäquate Lernatmosphäre zu schaffen, vorhan-denes Wissen zu aktivieren, Schüler zu motivierenund zu Diskussionen anzuregen. Der Bildungspro-zess ist auf das Lernen in Kleingruppen zentriert, diesich - in unserem Fall - mit physiotherapierelevan-ten Situationen beschäftigen. Dem liegt dieAnnahme zugrunde, dass aufgrund der eigenenintensiven Auseinandersetzung mit dem LerninhaltLernen überhaupt sinnvoll möglich ist. Der Anteil