„Was macht krank? - luebecker-psychotherapietage.de · Modell der VT, wird aber auch in...

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Institut für Psychotherapie Vortrag auf den 43. Lübecker Psychotherapietagen „Reif für Veränderung“ 12. 16.10.2014 „Was macht krank? - Wissen wir heute mehr als Freud?Dipl.-Psych. Dr. Annegret Boll-Klatt, Institut für Psychotherapie der Universität Hamburg Dipl.-Psych. Mathias Kohrs, Psychoanalytiker DGPT, Hamburg

Transcript of „Was macht krank? - luebecker-psychotherapietage.de · Modell der VT, wird aber auch in...

Institut für Psychotherapie

Vortrag auf den 43. Lübecker

Psychotherapietagen

„Reif für Veränderung“

12. – 16.10.2014

„Was macht krank? -

Wissen wir heute mehr als

Freud?“

Dipl.-Psych. Dr. Annegret Boll-Klatt,

Institut für Psychotherapie

der Universität Hamburg

Dipl.-Psych. Mathias Kohrs,

Psychoanalytiker DGPT, Hamburg

Institut für Psychotherapie

Was macht (seelisch) krank? – Antworten von …

Psychoanalytikern

Verhaltens-

therapeuten

Psychiatern

Psycho-

dynamischen

Psycho-

therapeuten

Neurobiologen

Philo-

sophen

Kognitiven

Neuro-

wissenschaftlern

Genetikern Epidemiologen

Institut für Psychotherapie

Aktuelle Situation

„Die Psychoanalyse kann m.E. für sich in Anspruch

nehmen, die Beiträge geliefert zu haben, die inhaltlich

am differenziertesten ausgearbeitet worden sind.“

(Deneke 2013, S.1)

Aber: Was ist DIE Psychoanalyse?

DIE Psychoanalyse als homogenes Theorie- und

Therapiegebäude gibt es nicht (mehr) !

Schon die PA ist durch Vielfalt gekennzeichnet;

psychodynamische Verfahren gehen immer mehr in die

Breite

Was ist das Verbindende der psychodynamischen

Verfahren, Theorien, Konzepte etc. ?

Institut für Psychotherapie

Die common-ground-Debatte in der Psychoanalyse

„Ähnlich wie Personen auf dem Bild von Edward Hopper befinden wir uns nur

zu häufig im selben Raum, ohne miteinander in Kontakt zu sein.“ (Poland 2009, S.4)

MK und ABK 2007

Institut für Psychotherapie

Die common-ground-Debatte

„Wie kann ich mich in einem Wissensgebäude

orientieren, welches eine Unzahl von Zimmern

aufweist, vielfältige Anbauten, Umbauten,

Renovierungen und stillgelegte Flügel?

Neben diesem Gebäude finden wir dann noch

Gartenhäuser und Neubauten, deren Bauherren die

ehemalige Freudsche Villa für ein Museum halten

oder sie gar abreißen wollen. Schließlich ist der

ganze Gebäudekomplex bereits über 100 Jahre alt,

und inzwischen haben viele herausragende Forscher

daran mitgearbeitet.“ (Focke 2012, S. 25)

Institut für Psychotherapie

Suche nach dem common ground, „dem Wesen der

Psychoanalyse“ („das Schibboleth“ ) - Ist es…

der Traum

der Ödipuskomplex

das psychogenetische Axiom (Rapaport 1959)

die Intersubjektivität (Altmeyer 2014) ?

das dynamische Unbewusste ?

Institut für Psychotherapie

Themenschwerpunkte unseres Vortrages

Die common-ground-Debatte in der PA

Zentripetale und zentrifugale Kräfte

Unüberbrückbarkeit vs. Konvergenz

Die 4 Pathologien in den psychodynamischen

Therapieverfahren

2 Systeme des Unbewussten

Die Nutzung von Theorie in der Therapie

Institut für Psychotherapie

Brauchen wir eine Kerntheorie bzw. den sog.

common ground?

„Das Fehlen einer Kerntheorie, als

Pluralismus gefeiert, ist

verheerend für eine

Wissenschaft.“ (Altmeyer 2014)

Ständig wechselnde „Mythen“(J. Frank); Beispiel:

Persönlichkeitsstörungen

Zuviel zentrifugale Kräfte sprengen

das Dach.

Identitätstiftende Wirkung einer

Kerntheorie

„Wer im Streite der Meinungen sich

auf die Autorität beruft, der arbeitet

mit seinem Gedächtnis, anstatt mit

seinem Verstand.“ (Leonardo Da

Vinci)

Zuviel zentripetale Kräfte

verknöchern.

In der PA von Anfang an

zentrifugale Kräfte insbesondere

Ferenczi

Behandlungstechnische Probleme

erforderten ständige

Weiterentwicklung der Technik und

der theoretischen Konzepte

„Die VT macht auch immer eine

Wende.“

Anschlussfähigkeit der PA an

andere Wissenschaften

unabdingbar

Pro Zentripetalität Pro Zentrifugalität

Institut für Psychotherapie

Einige Zitate zu Freuds (zentrifugalen?) Hoffnungen

und Visionen

„(Drittens) muss man sich daran erinnern, dass alle unsere psychologischen

Vorläufigkeiten einmal auf den Boden organischer Träger gestellt werden

sollen.“ (1914, 1975, S.46)

„Die Mängel unserer Beschreibungen würden wahrscheinlich verschwinden,

wenn wir anstatt der psychologischen Termini schon die physiologischen oder

chemischen einsetzen könnten.“ (1920, 1975, S.268)

„Die Biologie ist wahrscheinlich ein Reich der unbegrenzten Möglichkeiten, wir

haben die überraschendsten Antworten von ihr zu erwarten und können nicht

erraten, welche Antworten sie auf die von uns an sie gestellten Fragen einige

Jahrzehnte später geben würde. Vielleicht gerade solche, durch die unser

ganzer künstlicher Bau von Hypothesen umgeblasen wird.“ (1920, 1975, S. 268/69)

„Solche und ähnliche Vorstellungen gehören zu dem spekulativen Überbau der

Psychoanalyse, von dem jedes Stück ohne Schaden und Bedauern geopfert

oder ausgetauscht werden kann, sobald eine Unzulänglichkeit erwiesen ist“

(1925, S. 58).

„… wäre ein mythisches Kind, das in jeder Sitzung unbekümmert um die

lebensgeschichtliche Spur, die es geschaffen hat, erschaffen wird – also eine

Illusion eines Kindes, das, je nachdem wie der Wind des Zufalls in der Kur

weht, durch eine andere Illusion ersetzt werden kann.“ (Freud 1909b, S.293)

Institut für Psychotherapie

Zentripetale und zentrifugale Entwicklungen

Essentials

Freudscher Theorie

Weiterentwicklungen auf

der Basis Freuds

Zentrifugalität:

Beispiele für die Umsetzung

Freudscher Visionen

• Verführungstheorie

• duale Triebtheorie

• Psychosexualität

• das dynamische Ubw

• der intrapsychische

Konflikt

• das Strukturmodell

• Abwehr / Widerstand

• die Übertragung

• Ich-Psychologie

• Gegenübertragung

• Zwei-Personen

Psychologie:

Objektbeziehungstheorie

- S. Ferenczi

- M. Klein

- M. Mahler

- M. Balint

- D. Winnicott

- O. Kernberg

………………………

• Selbstpsychologie

• Intersubjektivismus

• Beobachtende

Säuglings- und

Kleinkindforschung

• Sterns

Entwicklungspsychologie

• Bindungstheorie

• Mentalisierungskonzept

• Neurobiologie

• Kognitive Neurowissen-

schaften insbes.

Gedächtnisforschung

• Embodied Cognitive Science

• Moderne Psychoanalytische

Psychosomatik

• Genetik und Epigenetik

• Adverse Childhood

Experiences (ACE)

Institut für Psychotherapie

Zentripetale und zentrifugale Entwicklungen

Essentials

Freudscher Theorie

Weiterentwicklungen auf

der Basis Freuds

Zentrifugalität:

Beispiele für die Umsetzung

Freudscher Visionen

• Verführungstheorie

• duale Triebtheorie

• Psychosexualität

• das dynamische Ubw

• der intrapsychische

Konflikt

• das Strukturmodell

• Abwehr / Widerstand

• die Übertragung

• Ich-Psychologie

• Gegenübertragung

• Zwei-Personen

Psychologie:

Objektbeziehungstheorie

- S. Ferenczi

- M. Klein

- M. Mahler

- M. Balint

- D. Winnicott

- O. Kernberg

………………………

• Selbstpsychologie

• Intersubjektivismus

• Beobachtende

Säuglings- und

Kleinkindforschung

• Sterns

Entwicklungspsychologie

• Bindungstheorie

• Mentalisierungskonzept

• Neurobiologie

• Kognitive Neurowissen-

schaften insbes.

Gedächtnisforschung

• Embodied Cognitive Science

• Moderne Psychoanalytische

Psychosomatik

• Genetik und Epigenetik

• Adverse Childhood

Experiences (ACE)

Institut für Psychotherapie

Green vs Stern: Statt wechselseitiger Befruchtung

Unüberbrückbarkeit beider theoretischer Ansätze

Green lässt als Erkenntnisquelle für Intrapsychisches nur die

analytische Situation gelten. Exklusivität des therapeutischen

Prozesses als Forschungsgegenstand !!!

D.h. ausschließlichen Verwendung der hermeneutischen

Methodik in der theoretischen Reflexion narrativen Materials;

Zurückweisung empirisch-objektivierender Forschung

Unterscheidung des Säuglings im Patienten vom Säugling der

Beobachtung.

Das sei das Feld der Psychoanalyse, nämlich das Unbewusste

im Analysanden zu erfassen.

Damit interessiert den Analytiker gar nicht der Säugling selbst,

sondern der „Säugling im Erwachsenen“ bzw.- bei

Kinderanalysen - „der Säugling im Kind“ (Green 2000, S. 453)

kein Interesse an der Frage: Was war wirklich?

keine interdisziplinäre Auseinandersetzung über

p.a.Konzepte möglich

Institut für Psychotherapie

Konvergenzen der Modelle zeitgemäßer

psychoanalytischer Entwicklungspsychologien

Freuds Modell einer „heroischen Individuierungs

geschichte, die im ödipalen Drama als innerer

Kampf zwischen Inzestwunsch und Kastrations-

angst, Mordphantasien und Schuldgefühl

inszeniert wird“ (Altmeyer & Thomä 2006)

…ergänzt von „einer romantischen Version

einer auf Einstimmung, Reziprozität und

Anerkennung beruhenden Ontogenese“

Institut für Psychotherapie

Die 4 bzw. 7 bedeutendsten „ Kinder“ der Psychoanalyse

im zeitlichen Ablauf (zit. n. Hohage 2008)

• Freuds Theorie der psychosexuellen Entwicklung;

Phasenlehre (1905)

• Melanie Klein (1930) Prozesse der Introjektion und

Projektion

• Margaret Mahlers (1952) Theorie der Entwicklung von

Separation und Individuation

• Kohut (1965) Entwicklung des narzisstischen Systems

…………………………………………………………………

• Bowlbys Bindungstheorie (1969)

• Psychoanalytische Säuglings- und Kleinkindforschung

(z.B. Dornes 1993, Stern 2010)

• Fonagy (2002): Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit

Institut für Psychotherapie

Unterschiedliche Theoriemodelle beantworten

unterschiedliche Fragen

Antwort auf die Frage:

„Was macht krank?“ bzw. „Was macht auf welche Weise

krank?“

Das Außen ?

z.B. Bowlby. Kohut, Psychotraumatologie

Das Außen und das Innen

z.B. Kernberg

Das Innen

z.B. Melanie Klein

Entscheidende Frage:

Und was mache ich damit in der Therapie?

Nicht dieselbe Frage

z.B. kleinianischer Analytiker vs bindungstheoretisch

ausgerichteter Th.

Institut für Psychotherapie

4 Neurosenmodelle als prägende Modellvorstellungen der

therapeutischen Arbeitsmodelle (Hohage 2011, S.60 ff)

Psychische (neurotische) Störung als Ergebnis …

Konflikt-

modell

…innerseelischer Konflikte.

Je nach theoretischem Konzept kann es um unvereinbare Motive gehen, um den

Kampf zwischen Es und Über-Ich, zwischen Trieb und Abwehr, zwischen Liebe und

Hass, Nähe und Distanz, Autonomie und Bindung usw.

Defizit-

modell

…gravierender Entbehrungen und Traumatisierungen in der Kindheit.

Die Störung wird begriffen als Ergebnis einer Fehlentwicklung, die durch ungünstige

Beziehungserfahrungen geprägt war. Resultat sind Defizite im Selbst und in der

Objektwahrnehmung (auch die Grundkonflikte nach Rudolf !)

Lern-

modell

…dysfunktionaler Lernprozesse.

Modell der VT, wird aber auch in psychodynamischen Verfahren genutzt. Viele

Strukturanteile (Defizitmodell) sind Ergebnis einer sinnvollen Anpassung an eine

problematische Umgebung

Trauma-

modell

…von früheren Ereignissen und Ereignisketten, die die

Verarbeitungsfähigkeiten massiv überforderten.

Für die innerseelischen traumatischen Prozesse werden neurobiologische Abläufe

verantwortlich gemacht.

Institut für Psychotherapie

Das Ergänzungsverhältnis der 4 Pathologien

Reaktive

Pathologie

Trauma-

pathologie

Konfliktpathologie

Strukturpathologie

Institut für Psychotherapie

Das Ergänzungsverhältnis der 4 Pathologien

Reaktive

Pathologie

Trauma-

pathologie

Strukturpathologie

Konflikt-

pathologie

Institut für Psychotherapie

Kennzeichen psychodynamischer Konflikte

Psychodynamisch bedeutsame Konflikte bezeichnen

eine unbewusste psychische Situation, in der zwei

oder mehr Wünsche, Strebungen oder

Handlungsimpulse nebeneinander bestehen, die

nicht gleichzeitig erfüllt, befriedigt oder in die Tat

umgesetzt werden können. (n. Deneke 2013, S. 324)

Synonyme: Spannung, Dilemma, innerer Zwiespalt,

Widerspruch, Zusammenstoß,

Antagonismus etc.

Institut für Psychotherapie

„Angst ist nicht gleich Angst“ (Hoffmann 2008)

Konfliktbedingte Genese pathologischer Ängste

z.B. isolierte Phobie

Freuds „Versuchung oder Versagung“ bestimmt die

auslösende Situation innerer oder äußerer Konflikt

subjektive Überforderung

Regression

Wiederbelebung infantiler (Trieb-)Konflikte

Abwehranstrengung

Misslingen der Abwehr

Erlebnis „Gefahr“

Angst (eher Panik)

Institut für Psychotherapie

Charakteristika des unbewussten Konfliktes-

Wissen wir mehr als Freud? (mod. n. Mertens 2005)

Psychoanalytische Theorien

Klassische PA (Freud)

Objektbeziehungstheorie (M.Klein)

Objektbeziehungstheorie

(Fairbairn, Guntrip)

Objektbeziehungstheorie (Erikson)

Bindungstheorie (Bowlby)

Objektbeziehungstheorie (Mahler)

Selbstpsychologie (Kohut)

Intersubjektive PA (Stolorow)

P.a. inspirierte Säuglings- und

Kleinkindforschung

Bevorzugt thematisierte Konflikte

Ödipaler Konflikt, Sexualität,

Schuld, Rivalität

Aggression und Neid

Nähe, Rückzug

Identität

Bindung und Exploration

Autonomie und Individuation

Selbstwert, Scham

Intersubjektive Anerkennung

Grundkonflikte n. Rudolf: Nähe,

Bindung, Autonomie, Identität;

OPD-Konfliktachse

AWUK (Jungclaussen)

Institut für Psychotherapie

Je nach theoretischer Orientierung zielt die

Therapie ab auf …

… einen verdrängten Triebimpuls, ein Motiv, oder

einen Wunsch

… unbewusste Abwehraktivitäten des Ichs

… unbewusste Objekt-(beziehungs)Phantasien

… unbewusste Bedürfnisse des Selbst

Klassische Technik ist die Deutung der ubw

Absichten, Wünsche, Intentionen oder Widerstände

Weitere, in der TP genutzte Möglichkeiten:

Übertragung fokussieren, alltägliche Muster

ansprechen, Arbeit an den Affekten und Fantasien,

Arbeit mit Teilpersönlichkeiten, Imaginationen etc.

Institut für Psychotherapie

Bedeutsame Weiterentwicklung: die OPD-

Konfliktachse …

… ist eine der bekanntesten derzeitigen

Konfliktübersichten

… erfasst zeitlich überdauernde und äußerlich (!)

beobachtbare Konfliktmuster

… möchte explizit primär oberflächennahe Konflikte

beschreiben, die sich in der Interviewsituation auch

unter Berücksichtigung der Gegenübertragung

beobachten und erleben lassen.

… zielt ab auf operationale Definitionen einzelner

Konflikte

… verfügt über eine beachtliche Interraterreliabilität

einzelner Konflikte

(n. Jungclaussen 2013, S.93)

Institut für Psychotherapie

Was erfassen wir mit der Konfliktpathologie

lt. OPD?

Die OPD muss sich der kritischen Frage stellen, ob tatsächlich

echte tiefe unbewusste Grundkonflikte abgebildet werden, da

das Ubw etwas Nicht-Deklaratives ist, das nur in genetischer

Rekonstruktion mitsamt den individuellen ubw

Sinnzusammenhängen erschlossen werden kann. (Jungclaussen 2013, S.93)

„Entscheidend für die Symptomgenese ist nicht die

Konfliktdramatik, sondern der versuchte Lösungsweg.“

(Deneke 2013, S. 329)

aktiver vs. passiver (Bewältigungs-)Modus in der OPD-

Konfliktachse als Konfliktlösestile ( Struktur ???)

Institut für Psychotherapie

Das Ergänzungsverhältnis der 4 Pathologien

Reaktive

Pathologie

Trauma-

pathologie

Konfliktpathologie

Struktur-

pathologie

Institut für Psychotherapie

Wissen wir mehr als Freud?

Beschäftigung mit den präverbalen Lebensphasen

des Kindes als bedeutsamste Erweiterung

Freudscher Forschung

Von der Ein-Person- zur Zwei-Personen-Psychologie

Umschwung zur Beschäftigung mit der frühen

dyadischen Mutter-Kind-Beziehung

Beobachtende psychoanalytisch inspirierte

Säuglings- und Kleinkindforschung

Struktur- und/bzw. Traumapathologie als wesentliche

Ergänzungen zur Konfliktpathologie

Fokussierung der nicht-mentalisierten Erfahrungen

im (unbewussten) impliziten Gedächtnis

Institut für Psychotherapie

Konflikt- und Strukturpathologie (Rudolf 2010)

Konfliktbezogener Ansatz und

Störungen

Internalisierung von negativen

Beziehungserfahrungen und

Objektvorstellungen (Objekthass, -

enttäuschung, -sehnsucht) mentalisiert

Speicherung der kindlichen

Beziehungserfahrungen im expliziten

narrativen Gedächtnis (mentalisiert aber

unbewusst)

Resultierend: negative

Selbstvorstellungen, pathogene

Überzeugungen

Folgeerscheinungen (Abwehrstrategien)

sind ebenfalls ubw

Spezielle Form der Abwehr: Übertragung

Strukturbezogener Ansatz und

Störungen

Fehlende Verfügbarkeit von positiven

Beziehungserfahrungen

Implizit körpernahe Speicherung der

frühen Erfahrungen, nicht mentalisiert

Resultierend: unzureichende

Entwicklung von strukturellen

Selbstkompetenzen, psychische

Werkzeugstörung, und dysfunktionale

Bewältigungsmuster

Folgeerscheinungen (Defizite und

Bewältigung) sind bewusstseinsnah,

wahrnehmbar

Institut für Psychotherapie

Orchestermodell der strukturellen Fähigkeiten (Arbeitskreis OPD -2 2006)

Institut für Psychotherapie

„Angst ist nicht gleich Angst“ (Hoffmann 2008)

Strukturbedingte Genese pathologischer Ängste

z.B. diffuse Ängstlichkeit und Panikattacken

Defiziente Entwicklung von Ich und Selbst Wahrnehmung der Insuffizienzen der Persönlichkeitsstruktur

(„Erlebnis der Brüchigkeit des Ichs“)

Signal

unzureichende Möglichkeiten der Abwehr/Kompensation

Erlebnis „Gefahr“

Angst (eher diffus)

Institut für Psychotherapie

Und wo bleibt das Psychoanalytische?

2 Systeme des Unbewussten

Das Bewusste und das Vorbewusste(Freud 1923)

Das emotional-rezeptive Ubw

(De Masi 2014)

Das dynamische bzw. verdrängte Ubw

(Freud 1923)

Institut für Psychotherapie

2 Zitate De Masi (2014, S. 241ff)

„Meine These ist, dass die mentale Gesundheit von

der Möglichkeit abhängt, einen Apparat zu

verwenden, der es uns erlaubt, unsere Emotionen zu

beherrschen und wach zu halten, sowie unserem

Dasein einen Sinn zu geben. Dieser Apparat ist bei

jedem Menschen ständig jenseits des klaren

Bewusstseins in Funktion. Manche Patienten

besitzen diesen Apparat oder haben zumindest die

Voraussetzungen dafür, ihn zu entwickeln; anderen

scheint er hingegen völlig abzugehen.“

Institut für Psychotherapie

2 Zitate De Masi (2014, S. 241ff)

„Ich möchte betonen, dass die Verdrängung nur erfolgen

kann, wenn eine Emotion zuvor bereits registriert wurde,

und dass es somit ein Unbewusstes gibt, das noch vor

dem dynamisch Unbewussten in Aktion tritt. Doch das

hört sich einfacher an, als es ist. Es ist nicht leicht zu

sagen, wie die Registrierung emotionaler Erfahrungen

vonstatten geht. Der Prozess hängt zu einem großen Teil

auch von der Entwicklung eines Rezeptororgans ab, das

zur Registrierung von Emotionen fähig ist, und genau

diese Bedingungen sind meiner Ansicht nach bei vielen

psychisch schwer Erkrankten (Borderline – und

Psychosepatienten) nicht gegeben.“

Fonagys These des Defizits der reflexiven Funktion !

Institut für Psychotherapie

„Das negative Universum der Leere und Löcher“

Schwere Strukturpathologien, gekennzeichnet durch

Enactments, nonverbale Muster von Objektbeziehungen,

Somatisierungen oder Handlungen, als Ergebnis von

nicht oder nur schwach repräsentierten seelischen

Zuständen

„unverdaute Fakten“ (Bion 1990, S. 53)

„projektive Evakuierung von angsterzeugenden

Erregungen“ (Bohleber 2014, S. 778ff)

Entscheidende Weiterentwicklung Freudscher Theorie :

„Jetzt war es nicht mehr das Verdrängte, das unter

Verneinung, Verdichtung oder Verschiebung seelisch

Verborgene, das aufgedeckt werden sollte, sondern es

ging um ein negatives Universum der Leere und Löcher“.

(Bohleber ebd.)

Institut für Psychotherapie

Das Ergänzungsverhältnis der 4 Pathologien

Reaktive

Pathologie

Konfliktpathologie

Struktur-

pathologie

Trauma-

pathologie

Institut für Psychotherapie

Definitionen des Traumas als Ereignismerkmal

gestern und heute

Traumadefinition

Freud (1915-1917)

„Wir nennen so (Anm. Trauma)

ein Erlebnis, welches dem

Seelenleben innerhalb kurzer

Zeit einen so starken

Reizzuwachs bringt, dass die

Erledigung oder Aufarbeitung

desselben in normal-

gewohnter Weise missglückt,

woraus dauernde Störungen

im Energiebetrieb resultieren

müssen.“

Traumadefinition

Bohleber (2008)

„Es bleibt ein Zuviel, ein Zuviel

an Hilflosigkeit, ein Zuviel an

sympathischer und

parasympathischer Erregung,

ein Zuviel an Noradrenalin und

Cortisol und ein Zuviel an

traumatisierender Gewalt, die

sich der Bedeutungsgebung

entzieht. Es bleibt ein massiver

Überschuss, der die seelische

Struktur durchbricht und nicht

psychisch gebunden werden

kann.“

Institut für Psychotherapie

Das Traumamodell der Verführungstheorie

Freuds

Ubw Erinnerungsspur

Sexuelles Erlebnis in der

Adoleszenz

frühes

sexuelles

Trauma

Nachträgliche

Bearbeitung und

Besetzung

Überflutung mit sexuellen

Reizen durchbricht Abwehr

Institut für Psychotherapie

Traumapathologie gestern und heute

Freuds Verführungstheorie

Das Trauma durchbricht den

Reizschutz und kann nicht abreagiert,

verarbeitet, integriert werden

Es wird auch nicht symbolisch

repräsentiert, sondern bleibt als ubw

Erinnerungsspur erhalten „Wiederholen

statt Erinnern“

Prinzip der Nachträglichkeit: Pathogene

Potenz entsteht in der Reproduktion

traumatischer Szenen in nachträglicher

Bearbeitung, durch assoziativ

verknüpfte spätere Erfahrungen, eigene

sexuelle Impulse u.ä.,

Das abgespaltene Material äußert sich

in tranceartigen Zuständen, Angst,

Aggressivität, Sexualisierung

Theorie der defizitären

Repräsentanzenbildung

Veränderte Prozessualisierung des

Gedächtnisses durch exzessive

Erregung des Organismus in der

traumatischen Situation

Überwältigung und Lähmung der

integrativen Funktionen des

Gedächtnisses

Störung der Weiterverarbeitung von

Wahrnehmungen, Reaktionen und

Affekten zu einer assoziativ in

Bedeutungskategorien erfassten

Erinnerung

Verbleiben in einem prä-

repräsentionalen Zustand, der wie ein

Fremdkörper wirkt und dem

Wiederholungszwang unterliegt

Institut für Psychotherapie

Die Bildung von Täterintrojekten

„Traumatische Gewalt von außen, überwältigende

Verlustangst, d.h. Verlust der einzig denkbaren

Liebesobjekte, ungeheure Aggression, Schuldgefühl,

das Missbrauchssystem verlassen zu wollen, das

Geheimnis d.h. das Fehlen eines Zeugen und das

verleugnende Schweigen verhindern zusammen, dass

das Introjekt aufgegeben werden kann“ . (Hirsch 2004, S. 36 ff)

Traumapathologie als Beispiel des

Zusammenwirkens der (naturwissenschaftlich-)

psychoökonomischen und hermeneutisch-

objektbeziehungstheoretischen Perspektive

Institut für Psychotherapie

Institut für Psychotherapie

Struktur-

Pathologie

Konflikt-

Pathologie

Trauma-

Pathologie

Reaktive

Pathologie

Ursache Kumulative

Mikrotraumen

Beziehungs-

Konflikte

Frühes

Trauma

Psychosoziale

Belastung

Kernkomplex Entwicklungs-

defizite

Neurotische

Konflikt-

episoden

Verdrängtes

Trauma

Entfällt

Abwehrtypus Spaltung und

Projektion

Verdrängung Dissoziation Unspezifisch

Persönlichkeits-

züge

Funktions-

einschränkend

Abwehr-

stabilisierend

Trauma-

vermeidend

Unspezifisch

Funktionsniveau

der psychischen

Struktur

Niedriges

Niveau

Höheres

Niveau

(Latent)post-

traumatisch

Reifes

Niveau

Auslösesituation Strukturelle

Überlastung

Konflikt-

aktivierung

Trauma-

erinnerung

Überforderung

Primäre

Symptome

Offenlegung

der Ich-Schwäche

Defensive

Notreaktion

Trauma-

aktivierend

Erschöpfung

des Coping

Komorbidität Ausgeprägt als

Strukturersatz

Gering Dissoziations-

schutz

Entfällt

Therapierelevante Aspekte der unterschiedlichen Pathologien

im Überblick ( mod. n. Ermann 2007, S.81)

Institut für Psychotherapie

Der prozesshafte Umgang mit Theorie in der Therapie

Theoretisches Verständnis

Beziehungs-verständnis

Ätiologisches Verständnis

Psychodynam. Verständnis

Interventions-verständnis

Konflikt

Struktur

Trauma

Stress

Institut für Psychotherapie

Wie wird Theorie in der Praxis angewendet?

„Ein Analytiker ruft in der Behandlungsstunde nicht

einfach theoretische Überlegungen und Konzepte aus

seinem Gedächtnis ab; vielmehr vollzieht sich ein

Entdeckungsprozess, in dem er die auf dem klinischen

Material beruhende Theorie wiederentdecken muss,

auch wenn er sie bereits internalisiert hat. Auf diese

Weise entwickelt der Analytiker implizite und private

Theorien, die nicht bewusst sind.“ (Bohleber et al. 2013)

Institut für Psychotherapie

Take home message

Genuin psychoanalytisches und psychodynamisches Denken und

Behandeln basiert nicht primär auf der Anwendung empirisch

gesicherter Forschungsergebnisse.

Gleichwohl wäre aktuelle psychoanalytisch-psychodynamische Theorie

ohne die Integration naturwissenschaftlicher und empirisch gesicherter

Befunde nicht mehr denkbar. Dies jedoch nicht im Sinne

konkretistischer Denk- und Handlungsanweisungen, sondern auf dem

Wege der Übersetzung dieser Erkenntnisse in die Sprache

unbewusster Prozesse.

Zentrales Axiom ist die Untersuchung aktuell wirksamer unbewusster

Psychodynamik, wie sie sich in der Dynamik von Ü und GÜ abbildet.

Dabei kommen unterschiedliche theoretische Konzepte zum Einsatz,

die im individuellen Fall immer wieder reflektiert bzw. neu entdeckt

werden müssen.

Unser theoretisches Wissen insbes. in Bezug auf ätiopathogenetische

Modelle bildet sozusagen die unbewusste „Hintergrundsmusik“, aus

der wir dann bewusste „Melodien“ entwickeln, die unser

therapeutisches Denken und Handeln leiten.

Institut für Psychotherapie

Vielen Dank für

Ihre

Aufmerksamkeit !