Axel Ranisch inszeniert Orlando Paladino...Haydns Orlando Paladino an die Bayerische Staatsoper...

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113 Festspielpremiere Orlando Paladino Axel Ranisch inszeniert Orlando Paladino

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113Festspielpremiere Orlando Paladino

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MAX JOSEPH Ohne nachzudenken: Nennen Sie

uns drei Filmszenen, die Sie nie vergessen

werden.

AXEL RANISCH 1. Mozart liegt todkrank im Bett und diktiert

Salieri das Requiem (Amadeus, Regie: Miloš Forman)

2. Billy Elliot tanzt seinem Bergarbeitervater in der

Turnhalle vor (Billy Elliot, Regie: Stephen Daldry)

3. Gabriela Maria Schmeide erwischt Thorsten Merten

und Steffi Kühnert in der Badewanne (Halbe Treppe,

Regie: Andreas Dresen)

MJ Wissen Sie noch, in welchem Umfeld Sie diese

Filme gesehen haben und ob sie etwas in Ihnen

verändert haben?

AR Amadeus ist mein Lieblingsfilm, seit ich ihn

mit neun Jahren das erste Mal gesehen habe. Am

23. Dezember 1992 im „kleinen Zimmer“ meiner Groß-

eltern, während die Erwachsenen in der Stube den

71. Geburtstag meiner Großmutter gefeiert haben. Seit-

dem hab ich ihn an die hundert Mal gesehen. Heute

kann ich jeden Dialog mitsprechen.

Sobald Billy Elliot in der Eröffnungssequenz auf

seinem Bett Trampolin springt, schießen mir die Tränen

in die Augen. Das ist das Ding mit der Kraft der

Familie. Nichts berührt mich mehr als Familienzusam-

menhalt.

Halbe Treppe ist mein Erweckungsfilm. Ohne ihn

wäre ich niemals Filmemacher geworden. Denn so, wie

Axel Ranisch kehrt für die Inszenierung von Joseph Haydns Orlando Paladino an die Bayerische Staatsoper zurück. Für Max Joseph beant wor tete er Fragen zur heilenden Kraft des Kinos.

Axel Ranisch, geboren in Berlin, absolvierte

zunächst eine Ausbildung zum Medien- und

Theaterpädagogen und leitete als solcher zahl-

reiche soziale Projekte. Von 2004 bis 2011

studierte er Regie an der Hochschule für Film

und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-

Babelsberg. 2011 gründete er die Produktions-

firma „Sehr gute Filme“ und drehte Filme wie

Dicke Mädchen (2011), Ich fühl mich Disco

(2013), Reuber (2013) und Alki Alki (2015).

2017 wurde die Tatort-Folge Babbeldasch

ausgestrahlt, bei der er Regie führte.

Bei den Münchner Opernfestspielen 2013

inszenierte er The Bear/La voix humaine,

2015 die Familienoper Pinocchio. Zudem

ist gerade sein erster Roman erschienen:

Nackt über Berlin.

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es Dresen in diesem Film macht, wollte auch ich Ge-

schichten erzählen und Filme drehen. Nur bis dahin

wusste ich nicht, dass sowas möglich ist. Ich hab ihn

acht Mal im Kino gesehen, weil ich ihn mit jedem mei-

ner Freunde teilen wollte. So genial fand ich ihn. Einmal

hab ich einen Jungen mitgenommen, in den ich unend-

lich verliebt war. Während der ganzen Vorstellung hab

ich aber nur ihn angeschaut. Leider hat er es gemerkt

und mir danach einen Korb gegeben.

MJ Gibt es einen Film oder eine Filmszene, die Sie

mit „Heilung“ verbinden?

AR Da fällt mir Shine – Der Weg ins Licht mit

Geoffrey Rush als David Helfgott ein, der als junger,

gefeierter Pianist einen Nervenzusammenbruch erleidet

und eine schizoaffektive Störung entwickelt. Doch in

seinem Fall ist die Krankheit in gewisser Weise wie

eine neue Chance und hilft ihm, Lebensfreude, Liebe

und Leichtigkeit zu entdecken. Erst durch die Störung

wird er vom psychischen Druck geheilt, der sein Leben

zuvor unerträglich gemacht hat.

MJ Welchen Film empfehlen Sie so vielen Menschen

wie möglich, auf dass die Welt sich zum Besse-

ren verändere?

AR Anatevka – weil uns allen die Uneitelkeit und

das große Herz von Tewje, dem Milchmann, ein Vorbild

sein sollte.

Orlando Paladino

Dramma eroicomico in drei Akten

Von Joseph Haydn

Premiere am Montag, 23. Juli 2018,

Prinzregententheater

Weitere Termine im Spielplan ab S. 209

Fotografie Kirchknopf + Grambow

„Sobald Billy Elliot in der Eröffnungs sequenz auf seinem Bett Trampolin springt, schießen mir die Tränen in die Augen.“

– Axel Ranisch

Über Orlando Paladino

Er ist ritterlich und lächerlich zugleich: der

Kreuzritter Orlando, der durch den Versroman

Orlando furioso (Der rasende Roland) von

Ludovico Ariost einen festen Platz in der euro-

päischen Literaturgeschichte eingenommen

hat. Als Ritter ist er anerkannt, seine Stärke,

sein Kampfgeist, seine Intelligenz sind

un bestritten – solange die Liebe nicht ins Spiel

kommt. Doch darum geht es, auch in Haydns

Oper. Orlando ist unsterblich in die Königin von

Kathai, Angelica, verliebt, die wiederum

Medoro liebt und daher Orlando flieht. An der

Ablehnung wird Orlando wahnsinnig und

durchstreift rasend die Welt. Die Oper ist ein

geschicktes Motivspiel über die Frage nach

menschlichem Glück. Als „Dramma eroicomico“

hat Joseph Haydn seine zu Lebzeiten in ter -

national erfolgreichste Oper von 1782 bezeichnet;

sie zeigt schon in der Gattungsbezeichnung,

woran der Komponist in seinem Opernlabor

auf Schloss Esterházy interessiert war:

nämlich den Menschen mit all seinen Brüchen

ernst zu nehmen und ihn musikalisch

auszuloten, selbst wenn es skurril wirkt.

Wie, von Haydn?

Joseph Haydns Opernwerk wird schmählich vernach- lässigt. Warum? Eine Erklärung und ein Plädoyer.

Festspielpremiere Orlando Paladino 117

Als „Papa Haydn“ starb Joseph

Haydn 1809 international bekannt

und hochgeachtet in seiner Geburts-

stadt Rohrau in der Nähe von Wien.

Doch die damals weitverbreitete,

eigentlich als Ehrbezeigung gemein-

te Anrede – weil sich der Kompo-

nist immer väterlich für alle Ange-

stellten und Schüler einsetzte – hat

ihn schon damals zur einer Erschei-

nung von gestern abgestempelt,

und seit Robert Schumanns Bemer-

kung vom gern gesehenen „Haus-

freund“, der einem nichts Neues

mehr zu sagen habe, war Haydn

vollends zur gemütlichen Rand-

erscheinung marginalisiert. Einzig

seine Streichquartette sind von

diesem Verdikt unbeschädigt geblie-

ben; selbst seine Symphonien, die

impulsiven der Sturm-und-Drang-

Zeit ebenso wie die meisterhaften,

reifen Pariser und Londoner, wer-

den allzu oft noch als Einspiel stücke

missbraucht. Aber es ist eine ande-

re Gattung in Haydns Œuvre, die

die Nachwelt am schmählichsten

missachtet hat: die Oper.

Der Schriftsteller Arnold Zweig

rühmt 1962 in einer kleinen Hom-

mage nacheinander die Klaviersona-

ten, die maßstabsetzenden Streich-

quartette, die vielgestaltigen Sym-

phonien, die großformatigen Orato-

rien – und verliert dabei kein einzi-

ges Wort über die Opernpartituren.

Vor wenigen Jahren veröffentlicht

der Musikwissenschaftler Ludwig

Finscher, unter anderem Heraus-

geber der Enzyklopädie Musik in

Geschichte und Gegenwart, eine

voluminöse Haydn-Mono graphie,

558 Seiten stark. Wie viele davon

widmet er dessen Theaterœuvre?

Nicht einmal 30: weniger als ein

Zwanzigstel des Umfangs.

Schon einer von Haydns ersten

Biographen – der den Künstler per-

sönlich kannte – legte der Nachwelt

eine falsche Fährte; „Haydn auf

dem Theater ist nicht mehr Haydn“,

notierte Giuseppe Carpani 1812.

Aber vielleicht hat man sein Dik-

tum auch nur falsch verstanden –

als kurioses Fehlurteil vergangener

Zeiten anstatt, wie die Musikfor-

scherin Regula Rapp es vorschlägt,

als Herausforderung: den Haydn

des Theaters als einen neuen Kom-

ponisten erst noch zu entdecken.

Denn Haydn selbst hielt sein mu-

sikdramatisches Schaffen „für den

wesentlichen Teil seines Lebenswer-

kes“ (Hans-Josef Irmen). Es geht

also nicht um die Vernachlässigung

einer Nebensächlichkeit, es geht um

fast zwanzig italienische Opern und

vier deutsche Singspiele; es geht um

eine drei Jahrzehnte währende Tä-

tigkeit als Kapellmeister am Hofe

des Fürsten Esterházy. So lange

nämlich war Haydn dort in Diensten,

dreißig Jahre verantwortlich für die

Opernaufführungen auf Schloss

Esterháza: In dieser Zeit leitete er

die Einstudierung von 88 Opern und

dirigierte insgesamt rund 1.200 Vor-

stellungen, darunter die wesent-

lichen Opern der damals tonange-

benden Komponisten und natürlich

viele eigene Werke. Nicht alle davon

sind überliefert, von manchen ken-

nen wir nicht viel mehr als den

Titel. Aber immerhin noch 13 liegen

vor, aufführbar und vollständig.

Doch kaum eine – mal Lo speziale,

mal Armida, mal seine Orpheus-

Version mit dem Titel L’anima del

filosofo – hat auf un seren Opern-

bühnen einen Platz gefunden.

Noch nicht ganz 30 Jahre alt,

trat Haydn 1761 seine Stellung als

Kapellmeister am Hofe des Fürsten

Paul Anton Esterházy in Eisenstadt

an. Paul Anton starb zwar kurze

Zeit darauf, doch für die Kunst

brach mit seinem brüderlichen

Nachfolger eine noch bessere Zeit

an: Nikolaus „der Pracht liebende“

ließ einige Kilometer südöstlich des

Neusiedler Sees nahe der öster-

reichischen Grenze, inmitten eines

Moores, Schloss Esterháza errich-

ten. Nikolaus fühlte sich in seiner

Som merresidenz so wohl, dass er

bald den größten Teil des Jahres

dort verbrachte und sich immer un-

williger und kürzer in Eisen-

stadt oder gar Wien blicken ließ.

Eine Entwicklung, die für Haydn

durchaus zwiespältig war, blieb ihm

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dadurch doch der direkte Kontakt

mit der Musikwelt verwehrt: „Mein

Unglück ist nur mein Aufenthalt

auf dem Land“, meinte er. Als

Opernkomponist von hier aus be-

kannt zu werden war schwierig, weil

die Kenner aus den Metropolen sich

selten in die westungarische Sumpf-

landschaft verirrten. Andererseits

hatte Haydn in Esterháza beste,

stetige Bedingungen und konnte

seine künstlerischen Vorstellungen

ungehindert verwirklichen.

Schnell erwarb sich die Resi-

denz den Beinamen eines „ungari-

schen Versailles“. Haydn hatte

dafür zu sorgen, dass dieser Ruhm

nicht äußere Fassade blieb, son-

dern Säle und Theater (es gab meh-

rere) ständig mit Klang erfüllt

waren: In der Hochphase wurde

sogar mehrmals in der Woche Oper

gegeben. Viel Arbeit für den Kom-

ponisten, aber auch viel Lohn:

„Mein Fürst war mit allen meinen

Arbeiten zufrieden, ich erhielt Bei-

fall, ich konnte als Chef eines

Orchesters Versuche machen, be-

obachten, was den Eindruck her-

vorbringt und was ihn schwächt,

Nicht nur bühnentechnisch waren

Haydns Opernaufführungen auf

dem Stand der Zeit, musikalisch-

dramatisch boten sie damals wie

heute in ihrem unkonventionellen

Zuschnitt ein hohes Maß an Inno-

vation, ja, sie waren von einer ver-

blüffenden, die Zeiten überdauern-

den Aktualität: La vera costanza

(„Die wahre Beständigkeit“) ist in

Umfang und Dichte ein großer

Schritt auf dem Weg von der Buffo-

Oper zur Semiseria, wie sie von

Mozart und Da Ponte geprägt wer-

den würde. In diesem Stück gibt es

den Grafen Errico, der sich schon

laut Libretto geradezu atemberau-

bend inkonsequent verhält, er wi-

derspricht sich in einem fort und

stürzt scheinbar unmotiviert von

einem Extrem ins andere. Haydn

ergreift diese Fülle an undurch-

sichtigen Wendungen; er stattet

seine Figur auch mit musikalischen

Maskeraden aus, von komisch-iro-

nischem bis tiefernstem Tonfall,

und liefert damit einen Schlüssel

zum Verständnis ihrer emotiona-

len Achterbahnfahrt: Errico leidet

unter einer Psychose, aus der er

sich selbst nicht befreien kann. Und

die Worte, die das Fischermädchen

Rosina im 2. Akt an den Marquis

Ernesto richtet, atmen schon etwas

vom aufmüpfigen Geist des Bar-

biers Figaro aus Beaumarchais’

Schauspiel (das gerade ein Jahr

zuvor in Paris erschienen war und

Haydn so schnell kaum bekannt

geworden sein konnte): „Welches

Recht habt Ihr über meine Frei-

heit? Dass Ihr adlig seid, ist ein

bloßer Zufall, und wenn Eure

Tugend Euch nicht leitet und Ihr

Euern Rang nicht mit würdigen und

erlauchten Taten zu bewahren wisst,

seid Ihr ein Plebejer, nicht ein Edel-

mann.“

Der hintergründige, auch in

Haydns Klaviersonaten zu verneh-

mende – und mithin genuin musika-

„Und so musste ich original werden.“ – Joseph Haydn

also verbessern, zusetzen, weg-

schneiden, wagen.“

Seit 1776 gab es in Esterháza

einen regelmäßigen Spielbetrieb mit

eigenem Orchester und Sänger-

Ensemble; in jenem Jahr allein di-

rigierte Haydn rund 125 Opernvor-

stellungen. Das „alte“ Theater

(1779 brannte es ab und wurde durch

ein größeres ersetzt) stand „an

einer Allee von wilden Kasta nien-

bäumen“ im nach französischem

Geschmack angelegten Schloss-

garten und verfügte über einen 400

Plätze umfassenden, farbenprächtig

in Gold, Rot und Grün ausstaffier-

ten Zuschauerraum mit sechs gro-

ßen Fenstern und einer mit allego-

rischen Fresken bemalten Decke.

Die Guckkastenbühne, etwa acht

Meter breit und achtzehn Meter tief,

war typisch für die Kulissenbühne

der Zeit, die mit hintereinander ge-

staffelten Prospekten die Illusion

von Tiefe und Plastik zu erwecken

versuchte und außerdem mit Versen-

kungen und Flugwerken ausgestat-

tet war (die in vielen Opern Haydns,

beispielsweise in Il mondo della

luna, ausgiebig zum Einsatz kamen).

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zend Zeilen zusammenfassen kann

– genau wie die Musik, die vor lauter

Ideenfülle jede Schublade sprengt.

Vor sieben Jahren hat die Bayeri-

sche Staatsoper Haydns La fedeltà

premiata („Die belohnte Treue“) in

einer Opernstudio-Produktion neu

vorgestellt, auch dies ein Werk, das

zwischen heldenhaft und lustig ins

Schwanken gerät. Nun kommt

Orlando paladino, zu Haydns Leb-

zeiten seine meistgespielte Oper, als

Festspielpremiere im Prinzregen-

tentheater zur Aufführung. Ganz

ähnlich wie bei den Münchner

Opernfestspielen muss auch damals

bei Nikolaus’ Festivitäten eine be-

sondere Atmosphäre geherrscht

haben, denn seine Opernvorstellun-

gen waren kein exklusives Vergnü-

gen für den Hochadel, sondern offen

für jedermann – bei freiem Eintritt:

Die Fürsten genossen die Auffüh-

rungen vom Rang aus, während die

bürgerlichen Gäste das Vergnügen

im Parkett hatten. Oper für alle

also in einer frühen Inkarnation.

Passenderweise vertonte Haydn oft

Stoffe, die nicht mit antiken Göttern

und Heroen zu tun hatten, sondern

– wie zum Beispiel in L’infedeltà

delusa – mit einfachen toskanischen

Bauersleuten. Der an Beaumarchais

gemahnende Spott auf die Aristo-

kratie dürfte den noch, wie der

Haydn-Experte H. C. Robbins

Landon meint, für einige Überra-

schung gesorgt haben – aber die

musika lische Einkleidung war so

charmant, dass niemand etwas

einwenden konnte. (Haydns Diplo-

matie in dieser Hinsicht ist seit der

Abschiedssym phonie schließlich

legendär.) Wie anders sonst hätte

sich Maria Theresia so wohl und gut

unterhalten gefühlt, dass sie (nach

einer Aufführung von L’infedeltà

delusa) gesagt haben soll: „Wenn

ich eine gute Oper hören will, gehe

ich nach Esterház.“ Was für ein

Wort aus dem Munde der Wiener

Kaiserin! Und welch ein Lob auf

die Provinz! Selbst wenn Haydn

manchmal mit seiner Situation

weitab vom Weltgetümmel geha-

dert hat, wusste er doch, was ihm

die Beschränkung aufs eigene Den-

ken beschert hat: „Ich war von der

Welt abgesondert, niemand in mei-

ner Nähe konnte mich an mir selber

irre machen und quälen, und so

musste ich original werden.“

lische – Witz ist das Unterlaufen von

Erwartungen: überraschende har-

monische und motivische Abwei-

chungen, unerwartete Stimmungs-

wechsel, „falsche“ Akzente. „Ein

ebenfalls aus dem Geist der Musik

heraus geschaffenes Spannungsmit-

tel ist Haydns Unterbrech ungs-

tech nik. Immer wieder unterlegt

er Momenten einer Glücksem pfin-

dung die Vorahnung eines schlim-

men Endes“, formuliert es Ulrich

Schreiber auf die musikalische Dra-

maturgie bezogen. „Um so überra-

schender“ jedoch sei „die Tatsache,

dass der Komponist auf der Hand

liegende szenische Wirkungen gera-

dezu vergibt.“ Oder ist es gerade

andersherum? In der Schlussszene

von L’infedeltà delusa („Die verei-

telte Untreue“) geht Haydn über den

eigentlichen Knalleffekt zunächst

scheinbar nonchalant hinweg: Nach-

dem Vespina sich des Notarkostüms

entledigt hat (der vierten Verklei-

dung, in die diese Despina-Vorläufe-

rin während des Stückes geschlüpft

ist), spielt die Musik fünf Takte wei-

ter, ehe die genasführten Männer ihr

Erstaunen ausdrücken dürfen. Aber

vielleicht ist auch hier „Papa Haydn“

eben klüger als die Konvention und

komponiert die Schrecksekunde mit,

in der man eben noch nicht begreift,

was einem gerade geschehen ist. Sol-

cherlei Feinheiten sind unzählige

versteckt in Haydns Opern.

Für Orlando paladino erfand

Haydn eine ganz neue Gattungsbe-

zeichnung: Das „dramma eroicomi-

co“ ist ein Unikum – weder vorher

noch nachher hat ein Komponist die

Janusköpfigkeit seines Bühnenwir-

kens so auf den Punkt gebracht.

Ariosts Versepos Orlando furioso,

der wohl reichste Stoffsteinbruch

für die Librettisten der vergangenen

Jahrhunderte, dient als Vorlage für

die Handlung, die aber dermaßen

verrückt hin- und herspringt, dass

man sie kaum auf einem Halbdut-