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Zahlstellen des Landesvereins: Postbank Karlsruhe, Kto.-Nr. 16468-751, BLZ 660 100 75 Sparkasse Freiburg – Nördl. Breisgau Kto.-Nr. 2003201, BLZ 680 501 01 Heft 2, Juni 2005/85. Jahrgang E 1459 Badische Heimat MEIN HEIMATLAND ISSN 0930-7001 Zeitschrift für Landes- und Volkskunde, Natur-, Umwelt- und Denkmalschutz Herausgeber: Landesverein Badische Heimat e. V. Für Heimatkunde und Heimatpflege, Natur- und Denkmalschutz, Volkskunde und Volkskunst, Familienforschung Landesvorsitzender: Adolf Schmid, Freiburg Schriftleitung und Redaktion: Heinrich Hauß Weißdornweg 39, 76149 Karlsruhe, Tel. und Fax: (07 21) 75 43 45 Geschäftsstelle: Haus Badische Heimat, Hansjakobstr. 12, 79117 Freiburg Tel. (07 61) 7 37 24, Fax (07 61) 7 07 55 06 Geschäftszeiten: Mo., Di., Do., Fr. 9.00–12.00 Uhr Internet: http://www.badische-heimat.de E-Mail: [email protected] Die Herausgabe dieser Zeitschrift wird vom Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Regierungspräsidium Freiburg, unterstützt. Die Zeitschrift erscheint vierteljährlich. Der Verkaufspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag abgegolten. Jahrespreis für Einzelmitglieder 26 . Preis des Heftes im Einzelverkauf für Nichtmitglieder 7,50 . Nachbestellung eines Heftes für Mitglieder 6,50 . Für den Inhalt der einzelnen Beiträge sind ausschließlich deren Verfasser verantwortlich. Für unverlangte Manuskripte, Bildmaterial und Besprechungsstücke wird keine Haftung übernommen. Rücksendung bei unangeforderten Manuskripten erfolgt nur, wenn Rückporto beiliegt. Alle Rechte der Vervielfältigung und Verbreitung behält sich der Landesverein vor. Veröffentlichte Manuskripte gehen in das Eigentum des Landesvereins über. Titelbild: Turm des Berckheimschen Schlosses, heute Sitz der Stadtverwaltung Foto: G. Steinmetz Gesamtherstellung: G. Braun Buchverlag im DRW-Verlag Weinbrenner GmbH & Co. KG Kaiserallee 87 76185 Karlsruhe Dorothee Kühnel Tel. (07 21) 50 98-61 Fax (07 21) 50 98- 89 E-Mail: [email protected] Zur Zeit ist die Anzeigenpreisliste Nr. 8 gültig

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Sparkasse Freiburg – Nördl. BreisgauKto.-Nr. 2003201, BLZ 680 501 01

Heft 2, Juni 2005/85. Jahrgang E 1459

Badische HeimatMEIN HEIMATLAND

ISSN 0930-7001Zeitschrift für Landes- und Volkskunde,

Natur-, Umwelt- und DenkmalschutzHerausgeber: Landesverein Badische Heimat e. V.

Für Heimatkunde und Heimatpflege, Natur- und Denkmalschutz,Volkskunde und Volkskunst, Familienforschung

Landesvorsitzender: Adolf Schmid, Freiburg

Schriftleitung und Redaktion: Heinrich HaußWeißdornweg 39, 76149 Karlsruhe, Tel. und Fax: (07 21) 75 43 45

Geschäftsstelle:Haus Badische Heimat,

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Inhalt

I. 1250 Jahre Weinheim

Weinheim, die WohlfühlstadtOberbürgermeister HeinerBernhard über seine Stadt, den Heimatbegriff und dieChancenim JubiläumsjahrHeiner Bernhard . . . . . . . . . . . . 165

Vom Fürstensitz zum RathausFast fünf JahrhunderteGeschichte und Geschichtenum das Weinheimer SchlossHeinz Keller . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Weinheim – Porträt einer StadtAndrea Rößler . . . . . . . . . . . . . . 193

Das Paradies von DeutschlandDie Stadt Weinheim im Bergsträßer Fremdenverkehrdes 19. JahrhundertsHeinz Schmitt . . . . . . . . . . . . . . 205

Vom Werden einer IndustriestadtWilli A. Boelcke . . . . . . . . . . . . . 215

Der Weinheimer ExotenwaldEine dendrologische Kostbar-keit am Herzen einer StadtUlrich Wilhelm . . . . . . . . . . . . . . 226

Das Museum der Stadt WeinheimClaudia Buggle . . . . . . . . . . . . . . 238

Vom vorherrschenden Drang zu einer ungesetzlichen FreiheitWeinheim im VormärzRainer Gutjahr . . . . . . . . . . . . . . 240

II. Leo Wohleb

Leo Wohleb: 2. September1878–12. März 1955Ausstellung und Gedenkfeier in FreiburgAdolf Schmid . . . . . . . . . . . . . . . 262

III. Baden in Europa

Baden in Europa 1806–1918Erweiterte Fassung eines Vortrags, gehalten im Rahmeneiner Veranstaltung der StiftungEUFORI (Stiftung für Wissenschaft und Kunst,Karlsruhe) am 27. Juni 2003 in EttlingenKarl Josef Trauner . . . . . . . . . . . 267

IV. Geschichtliche Themen

Marianne WeberDie erste Rednerin im badischen ParlamentKonrad Exner . . . . . . . . . . . . . . . 277

Waren die Salpeterer„Freiheitskämpfer?“Joachim Rumpf . . . . . . . . . . . . . 281

„… die Hochschuljahre sind ihr Tag von Langemarck“– Akademische Erinnerungs-kultur –Christian Heuer . . . . . . . . . . . . . 286

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„Tätige Fürstin in Residence“Aus den Briefen einer HofdameLeonhard Müller. . . . . . . . . . . . . 292

V. Aktuelle Informationen

I. Personen

Karl Siegfried Bader zum GedenkenReiner Haehling von Lanzenauer . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

E Freudestund isch nit verwehrtJohannes Wenk-Madoery zum75. GeburtstagElmar Vogt . . . . . . . . . . . . . . . . . 300

Nachruf für Horst FerdinandStephan Ferdinand. . . . . . . . . . . 301

II. In Memoriam

In MemoriamDr. Hermann PersonProf. Dr. Horst FerdinandAdolf Schmid . . . . . . . . . . . . . . . 302

III. Vereine

Das SchwarzwälderTrachtenmuseum in Haslach im KinzigtalDie umfangreichsteTrachtensammlung im Lande wird 25 Jahre alt . . . . . . . . . . . . 303

Ein kultureller Silberstreifen:„Verein Deutsche Sprache e. V.“Adolf Schmid . . . . . . . . . . . . . . . 303

IV. Ausstellungen

200. Geburtstag Hans ChristianAndersensAusstellung und Broschüre imKarlsruher Literaturmuseum: H. C. Andersen zu Besuch inKarlsruhe. Ausstellung vom11. April – 12. Juni 2005Heinrich Hauß . . . . . . . . . . . . . . 304

Zwischen Sonne und Halbmond300 Jahre Barockresidenz Rastatt. 350. Geburtstag desMarkgrafen Ludwig Wilhelm von BadenHeinrich Hauß . . . . . . . . . . . . . . 304

Kunsthandwerk –Landesausstellung 2004Adolf Schmid . . . . . . . . . . . . . . . 305

Jüdisches Leben in Sulzburg, 1900–1940Hermann Althaus . . . . . . . . . . . . 306

Fotoausstellung„Auf den zweiten Blick“Jochen Schicht . . . . . . . . . . . . . . 306

Vom Bodensee an den NeckarEine Ausstellung vonBücherschätzen aus derehemaligen ZisterzienserabteiSalem in der Universitäts-bibliothek HeidelbergAnton Burkard . . . . . . . . . . . . . . 307

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V. Städte

Freiburg –und „der schönste Turm auf Erden“Adolf Schmid . . . . . . . . . . . . . . . 311

Zu neuer Identität undSelbstbewusstsein gefunden„Jetzt erst Recht“: Karlsruhe treibt 2010-Leit-projekte weiter . . . . . . . . . . . . . . 311

VI. Aktivitäten

Pflanz mit!Adolf Schmid . . . . . . . . . . . . . . . 312

VI. Ausstellungen in Baden . . . . 314

Die Schriftleitung dankt Herrn Bibliotheks- und Archivdirektor i. R. Dr. Heinz Schmitt für dieAnregung, das Jubiläum der Stadt Weinheim zum Anlass zu nehmen, die Stadt mit einemSchwerpunkt in unseren Heften zu thematisieren. Wir sind Herrn Dr. Schmitt auch zu Dankverpflichtet für die Vermittlung der Aufsätze.

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Der Dichterfürst kann nicht ganz falschliegen. „Hier ist es köstlich zu weilen“,schwärmte kein Geringerer als der jungeJohann Wolfgang Goethe in den 40er Jahrendes 18. Jahrhunderts, als er auf der Heimreisenach Frankfurt in Weinheim Station machte.Und selbst die morbide Lebens- und Unter-gangsstimmung im Juli 1945, wenige Wochennach dem Ende des zerstörerischen ZweitenWeltkrieges, konnte Harry S. Truman, den

amerikanischen Präsidenten, nicht daranhindern, in Weinheim für kurze Zeit dieSorgen der Welt zu vergessen. „Es war meinschönster Tag hier“, schrieb er an seine Frau inden USA. Der Präsident hatte seinen VetterLouis Truman besucht, der während desKrieges in Weinheim stationiert war.

Diese Geschichten sind Geschichte undWahrheit gleichermaßen. Sie sind Über-lieferung und Zustandsbeschreibung, aber

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I. 1250 Jahre Weinheim

! Heiner Bernhard !

Weinheim, die WohlfühlstadtOberbürgermeister Heiner Bernhard über seine Stadt, den Heimatbegriff

und die Chancen im Jubiläumsjahr

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Der Rathaus-Turm und der benachbarte Kirchturm der St. Laurentiuskirche bilden ein schönes Ensemble. Im Erdgeschossdes Schlosses befindet sich das Schlosspark-Cafe-Restaurant mit wunderschöner Terrasse und Blick auf den Schlosspark.

Foto: Gerhardt Steinmetz

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auch eine Verpflichtung für uns, die wir heutedie Verantwortung haben, das Leben in dieserStadt zu gestalten. Weinheim geht ans Herz.Mit bloßen Statistiken, Daten und Zahlenkonnte man dieses großartige Stück Heimatnoch nie beschreiben. Im übertragenen Sinnbeträgt die Temperatur hier immer 37 Grad, imSommer und im Winter: es menschelt an allenEcken und Enden. Und genau darin liegt dieStärke dieser Stadt – unsere Chance.

Wie alle anderen Städte und Gemeindenhängt Weinheim an einem Tropf der Bundes-und Landesmittel, der zur Zeit leider zu ver-siegen droht. Gut, dass es früher besser war.Wir konnten Jahre lang einen Standard auf-bauen, vor allem bei Kindergärten undSchulen, aber auch im kulturellen und gesell-schaftlichen Leben, von dem wir heute zehrendürfen. Ohne diese „fetten Jahre“ sähe heutemanches schlechter aus. Dennoch: In jederKrise steckt auch eine Chance – eine Chance,sich anders zu besinnen und zu orientieren.

UNSERE STADT BRAUCHTENTFALTUNGSMÖGLICHKEITEN

Gerade im Jahr des großen Jubiläums istein Blick auf die Geschichte der Stadt undihres Umfelds unerlässlich. Es ist, wie überall,eine Geschichte von Abhängigkeiten.Weinheim war nie allein. Auch heute bewegenwir uns im politischen Verhältnis zu Bund undLand. Und die wirtschaftliche Lage machtdieses Verhältnis nicht spannungsfreier. Wirversuchen, das Beste daraus zu machen.

Die Jahre 2003 und 2004 waren richtungs-weisend. Nach langer Diskussion in derBevölkerung und im Gemeinderat, haben wireinen neuen Flächennutzungsplan ver-abschiedet, der viele Freiräume schafft. Fast110 Hektar Erweiterungsfläche sind vorge-sehen, davon rund 41 Hektar Wohnbebauung.

Unsere Stadt braucht Entwicklungs- undEntfaltungsmöglichkeiten. Dass dies in Ein-klang mit der Natur geschehen muss, verstehtsich angesichts der Gegebenheiten vor Ort vonselbst. Als blühende Stadt mit einemeuropaweit einzigartigen Exotenwald, Parksund Gärten, den „Grünen Meilen“ in derganzen Stadt und als Tor zum Odenwald sindwir Weinheimer mit der Natur aufgewachsenund eng mit ihr verbunden.

Die Menschen hier haben sich stets anihrem natürlichen Umfeld orientiert undwurden von der Geologie und den natürlichenRohstoffen geprägt. Die OdenwaldflüsschenWeschnitz und Grundelbach haben im Mittel-alter das Müllerhandwerk und die Gerber hieransässig werden lassen. Die großen Eichen-wälder boten später ideale Bedingungen für dierasche Industriealisierung des Handwerks. Bisheute prägt die Firma Freudenberg auf viel-fältige Weise unsere Stadt, was wieder einmalbeweist: Nur was auf Nachhaltigkeit und denEinklang mit der Natur angelegt ist, hat aufDauer Bestand.

Diesem Thema widmen wir uns in Wein-heim seit letztem Herbst besonders gründlich,nachdem wir mit den anderen Städten undGemeinden der badischen Bergstraße offiziellMitgliedskommune im UNESCO-GeoparkBergstraße-Odenwald geworden sind. DieseMitgliedschaft eröffnet unserer Stadt mit ihrenzahlreichen touristischen und geologischen

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Blick in die Judengasse und das Historische Gerberbachviertel. Ein Fußweg führt von dort direkthinauf zu den Burgen.

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Attraktionen nicht nur weltweite Werbemög-lichkeiten. Der Geopark wird auch unserenBürgerinnen und Bürgern dabei helfen, einebessere Identifikation mit ihrer Heimat auf-zubauen und zu pflegen. Denn Weinheim istHeimat. Mit diesem Begriff positive Assoziati-onen zu wecken, das wird unsere Hauptauf-gabe in den nächsten Jahren sein.

Weinheim, die Wohlfühlstadt! Das ist keinSprachballon, unter dessen Hülle eine ödeSchlafstadt liegt.

BESUCHER GERATEN INSSCHWÄRMEN ÜBER UNSERESTADT

Weinheim, die Wohlfühlstadt, das ist eineZustandsbeschreibung und eine Aufgabe zu-gleich.

Manchmal müssen Besucher den Einhei-mischen die Augen öffnen. Freunde geratenregelmäßig ins Schwärmen über unsere Stadt,in der das Leben ohne die Hektik einer Groß-stadt, aber dennoch geschäftig und quick-lebendig unter den beiden Burgen pulsiert. Dasliegt auch an den Sehenswürdigkeiten, auchdaran, wie diese in die Gastlichkeit einge-bunden sind. Der Schlosspark mit seinemRestaurant, die bewirtschafteten BurgenWindeck und Wachenburg und natürlich derHistorische Marktplatz, der von Weinstuben,Cafe’s und mediterranen Restaurants gesäumt

ist. Unter den Schatten spendenden Japani-schen Schurbäumen kann man die Sorgen undden Alltag vergessen oder in attraktivenGeschäften Kunst, Kunsthandwerk und Modebestaunen und erwerben. Diese Mischung ausGastronomie und Einzelhandel wollen wirbewahren. Ein neuer Bebauungsplan legt derweiteren Ausdehnung gastronomischerBetriebe Zügel an. Die gegenwärtige Situationrechtfertigt diesen Eingriff in den freien Markt.Die Attraktivität gibt uns Recht. Bei jedemSonnenstrahl und an jedem lauen Abend istder Marktplatz ein Magnet für die Region. Wirwissen nicht genau, wie viele Menschen unsbesuchen. Aber schon die Zahl der Über-nachtungen ist beeindruckend: Es sind rund110 000, und wir arbeiten daran, dass es mehrwerden.

Lebensqualität heißt aber nicht nur, dieSeele baumeln zu lassen. Sie basiert auch aufeiner vielfältigen Infrastruktur, die eineVoraussetzung dafür bietet, das Leben ohneunnötigen Stress organisieren zu können.Dieser Aspekt wird immer mehr zum wich-tigsten Standortfaktor einer Stadt. Denn dieMenschen müssen heute in der Lage sein,ihrem Beruf und ihrer Familie die gleicheBedeutung beizumessen. Weinheim verfügtüber 25 Kindergärten und Tagesstätten, siebendavon sind städtische Einrichtungen. Ständigstehen wir mit den kirchlichen Trägern im Dia-log, um die Öffnungszeiten und das Aufnahme-alter der Kinder den wachsenden Ansprüchenanzupassen – auch wenn uns dabei natürlichheutzutage die kommunalen Finanzen immer

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Baumriesen im europaweit größten Exotenwald, er liegtnur wenige Minuten von der Innenstadt Weinheims entfernt

Wunderbare Blütenpracht im „Hermannshof“, einem weltweit berühmten Schau- und Sichtungsgarten derFirma Freudenberg Foto: Roger Schäfer

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weniger Spielraum lassen. In 14 allgemein-bildenden und drei berufsbildenden Schulenwerden rund 7000 Schülerinnen und Schülerunterrichtet, Grundschulen gibt es auch in denStadtteilen Sulzbach, Rippenweier, Lützel-sachsen, Hohensachsen und Oberflockenbach,denn kurze Wege sind im Familien- undBerufsleben der Steg zwischen Ökologie undÖkonomie.

Mir ist keine aussagekräftige Statistikbekannt, die bestimmt, wo Kinder am sichers-ten aufwachsen. Wenn es eine gäbe, würdeWeinheim bestimmt sehr weit oben stehen.Das bestätigt auch die Polizei, die am Ort einenVerein zur kommunalen Kriminalpräventionbetreut. Im Dezember letzten Jahres haben wirunser Amt für Jugend und Soziales mit einerErziehungswissenschaftlerin verstärkt, diekünftig verstärkt Projekte der Jugendhilfe-planung betreut.

DAS FREIZEITVERHALTEN INSINNVOLLE BAHNEN LENKEN

Hierbei ist der präventive Kinder- undJugendschutz das oberste Ziel. Unser Stadt-jugendring mit seinen zahlreichen Angebotenleistet hierbei wichtige Arbeit, gerade bei derQualifizierung von jungen Menschen für einenBerufsweg, der immer steiniger wird. Natür-lich kann eine Kommune nicht alle sozialenUnterschiede einebnen. Aber wir können undmüssen Hilfestellung anbieten für alle jungen

Menschen. Mehr als 22 000 Personen inunserer Stadt sind in den rund 350 Wein-heimer Vereinen und Verbänden organisiertund verbringen dort ihre Freizeit. Es ist auchkein Zufall, dass die beiden mitgliederstärkstenVereine Badens in Weinheim ansässig sind, derAthletic-Club AC 1892 und die Turn- undSportgemeinde TSG 1862. Solche Vereineleisten einen unentbehrlichen sozial-politischen Beitrag.

Die Kooperation von ehrenamtlichemBürgerengagement und behördlichem Sach-verstand wird von einer engagierten Rathaus-Stelle gefördert wird.

Im gesamten Stadtgebiet gibt es siebenGroßsporthallen, 13 Turnhallen und achtGymnastikhallen. Und noch drei Zahlen, diefür sich sprechen: 48 Kinderspielplätzenehmen eine Fläche von 53 000 Quadratmeterein, die Sportplätze dehnen sich auf eineGröße von 182 000 Quadratmeter aus, dazukommen frei und kostenlos begehbare Parksund Gärten mit 75 600 Quadratmetern.

Kein Wohlgefühl ohne Spaßfaktor. DieStadt selbst betreibt den großen Badesee in der„Waid“ neben dem Erlebnisbad „Miramar“, indem der private Betreiber noch im Laufe desJahres Geothermie als Wärmequelle nutzenwird. Die Stadtwerke unterhalten ein großesHallenbad und mit Hilfe von Vereinen konntengerade in der jüngsten Vergangenheit dasHallenbad im Stadtteil Hohensachsen und dastraditionsreiche „Turnerbad“ im GorxheimerTal trotz knapper Kassen bewahrt werden.Dieses Freibad der TSG wurde jetzt gerade miteinem beträchtlichen städtischen Zuschuss inHöhe von mehr als vier Millionen Euro vonGrund auf saniert. Weinheim bietet nun einesder modernsten Freibäder der Region. DieFinanzierung war ein Kraftakt in der heutigenZeit.

KOMMUNALE KULTURARBEITWIRD NICHT ÜBERFLÜSSIG

Weinheim nimmt nicht nur an der Berg-straße, sondern im prosperierenden Rhein-Neckar-Dreieck die Rolle eines Mittelzentrumsein. Dies in exponierter Lage als Grenzstadtzwischen den Bundesländern Baden-Württem-berg und Hessen. Viele Besucher, Kunden und

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Die Weinheimer sind ein geselliges Volk. Jedes Jahr imAugust trifft sich die Region bei der Kerwe in den Altstadtgassen Foto: Roger Schäfer

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Arbeitnehmer unserer Stadt wohnen imbenachbarten Odenwald. Nach Weinheim zufahren, bedeutet für sie „in die Stadt zu gehen“.

Diese Anziehungskraft hätte die Stadtsicherlich nicht ohne ihr enormes kulturellesAngebot. Unser Kulturbüro veranstaltet seitJahren einen „Kultursommer“ mit stabilattraktivem Angebot.

Damit war und ist die Stadtverwaltungauch Wegbereiter für private Kulturver-anstalter, die auf ein bestelltes Feld aussähenkonnten. Das beschert der Stadt eine viel-gestaltige Kulturszene auf Kleinkunstbühnenund in Clubs, aber auch Events mit großerStrahlkraft in die Region. In diesem Jahr sinddas zum Beispiel eine Opern-Aufführung vonGuiseppe Verdis Oper „Nabucco“ mit Darstel-lern aus Verona und ein Musik-Festival „Unterden Burgen“ mit der Rocklegende Joe Cockerals Stargast. Unser Kulturbüro bringt sich alsPartner in diese Veranstaltungen ein und ziehtsich dort zurück, wo private Veranstalterselbstständig – auch zum Wohle der Stadt –agieren können.

Trotzdem wird die kommunale Kultur-arbeit nicht überflüssig werden und ihren Auf-gaben der Nachwuchs- und Nischenförderunggerecht werden. Gleiches gilt für unsere vor-bildlich arbeitenden Einrichtungen Stadt-bibliothek, Stadtarchiv, das Heimat-Museumder Stadt, sowie die gemeinsam mit unserenNachbargemeinden unterhaltenen Einrich-tungen Volkshochschule und die Musikschule.Sie sind das Salz in der Suppe eines hoch-wertigen Freizeitangebotes.

EINE DREHSCHEIBE ZWISCHENDEN REGIONEN

Lebensqualität bedeutet heutzutage auchMobilität. Als Traditionsstandort der OEG undmit einem eigenen Busunternehmen hatWeinheim auch auf diesem Feld viel zu bieten.Die geplante neue S-Bahn-Linie, die denRhein-Neckar-Raum mit dem Rhein-Main-Gebiet verbindet, wertet die Stadt weiter auf.Parallel dazu bringt Weinheim eigene Projekteauf die Schiene, die das Angebot ergänzen.

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Im Weinheimer Schloss ist die Stadtverwaltung untergebracht, direkt davor steht die älteste Zeder Deutschlands. Das Trau-zimmer im Turm ist bei Hochzeitspaaren aus nah’ und fern besonders beliebt. Foto: Gerhardt Steinmetz

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Dem Hauptbahnhof kommt dabei eine zentraleFunktion zu. Dort soll eine Drehscheibezwischen Fern- und Nahverkehr entstehen, dieService und effektive Standortvorteile bietet.Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg sinddann noch schneller und bequemer zu errei-chen, Darmstadt und Karlsruhe in weniger alseiner halben Stunde erreichbar, Frankfurt undStuttgart innerhalb einer Stunde. Diese Ent-wicklung ist für Weinheim nicht nur wirt-schaftlich und touristisch wichtig, sondernbesitzt auch Symbolcharakter für eine welt-offene Kleinstadt. Schließlich führen wirflorierende Städtepartnerschaften in Europa(unter anderem mit Eisleben, Cavaillon/Frank-reich, Imola/Italien) und im Nahen Osten mitRamat Gan in Israel.

Bürgerservice funktioniert nicht ohne dieÄmter vor Ort. Weinheims Bürgerinnen undBürger können nahezu alle Behördengänge vorOrt erledigen – auch das spart Nerven, Zeit undam Ende Geld. Das fängt mit den städtischenÄmtern an, die für eine Große Kreisstadtunserer Größenordnung ein beachtlichesAngebot in zentraler Lage bieten. SchonAnfang der 90er Jahre richtete die Stadtver-waltung ein Bürgerbüro ein, als unsere Nach-barn noch skeptisch waren. Von Anfang anhatten wir den Anspruch, zu bürgerfreund-lichen Öffnungszeiten (50 Stunden proWoche!) einen ebenso schnellen wie kom-petenten Service in den alltäglichen Lebens-lagen zu bieten. Keine Bürgerin und keinBürger soll dort länger als fünf Minuten warten

müssen – an diesem Vorsatz kann man unsmessen.

Architekten, Planer, Grundstückseigen-tümer und Häuslebauer wissen unser Amt fürVermessung, Bodenordnung und Geoinfor-mation zu schätzen. Das Geo-Informations-system, mit dem unsere Fachleute jeden Gulli-deckel in Minutenschnelle finden, ist in enor-mer Service. Korrespondierend zumBürgerbüro wäre sogar ein TechnischesBürgerbüro denkbar und auch relativ zügigrealisierbar, in dem alle technischen Dienst-leistungen, von der Vermessung zum Bau-antrag, an einer Stelle zusammenlaufen. Wirprüfen das gerade, und hoffen trotz finanziellerEngpässe voran zu kommen. Aber Weinheimhat auch das Glück und die Historie, andereÄmter und Behörden zu beherbergen, die fürden Bürger arbeiten: Das Amtsgericht, dasFinanzamt, eine Außenstelle der Agentur fürArbeit, ein Notariat und ein Grundbuchamt,ein Hauptzollamt, die KFZ-Zulassungsstelleund das Sozialamt als Außenstelle des Rhein-Neckar-Kreises, das Staatliche Forstamt undnicht zuletzt ein Polizeirevier mit Kripo-Außenstelle. Zählt man jetzt noch unsereFreiwillige Feuerwehr dazu, die sich imMoment auf einen Umzug in eine nagelneueund topmoderne Feuerwache vorbereitet, dannkann man guten Gewissens sagen: Die Wein-heimerinnen und Weinheimer finden in allenLebenslagen schnell und bequem einenAnsprechpartner. Dazu kommen eine stattlicheAnzahl an Kranken- und Pflegeeinrichtungen.Der Rhein-Neckar-Kreis unterhält zwei seinerwichtigsten Gesundheitseinrichtungen inWeinheim, das Kreiskrankenhaus und dasKreispflegeheim. Das unter kirchlicherTrägerschaft geführte Bodelschwingheimdirekt am Schlosspark genießt in der ganzenRegion einen hervorragenden Ruf. Wohnraumund Betreuung für behinderte Mitbürgerbieten drei weitere Einrichtungen. AuchMenschen, denen die Sonnenseite des Lebensverborgen ist, finden hier eine Heimat.

Und dennoch leben wir zwar in einer derschönsten Städte Deutschlands, aber auch inWeinheim ist die Quote der Arbeitslosen imLaufe des letzten Jahres um ein Prozent auf 6,8Prozent der Bevölkerung gestiegen. Auchunsere Betriebe bauen Stellen ab, der Einzel-

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Vom Weinheimer Schlosspark aus genießt man einen herrlichen Blick auf die beiden Burgen, die Wahrzeichender Stadt Foto: Roger Schäfer

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handel klagt über Umsatzrückgänge, es gibt zuviele Leerstände in unserer Fußgängerzoneund ihren Nebenstraßen. Und bei all dem fehltder Kommune das Geld, um wirtschaftlichesWachstum anzukurbeln.

„TUE GUTES UND REDEDARÜBER“Trotz Geldknappheit und immer wieder

unüberhörbaren Forderungen nach Personal-abbau konnten wir in den letzten Jahren dreiwichtige neue Stellen schaffen, und ich bindankbar, dass der Gemeinderat mit mir diesePrioritäten gesetzt hat. Wir verfügen nun übereine professionelle Wirtschaftsförderung, eineumtriebige City- und Tourismusmanagerinund einen gelernten Journalisten im Bereich

Medien- und Kommunikation. Also nachWinston Churchill: „Tue Gutes und rede da-rüber.“ Weinheim hat sein Licht nicht unterden Scheffel zu stellen.

Erste Erfolge erscheinen wie ein Silber-streif am Horizont. Nach zwei Jahren zäherVerhandlungen konnten wir vor einigenWochen ein viel versprechendes Konzept fürunser einstmals traditionsreiches Innenstadt-Kaufhaus „Birkenmeier“ präsentieren. DieStadt selbst macht das Objekt für einenInvestor attraktiv, indem sie eigene Ämter dortansiedelt und damit eine Mietgarantie bietet.So etwas ist kommunale Wirtschaftsförderungim besten Sinne. Am „Birkenmeier“ hängendie Herzen und die Portemonnaies der Innen-stadt. Das neue alte Kaufhaus wird mit pros-perierenden Branchen und Sortimenten

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Auf dem Historischen Marktplatz mit seinem Kopfsteinpflaster lassen die Menschen der Region beim Kaffee oder beim Weingerne die Seele baumeln Foto: Roger Schäfer

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wieder mehr Frequenz in die Hauptstraßebringen. In diesen Zusammenhang fällt dieEntwicklung des „Neuen Burgenviertels“ amStandort des ehemaligen städtischen Kranken-hauses in unmittelbarer Nachbarschaft zurFußgängerzone. Weitere 2500 QuadratmeterFläche für Discounter, Supermärkte und Ein-zelhandel komplettieren die bereits bestehendeLadenverkaufsfläche von 25 000 Quadratme-tern in der Innenstadt.

Unser Büro für Stadt- und Tourismus-marketing koordiniert gemeinsame Aktionenund die Geschäftsleute können schon ersteFrüchte ernten. Das Einzelhandelskonzeptstärkt der City zusätzlich das Rückgrat, eineattraktive Neugestaltung der Fußgängerzoneist geplant. Zugute kommt dieser Entwicklungdie nach wie vor starke Kaufkraft der Regionund der Trend, in der Nähe seines Wohnortseinzukaufen. Wir liegen nicht ungünstig. LautStatistischem Landesamt vom März 2005gehören sowohl die Kreise Karlsruhe als auchDarmstadt zu den wirtschaftsstärkstenRegionen Europas. Und Weinheim liegt genaudazwischen. Nicht ohne Grund ist das Rhein-Neckar-Dreieck designierte europäische „Me-tropolregion“. Wir sind mittendrin.

Weinheim darf gerade im Jahr seinesgroßen historischen Jubiläums nicht ver-harren, und daraus wird Verpflichtung: Diegesamte Infrastruktur der Stadt ist nur auf-

recht zu erhalten, wenn es gelingt, dieBevölkerungsstruktur zu stabilisieren.

Auch hierbei wird es maßgeblich auf dieUmsetzung des Flächennutzungsplans an-kommen. Erstmals seit einiger Zeit ist die Zahlder Bevölkerung im letzten Jahr wiederdeutlich gestiegen. Wir verfügen im Momentüber rund 43 700 Einwohner. Unsere Stadtent-wickler kalkulieren mit einem Zuwachs vonweiteren 1000 Menschen bis ins Jahr 2020. Dasergibt sich wiederum aus dem Wettlauf derRegionen, in dem das Rhein-Neckar-Dreieck zuden beliebtesten Wohngegenden Deutschlandszählt. Diesen zu Recht erworbenen Ruf mussWeinheim in den nächsten Jahren nutzen.

WEINHEIM ALS DENKFABRIK

Rund 75 Hektar stellt der Flächennut-zungsplan an neuen Gewerbebauflächen zurVerfügung. Dabei geht es aber nicht darum, diePeripherie der Stadt möglichst schnell mitmöglichst potenten Gewerbesteuerzahlernzuzupflastern. Niemand will das. Aber diegeräumige Fläche lässt Spielräume undEntfaltungsmöglichkeiten, die wir brauchen,um in wirtschaftlich schwierigen Zeitenreagieren zu können. Die Bebauungspläneregeln alles Weitere, auch bei der Größe derGewerbegrundstücke können wir flexibel seinund auf die Wünsche der Interessenten

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Romantische Ecken und historisch wertvolle Fachwerk-häuser zieren das Gerberbachviertel Foto: Roger Schäfer

Das Historische Gerberbachviertel Weinheims ist durcheine Gesamtanlagen-Satzung geschützt

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eingehen. Das war in der Vergangenheit nichtimmer möglich. Aber auch hier stellen sicherste Erfolge ein. Gerade bei der Ausweisungvon Gewerbeflächen sind die WeinheimerUnternehmer konstruktive Partner an unsererSeite. Die Vereinigung Weinheimer Unter-nehmer ist jetzt gerade gemeinsam mit derStadt ein „Lokales Bündnis für Familien“eingegangen, das die Vereinbarkeit von Berufund Familie fördert. Kann es einen besserenBeweis für eine gute Zusammenarbeit geben?

Die Menschen der Stadt waren schonimmer für Innovation und Kreativität bekannt.Das Haushaltstuch „Vileda“, der weltweit ver-legte Norament-Fußboden der Firma Freuden-berg, der Simmering, das Küchengerät „FlotteLotte“, all’ das sind Erfindungen aus Wein-heim. Unsere Stadtwerke haben gerade dieerste Erdgas-Tankstelle der Region in Betriebgenommen – innovativ und umweltfreundlich.

Noch immer gibt es in Weinheim mehrBerufs-Einpendler (12 000) als Auspendler(9000). Darin liegt eine bevölkerungspolitischeChance, denn man kann davon ausgehen, dassdie Menschen gerne in der Nähe ihres Arbeits-platzes wohnen.

Der Flächennutzungsplan weist 41 HektarWohnbauflächen aus, aufgegliedert in 23 Teil-flächen. Eine Priorität kommt dabei demWohnraum für junge Familien zu und dasgrößte Neubaugebiet ist in der Lützel-sachsener Ebene mit rund 15 Hektar geplant.650 Wohneinheiten sollen dort entstehen. Einidealer Ort für junge Familien, nahe amErholungsgebiet Waidsee, mit eigener S-Bahn-Haltestation, einem Einkaufszentrum vor derHaustür und zwei Straßenbahnstationen vonder Innenstadt entfernt.

DIE GESCHICHTE BEWAHREN

Weinheim ist eine Stadt, die von Seniorengeliebt wird. Während im übrigen Rhein-Neckar-Kreis der Anteil der über 60-Jährigenan der Gesamtbevölkerung etwa 23 Prozentbeträgt, liegen wir bei fast 30 Prozent. Abernicht alle Menschen, die älter sind als 60 Jahre,sind zwangsläufig alte Leute! Sie verfügen imAllgemeinen über eine große Vitalität, einebeträchtliche Kaufkraft und eine stark aus-geprägte Standorttreue. Diese Menschen

brauchen Zuwendung und vor allem gesell-schaftliche Akzeptanz. Dann ist die soziale Tat-kraft der „jungen Alten“ ein großer Gewinn füreine Kommune.

Aber diese Altersstruktur zeigt auch auf,wie notwendig es für unsere Stadt ist, auf dereinen Seite die Rahmenbedingungen für einaktives Altern zu schaffen, zugleich aber auchattraktiv für junge Familien zu sein. Wirbrauchen ein Neben- und Miteinander vonJung und Alt!

Ich bin fest davon überzeugt, dass darin einenormes Potential liegt. Mit Spannung ver-folge ich gerade ein Bauprojekt, bei dem einWohnheim für Seniorenwohnungen gegen-über einer Grundschule entsteht. Noch sinddie Eltern der Schüler skeptisch, abervielleicht erkennen sie bald die große Chancedes Unternehmens.

Wachstum in der Fläche und derBevölkerung kann aber nur eine Stadt ver-kraften, die gleichzeitig ihren Bestand pflegt.

In Weinheim mit seinen vielen historischwertvollen Bauten ist das besonders wichtig,und zwar gleichermaßen für das optische Bildder Stadt und deren Vorankommen. Ein zen-traler Punkt unserer Stadtentwicklung ist undbleibt daher – gerade im Jubiläumsjahr – dasGesicht unserer Bausubstanz in der Innen-stadt. Dazu haben wir in den vergangenenMonaten zwei Werkzeuge geschmiedet, diedem Erhalt unserer Altstadt und deren Rand-bezirken helfen werden: Eine Satzung, mit derweite Teile der Innenstadt als schutzwürdigeGesamtanlage eingestuft werden. Damit beugtunsere Denkmalschutzbehörde unsachge-

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Stolz ragt der Turm der Laurentius-Kirche aus demBlütenmeer des Schau- und Sichtungsgartens „Hermannshof“ Foto: Roger Schäfer

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mäßen Veränderungen vor und ermöglichtgleichzeitig steuerliche Erleichterungen beiSanierungsmaßnahmen. Gleiches gilt auch fürein Sanierungsgebiet „Innenstadt“ mit Förder-mitteln von Bund und Land. Weinheim wäre1250 Jahre nach seiner ersten urkundlichenErwähnung nicht das, was es heute ist, wennman allzu sorglos mit dem historischen Erbeumgegangen wäre. Der Strukturwandel, dersich immer stärker beschleunigt, stellt aucheine Herausforderung für unsere Stadtplanungdar. Mit dem Rückbau alter Industriegeländenach der Verlegung der Freudenberg-Pro-duktion haben wir gute Erfahrungen gemachtund bewiesen, dass unsere Stadtplaner ihrHandwerk verstehen und Visionen umsetzenkönnen. Die neuen Wohngebiete „Alte Lackier-fabrik“ oder das „Müllheimer Tal“ sind sicht-bare, gelungene Beweise dafür.

So ist die Stadt mit den zwei Burgen inihrem Jubiläumsjahr an einem wichtigen

Punkt angekommen. Wir haben uns für dieZukunft entschieden und diese Richtungbereits eingeschlagen. Wir sind unterwegs, undvieles gibt Anlass zur Hoffnung.

Anschrift des Autors:Oberbürgermeister Heiner Bernhard

Obertorstraße 969469 Weinheim

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Das Schlösschen lebte alle Perioden desurbanen Lebens mit, es wurde umgebaut underweitert, mit anderen Höfen und Häusern ver-bunden, vermietet, verkauft und wieder umge-baut. Schließlich stellte das Schloss, so wie essich auf der Anhöhe offenbart, ein Konglo-merat von etwa acht Bauteilen dar, die,nunmehr eins geworden und in geschlossenerFigur sich präsentierend, doch Zeugen allerwichtigsten Ereignisse der letzten Jahrhun-derte waren. Kasimir Edschmid, welterfahre-ner Reiseschriftsteller, hat den Weinheimern,als sie 1955 den 1200. Jahrestag der Erster-wähnung im Lorscher Codex feierten,geschichtskundig und charmant zu ihremSchloss gratuliert, das sich kurz vor dem Aus-bruch des 2. Weltkriegs vom Fürstensitz zumRathaus wandelte, aber dabei blieb, was esimmer war: „eine wirkliche Residenz imgraziösen Sinne“. Wenn man am Kaufhaus undden alten Fachwerkhäusern vorbei hinauf zudem kleinen Palazzo wandert, Stadthaus, Park-terrasse und Zierstück zugleich, fragt man sichunwillkürlich, welche Stadt etwas Ebenbürti-ges als Zentrum seiner Energien besitzt? Alleinmit dieser Frage machte der gebürtige Darm-städter der kleinen badischen Nachbarstadt ander gemeinsamen Bergstraße ein Kompliment,das die 1200-jährige Stadt als schönste Liebes-erklärung wertete.

Seither sind 50 Jahre vergangen und Wein-heim hat seinen Ruf gepflegt, dass man hiergern lebt, weil es die Stadt verstanden hat,Geschichte, Idylle und lebendige Wirklichkeitmiteinander in Einklang zu bringen. 1250Jahre nach der Ersterwähnung der „villaWinenheim“ im Lorscher Codex erinnert sichWeinheim in vielfacher Form und in zahl-reichen Veranstaltungen seiner Geschichte, dieälter ist als das große Kloster Lorsch, dessen

berühmte Urkundensammlung auch dieSchenkung des Marcharius im Jahre 755bestätigt, sogar noch älter als dieser ersteurkundliche Hinweis auf eine Siedlung. Dennam Rand der Rheinebene und im Schutz desOdenwaldes haben Römer und AlemannenFußspuren hinterlassen, Franken gesiedeltund ihre Toten begraben. Doch über demhalben Jahrtausend, das dem Sturz der rechts-rheinischen Römerherrschaft folgte, liegt einSchleier, den die Geschichtsforscher „dieNacht der den Römern folgenden Jahrhun-derte“ (Dr. Hermann Gropengießer) nannten.

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! Heinz Keller !

Vom Fürstensitz zum RathausFast fünf Jahrhunderte Geschichte und Geschichten um das Weinheimer Schloss

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„Eine edle Schöpfung der Renaissance“: das pfalzgräflicheSchloss auf der Nordseite des Obertorturms (links)

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Der Schlosspark von seiner schönsten Seite mit Windeck und Wachenburg

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Das aber ist auch die Zeit, da das DorfWeinheim gegründet wurde und seinen NamenWinenheim erhielt. Vermutlich hieß derNamensgeber Wino, ein Franke, der wohl umdas Jahr 500 lebte und wahrscheinlich demStand der Bevorrechtigten oder Adligenangehörte, die damals in jedem Dorf und injeder Stadt Grundbesitz hatten. Weinheimsälteste Adelsfamilie nannte sich „von Win-heim“. Zur Familie derer von Weinheim gehör-ten Hildebertus von Winheim als Dienstmannoder Verwalter von Grund und Boden desKlosters Lorsch in Weinheim, Ritter Conradvon Winheim als Vogt des Pfalzgrafen undAegidius von Winheim, 1308 Prior des Wein-heimer Karmeliterklosters, das Ritter Gudel-mann von Winheim und seine frommeGemahlin Hedwig Swende hatten errichtenlassen.

DIE SWENDE UND EINKURFÜRSTLICHER TRAUM

In der frühesten Geschichte Weinheimsspielte das Geschlecht der Swende die wich-tigste Rolle. Unter den Fürstäbten von Lorschstellten die Swende dem Kloster Dienst-mannen, unter den Pfalzgrafen später Burg-mannen auf der Windeck, der Lorscher Burgüber Weinheim. Die Swende besaßen großenGrundbesitz und zwei ihrer Adelshöfe lagen zubeiden Seiten des Obertors, durch das man bisheute den Weinheimer Stadtkern erreicht.1423 verkauften Metze und Bernhard Swendeden Swende-Hof nördlich des Obertors anPfalzgraf Ludwig III. Damit besaßen die Pfalz-grafen den adligen Hof in Weinheim, nach demsie offenbar seit dem Beginn des 15. Jahr-hunderts gestrebt hatten. 1454 rundete Lud-wig mit dem Erwerb weiterer Swende-Güterseine Weinheimer Kaufaktion ab, wobei dieinteressante Frage offen bleibt, ob der Partnerdes Kurfürsten in den Verkaufsverhandlungeneine Dame war. Denn im Mittelalter war Metzedie häufig genutzte Kose- oder Kurzform vonMechtild (Bahlow: Deutsches Namenslexikon).

DER SCHLOSSBAU WIRD MÖGLICH

Mit dem Erwerb des Swende-Hofs auf demhöchsten Punkt der befestigten Stadt machten

die Pfalzgrafen den Anfang zum Bau eineskurfürstlichen Schlosses in Weinheim. Er ließallerdings noch 100 Jahre auf sich warten,denn erst der Urenkel Ludwigs III., KurfürstLudwig V. von der Pfalz, beschäftigte sich inder ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit demSchlossbau in Weinheim. Er ließ das einstigeHerrenhaus der Swende abreißen und anseiner Stelle ein dem neuen Stil folgendesSchlösschen errichten, das bis heute durchseine klassische Form erfreut. „Eine edleSchöpfung der Renaissance, die sich neben diegleichzeitigen Bauten Italiens stellen darf“, hatder Weinheimer Stadthistoriker Josef Fresindas formschöne Gebäude zwischen dem Ober-tor und dem Jugendstil-Anbau genannt. Esstammt, wie die Jahreszahl 1537 über demKellerabgang verrät, aus der Renaissance undgleiche Steinmetzzeichen sprechen dafür, dassder Pfalzgraf seine Handwerker nicht nur inHeidelberg, sondern auch in Weinheimarbeiten ließ.

Die in Heidelberg residierenden Pfalzgrafennutzten ihr Weinheimer Schloss immer nurfür kurze Zeiten als Aufenthaltsort, denn dieGebäude dienten im wesentlichen als Sitz derpfalzgräflichen Amtskellerei und zur Auf-nahme der Zehntabgaben. Doch Ludwig V., inpolitischen Fragen stets auf Ausgleich, Ver-söhnung und Frieden bedacht und von der Mit-und Nachwelt deshalb „der Friedfertige“ oder

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Seit 1938 ist das Berckheimsche Schloss Sitz der Stadtver-waltung und der Schlosspark ist jedermann zugänglich

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„der Friedmacher“ genannt, kam auch ausanderen, sehr persönlichen Gründen gern vonHeidelberg herüber nach Weinheim: in seinerneuen Residenzfiliale lebte Margaretha vonLeyen, „die schöne Frau von Köln“ genannt.Sie war die Geliebte Ludwigs V.

Der Kurfürst war im Alter von neun Jahrenmit Sidonia, der Tochter des Herzogs vonBayern-München, verlobt worden. Sie starb imAlter von 18 Jahren. Sechs Jahre später hei-ratete Ludwig ihre Schwester Sibille. Nachacht Jahren war er erneut Witwer. Beide Ehenwaren kinderlos geblieben. Ludwig heiratetenicht mehr, aber er hatte eine unehelicheTochter, die später den Namen Gräfin vonLützelstein erhielt. Ihre Mutter war Marga-retha von Leyen.

Als Ludwig starb, trat sein Bruder Friedrich– die Geschichte nennt ihn „den Weisen“ – inder Kurpfalz seine Nachfolge an – allerdingsnicht bei Margaretha von Leyen. Sie musste

dem neuen Pfalzgrafen allen Schmuck zurück-geben, den ihr der Geliebte geschenkt hatte.Über ihren Lebensabend berichtete die „Zim-merische Chronik“, die Familiengeschichte derschwäbischen Grafen von Zimmern, sie sei imWeinheimer Schloss „zeit ires lebens behalten“worden, während ihr sehr viel später die Ver-fasser der Weinheimer Stadtgeschichte, Dr.John Gustav Weiß (1911) und Josef Fresin(1962), die Möglichkeit einräumten, dasungastliche Weinheim zu verlassen.

KUNSTSAMMLER UNDGARTENAMATEUR

Nächster Gast im Weinheimer Schloss warein Neffe des Schloss-Erbauers: der pfälzischeKurprinz und spätere Kurfürst Ottheinrich.Aber auch sein Aufenthalt scheint eher eine ArtZwangseinquartierung gewesen zu sein.

Nach dem finanziellen Zusammenbruchseines Stammlandes Pfalz-Neuburg war Ott-heinrich zu seinem Vormund Friedrich II.,dem unerbittlichen Gegner Margaretha vonLeyens, nach Heidelberg gezogen. Doch als1547 in der Kurpfalz die Pest ausbrach, wollteder Kurfürst nicht, dass „zu viel Volks aneinem Ort beieinander liege“, und deshalbempfahl man dem Kurprinzen, seine Hof-haltung an einen anderen Ort zu verlegen.Doch wohin? Auf den Dilsberg wollte Ott-heinrich nicht, weil er wegen seiner über-mäßigen Körperfülle glaubte, nicht „auf- undabzukommen“. Ähnliche Vorbehalte hatte dervon Wassersucht geplagte Mann, dem 400Pfund Gewicht nachgesagt wurden, auchgegen Lindenfels. Weinheim wäre ihm daschon lieber, meinte er, doch man verhehlteihm in Heidelberg nicht, „dass dort weder Bettnoch sonstiger Hausrat für ihn sei“. Ott-heinrich war aber nicht von Weinheimabzubringen und so ließ der Kurfürst dasWeinheimer Schloss wohnlich herrichten.

Fünf Jahre, von 1547 bis 1552, lebte Ott-heinrich in Weinheim mit seinen wertvollenSammlungen, mit vielen fremdländischenKräutern und den exotischen Früchten seinesLustgartens, der im Winter überdacht undbeheizt wurde. Nach Friedrich II. Tod wurdeOttheinrich 1556 Kurfürst. Die bedeutendsteErinnerung an ihn ist der nach ihm benannte

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Die Erinnerung an die beiden Jahre, da Weinheim kurpfäl-zische Residenzstadt war, ist ein bisschen versteckt an derInnenseite der nördlichen Schlossmauer und auch einwenig erneuerungsbedürftig: das Allianzwappen desKurfürsten Johann Wilhelm und seiner Gattin Anna MariaLuisa von Medici

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Trakt des Heidelberger Schlosses. Sein „Ott-heinrichsbau“ galt schon Zeitgenossen als einWerk von klassischer Schönheit. Mit Ott-heinrich starb 1559 die Wittelsbacher Haupt-linie aus.

WENIG GLÜCK MIT DEM„WINTERKÖNIG“Auf Ottheinrich folgten sieben Pfalzgrafen

aus der Nebenlinie Pfalz-Simmern. KurfürstFriedrich III., „der Fromme“ genannt undstrenggläubiger Calvinist, war der erste. JohannKasimir, sein Sohn, ist als „Jäger aus Kurpfalz“unsterblich geworden. Auch sein Enkel Fried-rich IV. kam gern nach Weinheim und ihm hatdie Stadt eine wirtschaftliche Blütezeit zu ver-danken: er verlieh Weinheim das Salzhandels-privileg und das nutzten vor allem die Gerber.Sie schufen im Gerberbachviertel, das heute zuden Schmuckstücken im Stadtbild zählt, stolzeBürgerhöfe. Weniger Glück hat ein andererNachfahre des ersten Kurfürsten aus der LiniePfalz-Simmern seinen Weinheimer Untertanengebracht: des strengen Friedrich III. UrenkelFriedrich V., der als „Winterkönig“ in dieGeschichte eingegangen ist.

An die Ereignisse, die den DreißigjährigenKrieg auslösten, war allerdings 1613 nochnicht zu denken, als sich der 17-jährigeKurfürst auf Brautwerbung machte. Er war als14-Jähriger seinem Vater Friedrich IV. auf demPfalzgrafen-Thron gefolgt und dachte wohl,dass es nicht schaden könnte, sich rechtzeitignach einer bedeutenden und reichen Prin-zessin umzuschauen. Er hatte auch schnelleine im Auge und sie war von allererster Wahl:Elisabeth Stuart, Tochter des englischenKönigs Jakob und Enkelin von Maria Stuart.Für die Reise nach London brauchte der jungeFürst „reichlich Geld“. Friedrich holte es sichaus den Gemeindekassen seines Herrschafts-gebiets. Weinheim schoss dem fürstlichenBrautwerber 1300 Gulden vor, die sich dieStadt vorher hatte leihen müssen und niezurückbekam.

Der Hochzeitsvorschuss an Friedrich V. wardas erste von vielen Opfern, die Weinheim imVerlauf des Dreißigjährigen Krieges bringenmusste. Andere folgten mit dem spanischenGeneral Cordova, dem kaiserlichen Feldherrn

Tilly, dem schwedischen König Gustav Adolf,dem kaiserlichen Feldmarschall OttavioPiccolomini und dem französischen MarschallHenri Turenne, die mit ihren Truppen inWeinheim einfielen und der Bevölkerung ge-waltige Quartierlasten aufbürdeten. Hungers-not, Seuchen und Krankheiten stumpften dieMenschen ab und zu allem kam die zwangs-weise Zurückführung zum Katholizismusdurch die Vertreibung der protestantischenGeistlichen und den Entzug der Gotteshäuser.

FRIEDENSGESPRÄCHE IM SCHLOSS

Dabei hätte Weinheim zum Friedensortwerden können, denn im März 1621 trafen sichder Landgraf von Hessen, der Herzog vonWürttemberg und der Markgraf von Baden-Durlach im kurpfälzischen Schloss. Sie wolltenzwischen der protestantischen Union und derkatholischen Liga vermitteln. Doch es kam,wie man heute sagen würde, nicht zu demerhofften Durchbruch.

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Als Kurprinz lebte Ottheinrich zwischen 1547 und 1552 imWeinheimer Schloss. Hierher hatte er auch seinen „wunder-barlichen“ Lustgarten mitgebracht.

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Der Dreißigjährige Krieg ging weiter undnur für einen Moment kehrte am 26. Oktober1633 die gute, alte Zeit zurück, als HerzogLudwig Philipp, nach des „Winterkönigs“ Todzum Administrator des Landes ernannt, sichund dem noch unmündigen Kurfürsten KarlLudwig von der Pfalz im Weinheimer Schlosshuldigen ließ. Der Akt verlief wie in Friedens-zeiten: der Landesverweser brachte seineGemahlin, viel Gefolge und viele Gäste mit undwurde natürlich auf Stadtkosten bewirtet.

FÜRSTLICHE GÄSTE IN WEINHEIM

Im Weinheimer Schloss scheinen sich diePfalzgrafen gern aufgehalten zu haben, wennsie ihre jungen Gemahlinnen nach Heidelbergführten. Nach Friedrich V. und der englischenKönigstochter Elisabeth Stuart machten auchihr Sohn Karl I. Ludwig und ihre Schwieger-tochter Charlotte von Hessen-Kassel am1. April 1650 noch einmal Pause vor dem Ein-zug in der Heidelberger Residenz. Zum fest-lichen Empfang des jungen Paares ließ der Ratin der durch die Kriegsereignisse übel zuge-richteten Stadt „Ordnung schaffen“, so gut esmöglich war. Die zerfallenen Häuser konntenzwar nicht instand gesetzt werden, aber dieStraßen sollten wenigstens gesäubert, „Mistund Kummer“ hinausgeführt werden.

Karl Ludwig sah seine Hauptaufgabe inder Wiederherstellung von Ordnung undWohlstand im kurpfälzischen Land. Unterdieser Fürsorge erholte sich auch Weinheimvon den Kriegsfolgen und war 1652 in der

Lage, dem Kurfürsten 300 Reichstaler als Bei-steuer zu seiner Reise nach Regensburg vor-zuschießen. Am 19. August 1658 über-nachtete der Kurfürst auf dem Weg zurFrankfurter Wahl des Habsburger KaisersLeopold I. erneut in Weinheim und am21. Februar 1660 kamen seine Schwester Her-zogin Sophie von Braunschweig-Hannoverund seine Tochter Elisabeth Charlotte nachWeinheim. Die lebensfrohe Elisabeth Char-lotte ist als Liselotte von der Pfalz in dieGeschichte eingegangen. Sie wurde zum ver-meintlichen Schutz der Pfalz als 19-Jährigemit Philipp Herzog von Orléans und Valoisvermählt und niemand konnte ahnen, dassdiese Ehe von Philipps Bruder, dem franzö-sischen König Ludwig XIV., nach dem frühenTod von Liselottes schwächlichem BruderKarl zu konstruierten Erbansprüchen fürseine Schwägerin Liselotte genutzt werdenund 1688 den Pfälzischen Erbfolgekrieg mitseinen schrecklichen Folgen in der Kurpfalzauslösen würde.

Das Jahr 1671 brachte zweimal kurfürst-lichen Besuch ins Weinheimer Schloss. ImFrühjahr kam Kurfürst Karl Ludwig mit Kur-prinz Karl und einem Gefolge von 200 Per-sonen und 265 Tieren, im Herbst hielt sich dieBraut des Kurprinzen, Wilhelmine Ernestinevon Dänemark, mit Gefolge in Weinheim auf,um von hier aus festlich nach Heidelbergeingeholt zu werden. Der Kurfürst kam seinerkünftigen Schwiegertochter bis Weinheim ent-gegen. Er sah sie dabei zum ersten Mal, und esist überliefert, dass ihm die auffallende Leibes-

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Carl Theodor und Elisabeth Augusta wurden 1742 mit-einander verheiratet. Noch im gleichen Jahr übernahmensie die Regierung. Weinheim huldigte dem Herrscherpaarerst 1750. Die Gründe für die Verzögerung sind unbekannt.Im Museum wird die Huldigungsmünze aufbewahrt.

Die schönsten Stukkaturen hat Albucci in den für denKurfürsten bestimmten Räumen des ersten Turm-geschosses und in den der Kurfürstin gewidmeten Räumendes zweiten Stockwerks im Obertor geschaffen

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Der Obertorturm, das einzig erhaltene von einst drei Stadttoren, war ursprünglich wesentlich höher als heute. Er hatte überdem spitzbogigen Tor drei Stockwerke. Als 1698 der Turm in das Schloss einbezogen wurde, beseitigte man das obersteGeschoss und erneuerte die darunter liegenden, indem man sie mit schwächeren Mauern und größeren Fenstern aufführteund so schöne Gemächer gewann. Damit hat der Turm im wesentlichen seine heutige Gestalt erhalten.

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fülle, ihr Phlegma und körperliche Unbe-holfenheit Enttäuschung bereiteten.

KURPFÄLZISCHE RESIDENZ – FÜR ZWEI JAHRE

Friedensort ist Weinheim also nicht gewor-den, aber es wurde kurpfälzische Residenz-stadt, wenn auch nur für zwei Jahre. DerWechsel von Regierung, Universität und Uni-versitäts-Druckerei aus Heidelberg nachWeinheim war eine Folge des Pfälzischen Erb-folgekrieges und der schonungslosen Aus-führung des Befehls aus Paris: „Brennt diePfalz nieder!“ „Brûlez le Palatinat!“ ordnete derMarquis de Louvois, Kriegsminister Lud-wigs XIV., im September 1688 an und GeneralMélac führte den Befehl in grausamster Weiseaus. Keine Stadt und kein Dorf in der Kurpfalzblieben verschont – außer Weinheim. Obwohlsie kaum ihre eigenen Bürger versorgenkonnte, hatte es die Stadtverwaltung immerwieder verstanden, mit französischen und

deutschen Befehlshabern geschickt zu ver-handeln und die Stadt vor Plünderungen undZerstörungen zu bewahren, wenn auch aufKosten hoher Abgaben.

Als der Krieg zu Ende war, lag das Heidel-berger Schloss in Trümmern, das Universitäts-gebäude war eine Ruine und an einen raschenWiederaufbau der verwüsteten Pfalz war nichtzu denken. Das ließ den von Düsseldorf ausregierenden Kurfürsten Johann Wilhelm, inDüsseldorf Jan Wellem genannt, nach demFrieden von Rijswijk und der Rückgabe derPfalz 1698 daran denken, den kurfürstlichenHof vom zerstörten Heidelberg ins unzerstörteWeinheim zu verlegen und das Pfalzgrafen-schloss zu seiner Residenz zu machen.

Niemand fragte damals nach den Schwie-rigkeiten, in dem gerade mal 1400 Einwohnerzählenden Weinheim für das Hoflager, dieRegierung und die Universität Quartier zubeschaffen. Schon damals bediente man sichdes Rezepts, das 1945 auch die amerikanischeMilitärregierung anwandte: man beschlag-

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Der Ulnersche Adelshof, rechts von Obertor und pfalzgräflichem Schlosspavillon, nach dem Merian-Stich um 1620

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Elisabeth Augusta am Spinett. J. H. Tischbein um 1750/55, Kurpfälzisches Museum Heidelberg.

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nahmte Häuser und Wohnungen, um für dieneuen Herren Platz zu schaffen. Die Quartier-beschaffung machte auch vor dem Amtskeller,dem höchsten pfälzischen Beamten in derStadt, nicht Halt: auch er musste seine Woh-nung im Schloss verlassen. Übel mitgespieltwurde vom streng katholischen Landesherrnden Weinheimer Protestanten, die zeitweise diebeiden reformierten Kirchen den wenigenKatholiken in der Stadt überlassen mussten.

Diese Entscheidung blieb allerdings nichtauf Weinheim beschränkt. Das WeinheimerSchloss wurde denn auch 1699 zum Verhand-lungsort im Streit des Kurfürsten JohannWilhelm mit den protestantischen Reichs-ständen, die sein Auftreten gegen seineprotestantischen Untertanen kritisierten –ohne Erfolg, denn der Kurfürst berief sich aufdas vor dem Dreißigjährigen Krieg geltendeReformationsrecht, das seine Vorfahren besa-ßen. Erst 1705, fünf Jahre nach der RückkehrJohann Wilhelms nach Heidelberg, lenkte derKurfürst auf Druck Preußens ein.

Die Heidelberger Universität kam in Wein-heim nicht zu neuem Leben und von der Uni-versitätsdruckerei ist allein die Erinnerung an

die Neuauflage des kurpfälzischen Landrechtsgeblieben.

DIE MEDICÄERIN UMGAB SICHMIT ITALIENERN

An die Zeit, da Weinheim Residenzstadt warund sich mit Johann Wilhelms hochfliegendenPlänen zur Erweiterung des Schlosses Hoff-nung machen durfte, für alle Zeit kurpfälzischeMetropole zu sein, erinnert heute noch ein(renovierungsbedürftiger) Stein an derInnenmauer des kleinen Schlosshofs. Er zeigtzwei Wappen: links das vom Kurfürstenhut desPfalzgrafen Johann Wilhelm überragte Wappenmit den Löwen als Wappentieren der Pfalz, vonJülich, Berg und Veldenz, den bayerischenRauten, der Lilienhaspel von Cleve, den Spar-ren von Ravensburg und den durch Quer-balken getrennten Wappenfeldern von Moersund Mark, also allen Herrschaftsgebieten

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Lady Jane Ellenborough, 1831 gemalt von Joseph Stieler fürdie Schönheiten-Galerie König Ludwigs I. von Bayern. DasPorträt ist bis heute in Schloss Nymphenburg zu sehen.

Auguste Gräfin Waldner von Freundstein lebte 41 Jahre imWeinheimer Schloss und machte es zum Mittelpunkt einesregen gesellschaftlichen Lebens

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Johann Wilhelms. Unter diesem Wappen ist derOrden des Goldenen Vlieses dargestellt, dervornehmsten Auszeichnung, die in jener Zeitein Fürst empfangen konnte. Das rechte derbeiden Wappen erinnert an Kurfürstin AnnaMaria Luisa, Johann Wilhelms Gemahlin. Sieentstammte der florentinischen Herrscher-und Bankiersfamilie der Medici und war ihrletzter Nachkomme. Das Wappen weist sechsKugeln auf, die Arztpillen sein können, weilMedici zu deutsch Ärzte sind, aber auchMünzen, die auf das ursprüngliche Geschäftder Medici als Pfandleiher verweisen würden.Die Umstellung vom prunkvollen Florenz aufdas damals gerade mal 8500 Einwohnerzählende Düsseldorf und mehr noch auf dasdörfliche Weinheim mit seinen 1400 Ein-wohnern muss Anna Maria Luisa Medicischwer gefallen sein. Doch das Reisetagebuchder Kurfürstin verrät, dass das Kurfürstenpaarweiter hauptsächlich in Düsseldorf residierteund die Pfalz von Düsseldorf aus bereiste.Dabei wohnte es stets in Weinheim. 1702

weilte die Medicäerin letztmals in Weinheim,wo man ihr nachsagte, sie sei stolz undprunksüchtig. Anna Maria Luisa beherrschtemehrere Sprachen, hatte zeitlebens aberSchwierigkeiten mit dem Deutschen. Sie bliebauch in Weinheim stets Italienerin und umgabsich mit italienischen Vertrauten, Diene-rinnen, Ärzten, Sekretären und Köchen.

CARL THEODOR UND DIEMAULBEERBÄUME

Antonio Petrini, der berühmte Baumeisterder Würzburger Fürstbischöfe, entwarf fürJohann Wilhelm und Anna Maria Luisa eineneue Residenz in Weinheim, doch die neuekurpfälzische Residenz entstand in Mannheimunter Kurfürst Karl Philipp, dem Bruder undErben Johann Wilhelms.

Nachfolger Karl Philipps wurde sein NeffeCarl Theodor. Auf Befehl des Onkels heiratete er,als Achtjähriger, seine vier Jahre ältere CousineElisabeth Augusta. Die arrangierte Ehe gingnicht gut, das einzige Kind starb einen Tag nachder schwierigen Geburt, und so überraschte esniemanden, dass die Kurfürstin nicht mit nachMünchen zog, als Carl Theodor das HerzogtumBayern erbte und nach dem Erbvertrag alleseine Länder von München aus regieren musste.In Weinheim ist der kunstfreudige Fürst, denman in Mannheim ungern scheiden sah, alsFörderer des Anbaues von Mandeln, Nüssen undKastanien sowie der Anpflanzung der heute inWeinheim noch sehr häufigen Robinien inErinnerung. Besonderes Augenmerk richteteder Kurfürst offenbar auf die Seidenzucht. Erwollte die Pflanzung von Maulbeerbäumen

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Über der Pforte von der Obertorstraße zum KleinenSchlosshof ist das Berckheimsche Wappen zu sehen: InGold ein rotes Balkenkreuz, auf dem Spangenhelm mitrotgoldenen Helmdecken eine Grafenkrone, darüber einegoldene Ente auf einem roten Kissen mit goldenenQuasten stehend

Aus dem Jahre 1857 stammt die Zeichnung des MalersErich Kirchner, eines Schülers von Caspar David Friedrich

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durchsetzen, stieß dabei aber auf den hartnä-ckigen Widerstand der Weinheimer und mussteam Ende seines Lebens gar erfahren, dass inWeinheim die letzten herrschaftlichen Maul-beerbäume abgeschlagen wurden. Das war wohleine Bürgerantwort auf die stetig gewachseneVerschwendungssucht des Hofes, die an-maßende Bürokratie und die erhöhten Steuer-freiheiten für die höheren Kreise.

ELISABETH AUGUSTA: „UNSER LISSEL“Bedeutend näher als der Kurfürst stand den

Weinheimern seine Gemahlin Elisabeth Au-

gusta. Sie verehrten sie als „liebste und ersteBürgerin“ und trauerten sehr, als sie am17. August 1794 im Weinheimer Schloss starb.Das Buch des Ludwigshafener Archivrats Dr.Stefan Mörz über „Elisabeth Augusta, die letzteKurfürstin von der Pfalz“ macht seit 1997etwas vertrauter mit einer außergewöhnlichenFrau, die sich „aus einer jungen, übermütigenFürstin durch eine Reihe von Schicksals-schlägen und Fügungen zur ,Landesmutter‘und ,unserer Lissel‘ entwickelte, deren Weltdurch die Revolution zerstört wurde, die abergerade durch ihr Bleiben in dem kriegs-gequälten Land neue Achtung bei ihrenUntertanen gewann“.

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Auguste Gräfin Waldner von Freundstein liebte es, wenn sich ihre Familie um sie versammelte. Zu den Familientreffenkamen oft auch die französischen Verwandten ins Weinheimer Schloss. Bei einem solchen Familientreffen ist eines derältesten Schlossparkbilder entstanden. Es wurde 1875 gemacht und ist damit 130 Jahre alt. Im Mittelpunkt ist, mitmodischem Häubchen, die Gräfin Waldner zu sehen. Sie war damals 79 Jahre alt. Links außen steht ihr ältester Sohn,Christian Freiherr von Berckheim, der Gründer des Exotenwaldes und Erbauer des mächtigen Schlossturms. Davor sitzt seinSohn Siegmund, der spätere erste Graf von Berckheim. In der Bildmitte, hinter seiner Mutter, ist Sigismund Wilhelm vonBerckheim zu sehen, französischer General und im Krieg 1870/71 deutscher Kriegsgefangener im Schloss seiner Mutter undseines Bruders. Zwischen Christian und Sigismund von Berckheim steht Adolfine von Berckheim, geborene Freiin Wamboltvon Umstadt, Ehefrau von Siegmund von Berckheim, zwischen Sigismund von Berckheim und einem französischen Gaststeht Ida von Berckheim, geborene Gräfin Waldner von Freundstein, Ehefrau von Christian von Berckheim. Bemerkenswertan diesem Familienbild ist auch, dass das Türmchen am Obertor noch einen spitzen Helm trug und der Gingko (hinterChristian von Berckheim) noch ein junger Baum war.

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Kurfürstin Elisabeth Augusta nahm am3. Januar 1794 auf der Flucht vor der fran-zösischen Revolutionsarmee in Weinheimeinen neuen Wohnsitz. Weinheim war von ihrmöglicherweise deshalb ausgewählt worden,weil sich hier seit etwa zehn Jahren einmodernes Landschloss befand. Es gehörte demReichsgrafen von und zu Lehrbach und er botElisabeth Augusta seinen Schlossneubau alsWohnsitz an. Der elegante Bau auf der Südseitedes Obertors war durch den Torturm mit demalten kurfürstlichen Schloss auf der Nordseiteverbunden. Elisabeth Augusta wird wohl auchdie Räume benutzt haben, die im Obertorturmnach den Plänen Antonio Petrinis gestaltet undvon Giuseppe Albucci mit den herrlichenStuckarbeiten ausgestattet wurden, die nochheute Besucher der beiden Stockwerke imObertorturm begeistern.

In dieser Umgebung, vermutlich im heuti-gen Dienstzimmer des Weinheimer Ober-bürgermeisters, starb Elisabeth Augusta am17. August 1794 im 74. Lebensjahr. Zwei Tagespäter wurden die sterblichen Überreste derKurfürstin in die Karmeliterkirche von Heidel-berg überführt. Bewaffnete begleiteten denLeichenzug, weil man einen Überfall derfranzösischen Revolutionstruppen befürchtenmusste. Am Tag der Beisetzung kam es amSarg der Kurfürstin zu Szenen, die die Liebeder Pfälzer zu ihr dokumentierten: „Wirmüssen unser Lissel noch einmal sehen!“.1805 wurden die Särge der kurfürstlichenFamilie von Heidelberg nach München über-führt. Noch heute ruht der Leichnam ElisabethAugustas in der Gruft der Münchner Michaels-kirche und manchmal liegt eine Rose auf demSarkophag der letzten Kurfürstin von derPfalz.

DIE KURFÜRSTIN UND DERFREIHERR

Mit seinem Hinweis auf den ÜbermutElisabeth Augustas spielt ihr Biograf Mörz aufdie Jahre an, in denen die Kurfürstin „allesandere als eine treue Ehefrau war“. Die als 12-jähriges Mädchen mit einem ihr gänzlichunbekannten Achtjährigen verheiratete, vonihrer Ehe enttäuschte junge Frau wurde offen-sichtlich von vielen Männern umworben, auch

weil es sich für die Kavaliere lohnte, das Wohl-wollen der Fürstin zu besitzen, denn dasbedeutete, am Hof Karriere zu machen.

Nie ganz aufgeklärt, aber immer einThema, über das sich trefflich reden undschreiben ließ, war das Verhältnis zwischenElisabeth Augusta und dem Freiherrn KarlChristian von Eberstein. Der geheimnis-umwitterte Skandal erschütterte 1763 denMannheimer Hof, obwohl es dort, in Nach-ahmung des französischen Hofes unterLudwig XV., an galanten Abenteuern nichtmangelte. Eberstein soll, mit einer Pistolebewaffnet, in die Gemächer der Kurfürstin imSchwetzinger Schloss eingedrungen sein undin verliebter Raserei die Fürstin, die sich bisherseinen Anträgen gegenüber wohl eherablehnend verhalten hatte, zur Erfüllungseiner Wünsche gedrängt haben. Ebersteinwurde verhaftet, von Carl Theodor als Geistes-kranker bezeichnet und in der Festung Dils-berg inhaftiert. Wenig später wurde Ebersteinins Weinheimer Karmeliterkloster gebracht,

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Am Anfang des Wanderwegs steht der Stein, der an denSchöpfer des Exotenwaldes erinnert: Christian Freiherrvon Berckheim. Sein Enkel Dr. Philipp Graf von Berck-heim, hat ihn 1936 setzen lassen.

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das er bis zu seinem Tod, 31 Jahre später, nichtmehr verlassen durfte.

Elisabeth Augusta und Eberstein warensich in den acht Monaten der Anwesenheit derKurfürstin im Weinheimer Schloss sehr nahe –nur der heutige kleine Schlosshof trennte sie.Aber es kam zu keiner Begegnung.

DER GROSSHERZOG WOLLTE KEINBADISCHES SCHLOSS IN WEINHEIM

400 Jahre lang war der Schlosskomplexnördlich des Obertors pfalzgräfliches undkurfürstliches Haus. Dann änderte Napoleondie deutsche Landkarte, die alte Kurpfalz ver-schwand, das Großherzogtum Baden entstandund erbte auch das stattliche Barockgebäude inWeinheim. Als sich 1833 der badische Staatvon einer größeren Anzahl seiner WeinheimerLiegenschaften trennte, wurden der EngländerWilliam Booth und Weinheims Oberbürger-meister Albert Ludwig Grimm die neuen, nunprivaten Schlossbesitzer.

Grimm war, nach Hauslehrerjahren imberühmten Heidelberger ErziehungsinstitutSchwarz, 1806 zum Rektor der reformiertenLateinschule in Weinheim berufen und 1812

zum Professor ernanntworden. Die Heiratmit Auguste WilhelmineFalck, geborene Freiinvon Wallbrunn undWitwe des pfalz-bayri-schen Rates FriedrichFalck, machte Grimmzu einem vermögendenMann und erlaubte ihmden Kauf der alten pfalz-gräflichen Kellerei imnun großherzoglichenSchloss. Seit 1825gehörte Grimm alsVertreter des 35. badi-schen Wahlbezirks unddamit der Ämter Wein-heim und Ladenburgder Zweiten badischenKammer an, seit 1829war er Bürgermeister,seit 1832 Oberbürger-meister von Weinheim.

1838 schied Albert Ludwig Grimm aus demLandtag aus und trat als Oberbürgermeisterzurück, weil ihm Weinheims Geschäftsleuteund Wirte nicht verzeihen wollten, dass er dieHerausnahme des Nord-Süd-Durchgangs-verkehrs aus der Innenstadt und seine Ver-legung auf die Bergstraße nicht verhinderthatte. 1854 verkaufte Grimm das „Schlöss-chen“, das inzwischen ein gesellschaftlicherMittelpunkt für die Intelligenz des Landstädt-chens und der weiteren Umgebung gewordenwar, an den Freiherrn von Berckheim.

Der neue Schlossbesitzer, Christian Fried-rich Gustav Freiherr von Berckheim, großher-zoglich badischer Kammerherr und Minister-Resident am königlich bayrischen Hof, hattezuvor schon den Schlosspavillon von WilliamBooth erworben und vereinte nun die nördlichund südlich des Obertors gelegenen Gebäudezum Stammgut der aus elsässischem Uradelstammenden Familie von Berckheim. Dochehe es seine endgültige Form erhielt, solltenoch ein Jahrzehnt vergehen, denn 1856 ver-mietete Berckheim das „Schlösschen“, wie diealte Kellerei seit Grimms Umbauten genanntwurde, an die Familie Carl Johann Freuden-berg. Der Mietvertrag zwischen dem Begrün-

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Ein Blick in die Anbauplanunges des Exotenwald-Begründers. Sie sind im „Garten-büchlein“ enthalten und nehmen dort mehr Raum ein als die Bestandsplanungen.

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der des heute weltweit operierenden Familien-unternehmens, und dem Freiherrn entbehrtenicht einer gewissen Pikanterie, denn kurzzuvor hatte es erhebliche Meinungsver-schiedenheiten zwischen der Firma Heintze &Freudenberg und Christian von Berckheimüber die Pläne des Unternehmens gegeben, die1852 westlich des Schlosses errichtete Lackier-fabrik zu erweitern.

EIN GEDANKLICHERSALTO RÜCKWÄRTS

150 Jahre vor dem Einmünden der Schloss-geschichten in die Gegenwart eines Rathausesmuss der Leser einen gedanklichen Salto rück-wärts machen. Statt mit den Pfalzgrafen, mitGrimm und Freudenberg, muss er sich kurzmit den großen Weinheimer AdelsfamilienSwende und Ulner beschäftigen, die den Wegdes südlich des Obertors entstandenenGebäudekomplexes zum Stammgut Berckheimbegleiteten.

Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts sind dieSwende in Weinheim nachweisbar. Sie führtendie Weinleiter, die noch heute Teil des Stadt-wappens ist, in ihrem Familienwappen. DieSwende besaßen mehrere Adelshöfe, darunterdie Herrensitze zu beiden Seiten des Obertors.Den nördlichen Hof verkauften sie 1423 anPfalzgraf Ludwig III. und ermöglichten damitden Bau des kurfürstlichen Schlosses, dersüdliche Adelshof fiel nach dem Aussterben derSwende 1482 an die Forstmeister von Geln-hausen und 1515 an die Ulner von Dieburg, diein den folgenden Jahrhunderten zur reichstengrundherrlichen Familie in Weinheim wurden.Ihre Mitglieder übten kurpfälzische Hofämteraus.

Ein Teil der heutigen Schlossgebäudewurde 1725 unter Franz Pleikard Ulner vonDieburg umgebaut. Mit Johann Wilhelm Ulnervon Dieburg starb die Familie 1771 imMannesstamm aus und der Besitz wurde unterden drei Töchtern aufgeteilt. Die WeinheimerKellerei fiel dabei an die jüngste TochterFriderike Philippine, die als Reichsgräfin vonund zu Lehrbach 1780 dem Südflügel desWeinheimer Schlosses sein heutiges Aussehengab. Da die Lehrbachs ohne Kinder blieben, fielder gesamte Ulnersche Besitz 1832 an den

Enkel der ältesten Schwester von FriderikePhilippine, an Karl Freiherr von Venningen.

AUSSERHALB ALLER NORMEN:LADY JANE

Mit dem neuen Schlossbesitzer aus einemalten, im Kraichgau ansässigen Adelsge-schlecht kommt seine schöne Frau Jane nachWeinheim, die als eine der faszinierendstenFrauengestalten des 19. Jahrhunderts be-schrieben wurde. Es ist viel über Lady Janegeschrieben worden und nicht alle Autorenhaben sich seriös mit Jane Digby, verheirateteEllenborough, Venningen, Theotoki undMesrab beschäftigt. Ihr Name tauchte in derLiteratur auf, in Skandalgeschichten, in Reise-

beschreibungen des Vorderen Orients oder inden Büchern über die Schönheiten-Galerie inSchloss Nymphenburg, in die sie 1831 vonBayern-König Ludwig I. aufgenommen wurdeund wo ihr Porträt bis heute zu sehen ist.

1833 kam Lady Jane, gegen den erbittertenWiderstand ihrer Schwiegermutter, als Gattindes Schlosserben Karl von Venningen nachWeinheim. Neun Jahre später wurde die Ehegeschieden. Schuld daran war ein griechischerGraf, mit dem sie aus Weinheim flüchtete. Erwar einer von Janes vier Ehemännern, doch dieLiebe ihres Lebens war Felix Prinz zuSchwarzenberg, der spätere österreichischeMinisterpräsident. Er war der Vater von zweider insgesamt sechs Kinder von Lady Jane,

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Stationen der baulichen Entwicklung des kurfürstlichenSchlosses zu Weinheim und der Blick auf die Amtskellerei(Bildmitte)

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aber er hat die schöne Engländerin, die 1881als Frau des Beduinen-Scheichs Medjuel elMesrab in Damaskus starb, nie geheiratet.

Einer von Lady Janes Gästen in Weinheimwar Honoré de Balzac. Das leidenschaftlicheTête-à-Tête, das man der Begegnung desDichters mit der Baronin nachsagte, hat wohlkaum stattgefunden. Doch das Treffen inWeinheim hatte ein literarisches Ergebnis, andas heute ein Sandsteintisch im Schlossparkerinnert: Balzac schrieb hier das Schluss-kapitel zu seinem Roman „Louis Lambert“.

EIN NEUER NAME: WALDNER VON FREUNDSTEIN

Karl von Venningen blieb nach der Schei-dung von Jane nicht in Weinheim, sondernlebte fortan als königlicher Kämmerer inMünchen, wo er einst Lady Ellenboroughkennen gelernt hatte. 1837 verkaufte derMannheimer Rechtsanwalt und spätere badi-sche Revolutionsführer Dr. Friedrich Heckerim Auftrag Karls von Venningen das UlnerscheAdelsgut mit dem Südflügel des Schlosses anAuguste Gräfin Waldner von Freundstein. Sieentstammte dem Mannheimer BankhausSchmalz, ihr Vater Freiherr von Stumm warspäter Hofbankier des bayrischen Königs.

In erster Ehe war Auguste von Stumm mitChristian Friedrich Freiherr von Berckheim

verheiratet und wurde Mutter zweier Söhne.Nach dem frühen Tod ihres Mannes und demTod ihrer Schwester Friederike heirateteAuguste von Berckheim ihren Schwager Theo-dor Graf Waldner von Freundstein, kaiserlichfranzösischer Oberst, Offizier der Ehrenlegionund Spross elsässischen Uradels wie die Berck-heims. Die Gräfin Waldner lebte 41 Jahre imSüdflügel des Schlosses und machte ihn zumMittelpunkt eines regen gesellschaftlichenLebens. Zu ihren Gästen zählte auch StephanieGroßherzogin von Baden, Nichte und Adoptiv-tochter Napoleons.

1844 heirateten der Sohn der Gräfin,Christian von Berckheim, und die Tochter desGrafen, Ida Waldner von Freundstein, unddamit blieb der Besitz von Berckheim/Waldnervon Freundstein in der Familie. Mit dem Kaufdes ehemals pfalzgräflichen Schlosses vereinteChristian von Berckheim 1853 die beidenSchlossteile und machte den Stammgut-Traumseiner Mutter zur Wirklichkeit. 40 Jahre späterzählten die Berckheims neben den Prinzen vonBaden, dem Grafen von Oberndorff und demGrafen von Wiser zu den vier größten Grund-besitzern im Rhein-Neckar-Raum.

SCHÖPFER DES EXOTENWALDES

Wie sein Vater Christian Friedrich, der alsMinister des Innern den Großherzögen Karl

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Im Bürgersaal, der Großen Halle des Schlossneubaues, tagenheute der Gemeinderat und seine beschließenden Ausschüsse

Das gräfliche Kamin- und Jagdzimmer im Schlossturm istheute Trauzimmer der Stadt Weinheim

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und Ludwig von Baden gedient hatte, tratChristian Friedrich Gustav von Berckheim inbadische Dienste. Als Großhofmeister leitete erdie Ausbildung der beiden ältesten PrinzenLudwig und Friedrich, die während ihresStudiums in Heidelberg oft ins WeinheimerSchloss kamen. 1871 kehrten die Berckheimsnach Weinheim zurück. Der eher konservativeFreiherr passte nicht mehr so recht zurliberalen Entwicklung im GroßherzogtumBaden.

Dafür ist Christian von Berckheim in dieStadtgeschichte eingegangen als Schöpfer desExotenwaldes. Die Voraussetzungen hatteseine Mutter, die Gräfin Waldner, mit umfang-reichem Geländeerwerb rund ums Schlossgeschaffen. In die großzügige Erweiterung dermöglicherweise bereits von Friedrich LudwigSckell für die Lehrbachs gestalteten Anlage desSchlossgartens ließ Berckheim eine großeZahl von seltenen Bäumen, Blütensträuchern

und Schlingpflanzen aus allen gemäßigten,aber auch aus subtropischen Gebieten der Erdepflanzen. Das familieneigene Waldgebiet imöstlichen Anschluss an den Schlossparkgestaltete Christian von Berckheim zu einemWaldpark mit Alleen, Teichen, Brunnen undSitzgruppen. Die Anbaupläne für knapp 100Nadel- und über 50 Laubbaumarten hat Berck-heim penibel in einem Gartenbüchlein fest-gehalten. Die Fachwelt bewundert heute diemit großer Energie und gewaltigem finanzi-ellen Einsatz angegangene Zielsetzung desFreiherrn, denn die Pflanzen wurden meist inTöpfen oder Bündeln aus Orléans, London oderGent bezogen und das bedeutete bei dendamals zur Verfügung stehenden Transport-mitteln einen riesigen Aufwand. Nach demkalten Winter 1878/79, dem die Mehrzahl dergepflanzten Baumarten und darunter alle 2874Libanonzedern zum Opfer gefallen waren,ersetzte Berckheim die meisten Ausfallflächenmit Baumarten, die in Pflanzung und Pflegeunkomplizierter waren. Damit wurde aus demParkwald ein eigentlicher Wald: der heute rund60 Hektar große Exotenwald, der seit 1955 imBesitz des Landes Baden-Württemberg ist.

DAS HEUTIGE SCHLOSSENTSTEHT

Nach dem Abschied vom badischen Hof wardie Anlage des Exotenwaldes eines der Lebens-ziele Christian von Berckheims, ein andereswar der Wunsch, dem Südflügel des Schlosseseinen ähnlich repräsentativen Nordflügelanzufügen. Mit dem Abriss des alten Kellerei-gebäudes und dem Bau des mächtigen, demBlauen Turm in Wimpfen nachempfundenenSchlossturms machte Christian von Berck-heim 1868 den Anfang. Den 2. Bauabschnittund damit den eigentlichen Schlossausbauerlebte er nicht mehr. Ihn vollzog sein SohnSiegmund zwischen 1891 und 1895 und des-halb konnte im Schlossneubau 1900 dieErhebung Siegmund von Berckheims in denGrafenstand gefeiert werden.

Auch er hatte in Karlsruhe Karrieregemacht. Siegmund Freiherr von Berckheimwar badischer Gesandter am preußischen Hofin Berlin und am sächsischen Hof in Dresden.1894 vertrat er den badischen Großherzog bei

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Der Sarg des letzten in Weinheim lebenden Berckheim war1984 im Mausoleum aufgebahrt und mit den rotgelbenFarben des Hauses bedeckt. Kränze der Häuser Fürsten-berg und Wambolt von Umstadt schmückten ihn.

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der Krönung des russischen Zaren Nikolaus II.Mit der Erhebung zum Grafen und mit derÜberlassung der Burgruine Windeck überWeinheim würdigte der Landesherr die Ver-dienste des Hauses Berckheim um das Groß-herzogtum.

DER ZERFALL EINESBEDEUTENDEN BESITZES

Graf Siegmunds Erbe trat sein Sohn Dr.Philipp Constantin von Berckheim an. Erarbeitete bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegsin diplomatischem Dienst, wurde 1916 demVertreter des Auswärtigen Amtes beim deut-schen Großen Hauptquartier in Spa zugeteiltund war bei Kriegsende Mitglied der deutschenWaffenstillstandskommission. Nach Friedens-schluss kehrte Philipp von Berckheim nachWeinheim zurück und bemühte sich, den inKriegs- und Inflationsjahren zunehmendenZerfall des Stammguts Berckheim aufzuhalten.Es gelang nicht: 1938 verkaufte Philipp vonBerckheim den Schlosskomplex an die StadtWeinheim. Sie schuf im Erdgeschoss einSchlosscafé und richtete in den übrigenGebäudeteilen Dienstzimmer für die Stadtver-waltung und Sitzungsräume für den Ge-meinderat ein.

Der gräfliche Große Saal und das Herren-zimmer sind heute als Bürgersaal und als Trau-zimmer besondere Schmuckstücke des Wein-heimer Schlosses, das bis 1945 partei- undkommunalpolitisches Machtzentrum der Na-tionalsozialisten war und am 29. März 1945Sitz der amerikanischen Militärregierungwurde. Nach dem Auszug der Amerikanerwurde die Stadtverwaltung 1946 wieder Herrim eigenen Haus. Das Schloss war in denschwierigen Nachkriegsjahren Mittelpunkt desoft verzweifelten Bemühens der städtischenÄmter, die Versorgung der Bevölkerungeinigermaßen zu sichern. Im Spätherbst 1946wurde auch der Schlosspark, der den Besat-

zungstruppen als Parkplatz gedient hatte, andie Stadt zurückgegeben.

DAS ENDE EINERGROSSEN FAMILIE

Die Familiengeschichte derer von Berck-heim ist in Weinheim 1984 mit dem Tod Con-stantin von Berckheims zu Ende gegangen.Der Sohn Philipp von Berckheims hatte sichnach einer Kette von Enttäuschungen, Nieder-lagen und Verlusten von allem trennenmüssen, was sein Leben begleitet hatte. SeinSohn Constantin Christian Graf von Berck-heim wuchs in der Familie seiner MutterSophie-Antoinette Prinzessin zu Fürstenbergin Donaueschingen auf.

Literatur

Mörz, Stefan: Die letzte Kurfürstin: Elisabeth Augustavon der Pfalz, die Gemahlin Karl Theodors. Kohl-hammer-Verlag, Stuttgart, 1997.

Oelwein, Cornelia: Lady Jane Ellenborough: eine Fraubeeindruckt ihr Jahrhundert. Ehrenwirth Verlag,München, 1996.

Rall, Hans und Marga: Die Wittelsbacher in Lebens-bildern. Verlag Styria, Graz, 1986.

Wilhelm, Ulrich: Der Exotenwald Weinheim. Ed.Diesbach, Weinheim, 2. Aufl. 2002.

Stadtmuseum Düsseldorf (Hrsg.): Anna Maria LuisaMedici. Kurfürstin von der Pfalz. Meyer-Verlag, Düssel-dorf 1988.

Bilder:Diesbacher Medien, Weinheim

Anschrift des Autors:Heinz Keller

Friedrich-Ebert-Ring 8569469 Weinheim

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Vor 1250 Jahren, 755, schenkte Marchariusseine Güter in Weinheim „um der Liebe unse-res Herrn Christus und um der Verzeihungmeiner Sünden willen“ an die Kirche St. Peterin Heppenheim. Diese Tatsache wäre heutenicht mehr bekannt, wenn nicht einige Jahrespäter eben diese Kirche mit ihren Besit-zungen an das neugegründete Kloster Lorschgeschenkt worden wäre. Die Urkunde vom17. Juli 755, in der Weinheim zum ersten Malschriftlich erwähnt wird, findet sich allerdingsnur noch in einer Abschrift des 12. Jahr-hunderts, dem sogenannten Codex Laures-hamensis oder Lorscher Codex.

Die erste schriftliche Erwähnung Wein-heims vor 1250 Jahren bietet den Anlass fürzahlreiche Feierlichkeiten, die in diesem Jahrin Weinheim stattfinden werden.

1250 Jahre Stadtgeschichte im Rahmeneines Aufsatzes darzustellen, erweist sich alsnicht einfach. Die Stadtgeschichte beginnt jaauch nicht erst mit der ersten schriftlichenErwähnung. Der Aufsatz kann nur einen erstenÜberblick geben, verwiesen sei hier schon aufdie folgenden ausführlicheren Arbeiten zuEinzelthemen.

Die Große Kreisstadt Weinheim, Mittelzen-trum an der Badischen Bergstraße, liegt imRhein-Neckar-Dreieck zwischen den StädtenMannheim, Heidelberg und Darmstadt. ImOsten und im Westen sind die Stadtgrenzenzugleich die Landesgrenzen zu Hessen. DieRheinebene, die Bergstraßenlandschaft und derOdenwald prägen das Landschaftsbild der Stadt.

DER BRONZEFUND VONWEINHEIM-NÄCHSTENBACH

Die fruchtbaren Böden lockten schon frühMenschen zur Besiedlung. Aus der Jungstein-zeit sind lediglich Einzelfunde bekannt. DerBronzezeit sind auf Weinheimer Gemarkungsechs Fundstellen zuzurechnen, darunter eine

Siedlungsstelle im heutigen Stadtteil Lüt-zelsachsen. Am bedeutendsten ist sicherlichder Nächstenbacher Bronzefund, der am22. Mai 1931 beim Beseitigen mehrerer Fels-blöcke oberhalb des Anwesens von NikolausKnapp entdeckt wurde. Zwischen zwei hochaufragenden Steinen lagen dicht beieinander76 Bronzegegenstände. Ein Gefäß, das dieGegenstände geschützt hatte, konnte nichtnachgewiesen werden. Die Fundstelle liegtabseits von allen Verkehrswegen, in einemhöher gelegenen Seitental. Der Grund für dieNiederlegung ist heute unbekannt. Die Zu-sammensetzung des Fundes aus beschädigtenStücken ließ zunächst an einen Altwaren-händler oder Bronzegießer denken; heute gehtman eher von einer Opfergabe aus. Diegefundenen Gegenstände repräsentieren fastdas gesamte Metallinventar der späten Urnen-felderzeit (ca. 800 v. Chr.). Neben Schmuck-stücken finden sich auch zahlreiche Waffensowie Geräte für den Ackerbau.

RÖMER UND ALEMANNEN

Die Römer überquerten um die Mitte desersten Jahrhunderts den Rhein. Aus einem derMilitärlager entstand die Zivilsiedlung Lopodu-num, Hauptort der „Civitas Ulpia SueborumNicretum“, des Landkreises der Neckarsueben,zu dem auch das untere Neckartal und dieBergstraße gehörten. Lopodunum, das heutigeLadenburg, lag an Handelsstraßen und in-mitten eines Netzes von Gutshöfen. Auch imwenige Kilometer entfernten Weinheim sind13 Fundstellen aus römischer Zeit bekannt.Die meisten Fundstellen liegen entlang derheutigen Bundesstraße B 3, darunter auch 5römische Villen. 1990 wurde beim Bau desSaukopftunnels im Norden der Stadt erneuteine römische Villa entdeckt. Bei einer Not-grabung konnten sie in ihren Abmessungenerfasst werden.

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! Andrea Rößler !

Weinheim – Porträt einer Stadt

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Ungefähr 200 Jahre dauerte das römischeLeben in Weinheim. Dann überrannten dieAlemannen den Limes, zerstörten die römi-schen Siedlungen und besetzten das rechts-rheinische Gebiet. Römische Gegenoffensivenwaren vergeblich. Um das Jahr 500 jedochdehnten die Franken ihr Siedlungsgebiet aus.

DAS MEROWINGERZEITLICHEGRÄBERFELD, GEWANN KAPELLENÄCKER

1909 beabsichtigte die Firma Freudenbergauf ihrem Betriebsgelände an der Bahn einKlärbecken für die bei der Lederverarbeitungentstehenden Abwässer zu errichten. Bei Aus-schachtungsarbeiten stieß man im Winter aufreihengräberzeitliche Bestattungen. Freuden-berg gestattete die Grabungen auf dem für dasKlärbecken vorgesehenen Gelände. Insgesamtkonnten mindestens 52 Gräber freigelegtwerden; von den Toten waren 21 Männer, 17

Frauen und 3 Kinder, 8 Gräber konnten nichtzweifelsfrei einem Geschlecht zugewiesenwerden. Bei dieser Grabung wurde nur ein Teildes gesamten Gräberfeldes erfasst, Siedlungs-spuren fanden sich nicht.

Die Lage des Bestattungsplatzes rund 1 kmentfernt vom späteren Dorf Winenheimschließt wohl aus, dass es sich um den Be-stattungsplatz des Dorfes handelt.

Die geborgenen Gräber umfassen die Zeit-spanne vom frühen 6. bis in die 2. Hälfte des7. Jahrhunderts n. Chr. Die Beigaben aus denGräbern werden heute im Museum der StadtWeinheim verwahrt.

Einige weitere Einzelfunde aus dem Stadt-gebiet verweisen ebenfalls auf die BesiedlungWeinheims in fränkischer Zeit.

LORSCH

Sohn Gaugraf Cancor und seine MutterWilliswinda gründeten 764 auf ihrem Besitz ander Weschnitz ein Kloster, das wenige Jahrespäter durch Übertragung an Karl den Großenein Königskloster wurde. Der Lorscher Codexaus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhundertsdokumentiert mit fast 4000 Urkundeneinträ-gen den einstigen Reichtum der späterenReichsabtei Lorsch, deren Grundbesitz sichvon den Niederlanden bis in das Gebiet derheutigen Schweiz erstreckte. Viele Ortschaftenfinden im Codex ihre Ersterwähnung; keineeinzige der in ihm eingetragenen Urkunden istallerdings mehr im Original erhalten. AuchWeinheim verdankt seine schriftliche Erster-wähnung diesem Codex. Marcharius schenkteseine Güter in Weinheim 755 an die Kirche St.Peter in Heppenheim; erst mit der Schenkungder Mark Heppenheim am 20. Januar 773 andas 764 gegründete Kloster Lorsch, gelangteein Teil Weinheims in den Besitz des KlostersLorsch. Mit der Übergabe der HeppenheimerPeterskirche an Lorsch kam wohl auch dieUrkunde in den Besitz des Klosters und wurdeBestandteil des Lorscher Archivs.

Auch in der folgenden Zeit sind immerwieder Schenkungen auf der heutigen Wein-heimer Gemarkung an das Kloster Lorschbezeugt. 790 vermachte Graf Raffold demKloster weitere Gemarkungsanteile Wein-heims. Als Fürstabtei war Lorsch mit beson-

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Fundstelle in Nächstenbach, 1931

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deren Privilegien ausgestattet, die dem Abt denRang eines Landesherren einräumten. KaiserOtto III. verlieh dem Kloster für seinen OrtWeinheim im Jahr 1000 das Marktrecht undKönig Heinrich IV. 1065 das Münzrecht. Mü-nzen aus der Lorscher Münzstätte Weinheimsind als einzige Lorscher Münzen noch heuteüberliefert. Der Besitzkomplex wuchs schließ-lich so an, dass das Kloster zum Schutz seinerBesitzungen um 1100 auf der Anhöhezwischen Weschnitz und Grundelbach einenbefestigten Amtssitz errichtete. Diese Anlagewar allerdings nicht vom König genehmigtworden, zudem auf fremdem Grund errichtet

worden, so dass die Burg wieder geschleiftwerden musste. Rund 30 Jahre später entstanddann die später Windeck genannte Burg.

AUSEINANDERSETZUNGENMAINZ – PFALZ

1232 verlor das Kloster Lorsch seineSelbstständigkeit und wurde dem Mainzer Erz-bischof unterstellt. Doch die Pfalzgrafenmeldeten als ehemalige Schirmvögte über dasKloster ebenfalls Besitzansprüche an. So grün-dete Pfalzgraf Ludwig um 1250 in unmittel-barer Nachbarschaft der mainzischen Siedlung

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Schenkung des Marcharius vom 17. 7. 755

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Weinheim Merian

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Weinheim eine neue Stadt Weinheim, die Neu-stadt. Diese Stadt nahm vermutlich bestehendepräurbane Siedlungsstrukturen auf. WeitereSiedlungsansätze im Grundelbachtal, derenReste bei Ausgrabungen 2004 freigelegtwurden, blieben zunächst außerhalb derBefestigungen. Die Neustadt wurde erstmals1264 im Hemsbacher Schiedsspruch mit„Stadt“ bezeichnet, als ein kaiserlichesSchiedsgericht die Burg Windeck und die Neu-stadt dem Pfalzgrafen Ludwig II. zusprach. DerErzbischof von Mainz verlieh zudem als Nach-folger im Besitz von Lorsch die Altstadt an diePfalz. Ludwig II. und seine Nachfolger ver-sahen Weinheim mit umfangreichen Privi-legien. 1308 ging auch die bis dahin main-zische Altstadt in den Besitz der Kurpfalz über.Von 1317 bis ca. 1340 war Weinheim nochmalsals Pfand in der Hand des Erzbischofs, dochseit 1368 gehörte Weinheim zu den unver-äußerlichen Bestandteilen der Kurpfalz. 1454wurden Altstadt und Neustadt zu einerGemeinde vereinigt, in die auch allmählich derBurgweiler Müll eingegliedert wurde. Dessenletzte Sonderrechte fielen erst 1811.

WEINHEIMIN DER PFÄLZISCHEN ZEIT

1423 erwarb Pfalzgraf Ludwig III. den Hofder Adelsfamilie Swende. 1537 entstand hierein neues Schloss, das immer wieder für kurz-zeitige Aufenthalte, wie bei Jagden, als Aus-flugsziel oder als Ort für politische Verhand-lungen diente. Ottheinrich quartierte sich1547 für einige Jahre im Schloss in Weinheimein, nachdem er sein Herzogtum Neuburg ander Donau verloren hatte und bevor er dieNachfolge als Kurfürst antreten konnte. Auchdie Kellerei, in die die Weinheimer ihreAbgaben lieferten, entstand hier.

Von der Blütezeit der Stadt im 16. Jahr-hundert zeugen noch heute die zahlreichenprächtigen Wohnhäuser im Gerberbachviertel,aber auch das heutige „Alte Rathaus“, das 1557als Kaufhaus errichtet wurde. Der 1645 in derTopographia Palatinatus Rheni veröffentlichteStich von Merian zeigt die älteste topo-graphisch genaue Ansicht der Stadt Weinheim.Viele der abgebildeten Gebäude sind nochheute leicht zu erkennen.

Die Kriege des 17. Jahrhunderts „30-jäh-riger Krieg (1618–1648)“ und „Pfälzischer Erb-folgekrieg (1688–1697)“ wurden in der Pfalzmit großer Härte geführt.

Die Entscheidung Pfalzgraf Friedrichs V.,sich in Böhmen zum König wählen zu lassen,führte in den europäischen Konflikt des30-jährigen Krieges. Weinheim hatte wie alleStädte unter wechselnden Besatzungen undEinquartierungen zu leiden und mussteunterschiedlichen Truppen umfangreiche Kon-tributionen und Nahrungsmitteln liefern.Bereits 1637 ist von der großen Armut derWeinheimer Bürger aufgrund der vielen Plün-derungen, Einquartierungen und Kontribu-tionen die Rede. Eine weitere Beschwernis derBürger war die Notwendigkeit der häufigenBekenntniswechsel, die die unterschiedlichenBesatzungen verlangen.

Krieg, Hunger und Seuchen kostetenzahlreichen Menschen das Leben. 1625, 1632und besonders 1666 forderte die Pest inWeinheim zahlreiche Opfer.

Gegen Ende des Jahrhunderts versuchteder französische König Ludwig XIV. im Namenseiner Schwägerin, Elisabeth Charlotte vonOrléans („Liselotte von der Pfalz“), aber gegenihren Willen, vorgebliche Ansprüche auf diePfalz auf militärischem Wege durchzusetzen.Auch die Windeck wurde in diesen Aus-einandersetzungen zerstört. Die Stadt selbstwurde in diesem Krieg, wie auch im voran-gegangenen nicht zerstört. Aus diesem Grundwählte sie Kurfürst Johann Wilhelm zurzeitweiligen Residenz. Der Hof, die Regierung,die Universität und weitere zentrale Ver-waltungsbehörden der Kurpfalz wurden ab1698 in Weinheim angesiedelt. Pläne zumAusbau des kleinen Schlosses wurden ent-wickelt, doch bereits 1700 zeigte der HofWeinheim endgültig den Rücken und kehrtezurück nach Heidelberg. Erinnert wird andiese kurze Glanzzeit als Residenz lediglichdurch das Wappen von Johann Wilhelm vonder Pfalz und seiner Gemahlin Anna MariaLuisa Medici, und durch die Tatsache, dass dieebenfalls in Weinheim untergebrachte Hof-druckerei mehrere Veröffentlichungen mitdem Druckort Weinheim herausbrachte,darunter das 1700 erschienene „PfälzischeLandrecht“.

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Pfälzisches Landrecht, gedruckt 1700 in Weinheim

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In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundertserlebte die Pfalz unter Kurfürst Karl Theodor(1742–1799) eine kulturelle Blütezeit: Er för-derte Künste und Wissenschaft, was allerdingsüber die finanziellen Möglichkeiten seinesLandes hinausging („Mannheimer Schule“ derMusik, Bildhauerakademie, Nationaltheater,Frankenthaler Porzellanmanufaktur, Schlossin Schwetzingen). Auch die Anpflanzung vonMaulbeerbäumen zur Seidenraupenzucht för-derte er. Die Weinheimer weigerten sichallerdings jahrzehntelang Maulbeerbäume zupflanzen, obwohl vorgeschrieben war, dassjeder neue Bürger zwei Maulbeerbäume setzenmusste. Noch 1769 fand sich kein Maul-beerbaum auf Weinheimer Gemarkung, derGemeinderat verwies auf die viel nützlicherenObstbäume. 1794 wurden auf WeinheimerGemarkung 507 brauchbare und 609 un-brauchbare Maulbeerbäume gezählt. 1797waren alle noch vorhandenen Bäume umge-hauen worden. Der Widerstand gegen die fürdie Bevölkerung keinen Nutzen bringendenBäume war zu groß.

Karl Theodors Ehe mit Elisabeth Augustewar nicht glücklich. Das kurbayerische Erbeveranlasste ihn 1778, seine Residenz nachMünchen zu verlegen. Elisabeth Auguste bliebin ihrem Schloss in Oggersheim. Auf derFlucht vor den französischen Revolutions-truppen nahm sie Aufenthalt im WeinheimerSchloss, wo sie 1794 – tiefbetrauert in der Pfalz– verstarb.

ÜBERGANG 1802/03 AN BADEN

Mit der territorialen Neuordnung durchNapoleon endete 1802/1803 die Herrschaft derPfalz. Bereits im Sommer 1802 tauchten ersteGerüchte auf, dass die jahrhundertelangeHerrschaft der Wittelsbacher dem Ende ent-gegengehen könne. Im Frieden von Lunéville1801 war der Rhein als natürliche GrenzeFrankreichs festgeschrieben worden. Für dielinksrheinischen Verluste sollte auf demrechten Rheinufer entschädigt werden. ImPariser Vertrag zwischen Bayern und Frank-reich hatte Max Joseph auf seine links-rheinischen Ansprüche verzichtet, für die erentschädigt werden sollte. 1802 ließ er dieKlöster in der Kurpfalz aufheben, darunter

auch das Weinheimer Karmeliterkloster. DieKarmeliter, die Weinheim nicht freiwillig ver-lassen wollten, wurden im Juni 1802 durchbayerisches Militär an die Grenze nachHeppenheim geschafft. Noch im Juli 1802 ver-sicherte der Landesherr seinen Untertanen,dass seine landesfürstliche Fürsorge auch wei-terhin für seine pfälzischen Untertanenbestünde. Doch am 25. September 1802 erfolg-te die provisorische Besitzergreifung Badensim Oberamt Heidelberg.

Manche begrüßten die neue Zeit, denndurch die jahrzehntelange kurpfälzische Miss-wirtschaft und durch die Revolutionskriegewaren viele Einwohner an der Bergstraße inwirtschaftliche Not geraten. So schickte derWeinheimer Buchbinder Langelott einen vonihm in mühevoller Arbeit eingebundenen Textmit dem Titel „Zuruf eines Patrioten an seineMitbürger in der badischen Rheinpfalz“ an denbadischen Fürsten Karl Friedrich und schrieb„Ich freue mich des Glücks, einer von denfrohen Unterthanen zu sein, die in diesemZuruf zujubeln und empfehle mich zurhöchsten Gnade und Protektion, in tiefesterEhrfurcht ersterbend“. Das Buch wurde in diefürstliche Bibliothek eingestellt und Langelotterhielt einen Louisd’or als Dank. Es konnte sichalso auszahlen, die neue Herrschaft zu loben.

Der Deutschordensverwalter und Steuer-einnehmer Sartorius indes weigerte sich, dieHuldigung zu leisten. Interessant ist dieWeigerung besonders deshalb, weil nach derAuflösung des Deutschen Ordens 1809 dasDeutschordenshaus Sitz des badischenBezirksamts Weinheim wurde.

Die kurpfälzische Stadt mit ihren 3881 Ein-wohnern, mit 281 Pferden, 6 Ochsen, 682 Kü-hen, 139 Rindern und Kälbern und 466Schweinen war 1802/03 großherzoglichbadisch geworden.

WEINHEIM IM 19. JAHRHUNDERT

Zu Beginn des neuen Jahrhundertsrühmten vor allem die Romantiker die Lageder Stadt und die pittoresken Gässchen. Malerund Schriftsteller überliefern das Bild derStadt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

So schrieb der in Weinheim ansässige Dr.Batt über Weinheim im Frühling:

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„Alles ist Blüte von Mandelbäumen undPfirsichbäumen. Die nahen Berge sehen wieBlumensträuße aus und in der Ferne steigendie blühenden Bäume wie Wolkenschafe aufund nieder“.

Oder einige Jahre später, 1816, JohannaSchopenhauer, die Mutter des Philosophen:

„Jetzt meine Freunde, kenne ich auch denGarten von Deutschland, die über all meineErwartung schöne, anmutige Bergstraße. Jeweiter wir nun auf der Bergstraße fort-schreiten, je herrlicher wird alles um uns her.Üppig wachsen die Reben an den Bergen, dieObstbäume am Wege und in den Gärten. Sogelangten wir nach Weinheim, dem schönstenTeil der Bergstraße, wie er auch der wärmsteist. Die uralte Bergstadt mit ihren efeubewach-senen Mauern und grauen Türmen hat eineparadiesische Lage; gern vergesse ich darüberdie winkligen bergauf bergab führenden engenStraßen und den steil abhängenden Markt-platz, an welchem wir für die Nacht unsreWohnung nahmen.“

Doch der zaghaft einsetzende Fremdenver-kehr, dessen Publikum sogar die Möglichkeit

geboten wurde, im neueingerichteten Stahlbadin stark eisenhaltigem Wasser zu kuren, führtenicht zur Wandlung der Stadt in eine Kurstadt.Das Kurbad scheiterte nach verschiedenen Ver-suchen endgültig nach der Jahrhundertwende.

Schnell verlegte sich der Schwerpunkt derEntwicklung Weinheims auf die Industriali-sierung. Die ersten Fabriken werden 1829(Heintze & Sammet) bzw. 1834 (Badenia) teilsgegen den erbitterten Widerstand der Zünfteund der Bürger gegründet. Sie läuten denWandel Weinheims von einer landwirtschaft-lich geprägten Kleinstadt in eine Stadt mitvielfältiger Industrie ein. Um 1880 wurdeWeinheim bereits als die viertwichtigsteIndustriestadt Badens bezeichnet.

FEST DER FREIEN PRESSE UNDBADISCHE REVOLUTION

Zum 1. 4. 1832 wurde in Baden die Preß-freiheit eingeführt. 230 Männer feierten ineinem Saal des ehemaligen Karmeliterklostersin Weinheim. Mit Adam von Itzstein, ProfessorKarl Mittermaier, Bürgermeister Winter vonHeidelberg und dem Weinheimer Bürger-meister Albert Ludwig Grimm waren führendeVertreter des badischen Liberalismus ver-sammelt. In Reden, Liedern und Trink-sprüchen wurden die Pressefreiheit, der Groß-herzog Leopold und die Abgeordneten gefeiert,die zu diesem Erfolg beigetragen hatten. ImJuli 1832 musste allerdings auf Druck desDeutschen Bundes auch Baden wieder zurPressezensur zurückkehren.

Friedrich Hecker vertrat ab 1842 als Nach-folger Karl Theodors Welckers den WahlkreisWeinheim – Ladenburg in der Zweiten Kam-mer des Landtags und hielt enge Beziehungenzu seinen Wählern in Weinheim. Petitionenvon Weinheimer Bürgern an die Zweite Kam-mer übernahmen Forderungen aus Offenburgund Mannheim. Anfang September 1848 fandin Weinheim eine Volksversammlung statt mitForderungen nach Herbeiführung der Re-publik und Betonung der Volkssouveränität.Die Angaben über die Gesamtzahl der Teil-nehmer schwankten zwischen 3000 und15 000 Personen. Das wohl bedeutendste Er-eignis im Zusammenhang mit der Revolutionist der Anschlag auf die Eisenbahn am

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Blick in die Amtsgasse, 1910, rechts das Deutschordens-gebäude, später Sitz des Bezirksamts Weinheim, heuteMuseum der Stadt Weinheim

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23. September 1848. Um den Transportpreußischer und hessischer Truppen nachBaden zu verhindern, wurden in Weinheimund dem heutigen Weinheimer StadtteilSulzbach Schwellen und Schienen heraus-gerissen. Der Erfolg war gering, ein Zug ent-gleiste, doch der Amtsbezirk Weinheim wurdedaraufhin in den Kriegszustand versetzt. Bis1856 zogen sich nach der Niederschlagung derRevolution die Verfahren gegen die Beteiligtenhin.

ÜBERGANG VOM19. ZUM 20. JAHRHUNDERT

Das 19. Jahrhundert zieht sich im Grundebis in den 1. Weltkrieg hinein. ZahlreicheBauten entstehen um die Jahrhundertwendeund prägen noch heute das Bild der StadtWeinheim. So werden neue Schulen gebaut:die Diesterwegschule 1888/89, das bei seinerEinweihung als schönstes SchulgebäudeBadens bezeichnete Gymnasium 1900, diePestalozzischule 1905/06, die nach Großher-zog Friedrich I. benannte Friedrichschule1913–1917, die Gewerbeschule 1911.

Neue Kirchen und Amtsgebäude ent-stehen, 1906 die Synagoge, 1910 bzw. 1911nach Abbruch der Vorgängerkirchen dieevangelische Peterskirche und die katholi-sche Laurentiuskirche, 1904 das Amtsgericht,die Wachenburg 1907. Neue Wohnviertel fürdie Industriearbeiter entstehen, aber auchVillenviertel für die begüterten Bürger. Alldiese Bauten zeugen von der aufstrebendenStadt und ihrer selbstbewussten Bürger-schaft.

Zur bereits seit 1846 bestehenden Main-Neckar-Bahn von Frankfurt/Main nach Mann-heim-Friedrichsfeld gesellten sich 1895 dieWeschnitztalbahn nach Fürth im Odenwald,1901 die Odenwaldbahn nach Wahlen imOdenwald, 1905 die Wormserbahn nachWorms. Mit der Oberrheinischen Eisenbahn-gesellschaft (OEG) waren ab 1887 Mannheimbzw. ab 1890 Heidelberg auf einer Schmal-spurbahn zusätzlich zu erreichen.

Die Einwohnerzahl stieg innerhalb einesJahrhunderts von 3800 auf 11 200 gestiegen,sie hatte sich fast verdreifacht. Die bebauteFläche hatte sich mehr als verdoppelt.

DAS 20. JAHRHUNDERT

Der 1. Weltkrieg stoppte zunächst alle Bau-tätigkeit. Nachdem sich die Stadt zunächstnach Norden ausgebreitet hatte, wurde in derZwischenkriegszeit der Prankel im Süden derStadt erschlossen und bebaut. Die Bahnliniebildete jedoch mit Ausnahme einiger Indus-triebetriebe weiterhin die westliche Grenze derStadt.

Die Republik wurde in Weinheim begrüßt,doch politisch erwies sich Weinheim als eineStadt, in der scheinbar Unverträgliches neben-einander stand: Stadt der Arbeiter und Hoch-burg der NSDAP.

Schon vor dem ersten Weltkrieg stellte dieArbeiterschaft den größten Teil der Erwerbs-personen. Die Industrie bot mehr Arbeitsplätzeals durch die einheimische Bevölkerung zubesetzen war. Der Zuzug erfolgte überwiegendaus den benachbarten hessischen Odenwald-gemeinden.

Wahrscheinlich bereits 1922, sicher 1923noch während des Parteiverbots heimlichgegründet, gehörte die Weinheimer Orts-gruppe der NSDAP zu den ältesten in Badenund nach Mannheim und Karlsruhe zu dengrößten Ortsgruppen. Seit 1930 verfügte dieNSDAP über die stärkste Fraktion im Stadtrat,gefolgt von den Fraktionen der SPD und derKPD. Der Weinheimer Walter Köhler wurde1933 Ministerpräsident sowie Finanz- undWirtschaftsminister von Baden.

Die jüdische Bevölkerung Weinheims, dieeinen großen Anteil am wirtschaftlichen,politischen und kulturellen Leben der Stadthatte, wurde ab 1933 entrechtet und verfolgt.Soweit sie nicht emigrieren konnten, wurdendie jüdischen Bürgerinnen und BürgerWeinheims am 22. Oktober 1940 nach Gurs inSüdfrankreich deportiert, und später in ost-europäischen Lagern ermordet. So endete dieGeschichte der jüdischen Gemeinde, die im13. Jahrhundert begonnen hatte.

Den Zweiten Weltkrieg überstand die Stadtfast unbeschädigt. Am 28. März 1945 nahmenamerikanische Truppen die Stadt ohne Kämpfeein.

Unmittelbar nach dem Krieg gab es auch inWeinheim Bestrebungen zur Wiederher-stellung der Kurpfalz. Doch schnell machte

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sich vor allem der Weinheimer Industrielleund Politiker Richard Freudenberg für die Bil-dung eines neuen Südweststaates stark, demauch noch Teile Südhessens angegliedertwerden sollten. Die südhessischen Orte imOdenwald, an der Bergstraße, im Ried und imNeckartal waren in der Tat stärker nach Mann-heim, Weinheim und Heidelberg orientiert alsnach Darmstadt. Zwar scheiterte die Einglie-derung hessischer Orte, doch auf eine IdeeRichard Freudenbergs ging der – wenn auchunter manchen Aspekten vielleicht fragwür-dige – Wahlmodus zurück, der bei der Volks-abstimmung 1951 Anwendung fand. Der Süd-weststaat, das heutige Baden-Württemberg,konnte gebildet werden, nachdem sich für ihneine Mehrheit in dreien der vier Abstimmungs-bezirke ergeben hatte.

Nach 1945 wuchs Weinheim sehr schnell,zunächst auch, um den vielen nach Weinheimgelangten Vertriebenen Wohnraum zu bieten.Die Weststadt mit Wohnblocks, Hochhäusernund Gewerbebetrieben entstand in der Ebenezwischen der Bahnlinie und der späteren Auto-bahn A 5. 1956 wurde Weinheim Große Kreis-

stadt. Als Modellschule des Landes Baden-Württemberg wurde 1973 eine IntegrierteGesamtschule für 2400 Schüler eingeweiht.

In den Jahren 1971 bis 1973 wurden dieumliegenden Ortschaften Hohensachsen, Lüt-zelsachsen, Oberflockenbach, Ofling, Rippen-weier, Ritschweier, Sulzbach und Waid einge-meindet. Damit stieg die Bevölkerungszahl aufüber 40 000 Einwohner, so dass Weinheim diegrößte Stadt im Rhein-Neckar-Kreis ist.

Seit 1958 besteht die Städtefreundschaftzwischen Weinheim und der Stadt Cavaillon inder Provence. 1990 wurde die Städtepart-nerschaft mit Lutherstadt Eisleben begründet,1991 folgte die Partnerschaft mit der italie-nischen Stadt Imola. Daneben bestanden auchfreundschaftliche Kontakte zu der Stadt RamatGan in Israel, die 1999 in eine offizielle Part-nerschaft mündeten.

Auch zwischen den Stadtteilen Lützel-sachsen und Hohensachsen und den französi-schen Gemeinden Varces Allières et Risset bzw.Anet bestehen langjährige Partnerschaften.

Neben der Altstadt, dem Museum der StadtWeinheim, dem Schloss und den beiden

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Weinheimer Weststadt 1973

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Burgen sind besonders die Grünanlagen in derStadt sehenswert. In direkter Nachbarschaftzum Schlosspark mit seinen historischenBaumbeständen und der größten ZederDeutschlands wurde durch Freiherr Christianvon Berckheim im 19. Jahrhundert der Exo-tenwald angelegt, der heute im Besitz desLandes Baden-Württemberg ist und über eineFläche von rund 60 ha verfügt. Hier stehenfremdländische Bäume, teilweise über 100Jahre alt, in geschlossenen Waldbeständen.

Der Schau- und Sichtungsgarten „Her-mannshof“, eine Forschungseinrichtung, ist

der Untersuchung von Stauden gewidmet.Ungefähr 2000 Staudenarten und -sorten sindin sieben Lebensbereichen zusammengefasst.

Anschrift der Autorin:Andrea Rößler

Stadtarchiv WeinheimSchulstraße 5/1

69469 Weinheim

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I.„Bergstraß! Schönster Strich der Welt!Holde Gegend, Hessens Gosen!Bild des Seegens und der Lust,Garten voller Frücht und Rosen!“

So beginnt der Eberstädter PfarrerJohannes May 1772 ein Gedicht zu Ehren deshessischen Landgrafen Ludwig IX. mit demTitel „Patriotische Gedanken über die irdischeGlückseligkeit der Bergstraße“ und setzt es ananderer Stelle folgendermaßen fort:

„Jeder Fremdling, dem vor allenSonst sein Vaterland gefällt,

Hält die Gegend, wo wir wohnen,Vor den schönsten Strich der Welt,Denn als nach dem SündenfalleEden dort sein Glück verließ,Bleibt nunmehr auf dieser Erde:Bergstraß einzig Paradies.“1

Wenn auch den Pfarrer Johannes May beimDichten manchmal das Glück verlassen zuhaben scheint, so kann er doch für sich inAnspruch nehmen, als erster die Bergstraßemit dem Attribut „Paradies“ versehen zuhaben. Nach ihm taten das noch viele, obwohlsie ganz sicher sein Gedicht nicht gekannthaben. Einer davon war Karl Julius Weber, der

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! Heinz Schmitt !

Das Paradies von DeutschlandDie Stadt Weinheim im Bergsträßer Fremdenverkehr des 19. Jahrhunderts

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Weinheim 1787, Stich von J. Rieger

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reisende und lachende Philosoph, der 45 Jahrenach dem Pfarrer May schrieb: „Zur Zeit derMandel-, Pfirsich- und Kirschblüte kann selbstdas Paradies nicht schöner gewesen sein als dieBergstraße.“2

Als Garten wurde die Bergstraße ohnehinhäufig beschrieben. Im 17. Jahrhundert war siefür Merian „gleichsamb ein lustiger Garten“.3

Der wohlbekannte Freiherr von Knigge nanntesie 1793 einen „unübersehbaren Garten“,4 undKarl Julius Weber schrieb: „Die Gegend ist einWein-, Obst- und Gemüsegarten.“5 JohannaSchopenhauer, die Mutter des Philosophen,fühlte sich an der Bergstraße im „Garten vonDeutschland“.6 Ähnlich äußerte sich eineReihe weiterer Autoren über den schmalenLandstrich zwischen Darmstadt und Heidel-berg, wobei bereits im Mittelalter mit „Berg-straße“ nicht allein der Verkehrsweg, sonderneben auch die Landschaft gemeint war.

Häufig wurde die Bergstraße mit Italienoder bestimmten italienischen Landschaftenverglichen. Im 16. Jahrhundert lehrte der ausItalien stammende evangelische TheologeGeronimus Zanchius (1519–1590) an der Uni-versität Heidelberg. In Bezug auf die Berg-straße soll dieser gesagt haben: „O Germania,Germania, quam libenter velles esse Italia!“7 (ODeutschland, Deutschland, wie gerne wärestdu Italien!) Dieser Ausspruch wurde bis ins19. Jahrhundert immer wieder zitiert, ohnedaß man später noch wußte, wem er ursprüng-lich zugeschrieben worden war. Auch KaiserJoseph II. soll die Bergstraße mit Italien ver-glichen haben. Gar nicht wenige Reisendefühlten sich an die Lombardei erinnert,manche beim Anblick des Melibokus sogar anden Vesuv.

Alle diese Vergleiche erscheinen uns heutezumeist unpassend, wenn nicht völlig falsch.Dennoch schimmern sie in Werbebroschürenbis in unsere Tage durch, so in einem kürzlicherschienenen Weinheimer Führer, in dem überden Wanderweg nach Heppenheim gesagtwird, er erinnere „an mancher Stelle an denMittelmeerraum“.

Die literarischen Äußerungen prägten daspositive Bild der Bergstraße noch das ganze19. Jahrhundert hindurch. Bemerkenswert ist,daß zunächst von der Fruchtbarkeit derGegend und ihrem Reichtum an Obst und

Wein berichtet wurde. Viele Reisende kamendarum im Sommer oder Herbst an die Berg-straße. Goethe z. B. hat nie die Baumblüteerlebt. Die erschien aber späteren Generati-onen als Hauptattraktion.

Freilich war neben dem milden Klima dieLandschaft wichtig mit den Burgruinen undden malerischen Ortsbildern. Daß die Berg-straße verhältnismäßig früh von Vergnü-gungs- und Erholungsreisenden aufgesuchtwurde, hat natürlich viel mit dem von altersherstark frequentierten Verkehrsweg, eben derBergstraße, zu tun und der Anziehungskraft,welche die Stadt Heidelberg schon immer aus-zuüben vermochte. Sie war oft das Hauptzielvon Bergstraßenreisenden. Dies erklärt auch,warum die gegenüberliegende Landschaft derWeinstraße in früherer Zeit weit wenigerbesucht war, obwohl die klimatischen undlandschaftlichen Bedingungen ähnlich sind.

Den Begriff „Weinstraße“ gibt es, nebenbeibemerkt, erst seit 1935, doch hat dieser anAttraktivität die Bergstraße inzwischen über-holt.

II.

Der Fremdenverkehr an der Bergstraßeverteilte sich im 19. Jahrhundert auf dreiSchwerpunkte. Der bedeutendste ist bis heuteHeidelberg mit Ausstrahlung auf seine Umge-bung. Das zweitwichtigste Fremdenverkehrs-gebiet war die Gegend zwischen Seeheim undAuerbach, was in erster Linie dem DarmstädterHof zu verdanken war, und schließlich istWeinheim zu nennen, über das hier vor allemberichtet werden soll. Eine gewisse, keine allzugroße Rolle spielten auch die Städte Bensheimund Heppenheim. Die Landorte der südlichen,der badischen Bergstraße waren für denFremdenverkehr nicht von Belang. Sie pro-fitierten nur vom Ausflugsverkehr aus Heidel-berg und Weinheim.

Obwohl die meisten historischenBeschreibungen der Bergstraße mit Darmstadtbeginnen, konnten ältere Autoren der Stadtnicht viel abgewinnen. Erst die im Anfang des19. Jahrhunderts großzügig – manche mein-ten damals: zu großzügig – angelegte Neustadtfand einige Aufmerksamkeit. Für den Frem-denverkehr hatte Darmstadt fast nur als Aus-

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gangspunkt für Reisen an die BergstraßeBedeutung. Die Rolle des landgräflichen,später großherzoglichen Hauses für die Ent-wicklung des Fremdenverkehrs war dagegenumso wichtiger. Das Fürstenhaus und der Hofmachten nicht nur Ausflüge an die Bergstraße,sondern hielten sich im Sommer oft vieleWochen dort auf.

Schon am Ende des 17. Jahrhunderts setzteder Wanderverkehr zum Melibokus und zumFelsberg mit der Riesensäule ein, der im18. Jahrhundert weiter zunehmen sollte. Um dieschon lange gerühmte Aussicht noch zu verbes-sern, ließ Landgraf Ludwig IX. 1772 den weithinsichtbaren weißen Aussichtsturm auf demMelibokus erbauen. Bereits einige Jahre zuvorwar die längst bekannte eisenhaltige Mineral-quelle nahe Auerbach neu gefaßt worden. Bei ihrentstand das Fürstenlager, das im Sommerhäufig dem Darmstädter Hof Quartier bot undAuerbach zu einem Kur- und Badeort machte.Der altberühmte Gasthof zur Krone wurdeseinerzeit auf verschiedene Weise privilegiertund betrieb zeitweilig sogar eine Spielbank.

In die zu Anfang des 19. Jahrhunderts auf-kommende Rheinbegeisterung wurde dieBergstraße einbezogen. Den Reiseführern derdamaligen Zeit galt sie bis Heidelberg hin mitihren Burgruinen als Teil der viel besuchtenund viel besungenen Rheinlande.

Das hessische, nunmehr großherzoglicheHaus zog es auch weiterhin an die Bergstraße.Nach Erwerb des Schlosses Heiligenberg 1827wandte sich der Darmstädter Hof zunächstmehr dem Ort Jugenheim zu. Danach aberwurde Seeheim zu dessen bevorzugtem Aufent-haltsort. Für die Darmstädter Bürger wie fürFrankfurter und andere, auch ausländische Gäs-te gewannen diese beiden Orte dadurch anAttraktivität und wurden zu regelrechten Kur-orten wie zuvor schon Auerbach. Wie bedeutendder Zustrom von Gästen war, zeigt der Umstand,daß es von 1883 an bis zum Ersten Weltkrieg fürdie nördliche Bergstraße sogar eine eigeneFremdenzeitung gab. Verschönerungsvereinewaren schon von 1860 an entstanden.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm dieZahl der Dauergäste aber allmählich ab. DieGemeinden verlegten sich teilweise stärker aufeine Ansiedlungspolitik. Es wurden immermehr Villen gebaut, so daß die nördliche Berg-

straße zu einer Art „Pensionopolis“ wurde. DieZukunft sollte vor allem dem Ausflugsverkehrgehören.

III.

Das hessische Gebiet stellte zwar in vielemfür die Stadt Weinheim ein Vorbild dar, dochwaren die historischen Bedingungen unddamit die Möglichkeiten für den Fremdenver-kehr hier doch etwas andere. Kein Fürstenhauswar hilfreich, auch nicht die kulturgeschicht-liche Tradition wie sie Heidelberg besaß.Weinheim ging einen eigenen Weg. Ihm halfendie vielen lobenden Erwähnungen in der ein-schlägigen Literatur, die besonders die Gunstder Lage des Städtchens hervorhoben. DieBemühungen einzelner Bürger kamen hinzu.

Das gesunde Wasser und die milde undheilsame Luft der Bergstraße – schon 1645 vonMartin Zeiller und Mathäus Merian gelobt –veranlaßten vor allem im 18. Jahrhundertimmer wieder adlige Familien, Offiziere oderauch Ärzte nach Weinheim zu kommen unddort länger zu verweilen.

An solche Besucher richtete sich FriedrichPeter Wundt. Er pries nicht nur die Fruchtbar-keit der Gegend und die gesunde Luft. Seine1794 erschienene „Beschreibung der pfälzischenBergstraße“ enthält auch Hinweise auf schöneAussichtspunkte und die Schilderung vonSpaziergängen. Das ist etwas Neues und weist inmanchem schon auf die Naturbegeisterung derRomantik hin. Wundt schrieb damit eine Artersten Reiseführer für die Bergstraße, wenndieser auch in vielem noch der Traditionstatistischer Handbücher verhaftet blieb.

Über Weinheim lesen wir bei ihm: „Ichkenne überhaupt wenige Städte in unseremVaterland, welche für einen Freund natürlicherSchönheiten größere Reize haben sollte und soviele vortreffliche Spaziergänge!“8 Zwei da-von beschreibt er ausführlicher, den in dasBirkenauer und den in das Gorxheimer Tal.Beide gehörten fortan zum Standardrepertoireder Weinheimbesucher.

Auch Helmina von Chezy berichtet 1815über die Weinheimer Spaziergänge in ihrem„Handbuch für Reisende nach Heidelberg undseine Umgebungen, nach Mannheim, Schwet-zingen, dem Odenwalde und dem Neckar-

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thale“. Sie schreibt: „Ohne kunstreich ange-legte Promenaden zu haben, besitzt dieGegend um Weinheim eine größere Zahl vonschönen Wegen und Partien, als die meistenOrte in der Nähe, selbst Heidelberg nicht aus-genommen.“9 Das übertraf nun alles bisherüber Weinheim Verlautbarte.

Frau von Chezy nennt gleichfalls eineReihe von Aussichtspunkten und führt vieleWanderungen in die Umgebung auf, zum Teilauf die Höhen für „geübtere Bergsteiger“, wiesie es nennt, zum Teil auch in die Ebene, wassonst um diese Zeit nicht so reizvoll erschien.Im übrigen geht Helmina von Chezy durchausschon im Sinne eines modernen Reiseführersvor. Sie vergißt darum auch nicht dasBedürfnis nach geselliger Unterhaltung vielerGäste und verweist in diesem Zusammenhangauf die seit 1812 bestehende Lesegesellschaft.

Das tat in verschiedenen Veröffentli-chungen auch Albert Ludwig Grimm, derWeinheimer Bürgermeister und Landtagsabge-ordnete, Schulmann und Schriftsteller. Vonihm gibt es mehrere Bücher, in denen er fürdie Bergstraße wirbt. Einige wurden sogar insFranzösische übersetzt. Wohl das wichtigsteerschien 1842 in Darmstadt unter dem Titel„Die malerischen und romantischen Stellender Bergstraße, des Odenwaldes und derNeckargegenden“. Darin widmet er ver-ständlicherweise der Stadt Weinheim beson-ders viel Raum. Den betreffenden Abschnitteröffnet er mit einem in vierzehn antiki-sierenden Strophen gehaltenen Preisgedichtauf die Stadt, das so beginnt:

„Sei mir, Weinheim, gegrüsst, trauliche Hei-math, du!

Sei gegrüsst mir, du Stadt, lehnend am Hügeldort,

Gleich dem lieblichen Kindlein,Traulich ruhend im Mutterschoos.“

Die Schlußstrophe lautet:

„Bleibet, ihr Götter, geneigt! Streuet aufWeinheims Flur,

Wie ihr immer gethan, freundlich die Gabenaus.

Du vor allem umfang es,Drück es treu an dein Herz, Natur!“

Natürlich hält Grimm, wie übrigens vorihm und nach ihm auch andere, Weinheim fürden schönsten und wärmsten Teil der Berg-straße. Was er über die Stadt und ihre Umge-bung schreibt, durch viele historische Remi-niszenzen und Sagen angereichert, war sichergeeignet, einen Besuch der Gegend reizvollerscheinen zu lassen. In der ersten Hälfte des19. Jahrhunderts war Albert Ludwig Grimmder wichtigste Werber für die Bergstraße, aberauch für den Odenwald, der damals noch inweiten Teilen als terra incognita erschien.

IV.

Die vorhin zitierte Helmina von Chezybemängelte das Fehlen eines größeren Gast-hofes in Weinheim. Da hatte die Stadt der„Krone“ in Auerbach, dem „Löwen“ inZwingenberg oder dem „Halben Mond“ inHeppenheim noch für längere Zeit nichtsgleichwertiges an die Seite zu stellen, denn derbedeutende, um 1580 erbaute Gasthof zum„Goldenen Bock“, heute als Alte Postbezeichnet, war gegen Ende des 18. Jahr-hunderts aufgegeben worden. In ihm hatteauch Goethe am 30. Oktober 1775 über-nachtet. Danach bestanden nur noch zweikleinere Gasthäuser am Weinheimer Markt-platz, die aber bei weitem nicht ausreichten, sodaß viele Gäste in Privatzimmern unterge-bracht wurden. Nach einer Aufstellung von1827 gab es immerhin 243 Zimmer, von denen80 vermietet, aber 85 nicht einmal möbliertwaren.10

Albert Ludwig Grimm kaufte in den drei-ßiger Jahren den Kellereiflügel des ehemalskurfürstlichen Schlosses und baute dieriesigen Speicher zu Wohnungen aus, die er anSommergäste vermietete. Da sie in Verbindungmit einem großen Garten standen und eineschöne Aussicht boten, waren sie nach Grimmseigenem Bekunden den ganzen Sommer überbelegt.11

Die Hotelfrage schien zunächst gelöst als1840 der „Pfälzer Hof“ an der Bergstraßeeröffnet wurde. Gleichzeitig war auf der gegen-über liegenden Straßenseite die neue Post-halterei mit umfangreichen Wirtschaftsge-bäuden und Stallungen errichtet worden. DiePläne dazu hatte übrigens kein geringerer ent-

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worfen als der aus Weinheim stammende groß-herzoglich badische Baudirektor HeinrichHübsch, dessen Familie mehr als 150 Jahrelang die Posthalterei betrieb.

Das neue Hotel lag an der damals im Zugder Bergstraße neu erbauten Weschnitz-brücke, die eine bis dahin bestehende Furtersetzt hatte. Auch die Straße selbst war völligneu hergerichtet worden. Seit 1760 führte sieden Verkehr westlich an der Stadt vorbei, wasden Weinheimer Kaufleuten und Wirtennatürlich nicht paßte. Darum lenkten sie inder napoleonischen Zeit den Verkehr wiederauf die alte, mitten durch die Stadt führendeTrasse um, was allerdings für Fuhrwerke rechtbeschwerlich war.

Ein bald vier Jahrzehnte währender Streitder Stadt Weinheim mit der badischen Wasser-und Straßenbaudirektion in Karlsruhe wardaraus entstanden und erst mit der Wiederher-stellung der barocken Umgehungsstraße undvor allem mit dem Bau der steinernenWeschnitzbrücke beendet.12 Die heutige B 3folgt immer noch dem Verlauf dieser Straße.

Der um den Fremdenverkehr so verdienteWeinheimer Bürgermeister Albert LudwigGrimm trat allerdings 1838 nicht mehr zurWahl an, weil man ihm vorwarf, er habe nichtgenug getan, um die Straße zu verhindern.

Mit der Eröffnung der Main-Neckar-Bahn1846 war der Streit aber ohnehin großenteilsgegenstandslos geworden, denn der Verkehrverlagerte sich nun fast vollständig von derStraße auf die Eisenbahn.

In den 1840er Jahren begann eine neueKontroverse zwischen dem großherzoglichenBezirksamt und dem Gemeinderat der StadtWeinheim, die sich gut zehn Jahre ohne greif-bares Ergebnis hinzog.13 Während die Stadt derMeinung war, daß mehr als genug Gastwirt-schaften vorhanden seien, beklagte der Ober-amtmann das Fehlen einer Wirtschaft „fürFremde aus höheren Klassen der Gesellschaft“.Er wünschte sich diese in zentraler Lage derStadt. Der „Pfälzer Hof“ entsprach durchausseinen Vorstellungen, doch lag ihm der zu weitdraußen. So wurde versucht, auf einzelne WirteDruck auszuüben, um die Situation zu verbes-sern. Der Gemeinderat, dem das Angebot völligausreichte, schrieb im August 1854 an dasInnenministerium in Karlsruhe unter anderem:

„Die Wirthe durch Polizeimaßregeln zukostbareren Einrichtungen zu nöthigen,scheint uns nicht zuläßig und wenn auch eineroder der andere sich dazu bestimmen ließe, sowürde die kostbarere Einrichtung nicht zurPerson des Wirthes passen … Wir glauben des-halb es wird nichts anderes zu thun seyn, alsnach Gelegenheit dahin zu wirken, daß sichein tüchtiger gebildeter Wirth hier in der Stadtniederlaße u. wenn sich ein solcher findet, ihnnach Möglichkeit unterstützen.“

Nur ließ dieser Wirt noch länger auf sichwarten. 1856 wurde berichtet, daß sich dieWeinheimer Wirte mehr um die Landwirt-schaft kümmerten.

V.

Ungeachtet aller städtischen Problemekamen während des ganzen 19. Jahrhundertsimmer wieder prominente Besucher nachWeinheim. Schon 1775 hatte Goethe beimAnblick der Stadt in sein Tagebuch geschrie-ben: „Sieh ein Eckgen wo die Natur in ge-drungener Einfalt uns mit Lieb und Fülle sichum den Hals wirft.“ Joseph Görres, der bekann-te Publizist und Gelehrte, hielt sich im Früh-jahr 1807 mit seiner Familie zwei Wochen langin Weinheim auf. Höchstes Lob für Weinheim,das sie zum schönsten und wärmsten Teil derBergstraße erklärte, fand Johanna Schopen-hauer, die Mutter des Philosophen, die imSommer 1816 mit ihrer Tochter Adele dieBergstraße bereiste. Von Heidelberg aus, woihm ein triumphaler Empfang bereitet wordenwar, machte Jean Paul im Juli 1817 eine gesel-lige Spazierfahrt nach Weinheim.

Im Mai 1835 saß der große französischeRomancier Honoré de Balzac im WeinheimerSchlosspark und vertrieb sich mehrere Stun-den Wartezeit mit der Überarbeitung seines„Louis Lambert“.

Mehr Öffentlichkeit erlangte der Besuchdes Germanisten und Dichters des Deutsch-landliedes August Heinrich Hoffmann vonFallersleben am 24. September 1843, der zu-sammen mit seinen Begleitern Hecker, Itzsteinund Soiron von politisch Gleichgesinntenbegeistert empfangen wurde.

Es wären noch eine Reihe weiterer pro-minenter Namen aufzuzählen, die natürlich

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nicht alle der Rubrik „Fremdenverkehr“ zuzu-ordnen sind. Einer sei aber doch noch genannt,nämlich der zeitweilig meistgelesene deutscheSchriftsteller Joseph Viktor von Scheffel.Schon als Student war er in den 1840er Jahrenvon Heidelberg aus nach Weinheim ge-kommen. Während der Revolutionswirren von1849 hielt er sich einige Zeit als „Heidelberg-flüchtling“ an der Bergstraße auf. Im Sommer1853 wohnte er mehrere Wochen in Weinheim,litt in dieser Zeit allerdings sehr unter einerAugenentzündung. Immerhin gab er damalsseinem „Trompeter von Säckingen“ dieendgültige Fassung. Das Lied „Alt-Heidelberg,du feine“ soll in Weinheim entstanden sein. Inden 1850er Jahren war Scheffel häufiger Gastim „Gelben Haus“, das sich der MannheimerKunsthändler Stephan Artaria in Weinheimerbaut hatte.

VI.

Die aufgeführten Mängel in der Hotellerieund Gastronomie waren erste gegen Ende des

19. Jahrhunderts behoben. Schon daraus wirderkennbar, daß Weinheim die Chancen, dieihm der Fremdenverkehr geboten hätte, nie soganz erkannt hat. So war es schon richtig, was1868 in einem Zeitungsaufruf zur Gründungeines Verschönerungsvereins zu lesen war:„Weinheim ist hierin, wie in manchem Ande-ren zurückgeblieben.“

Dabei hatte es keineswegs an Unterneh-mungen und Versuchen gefehlt, daran etwaszu ändern. Das bedeutendste Unternehmenwar ganz sicher die Einrichtung eines Kur-bades, über dessen leider etwas unglücklicheEntwicklung gleich berichtet werden soll.Ansonsten wurden an wichtigen SpazierwegenWegweiser, gelegentlich auch Ruhebänke auf-gestellt. Die Burgruine Windeck hat manimmer wieder einmal von Schutt und Wild-wuchs befreit, um sie so dem Publikum besserzugänglich zu machen. Nur folgten die Maß-nahmen keinem systematischen Vorgehen.

Neben den Sommer- und Badegästenkamen auch andere Besucher nach Weinheim.So wurden die Eltern der Schüler des 1829

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Blick auf Weinheim vom Müllheimer Tal aus, Stich von Grünewald & Cooke, 1840

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gegründeten Benderschen Erziehungsinstitutsimmer zu Prüfungen und Veranstaltungen derSchule eingeladen. 1856 hatte das Institut 124Schüler, darunter 24 Ausländer, zum Teil sogaraus Übersee.

Seit 1864 trafen sich (und treffen sichheute noch) die Angehörigen der studenti-schen Corps an den Technischen Hochschulen.Auch große Feste wie das Odenwälder Sänger-fest von 1864 brachten viele Hundert Men-schen für mehrere Tage nach Weinheim. Sol-che Veranstaltungen waren damals eherungewöhnlich.

Das alles deutet aber nicht auf einen sichkontinuierlich entwickelnden Fremdenverkehrhin. Es existieren leider auch keinerleistatistische Unterlagen über den Aufenthaltvon Gästen, aus denen man auf den Umfangdes Fremdenverkehrs schließen könnte. Dieserhätte aus den Bestrebungen, Weinheim zumBadeort zu machen, großen Nutzen ziehenkönnen, wenn die Bedingungen dafür güns-tiger gewesen wären.

Die Anfänge dazu reichen in das Jahr 1812zurück, als man das Wasser eines als heilkräftiggeltenden Brunnens in der Rheinebene unter-suchen ließ.14 Aber erst ein neuerliches,positives Gutachten, das der Heidelberger Pro-fessor Philipp Lorenz Geiger 1826 erstellte,ermutigte die Weinheimer zur Nutzbar-machung des Wassers. Weil der Brunnen zuweit von der Stadt entfernt lag, wurdenBohrungen vorgenommen, durch die es ge-lang, die endgültige Fassung der Quelle umeiniges weiter nach Osten zu verlegen. Andieser Stelle wurde dann ein Brunnenhauserbaut und eine Anlage hergerichtet. Zunächstschenkte man aus der Stahlquelle nur Trink-wasser aus, doch als der Wunsch nach Bädernlaut wurde, bildete sich eine Aktiengesell-schaft, die den weiteren Betrieb übernehmenwollte. Große Teile der Bürgerschaft hieltenallerdings nicht viel von der Sache und wolltenkeine städtischen Mittel mehr dafür eingesetztsehen. So kam es von Anfang an zu Streite-reien, die für die Zukunft des Kurbades nichtsgutes verhießen. Die Aktiengesellschaft pach-tete den Brunnen samt Anlagen von der Stadtund eröffnete den Betrieb mit vier Bädern am1. Mai 1829. In den folgenden Jahren war dasBad jeweils von Juni bis September geöffnet.

Die von 1838 bis 1845 überlieferten Zahlenzeigen, daß der Kurbetrieb nicht florierte. DieAnzahl der Badegäste betrug in den einzelnenJahren zwischen 23 und 45, die der ver-abreichten Bäder lag im Jahresdurchschnittbei 466.

Im Jahre 1846 gab die Aktiengesellschaftdas Bad an die Stadt zurück, die sich nunihrerseits bemühte, Mittel vom badischenStaat zu erhalten. Zwar befürwortete die Zwei-te Kammer des Karlsruher Parlaments inAbwesenheit des für Weinheim zuständigenAbgeordneten und nachmaligen Revolutions-führers Dr. Friedrich Hecker den WeinheimerAntrag, doch forderte die Regierung, daß dieStadt zunächst selbst angemessene Auf-wendungen machen müsse. Da geschah aberweiterhin nicht viel.

Der private Pächter, der nun aufzog, setztemehr auf den gastronomischen als auf denBadebetrieb. Ein Versuch der Stadt, im Jahre1854 das gesamte Kurbad zu versteigern, ver-lief erfolglos. So wurde es also verpachtet wiebisher.

Als im Jahr 1880 ein Brand das Haupt-gebäude des Stahlbades schwer beschädigthatte, bot es der Gemeinderat erneut zum Kaufan. Freiherr Albert von Toussaint aus Ludwigs-hafen erwarb das gesamte Anwesen und bautees mit viel Aufwand aus. 1884 verabreichte er1173 Bäder. Das war immerhin mehr als dasDoppelte früherer Jahre, doch blieb derBrunnenbetrieb nach wie vor unrentabel. Dievorhandene Wassermenge reichte einfach nurfür zwölf Bäder am Tag. Dieser Umstand unddie zu große Entfernung vom damals bebautenStadtgebiet, aber auch das geringe Interesseder Bürgerschaft ließ den Kurbetrieb immermehr zurückgehen und schließlich ganz ver-schwinden.

Die Anlage ging 1891 in andere Hände überund wurde in ein Kneippbad umgewandelt, dasaber nach acht Jahren auch seinen Betrieb ein-stellte, schon weil es in der Stadt inzwischenzwei weitere Kneipp-Kuranstalten gab. Aberauch die hörten um die Jahrhundertwende auf.

VII.

Etwas ist noch nachzutragen. Seit 1841gab es in Weinheim nämlich auch eine Kalt-

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wasserheilanstalt, die im Gegensatz zumStahlbad sehr wohl florierte. Ihr BegründerDr. Ludwig Bender führte sie nach den Grund-sätzen des Naturheilkundigen Vinzenz Prieß-nitz, einem Vorläufer von Pfarrer Kneipp. DasBadhaus lag mit wunderschöner Aussicht aufdie Rheinebene inmitten von Wein- und Obst-gärten am Rande der damaligen Innenstadt.Schon durch diese Lage war die BenderscheAnstalt gegenüber dem Stahlbad in derreizlosen Ebene im Vorteil, auch dadurch, daßsie das ganze Jahr über Kurgäste aufnahm.Diese kamen nicht nur aus Deutschland. Eng-länder, Franzosen und Russen waren häufigunter den Gästen.

Da kaltes Wasser hier als Universalheil-mittel galt, wurde es äußerlich und innerlichangewandt. Alkohol, aber auch Kaffee oder Teewurden nicht verabreicht.

Die Kaltwasserheilanstalt des Dr. Benderging sogar in die Schöne Literatur ein. Es gibteine eindrucksvolle Schilderung ihrer Kur-methoden in dem Roman „Die Saxoborussen“von Gregor Samarow. Wenn zutrifft, was dortsteht, dann war die Kur ziemlich anstrengend.Frühmorgens wurden die Patienten gewecktund in ein kaltes, nasses Laken eingewickelt.Über diese Umhüllung kam eine Reihe trocke-ner Tücher und schließlich eine starke Flanell-decke. Der bewegungsunfähige Patient wurdewieder auf sein Bett gelegt. Die zunächstunangenehme Kälte wich nun bald einerstarken Hitzeentwicklung, die den Patienten

sehr ins Schwitzen brachte. Der so Behandeltewurde dann in den Keller getragen, wo sich ineinem großen Gewölbe ein Bassin mit kaltemQuellwasser befand. Dort wurden die Patientenhineingeworfen, nachdem sie von den Tüchernbefreit worden waren.15

VIII.

Als der Roman „Die Saxoborussen“ 1885erstmals erschien, bestand die BenderscheKuranstalt seit etwa zehn Jahren nicht mehr.Die Familie Freudenberg hatte Haus und Arealgekauft. Damit ist nun ein Name gefallen, derfür Weinheim fast schicksalhafte Bedeutungbekommen sollte. In ihm verkörpert sich derAufstieg Weinheims zur Industriestadt. 1842bezeichnete Albert Ludwig Grimm noch Land-wirtschaft und Weinbau als „Hauptnahrungs-quellen“ der Bevölkerung, doch nennt eranerkennend auch einige frühindustrielleUnternehmen. Diese wurden schließlich fürdie Zukunft der Stadt erheblich wichtiger alsder Fremdenverkehr.

Vorerst bemühte man sich aber noch sehr,Weinheim für Fremde anziehend zu halten. Imletzten Drittel des 19. Jahrhunderts tat dies vorallem der 1868 gegründete Verschönerungs-verein.16 Diesem gehörten zwar auch einigePersönlichkeiten aus der Industrie an, dochkam die Masse der Mitglieder eher aus demMittelstand, waren Wirte, Kaufleute, Hand-werker und Beamte. Dem Verein, den die Stadtfinanziell unterstützte, war einiges zu ver-danken. Er schuf Spazier- und Wanderwege,Anlagen und Schutzhütten und stellte Weg-weiser und Ruhebänke auf. 1870 erbaute erden Aussichtsturm auf dem Hirschkopf.

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Stahlbad mit der von einer hölzernen Pyramide über-dachten Mineralquelle, links das Badhaus, Zeichnung vonRudolf Kuntz um 1830

Stahlbad, Ölgemälde von August Wilhelm Dieffenbacher 1881

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Allerdings gelang es dem Verein 1882 nicht,den Abbruch des Müllheimer Tores, eines statt-lichen mittelalterlichen Bauwerkes, zu ver-hindern. Die Industrie hatte dessen Beseiti-gung als Verkehrshindernis gefordert und sichdurchgesetzt.

1895 gab der Verleger Friedrich Ackermanneinen „Führer durch Weinheim und Umge-bung“ heraus, der erkennen läßt, daß dervordem im Zusammenhang mit dem Fremden-verkehr herrschende Optimismus einer skepti-

scheren Haltung Platz gemacht hatte. So kannman bei Ackermann lesen:

„Ob die Naturschönheit Weinheims, die injüngster Zeit durch die Bestrebungen einesrührigen Verschönerungs-Vereins mehr undmehr erschlossen wird, in Verbindung mitAnnehmlichkeiten des geselligen Lebens, An-ziehungskraft besitzen mag, um Weinheimzu einer Fremdenstation, einem Erholungs-und Erfrischungsort zu gestalten, wie viel-fach erstrebt wird, ist der Zukunft vor-behalten.“

Die Zukunft Weinheims lag nicht imFremdenverkehr. Natürlich ist die Stadt mitihren Burgen, ihren Altstadtgassen, demreizvollen Marktplatz, den wunderschönenParkanlagen und dem Exotenwald bis heuteviel besucht. Der Ausflugsverkehr ist beträcht-lich; aber Dauergäste, Leute, die hier ihrenUrlaub verbringen, sind selten geworden. Inden dreißiger und dann wieder in den fünf-ziger und sechziger Jahren des letzten Jahr-hunderts hatte man sich noch einmal miteinem gewissen Erfolg um solche Gästebemüht.

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Benders Badhaus, um 1880

Das Bendersche Erziehungsinstitut mit seinem Turngerüst, Zeichnung von Ernst Fries, um 1840

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Das was von einem Fremdenort im19. Jahrhundert erwartet wurde, reizvolleLage, romantisches Stadtbild, Naturnähe, warin Weinheim durchaus gegeben. Die ein-schlägige Literatur bestätigte das der Stadt fastüberschwenglich. Infolgedessen wurde sie vonvielen Fremden aufgesucht. Die Bemühungendarum, Badeort zu werden, schlugen fehl. Zeit-weise nannte man sich Luftkurort wie dieGemeinden an der nördlichen Bergstraße. Nurließ sich dieses Prädikat im Anblick zahl-reicher Fabrikschornsteine irgendwann nichtmehr vertreten. So war Weinheim am Ende des19. Jahrhunderts kein Kurort, aber ein belieb-tes Ausflugsziel, und das ist es bis heutegeblieben.

Anmerkungen

1 Zitiert nach Ludwig Fertig: „Deutscher Süden“.Dichter an der Bergstraße. Darmstadt 1994,S. 43–44.

2 Karl Julius Weber: Deutschland oder Briefe einesin Deutschland reisenden Deutschen. Stuttgart1826–1828. Auswahl von Carlheinz Gräter unterdem Titel: Darmstadt, Bergstraße und Odenwald.Reisen zwischen Rhein, Neckar und Main. Heidel-berg 1969, S. 12–13.

3 Martin Zeiller und Mathäus Merian: TopographiaPalatinatus Rheni et Vicinarum Regionum. Frank-furt a. M. 1645, S. 6.

4 Adolph von Knigge: Briefe auf einer Reise ausLothringen nach Niedersachsen geschrieben.Hannover 1793, S. 48.

5 Karl Julius Weber (wie Anm. 2), S. 15.6 Johanna Schopenhauer: Ausflucht an den Rhein

und dessen nächste Umgebungen im Sommer desersten friedlichen Jahres. Leipzig 1818. Zitiertnach „Die Windeck“ Beilage zum WeinheimerAnzeiger 9. Jg. 1933, S. 29.

7 Helmut Häuser: Die Geographie des Fremden-verkehrs an der hessischen Bergstraße. Mschr.Diss. Mainz 1958, S. 59.

8 Friedrich Peter Wundt: Beschreibung der pfäl-zischen Bergstraße. In: Ders,: Carl Theodor’s Ver-dienste um die Berichtigung und Erweiterung derrheinpfälzischen Landesgeschichte. Mannheim1794, S. 111.

9 Helmina von Chezy: Handbuch für Reisende nachHeidelberg und seine Umgebungen, nach Mann-heim, Schwetzingen, dem Odenwalde und demNeckarthale. Heidelberg 1815, S. 157–158.

10 Stadtarchiv Weinheim, Akten Rep. 15, Fach 95,Heft 1, 1826/86.

11 Albert Ludwig Grimm: Die malerischen undromantischen Stellen der Bergstraße, des Oden-waldes und der Neckar-Gegenden, in ihrer Vorzeitund Gegenwart. Darmstadt 1842, S. 118.

12 Generallandesarchiv Karlsruhe, Akten Abt 386,O. Z. 150, 305.

13 Generallandesarchiv Karlsruhe, Akten Abt 386,O. Z. 4, 7, 249, 252–254.

14 Siehe hierzu ausführlich Heinz Schmitt:Weinheim als Badeort. In: Der Odenwald. 49. Jg.(2002), S. 87–99.

15 Gregor Samarow: Die Saxoborussen. Roman.5. Aufl. Stuttgart und Leipzig 1903, S. 286.

16 Stadtarchiv Weinheim, Akten Fach 163, Heft 6.

Anschrift des Autors:Dr. Heinz SchmittRittnertstraße 7176227 Karlsruhe

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In das Nest der mittelalterlichen StadtWeinheim, im Barock sogar zeitweiligeResidenzstadt, wurde im 19. Jahrhundert dasEi des industriellen Kuckucks gelegt, dasgrößer war als alle zuvor gelegten gewöhn-lichen Eier, aber es wurde dennoch nachanfänglichem Widerstreben von den Wein-heimern so behandelt, als gehöre es zureigenen Brut. Die Umstände, wie das Ei desindustriellen Kuckucks nach Weinheim kam,entsprachen völlig den Gewohnheiten der Zeitund waren in ihr Gewand gekleidet. Im Jahre1828 richtete die Mannheimer LederhandlungSammet & Heintze an das Bezirksamt Wein-heim das Gesuch, in Weinheim für ihr Mann-heimer Geschäft eine eigene Gerberei errich-ten zu dürfen. Die einheimischen Gerberstutzten sogleich über diese Absicht, wittertenböse Konkurrenz einer „ungewissen“ Fabrikund wehrten sich mit Händen und Füßendagegen, gewissermaßen ein Aufschrei ge-wohnter Selbstgenügsamkeit, die bedrohtschien. Mit ausdrücklicher Genehmigung desgroßherzoglich badischen Innenministeriumsvom 7. März 1829 wurde die Errichtung dervom Detailverkauf ausgeschlossenen Groß-gerberei gestattet.

Für einzelne Interpreten war dieses Datumbereits der „Geburtstag der Weinheimer Indus-trie“. Das mit wohlwollendem behördlichenBeistand gelegte Ei bedurfte jedoch einerungewöhnlich langen Brutzeit von 6 Jahren,ehe der junge industrielle Kuckuck dannschlüpfte. Er bezeichnete den Wendepunkt inder modernen Geschichte Weinheims, wenn-gleich anfangs alles um die neue Fabrik sounauffällig und kaum anders als früher schien.Die kaufmännischen Transaktionen großenStils wurden vom Geschäftskontor in Mann-heim aus gemacht, drohten aber während derersten großen Welthandelskrise, der von1847/48, im Zusammenhang mit dem Konkurs

eines Frankfurter Bankhauses fast zuerlahmen.

Die Keimzellen der Industriestadt, dieersten Fabriken, wurden nicht etwa in diekörperschaftlich geordnete mittelalterlicheStadt integriert, sondern in der Vorstadt Müllangesiedelt. Ebenso wie die seit dem Mittel-alter bedeutendsten Gewerbe Weinheims, dieMüllerei, einst mit etwa 10 Mühlen vertreten,und die Gerberei, wesentlich ihren Auf-schwung den durch die Weinheimer Gemar-kung fließenden Gewässern Grundelbach undWeschnitz verdankten, suchte auch die früheIndustrie die unmittelbare Nahe der Wasser-adern. Auch sie wollte die Kraft des Wassersausnutzen oder an dein für die Gerbereibesonders geeigneten weichen Wasser desGrundelbachs teilhaben und nicht zuletzt dieAbwässer in Gewerbekanäle und Bäche ein-leiten, sie loswerden. Es waren ursprünglichklare, munter fließende Forellenbäche, die ausdem Gebirge kamen.

Am Grundelbach entstand die LederfabrikHeintze & Sammet mit dazugehöriger Wasser-kraft von 2 bis 3 PS. Nach dem Konkurs desUnternehmens und der Auflösung des altenGeschäfts im Jahre 1849 wurde die Wein-heimer Fabrik von Heinrich Heintze und CarlJohann Freudenberg, einem Verwandten desJean Baptist Sammet, übernommen. Durchden Aufkauf von Mühlen erweiterten diefrühen Industriebetriebe ihre Kapazitäten anbilliger Wasserkraft. Heintze & Freudenbergerwarben 1851 die Schwabenmühle amGrundelbach, weitere Grundstücksankäufefolgten auch im Zusammenhang mit demAusbau der Lackierfabrik. Die erste Dampf-maschine hielt in Weinheim erst 1855 ihrenEinzug, als Heintze & Freudenberg eine teure15-PS-Maschine in Betrieb nahmen.

Die zweitälteste Weinheimer Fabrik, diespätere Maschinenfabrik „Badenia“, 1834 aus

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! Willi A. Boelcke !

Vom Werden einer Industriestadt

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der Mechanikerwerkstatt des Wilhelm Platz her-vorgegangen, erwarb 1846 die ehemalige Oeh-ligmühle, um an der Wasserkraft des Grun-delbachs zu partizipieren. Auch der Aufstieg vonWeinheims Großmühlenindustrie, der FirmaHildebrand, war wesentlich der Verfügbarkeitvon billiger Wasserkraft zuzuschreiben. Die Fa.Hildebrand kaufte zwischen 1845 und 1884 diedrei großen Weschnitz-Mühlen (Seitzenmühle,Müller-Mühle, Lohmühle). Die alte Walkmühleam Grundelbach wurde 1885 zu einer Feilen-fabrik umfunktioniert.

Das frühindustrielle Weinheim war bis indie zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nochnicht vom Lärm erfüllt, der vom massenweisenEinsatz von Dampfmaschinen verursachtwurde, ihrem Pfeifen, Zischen, Klappern undStöhnen. Dank der umweltfreundlichenWasserkräfte kam Weinheims frühe Industrieleise daher.

Das Aufkommen der Eisenbahn und dieEinführung der Dampfmaschine gaben An-stöße zu wirtschaftlichem Wachstum, ver-änderten aber nicht schlagartig überliefertewirtschaftliche und soziale Maßstäbe im städti-schen Leben. Seit 1846 war die Main-Neckar-Bahn in Betrieb und Weinheim Eisenbahn-station.

Mit Hilfe von Schiene und Schiff konntesich die Industrie die Weltmärkte erschließen.Dem Warenexport eilte jedoch ein starkerStrom von Auswanderern voraus. Bis in die1880er Jahre riß er nicht ab. 1880/81 wan-derten aus Weinheim und Umgebung allein 86Personen nach Amerika aus und 37 nachAustralien, Handwerker, Landwirte, Kaufleute.Unbefriedigt von den Verhältnissen in Wein-heim kehrte schon in den 1860er JahrenHermann Ernst Freudenberg dem Elternhausden Rücken und ging nach Amerika.

Eine Wende zeichnete sich in der Wirt-schaftsgeschichte Weinheims nach Inkraft-treten der Gewerbefreiheit im Jahre 1863 ab.Die alten Handwerkerzünfte wurden damalsaufgelöst. Die Einwohnerzahl der Stadterreichte zwischen 1840 und 1860 nicht ein-mal 6000 Menschen. Seit den 1860er Jahrensetzte stärkeres Bevölkerungswachstum ein,mit dem sich im Verlaufe von etwa vier Jahr-zehnten die Einwohnerschaft verdoppelte undbis 1905 auf 12 560 Bewohner stieg. Ein

kräftiger Industrialisierungsschub bildete denHintergrund. Anfang der 1860er Jahre erfaßtedie badische Statistik drei mit Dampf-maschinenkraft angetriebene Industriebe-triebe in Weinheim: Die Lederfabrik Heintze &Freudenberg mit 425 Arbeitern, dieMaschinenbaufirma Wilhelm Platz mit 21Arbeitern und die Zwirnerei und Weberei desaus alter Weinheimer Familie stammendenWilhelm Rücker. Das waren die drei ältestenWeinheimer Fabriken, die Ausgangssituation.Seit den 1880er Jahren vollbrachte unter-nehmerischer Investitionseifer, daß sich ins-gesamt eine Art kleines Weinheimer Wirt-schaftswunder vollzog. Das Branchenspektrumverbreiterte sich, wurde erstaunlich vielfältig,umfaßte von Anbeginn Investitions- und Ver-brauchsgüterindustrien und reichte von derchemischen und metallverarbeitenden Indu-strie über die Dominanz der Ledererzeuger bishin zu den Nahrungs- und Genußmittelher-stellern. Wohl keine andere IndustriestadtBadens in gleicher Größenordnung bot ein sovielseitiges Branchenprofil wie Weinheim.

Die chemische Industrie wurde von derFabrik des Ludwig Klein repräsentiert, einemkleineren Betrieb, der 1879/80 12 Arbeiter zumTagelohn von bemerkenswerten 2 bis 3 Markbeschäftigte, Weinsteinpräparate produzierteund als Nebenprodukte Hefeerzeugnisse,Weinbeeröl und zur Fabrikation von Frank-furter Schwarz verwendete „entweinsteinte“Hefe lieferte. Die Rohprodukte stammten nichtaus dem heimischen Weinbau, sondern ausItalien, wurden über den Eisenbahnversandbezogen, der sich, so versprach sich derFabrikant, mit Inbetriebnahme der Gotthard-Bahn verbilligen würde.

Die Metallindustrie war im ausgehenden19. Jahrhundert gleich mit vier Unternehmenvertreten: Der Maschinenfabrik Wilhelm Platz,zwei Feilenfabriken, darunter die 1874 aus derWerkstatt des Schmiedes Joh. P. Reinig hervor-gegangene Feilenfabrik im Müll (1895: ins-gesamt 28 Arbeiter) und der EisengießereiBaier seit 1882.

Wilhelm Platz begann mit der Herstellungvon Messingarmaturen und Feuerspritzen, mitdenen er sich aber gegen die Konkurrenz vonMetz in Heidelberg nicht durchsetzen konnte.Er nahm sodann – ähnlich wie der Kaufmann

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Heinrich Lanz in Mannheim – den Bau vonlandwirtschaftlichen Maschinen auf und hatteErfolg. Im Jahre 1880 beschäftigte er ungefähr150 Arbeiter zum Tagelohn von 70 Pf. bis 4 M,fertigte im Jahr etwa 5000 landwirtschaftlicheMaschinen, verkaufte sie auch nach Englandund Rußland, später bis nach Indien, Chinaund Amerika, in der Mehrzahl Dresch-maschinen und Futterschneidemaschinen,zunehmend auch landwirtschaftliche Loko-mobile. Deshalb errichtete er im gleichenJahre eine größere Eisengießerei in der Näheder Eisenbahn und investierte in eine neueKesselschmiede. Platz nahm auch in denfolgenden Jahren Exportchancen wahr undverkaufte 1883 die 20 000ste, von ihm inWeinheim hergestellte Häckselmaschine.Innovativer Erfindergeist kam der Expansionder Maschinenfabrik Wilhelm Platz und Söhneins Dampfkessel- und Lokomobilengeschäfttrotz der mächtigen Mannheimer Konkurrenzzugute. Ab 1885 wurde W. Platz & Söhne einPatent für eine Neuerung an Zentrifugal-regulatoren erteilt, ab 1891 der Badenia AG,vormals Wilhelm Platz & Söhne, eine Stellvor-richtung für den Dreschkorb, ab 1899 eineEinrichtung an Dampfkesseln mit Innen-feuerung zur Herbeiführung des Wärmeaus-gleichs und ab 1900 ein Funkenfänger paten-tiert. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg belief sichder Jahresausstoß der Maschinenfabrik Bade-nia AG auf rund 30 000 Maschinen.

Exportstärke bewiesen auch einige Unter-nehmen der Weinheimer holzverarbeitendenIndustrie. Im Jahre 1878 gründeten JuliusFriedrich und Peter Vogler eine Gewehrschäfte-fabrik. Das Rohmaterial, feinstes Nußbaumholz,bezogen sie aus der Umgebung und dembadischen Oberland und verkauften ihre Fabri-kate um 1880 außer in Deutschland nach Ruß-land und in die Schweiz. Aus dieser Gemein-schaftsgründung spaltete sich wenig später dieHolzschneiderei und Gewehrschaftfabrik P. Vog-ler & Cie ab, die auch in die schon zuvor vonOskar Jäger (später Jäger & Harms) aufgenom-mene Stuhlfabrikation diversifizierte (1895: 70Arbeiter). Jäger & Harms war der von ihnen her-gestellte Sprossenstuhl patentiert worden.

Auch Erfolge der Weinheimer Textilindustriekonnten sich sehen lassen. Neben einerNähseidefabrik verdient die Seidenfabrik W.

Rücker, zugleich Zwirnerei und Färberei,besondere Erwähnung: Jahresproduktion 18808400 kg Floretseide, Absatzgebiet Deutschland,Österreich, England, Rußland und Nordamerika.1880 beschäftigte das Unternehmen 13 Männerund 22 Mädchen zum Tagelohn von 70 Pf bis 6 Mund 1895 112 Mitarbeiter, ein Beschäftigungs-anstieg um mehr als das Dreifache.

Im Bereich der Nahrungsmittelindustrieeroberten sich gleich zwei Betriebe eine markt-führende Position. Laut Gewerbestatistik von1895 befand sich die damals größte badischeWasser- und Dampfmühe in Weinheim. Es wardie Familie Hildebrand mit ihren 127 Arbeitern(1880: 50 Arbeiter). Wie war es zu diesem Auf-stieg gekommen? Hildebrand nutzte offenbaralle sich ihm am Standort Weinheim bietendenKostenvorteile. Er verarbeitete das billigere hei-mische Getreide, zahlte Tagelöhne von nur 1,80bis 1,90 M und senkte durch den Aufkauf vondrei wassergetriebenen Weschnitz-Mühlen dieEnergiekosten. Nach Einführung der Getreide-Schutzzölle seit 1879 waren Landmühlen, dieInlandsgetreide verarbeiteten, auch insofern imVorteil, weil sein Preis unter dem des verzolltenImportgetreides lag. Die großen MannheimerRheinmühlen verarbeiteten demgegenüber bei-nahe ausschließlich etwas teureres Import-getreide. 85 000 dz Weizen und 2000 dz Roggenvermahlte 1880 das Hildebrandsche Mühlen-geschäft. Seine Produkte setzte es in Baden,Hessen, in der Bayerischen Pfalz und in Rhein-preußen ab. Für 1882/83 betonte der Berichtdes Bezirksamts Weinheim, daß die Hildebrand-sche Kunstmühle „durch glückliche Ausnüt-zung der Konjunkturen des Weltmarktes“ zumehr als lokaler Bedeutung gehoben wordensei. Das eindrucksvolle Firmenwachstum wurdeauch durch das ausdrucksvolle Mauerwerk derHildebrandschen Fabrikantenvilla unter-strichen, die offenbar den Wohlstand und dieSolidität des Unternehmers und seines Unter-nehmens der Öffentlichkeit bekunden sollte.

Die Anfänge der 1884 in Weinheim vonWilhelm Hensel gegründeten Ersten Badi-schen Dampfteigwarenfabrik waren bescheide-ner. Sechs Teigwarenfabriken gab es 1895 inBaden. Einen Betrieb mit vier Beschäftigtenstellte die Weinheimer Fabrik 1899 dar, diedamals die ersten Markennudeln mit demNamen „3 Glocken“ herausbrachte.

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Großen Investitionen in teure Gebäude mitRepräsentationswert pflegten industrielle Un-ternehmer im allgemeinen mit Mißtrauen undZurückhaltung zu begegnen. Man bevorzugteBauten mit zweckgebundenem Charakter, einInvestitionsverhalten, das nicht ohne Wirkungauf die äußere Gestalt, die Planung und Bau-weise der im 19. Jahrhundert erwachsenenIndustriestädte blieb. Das erste bekannte Werk-gebäude der Weinheimer Nudelfabrik erinnertan den profanen Fabrikstil der Zeit. Auch derTrend zu gewinnbringender Neuerung anstelleder Erhaltung historischer Substanz ging anWeinheim nicht spurlos vorüber. Der Abriß desMüllheimer Torturms 1882 wegen des wach-senden Verkehrs der vor dem Tor angesiedeltenIndustrie war aber schon zu damaliger Zeitheftig umstritten. Als der Turm fiel, verschwandmit dem Symbol der überlieferten Stadtord-nung auch viel vom herkömmlichen stadt-bürgerlichen Zusammenhalt und es beschleu-nigte sich das Tempo der ganzen städtischenUmgestaltung und der Auflösung alter Sozial-gefüge. Hektisches Bauen mehrte wiederumVerkehr, Umsatzmöglichkeiten und Gewinne.Seit zwei Jahren, so heißt es im Jahresberichtdes Bezirksamts von 1881, sei durch die Baulustdas Baugewerbe in Weinheim stark expandiert.Damals wurden die im Westen des alten Stadt-gebiets gelegenen, zur Rheinebene hinge-neigten Hügel (Bahnhofstraße, Bismarckstraße,Friedrichstraße) bebaut, bald darauf die nörd-lich gelegenen „Johannisgärten“. Die alte Mül-lersfamilie Kinscherf (Carlebach-Mühle, zeit-weilig Kammfabrik Grösche) verstand dieZeichen der Zeit, investierte mit Erfolg in einegut gehende Backsteinfabrik und gab ihre alteWassermühle auf.

Dem zweijährigen Haussetaumel undGründungsparoxismus in der deutschen Wirt-schaft nach 1871 folgte eine mehrjährigeDepression, die ab 1879 von einer leichten Bes-serung der Wirtschaftslage abgelöst wurde. Daauch der internationale Handel stockte, bliebin den 1880er Jahren allgemein der große Auf-schwung aus. Die Entwicklung einzelnerIndustrien und Industriestandorte aber bil-deten eine Ausnahme. Weinheim zählte dazu.Für seinen von der allgemeinen Wirtschafts-entwicklung abweichenden Sonderweg habenwesentlich Modernisierungs- und Innovations-

schübe in der Lederfabrik Freudenberg bei-getragen, die in den Jahren nach der Rückkehrvon Hermann Ernst Freudenberg aus Amerikaseit 1876 vorgenommen wurden. Fußend aufden Erfahrungen seines Amerika-Aufenthaltsführte er vor allem neue, den Produktions-prozeß verbessernde und beschleunigendeArbeitsmaschinen ein. Außerordentlich gün-stig wirkte sich der Übergang zur Direktver-marktung von Wichsleder an britische Schuh-fabrikanten und Händler über eine Freuden-berg-Vertretung in England aus.

Firmenchef Carl Johann Freudenberg, indessen Verantwortung die Gesamtleitung desUnternehmens lag und der zugleich imFinanzwesen das Sagen hatte, gewährte über-raschenderweise auf Anfrage Anfang 1881 demBezirksamtmann Einblick in die Leistungenseiner Firma und in die Unternehmens-situation für das Geschäftsjahr 1880. Freuden-berg verarbeitete damals ausnahmslos Kalb-felle zu Schuhmacherzwecken. Zubereitetwurden 1880 insgesamt 360 000 Stück: davon27,8% schwarzgewichste Kalbfelle, 11,1%braune Kalbfelle, jeweils knapp 10% satinierteund levantinierte Kalbfelle sowie fast 42%schwarzlackierte Kalbfelle. Seit 1852 stelltenHeintze & Freudenberg das modische Lack-leder her, dem die Firma ihren rasanten Auf-stieg bis in die 1880er Jahre verdankte und dasvon der Produktseite her der tragende Pfeilerdes Geschäfts war. „Wer Lackleder macht“,pflegte der alte Freudenberg zu sagen, „kann inder Kutsch fahren; wer Wichsleder macht,muß zu Fuß gehen“. Auch so ließ sich über-zeugend die Ertragslage von Fertigungs-bereichen kommentieren. Umsatzanstieg, Pro-duktionsausweitung und Beschäftigungszu-nahme waren aber wohl gleichermaßen auchdem hervorragenden internationalen Manage-ment der Firma zuzuschreiben. 83% derUmsätze wurden im Ausland gemacht. Mitdieser Exportquote war Freudenberg eines derexportintensivsten Großunternehmen imdamaligen Deutschland. 33% des Absatzesgingen nach England und Südaustralien, 15%nach Österreich, jeweils rund 10% auf dieiberische Halbinsel, in den Orient und nachNordamerika und 5% nach Italien. Auf demfranzösischen und russischen Markt konnte dieFirma in jenen Jahren noch nicht Fuß fassen.

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Alte Lackierfabrik der Fa. Carl Freudenberg, 1899

Ansicht der Fabrianlage Badenia aus einem Prospekt, 1905

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Fabrikgebäude der Fa. Carl Freudenberg im Gorxheimer Tal, um 1910

Altes Gerberhaus, 1910

Hildebrandsche Mühle im Weschnitztal, im Vordergrunddie Peterskirche, Aufnahme 1955

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Hinter dieser insgesamt höchst eindrucks-vollen Exportbilanz bei sich wegen der man-gelnden Kaufkraft abschwächendem Inlands-geschäft (17%) verbarg sich eine keineswegsgleichermaßen glänzende Ertragssituation.Die Rentabilität, so klagte Carl JohannFreudenberg, leide unter der bedeutendenHöhe der Löhne im Verhältnis zu den Preisen.Hochlohnstandort war Weinheim aber nicht.

Die Zahl der Arbeiter bei Freudenberg warEnde der 1870er Jahre unter 400 gesunken. Siebetrug 1880 genau 395, darunter waren dreijunge Mädchen bis 20 Jahre, 319 männlicheerwachsene Arbeiter und 73 männlicheJugendliche von 15 bis 21 Jahren. Männernwurde im Durchschnitt ein Wochenlohn von14 M ausgezahlt, den jugendlichen Arbeiternwenigstens 6 M. 4 Pfund Schwarzbrot, 2 PfundRindfleisch und ein halber Liter saurer Weinkosteten im Dezember 1881 in Weinheimzusammen 2 M, um eine Vorstellung von derKaufkraft des Geldes und der Löhne zu ver-mitteln. Gegenüber den 1849/50 gezahltengeringen Tagesverdiensten von kaum 70 Pf

waren die Löhne zwar beträchtlich gestiegen,hatten sich nominal knapp verdreifacht. Diebis in die 1860er Jahre fast seit Jahrhundertenniedrigen Löhne begünstigten allgemein denExport der frühen Industrie, die seit den1870er Jahren höheren Löhne behinderten ihnaber offenbar nicht. Im Export lagen auch inden folgenden Jahrzehnten die Wachs-tumschancen der Weinheimer Lederfabrik.1888 war die Beschäftigung auf 600 Mitarbeitergestiegen. Im Jahre 1896 kommentierte derlangjährige Direktor der badischen Landes-gewerbehalle in Karlsruhe, Hofrat Meidinger,wohl mit einigem Stolz die Entwicklung derFirma Freudenberg mit den Worten: „Die her-vorragendste Fabrik für lohgares Leder (Kalb-leder, lackiert, chagriniert, satiniert, gewichst,braun) befindet sich in Weinheim (1255Arbeiter)“. Sie sei das zweitgrößte derartigeGeschäft in Deutschland und besitze außerdemin Schönau bei Heidelberg eine Gerberei (208Arbeiter). Die nächstgroße badische Leder-fabrik, eine Heidelberger Firma, zählte ins-gesamt nur 90 Arbeiter. Freudenberg hat

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Lohmühle der Fa. Carl Freudenberg, 1899

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herkömmliche Größenordnungen und Wachs-tumsdimensionen durchbrochen. In siebenJahren hatte sich der Beschäftigungsstand ver-doppelt und gleichzeitig wurden die wöchent-lich bar ausgezahlten Löhne dauernd nominalund real erhöht. Die tägliche Arbeitszeitdauerte 9 Stunden, bei Auftragsdruck wurdelänger gearbeitet.

Der weitere Aufstieg von Freudenberg seitden 1880er Jahren war neben der Aufnahmeneuer, erfolgreicher Produkte (Farbleder) undtechnischen Innovationen erneut wesentlichvon den Erfolgen des Auslandsmarketing her-beigeführt worden. Von Paris aus erschloß mansich den französischen Markt und man konntesich in Japan Eingang verschaffen. Zu den tech-nischen Neuerungen gehörten unter anderemder endlich erlangte Bahnanschluss und diebereits 1893 erfolgte Umstellung auf elek-trischen Antrieb. Für das zunehmende Gewichtder Technik sorgte, um wettbewerbsfähig zubleiben, der technische Genius der Familie,Hermann Ernst Freudenberg. Er machte, waskaum bekannt ist, bedeutende Erfindungen, diepatentiert wurden, ab 1889 beispielsweise eineMaschine zum Reinigen, Glätten und Aus-recken von nassen enthaarten Fellen undHäuten mit dazugehörigem Verfahren undbereits im folgenden Jahr ein Verfahren zumSchleifen von trockenem, gefettetem Leder.

Einige Jahre bevor Freudenberg die Ferti-gung von Roßleder aufgegeben hat, weil er zudiesem Leder „alles Vertrauen“ verloren hatte,entstand 1868 Weinheims zweite Lederfabrik,die von Sigmund Hirsch gegründete Roß-ledergerberei. Ende der 1870er Jahre wurde siestillgelegt und 1880 unter dem FirmennamenHirsch & Mayer wieder in Betrieb genommen.Sie stellte in der Folgezeit – bis zurerzwungenen „Arisierung“ im Jahre 1938 – ausRoss- und Fohlenhäuten schwarze und farbigeOber- und Lackleder her, die immer etwasteurer als andere Leder waren.

Abwässer von handwerklichen Gerbereienund zwei Lederfabriken konnte das natürlicheGewässernetz nicht mehr verkraften. DieFirma Freudenberg hatte bereits Anfang der1880er Jahre Klärbehälter angelegt, aber dieVerunreinigung des Grundelbachs bestandfort. 1886 wurde vom großherzoglichenMinisterium des Innern den Weinheimer Ger-

bereibesitzern Hirsch & Mayer, Schmitz sowieMarius Walter das Haarwaschen im Gewerbe-kanal (Gerberbach) vom 1. April bis 1. Oktobervon morgens 7 Uhr bis nachmittags 4 Uhruntersagt, weil die Haarwäsche in hohemGrade die Gewässer verschmutzte. 1890 wurdedie städtische Wasserleitung in Betrieb genom-men und Mitte der 1890er Jahre dann die fürdie Stadt und die Firma Freudenberg wichtigeKanalisation verwirklicht, die das Werk imMüll mit der neuen Weschnitz verband.

Unter dem Druck technischer Erfindungenund der mit ihnen aufkommenden großenIndustrie war aus dem idyllisch gelegenen, ver-schlafenen kleinen Städtchen Weinheim imLaufe des 19. Jahrhunderts eine veränderteStadt mit vielen neuen Maßstäben und Idealengeworden, eine Industriestadt. Nicht mehr aufden eigenen Marktplatz und den 1404 vonKönig Rupert gnädigst bewilligten 8-tägigenPfingstmarkt konzentrierte sich das Geschäfts-leben; der Marktplatz hat sich vielmehr auf dieganze Stadt übertragen und schließlich, alsgebe es keine Grenzen mehr, über die ganzeWelt, in die Weinheimer Produkte exportiertwurden. Diesen wirtschaftlichen Gestaltwandelder Stadt könnte man auch als Ausweitungvom Marktplatz zur Marktwirtschaft beschrei-ben. Zu einem Triumph gewerblichen Stolzesgestaltete sich die Weinheimer Gewerbeaus-stellung im Jahre 1885. 59 von 77 Ausstellernwurden mit Belobigungen und Diplomen aus-gezeichnet. Leistung wurde honoriert. Jeweiter sich aber dieser Großmarkt ausdehnte,um so mehr Geld und Kredit wurden in derStadt und auf weite Entfernungen tätig. Völligneu waren für Weinheim mit seinem her-kömmlichen Kleingewerbe, daß man auchGewinn- und Rentabilitätsberechnungen an-stellte, Schreiber Korrespondenz erledigten,ein Buchhalter in einem kleinen Raum imBüro der Firma Freudenberg sich tagtäglichmit Hilfe dicker Folianten in der Kunst derdoppelten Buchführung übte. Neue Arbeitenund Arbeitsgewohnheiten wurden gefordert,aber auch andere Wirtschaftsgesinnungen undLebensgewohnheiten setzten sich im Wirt-schafts- und Sozialleben der Stadt durch. Dieheute zum Lächeln herausfordernden Bei-spiele für Sparsamkeit des alten Carl JohannFreudenberg sind zahlreich. Er war in der Tat

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die unternehmerische Gestalt im Sinne MaxWebers, die die Enthaltsamkeit von derReligion ins Geschäftsleben und auf seinenpersönlichen Lebensstil übertragen hatte. DieSparsamkeit des Vaters schlug auf die Söhnedurch. Als der stets korrekt gekleideteFriedrich Carl eines Tages ohne Krawatte insBüro kam, erbot sich der Neffe sogleich, dasfehlende männliche Requisit zu holen. Erwurde zurückgehalten: „Richard, das gehtnicht, meine Krawatte wird gerade gewa-schen“. Bekannt ist der Widerstand der Groß-mutter Sophie gegen die teure neumodischeKlopapierrolle. Sie wurde beseitigt und durchdie bewährte geschnittene Zeitung ersetzt.

Wo es in Weinheim an der Aufsicht derEltern und Großeltern mangelte, wie derAmtmann in Erfahrung brachte, waren Keck-heit und Rohheit unter der Jugend, „zuneh-mende Zügellosigkeit und Unbotmäßigkeit“ zubeklagen. Anstoß wurde auch an den Abend-aufenthalten von Kindern und Jugendlichenauf der Gasse genommen. Zum nicht befriedi-gend zu lösenden Problem gestaltete sich dieLohnzahlung an Jugendliche, die es nicht mehrwollten, daß ihr Lohn – wie bisher – den Elternausgehändigt wurde. Auch die angeblich laxereSchulzucht hatte nachteilige Rückwirkungenauf Haus und Familie und wiederum auf dieSchule selber. Wohl relativ hohe unent-schuldigte Schulversäumnisse – im Jahre 1881bei 1046 Schülern 552 unentschuldigte Ver-säumnisse – wurden notiert. Dem wachsamenAuge der Obrigkeit entging auch nicht: „Der imLaufe der Jahre eingerissene Luxus hatvielmehr – namentlich bei der Jugend – nurwenig nachgelassen“. Hier und da in denJahresberichten der Bezirksamtmänner einge-streute kritische Bemerkungen über Weinheimund das Verhalten der Weinheimer sollten nichtetwa den Eindruck erwecken, als herrschte inder Stadt ein allgemeiner Sittenverfall, Sodomund Gomorrha. Unter Sittenwidrigkeitenwurde regelmäßig die Zahl der unehelichenGeburten registriert, 40–60 pro Jahr. Das warenetwa 5% Anteil an der überdurchschnittlichhohen Geburtenzahl Weinheims und insofernunterdurchschnittlich wenig, gemessen an süd-westdeutschen Landesdurchschnitten oder anden zeitweiligen Unehelichenquoten im über-wiegend katholischen Freiburg von fast 20%.

Gelegentlich haben sogenannte „öffentlicheKunstgenüsse“ die Behörde zum Einschreitenveranlaßt, die große Freude an Tanzlustbar-keiten den Amtsschimmel offenbar verwirrt.Einer Seiltänzergesellschaft wurde die Auf-trittserlaubnis entzogen, weil die „betreffendeBande“ das Ammergauer Passionsfestspiel zumGegenstand unwürdigen Spottes gemacht habe.

Es hieße, die Augen vor der Realität zu ver-schließen, wollte man in Abrede stellen, daßim Rahmen des bekanntlich regen WeinheimerVereins- und Wirtshauslebens nicht Politikgemacht wurde, zumindest Stammtisch-Politik. Ein Zusammenhang zwischen demWirtshausleben und der Bürgermeisterwahlvon 1881 ist nicht völlig auszuschließen. Aufdem Amt wurde in Erfahrung gebracht, daßsich Dr. jur. Hermann Haas aus Stuttgart 1880als Ökonom in Weinheim niedergelassen undin den folgenden Monaten angeblich mehrereTausend Mark für Getränke ausgegeben habe,um sich Freunde und Anhänger zu schaffen,die ihn zum Bürgermeister wählen sollten. Diespöttisch so genannte „Bürgerliste Freibier“wurde Wahlsieger. Der spendable Ökonom warvon 1881 bis 1885 Bürgermeister von Wein-heim und, wie der Amtmann vermerkte, „einlobenswert wirksamer Gemeindevorsteher“.Ihm verdankte Weinheim auch seine zweiteLokalzeitung (neben dem von Wilhelm Dies-bach bereits 1863 gegründeten „WeinheimerAnzeiger“), seit 1883 das „WeinheimerTageblatt“, das lokalen Interessen dienen soll-te, aber „in Wahrheit“, so der Kommentar desAmtmanns, „die persönlichen und politischenZwecke ihres Eigentümers, des BürgermeistersDr. Haas“, zu fördern habe. Offenbar tröstlicherschien es dem Bezirksamt, daß sich beimRedakteur des Weinheimer Tageblatts „jederhöhere Flug“ vermissen ließ.

Anstoß bei der Behörde erregte die angeb-lich zunehmende, wenngleich statistisch nichtbelegte Genußsucht unter den Weinheimernungeachtet der gedrückten Verhältnisse um1880, gelegentlich wurde auch von derZunahme des gewohnheitsmäßigen Brannt-weingenusses gesprochen. Die Schuld daranschob die Behörde den vielen in Weinheim undUmgebung bestehenden Vereinen zu (1885: 54Vereine mit 5654 Mitgliedern). Sie würdennicht nur das ausgeprägte Geselligkeits-

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bedürfnis der Weinheimer befriedigen, „son-dern nicht selten ehrgeizigen BestrebungenEinzelner oder den persönlichen Interessenvon Wirten dienen“ (1895). Schon 1812gründeten Weinheimer mit obrigkeitlicherErlaubnis ihren ersten Verein, eine Lesegesell-schaft, aus der sich das „Casino“ entwickelte.Aus dem Jahre 1842 datiert der Singverein undvon 1860 die Schützengesellschaft. AlsKirchenchor entstand 1882 der Cäcilienvereinund 1889 der vorwiegend von Freudenberg-schen Arbeitern getragene Männergesangver-ein „Eintracht“. Seit 1862 gab es eine FFW undseit 1865 eine Feuerwehrmusik, seit 1862einen Turnverein, seit 1878 die TG Jahn, seit1892 den Athleten-Club, und seit 1891 Rad-fahrervereine.

Höchstes Ansehen unter den Vereinengenossen die Militärvereine; einige von ihnentrugen mit behördlicher Genehmigung Kriegs-gerät. Doch war die Bewaffnung mit insgesamt43 Gewehren wohl nur „zum Ausrücken beiLeichenbegängnissen“ bestimmt. Die positivenEffekte des Weinheimer Vereinswesens ließensich mit Händen greifen.

Freudenbergsche Frauen engagierten sichfür den Frauenverein. Unter der Leitung desFrauenvereins stand um 1880 die WeinheimerKinderschule, betreut von Helene Freuden-berg, der Frau von Hermann Ernst Freuden-berg. Negative Randerscheinungen sind imBezirksamt wohl überbewertet worden, daßWeinheimer allzu stark dem Laster der Genuß-sucht frönten, ist sicher eine Übertreibung.Auch scheint der Branntweingenuß 1892 seineSättigungsgrenze erreicht zu haben, da eineZunahme vom Bezirksamt nicht mehr fest-gestellt wurde. Die Weinheimer waren zwarnicht die eifrigsten badischen Sparer, aber siewaren sparwillig und sparfähig, Ende 1881kam auf die 1589 Einleger der örtlichenSparkasse ein durchschnittliches Guthabenpro Einleger von rund 631 M (badischerDurchschnitt 1878: 721 M; württembergischerDurchschnitt 1891: 513 M).

Die Weinheimer unterschieden sich nichtnur in ihrem Dialekt von den Mannheimernund Heidelbergern. Es gab auch andere Unter-schiede, wohl auch im Hinblick auf politischeHaltungen und Einfärbungen. „Eine lebhaftereBewegung sozialistischer Färbung ist erst in

letzter Zeit beobachtet worden“, berichtete derAmtmann 1883. Sympathien für den Sozialis-mus hätten aber fast mehr noch als beiArbeitern in denjenigen Kreisen Einganggefunden, „von welchen der frühere Boden desHandwerks oder Kleinhandels mit verfehltenerweiterten Unternehmungen vertauscht oderdie Vermehrung der Konkurrenz an sich nichtertragen oder die selbständige wirtschaftlicheExistenz durch Lebsucht verscherzt wurde“.Weinheim sollte von Mannheim aus für dieSozialdemokratie erobert werden. Wenn nichtdie Weinheimer Gastwirte die Einräumungihrer Lokale den Mannheimer Sozialdemo-kraten oder Demokraten für Wahlversamm-lungen verweigerten, verliefen solche Zu-sammenkünfte nicht selten recht stürmisch,weil man mit den Ausführungen der Rednernicht einverstanden war und heftiges Mißfallenbekundete. Auch nach Aufhebung des Sozia-listengesetzes (1892) hielt das Amt diesozialdemokratische Anhängerschaft selbst inder Amtsstadt für „nicht erheblich“ und lieferteselber dafür eine plausible Erklärung: „DasVerhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeit-nehmern ist in der hiesigen Stadt im all-gemeinen ein gutes“.

Zu dem guten Arbeitsklima in den Wein-heimer Industriebetrieben haben sicher bereitsvor Einführung der gesetzlichen Sozialver-sicherung mit ihren Minimalleistungen seit1883 die von den Unternehmern gewährtenbetrieblichen Sozialleistungen beigetragen.Der Chemiefabrikant Klein zahlte beimörtlichen Krankenunterstützungsverein sovielein, daß einem Arbeiter im Krankheitsfall eintägliches Krankengeld von 2 M gewährleistetwar. Mühlenbesitzer Hildebrand zahlte in dieKrankenunterstützungskasse wöchentlich 2 Mje Arbeiter und gab seinen Arbeitern einKrankengeld von 1 M je Tag und Mann. Wohlalle Fabrikanten haben auf eigene Kosten ihreArbeiter gegen Unfälle versichert. In der Leder-fabrik Freudenberg bestand eine Betriebs-krankenkasse, in die jeder Arbeiter pro Woche10 Pf einzahlte und der Fabrikherr einenBetrag je nach Bedarf einlegte. Seit Mitte der1880er Jahre gab es bei Freudenberg eineFabrikkantine, in der 1891/92 für 30 Pf vorallem an die Einpendler unter den Arbeiternein nahrhaftes Mittagessen ausgegeben wurde,

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damals insgesamt täglich 170 Portionen. Sehrviele Arbeiter verzichteten aber noch lange aufdas Kantinenessen und ließen sich ihreMittagsmahlzeit von Familienangehörigen indie Fabrik bringen. Aus dem Gorxheimer Talfuhr noch in der Zeit nach dem Zweiten Welt-krieg ein Fuhrwerk mit „Essenkisten“ nachWeinheim.

Zum Preis des industriellen Wachstumsgehörten auch Wasserleitungen, Kanalisatio-nen, Arbeiterwohnungen, Schulen, Kinder-spielplätze, kostspieliges Straßenpflasteru. a. m. Da sich die Beschäftigung in den Wein-heimer Fabriken ständig vermehrt und dieLohnverhältnisse dauernd verbessert hatten,wurde seit dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahr-hunderts der Mangel an Arbeiterwohnungenzu einem permanenten sozialen Problem. „Diewirtschaftlichen Zustände der Arbeiterbevöl-kerung sind – abgesehen von den Löhnen –wesentlich durch die Wohnungsverhältnissebedingt; denn wo das Heim fehlt oder wodasselbe beschränkt und unfreundlich ist, dakann auch der rechte Sinn für Häuslichkeitund Familienleben nicht aufkommen“, schriebbesorgt der Weinheimer Amtmann in seinemJahresbericht 1892. Damals liefen Verhand-lungen um die Gewährung von zinsgünstigenBaudarlehen für Arbeiterwohnungen durch dieVersicherungsgesellschaft Baden. Das Problemder Beschaffung billiger Arbeiterwohnungenwurde nicht mehr im 19. Jahrhundert gelöst,ganz energisch aber nach dem Ersten Welt-krieg angegangen.

Bereits im 19. Jahrhundert ist jedoch inWeinheim viel getan worden, um unentbehr-liche Einrichtungen städtischer Kultur insLeben zu rufen, mehr als in anderen Städtenvergleichbarer Größenordnung. Aus der 1812eingerichteten Lateinschule wandelte sich dieHöhere Bürgerschule, die sich, seit 1876zusammengeschlossen mit dem berühmten,schon 1829 gegründete Benderschen Institut,im Jahre 1900 zum Realprogymnasium weiter-entwickelte. Seit 1842 gab es eine Gewerbe-schule für die berufliche Fortbildung, derleider die größere Zahl der Gewerbetreibendenim ausgehenden 19. Jahrhundert „nochgänzlich teilnahmslos“ gegenüberstand. Seit1858 besaß die Stadt eine Höhere Töchter-schule (1881: 105 Schülerinnen). Der erste

wirksame Anstoß zur Gründung einer Stadt-bibliothek datierte aus dem Jahre 1841. DasHeimatmuseum entstand 1906. Durch sozialesund kulturelles Engagement wurde wesentlichdie Individualität des modernen Weinheimgeprägt. Durch ihre schulischen Einrich-tungen, ihre Bibliothek und das Heimat-museum hatte die Stadt die Nase vor anderenvergleichbaren Städten. Vielleicht erkannteman hier früher als anderswo, daß Kultur aucheinen Wirtschaftsfaktor darstellt.

Das im 19. und in der ersten Hälfte des20. Jahrhunderts zu beobachtende breiteSpektrum der Weinheimer Industrie hat sichin den letzten fünfzig Jahren immer mehr aufganz wenige Branchen verengt. Maschinen-,Textil-, Möbel- und Gummiindustrie gibt esnicht mehr. Die Firma Freudenberg hat sich zueinem Weltunternehmen mit vielfältigen Pro-duktionszweigen entwickelt. Aber der ehemalsgrößte Lederproduzent in Europa stellt keinLeder mehr her.

Quellen und Literatur

Alfred Beck: 100 Jahre Gymnasium Weinheim. In:Adreßbuch der Großen Kreisstadt Weinheim. 1976.

Willi A. Boelcke: Wirtschaftsgeschichte Baden-Württembergs von den Römern bis heute. Stuttgart1987.

Willi A. Boelcke: Sozialgeschichte Baden-Württem-bergs 1800–1989. Stuttgart etc. 1989.

Josef Fresin: Die Geschichte der Stadt Weinheim.Weinheim 1962.

Hermann Pinnow: 100 Jahre Carl Freudenberg.1849–1949. München 1949.

Otto Stäckler: Ursachen verschwundener und abge-wanderter Industrien im Ortsbereich Weinheim. In:Bad. Heimat 48 (1968).

Der hier abgedruckte Aufsatz entspricht einem am2. März 1990 in der Stadtbibliothek Weinheim gehalte-nen Vortrag. Die wichtigste Quelle waren die Berichtedes Bezirksamtes Weinheim im GenerallandesarchivKarlsruhe sowie die Bad. Gewerbezeitung.

Anschrift des Autors:Prof. Dr. Willi A. Boelcke

Trebbiner Straße 1315831 Mahlow

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Verläßt der Besucher die Weinheimer Alt-stadt, geht er durch das Schloß und denunteren Schloßpark nach Osten, so stößt erhinter dem Tor des Parks unmittelbar auf den

„Exotenwald“. Wie ein Keil schiebt sich diesesWaldgebiet zwischen den Baugebieten desMüllheimer Tales und des Prankel mitten indie Stadt. Zusammen mit Großem und Klei-nem Schloßpark und dem Schau- und Sich-tungsgarten Hermannshof zählt es zu „Wein-heims Grünen Meilen“, den besonders sehens-werten Grünflächen dieser Stadt.

Weinheim liegt an der Bergstraße, jenemGebiet, das die Wärme und Klimagunst derRheinebene mit den Niederschlägen des auf-steigenden Odenwaldes verbindet. Die Mandel-blüte im zeitigen Frühjahr, das Reifen vonZitronen und Feigen und der Wein hoherQualität kennzeichnen diese klimatischeBesonderheit. Es ist daher nicht überraschend,wenn Christian Freiherr von Berckheim ver-sucht, die bereits vorhandene, noch heutebeeindruckende exotische Vielfalt seinesSchloßparks über dessen Mauern hinaus nachOsten in ein landschaftlich reizvolles Gebiet

mit Gärten, Weiden und kleineren Wäldchenzu erweitern.

Heute ist aus dieser Erweiterung eine den-drologische Besonderheit geworden, die demFachmann ebenso wie dem fachlichen Laieneinen besonderen Einblick in eine weltweiteBaumartenvielfalt ermöglicht. Sie ist gleich-zeitig in unmittelbarer Stadtnähe ein Gebietder Ruhe und der Erholung geworden.

WIE ES ZUM EXOTENWALD KAMGeschichtliche Entwicklung –Gründerphase

Ursprünglich aus dem Elsaß stammendwaren die Freiherren von Berckheim Ende des18. Jahrhunderts nach Weinheim gekommen.Meist als Militärs bzw. Höhere Verwaltungs-beamte waren sie am Großherzoglichen Hof inKarlsruhe tätig. Der Begründer des Exoten-waldes, Christian Friedrich Gustav (1817 bis1889), war zuletzt Staatsminister und Groß-hofmeister am Hof in Karlsruhe. Dort wohnteer auch nach seiner Heirat ab 1844. Erst 1871kam die Familie nach Weinheim zurück.

Das Ziel, ein Waldgebiet mit fremdlän-dischen Bäumen – die damals als „Exoten“

! Ulrich Wilhelm !

Der Weinheimer ExotenwaldEine dendrologische Kostbarkeit am Herzen einer Stadt

Das bunte Bestandesmosaik des Exotenwaldes über demMüllheimer Tal, Aufn. 1998

Mausoleum der Grafen von Berckheim im Schlosspark

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bezeichnet wurden – zu begründen, reifteallerdings schon früher. In den 60er Jahrendes 19. Jahrhunderts kaufte von BerckheimFlächen östlich seines Schloßparks in denGewannen Sommerhalde, Wichtersgasse, Gas-senweg, Judenbuckel und Weihertal an. Hier-durch entstand ein weitgehend arrondierterBesitz von rund 36 ha Fläche.

Angekauft wurden kleine Wäldchen, vorallem aber Weideflächen und Gärten. Letzteresist heute noch an der Geländemorphologie(Terrassierung) und an der aus Gärtenstammenden Vegetation in einigen Wald-beständen des Exotenwaldes erkennbar.

„Exoten“ – Anbau war übrigens in dieserZeit an Höfen und in Parks durchaus Mode.Fremdländische Bäume konnten auch ver-gleichsweise einfach von hierfür spezialisiertenBaumschulen bezogen werden. Die „Exoten“bei der Begründung wurden fast ausschließlichvon europaweit bekannten Spezialbaumschu-len in Orleans, Gent und Exeter bei Londonbezogen. Geliefert wurden in aller Regel Topf-pflanzen, dabei sowohl Sämlinge wie auchmehrjährige Pflanzen.

Diese Beschaffungen waren mit erheb-lichen finanziellen Aufwendungen verbunden,zumal ja vor allem für die Flächenbepflan-zungen große Stückzahlen gebraucht wurden.Allein für die Waldbestände pflanzte und bes-serte von Berckheim in der ersten Gründer-phase zwischen 1872 und 1883 12 494 Bäumenach.

Eigentlich eine Art SchloßparkDie Motivation von Berckheims für den

Exotenanbau ist letztlich nicht bekannt. Durchden flächenhaften Anbau von Waldbeständenfremdländischer Baumarten ging er sicherlichüber die seinerzeitige Mode deutlich hinaus.Die verschiedentlich in früheren Veröffent-lichungen vertretene Meinung, der Anstoß seidie Folge eines Amerika-Aufenthaltes gewesen,konnte nicht bestätigt werden.

Detailliert durchgeführte Planungen unddas in der ersten Anbauphase akribische Fest-halten an diesen Plangrundlagen legen ebensowie die fachliche Beratung durch die Garten-baudirektoren Zeiher (Karlsruhe) und Schnitt-spahn (Bensheim–Auerbach) heute eher dieVermutung nahe, daß von Berckheim seinen

Schloßpark erweitern wollte. Daher plante undbaute er in den ersten Jahren ein Wegenetz,das für Kutschfahrten geeignet war und das anden Eigentumsgrenzen jeweils mit Rondellenzum Wenden der Kutsche endete. Gleichzeitigsah er längs der Wege Alleen mit den damalsseltensten und als Besonderheit empfundenenBäumen und Sträuchern vor. An Wege-kreuzungen sollten größere Flächen dieserGewächse entstehen. Und dann sollten Sitz-gruppen mit massiven Sandsteintischen undBänken gebaut werden, die nach Familienmit-gliedern auf den Plänen bereits benannt waren.Die heute noch vorhandene Sitzgruppe an der„Ida-Bank“ stammte aus den Ausführungendieser ersten Planungen. Der Name erinnert andie Gattin des Exotenwaldbegründers.

Jetzt erst kam der eigentliche Wald. Sofernnicht auf den steileren Geländeteilen bereitskleinere Waldflächen vorhanden waren, forstetvon Berckheim zwischen den alleengesäumtenWegen Waldbestände auf. Insgesamt 15,9 ha! –auch unter den heutigen Waldverhältnissen

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Der Esskastanien-Brunnen an der „Ida-Bank“-Sitzgruppe

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eine erstaunlich große Fläche. Auch hier greiftvon Berckheim auf das reichhaltige Baum-schulangebot großzügig zurück, und es ent-stehen die Grundlagen der heutigen, sehens-werten Altbestände. Dies sind vor allem dieMammutbäume (Sequoiadendron giganteum),die Jeffrey-Kiefern (Pinus jeffreyi), die Gelb-kiefern (Pinus ponderosa), Flusszedern(Calocedrus decurrens), Riesen-Lebensbäume(Thuja plicata).

Von Berckheim hatte diese Vorgehensweise– längs der Wege exklusive Alleen mit einerreichen Auswahl an Bäumen und Sträuchernund dann die Zwischenpflanzung zwischen denAlleen mit weitgehend einheitlichen, fremd-ländischen Waldbeständen in seiner Dienstzeitin Karlsruhe quasi „vor der Haustüre“ verfolgenkönnen und er versucht sie nun in Weinheim,von Fachleuten beraten, so umzusetzen.

BESONDERHEIT:Anbau in Waldbeständen

Dem heutigen Exotenwaldbesucher wirddas Berckheim’sche Konzept nur noch bei sehraufmerksamer Betrachtung am unteren Kas-tanienwaldweg vom östlichen Schloßparkaus-gang her deutlich. Sucht er bewußt nach dendickeren Bäumen, so hebt sich plötzlich diealte Allee von den umgebenden Waldbeständenab. Aber eigentlich ist die heutige Situationganz anders als es sich von Berckheim aus-gedacht hatte. Von vielen Baum- und Strauch-arten kannte man damals (wie auch heutevielfach) die exakten Standortsansprüche, ihrWuchsverhalten und ihre Empfindlichkeitennicht. Aber gerade das Exotenwaldgebiet ist einRaum unterschiedlichster, ja zum Teil gegen-

sätzlicher Standortsverhältnisse und damit einausgesprochen kompliziertes Anbaugebietnicht nur für fremdländische Baumarten.

Von Berckheim muß dies bereits in denersten Jahren nach dem Beginn des Anbauserkennen. Mit eiserner Konsequenz bessert erzunächst die Ausfälle aufwendig nach. Esgelingt ihm dabei in einigen Fällen, Beständeauf weniger geeigneten Standorten gegen dieNatur „durchzuzwingen“. Sie leben z. T. heutenoch. Wie z. B. der Lawson-Scheinzypressen-bestand (Chamaecyparis lawsoniana). Dochjedes trockene Jahr, jede kleine Kalamitätfordert daher bis heute Opfer von diesem nachwie vor labilen Bestand.

Erst der strenge Winter 1879/80 zwingtzum Umdenken: Viele Ausfälle werden durchheimische Baumarten oder durch Exoten, vondenen man weiß, daß sie unter unserenVoraussetzungen überleben, ersetzt. Die teu-ren Alleen beginnen sich zunehmend auf-zulösen. Viele Baum- und Straucharten kom-men mit dem Weinheimer Klima, andere mitden örtlichen Bodenverhältnissen nicht zu-recht. Mangelnde Pflege in der Zeit, als derExotenwaldbegründer nicht mehr für seineBäume „sorgen“ konnte, verstärkten die Auf-lösungen und Ausfälle weiterhin.

Von ca. 150 Baum- und Straucharten derGründerzeit sind rund 50, die meisten in denverschiedenen Waldbeständen übrig geblieben.Die Alleen sind bis auf wenige Ausnahmen ver-schwunden. Viele, der Gestaltung zum Parkzuzuordnende Baumaßnahmen sind nichtvollzogen worden. Geblieben ist der Wald, dieGrundlage des heutigen Exotenwaldes. Rund50 Baumarten sind auch unter heutigenGesichtspunkten eine respektable Größen-ordnung, wenn man bedenkt, daß von den bisheute gepflanzten ca. 400 Baum- und Strauch-arten gerade einmal 170 übrig geblieben sind.

DAS KLEINOD DERGRÜNDERZEIT:Der alte Mammutbaumbestand

Er ist zweifelsohne der beeindruckendsteBestand des Exotenwaldes. Die höchstenBäume – zwischenzeitlich gerade einmal135 Jahre alt – haben fast 60 m Höhe erreicht.Durch ihre rot leuchtende, weiche und dicke

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Flusszedern Altbestand aus der Gründerzeit

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Rinde heben sich die Baumriesen deutlich vonden umgebenden Nachbarbeständen ab.

Dabei werden diese aus den Gebirgen dersüdwestlichen USA stammenden Bergmammut-bäume (Sequoiadendendron giganteum) bis zu80 m hoch, bis zu 3500 Jahre alt und erreichenDurchmesser von 10 m und mehr.

Dass unsere Bäume noch in ihrer Jugend-phase sind – auch wenn sie einheimischeBäume schon weit überragen – zeigen sie auchdurch ihre immer noch spitze Krone. Wirklichalte Mammutbäume flachen ihre Krone nachoben hin ab. Ziel der Exotenwaldbewirt-schaftung und -pflege ist es, die fremdlän-dischen Bäume so alt wie möglich werden zulassen. Wir haben daher noch einiges vor!

Aber auch der Rückblick ist interessant:Zwischen 1873 und 82 pflanzt von Berckheimauf mehr als 2 ha Fläche 1460 Mammutbäume.Der Bestand soll etwas Besonderes werden.Selbst die sonst obligatorische Alleenpflanzungwird in diesem Bereich weggelassen.

Die ersten Pflanzenlieferung ist bemer-kenswert: Die 1128 Bäumchen kommen mit

Schiff und Fuhrwerk von der Firma Veitch inExeter bei London als 4-jährige Topfpflanzennach Weinheim. Jede dieser Pflanzen kostet2 Guineen, entsprechend 43 Goldmark. Diespäteren Nachbesserungen kommen dann alskleinere und preiswertere Pflanzen ausOrleans.

Doch auch hier muß von Berckheimspätestens um 1880 umdenken. Auf mehrerenAusfallflächen bessert er nun mit ver-schiedenen Tannenarten und Fichten nach. ImGegensatz zu den Mammutbäumen gedeihendiese rasch und beginnen bereits um 1900 zurernsten Gefahr für die noch vorhandenenMammutbäume zu werden. Diese müssendaher bis in die 70er Jahre des vergangenenJahrhunderts immer wieder gegen die Fichten-und Tannenkonkurrenz freigepflegt werden.

Heute ist der Bestand dieser Gefahr nichtmehr ausgesetzt. Dennoch gibt es immerwieder Probleme, die seine Entwicklung inFrage stellen. Zuletzt war es das Trockenjahr2003. Nach einem vergleichsweise regen-reichen Frühjahr blieben die Niederschläge bis

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Der „alte“ Mammutbaumbestand Die Mammutbäume sind fast 60 m hoch

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in den späten Herbst weitgehend aus. DieSommertemperaturen steigerten sich auf einbisher kaum gekanntes Maximum.

Nadelbäume reagieren auf solche Situ-ationen durch das Abtrocknen und zum TeilAbwerfen der jeweils älteren Nadeljahrgänge abetwa August. So auch unsere Mammutbäume.Doch üblicherweise macht diese Entwicklungvor den jüngsten und wichtigsten Nadeljahr-gängen halt. Unsere Mammutbäume ließenaber einen Großteil dieser Triebe ebenfallsabtrocknen. Nur noch einige wenige grüneZweige führten zu einer alarmierendenSituation. Umfangreiche Beregnungsmaß-nahmen mit Hilfe von Feuerwehr und Stadt-werken waren in den kritischen Bestandes-teilen bis ins Frühjahr 2004 hinein notwendig.Die Mehrzahl der beängstigend aussehendenBäume ist zwischenzeitlich gerettet undreagiert wieder mit der Bildung neuer Zweige.Drei Mammutbäume allerdings überlegen essich noch, ob sie weiter machen wollen. Diekritische Situation von 2003 ist heute noch anvielen Bäumen auch für den Laien deutlicherkennbar.

WIEDERERWACHEN AUS DEMDORNRÖSCHENSCHLAF:Der Exotenwald bis nach dem 2. Weltkrieg

Mit dem Sohn des Exotenwaldbegründersließ das Interesse der seit 1900 „gräflichen“Familie am Anbau fremdländischer Baumartenbis etwa 1925 deutlich nach.

In dieser 40-jährigen Phase werden keineweiteren fremdländischen Bäume mehr ange-baut. Die vorhandenen Pflanzungen werdenvielfach von einheimischen, vitaleren Baum-arten überwachsen oder durch die häufig vor-kommende Waldrebe sehr stark geschädigt.Daneben fehlt die fachliche Qualifikation vielerBewirtschafter, so daß beispielsweise um1925 der Bestand der Küstenmammutbäume(Sequoia sempervirens) im Weihertal bis aufeinen Baum aus Unkenntnis zusammen mitder umgebenden Fichte zu Brennholzzweckeneingeschlagen wurde.

Erst der Enkel des Exotenwaldbegründers,Dr. Philipp Christian Graf von Berckheim,zeigt wieder Interesse am Exotenanbau. Mög-licherweise gelang es dem seinerzeitigen Forst-

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Die Trockenheit 2003 und ihre Folgen Die leuchtend rote Rinde des großen Küstenmammutbaumes

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meister Wendt und dem mit der gräflichenFamilie befreundeten Forstmeister Graf vonSpee – beide dendrologisch fundiert interes-sierte Forstleute – den Grafen zu motivieren.Bis zum 2. Weltkrieg werden daher in diesemJahrzehnt noch 8,25 ha neu mit fremdlän-dischen Baumarten begründet. Ehe der Exo-tenwald 1955 verkauft wird, kommen dannnochmals 2,8 ha fremdländischer Beständeneu dazu (heute sind es im Durchschnitt um0,2–0,3 ha, welche pro Jahr neu mit Exotenangepflanzt werden).

Doch noch ein weiterer Umstand machtgerade diese Zeit für den Exotenwald wichtig:1929 kommt Wilhelm Fabricius als Forst-assessor nach Weinheim. Später wird er – mitzeitlichen Unterbrechungen – Forstamtsleiterbis 1960. Fabricius ist dendrologisch interes-siert und gleichzeitig ein Meister forstlich-den-drologischer Öffentlichkeitsarbeit. Mit ihm,einer Vielzahl von Veröffentlichungen in Fach-zeitschriften, seinen ersten Exotenwaldführernfür die Öffentlichkeit und seinem Engagement

in der Deutschen Dendrologischen Gesell-schaft (DDG), deren Präsident er später wird,erhält der Exotenwald die Grundlage für seineheute europaweite Bekanntheit. In dieser Zeitgeht der Exotenwald durch Prof. Dr. C. A.Schenck – einem fachlichen Freund vonWilhelm Fabricius – auch in das damaligeStandardwerk der „Fremdländischen Wald-und Parkbäume“ mit einer Vielzahl von Bei-spielen ein. Der Exotenwald ist seitdem gleich-sam Bestandteil allgemeiner dendrologischerFachliteratur.

DIE VERSCHWUNDENEN BÄUME:Großblättrige Japanische Magnolien

Als im Frühjahr 1990 das Sturmtief„Wiebke“ durch Süddeutschland sauste, hin-terließ es auch im Exotenwald Spuren – auchwenn sie vergleichsweise harmlos ausfielen.

Oberhalb des heutigen Bestandes der Groß-blättrigen Japanischen Magnolie riß es einkleines Loch in den damals rund 60-jährigenMischbestand. Bedauerlich, für den Exoten-wald aber eigentlich nicht so sehr schlimm!

Anders empfanden dies 3 Magnolienbäume:Sie standen zuvor mitten in einem rechtdichten, geschlossenen Baumbestand. Nachdem Sturm waren sie plötzlich zu Rand-bäumen geworden: frei der Sonne und derWitterung ausgesetzt.

Viele Baumarten haben wie unsere Mag-nolien mit einem solchen Wechsel großeSchwierigkeiten. Sie „empfinden“ diese Situ-ation als lebensbedrohlich, zumal sie ihreBelaubung an Licht und Schatten am jeweili-gen Standort angepaßt haben. Die Folge war,dass unsere Magnolien plötzlich – wie in ihrerJugend – größere Blätter austrieben, zublühen begannen und überreichlich Samenabzuwerfen anfingen.

Dabei hatte man diese 3 Bäume im älterenBestand fast vergessen: Mitte der 30er Jahrewar in diesem Bereich der gesamte Wald-bestand kahlgeschlagen worden, um dringendnotwendige Geldmittel für den Waldbesitzerzu beschaffen. Forstleute sprachen damalsüber die Kahlhiebsfläche als „Finanzloch“. DieWiederaufforstung erfolgte dann aus demgleichen Grund vergleichsweise sparsam. EinGroßteil der Bäume waren Douglasien und

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Japan. Sicheltannen aus den 30er Jahren

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einheimische Baumarten, lediglich in Teil-flächen wurden japanische Baumarten wohlin Gruppen dazugepflanzt: Katsurabäume(Cercidiphyllum japonicum) auf der damalsgrößten Fläche, Japanische Lärche (Larixkaempferi) und eben unsere GroßblättrigeJapanische Magnolie (Magnolia hypoleuca).Dann kam die Zeit des 2. Weltkriegs unddurch mangelnde Pflege gingen viele dieserExoten wieder verloren. Doch 3 Magnolienschafften es, sich in dem zwischenzeitlich vonDouglasien und einheimischen Laubbäumendominierten Bestand zu halten. Eine nichtganz einfache Angelegenheit: Die Kronenwaren zwischen den Konkurrenten einge-klemmt und die arttypischen, großen Blätterwurden dadurch deutlich kleiner. Es war alsonicht verwunderlich, wenn sie der forstlichePlaner in aller Regel einfach übersah. Die

Großblättrigen Japanischen Magnolien warenverschwunden.

Wiebke hatte diese Situation nachhaltigverändert. Plötzlich wuchsen auf der kleinen,sturmbedingten Kahlfläche Bäumchen mitüberdimensional großen Blättern: Die natür-liche Verjüngung unserer Japanischen Mag-nolie. Das Forstamt reagierte darauf damit,dass es die Fläche größer machte und mit demDouglasienbestand abrückte.

Die Großblättrigen Japanischen Magnoliennahmen dieses Angebot wahr und in denletzten 15 Jahren entstand auf diese Weise einganzer Jungbestand dieser besonderen Bäume.Die „alten“ Bäume stehen noch immer amunteren Rand der Fläche. Ihre Krone trägt in

jedem Jahr eine Fülle der ca. 15 cm breiten,cremefarbigen Blüten, die einladend nachVanille duften. Im Herbst hängen dann ihrewie scharlachrote, große Gewürzgurken aus-sehenden Früchte an den Bäumen, in welchendie kaffeebohnengroßen, orangefarben leuch-tenden Samen der Baumart aufgereiht sind.

ER FOLGT NOCH IMMER DER MODE:Exotenanbau im Wandel der Zeit

Der Exotenanbau hat zeitliche Schwer-punkte: Zunächst ist es die Gründerzeit, dannder Zeitraum bis zum Verkauf des Waldes andas Land 1955 und als dritter der Zeitraum von1955 bis heute.

Vergleicht man die Pflanzenlisten dieserdrei Anbauperioden, so haben die Herkünfteder Pflanzen gewisse Schwerpunkte, die ihrer-

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Kleine Bäume mit großen Blättern: Japan. GroßblättrigeMagnolien

Die duftende Blüte der Großblättrigen Japanischen Magnolie

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seits schon sehr von Moden und von politi-schen Situationen und der damit verbundenenPflanzenverfügbarkeit geprägt sind.

Von Berckheim pflanzt weit überwiegendnordamerikanische Baumarten. Lediglich dieZedernbestände (Atlaszeder und Libanonzeder)stellen eine Ausnahme dar. Er hat damit dieBäume der großen weiten Welt und der unbe-grenzten Möglichkeiten in seinen Waldgebracht. Typische Vertreter dieses Anbaussind die Berg-(Sequoiadendron giganteum)und die Küstenmammutbäume (Sequoia sem-pervirens).

Die Zeit vor dem 2. Weltkrieg ist dagegenvon der Öffnung nach Ostasien und hier vorallem Japan geprägt. Dem folgt tatsächlicheine Anbauwelle von Bäumen aus diesemGebiet. Die Großblättrige Japanische Magnolie(Magnolia hypoleuca), die Sicheltanne(Cryptomeria japonica) und der Katsurabaum(Cercidiphyllum japonicum) sind nebenanderen hervorstechende Bäume aus dieserZeit. Bezeichnend ist allerdings, daß manweniger auf das weite Spektrum markantblühender, „schöner“ Bäume zurückgegriffenhat, sondern bei der Auswahl das Holz undseine Verwendung im Blick hatte.

Den dritten Anbauabschnitt kennzeichneteher die Breite des Angebots- aber auch desAnbauspektrums. Südamerikanische und neu-

seeländische Pflanzen bereichern das bishereuropäische, asiatische, nordamerikanischeund nordafrikanische zusätzlich. Aber auchaus Ostasien (vor allem China und Korea)stammende Baumarten nehmen an Bedeutung

zu. Der Wandel zum Erholungswald spiegeltsich in einem höheren Anteil optisch interes-santer, blühender oder markant herbst-färbender Baumarten wider. Hierzu gehörenz. B. der Zuckerahorn (Acer saccharum), dieScharlacheiche (Quercus coccinea) ebenso wiedie Lilienmagnolie (Magnolia denudata) undder Kalifornische Blüten-Hartriegel (Cornusnuttallii). Die große Spreitung des geeigneten,fast weltweiten Angebots zwingt zur Fest-legung einer langfristigen Anbaukonzeptionfür das gesamte Waldgebiet.

DER EXOTENWALDIM EIGENTUM DES LANDES1955 bis heute

Am 24. 8. 1955 verkauft ConstantinGraf von Berckheim den Exotenwald für450 000 DM an das Land Baden-Württemberg.Die Waldfläche beträgt 36,4 ha. Bis heute hatsich die Waldfläche durch Zukäufe und einenWaldtausch mit der Stadt Weinheim auf rund60 ha erweitert. Den Tausch vollzog die StadtWeinheim unter der Bedingung, dass dieseFlächen künftig in der Art und Weise derbisherigen Exotenwaldbewirtschaftung weiter-entwickelt würden.

Ziele der ExotenwaldbewirtschaftungDie erste forstliche Betriebsplanung 1956

definiert die Aufgaben der neu zugekauftenFremdländerbestände als „Versuchsbestände“.Dazu sollen allerdings nur Baumarten heran-gezogen werden, die auch einen forstwirt-schaftlichen Erfolg bei einem späteren, groß-flächigen Anbau zu versprechen scheinen. DerExotenwald selbst wurde allerdings nicht untererwerbswirtschaftlichen Gesichtspunkten ge-sehen. Damit wird noch einmal die bereits inden 30er Jahren festgelegte Zielsetzung wei-tergeführt hin zu wertvollen oder schnellwachsenden „Rohstofflieferanten“.

Aber bereits 1970 ändert sich diese Zielset-zung grundlegend: Die strenge Wissenschaft-lichkeit der Anbauten als Versuchsbestände dergenannten Baumarten fällt ebenso weg wiedie Beschränkung auf ertragsversprechendeBaumarten. Der Exotenwald soll in erster Liniedem Anbau dendrologisch interessanter Baum-arten dienen und gleichzeitig als unmittelbar

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Zweig der südamerikanischen Andentanne

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stadtnaher Erholungswald gestaltet werden.Damit entspricht man wieder der ursprüng-lichen, seinerzeit an privaten Interessen aus-gerichteten dendrologischen Tradition derGründerzeit.

Die darauffolgenden forstlichen Betriebs-planungen ändern diese Zielsetzung in ihrerGewichtung nicht mehr. Bemerkenswert istallerdings die Erweiterung auf Straucharten,die für die betreffenden Herkunftsgebiete land-schaftstypisch sind und die das Baumarten-spektrum markant bereichern können. Es istAufgabe des Exotenwaldbewirtschafters gewor-den, den Wald der Öffentlichkeit näher zubringen. 1988 wird auf der Grundlage umfang-reicher Besucherbefragungen ein Rundwege-konzept entwickelt und es werden für Laienverständlich geschriebene Schilder für diewichtigsten Bestände aufgestellt. Dem interes-sierten Besucher kann seit 1985 ein vonWerner Barth verfaßter Exotenwaldführer, seit1991 zudem ein kostenloser Kurzführer an die

Hand gegeben werden. 1997 folgt anlässlichdes 125-jährigen Fremdländeranbaus imExotenwald ein Kompendium zur bisherigenEntwicklung des Exotenwaldes für Fachleuteund schließlich 1998 ein Farbbildband fürinteressierte Laien.

WIE ES WEITERGEHEN SOLL:Pflanzenbeschaffung undRegionalisierungskonzept

Während in den 50er Jahren vielfach dieBäume der Gründerzeit beerntet wurden,setzte sich in den 60er Jahren der Ankauf„neuer“ Pflanzenarten für den Exotenwalddurch. Dies war möglich geworden, weil sichSpezialbaumschulen für fremdländischeBäume und Sträucher entwickelt hatten,welche eine gesicherte Herkunft ihrer Pflanzengarantieren konnten. Auch wenn heute dieHolzproduktion nicht mehr im Vordergrundsteht, wird bei den Pflanzenbeschaffungenhierauf besonderer Wert gelegt, um qualifi-zierte Aussagen zum Gedeihen einer Art treffenzu können – natürlich unter den WeinheimerBedingungen.

Der Rückgang des allgemeinen Bedarfs anExoten, der seit den 70er Jahren einsetzte,führte in den Baumschulen zu einer Um-orientierung auf „veredelte“ Zuchtformen.Damit wurde die Pflanzenbeschaffung deutlichschwieriger. In den 80er Jahren beginnend,setzte dann auch in diesem Bereich eine Rück-besinnung auf heimische Baum- und Strauch-arten ein, so daß die Pflanzenbeschaffung – dieja im Exotenwald immer in größeren Stück-zahlen für Waldbestände erfolgen sollte –durchaus abenteuerliche Züge annahm: Pflan-zen oder Saatgut müssen oft jahrelang vorherbestellt werden und daneben entwickelt sicheine dendrologische „Schnäppchenwirtschaft“.Das bedeutet, daß Forstamtsleiter und zustän-diger Förster Spezialbaumschulen, andereExotenwälder und spezielle Forstbetriebebesuchen und eher zufällig entdeckte Pflan-zensortimente aufkaufen. Gerade die einst aufHochleistungszüchtung ausgerichteten Spe-zialbaumschulen der ehemaligen DDR botennach der Wende hier eine reiche Fundgrube.Gleichzeitig war es aber nicht immer durch-zuhalten, Flächen zu begründen, die in der

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Herbstfärbung des Wein-Ahorns

Die markanten Blüten des Kalifornischen Blüten-Hartriegels

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erstrebenswerten Größe von 0,2 ha lagen.Nach wie vor werden heute dennoch pro Jahr3–5 neue Baum- bzw. Straucharten der Exo-tenwaldliste hinzugefügt.

Bereits 1990 wurde ein für den Exoten-waldbetreuer verbindliches Pflanzungskonzeptentwickelt. In Anlehnung an den sehr sehens-werten Exotenwald in Tervuren/Belgien wur-den die weltweit vorhandene Vorkommen fürunsere Klimaverhältnisse geeigneter Baum-arten in 18 einigermaßen homogene Regionenuntergliedert.

Für diese 18 Regionen wurden sodannBaum- und Strauchartenlisten entwickelt, inwelche umfangreiche dendrologische Anbau-und Eignungserfahrungen von Fachleuteneingeflossen sind. Diese Liste steht heute demExotenwaldförster zur Verfügung. Gleichzeitigwurde der gesamte Exotenwald – meist inAnpassung an die vorhandenen Waldbestände –ebenfalls in 18 Anbauregionen aufgeteilt.

Die forstliche Betriebsplanung erfolgt imExotenwald üblicherweise alle 10 Jahre. Dieselegt dann die Erweiterungsflächen für den Exo-tenanbau für den nächsten, wieder 10-jährigenPlanungszeitraum fest. Da alle Flächen imExotenwald einer bestimmten Region zuge-ordnet sind, sucht nun der Förster anhandseiner Liste inzwischen europaweit nach geeig-neten, in ihrer Wachstumsentwicklung zumNachbarbestand passenden und nicht zuletztfinanziell vertretbaren Pflanzensortimenten.

Der Gürtel der blühenden BäumeZunächst war es eher Zufall: den vor-

handenen Beständen entsprechend teilte manden unmittelbar stadt- und schloßparknahenBereich des Exotenwaldes den Herkunfts-

gebieten China und Japan zu. Schon 1990 warein Teil dieser Bestände von Baumartengeprägt, welche durch ihre markanten Blütenoder durch besondere Herbstfärbung hervor-traten. Dieser Ansatz wurde zwischenzeitlichdeutlich erweitert: Zu Kobushi-Magnolie(Magnolia kobus) und Großblättriger Japa-nischer Magnolie (Magnolia hypoleuca)kamen der Blauglockenbaum (Paulowniatomentosa), die Chinesische Lilien (Youlan)-Magnolie (Magnolia denudata), der Tauben-baum (Davidia involucrata) und im benach-barten, amerikanischen Bereich die Gurken-magnolie (Magnolia acuminata) und dieSchirmmagnolie (Magnolia tripetala).

Im Frühjahr 2005 wird dieses Spektrumnoch durch markant blühende Kirschenartenwie die Tokio-Kirsche (Prunus yedoensis), dieKanzan-Kirsche (Prunus „kanzan“) und dieSargent-Kirsche (Prunus sargentii) erweitert.

Nun geht es natürlich immer einige Jahre,bis die Bäume so weit gediehen sind, daß sieblühen und Früchte tragen und daß es sich für

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Die markanten Waschbrett-Blätter der Rauli

Blühende Kobushi-Magnolien

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den Besucher lohnt, ausschließlich wegen desGürtels der blühenden Bäume in den Exoten-wald zu kommen. Dennoch: Die ersten Mag-nolienbestände und die Blauglockenbäumeblühen bereits im zeitigen Frühjahr noch vordem Laubaustrieb und da die meistenNadelbaumbestände ihre Nadeln im Winternicht abwerfen, sind auch diese im zeitigenFrühling schon in voller Größe zu bewundern.

EIN BESUCH IM EXOTENWALDLOHNT SICH

Im Grundsatz lohnt sich ein Besuch desExotenwaldes zu jeder Jahreszeit. Selbst imWinter! Die meisten Nadelbäume bleiben grünund werfen ihre Nadeln nicht ab. Die Laub-bäume bestechen den aufmerksamen Betrach-ter durch das baumartentypische, filigraneAnordnungsmuster von Ästen und Zweigen.

Besonders sehenswert sind zu jeder Jahres-zeit: Mammutbäume (3 Bestände), Urwelt-mammutbäume (Metasequoia glyptostrobo-

ides), Atlaszedern (Cedrus atlantica), Schein-zypressen (Chamaecyparis lawsoniana undobutusa), Flußzedern (Calocedrus decurrens),Thujen (Thuja plicata), Küstenmammut-bäume (Sequoia sempervirens) und Araucarien(Araucaria araucana).

Dennoch gibt es zeitliche Höhepunkte: Dererste ist der Herbst, in dem vor allem die nord-amerikanischen und viele japanische Baum-arten leuchten. Von Oktober bis Mitte Novem-ber gestaltet die Natur hier ein einzigartigesund aufregendes Farbenspiel. Besondersmarkante Bestände im Herbst sind u. a.Zuckerahorne (Acer saccharum), Scharlach-eichen (Quercus coccinea), Hickories (Caryaovata), Tulpenbäume (Liriodendron tulipifera),Kuchenbäume (Cercidiphyllum japonicum),Weinahorne (Acer circinatum). Der zweiteHöhepunkt ist der Frühling im Exotenwald.Auf diesen haben wir im letzten Kapitelhingewiesen.

Der Exotenwaldbesucher kann sich durchdas Waldgebiet führen lassen: An den Waldein-

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Blüte der Lilien-Magnolie

Blühender Ast der Atlaszeder (Okt./Nov.)

Rot-Ahorn im Herbst

Herbstlicher Zuckerahorn

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gängen sind Hinweistafeln, auf denen man sichden von der Länge und Zeitdauer geeignetenvon drei im Wald markierten Rundwegen aus-suchen kann. An den Wegen sind diewichtigsten Bestände für den fachlichen Laienverständlich auf Hinweistafeln beschrieben.Daneben steht für den interessierten Besucherein Faltblatt zur Verfügung, das kostenlos beimVerkehrsverein der Stadt und beim Forstamterhältlich ist. Für denjenigen, der sich in dieBaumartenvielfalt weiter vertiefen möchte,steht ein Farbbildband zur Verfügung, welcherim Buchhandel, beim Verkehrsverein der Stadtund beim Forstamt erworben werden kann.

Während des Sommers bietet der Verkehrs-verein Führungen für Besucher und Besucher-gruppen an. Auf Anfrage führt das Forstamt fürGruppen Fachführungen durch.

Aktuelle Literatur

Für den FachmannDer Exotenwald Weinheim 1872–1997. 125 JahreFremdländeranbau an der Bergstraße von Ernst Noeund Dr. Ulrich Wilhelm in: Schriftenreihe der Landes-forstverwaltung Baden-Württemberg, Band 19, Stutt-gart 1997

Für den interessierten LaienDer Exotenwald Weinheim, von Ulrich WilhelmDiesbach Verlag Weinheim, 2. Auflage 2002

Bildnachweis

Dr. Ulrich Wilhelm und Archiv Forstbezirk Weinheim

Anschrift des Autors:Dr. Ulrich Wilhelm

Leiter des Forstbezirks WeinheimGeiersbergstraße 1

69469 Weinheim

Scharlacheichen im Herbst

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Das Museum der Stadt Weinheim ist imehemaligen Deutschordenshaus in der Nähedes Marktplatzes in Weinheim untergebracht.

Seit der kompletten Sanierung des Gebäu-des und Neuaufstellung der Sammlung 1998bietet es auf 1000 qm und 4 Etagen Objekte zurGeschichte Weinheims und der näheren Umge-bung.

Zur Geschichte der Sammlung:1906 wurde der Weinheimer Altertumsver-

ein von Karl Zinkgräf und anderen heimat-geschichtlich interessierten Personen gegrün-det. Aufrufe in der Zeitung um Überlassungvon „Altertümern“ ließen die Sammlungschnell anwachsen. Seit 1911 wurde dieseSammlung in der neu erbauten Gewerbeschulein der Bahnhofstraße untergebracht; eigensfür die geretteten Fresken der Peterskirchewurde das Türmchen zur Schulstraße ange-baut.

1938 ging die Sammlung in den Besitz derStadt Weinheim über; der Altertumsvereinlöste sich auf. Seit 1939 ist die Sammlung imjetzigen Gebäude in der Amtsgasse unterge-bracht; kriegsbedingt konnte sie jedoch erst

1948 als „Heimatmuseum“ eröffnet werden.1986 erfolgte die Umbenennung in „Museumder Stadt Weinheim“.

Zur Geschichte des Gebäudes:Das heutige Museumsgebäude wurde 1710

durch den Deutschen Orden errichtet.Der Orden war seit dem späten 13. Jahr-

hundert in Weinheim (Nähe Kapellenstraße)ansässig. 1308 wurden die Deutschordens-herren als Bürger der Neustadt aufgenommen;ihnen wurde das Grundstück zwischen Amts-gasse und Schlossergasse zugewiesen. Kom-mendenhaus (Verwaltungsgebäude), Kapelle

! Claudia Buggle !

Das Museum der Stadt Weinheim

ErkerFresken/ Christus am Kreuz

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und Wirtschaftsgebäude bildeten dabei einegeschlossene Hofanlage in der Nähe desNiedertores. 1710 wird das Kommendenhausim barocken Stil mit dem prächtigen Wappendes Hoch- und Deutschmeisters Franz Ludwigvon der Pfalz über dem Eingang neu errichtet.Nach der Auflösung des Ordens 1809 wurdendie Kapelle und in der Folge auch alle Neben-gebäude abgebrochen. Das Kommendenhausdiente zunächst als Sitz des neu eingerichtetenBezirksamtes („Amtshaus“), später als Unter-steueramt. 1934 erwarb die Stadt Weinheimdas Gebäude und brachte 1939 die Sammlungdes Altertumsvereins hier unter.

Ein Rundgang durch das Museum:Seit Januar 2005 bietet das Museum den

Besucherinnen und Besuchern einen virtu-ellen Rundgang unter www.museum-wein-heim.de an. Dabei wird Wert darauf gelegt, dasssowohl die „Highlights“ der Sammlung zusehen sind wie auch exemplarisch die Beson-derheiten des Hauses.

Neben einem Mammutschädel und vor-und frühgeschichtlichen Funden sind es v.a.der Nächstenbacher Bronzefund (um 800v. Chr.) und Grabfunde der Merowinger-zeit (6./7. Jh. n. Chr.), die das Fachpublikumanziehen.

Fresken des 13. und 14. Jahrhundert ausder alten abgerissenen Peterskirche bieten demkunsthistorisch interessierten Besucher trans-lozierte Wandmalereien in einem beachtens-werten Erhaltungszustand.

Neben Ansichten Weinheims und Möbelaus dem Weinheimer Schloss sind es v.a. land-

wirtschaftliches Arbeitsgerät sowie Handwerkund Gewerbe, die das Haus attraktiv fürFamilien und Schulklassen machen. Das Kalbmit den zwei Köpfen, eine Missgeburt von1911, wirkt dabei besonders faszinierend.

Ein Förderkreis mit zur Zeit 138 Mit-gliedern unterstützt die Arbeit des Museumsund regt immer wieder zu Neuem an. Gemein-same Fahrten zu Ausstellungen und anderenMuseen gehören ebenso zum Programm wiedas Organisieren von Vorträgen und Füh-rungen mit Bezug zur Weinheimer Ge-schichte.

Mit 3–4 Wechselausstellungen im Jahr, diesich mit „Weinheimer“ Themen beschäftigen,erreicht das Museum jährlich zwischen 5000und 7000 Besucherinnnen und Besucher.

Im Jahr 2005, dem Jubiläum der 1250-jäh-rigen schriftlichen Ersterwähnung im Lor-scher Kodex, sind das folgende Ausstellungen:

Das fränkische Gräberfeld von Weinheim(1. Februar bis 3. April 2005),Welterbe Kloster Lorsch (12. April bis12. Juni 2005),Leben im Schloss (28. Juni bis 18. Septem-ber 2005),Die Bergstraße in alten Ansichten (4. Okto-ber bis 8. Januar 2006)

Anschrift der Autorin:Claudia Buggle

c/o Museum der Stadt WeinheimAmtsgasse 2

69469 Weinheim

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Mammutschädel Bronzeschwert

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240 Badische Heimat 2/2005

DER BEGINN DER„LIBERALEN SACHEN“

In Weinheim, so gab der WeinheimerSchuhmacher Valentin Leonhard am 1. Mai1855 in einem Verhör vor dem HeidelbergerStadtdirektor Wilhelmi zu Protokoll, hätten„die liberalen Sachen“ in den „dreißigerJahren“ begonnen.1 Diese „liberalen Sachen“und die „liberale Parthei“, von der Leonhardweiter sprach, werden uns noch zu beschäfti-gen haben. Worauf unser Gewährsmann sichbezog, war in der Tat die allmähliche For-mierung eines Teils der Weinheimer Klein-bürger zur so genannten Weinheimer Gesell-schaft, aus der wiederum 1848 der Demo-kratische Verein, der spätere Volksvereinhervorging.2 Die „Liberalen“, das waren fürLeonhard die Anhänger Itzsteins, Heckers undStruves, Leute also, die wir genauer alsDemokraten im Sinne des Offenburger Pro-gramms zu bezeichnen hätten.

ALBERT LUDWIG GRIMM UND DASFEST DER FREIEN PRESSE

Eine Rolle besonderer Art für die Heraus-bildung einer kritischen Öffentlichkeit inWeinheim spielte ein Angehöriger der liberalenbürgerlichen Bildungselite: Albert LudwigGrimm. Der Professor an der WeinheimerLateinschule vertrat seit 1825 den WahlkreisWeinheim-Ladenburg in der Zweiten Kammerder Badischen Landstände. Gleich zu Beginnseiner Tätigkeit als Abgeordneter erhob ereinen weithin gehörten Protest gegen eine vonder Regierung geplante Änderung der Ver-fassung, die insofern geeignet war, die Rechteder Volksvertretung einzuschränken, als der

Landtag nicht mehr alle zwei Jahre, sondernnur noch alle drei Jahre einberufen werdensollte. Grimm und die ebenfalls gegen diesesVorhaben der Regierung sprechenden JohannGeorg Duttlinger und Matthias Föhrenbachwurden dadurch bekannt als das „Triumvirat“oder die „Freisinnige Opposition“. Kein Ge-ringerer als Karl von Rotteck schrieb in diesemZusammenhang über Grimm, dieser habenicht als Staatsdiener, sondern als vaterlands-treuer Bürger, als edler Mann Partei ergriffen.„Der Wahlbezirk, welcher ihn wählte, verdientdafür Preis und Dank.“3

Der Bekanntheit und den VerbindungenGrimms dürfte mit zu verdanken sein, dasswenige Wochen vor dem Hambacher Fest inWeinheim am 1. April 1832 eine Veranstaltungstattfand, die in Baden und darüber hinausWiderhall fand. Es war dies „Das Fest derFreien Presse zu Weinheim an der Bergstraße,gefeiert von Männern aus Baden, den beidenHessen, Baiern, Frankfurt und von einigenPolen und Griechen etc“, so der Titel des voneinem anonym gebliebenen „Augenzeugen“verfassten Berichts.4 Heinz Schmitt hat diesemFest im Heft 3/1997 der Badischen Heimat eineausführliche Darstellung gewidmet, so dass wiruns hier auf eine knappe Zusammenfassungbeschränken können.5 Den Anlass zum Festgab ein großer Sieg der liberalen Sache: dieEinführung der Pressefreiheit im Großher-zogtum Baden zum 1. April 1832. Diesen Siegzu feiern, versammelten sich Anhänger einesfreiheitlich verfassten, national geeintenDeutschland im ehemaligen Weinheimer Kar-meliterkloster zu einem der von Heinrich vonTreitschke so herabgewürdigten „Zweckessen“.Zum Festmahl ließen sich etwa 230 Männer imSaal des Klosters nieder. Längst nicht alle, die

! Rainer Gutjahr !

Vom vorherrschenden Drangzu einer ungesetzlichen Freiheit

Weinheim im Vormärz

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gekommen waren, fanden dort Platz. Ob derBeginn des Festmahles um 1 Uhr mittags tat-sächlich durch die angekündigten Böller-schüsse von der Windeck herab markiertwurde, ist fraglich, da das Bezirksamt denAntrag auf dieses Schießen nicht genehmigthatte.

Die „Geschäftsführung“ des Festes lag beidem Weinheimer Amtsphysikus Dr. AugustWilhelm Stein, Karl Bender, dem späteren Mit-begründer des „Benderschen Institutes“ inWeinheim, ferner bei Philipp Schlink aus Bens-heim und dem Justizrat Buchner aus Darm-stadt. Amtsphysikus Stein war es auch vor-behalten, den ersten Toast auszubringen: „Demedlen, volksfreundlichen Großherzoge Leopoldvon Baden, der unter Deutschlands Fürsten derErste ist, der dem Volke das Recht des freienWorts zurückgab, ein dreifaches Lebehoch“.Mit Adam von Itzstein, der durch Akklamationzum Festpräsidenten ernannt wurde, ProfessorKarl Mittermeier, Bürgermeister Winter von

Heidelberg und eben Albert Ludwig Grimmwaren führende Vertreter des badischenLiberalismus vertreten. Weitere Abgeordneteder Zweiten Badischen Kammer, HeidelbergerStudenten, Griechen und Polen, die als Frei-heitskämpfer ihre Heimat hatten verlassenmüssen, Liberale aus den benachbarten Staatendes Deutschen Bundes, alle saßen sie in bunterReihenfolge zu Tisch. In Liedern, Trink-sprüchen und sonstigen Wortbeiträgen wurdendie Pressefreiheit in Baden, der „volks-freundliche“ Großherzog Leopold und dieAbgeordneten gefeiert, die diesen Erfolg mitherbeigeführt hatten. Weiter kam dieErwartung zum Ausdruck, dass sich bald alleDeutschen der Pressefreiheit würden erfreuenkönnen, dass die deutsche nationale Einheitherannahe. So nannte Wilhelm Schulz ausDarmstadt, der spätere Abgeordnete der Pauls-kirchenversammlung, als Ziel nicht nur diebadische oder hessische Pressefreiheit, sondern„die Freiheit eines einigen kräftigen deutschenVolkes – Deutsche Volksfreiheit“. Mit demAbsingen der Freiheitshymne „Noch ist Polennicht verloren“ dankte die Versammlung derAnsprache eines polnischen Festteilnehmers.

Getrübt wurde die Harmonie, als derHeidelberger Student und BurschenschafterJohann Lorenz Küchler dazu aufrief, notfallszum „Schwerte“ zu greifen, wenn andersgesetzwidrigen Übergriffen der Regierendennicht begegnet werden könne. Küchler, der alsAdvokat nach 1849 Weinheimer Revolutions-teilnehmer vor den Gerichten verteidigte,bemühte sich mit dem Hinweis auf die „über-wallenden Gefühle des Jünglings“, die Ein-tracht wieder herzustellen. Auch der StudentKarl Brüggemann kleidete sein „Hoch“ aufAdam von Itzstein in recht gemäßigte Worte –wenige Wochen später, auf dem HambacherFest, sollte er radikalere Töne anschlagen.

„Spät am Abend schieden die Festgenossenunter freundschaftlichem Händedruck, prei-send den Tag als einen der schönsten ihresLebens, überzeugt, daß das heutige Fest nichtfruchtlos gewesen sein könne, mit demWunsche, daß es allen deutschen Gauen baldglücken möge, ein gleiches Fest zu feiern, undin der festen Hoffnung, daß bald kommenwerde der Tag, wo wir vereint feiern: DeutschePreßfreiheit.“

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Albert Ludwig Grimm Stadtarchiv Weinheim Rep. 32 Nr. 1052

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Das hier zitierte Schlusswort lässt ahnen,welch bittere Enttäuschung an die Stelle hochgespannter Erwartung trat, als bereits im Juli1832 Baden unter dem Druck des DeutschenBundes zur Pressezensur zurückkehren musste.

Auch war das Fest nicht so harmonisch zuEnde gegangen, wie dies das Schlusswortglauben machen könnte. Der FrankfurterAdvokat und spätere Abgeordnete der Pauls-kirchenversammlung Maximilian Reinganumhatte eine an den Deutschen Bundestaggerichtete Adresse verlesen wollen, in derdieser zur Bewilligung der Pressefreiheit fürdie Staaten des Deutschen Bundes aufgefordertwurde. Adam von Itzstein jedoch unterbrachden Redner und verhinderte das Verlesen der„Protestation deutscher Bürger für Preß-freiheit in Deutschland“ mit der Begründung,es könne dies als „Aufreizung“ zu „gewalt-samem Umsturz“ gedeutet werden. Bürger-meister Winter von Heidelberg versuchte zwarzu vermitteln, indem er der Hoffnung Aus-druck verlieh, die „Protestation“ bald gedrucktlesen zu können, vermochte aber dadurchnicht zu verhindern, dass sich die AnhängerItzsteins und Reinganums im Unfriedentrennten.

Über den Stellenwert, der dem „Fest derFreien Presse“ für das politische Leben inWeinheim zukommt, lässt sich so viel sagen:Sicher hat die Veranstaltung wegen des Zu-stroms von auswärtigen Festteilnehmern imkleinstädtischen Rahmen Weinheims Aufsehenerregt. Mag sein, dass darüber hinaus Neu-gierde geweckt und für das politische Zielgeworben wurde, dem das Fest eigentlich galt.Dass von diesem „Fest der liberalen Pro-minenz“ allerdings unmittelbar nennenswerteFunken auf die Weinheimer Kleinbürgergesell-schaft übergesprungen seien, wird von PaulNolte eher verneint. Er vermisst bei dem Wein-heimer Fest die „Verbindung von Stadtbürger-tum und Liberalismus“ So hätte auch dieGemeindebehörde der Versammlung „nichteinmal ein Grußwort“ dargebracht. Dabei mager freilich übersehen haben, dass in der Personvon Bürgermeister Albert Ludwig Grimm dieSpitze der Gemeindebehörde selbst mit zuTisch saß. Und immerhin: „Das WeinheimerPreßfreiheitsfest – so sieht es Paul Nolte – warein Fest der liberalen Prominenz, der Mathy,

Itzstein, Mittermeier und Christian FriedrichWinter, zur Pflege zwischenstaatlicher undinternationaler Kontakte; in Weinheim fand esvor allem wegen der günstigen geographischenLage des Ortes statt. Aber was die Elite vor-gemacht hatte, fand Publizität und konnte vonpolitisch noch weniger erfahrenen Bürgernnachgeahmt werden.“6

Erwähnt sei schließlich, dass das Fest einkleines Nachspiel auf der Ebene der staatlichenObrigkeit hatte. Dem Innenministerium wardie Kunde von dem Weinheimer Ereignis imNachhinein zu Ohren gedrungen. Dafür hattenwohl nicht zuletzt die Berichte im Freiburger„Freisinnigen“ und im Mannheimer „Wächteram Rhein“ vom 5. April gesorgt. Misstrauischund wohl auch mit einen gewissen Tadelforderte das Innenministerium den Vertreterdes Staates vor Ort, den Amtsvorstand desBezirksamtes Weinheim, Amtmann Beck zurBerichterstattung auf. Beck versuchte, dieSache tiefer zu hängen, indem er angab, amfraglichen Tag verreist gewesen zu sein undsomit der eigenen Anschauung zu ermangeln.So könne er auch nicht sagen, wer die Ver-anlasser des Festes und die Hauptteilnehmergewesen seien, gleiches gelte auch für denZweck der Veranstaltung. Offenbar „sollte dasFest blos ein Dank- und Freudenfest für dasdem Großherzogthum Baden gegebeneGeschenk der Freyheit der Preße sein“. DasEinladungsschreiben sei von dem Wirt zumSchwarzen Ochsen in Umlauf gebracht wor-den, der vornehmlich geschäftliche Interessendabei verfolgt hätte. Wenn dem nicht sogewesen wäre, hätte das Amt davon „unverzüg-lich Anzeige davon höheren Orts“ erstattet.Auch sei um eine Genehmigung der Veran-staltung „bey Amt nicht nachgesucht“ worden.Wohl aber habe das Amt die erbeteneErlaubnis, „mit Böllern schießen zu dörfen“,abgelehnt.7

1832: DIE GEMEINDEORDNUNGSORGT FÜR EINEN TUMULT

Hatte die Verfassungsgebung von 1818 denGrund gelegt für den Eintritt der Badener indie Politik, so brachte die Verabschiedung derbadischen Gemeindeordnung von 1831 einenweiteren kräftigen Impuls in dieser Hinsicht.

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Die Befürchtung des Freiherrn von Göler, kon-servativer Angehöriger der Ersten Kammer,diese Gesetzgebung werde das Großherzogtumin eine „Konföderation kleiner Republiken“verwandeln, sollte durch die Entwicklung inBaden bis in das Jahr 1849 hinein in gewissemUmfange durchaus bestätigt werden.8 Tatsäch-lich sorgte auch in Weinheim schon die ersteBürgermeisterwahl, die aufgrund der neuenGesetzeslage 1832 durchzuführen war, für einelebhafte Diskussion. Zur Wahl stand der unsbereits bekannte Albert Ludwig Grimm. Wes-halb er sich dieser Wahl stellte, erläuterte er1853 in einem Schreiben an den Regenten,Prinz Friedrich von Baden, mit folgendenWorten: „Voraussehend nämlich, wohin dieAufgeregtheit jener Zeit führen müsse, ließ ichmich durch das in mich gesetzte Vertrauen derhiesigen Bürgerschaft zu der Hoffnung ver-leiten, daß es mir an dieser Stelle gelingenkönne, hier dem einreißenden Strome politi-schen und moralischen Verderbens einenschützenden Damm entgegen zu stellen. Es istmir dieses zwar nur in so weit gelungen, daßich während meiner Dienstführung die von derUmsturzparthei Geworbenen und Missleitetenin gewissen Schranken erhielt, die indessengleich unter meinem Dienstnachfolger [Ger-bermeister Philipp Kraft, seit 1838] zu-sammenstürzten, so daß das Übel sich unge-hindert, wie ein fressender Krebsschaden, wei-ter unter der Bürgerschaft verbreiten konnte.“9

Zur „Aufgeregtheit jener Zeit“ scheinenfreilich die Anhänger Grimms selbst mit bei-getragen zu haben und zwar anlässlich derBürgermeisterwahl von 1832. Ein nachfolgendnoch näher zu schildernder Zwist um dieAmtsführung des Albert Ludwig Grimm gab imJahre 1834 Anlass, auf die Umstände der Wahlzurückzublicken. Ein für uns anonym blei-bender Weinheimer „Correspondent“ liefertedem Karlsruher „Zeitgeist“ die Vorlage fürfolgende Darstellung.10

„Im Jahre 1832 traten bei Gelegenheit derBürgermeisterwahl mehrere Bürger in einemGasthause zusammen, um sich über ihre Kan-didaten zu verständigen, da sie glaubten, HerrGrimm, damaliger Bürgermeister, sey nachdem neuen Gesetz nicht wählbar. Die Mehrheitder Bürger war anderer Meinung und HerrGrimm wurde gewählt. Der Minorität sollte

ihre Niederlage aber noch auf andere Weisefühlbar gemacht werden. Am Abend zog einlärmender Haufe vor die Löwenapotheke11 undwarf die Fenster ein; am Gasthause zumOchsen12 geschah das Nämliche. Beide Häusersind nahe am Rathhaus, wo sich die städtischePolizei befindet, dennoch tobte der Haufe bisin die späte Nacht, und mehrere Bürgerwurden insultirt.“ Weiter heißt es, dass indiesem Falle, anders als 1834, die Obrigkeitnicht eingeschritten sei: „Damals […] dachtekein Mensch daran, Jemand zu arretiren, oderPolizei zu bieten, oder Gendarmerie kommenzu lassen, oder gar (hört!) Weinheim inRevolutionszustand zu erklären, wie gegen-wärtig der Fall ist.“ Der Vorwurf an Bürger-meister Grimm, damals untätig geblieben zusein, als ein Tumult seinen Gegnern galt, istunüberhörbar.

1834: EINE „POLITISCHEBLAUMONTAGSGESCHICHTE“Attentat auf Würde und Freiheit der Bürger

Der Konfliktfall von 1834 ist eng mit derPerson des Albert Ludwig Grimm verbunden;sein Auftreten sorgte in erster Linie für dieEskalation einer eher harmlosen „blauen Mon-tags“-Affäre zum politischen Konflikt, der dieBürger Weinheims erregte, gleich auf welcherSeite sie standen, und der dank seiner Pub-likation im „Zeitgeist“ Aufmerksamkeit weitüber die Weinheimer Stadtgrenzen hinausfand.13 Ausgangsort des Konflikts war einleider nicht mit Namen bezeichnetes Wein-heimer Bierhaus, wohl am Marktplatz oderdoch in dessen Nähe gelegen. Hier saßen amfrühen Morgen des 12. Juni 1834, an einemMontag, einige Maurer- und Zimmergesellen,die wegen eines heftigen Gewitterregens vonihren Meistern bis 9 Uhr vormittags von derArbeit frei gestellt waren. Sie sangen, so derKorrespondent aus Weinheim, zu ihrer„Erheiterung etliche Lieder, wobei jedoch aus-drücklich bemerkt werden muß, daß wederdiese Lieder von anstößigem Inhalt, nochauch Unordnungen oder Excesse mit diesemGesang verbunden waren“. Dennoch erschienPolizei und verlangte von den Sängern, dasGasthaus alsbald zu verlassen. Die Gesellen,die sich „zu einer nicht ungesetzlichen Zeit

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ein erlaubtes und an sich unschuldiges Ver-gnügen“ gönnten, dachten freilich nichtdaran, der polizeilichen Aufforderung Folge zuleisten. Diese Unbotmäßigkeit wurde mit demHerbeirufen von Gendarmen beantwortet.Diese verhafteten die Gesellen und dabei nocheinen „jungen Handwerker“ von einemanderen Tische, „an welchem mehrere recht-liche Bürger saßen, die in Ruhe ihr Biertranken“. Einer von ihnen protestierte gegendie Arretierung des Handwerkers, „der durch-aus unschuldig sey und mit den singlustigenMaurern in keiner Verbindung stehe.“ DerProtest rief aber nur den „Zorn derGendarmen“ hervor, die auch diesen Bürgerkurzerhand festnahmen. „Wer die Gefangenenhinwegführen sah, hätte glauben müssen, esseyen die schwersten Verbrecher, und doch

waren es meistentheils unbescholtene Men-schen, gegen welche man die aufgepflanztenBajonette gerichtet. Kein Wunder, daß dasschnell verbreitete Gerücht über diese Miß-handlung von Bürgern, von deren Würde undpersönlichen Freiheit schon die heidnischenRömer einen viel höheren Begriff hatten, dieganze Stadt in Allarm brachte. Von dem Rat-hause oder Marktplatze an bis zum dem Amts-hause [heute: Museum der Stadt Weinheim],wohin die Gefangenen in das Verhör geführtwurden, war eine ungeheure Menschenmengeversammelt; die edeldenkendsten und zart-fühlendsten Bürger fühlten sich gerade amtiefsten verletzt, und lautes Murren ließ sichvon allen Seiten vernehmen.“ Die „Anver-wandten und Freunde“ der Gefangenen ver-sammelten sich „in dem nur durch eineschmale Straße von dem Amtshause getrenn-ten Wirthshause zur Krone, um den Ausgangder Sache zu erwarten“.14 BürgermeisterGrimm selbst habe dort den „Polizeiaufseher“gespielt „und sich die unruhigen Köpfe notirt,um sodann eine Klage gegen sie anstellen zukönnen.“ Da die Leute sich nicht zurück-gehalten hätten, „so kam freilich demanwesenden Herrn Bürgermeister mancheKlage und auch manches Wort gerechtenUnwillens zu Ohren, was einem Manne, derfrüher nur Schulknaben in der Zucht hatte,und gewohnt war, blinden Gehorsam zufinden, leicht als Majestätsverbrechen erschei-nen konnte.“

Amtmann Beck freilich setzte die zum Ver-hör geführten Bürger – auch die Handwerks-gesellen? – wieder in Freiheit und sorgte damitfür eine Entspannung der Lage. Mit Missfallenbetrachtete jedoch der Berichterstatter dieangebliche Frage des Amtmannes an einen derverhafteten Handwerker als einen Mann der„ärmeren Volksklasse“, ob dieser nicht „vongewissen andern Leuten das Geld zum Bier-trinken bekommen habe“. Zwischen den Zeilenist damit der Verdacht zu lesen, es sei demAmtmann darum gegangen, hinter dem Vorfalleine Instrumentalisierung der Handwerks-gesellen durch eine Gruppe von Verschwörernaufzudecken.

Dazu passt die Tatsache, daß „wahrschein-lich auf Requisition des Beamten oder desBürgermeisters“ am Abend des gleichen Tages

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Titelblatt „Fest der freien Presse“Stadtarchiv Weinheim Rep. 36 Nr. 052

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ein Kommando Gendarmerie unter einem Ritt-meister eilends, angeblich in „Extrapost-Chaisen“ von Mannheim nach Weinheim ver-legt wurde. Unter dem Schutz der Gendarmenfanden in der Nacht in Gegenwart des Amt-mannes Hausdurchsuchungen statt bei einem„Teilungskommissär“ und einem „Sportelver-rechner“. Dabei wurden beschlagnahmt die„Festordnung“ für das „vor einigen Jahren zuWeinheim gefeierte constitutionelle Fest“, dasFest der Freien Presse also, weiter eine „Pro-testation der Rheinbaiern gegen die Bundes-beschlüsse“ sowie „einige Lieder, die schon vonHarfenspielerinnen auf Jahrmärkten gesungenworden waren und auf den polnischen Frei-heitskampf Beziehung haben mögen.“ Als ver-dächtig eingeschätzt und deshalb beschlag-nahmt wurde ein Tabakspfeifenkopf, „höchst-wahrscheinlich, weil eine Wolke darauf gemaltwar, hinter welcher freilich Allerlei verborgenseyn kann.“ Mit der „gespanntesten Aufmerk-samkeit“ sollen schließlich die Porträts vonRotteck und Itzstein betrachtet worden sein.

In seinen weiteren Ausführungen bemerktder Berichterstatter, dass es in Weinheim völligruhig geblieben sei, von Aufruhr nicht die Redesein könne. Wohl gebe es verhaltenen Unwillenüber die fortdauernde Anwesenheit der Gen-darmen, die selbst nicht wüssten, was sie inWeinheim eigentlich sollten. Entrüstung herr-sche ferner „über die mitternächtlichen Unter-suchungen bei Personen, die weder Räuber,noch Mörder, noch sonstige Verbrecher sind,sondern nur deswegen verdächtiget wurden,weil sie Freunde der wahren, allgemein er-sehnten Freiheit unter dem Schutze desGesetzes sind, und weil sie es verschmähen,mit gewissen Personen des Städtchens Um-gang zu haben, die es sich zum Geschäftmachen, die Liberalen, denen sie nicht werthsind, die Schuhriemen zu lösen, bei jederGelegenheit auf die gemeinste Weise zuschmähen …“

In den Augen seiner Kritiker trug Bürger-meister Albert Ludwig Grimm mit zum An-halten der Entrüstung bei. Unter dem 23. Juni1834 ließ er einen „Aufruf an die hiesigeBürgerschaft und sämmtliche Einwohner“ amRathaus anschlagen. Es heißt darin, dass dieWeinheimer Ereignisse bei den „höherenRegierungsbehörden“ großes Missfallen

erzeugt hätten, dass sie geeignet gewesenseien, Maßregeln zu provozieren, „die sowohlEinzelne als die ganze Gemeinde in Schadenund Nachtheil hinsichtlich ihres öffentlichenRufes so wie ihrer ökonomischen Verhältnissegebracht haben würden“. Die Untersuchungenseien eingeleitet und würden fortgesetzt; dieSchuldigen hätten ihre verdiente Strafe zugewärtigen. Die der Stadt „durch jene Ereig-nisse bereitete Gefahr“ sei zwar abgewendetworden, es müsse aber von nun an „ein um sogenaueres Augenmerk … auf das ganze öffent-liche Leben in dieser Gemeinde gewendetwerden müssen.“ Und weiter: „Ich fühle michaufgefordert, darauf aufmerksam zu machen,daß nur ein ruhiges, gesetzliches Betragensämmtlicher Einwohner dazu beitragen kann,den übeln Eindruck, den jene Ereignisse aus-wärts hervorgebracht haben, wieder zu ver-wischen. Es gibt Menschen, welche in demWahne stehen, Gesetze, Verordnungen, Obrig-keit und dergleichen seyen nur für Andere da,sie aber brauchten weder dem Gesetze nochder Obrigkeit Gehorsam zu leisten. Es sind diesMenschen, entweder von sehr beschränktemGeiste, oder sie sind von bösem Willen beseelt.Kein Staat kann bestehen, wenn Bürger nichtdem Gesetz und der Obrigkeit Gehorsam leis-ten, und kein vernünftiger Mensch kann sichwünschen, auch nur einen Tag in einem Landezu leben, wo nicht das Leben und Eigenthum,die Ruhe und öffentliche Ordnung durchGesetze und Obrigkeit gesichert ist.“ Er for-derte die Bewohner Weinheims auf, denGesetzen und jeglicher obrigkeitlichen Anord-nung unbedingt Folge zu leisten. Auch sei ervon „höherer Stelle“ beauftragt, zur Kenntniszu bringen, „daß die höheren Regierungs-behörden jeden Augenblick, wo ein Beispiel desUngehorsams oder gar der Widersetzlichkeitzu ihrer Kenntniß kommt, die strengste Maß-regeln werden eintreten lassen“.

Grimms Worte waren eindeutig, dieDrohung für jedermann erkennbar. Umsogrößer war der Kontrast zu den Konsequenzenaus der Blaumontagsgeschichte. Wo Grimmdie Anarchie der Ignoranz und des bösenWillens hereinbrechen sah, kam die Unter-suchung in den Augen der GrimmschenKritiker schließlich zum Ergebnis, dass dasEreignis, welches ein so großes Spektakel ver-

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anlasst habe, sich schließlich nur „als eineganz gewöhnliche, alltägliche und so unbe-deutende Wirthshaus-Affaire herausgestellt“habe, „daß an jedem anderen Orte die Polizeigar keine Notiz davon genommen habenwürde.“ Kritisiert wurde das Bestreben derBehörden, die Sache „ganz stillschweigend“abzutun, und den Opfern keine Satisfaktion zuTeil werden zu lassen. Die fremden Gendarmenhätten die Stadt schließlich wieder verlassen,„aber nicht in Extrapost-Chaisen, wie sie ange-kommen waren, sondern als bescheidene Fuß-gänger, und damit der Abzug nicht eben sogeräuschvoll werde wie die Ankunft, so gingensie ganz successive auseinander, so daß mannicht wußte, wohin sie gekommen waren.“

Der eine der jungen Männer, bei dem Haus-durchsuchung gehalten worden war, sei vomBezirksamt „zu Protokoll vernommen“ wor-den. Der Amtmann habe ihn dabei vomferneren Umgang mit „unruhigen Menschen“gewarnt, wogegen sich der Beschuldigte ernst-lich verwahrt hätte mit dem Beifügen, manwerde ihn jetzt hoffentlich in Ruhe lassen,nachdem man bei der nächtlichen Wohnungs-durchsuchung nichts Verdächtiges bei ihmgefunden habe. „Der Pfeifenkopf mit derunglücksschwangeren Wolke wurde ihmwieder zurückgegeben und darf folglich jetztohne Anstand öffentlich geraucht werden,wahrscheinlich weil neben den drei verbotenenFarben [schwarz-rot-gold], die dem Unter-sucher zuerst in das Auge gefallen waren,glücklicherweise noch zwei weitere sichtbarwurden, in deren Gesellschaft sie nicht wohlangefochten werden können; denn wenn garfünf Farben verboten würden, dann wäreNiemand übler daran als die Kaufleute mitihren großen Vorräthen buntscheckigerKattune.“ Der zweite junge Mann sei gar nichtzur Verantwortung gezogen worden, da beiihm „gar nichts Verdachterregendes“ zu findengewesen sei.

Der Berichterstatter aus Weinheim schlossseinen mit Ironie gewürzten Beitrag vom30. Juli 1834 mit folgender Bemerkung: „Fürdie Redaktion wird wohl noch die Nachrichtinteressant seyn, daß ihr Blatt mit solcherBegierde hier gelesen wird, daß die Besitzerdesselben sich sorgfältig gegen Diebstähle vor-sehen müssen. Sogar bei unserer Polizei

scheint es Liebhaber gefunden zu haben, dennein Polizeidiener hat neulich in einem hiesigenGasthause die Nr. 80 mit noch einer anderenweggenommen, und der Hausknecht mußtenachgeschickt werden, um den Gefangenenwieder aus der Hand des Dieners der Ge-rechtigkeit zu erlösen, – ein sicherer Beweis,daß der Ordnung der Dinge hier völliger Um-sturz droht.“

1835: EINE PREUSSISCHE FAHNEIM GARTEN DES HERRN GRIMMDer Protest gegen den Zollverein

Der nächste Protestfall ließ nicht auf sichwarten; wieder war Bürgermeister Grimm mitinvolviert. Den Hintergrund für den neuer-lichen Fall lieferte die Diskussion um denBeitritt des Großherzogtums Baden zumDeutschen Zollverein. Albert Ludwig Grimmwar Befürworter des Beitritts. In einemRedebeitrag in der Zweiten Kammer derbadischen Landstände führte er am 1. Juli 1835aus, er werde dem Beitritt Badens zum Zollver-ein mit „der freudigen Zuversicht“ zustimmen,„welche die Frucht voller Überzeugung“ sei. Erräumte ein, dass auch er sich „einst in jenenschönen Phantasien“ ergangen habe, die ihm„das Bild eines allgemeinen Vereins“ vor-gespiegelt hätten, „der alle Brüder deutscherZunge in sich aufnehmen“ würde. Nun aberhabe er sich bescheiden gelernt. Auch wennder Zollverein nicht „das ganze schöne deut-sche Vaterland“ umfasse, so sei er doch mitseinen 25 Millionen Einwohnern „schon eineschöne Verwirklichung der großen Idee, dieseit der Errichtung der Bundesakte [derGründung des Deutschen Bundes 1815] jedespatriotische deutsch gesinnte Herz erfüllte“.Gewinnen würde durch einen Beitritt nichtnur das Großherzogtum Baden als Ganzes,sondern auch der Bezirk [Wahlbezirk Wein-heim-Ladenburg], den er als Abgeordneterrepräsentiere. „Er wird, wie das ganze deutscheVaterland, durch den Zollverein bedeutendeVortheile erhalten. Der Anbau derjenigenHandelspflanze, welche für unsere Gegend diewichtigste ist, der Tabaksbau, der durch diebisherige Isolirung von der Bergstraße ganzverschwunden war, wird wieder in Aufnahmekommen; und wenn auch manche Weinpro-

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ducenten die Concurrenz mit den rhein-baierischen und rheinhessischen Weinenfürchten, so glaube ich, daß diese Besorgnisdurchaus eitel ist. Früher hatten unsere Weineihren reichlichen Absatz in den hessischenOdenwald, in die Grafschaft Erbach und in dasNeckarthal bis Eberbach. Die mittleren undleichten Weine werden, was ich für ein Glückhalte, nicht blos in die Hände der Weinhändlerkommen, sondern die Odenwälder Wirthewerden sie bei den Producenten selbst wiederkaufen, und die besseren Weine werden in dasNeckarthal gehen.“ Anzumerken wäre, dass

Grimm sich selbst auch als Weinhändlerbetätigte, damit ein eigenes Interesse mit insSpiel brachte.

Mit seinem Eintreten für den Zollvereinsetzte sich Grimm in Gegensatz zumindest zueinem Teil seiner Weinheimer Wähler bzw.einem Teil der Weinheimer Einwohner über-haupt. Hier mag die Furcht vor einer ver-stärken Konkurrenz im Zollverein mitgespielthaben. Belegt ist, dass Weinheimer nicht ganzlegal von der Lage Weinheims profitierten, dasim Westen und Osten seiner Gemarkung andas Großherzogtum Hessen angrenzte; somitbot sich die Gelegenheit mit dem Ein-schwärzen von Produkten in das Nachbarlandseinen Lebensunterhalt wenn nicht ganz, sodoch teilweise zu bestreiten. Auch ein anti-preußischer Affekt mag bei der Ablehnung des„preußisch-deutschen“ Zollvereins mitgespielthaben.

Zur Erhöhung der Akzeptanz bei derBevölkerung veranstalteten interessierteGruppen so genannte Zollvereinsfeste. AuchWeinheim war Schauplatz eines dieser Feste.Überliefert ist die öffentliche Einladung zudiesem Fest in der regionalen Presse. Als Aus-richter des Festes wird hier ein leider nicht

näher bezeichnetes „Comité“ genannt. Leiderließ sich auch kein Bericht über den Verlaufdes Festes in der Presse finden. Dafür aberbesitzen wir ein Schreiben an keinen Geringe-ren als Karl von Rotteck, in dem von diesemFest kritisch berichtet wird. Verfasser desSchreibens war der damals in Leutershausenan der Bergstraße als katholischer Schul-meister wirkende Willigis Letzeiser. Letzeiserwar 1802 in Weinheim geboren als Sohn desKüfermeisters Karl Joseph Alexander Letzeiser;er entstammte damit einem gering begütertenWeinheimer Kleinbürgerhaushalt. 1848 begeg-nen wir ihm wieder als Vorsitzenden desHeidelberger Arbeitervereins, Schriftführer desGewerbevereins, Mitglied im DemokratischenVerein und im Turnverein. Am 3. September1848 war er Redner auf der Weinheimer Volks-versammlung, bei der mehr oder weniger offendie Republik als die zu erstrebende Staatsformangepriesen wurde. 1849 trat er als Aktivist inHeidelberg und bei zahlreichen Volksver-sammlungen in der Umgebung hervor. Wegenseiner Teilnahme an der Bewegung von1848/49 verurteilte ihn das Oberhofgericht zuMannheim 1850 zu einer dreijährigen Zucht-hausstrafe. 1851 wurde er vorzeitig entlassenund von den Behörden zur Auswanderung indie USA genötigt. Hier verliert sich seineSpur.15 Ludwig Häusser versah ihn noch miteinem Fußtritt in seinen „Denkwürdigkeiten“:der abgesetzte Lehrer Letzeiser, so Häusser,gehöre zu „den Menschen, an denen nichts alsdie Frechheit bemerkenswert“ sei.16 DieAnrufung Rottecks durch Letzeiser kann alsZeugnis dafür dienen, wie sich allmählich imVormärz die kleinbürgerliche Protestebene mitder Ebene der liberalen Elite vernetzte. AnRotteck wandte sich Letzeiser im konkretenFalle, da Rotteck sozusagen als Kronzeugegegen den Zollverein gelten konnte. Gegnerndes Zollvereins wie Rotteck machte das Fehleneines Gegengewichts gegen den mächtigen„Vereinsstaat“ Sorge, auch befürchteten sie dieAushöhlung des so wichtigen Budgetrechtesder badischen Landstände.17

Hier das Schreiben Letzeisers vom18. August 1835 im Auszug:18

„Hochgeehrtester Herr Hofrath! Freunddes Vaterlandes! Sie werden es keinem aus dem

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Einladung zum Zollvereinsfest, Heidelberger Wochenblattvom 1. August 1835

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Volke verübeln, wenn er Sie mit einigenSorgen belästiget.

Daß auch an der Bergstraße, der Pfalz, vieleHerzen Ihnen, Ihrem freien, offenen undkräftigen Wirken in Liebe und Dank ergebensind, werden Sie wohl glauben, wenn Ihnenauch von dem diesseitigen Bezirk noch nichtviele Unterschriften zukamen.

Viele brave Männer von Weinheim und derUmgegend gaben mir sogar den Auftrag, Ihnendie Versicherung auszusprechen, daß die soreichlich ausgestreuten Samen Ihres vaterlän-dischen Wirkens auf vielen guten Boden fallenund auch gewiß gedeihen werden und zur Zeitreife Frucht bringen. Insbesondere soll ich denDank aussprechen für den beharrlichen Kampfgegen den unglückseligen preusischen Zollver-ein. – Auch der 18. 8ber [Gedenktag derVölkerschlacht bei Leipzig 1813] siehet keineFreudenfeuer für Deutschlands Freiheit mehr.– Die Freudenfeste der schwer ersiegten Preß-freiheit sind verklungen, aber die erzwungenenFeste durch Intressirte des Zollvereins habenin den Gemüthern der armen und bemitteln [!]Bürger des Volkes noch gar nicht angefangenzu klingen. Ein auffallendes Beispiel davon wardas Weinheimer Fest. Gar keinen Anklang fandes und kein Bürger war dabei zu bemerken; dieGassenbuben soffen Wein und schrieen,Vivat!!!‘. Ein Unglück, welches dabei vorfiel,wurde auch bald vergessen. Zur größtenFreude der Kinder waren auf den Brod- undWeinzelte [!] eilf Fahnen aufgepflanzt und desNachts zwei Wächter dazu gesetzet. Dernächste Morgen zeigte, daß eine frevelndeHand in der stürmischen Nacht den in der Mit-te gesteckten königlich preusischen Fahnen [!]herabgerisen hatte. Zum großen Glücke wurdeder abgerissene in dem Garten des Abgeord-neten Herrn Grimm wieder gefunden undwahrscheinlich wieder an die Eigenthümernach Mannheim übermacht.“

Weiter macht Letzeiser in seinen Schreibenauf Missstände in der Besetzung von Schul-lehrerstellen durch die „katholischen HerrenMinisterialräthe“ aufmerksam, die doch ei-gentlich auch an die „allgemeinen Gesetze“gebunden sein sollten.

Freiheit des Bürgers, deutsches Vaterland,gesetzeskonformes Verhalten der Bürokratie,

um diese drei grundlegenden Themen kreistder Brief Letzeisers. Wenn seine Darstellungder Ereignisse rund um das Zollvereinsfestzutrifft, so wird überdies erkennbar, auf welcheDistanz zumindest Teile der WeinheimerBürger zu ihrem Bürgermeister gegangenwaren, der durch eine symbolische Handlunggar noch als Handlanger Preußens gebrand-markt wurde.

1838: DER NEUE BÜRGERMEISTEREin Angehöriger der „Umsturzparthei“

Unter den oben ausgeführten Umständenwar eine erneute Kandidatur des Albert LudwigGrimm für das Amt des Weinheimer Bürger-meisters 1838 nicht erstrebenswert. Ein wei-teres Zerwürfnis hatte sich aus den unter-schiedlichen Ansichten über die Verlegung derLandstraße ergeben. Albert Ludwig Grimmfavorisierte die den Stadtkern umgehendeLinienführung am Fuß des Gebirges, währendviele Weinheimer an der hergebrachten um-ständlicheren Streckenführung durch dieStadt festhielten, auf der die Fuhrwerkebeträchtliche Steigungen bzw. Gefälle zu über-winden hatten. Zum Nachfolger Grimmswurde bezeichnender Weise ein Angehörigerder Weinheimer Kleinbürger- und Hand-werkerschicht gewählt, der GerbermeisterPhilipp Kraft. Er war der Vertreter einesBerufszweiges, der in seinem Bestand geradeauch in Weinheim bedroht war, wo in Gestaltder Mannheimer Kaufleute Heinrich ChristophHeintze und Jean Baptist Sammet den zünfti-gen Gerbern gegen den Widerstand der Gerber-zunft eine ernst zu nehmende Konkurrenz ent-standen war. Heintze und Sammet hatten 1829die Konzession zur Errichtung einer fabrik-mäßigen Fertigung von Lederproduktenerhalten; aus ihrem Unternehmen entstandschließlich die Lederfabrik von Carl Freuden-berg. Philipp Kraft gehörte damit zu den Ver-lierern der Modernisierung in Baden. Er konn-te mit seinem Vorgänger naturgemäß inintellektueller Hinsicht in keinem Falle kon-kurrieren; sein rednerisches Talent stand demGrimms beträchtlich nach. Bei seinerAnsprache anlässlich der Weinheimer Volks-versammlung vom September 1848 kam dies

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deutlich zum Vorschein; Kraft räumte beidieser Gelegenheit selbst diesen Mangel ein.Gegenüber Grimm aber hatte er den Vorteil, inder den Ton angebenden Weinheimer Klein-bürgergesellschaft verankert zu sein. SeineWahl war wohl nicht zuletzt auch das Ergebnisdes sich allmählich verfestigenden Netzwerkes,wie wir heute sagen würden, der Weinheimer„Umsturzparthei“, um die Diktion des AlbertLudwig Grimm aufzugreifen. Kraft, der dasBürgermeisteramt bis 1844 innehatte, erregteschon 1840 den Argwohn der Behörden; bis1848 finden wir ihn in der Führungsgruppe derWeinheimer Oppositionellen. Der evangelischePfarrer vermerkte über ihn Anfang der 1850erJahre, Kraft habe notorisch an der Spitze derrevolutionären Bewegung in Weinheim gestan-den; er sei irreligiös, unkirchlich und von nichtmakellosem Lebenswandel. Der Gemeinderatkam allerdings zur gleichen Zeit aus gleichemAnlass zur Feststellung, dass Kraft ein guterLeumund zu bescheinigen sei.

1839: DER NEUE ABGEORDNETEEin „Kämpfer für Freiheit, Recht und Ehre“

Albert Ludwig Grimms Tätigkeit als Abge-ordneter des Wahlbezirks Weinheim-Laden-burg endete 1839. Zu seinem Nachfolgerwurde kein Geringerer als Karl TheodorWelcker gewählt. Für die Weinheimer Wählerdürfte bei ihrer Wahl die Erinnerung an dieablehnende Haltung Welckers gegenüber demZollverein eine Rolle gespielt haben.

An dieser Wahl lässt sich exemplarischzeigen, in welchem Ausmaße persönlicheBindungen zwischen Wählern und Gewähltendas politische Leben in der Zeit des Vormärzprägten. Der Abgeordnete konnte zum Mittel-punkt eines regelrechten Kultes werden. AlbertLudwig Grimm war eine derartige Verehrungfreilich aus den gezeigten Umständen herausversagt geblieben. „Ich gehe schon heute, weilmich die Weinheimer einladen, sie vor derEröffnung [des Landtages] zu besuchen“schrieb Karl Theodor Welcker am 30. Mai 1839einem Verwandten, nachdem der WahlbezirkWeinheim-Ladenburg ihn, den Freiburger Pro-fessor und geistigen Wegbereiter des Liberalis-mus, in die Zweite Kammer gewählt hatte.Welcker war von dieser Wahl überrascht wor-

den, er hatte darauf gerechnet, den WahlbezirkEttenheim zu gewinnen. Er war dort aberunterlegen, weil es der Regierung gelungenwar, bei den Wahlmännern Stimmung gegenden unbequemen Kandidaten zu machen.19

Welcker übersiedelte 1844 nach Heidel-berg; aus diesem Anlass bereiteten ihm seinepolitischen Freunde am 8. September 1844 imSaal der Heidelberger „Harmonie“ ein Will-kommen. Die vielen auswärtigen „Verehrer desgefeierten Volksmannes“, die nach Heidelberggekommen waren, stammten „namentlich ausWeinheim, Ladenburg, Schriesheim, Ilvesheimetc.“ Diesen Zustrom seiner einstigen Wählerwusste Welcker in seiner Dankesrede aus-drücklich zu würdigen.20 1846 gab es erneuteinen Anlass für die Weinheimer, ihremehemaligen Abgeordneten ihre Dankbarkeitauszudrücken. Die Behörden hatten in Mann-heim einen Protest gegen die obrigkeitlicheBelästigung des „Mannheimer Journals“ undseines Redakteurs Gustav von Struve unter-drückt. Karl Theodor Welcker geißelte dieseRepression in der Zweiten Kammer der Land-stände. Am 5. Januar 1846 begab sich darauf-

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Friedrich Härter Stadtarchiv Weinheim Rep. 32 Nr. 9027

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hin eine Deputation Weinheimer Bürger nachHeidelberg und überreichte dem „Herrn Hof-rath und Professor“ eine Dankadresse, dieangeblich von über 300 Weinheimer Bürgernunterzeichnet worden war. Die Weinheimerbekundeten in der Adresse ihre Bereitschaft,unter dem Panier von Welcker „für Freiheit,Recht und Ehre“ kämpfen zu wollen. In derÜberzeugung, „daß die gutgesinnten Bürgeraller Gauen unseres schönen Vaterlandes denMuth und die Beharrlichkeit“ hätten, „imKampfe für die redliche Erhaltung der edelstenGüter der Menschen […] eher unterzugehen,als sich zu ergeben“, sollte Welcker seine„Fahne, ungescheut aller Hindernissen undGefahren, muthvoll der besseren Zukunft ent-gegen“ schwenken.21

1839: DIE ABLÖSUNG DESHERZENSGUTEN UND GEMÜT-LICHEN OBERAMTMANNS BECK

Im September 1839 nahm RegierungsratWallau eine Visitation des Bezirksamtes Wein-heim vor.22 In seinem Visitationsbericht schil-derte er den Oberamtmann Karl Beck als einenzwar redlichen, treuen, fleißigen und ver-ständigen Beamten, der es aber in schwierigenFällen an raschem Entschluss fehlen lasse. DerAmtsphysikus und die evangelische Geistlich-keit beklagten, dass es Beck an der in der StadtWeinheim und in einigen Orten des Amts-bezirks nötigen Energie fehle. Bei Streitigkeiten„verschiedener Localdiener unter sich“, wieauch in Kirchen- und Schulsachen verfolge ereinen unklaren Kurs, „ohne Entscheidung zugeben“. Auch ziehe er die Kriminalunter-suchungen durch Umständlichkeit in die Länge,womit er ab und zu ein bestimmtes Resultat ver-eitle. „Der in der Stadt Weinheim und aufeinigen Ortschaften vorherrschende Hang zueiner Willkür, Eigenmacht und einer unge-setzlichen Freiheit bedarf eines kräftigenZügels, und es ist zu beklagen, daß Oberamt-mann Beck in seiner Herzensgüte und Gemüth-lichkeit demselben [!] nicht beständig straffanzieht.“ Sonst sei Becks Charakter „vortreff-lich“ und auch sein „amtliches Wirken tadellosund von guten Folgen“, weshalb er auch,freilich „mit Ausnahme seiner polizeilichenWirksamkeit“, Achtung und Vertrauen genieße.

Diese Beurteilung bedeutete das Ende derAmtstätigkeit Becks in Weinheim. Das Innen-ministerium, dem an einer „polizeilichenWirksamkeit“ des Amtmannes im BezirkWeinheim gelegen war, löste ihn noch 1839 abund übertrug ihm das offenbar als wenigerkritisch eingeschätzte Bezirksamt Wiesloch.23

Gut möglich, dass auch die Wahl Welckers demAmtmann mit angekreidet wurde.

An die Stelle Becks trat Christian BernhardGockel.24 Der neue Oberamtmann war zuvorAmtsvorstand des Bezirksamts Hornberg. Ausseiner früheren Tätigkeit beim MannheimerOberhofgericht und dann als Amtmann inMannheim war er mit den schwierigen Verhält-nissen im nördlichen Baden vertraut. Er gingforscher als sein Vorgänger zur Sache, ließ sichaber schließlich zu Ungeschicklichkeiten hin-reißen, die eine große Polarisierung in Wein-heim und Umland bewirkten. Davon wird zureden sein.

DIE „UMSTURZPARTHEI“FORMIERT SICH

Bürgermeisterwahl und die Wahl zurZweiten Kammer geschahen vor dem Hinter-grund der sich verfestigenden Strukturen der„Umsturzparthei“ in Weinheim. Schauen wirdazu in die Aussage des eingangs bereitszitierten Valentin Leonhard. „In den dreißigerJahen begannen nun die liberalen Sachen undes bildete sich eine liberale Parthei, an derenSpitze hauptsächlich der damalige Bürger-meister Kraft, Friedrich Härter, Philipp AdamScheuermann, Franz Kinscherf, ValentinKinscherf sowie Schaab von Reisen stand. Siehielten Versammlungen im Hause des FriedrichHärter und manchmal auch im Freien, und wasda vorgekommen ist, weiß ich nicht, denn ichkümmerte mich nicht darum und nahm keinenAntheil. Ich machte jedoch bald die Bemerkung,daß die Geschäftsleute, welche nicht zu jenerParthei hielten, an ihrem Geschäft Nachtheilerlitten.“ Aus diesem Grund, so Leonhard, habeer sich schließlich „jener Parthei“ ange-schlossen. Bei den Zusammenkünften der„Liberalen“ hätten hauptsächlich Härter undKraft „das große Wort“ geführt.

Die hier Genannten seien kurz vorgestellt:Bürgermeister Kraft ist uns schon bekannt;

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Friedrich Härter war der Gastwirt „Zur BurgWindeck“ und Händler mit Landprodukten,1849, während des Volksaufstandes, war erZivilkommissär für den Bezirk Weinheim; überihn ist bereits im Heft 3/1997 der „BadischenHeimat“ ausführlich berichtet; Philipp AdamScheuermann war Küfer und Gastwirt „ZumGoldenen Adler“, Franz Kinscherf war Mühlen-besitzer; Valentin Kinscherf war Mühlen-besitzer im benachbarten hessischen Birkenau,1847 bis 1849 Abgeordneter der hessischenZweiten Kammer, 1848 Mitglied des Frank-furter Vorparlamentes; Nikolaus Schaab ausdem hessischen Reisen war Landwirt und Gast-wirt „Zur Schönen Aussicht“.25

Ein Hinweis auf die Aktivitäten der „Wein-heimer Gesellschaft“ findet sich im „Rheini-schen Postillon“ vom 24. Mai 1839: „Wein-heim, Sonntag, 26. des Monats wird auf derwieder etwas verbesserten Burg Windeck einVolksfest gefeiert. Mehrere Bürger.“ Was sichhinter diesem vom Wortlaut her eher unver-fänglichen Aufruf verbarg, war für die Leserdes in Mannheim erscheinenden Oppositions-blattes unschwer zu erraten. Wahrscheinlichwar der Ort des Festes nicht etwa auf der Burg-ruine Windeck zu suchen, sondern bei

Friedrich Härter, dessen Gastwirtschaft „ZurBurg Windeck“ im Müllheimer Tal zu dieserZeit bereits Treffpunkt der „Liberalen“geworden war. Über den Verlauf dieses Festeswar nichts in Erfahrung zu bringen. Genauerkennen wir dagegen eine ähnliche Ver-anstaltung, die ein Jahr später am gleichen Ortstattfand.

1840: WEINHEIMER IM „BUNDDER GEÄCHTETEN?“1840 geriet der Birkenauer Getreidemakler

Jakob Klein in die Fänge der Behörden. Ihmwurde vorgeworfen, Mitglied im „Bund derGeächteten“ zu sein. Eine Hausdurchsuchungförderte belastendes Material zu Tage, darunterdie Statuten des Bundes der Geächteten undeinen Druck des Liedes „Fürsten zum Landhinaus“. Von Klein aus zogen Spuren auchnach Weinheim; die hessischen Behördenbezeichneten den Wirt Härter als „Depositarwichtiger Geheimnise und Literalien“. DerRegierungsdirektor des UnterrheinkreisesDahmen, der zur Stellungnahme aufgefordertwurde, schrieb: „Die Versammlungen imHause des Wirths Herter, zur Burg Windeck,sind unläugbar feindseeliger Tendenz gegenalles Bestehende.“ Dahmen regte auch Haus-durchsuchung und Leibesvisitation bei demWeinheimer Kaufmann Friedrich Diesbach an.Diesbach wurde zu den führenden Köpfen derWeinheimer Oppositionellen gerechnet, er warbereits einschlägig bekannt und auch vor-bestraft. Im April 1839 war er zu drei TagenGefängnis verurteilt worden wegen „Schmä-hung gegen die Person des russischen Groß-fürsten und Thronfolgers und wegen unge-bührlichen Benehmens durch ausgesproche-nen Tadel über die von der badischen Regie-rung veranstalteten Ehrenbezeugungen“. Diehessischen Behörden wiesen nun 1840 einbeschlagnahmtes „incriminiertes“ Lied seinerHandschrift zu.26

Die Verdachtsmomente der hessischenBehörden gegen Härter und Diesbach reichtenzur Einleitung einer gerichtlichen Unter-suchung nicht aus. Immerhin hätten Härterund Diesbach Zeit genug gehabt, vorhandenesbelastendes Material zu beseitigen, da dieArretierung Kleins in Weinheim längst für Auf-

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Friedrich Diesbach Stadtarchiv Weinheim Rep. 32 Nr. 2824

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sehen gesorgt hatte, bevor die hessische Seitedie badischen Behörden zum Handeln auf-forderte. In einem Schreiben an die Frank-furter Bundeszentralbehörde machte derMannheimer Regierungsdirektor Dahmen derhessischen Justiz und Polizei den Vorwurf,nicht eine gleichzeitige Durchsuchung derVerdächtigen in Birkenau und Weinheimermöglicht zu haben. Immerhin nahm Dah-men den Vorgang zum Anlass, dem Bezirks-amt Weinheim den Auftrag zur sorgfältigenBeobachtung der „Weinheimer Gesellschaft“und ihrer Mitglieder zu erteilen. Insbesonderesollten dabei Verbindungen der Weinheimer zuKlein sowie nach Heidelberg und Mannheimbeobachtet werden.

1840: EIN HAMBACHER FESTIM KLEINEN

Schon wenige Tage nach diesem Auftragkonnten das Bezirksamt und die ihm zuge-wiesene Gendarmerie ihre Wachsamkeit unterBeweis stellen. Am Nachmittag des 28. Mai1840, dem Himmelfahrtstag, versammeltensich „die dahier bekannten politischen Umtrei-ber“, so der Brigadier Stenz, zu einem „Ham-bacher Fest im Kleinen“, so OberamtmannGockel. Das Fest selbst fand statt im Freien„unter den Buchen“ in der Nähe der Gastwirt-schaft des Friedrich Härter. Der Verlauf desFestes ist an anderer Stelle bereits ausführlichbeschrieben;27 wir beschränken uns hier aufeine Wiedergabe des Berichtes, den Oberamt-mann Gockel der Regierung des Unterrhein-kreises ablieferte.28 Er stützte sich dabei aufeigene Erkundigungen und den Bericht, dender Brigadier Stenz als Beobachter des Festesablieferte. Unfreiwillige Komik durchzieht denBericht, dem wir wichtige Nachrichten überdie Zusammensetzung der „Weinheimer Ge-sellschaft“ und darüber entnehmen, in wel-chem Maße die aktuelle Politik Thema ihrerZusammenkünfte war.

„[…] Die Weinheimer haben den gestrigenNachmittag zu einem Hambacher Fest imKleinen verwendet. Um Mitternacht erfuhr ichvon Bürgermeister Kraft [anlässlich einesBrandfalles im benachbarten Sulzbach], daßvorigen Abend im Freien, bei den Weiherndahier nächst der Härterschen Wirthschaft

Winteck [!] eine Gesellschaft bei Musik undZechen sehr vergnügt war. Heute Vormittaghabe ich das Nähere hierüber wie folgt er-hoben:

Nachmittags 3–4 Uhr versammelten sichdie nebengenannten Liberalen, um das Festder Wiedergenesung ihres Koriphäen [!], desMüllers Franz Kinschärf unter den Buchen beiHärters Hause zu feyern. Bürgermeister Krafteröffnete das Gelage mit einer kurzen Redeohne erheblichen Inhalt. Hiesige Musikantenspielten verschiedene Stücke.

Schneider Gillich verlangte wiederholt dieMarseilaise [!], die verweigert wurde; derselbesammelte zweimal Geld für die Musicanten. Erbegnügte sich nicht mit 3 xr., sondern verlang-te mehr von den Leuten. Es wird dabei behaup-tet, die 2. Sammlung sei zur Unterstützung fürdie arme Familie des Mäkler Klein von Bir-kenau gewesen; das Nähere hierüber morgennach näherer Erkundigung.

Niemand bezahlte etwas für Speis undTrank; der Müller Kinschärf lieferte Braten,Schinken und Brot, die Metzger Sommer derjüngere von hier tranchierte. [in Marginalie:N. B., ich kann deshalb nicht auf § 14 derWirthschaftsordnung gegen Härter und andereeinschreiten.]

Härter, der Wein von Kinschärf im Kellerhat, lieferte 2 Fäßchen weißen, Scheuermannder ältere, Obmann des großen Ausschussesdahier, ein Fässchen rothen Wein. Es sei 34ergewesen. Kaufmann Diesbach lieferte Käs.Dem Brigadier Stenz, der dabei war, wurdeangeblich (von ihm widersprochen) bei seinerAnkunft ein Hoch gebracht und weidlichzugetrunken mit dem beabsichtigten Erfolg.[in Marginalie: Ich bitte, dem Commando derGend. Division nichts darüber zu sagen, weilStenz durch einen Verweis eingeschüchtertwürde! Er ward vom Wein besiegt und un-schädlich gemacht.] Hernach lieferteRosenwirth Schütz ein Faß Bier zum Löschen,wie gesagt wird, und nun trat ein Tüncher,respective Maler von Mannheim, der denSchild an dem neuen Gasthause des Spitz malt,mit einer Rede zu Ehre der Polen und Hano-veraner auf, lobte ihren Wortführer von Itz-stein und brachte ihm ein Hoch aus mitAnklang. Den Namen des Redners, der dieWorte Einigkeit und Einheit häufig gebraucht

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haben soll, erfahre ich später. Der Mann sei zurZeit noch Soldat in Carlsruhe und seit einigenTagen hier anwesend. [in Marginalie: MalerLöwenhaupt aus Mannheim, Artillerist.] DieMette dauerte bis in die Nacht, doch nicht über10 Uhr.

,Des Teutschen Mai, kühler Mai‘ (bei-liegendes Original vielleicht von Pfr. SchlattersHand, bei Scheuermann wurde das Lied erstvorgezeigt) und ähnliche Lieder wurdengesungen. Auch eine Rede über Welkers Wahlsei gehalten worden, doch weis ich nicht, vonwem.

Der Mannheimer Maler sei ein jungerMann mit kurzem rothen Schnurrbart, derheute seine Sommerkleider nach Heidelbergbestellt habe, wohin er von hier aus reisenwird. Er sey ein geborner Mannheimer undhabe gestern nach Hause geschrieben wegender Sommerkleider – heißt Löwenhaupt,Soldat bei der Artillerie, erhält erst künftigesJahr seinen Abschied.“

In Ergänzung hierzu noch ein Auszug ausder Meldung des Gendarmeriebrigadiers Stenzan das Kommando des Gendarmeriekorps zuKarlsruhe vom 29. Mai 1840.29 Er beschäftigt

sich mit dem Auftritt des Mannheimer Tün-chers Johann Friedrich Löwenhaupt, der von1846 bis 1888 in der Mannheimer Kommunal-politik eine Rolle spielte.30

„Auch war ein Maler namens Löwenhauptvon Mannheim, welcher noch Soldat bei derArtilerie [!] sein soll und gegenwärtig hierarbeitet, anwesend, dieser hielt eine Anrede andie Gesellschaft, worin er die Einheit inkräftigem Zusammenhang berührte und na-mentlich die Polen und das Hanöversche Volkals Vorbild darstellte; später machte er eineLobeserhebung für den Abgeordneten vonItzstein und pries ihn als waren [!] Volksver-theidiger, namentlich aus dem Grunde, weil erin der Kammer sich des Hanöverschen Volkesso bedeutend angenommen hat und daßelberepresentirte [!], worauf demselben ein freu-diger Toast gebracht wurde.“

Die Liste der Teilnehmer am diesem Festzeigt einen Querschnitt durch die WeinheimerKleinbürgergesellschaft, wobei allerdings dasfast völlige Fehlen von Landwirten auffällt. Zubeachten ist, daß die genannten Handwerkeralle Meister und Inhaber eigener Betriebewaren, die mit * versehenen Personen tatensich 1848/49 in verschiedenen Aktivitäten her-vor.31

Aus Weinheim stammten:Jakob Arz d. Ä., Landwirt; Friedrich Dies-

bach*, Kaufmann; Peter Forschner, Rats-schreiber; August Friedrich, Schreiner; Valen-tin Fuchs; Maurer; Jakob Fuchs*, Müller;N. Fuchs, „von der Sägmühle“; Philipp Gögler,Bäcker; Franz Grimm, Schlosser oder seinSohn Heinrich Grimm, Schlosser; Georg PeterGülch („Gillig“), Schneider; Friedrich Härter*,Gastwirt „Zur Burg Windeck“; Nicolaus Kastin,Nagelschmied; Gerhard Kegler, Schreiner;Titus Kern*, Schlosser; Peter Keßler,32 Kupfer-schmied; Franz Kinscherf*, Müller; PhilippKraft*, Bürgermeister (Gerber); Adam Krück,Gemeinderat (Küfer); Georg Metz, Gemeinde-rat (Küfer); Georg Minnig, Bierbrauer undGastwirt; Wilhelm Platz, „Mechanikus“; PeterReitzenstein, Zimmermann; PhilippRothenbusch d. J.*, Schreiner; Scheffler,Akzisor; Leonhard Scheuermann, Küfer undGastwirt „Zum Goldenen Adler“; Philipp AdamScheuermann*, Küfer und Gastwirt „Zum

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Georg Friedrich Schlatter Stadtarchiv Weinheim Rep. 32 Nr. 4366

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Goldenen Adler“; Schmitt, Steuergardist;Philipp Schmitt, Sattler; Ferdinand Schmitz,Gerber; Georg Heinrich Schütz, Bierbrauerund Gastwirt „Zur Goldenen Rose“; FriedrichSommer, Metzger. Angeblich zufällig hin-zugekommen war Johann Lorenz Küchler,Aktuar am Bezirksamt, samt Gattin.

Von auswärts nahmen teil:aus Birkenau (Hessen): Jöst, Mechanikus/

Schmied; Tomin, Zöllner; weitere namentlichnicht Genannte. Aus Mannheim: Johann Fried-rich Löwenhaupt*, Tüncher. Aus Wallstadt undvom Straßenheimer Hof: namentlich nichtGenannte.

DER BERÜCHTIGTE PFARRERSCHLATTERDer Vorposten der „WeinheimerGesellschaft“ in Heddesheim

In seinem Bericht hatte Amtmann Gockeleine mögliche Verbindung des Pfarrers GeorgFriedrich Schlatter zur „Weinheimer Gesell-schaft“ ins Spiel gebracht. Der 1799 in Wein-heim als Sohn eines Blaufärbers geboreneSchlatter wirkte seit Beginn der 1830er Jahreals Pfarrer im benachbarten Heddesheim.33

1832 hatte er, damals noch Pfarrer in Linken-heim, mit seinen in Karlsruhe im Druckerschienenen „Zwanzig Predigten als Zeugnis-se christlicher Rechtgläubigkeit gegen pietisti-sche Verketzerungen, der Öffentlichkeit über-geben von Georg Friedrich Schlatter, Pfarrerzu Linkenheim“ die öffentliche Aufmerksam-keit auf sich gezogen. Im Oktober 1832 trat erden Pfarrdienst in Heddesheim an und betei-ligte sich von hier aus weiter an den inner-kirchlichen Auseinandersetzungen zwischenRationalisten und Pietisten. Zugleich stand erpolitischen Fragen nicht gleichgültig gegen-über. So war er auch für die Wahl Welckers alsAbgeordneten des Wahlbezirks Weinheim-Ladenburg eingetreten. In der Untersuchungder oben angerissenen Affäre um den Birken-auer Getreidemakler Klein musste sich derMannheimer Regierungsdirektor Dahmengegenüber dem Innenministerium dafür recht-fertigen, dass er die Amtsvorstände der BezirkeWeinheim, Heidelberg und Mannheim inSchwetzingen zu einer Besprechung ver-

sammelt hatte und nicht etwa im günstigergelegenen Ladenburg. Dahmen erklärte dazu:„Der Grund davon lag […] in der Nähe desletzten Ortes [Ladenburg] bei Weinheim, wodiese Klicke nun einmal aufgeschreckt undwachsam ist, und in der noch größeren Nähedes berüchtigten Pfarrers Schlatter in Heddes-heim, der fortwährend den Vorposten derWeinheimer Gesellschaft bildet.“34 In seinerräumlichen und inhaltlichen Nähe zur „Wein-heimer Gesellschaft“ werden wir Schlatternoch begegnen. Es sei hier nur vorwegge-nommen, dass Schlatter 1849 als Altersprä-sident der Konstituierenden badischen Landes-versammlung wirkte. Dafür wurde er 1850 zueiner Zuchthausstrafe von zehn Jahren ver-urteilt, von denen er fünf Jahre bis zu seinerAmnestie im Zuchthaus zu Bruchsal absaß. Erstarb 1875 in Weinheim.

1843: FRIEDRICH HECKER UND DIEWEINHEIMER VERFASSUNGSFEIER

1842 entsandte der Wahlkreis Weinheim-Ladenburg keinen anderen als FriedrichHecker als Abgeordneten in die ZweiteKammer. Über die besonderen BindungenHeckers zu seinen Weinheimer Wählern undAnhängern wurde bereits in der Nummer3/1997 der „Badischen Heimat“ ausführlichberichtet,35 weshalb dieser Aspekt des Wein-heimer politischen Lebens im Vormärz hiernicht weiter zu vertiefen ist.

Einen großen Auftritt hatte FriedrichHecker anlässlich der Weinheimer Ver-fassungsfeier vom 22. August 1843. Anders alsdas „Fest der Freien Presse“ trug dieses Festein sehr volkstümliches Gesicht. Es wurdegetragen von der Weinheimer Kleinbürger-schicht, den Handwerkern, Kaufleuten undLandwirten.36

Aus der Zweiten Kammer der Landständewar die Anregung gekommen, in möglichstallen Amtsbezirken Badens durch eine Feierdes 25. Jahrestages der Verfassungsgebung zugedenken. Der Weinheimer Gemeinderatnahm die Anregung auf und entwarf, unter-stützt von einer Reihe eigens dazu herange-zogener Bürger – unter ihnen auch FriedrichHärter als Obmann des Großen Bürgeraus-schusses –, den Rahmen der Feierlichkeiten,

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Programmzettel zur Weinheimer Verfassungsfeier Stadtarchiv Weinheim Fach 139 Nr. 1

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die sich mit geringen Abweichungen sogestalteten, wie sie das abgebildete gedruckteProgramm vorsah. Durch Einbindung derZünfte, des „Bauernstandes“ und der Schulenin das Festprogramm war die Gewähr gegeben,dass ein Großteil der Weinheimer Bevölkerungaktiv an der Feier teilnahm. Eingeladenwurden außerdem die Gemeinderäte aus denOrten des Amtsbezirks. Daneben verbreiteteein Bote das Programm auch in den Orten desbenachbarten hessischen Umlandes. Obwohlsie die badische Verfassung eigentlich nichtbetraf, so erschienen die Bewohner der an-grenzenden hessischen Gemeinden gleichwohl„zahlreich“ zur Teilnahme an der WeinheimerFeier.

Bemerkenswert ist, dass die Kosten der Ver-fassungsfeier nicht aus städtischen Mittelnbestritten wurde – die Gemeinde stellte ledig-lich das Pulver für die Böllerkanonen undsorgte für die Beschaffung „eines größerenFahnens“ [!] –, alle anderen Ausgaben wurdendurch Spenden gedeckt. Die von den Bürgerngespendeten Beiträge erlaubten beispielsweiseden Druck von 1200 Programmzetteln, 200Exemplaren der Verfassung und 500 Exemp-laren der Festlieder und -gedichte. Bezahltwurden davon ferner die Errichtung einer„Galerie“ am Rathaus und die fast 160 LaibeBrot, die man nach der Festrede auf demMarktplatz an Bedürftige ausgab.

Kernstück der Verfassungsfeier war dieFestrede, die Friedrich Hecker als Abgeord-neter des Bezirks hielt; Form und Inhalt dieserRede können einiges von der Gunst erklären,derer sich Hecker bei seinen Weinheimer Wäh-lern und Anhängern erfreute. In einem erstenTeil behandelte Hecker die Entstehungs-geschichte der Verfassung und stellte die Fragenach dem Wesen und der Bedeutung einerVolksvertretung. Der zweite Teil der Redebefasste sich mit den „Wohltaten“, welche dieVerfassung gebracht habe. Der dritte Teilbefasste sich mit einer Reihe von noch aus-stehenden Desiderata. Hierzu zählte Heckerdie Pressefreiheit: das „geistige Henkeramt derZensur“ müsse ein Ende haben. Fernerforderte er ein proportionales Steuersystemund die Verwirklichung einer Wehrgerechtig-keit, die es dem Sohn des Reichen unmöglichmachen solle sich vom Waffendienst frei-

zukaufen, während der Sohn des Armen alleindazu verdammt sei, die Waffen zu tragen. Eineentsprechende Erziehung der Kinder diene derVerteidigung und Erweiterung der Volks-rechte. „Der Vater erblicke in dem Kinde nichtden Unterthan seines Willens, sondern denkünftigen Bürger, er flöße ihm Theilnahme fürVerfassung und Recht […] gleichsam mit demersten Weine ein. Lassen wir unsere Kinderstatt des Auswendiglernens nutzlosen Tandesdie Verfassungsurkunde auswendig lernen.“Deutsche Einheit, bürgerliche Freiheit, sozialeGerechtigkeit waren die Ziele, die es zu erstre-ben gelte. Unerschrockenes, entschiedenesAuftreten gegenüber der Obrigkeit nannteHecker als das Mittel, die genannten Ziele zuerreichen.

Es leuchtet ein, dass sich Hecker mitseinen Ausführungen, die sich als ein vorweg-genommenes „Offenburger Programm“ lesenlassen, keine Freunde bei den Vertretern desüberkommenen Systems schuf, dafür aber beiseiner Anhängerschaft auf breite Zustimmungrechnen konnte. Der Missklang, mit dem dasFest endete, und der noch längere Zeit Wider-hall finden sollte, zeigt dies deutlich.

Oberamtmann Gockel hatte am Fest teil-genommen und dabei mit Unwillen feststellenmüssen, dass des längst verstorbenen Groß-herzogs und Verfassungsgebers Karl sowohl imFestprogramm als auch in der Rede FriedrichHeckers und schließlich während des Fest-mahls im „Pfälzer Hof“ in einem Trinkspruchdes Bürgermeisters Kraft lobend gedacht, derregierende Großherzog Leopold aber mitSchweigen übergangen wurde. Als Gockel ander Festtafel nach Bürgermeister Kraft endlichselbst zu Wort kommen konnte, benutzte erdie Gelegenheit, Großherzog Leopold in sei-nem Trinkspruch gebührend Ehre zu erweisen.„Wir haben genug von den Todten gehört undvergessen am Ende darüber, was wir denLebenden schuldig sind. Unserer jetzigenRegierung, welche der Festredner zu nennensorgfältig vermieden hat, verdanken wir dievon ihm hergezählten Früchte der Verfassung;unserem Großherzog Leopold die Herstellungderselben in ihrer ursprünglichen Reinheit.“

Mit diesem Angriff auf Friedrich Heckerleitete der Oberamtmann seiner eigenenErinnerung zufolge den Trinkspruch ein, der

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dem Festmahl ein unvorhergesehen raschesEnde bereitete. Wie Gockel selbst einräumenmusste, stand er mit seinem Trinkspruch„unter Hunderten so ziemlich allein“.

Tatsächlich wurden Gockels Äußerungennicht unwidersprochen hingenommen. Ineinem Beitrag zu dieser Angelegenheit in derMannheimer Abendzeitung vom 13. April 1844– mehr als ein halbes Jahr nach dem Vorfall –wurden Miene und Tonfall gerügt, in denen derOberamtmann seinen Trinkspruch ausge-bracht habe, und „die darauf berechnet zu seinschienen, die beiden früheren Redner [Heckerund Kraft] zu verletzen“. Weiter heißt es:„[…] gewiß wäre Oberamtmann Gockel da-mals schon auf geeignete Weise erwiedert [!]worden, hätte nicht sein Benehmen eine früh-zeitige Auflösung der Gesellschaft zur Folgegehabt. In allen gesellschaftlichen Kreisenwurde aber fortan der vernommene Wahl-spruch: ,Ich halt’ es mit den Lebenden‘ derGegenstand heiterer Gespräche.“

1843/44 OBERAMTMANN GOCKELUND SEINE KRITIKER

Der so vor aller Öffentlichkeit angegriffeneOberamtmann nahm die Herausforderung an.In der Mannheimer Abendzeitung vom 17.April 1844 setzte er sich mit scharfen Tönenzur Wehr. Er ging nochmals auf das Festmahlvom 22. August 1843 ein. Dabei ließ erzunächst die Gelegenheit zu einem weiterenAngriff auf Friedrich Hecker nicht aus, dem ervorwarf, er habe in seiner Festrede „dieschönen Ergebnisse“ der badischen Verfassung„wie einen Küchenzettel“ abgelesen. ZumSchluss erklärte er, es freue ihn heute noch,„jene Herren“, seine Kritiker also, „durch Tonund Miene“ geärgert zu haben und versprachihnen, der vielen Anfechtungen ungeachtet,„davon […] niemals abzulassen“.

Mit diesem Ausspruch lieferte Gockel sei-nen Widersachern neue willkommene Muni-tion. Einer von ihnen meldete sich in derMannheimer Abendzeitung vom 1. Mai 1844 zuWort, wies auf Unstimmiges und Wider-sprüchliches in Gockels Ausführungen hin, ummit einer scharfen Kritik an der öffentlichenErklärung des Oberamtmannes zu schließen:„[…] was soll man von einem Manne, der noch

dazu öffentlicher Beamter ist, sagen, der sichnach Aufstellung des Lebensprinzips, ,es mitden Lebenden zu halten‘, öffentlich freut,einen großen Teil seiner Gesellschaft geärgertzu haben, und der noch dazu verspricht, inseiner Stellung als Mensch und als Beamternicht nachzulassen, diese Gesellschaft in Tonund Mienen auch ferner zu ärgern. […] Undwas hält er denn von seiner Wirksamkeit alsöffentlicher Beamter, wenn er mit der Auf-stellung eines solchen Grundsatzes seinesBenehmens seine Amtsuntergebenen zwingt,alles, was er thut, damit zu vergleichen, ob esnicht geschieht, um sie zu ärgern! Wer öffent-lich erklärt, sein Bestreben gehe dahin, Anderezu ärgern, der stellt sich in eine Stellung, diewir nicht näher bezeichnen wollen, […] solcheGrundsätze bedürfen keiner Kritik, sie richtensich mit dem, der sie ausspricht, von selbst.“

Gockel war neben dieser Angelegenheit innoch zwei weiteren Äffären Ziel öffentlicherAngriffe. Mit Datum vom 17. Juli 1843 hattedas Bezirksamt den uns bereits wohlbekanntenFriedrich Härter zusammen mit dem Wein-heimer Bürger und Webermeister HeinrichRutz wegen verbotenen Unterschriften-sammelns zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt.Hintergrund hierfür waren die Auseinander-setzungen innerhalb der evangelischen Stadt-kirchengemeinde um die Person des PfarrersJohann Ludwig Hörner, dem seine Gegner,unter ihnen Friedrich Härter und weitereAngehörige der „Weinheimer Gesellschaft“, dasBetreiben eines pietistischen „Missionswesens“vorwarfen. Zum Vollzug der ausgesprochenenGefängnisstrafe kam es nicht, vielmehr gab dieRegierung des Unterrheinkreises am 18. Au-gust 1843, wenige Tage also vor der Ver-fassungsfeier, einer Beschwerde des HeinrichRutz statt und stellte fest, dass die gegen Rutzverhängte Untersuchungshaft als rechtswidrigeinzustufen sei. Am 21. November des gleichenJahres erzielten Härter und Rutz einen nochgrößeren Triumph, als die von ihnenangerufene Regierung des Unterrheinkreisesauch das Urteil des Bezirksamtes vom 17. Juli1843 kassierte. Am 28. Februar 1844 veröffent-lichte die Mannheimer Abendzeitung diese fürOberamtmann Gockel peinliche Niederlage.

Ebenfalls noch aus dem Jahre 1843 wirkteein weiterer Streit hinüber ins Jahr 1844.37

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Hecker hatte 1843 das so genannte Totenlosgezogen, er musste sich damit der Wahlord-nung gemäß einer Neuwahl stellen, die ihn am20. November 1843 als Abgeordneten desWahlbezirks Weinheim-Ladenburg bestätigte.Zur Feier der Wiederwahl hielt Pfarrer GeorgFriedrich Schlatter eine kurze Ansprache, inder er späterer Erinnerung gemäß ausführte:„Der heutige Tag, meine Herren, ist geeignet,Sie mit einem Grundsatze auszusöhnen, derseit unserem Verfassungsfeste bei Ihnen ineinen gewissen Mißkredit gekommen war; ichmeine den Grundsatz: ,Ich halte es mit denLebenden!‘ Der wackere Vertreter dieses Wahl-bezirks, Herr Dr. Hecker, hat nämlich amSchlusse des vorigen Landtags das Todtenloosgezogen, das seinen Austritt aus der Kammerzur Folge hatte; Sie haben ihn durch dasResultat Ihrer heutigen Wahl wieder lebendiggemacht und in die Reihen der Volksvertretergerufen. Darum wird sich Ihre Abneigunggegen jenen mißfälligen Grundsatz heute inZustimmung verwandeln und Sie werdenfreudig einstimmen: Auch wir halten es mitden Lebenden!“

Nach dieser Huldigung für FriedrichHecker versetzte Pfarrer Schlatter dem Ober-amtmann, ohne ihn freilich zu nennen, einennoch schärferen Hieb. Der Grundsatz „Ichhalte es mit den Lebenden“ könne ein ganz„unschuldiger und gerechter“ sein, er könneaber auch „aus einer bloßen Nützlichkeits-theorie“ und aus der nicht unpolitischenBerechnung entspringen, dass „von einem Ver-storbenen keine Vortheile, Belohnungen undAuszeichnungen“ zu erwarten seien. Wie sehrdiese Bemerkung auf Gockel zielte, erhelltnicht zuletzt auch aus der Tatsache, dass demOberamtmann erst zu Beginn des Jahre 1843von Großherzog Leopold eine solche „Beloh-nung und Auszeichnung“ in Gestalt des Ritter-kreuzes des Ordens vom Zähringer Löwenzuteil geworden war.

Der in seiner Ehre angegriffene Ober-amtmann sollte bald Gelegenheit bekommen,sich an Schlatter für dessen kritische Bemer-kungen zu rächen. In Vorbereitung diszi-plinarischer Maßnahmen gegen den unbe-quemen Pfarrer forderte der KarlsruherOberkirchenrat Ende Dezember 1843 zu einemBericht über Schlatters Verhalten auf. Dies war

die Stunde des Oberamtmannes, konnte erdoch endlich die „Einmischung des PfarrersSchlatter in Heddesheim in weltlicheAngelegenheiten“ an höherer Stelle akten-kundig machen. In seinem Bericht vom 29.Dezember 1843 behauptete Gockel, Schlattersei vor der Wahl Heckers „beinahe jeden Tag“in Weinheim gewesen und habe dort „in ver-schiedenen Wirtshäusern politische Redengehalten“, beim Festmahl anlässlich derWiederwahl Heckers habe er darüber hinaus„mehrere aufreizende Toaste“ ausgebracht.Schlatter bestritt in einem „Offenen Send-schreiben“ in scharfem Ton die VorwürfeGockels. Dieser wiederum griff in dieser Lagezu einem für einen Beamten eher unge-wöhnlichem Mittel, indem er in derregierungskritischen Mannheimer Abend-zeitung vom 17. Februar 1844 eine „Erwide-rung“ auf Schlatters „Sendschreiben“ ver-öffentlichen ließ. Einer weiteren Antwort, soGockel, halte er „den Mann nicht werth“. Dieswiederum forderte „Sechzig Bürger“ ausHeddesheim zu einer „Beleuchtung“ auf, in dersie ihren Pfarrer gegen die Angriffe Gockels inSchutz nahmen.

Die Auseinandersetzung endete mit derVersetzung Schlatters auf die „Strafpfarrei“Mühlbach bei Eppingen. Zu seinem Abschiedam 27. Oktober 1844 versammelten sich inHeddesheim zahlreiche „Freunde und Ver-ehrer“ Schlatters, neben Weinheimer Freun-den und Einwohnern aus den umliegendenOrten waren auch Friedrich Hecker undAlexander von Soiron erschienen. HeckersTrinkspruch galt „dem Freimuthe, der Furcht-losigkeit und der Charakterfestigkeit“; Alexan-der von Soiron würdigte den „rechten Bürger“.„Ein Toast auf die Einwohner Heddesheims,ausgebracht von den zahlreichen anwesendenehrenfesten Weinheimern, wurde mit drei-fachem, stürmischen Hoch erwidert“.

Schlatters erzwungener Abzug aus demnahe gelegenen Heddesheim stellte für seineWeinheimer Freunde einen großen Verlust dar.Für sein geistiges Talent, seine rednerische,schriftstellerische und politische Begabunggab es keinen Ersatz in ihren Reihen. EinenTrost mochten sie allenfalls daraus ziehen, dassSchlatters erbitterter Widersacher, Ober-amtmann Gockel, ebenfalls seinen Platz in

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Weinheim räumen musste. Sein ungeschicktesVerhalten in den Affären der Jahre 1843 und1844 ließen es wohl seinen vorgesetztenDienststellen als ratsam erscheinen, ihn ausWeinheim zurückzuziehen. Anders alsSchlatter fiel er freilich die Treppe hinauf, aufgroßherzogliche Entschließung wurde er „mitdem Charakter als Regierungsrat“ zur Kreis-regierung nach Rastatt versetzt. Mit seinemNachfolger an der Spitze des Bezirksamtes,Oberamtmann August Freiherr von Teuffel, dervon Mosbach nach Weinheim versetzt wurde,sollten die Weinheimer Oppositionellen aller-dings erst recht keine Freude erleben. SeinenVorgesetzten ein unbequemer Untergebener,versah er seine Amtspflichten mit großer Ent-schiedenheit und Energie.

1844: DER DEM FORTSCHRITTHULDIGENDEBÜRGERMEISTER WEISBROD

Das Jahr 1844 sah noch eine Personalent-scheidung in Weinheim. Für den nicht mehrkandidierenden bisherigen BürgermeisterPhilipp Kraft wurde am 30. September derLandwirt Friedrich Weisbrod gewählt. Diedarauf bezogene Meldung in der MannheimerAbendzeitung vom 20. Oktober 1844 nennt ihneinen „braven, tüchtigen und dem Fortschritthuldigenden Mann“. Bei einer Feier des Wahl-sieges äußerte Weisbrod den Stolz, ein Wein-heimer Bürger zu sein, damit Bürgern zuzuge-hören, „die mit dem Geist der Zeit voran-schreiten und sich durch ihre Mündigkeit, diesie jederzeit bewiesen, die Achtung nicht alleinim In-, ja selbst im Auslande erworben haben.Ja, meine Herren!, es freut mich, einer Partheianzugehören, die sich durch keine Drohungenjeder Art, Dingen, vor denen sich nur Kinderund Blödsinnige fürchten, abschrecken zulassen, auf betretener Bahn des Fortschrittsfortzueilen.“

Als Mann des entschiedenen Fortschrittsordnete sich Weisbrod selbst der „Umsturz-parthei“, der „Weinheimer Gesellschaft“ zu, dienach ihrem schließlich führenden Vertreterauch die „Parthei des Härter“ genannt wurde.38

In Verlauf des Jahres 1848 schwenkte Weisbrodallerdings von der demokratischen zur kon-stitutionell-liberalen Richtung über, was ihm

erlaubte, auch nach der Niederwerfung derRevolution im Amt zu bleiben.

RUHE VOR DEM STURM

Für die Jahre 1845 bis einschließlich 1847sind, auf Weinheim bezogen, auffällige odergar spektakuläre Fälle politischen Protestesnicht mehr zu vermelden. Als erwähnens-wertes Zeugnis für politische Aktivitäten istimmerhin zu erwähnen die „Petition der Ein-wohner der Stadtgemeinde Weinheim zurUnterstützung der Zittel’schen Motion fürGlaubensfreiheit“, die unter dem Datum vom23. Januar 1846 an die „Hochachtbare ZweiteKammer der Volksabgeordneten“ gerichtetwurde.39 Im Zusammenhang mit der deutsch-katholischen Bewegung, die auch von Fried-rich Hecker in ihrem Bestreben nach Aner-kennung und Gleichberechtigung unterstütztwurde, hatte der Abgeordnete Karl Zittel in derZweiten Kammer die Gewährung völligerReligionsfreiheit gefordert. Die WeinheimerPetition forderte die Abgeordneten der ZweitenKammer dazu auf, „den § 18 der Verfassungs-urkunde, wornach [!] jedem Landesbewohnerungestörte Gewissensfreiheit verheißen wor-den, zur Wahrheit erheben zu wollen“.

Im November 1847 wurde Friedrich Heckerals Abgeordneter des Wahlbezirks Weinheim-Ladenburg bestätigt; seine Wähler entschiedensich in dieser Wahl nicht nur für den Mann,sondern vorsichtig ausgedrückt, auch für eingenauer umschriebenes Programm, das„Offenburger Programm“ vom September1847. Heckers Weinheimer Rede von 1843hatte freilich wesentliche Aspekte des Offen-burger Programms bereits vorweggenommen.Unmittelbar vor dem Ausbruch der März-revolution meldeten sich die Vereinigten Wein-heimer Zünfte am 21. Januar 1848 mit einerPetition zur Diskussion über eine neueGewerbeordnung zu Wort; der „Macht desGeldes und dem Fabrikwesen“ sollten Grenzengezogen werden, die „zur Erhaltung undHebung des Gewerbestandes als nothwendig“erkannt würden.40 Vom 27. Januar 1848 datiertschließlich eine weitere Petition aus Wein-heim, in der die Einführung von Schwur- undVergleichsgerichten gefordert wurde.41 „DasRecht des Volkes, an den Verhandlungen in

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Straf- und Rechtssachen Theil zu nehmen undmitzusprechen, ist so alt als das Menschen-geschlecht selbst. Nur der Faust des gewapp-neten Mittelalters, der Schlauheit einer ge-wandten Priesterschaft und eines eifersüch-tigen Aristokratismus konnte es möglichwerden, dieses heilige und natürliche Rechtden Völkern zu entziehen.“ Eine Vergleichs-gerichtsbarkeit sollte die „mit aller Machthereingebrochene Prozeßsucht“ dämpfen.„Männer des Volkes, mit gutem Willen undpractischen Kenntnissen ausgerüstet, von Zeitzu Zeit aus freien Wahlen berufen, sollenernannt werden, um Streitigkeiten […] imWege der Güte zu schlichten.“

Die weiteren Ereignisse des Jahres 1848sollten dann zeigen, in welchem Umfange inden Jahren des Vormärz der Grund dafür gelegtworden war, dass sich die Weinheimer Demo-kraten sehr schnell und mit Nachdruck in dieBewegung einbringen konnten. Der Stoß-seufzer des Weinheimer Amtmannes vomNovember 1848, Weinheim sei die „durch-wühlteste Gemeinde von ganz Deutschland“,42

ist sicher eine sehr subjektive Darstellung desleidgeprüften Beamten, die aber auf seinenErfahrungen mit der Weinheimer Anhänger-schaft von Hecker und Struve beruhte.

Anmerkungen

1 GLA 240/1690, 197.2 Zum Hintergrund vgl. Rainer Gutjahr: Die

Republik ist unser Glück. Weinheim in derRevolution von 1848/49. Hemsbach 1987 (= Wein-heimer Geschichtsblatt 32).

3 Gustav Allgayer: Albert Ludwig Grimm. SeinLeben, sein öffentliches und literarisches Wirken.Heidelberg 1931, S. 37.

4 Der Erscheinungsort ist Heidelberg 1832,„gedruckt bei Georg Reichard“.

5 Vgl. Gutjahr, wie Anm. 2, S. 24 ff.6 Paul Nolte: Gemeindebürgertum und Liberalismus

in Baden. Göttingen 1994, S. 81.7 GLA 236/8158; hier zitiert nach Heinz Schmitt:

„Hoch die Preßfreiheit“. Ein verfrühtes Freuden-fest der freien Presse in Weinheim 1832. In:Badische Heimat 3/1997, S. 344.

8 Dazu Nolte, wie Anm. 6, S. 88.9 GLA Personalakte A. L. Grimm; hier zitiert nach

Erich Reimers: Albert Ludwig Grimm (1786 bis1872). Leben und Werk. Diss. Wuppertal 1985,S. 318 ff.

10 Der Zeitgeist 1834, Nr. 76 (2. Juli 1834), S. 302.Kopie StA Weinheim Rep. 36 Nr. 3447.

11 Die Löwenapotheke war von 1827 bis 1839 imBesitz von Johann Adam Rudolph Karl Keller,Bürger und Apotheker in Weinheim. Frdl. Aus-kunft durch Frau A. Rößler, StA Weinheim.

12 Vermutlich der „Schwarze Ochsen“, Marktplatz 3.Im „Goldenen Ochsen“, Marktplatz 12, ruhte um1832 der Gastwirtschaftsbetrieb. Dazu: Hans PeterHerpel: Weinheims historische Gastwirtschaften,Weinheim 1990, S. 143 ff, 150 ff. (= WeinheimerGeschichtsblatt 36).

13 Dazu folgende Nummern des „Zeitgeist“ von 1834:73 (24. Juni 1834); 76 (2. Juli 1834); 80 (16. Juli1834); 85 (2. August 1834). Kopien StA WeinheimRep. 36 Nr. 3447. Zur Einordnung in den badi-schen Rahmen: Nolte, wie Anm. 6, S. 126 f.

14 Hauptstraße 115. Vgl. Herpel, wie Anm. 12,S. 119 ff.

15 Gutjahr, wie Anm. 2, S. 103. Andreas Cser:Letzeiser; in: Der Rhein-Neckar-Raum und dieRevolution von 1848/49, hg. vom Arbeitskreis derArchive im Rhein-Neckar-Dreieck. Ubstadt-Weiher1998, S. 225 ff.

16 Ludwig Häusser: Denkwürdigkeiten zu Geschichteder Badischen Revolution. Heidelberg 1851,S. 200.

17 Hans Fenske: Baden 1830 bis 1860; in: Handbuchder baden-württembergischen Geschichte Bd. 3.Stuttgart 1992, S. 90.

18 StA Freiburg i. Br. K 1/15 (Korrespondenz)Letzeiser, Joh. Bapt., 18. Aug. 1835. In Regesten-form bei Rüdiger von Trekow: Erlauchter Ver-theidiger der Menschenrechte. Die KorrespondenzKarl von Rottecks. Bd. 2: Regesten. Freiburg u.Würzburg 1990, S. 268. (= Veröffentlichungen ausdem Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau 26/2).Das Vornamenskürzel „W“ in der UnterschriftLetzeisers hier fälschlich als „JB“ gelesen und mit„Johann Baptist“ aufgelöst.

19 Karl Wild: Karl Theodor Welcker. Ein Vorkämpferdes älteren Liberalismus. Heidelberg 1913, S. 161u. 402.

20 Mannheimer Abendzeitung, 22. September 1844.21 Gutjahr, wie Anm. 2, S. 43 f.22 GLA 76/508. Der Vorgang auch bei Joachim

Eibach: Der Staat vor Ort. Amtmänner und Bürgerim 19. Jahrhundert am Beispiel Badens. Frank-furt/M./New York 1994, S. 106 (= HistorischeStudien 14).

23 Arbeitsgemeinschaft der Kreisarchive beim Land-kreistag Baden-Württemberg (Hrsg.): Die Amts-vorsteher der Oberämter, Bezirksämter und Land-ratsämter in Baden-Württemberg: 1810–1972.Stuttgart 1996, S. 175.

24 Wie Anm. 23, S. 279.25 Zu den Genannten vgl. Gutjahr, wie Anm. 2,

passim. Ferner: Rainer Gutjahr: Härter; in: DerRhein-Neckar-Raum, wie Anm. 15, S. 144 ff; HelgaMüller: Kinscherf; in: Der Rhein-Neckar-Raum,wie Anm. 15, S. 203 f.

26 Rainer Gutjahr: Diesbach; in: Der Rhein-Neckar-Raum, wie Anm. 15, S. 117 ff.

27 Gutjahr, wie Anm. 2, S. 38 ff.28 GLA 236/8768.29 Ebd.

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30 Hans-Joachim Hirsch: Löwenhaupt; in: Der Rhein-Neckar-Raum, wie Anm. 15, S. 229 ff.

31 Nach der Bearbeitung bei Gutjahr, wie Anm. 2,S. 40 f.

32 Peter Keßler, Wahlmann für die Wahlen zurZweiten Kammer, wanderte im Frühjahr 1849 mitseiner Familie in die USA aus. Sein Sohn Fritz fiel1863 als Soldat in der Brigade Friedrich Heckers inder Schlacht von Chattanooga. In einem BriefHeckers heißt es hierzu: „Hier fiel mancherunserer Braven. Darunter auch Fritz Keßler, Sohnmeines alten Weinheimer Wahlmannes“. GustavStruve: Friedrich Hecker in Amerika; in: DieGartenlaube 1865, S. 56 ff. Gutjahr, wie Anm. 2,S. 162.

33 Rainer Gutjahr: Schlatter; in: Der Rhein-Neckar-Raum, wie Anm. 15, S. 268 ff.

34 Gutjahr, wie Anm. 2, S. 48.35 Rainer Gutjahr: Drei Weinheimer Schlaglichter

auf 1848/49; in: Badische Heimat 3/1997, S. 391 ff.

36 Gutjahr, wie Anm. 2, S. 26 ff.37 Gutjahr, wie Anm. 2, S. 49 ff.38 Wie Anm. 1.39 StA Weinheim Fach 139 Nr. 2.40 Ebd.41 Ebd.42 GLA 236/8528. Hierzu auch Nolte, wie Anm. 6,

S. 353.

Anschrift des Autors:Rainer Gutjahr

Kösliner Straße 4176139 Karlsruhe

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262 Badische Heimat 2/2005

Es waren über 200 Gäste, die am 16. März2004 der Einladung der „Badischen Heimat“und des Staatsarchivs Freiburg ins Regierungs-präsidium Freiburg folgten – im Gedenken anden vor 50 Jahren verstorbenen früherenbadischen Staatspräsidenten Leo Wohleb.Der Hausherr, Regierungspräsident Dr. vonUngern-Sternberg, begrüßte und sprach inanerkennenden Worten über die politischenLeistungen in den schwierigen Jahren nachKriegsende und speziell über die Lebensleis-tung von Leo Wohleb. Große Anerkennungzollte er den Erbauern der Wohleb-Gedächtnis-Ausstellung: Dem künstlerischen GestalterHerrn Dettmann, dem Leiter des StaatsarchivsFreiburg Dr. Kurt Hochstuhl und Herrn Dr.Bernhard Oeschger, dem Regionalvertreter derFreiburger Gruppe der „Badischen Heimat“.

Der Landesvorsitzende der „Badischen Hei-mat“, Adolf Schmid/Freiburg, freute sich überdas unerwartet große Interesse; er bedankte sichvor allem für die Unterstützung des Regierungs-präsidiums, des Südwestrundfunks (StudioleiterSchneggenburger), der Badischen Staatsbraue-rei Rothaus (H. Dr. Nothhelfer) und den „Peters-taler Mineralquellen“ (Herrn Huber), HerrnBürgermeister Gamp/Auggen für die großzügigeWeinspende. Besonders herzlich begrüßt wurdeFrau Ilse Koch/Freiburg, die lange Jahre denWohleb-Haushalt geführt hat.

Die Gedenkfeier sollte deutlich machen, dassdie Erinnerung an Leo Wohleb und seine politi-schen Ziele in der badischen Geschichte immerihren hohen Stellenwert behalten wird – an LeoWohleb als dem Gewährsmann der „badischenMitgift“, für den „Heimat“ zu einem zentralenSchlüsselwort geworden ist, zum persönlichenund politischen Programm. Seit der Mitte der20er Jahre des letzten Jahrhunderts war Leo

Wohleb Mitglied der Paneuropa-Bewegung desGrafen Coudenhove-Kalergi, hier formte er seinpolitisches Weltbild auf dem Wege zum wertkon-servativen christlich orientierten Demokraten.Seine große Bewährungszeit folgte nach demKriegsende 1945, über die politischen Ausein-andersetzungen ist in Heft 1/2005 der „Badi-schen Heimat“ viel nachzulesen – in den hervor-ragenden Beiträgen von Prof. Weinacht und Dr.Hochstuhl. Der Leiter des Staatsarchivs Frei-burg, Dr. Kurt Hochstuhl, skizzierte in seinemVortrag im „Basler Hof“ (wie am Todestag Woh-lebs im „Colombi-Schlössle“) die wichtigstenbiografischen Stationen und die entscheidendenpolitischen Wendemarken im Leben Wohlebs.Einen besonderen Beitrag für die Ausstellungleistete er mit ausgesuchten „Reliquien“ aus dempersönlichen Umfeld Wohlebs.

Die Gesamtkonzeption der Wohleb-Ausstel-lung stammt wesentlich von Dr. Bernhard Oesch-ger, der mit der Unterstützung von Herrn Dett-mann und seines Teams eine hervorragende Prä-sentation bieten konnte – mit viel historischemBildmaterial und kostbaren, köstlichen Erinne-rungsstücken und mit sehr informativen Texten.

Insgesamt zeigt diese Ausstellung im „BaslerHof“ einen dokumentarisch sehr gelungenenQuerschnitt zu einem „echt badischen Leben“mit Höhen und Tiefen, eine angemesseneWürdigung für Leo Wohleb, den letzten Staats-präsidenten des selbstständigen Landes Baden,eines „sympathischen Verlierers“, der für immerzu den großen Badenern gezählt werden wird.

Anschrift des Autors:Adolf SchmidSteinhalde 74

79114 Freiburg

II. Leo Wohleb

! Adolf Schmid !

Leo Wohleb:2. September 1878–12. März 1955

Ausstellung und Gedenkfeier in Freiburg

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263Badische Heimat 2/2005

Regierungspräsident Dr. von Ungern-Sternberg Landesvorsitzender der „Badischen Heimat“ Adolf Schmid

Ausschnitt der Wohleb-Ausstellung im Regierungspräsidium Freiburg Fotos: Heinrich Hauß

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Dr. Hochstuhl, Direktor des Staatsarchivs Freiburg Dr. Öschger, Landesstelle für Volkskunde Freiburg

Erinnerungen an Leo Wohleb Fotos: Heinrich Hauß

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265Badische Heimat 2/2005

Links: Prof. Dr. Engler, Wissenschaftsminister a. D., rechts: Dr. Nothhelfer, Freiburger Regierungspräsident a. D.

Von links nach rechts:Adolf Schmid, Dr. von Ungern-Sternberg, Dr. Hochstuhl – dahinter Erich Birkle

Über 200 Personen bei der Wohleb-Gedenkfeier Fotos: Heinrich Hauß

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Wohleb-Büste im „Basler Hof“ Einladung zur Wohleb-Ausstellung in Freiburg/Regierungs-präsidium

Das alte badische Wappen aus großherzoglicher Zeit: gelb – rot – gelbFotos: Heinrich Hauß

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EINFÜHRUNGStellen wir ein Wort Goethes an den

Anfang: „Willst du immer weiter schweifen?Sieh, das Gute liegt so nah.“1 In den letztenJahrzehnten war es besonders augenfällig: Aufder einen Seite blicken wir weit hinaus, überKontinente hinweg, es geht das Wort von derGlobalisierung um, auf der anderen Seitefokussieren wir unserer Blick darauf, was unsnahe, vertraut ist. Das ist gut so!

Nun ist das Schauen in die Vergangenheitnicht nur ein Konstatieren dessen, was gesche-hen ist, sondern auch ein Bewerten des eige-nen Selbstverständnisses. Die Vergangenheitist ja die Grundlage der Gegenwart, und sieweist in die Zukunft; es gibt keine Zukunftohne Vergangenheit. Stets müssen wir deshalbunseren Standort bestimmen, wobei man„Standort“ verschieden begreifen kann. UnserStandort hier heißt: Baden – gelegen imHerzen Europas. Seit jeher ist der Menschnicht nur Akteur der Geschichte, er ist auchselbst Geschichte2.

Leopold von Ranke sagt, er wolle bloßzeigen, wie es eigentlich gewesen ist3. Dasbedeutet auch, dass wir nicht Richter unsererVorderen sind. Sie mögen gefehlt haben, aberauch wir fehlen. Aus diesem Grunde könnenwir auch die Frage außer acht lassen, ob diedeutschen Einzelstaaten Unglück waren odernicht. Der preußische Diplomat Graf Montsprägte den Begriff von Bismarcks Zaun-königen4. Jedoch: „Stärker als in größerenstaatlichen Gebilden lebte man im Duodez imGlanz der Residenz“5. Wohl deshalb sind Bild-unterschriften wie „Der alternde Großherzog

Friedrich I. als väterliche Integrationsfigur“oder „Schloßwache in Karlsruhe, Provinzresi-denz im Bismarckreich“ kaum angebracht6.

Werfen wir also unsere Blicke auf eine Zeit,die noch nicht einmal 100 Jahre vergangen ist,die gewissermaßen an der Schwelle unsererZeit liegt. „Nun denn, versuch es …“, meintder große österreichische Dichter Franz Grill-parzer7.

1.

Die Wirren der Französischen Revolutionund des nachfolgenden Napoleonischen Zeit-alters beschleunigten die „Erosion des AltenReiches“8 und führten zu dessen Ende: 1803Reichsdeputationshauptschluss, 1804 Kaiser-reiche Frankreich und Österreich, 1806 Rhein-bund und Ende des Heiligen RömischenReiches.

Es war dies ein juridisch umstrittener Akt9

– Napoleon spielte mit dem Gedanken, sichselbst zum Römischen Kaiser zu machen10.Der Untergang des Reiches wurde kaum beson-ders beachtet11, war aber doch im Bewusstseinvieler tief verwurzelt12.

Auf dem Reichsdeputationshauptschlusswurden geistliche Fürstentümer säkularisiert,Herrschaftsgebiete und Städte mediatisiert, diepolitischen und rechtlichen Grundlagen desReiches zerstört. Die deutschen Staaten hattenihre volle Souveränität erreicht, „der Staats-begriff hat den Reichsbegriff überwunden“13.Baden, „wo die Französischen Revolution nichtstattfand“14, war von der Markgrafschaft zumKurfürsten- und schließlich zum Großher-

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III. Baden in Europa

! Karl Josef Trauner !

Baden in Europa 1806–1918Erweiterte Fassung eines Vortrags, gehalten im Rahmen einer

Veranstaltung der Stiftung EUFORI (Stiftung für Wissenschaft und Kunst,Karlsruhe) am 27. Juni 2003 in Ettlingen

Badische Heimat 2/2005

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zogtum geworden. Durch die geschicktePolitik Sigismund von Reitzensteins, derzwischen Frankreich und dem Reich pendelte,hatte Baden, trotz der linksrheinischen Ver-luste, einen großen Gebietszuwachs erreicht,der das Vierfache seines bisherigen Gebietsbetrug.

2.

Auf dem Reichsdeputationshauptschlussforderte Napoleon die Bildung von Mittel-staaten; was aber tatsächlich beschlossenwurde, war schon vorher in Paris bestimmtworden. Reitzenstein hatte zum französischenAußenminister Talleyrand und dessen Gelieb-ter Mademoiselle Grant beste Beziehungenund auch das nötige Geld (23 000 Gulden) zurVerfügung15. Reitzenstein war aber nicht dereinzige Diplomat, der gefüllte Kassen an dieSeine trug.

Baden bekam alle Versprechungen undErwerbungen bestätigt: die Kurpfalz – Teile desHochstiftes Straßburg – das Hochstift Speyer –das Hochstift Basel – das Hochstift Konstanz –geistliche Gebiete im heutigen Mittel- undSüdbaden – Reichsstädte: Offenburg, Über-lingen. Der Markgraf wurde Kurfürst, zu dieserZeit nur noch ein Ehrentitel, der mit der Pfalzverbunden war. Der Beitritt zum Rheinbund1803 brachte dem Kurfürsten den Titel Groß-herzog und erneut Gebietszuwächse: die Herr-schaften Leinigen und Fürstenberg. Im Frie-den von Wien (1809) musste Württemberg dieLandgrafschaft Neuenburg an Baden abtreten;1819 kam die Herrschaft Hochgeroldseck vonÖsterreich an das Großherzogtum.

Das Staatsgebiet war nun abgerundet, nurwenige Exklaven gab es in Württemberg,Hessen und Hohenzollern. Die Exklave Büsin-gen inmitten der Schweiz ist noch heute eineuropäisches Unikat. Die württembergischen,hessischen und hohenzollerischen Enklavenspielten keine Rolle.

3.

3.1. Der neue Staat, als dessen BegründerSigismund v. Reitzenstein gilt16, musste nungestaltet werden. Es war schwierig, die Ge-biete, die zur alten Markgrafschaft gekommen

waren, zusammenzuschweißen; es warenvorderösterreichische Gebiete, Reichsstädte,Abteien, Ritterschaften. Der Staat war etwa aufdas Vierfache seines alten Territoriums ange-wachsen, die Einwohnerzahl hatte sich ver-fünffacht. Es wurden Verwaltungseinheitengeschaffen, worin die Bewohner früher eigen-ständiger Gebiete oft verschiedener Konfessio-nen zusammenlebten. Den neu hinzugekom-menen Untertanen fehlte es an dynastischerAnhänglichkeit an das großherzogliche Haus.„Der Deutsche bedarf aber einer Dynastie, derer anhängt. … Die Dynastien bilden über denPunkt, um den der deutsche Trieb nach Son-derung … seine Kristalle ansetzt“, meintBismarck17.

Leicht zu gewinnen waren die neuenUntertanen nicht. Noch fühlten sich die ehe-maligen Vorderösterreicher Wien oderFreiburg verbunden, jedenfalls eher als Karls-ruhe, die Kur-Pfälzer waren von ihren links-rheinischen Landsleuten getrennt, die Bewoh-ner der säkularisierten und mediatisiertenHerrschaften gerieten oft in Loyalitätskonflikteund traten immer wieder in Opposition zumneuen Staat, der auch konfessionell unein-heitlich war.

3.2. Dem neuen Staat musste „eine durch-aus neue Gestalt“ gegeben werden, forderteReitzenstein18, wobei er im Gegensatz zumLandesherrn stand, der den Ausgleich suchte.1803 wurden – ganz im Sinne des Fürsten – die13 Organisationsdekrete veröffentlicht, einWerk Friedrich Brauers; der alte Behörden-apparat wurde beibehalten, die alten Grenzenwurden die der neuen Verwaltungsstrukturen.„Ganz deutlich dominierte also bei dem Ver-such, den Gebieten eine neue innere Ordnungund damit zugleich eine innere Einheit zugeben, zunächst, … das Bestreben, die Ver-gangenheit in der Gegenwart ,aufzuheben“.Die Vergangenheit sollte zwar in einen neuenZustand überführt, aber zugleich, … in derSubstanz erhalten und damit das Ganze in denbestehenden … Traditionen verankert wer-den“, bringt es Lothar Gall auf den Punkt19.

1809 setzte dann Reitzenstein durch, dassfür das Land nach französischem Vorbild einzentralistisches System geschaffen wurde: DasGroßherzogtum wurde in zehn, später neunKreise geteilt, ohne auf historisch Gewordenes

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Rücksicht zu nehmen. An der Spitze der Ver-waltung stand ein Fachministerium, das un-mittelbar dem Großherzog verantwortlich war.

Auf dem Wiener Kongress wurde der Deut-sche Bund ins Leben gerufen, der von jedemMitglied verlangte, sich eine landständischeVerfassung zu geben. Baden erfüllte diese Ver-pflichtung, nachdem ihr schon Bayern, Sach-sen–Weimar–Eisenach und Hessen–Nassaunachgekommen waren. Auf dem AachenerKongress (1818) wurde die badische Ver-fassung von den europäischen Mächtenanerkannt. Sie ist das Werk Karl FriedrichNebenius und blieb – modifiziert natürlich –bis 1918 in Kraft20. Ziel der Verfassung war es,die Einheit des „Vielstaatengebietes“ zustärken, seine Integration, vor allem die seinerBewohner, voranzutreiben. Dies anerkanntenselbst so typische Vertreter des immer stärkerin Erscheinung tretenden Liberalismus wieKarl von Rotteck21.

Die neue Verfassung schuf dem Großher-zogtum in ganz Europa großes Ansehen22. Sieist zur Grundlage parlamentarischer Praxisgeworden23. Dem Landtag wurde ein eigenesGebäude errichtet, bei dessen EinweihungJohann Peter Hebel die Festrede hielt. DerGroßherzog zeigte eher Zurückhaltung, erdachte noch in absoluten Kategorien24. DieVerfassung aber hatte Baden zur konstitutio-nellen Monarchie gemacht. Vom Großherzogging zwar alle staatliche Gewalt aus, dieGesetzgebung oblag jedoch den beidenKammern, in denen Adel und Klerus (1.Kammer) sowie die Bürgerschaft (2. Kammer)vertreten waren. Justiz und Verwaltung warengetrennt. Als erstes Land begründete Baden1818 einen „Verwaltungsgerichtshof“ (in des-sen Gebäude das heutige VerwaltungsgerichtKarlsruhe untergebracht ist). Die Zehntenwaren abgeschafft; es gab Pressefreiheit. DasVerhältnis zwischen Ständen und Regierungwar durchaus nicht unharmonisch. 1819kühlte das Klima ab – Metternich hatte dieKarlsbader Beschlüsse durchgesetzt. Die Aus-einandersetzungen im Landtag verschärftensich, der Großherzog stärkte die Konser-vativen. Und die Weiterentwicklung des Kon-stitutionalismus ließ auf sich warten.

3.3. Exkurs. Die Würde „Großherzog“ gehtauf Papst Pius V. zurück. Sie wurde 1369

Cosimo I. Medici verliehen. Deshalb führtendas Prädikat die toskanischen Fürsten vom 16.bis zum 18. Jahrhundert. „Groß“ bedeutet indiesem Zusammenhang „Ansehen, Geltung“und verschmilzt mit „Herzog“ (Heerführer) zueinem Appellativ. Napoleon verlieh seinemSchwager Murat als Souverän von Berg 1805den Titel. Andere Fürsten folgten. Nach demWiener Kongress gab es im Deutschen Bunddie Großherzogtümer Luxemburg (bis 1866 imDeutschen Bund), Baden, Hessen, beide Meck-lenburg, Sachsen–Weimar–Eisenach und – seit1829 – Oldenburg. Der jeweilige Thronfolgerführte den Titel „Erbgroßherzog“. Mit derWürde eines Großherzogs ist das Prädikat„Königliche Hoheit“ verbunden (es wurde erst-malig Cosimo III. zugesprochen). Im 19. Jahr-hundert wurde das Prädikat von den großher-zoglichen Dynastien übernommen. „Hoheit“wurde ursprünglich eine Person hoher Würdegenannt. Das Adjektiv „königlich“ bedeutet imeigentlichen Sinn „von königlicher Würde,nach Art eines Königs, einem König ähn-lich“25.

In den ersten Jahrzehnten des jungenStaates traten dynastische Probleme auf, derenTragweite für die damalige Zeit nicht über-sehen werden darf.

1811 war Markgraf, Kurfürst und Großher-zog Karl Friedrich nach fünfundsechzigjäh-riger Regierungszeit gestorben. (In der Neuzeithatte nur Kaiser Franz Joseph den Thronlänger inne). Ihm folgte sein Enkel Karl(1811–1818), verheiratet mit einer Nichte dervormaligen französischen Kaiserin JosephineStephanie Beauharnais. Die Hochzeit war imJahre 1806 mit großem Pomp in Paris gefeiertworden. Der wenig arbeitslustige Großherzoghatte die Regierung von seinem vergreistenGroßvater übernommen. Da Karl unstet undpsychisch krank war26, er verfiel schließlich inSiechtum, wirkte sich das auf das Staatslebenäußerst hemmend aus. Es war ein Glück, dassder Großherzog von Reitzenstein in dieRegierung zurückholte. Aus der Ehe des groß-herzoglichen Paares gingen neben drei Töch-tern zwei Knaben hervor, die jedoch baldstarben. Hier wird die Geschichte KasparHausers relevant, des Findelkindes, das 1833 inAnsbach starb und als entführter Sohn desGroßherzogs galt, wie ein badischer Flüchtling

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namens Garnier in einer in Straßburg heraus-gegebenen Broschüre behauptete (1834). DerKnabe – so Garnier – sei von der Gräfin Hoch-berg geraubt worden, um ihrem Sohn dieThronfolge zu sichern. Die Gräfin Hochberg,eine geborene Freifrau Geyer von Geyersberg,war die zweite Gemahlin Großherzogs KarlFriedrichs27.

In Baden galt die Einheit des Erbfolge-gebiets. 1817 war das Haus- und Familien-statut erlassen worden, das die Unteilbarkeitdes Großherzogtums und das salische Erb-folgerecht (nur männliche Thronfolge) zumInhalt hatte.

Die Erbfolge ist schwierig zu schildern. DaKarl keinen Sohn hatte, folgte ihm sein OnkelLudwig (1818–1830), ein Sohn Karl Friedrichsaus dessen erster Ehe mit Karoline vonHessen-Darmstadt. Da aber Großherzog Lud-wig nicht standesgemäß verheiratet war, folgteihm sein Halbbruder Leopold, ein Sohn KarlFriedrichs und dessen zweiter Gemahlin Luisevon Hochberg auf dem Thron. Er war durchgroßherzogliches Edikt 1817 zum Markgrafenvon Baden erhoben und für sukzessionsfähigerklärt worden. Das Hausgesetz von 1817bedurfte aber völkerrechtlicher Anerkennung,wobei vor allem Bayern wegen der Pfalz Wider-spruch einlegte. Auf dem Aachener Kongresskonnte Minister Berstett durch geschickte Ver-handlungen jedoch die Anerkennung durch-setzen.

4.

Nirgendwo in Deutschland trafen Restau-ration und Liberalismus so aufeinander wie inBaden. Der Mord Karl Ludwig Sands an Augustvon Kotzebue im Jahre 1819 hatte u. a. zu denKarlsbader Beschlüssen geführt, die daraufabzielten, eine umfassende Überwachung derUniversitäten zu gewährleisten, um es einfachauszudrücken.

„Die Mordtat von Mannheim hat die Gesell-schaft deutlich polarisiert“, sagt Hug, es innuce fassend28. Von nun an stehen sich Res-tauration und Liberalismus gegenüber.

Die Gruppe der Liberalen und ihre Zielewaren jedoch keinesfalls homogen. Die Kon-stitutionellen unter Ludwig von Liebensteingingen von der Annahme aus, man könne

durch partielle Reformen alte Strukturen auf-brechen, den Obrigkeitsstaat überwinden.

Bei den Progressiven finden wir Karl vonRotteck, Carl Theodor Welcker und in denVierzigerjahren dann Gustav von Struve undKarl Mathy. Die Ideologen, um einen moder-nen Terminus zu verwenden, waren v. Rotteckund Welcker, die eine grundsätzliche neueVerfassung und Gesetzgebung forderten. DerAntiklerikalismus ging auf von Rotteckzurück29. Auch das Bürgertum war nichtgeschlossen, „am wenigsten im kleinbürger-lichen Baden“30. Und nur in Baden konntejene Figur entstehen, die einer ganzen Epocheden Namen gab und die dann nirgends so aus-geprägt zu finden war wie in Wien: der HerrBiedermeier. Die Figur schuf der DurlacherJurist Ludwig Eichrodt. In den „FliegendenBlättern“ war sie in den fünfziger Jahren zumersten Mal zu finden31.

Nach der Julirevolution in Frankreich(1830) taten sich in Baden wieder dieRadikalen hervor. So brachte etwa Welcker dieForderung im Landtag ein, der Deutsche Bundmöge die nationale Einheit fördern. „Allegroßen Lebensfragen der Nation fanden imbadischen Landtag eine Zufluchtsstätte“32. DerBundestag in Frankfurt übte Zurückhaltung,ebenfalls der Großherzog. Doch die Liberalenschlugen schärfere Töne an, z. B. bei der Fragedes Zollvereins. Mit Recht befürchtete man denEinfluss des absolutistischen Preußen, obwohldie Mitgliedschaft wirtschaftliche Vorteile mitsich brachte. „Lieber Freiheit ohne Einheit alsEinheit ohne Freiheit“, rief Rotteck33.

1835 trat Baden dem 1830 gegründetenZollverein bei; wirtschaftliche Überlegungenhatten den Ausschlag gegeben. Wie immeroder fast immer in der Geschichte: DieGruppen der Liberalen konnten sich nichteinigen, und schließlich kooperierten diegemäßigten Liberalen mit der Regierung.

Wie dem auch sei: Von Baden aus wurde dasliberale Gedankengut über ganz Deutschlandverbreitet, wurden Männer ermutigt, gegen dieRestauration aufzutreten. Am Maßstab der Zeitgemessen, war Baden tatsächlich ein liberalesMusterland34. Jedenfalls aber darf man mit Fugund Recht Baden als die Wiege des Libera-lismus bezeichnen. Ob er Segen oder Fluchwar – die Geister scheiden sich da.

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5.

Wenden wir uns dem Revolutionsjahr 1848zu35. Im Februar 1848 war es in Paris zuUnruhen gekommen, die bald auf Baden undandere Gebiete Deutschlands überschwappten.Da es immer wieder zu Agrar- und Industrie-krisen gekommen war, konnten sich dierevolutionären Ideen rasch ausbreiten. Aberdie politischen Kräfte waren uneins. DieDemokraten wollten die Republik, die Kon-stitutionellen einen deutschen Staatenbund,die Nationalen die Einigung Deutschlands.Nicht der Verlauf der Revolution soll und kannhier nachgezeichnet werden. Nur soviel seigesagt: Als erste Stadt wurde Mannheim vonder Revolution ergriffen; und obwohl sich dieRegierung verhandlungsbereit zeigte, kam eszu regelrechten Kämpfen zwischen Revolutio-nären und Bundestruppen. An den Heckerzugsei erinnert. Die Kämpfe gingen für die Revo-lutionäre schlecht aus, da sie u. a. zu wenigaktiven Zuzug hatten. Hinein in die Unruhenfielen die Wahlen zur Frankfurter Nationalver-sammlung. „In den folgenden Monatenherrschte allenthalben viel politische Aktivitätan der Basis, aber der politische Konsens warzerschlagen“36.

Der Versuch der Reichseinigung war imFrühjahr 1849 in der Frankfurter Paulskirchegescheitert; Friedrich Wilhelm IV. hatte dieKaiserkrone abgelehnt. Der Aufstand im Maidanach, der in Baden ausbrach, griff bald aufdas Militär über. In Rastatt meuterte die Besat-zung der Festung, der Großherzog floh undrief preußische Truppen zur Hilfe. Unter derFührung des Prinzen Wilhelm, des „Kartät-schenprinzen“, des späteren Kaisers Wilhelm I.und Schwiegervater Großherzog Friedrichs I.,wurde die Revolution niedergeschlagen. DerVollständigkeit halber und der Wahrheit wegensei hinzugefügt, dass auch Truppen andererBundesstaaten, so z. B. aus Württemberg, ander Niederschlagung beteiligt waren. Geschei-tert ist die Revolution u. a. auch am Des-interesse der Bevölkerung. „Es war eineIllusion gewesen, wenn man geglaubt hatte, imsüdwestdeutschen Winkel … einen freienVolksstaat errichten zu können“37. Vollmerzieht Bilanz: „Eine Stellungnahme zu Baden1848/49 wird also letztlich politisch bedingt

sein, das spricht für die innere Nähe derEpoche“38.

6.

Die Geschichte des Großherzogtumszwischen Revolution und Eintritt in das Reichzerfällt in drei Abschnitte, wovon die beidenersten mit dem Namen Franz von Roggenbach,der dritte mit dem Namen Ludwig von Edels-heim verbunden sind.

Auf Großherzog Leopold folgte 1832 seingeisteskranker Sohn Ludwig II. unter derRegentschaft seines Bruders Friedrich, der sich1856, noch zu Lebzeiten Ludwigs, zum Groß-herzog erheben ließ. Im gleichen Jahr hei-ratete er Luise von Preußen, die Tochter desPrinzen Wilhelm, des späteren ersten Deut-schen Kaisers. Franz von Roggenbach, einFreund des Großherzogs aus dessen Heidel-berger Studienzeit, war der Berater desFürsten. Für Ottnad, der Roggenbach denMarquis Posa des Großherzogs nannte, war erdie größte staatsmännische Begabung Badensim 19. Jahrhundert. Jedenfalls war er derSpiritus rector der badischen Politik39. Bis-marck schätzte v. Roggenbach naturgemäßanders ein. Er hielt ihm einen Mangel anAugenmaß und eine Verdunkelung despolitischen Blickes durch badischeHausmachtpolitik vor40.

Ein überaus wichtiges Ereignis der Innen-politik war die Auseinandersetzung mit derFreiburger Kurie, an deren Ende ein Gesetzstand, das das Verhältnis von Kirche und Staatregelte. Aber diese Auseinandersetzungenhatten auch andere Folgen: Man musste eineRegierung bilden, die der Landtagsmehrheitentsprach. „Eine solche ,parlamentarische‘Form der konstitutionellen Monarchie hatte esbis dahin in Deutschland nicht gegeben … (es)stellte eine wichtige Zäsur für die badische unddeutsche Geschichte dar“41. Von Roggenbachtrat 1861 als Außenminister in die Regierungein, nahm aber auch weiterhin großen Einflussauf die Innenpolitik. Es kam zu zahlreichenReformen auf wirtschaftlichem Gebiet, aufdem Gebiet der Unterrichts- und der Staatsver-waltung.

1865 wurde Ludwig von Edelsheim Außen-minister; er vertrat – im Gegensatz zum Groß-

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herzog – eine großdeutsche Politik und führteBaden, als der preußisch-österreichische Kriegausbrach, auf die Seite Österreichs. Im nach-folgenden Frieden trat Baden mit einemSchutz- und Trutzbündnis (so wie Bayern,Württemberg und Hessen) an die SeitePreußens. Zu einer engeren Verbindung dersüddeutschen Staaten kam es aus Furcht voreiner Dominanz Bayerns nicht. Baden drängteauf den Eintritt in den Norddeutschen Bund,scheiterte aber am Widerstand Bismarcks, dereinen gemeinsamen Eintritt der süddeutschenStaaten anstrebte.

1870 musste Baden wie die anderen süd-deutschen Staaten seine Bündnispflicht er-füllen und in den Krieg gegen Frankreichziehen. Im November schloss der Großherzogeine Militärkonvention mit Preußen ab undtrat schließlich dem Norddeutschen Bund bzw.dem Reich bei.

7.

Exkurs. Mit der Reichsgründung traterneut die Kaiserfrage auf. „In der Geschichtedes Kaisertums finden sich erhabene Ideen,romantische Verklärung und territorialeRealität oft eng einander“42.

Der Gedanke der Errichtung der Kaiser-würde tauchte schon im Norddeutschen Bundauf. Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningenwandte sich an andere Fürsten und meinte,sie, die Fürsten, stünden einem Kaiserwürdiger gegenüber als dem preußischenKönig. „Mit dem Kaiser“, so schreibt er,„würden wir auch die Süddeutschen gewin-nen“43. Besonders Kronprinz Friedrich Wil-helm von Preußen, der spätere KaiserFriedrich III., der Schwager GroßherzogsFriedrich, war von der Kaiseridee angetan.König Wilhelm konnte der Kaiserwürdenichts abgewinnen: „Was soll mir derCharaktermajor?“44. Wenn schon Kaiser, dannwollte er Kaiser von Deutschland werden,worauf Bismarck antwortete, dies sei des-wegen unmöglich, weil dieser Titel landes-herrliche Ansprüche zum Inhalt habe. Groß-herzog Friedrich sprach sich in einem Briefan König Ludwig von Bayern für die Über-tragung der Kaiserwürde an König Wilhelmaus.

Übergehen wir die Ereignisse der „Kaiser-werdung“ – Tatsache ist, dass schon seitDezember 1870 anstelle des Präsidiums desNorddeutschen Bundes der Kaiser getretenwar. Als sich die Fürsten, Diplomaten, Militärsund Abordnungen verschiedener Regimenter –auch der junge Paul von Hindenburg wardarunter45 – im Spiegelsaal von Versailles ver-sammelten, um der Kaiserproklamation bei-zuwohnen, war die Titelfrage noch unent-schieden. Auch wenn man die Kriegssituationin Betracht zieht, der Ort der Proklamationwar jedenfalls falsch gewählt. Der DeutscheKaiser hätte auf deutschem Boden ins Lebengerufen werden müssen; außerdem wurdeFrankreich durch den Festakt gedemütigt, waszu den Spannungen zwischen den beidenLändern in den folgenden Jahrzehnten nichtunerheblich beigetragen hat. Wilhelm bestandauf dem „Kaiser von Deutschland“; Bismarckkonnte nicht nachgeben, was noch am Vortagder Proklamation zu heftigen Meinungsver-schiedenheiten führte. Auch GroßherzogFriedrich, den Bismarck um Unterstützungbat, konnte nichts ausrichten. Beim Festaktdann – Anton von Werner hielt ihn mit dembekannten Gemälde fest – brachte der Groß-herzog von Baden ein Hoch auf seineKaiserliche und Königliche Majestät aus.Wilhelm war überrumpelt worden46. Derbadische Großherzog löste mit seinem Hochnicht nur die Titelfrage, er hob damit auch dasdeutsche Kaisertum aus der Taufe.

8.

Baden stand im neuen Reich, was denFlächeninhalt betrifft, an vierter Stelle der 25Staaten. Geblieben waren ihm die Bier- und dieBranntweinsteuer sowie das Gesandtschafts-recht; die badischen Truppen wurden im XIV.Armeekorps vereinigt47. Im Bundesrat führteBaden drei Stimmen, war aber in der Reichs-politik inaktiv. Im Bundesrat brachte es keineneinzigen Gesetzesentwurf ein und machte auchvon dem Recht, drei Stellvertretende Bevoll-mächtigte in den Bundesrat zu entsenden,keinen Gebrauch48. Die großen Entschei-dungen fielen in Berlin, wenn auch der Groß-herzog immer wieder versuchte, persönlichenEinfluss zu nehmen.

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Über 50 Jahre regierte er streng konsti-tutionell – als Paladin der Reichsgründung warer ein „statuarisches Monument“49. Diebadische Innenpolitik war vom Kulturkampf,der von Preußen ausgegangen war, rechtbelastet; der Kulturkampf erreichte im Groß-herzogtum außerhalb der schwarz-weißenGrenzpfähle seine härteste Ausprägung, galtdoch Baden als liberale Hochburg.

Dreierlei ist noch zu erwähnen: Die Bezie-hungen zu Bayern und Württemberg währendder Zeit des Deutschen Reiches waren denkbarschlecht; vergebens bemühte sich der Groß-herzog, sie zu verbessern. Der wirtschaftlicheund soziale Wandel, der Aufstieg der Arbeiter-schaft erfolgte natürlich auch in Baden; derAusbau der Bildungseinrichtungen schrittrasch voran; Baden blieb das „Musterland“.

1907 starb Großherzog Friedrich I. Ihmfolgte sein Sohn Friedrich II.; seine Ehe mitHilde von Nassau blieb kinderlos. Er „standhinter dem Vater als Persönlichkeit zurück“;führte aber im Wesentlichen dessen Politikfort50. 1914 brach der Krieg aus. Die NäheFrankreichs war für das Land nicht ungefähr-lich, drangen doch die Franzosen bis Mühl-hausen vor. Die badischen Truppen waren aufallen Kriegsschauplätzen eingesetzt, wo sie derGroßherzog immer wieder besuchte. Einbesonderes Kapitel waren die französischenLuftangriffe. Sie richteten sich vorerst nurgegen militärische Ziele; seit 1916 wurden aberauch die Städte, vor allem Karlsruhe, ange-griffen. Insgesamt zählte man über 80 Angriffe.Große Aufregung verursachten französischeFlieger im Juni 1915, die das KarlsruherSchloss anflogen, wo sich zu dieser ZeitKönigin Viktoria von Schweden, die Schwesterdes Großherzogs, aufhielt, eine Tatsache, die inParis nicht unbekannt gewesen sein dürfte.

Der Zusammenbruch des Reiches führteauch in Baden zum Sturz der Monarchie. DieNovemberrevolution verlief aber im Großher-zogtum ohne größere Unruhen. Am 22.November dankte Großherzog Friedrich II. ab.Die großherzogliche Familie musste dasSchloss verlassen. „Raus mit der Alten, derLuise“; forderte der Revolutionär HeinrichKlumpp die fünfundachtzigjährige Großher-zoginwitwe auf; den Großherzog bezeichneteer als den größten Lumpen Badens51.

9.

Im 19. Jahrhundert traten immer wiederBestrebungen auf, Baden zum Königreich zuerheben52. Das Großherzogtum war ja größerals das Königreich Sachsen.

Gall erwähnt, dass schon bei der Erhebungzum Großherzogtum vom Königreich die Redewar, was ich anhand der Quellen aber nichtbestätigen kann. Wenn man bedenkt, dass v.Roggenbach 1866 der Vergrößerung Badensauf Kosten Bayerns das Wort redete, so darfman sich nicht wundern, dass Bismarck dieimmer wieder auftretenden Anregungen (erbezeichnete sie als Gerüchte) auf v. Roggen-bach zurückführte. 1870 hatte sich vielleichtdie Möglichkeit ergeben, Baden und das Elsasszu einem „Königreich Alemannien“ zu ver-einen – und der Großherzog war auch nicht apriori dagegen –, doch Minister Julius Jollyglaubte, Baden würde mit dieser Aufgabe nichtzurecht kommen. 1881 tauchte die Fragewieder auf. Doch diesmal pflichtete der Groß-herzog den Bedenken seines Schwagers Kron-prinz Friedrich Wilhelm bei. 1896 erschieneine Broschüre, die erneut das Problem auf-warf, und 1901, anlässlich des fünfzigjährigenRegierungsjubiläums Friedrichs I. im Jahre1902 wurde wieder darüber gesprochen. DieFrage der Erhebung zum Königreich muss inZusammenhang mit der Persönlichkeit Fried-richs I. gesehen werden, dem Bismarck inseinen „Gedanken und Erinnerungen“ eineigenes Kapitel widmet und der „… im deut-schen historischen Bewusstsein seinen festenPlatz (hat)“53.

10.

Auf den Gebieten der Kultur und Wirt-schaft hat Baden Europa reich beschenkt. ZweiUniversitäten stellte das Land der Wissenschaftzur Verfügung: Freiburg und Heidelberg,wobei die Gründung der Akademie derWissenschaften in Heidelberg (1909) einenHöhepunkt darstellt. In Karlsruhe wurde aneiner Technischen Hochschule gelehrt. In derResidenz leitete seit 1899 Hans Thoma die Aka-demie der Bildenden Künste. Eduard Devrientund Felix Mottl, der eine als Theatermann, derandere als Dirigent, aus Wien gekommen,

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waren bedeutende Vertreter der musischenKünste.

Clemens Brentano und Achim von Arnimwaren zwar keine Badener, aber die bedeu-tendsten Vertreter der jüngeren, der Heidel-berger Romantik. Berthold Auerbach mitseinen Schwarzwälder Geschichten und derschon genannte Ludwig Eichrodt müssenerwähnt werden, ebenso der Philologe Josephvon Laßberg, auf dessen Schloss in MeersburgAnnette von Droste-Hülshoff wirkte. Diebedeutendsten literarischen Vertreter aber sindzweifelsfrei Johann Peter Hebel und JosephViktor von Scheffel.

Die erste Hälfte der rund hundertzwanzig-jährigen Geschichte des Großherzogtumszeitigte bedeutende wirtschaftliche Projekte,als deren wichtigstes wohl die Rhein-regulierung durch Johann Gottfried Tulla ab1817 ist. „Die … Rheinregulierung ist eine dergewaltigsten Ingenieurleistungen des 19. Jahr-hunderts geworden“54. Zehn Jahre nachBeginn der Arbeiten fuhren schon Dampf-schiffe auf dem Rhein, 1840 wurde der Mann-heimer Hafen eröffnet. Der Eisenbahnbausetzte ein. 1851 wurde die erste Telegraphen-linie dem Verkehr übergeben. In der zweitenHälfte des 19. Jahrhunderts begann die Indu-strialisierung: Carl Benz aus Mannheim kon-struierte sein erstes Motorfahrzeug, ein Drei-rad; doch schon rund zehn Jahre später ent-stand das Mannheimer Werk und ein Wagenmit 3,5 PS. Um das Ausmaß der Industriali-sierung abzustecken, genügt es, ein paarNamen großer Firmen zu nennen: BASF inMannheim, Schiesser in Radolfzell, Gritzner,später Pfaff in Durlach, Sunlicht in Mannheim,Kathreiner und Kaloderma in Karlsruhe.

11.

Baden ist – ein Zufall der Geschichte? – sowie mit der Entstehung, so auch mit demUntergang des Kaiserreiches eng verbunden.Die Ehe Großherzog Friedrichs II. war, wieerwähnt, kinderlos geblieben. Thronfolger warder Sohn seines Bruders Wilhelm, Prinz Max55.Prinz Max war Präsident der Ersten Kammerund galt als Liberaler mit Führungstalent, alsein Mann der Verständigung. Der preußischeGeneral Karl von Einem nennt den Prinzen, als

er mit Großherzog Friedrich die Westfrontbesuchte, international veranlagt und einentraurigen Gesellen56. Schon 1917 verfolgte derPrinz den Plan einer Friedensoffensive undkam als Nachfolger des Reichskanzlers Micha-elis ins Gespräch. Doch erst am 3. Oktober1918 wurde er vom Kaiser, nach Zustimmungdes Großherzogs, zum Nachfolger Graf Hert-lings als Reichskanzler bestellt. Mit Prinz Maxkam das parlamentarische System. Er konntesich mit der Absicht, ein Friedensangebot vor-zulegen, vor allem gegen Ludendorff nichtdurchsetzen. Er antwortete dem amerikani-schen Präsidenten Wilson auf eine Note, dassdie Macht in Deutschland von einer Volks-regierung ausginge, da sozialdemokratischeStaatssekretäre ernannt worden waren. Wasaber auch der Prinz nicht imstande war: denKaiser zum Thronverzicht zu bewegen57. Soließ Prinz Max am 9. November durch dasWolffsche Telegraphenbureau mitteilen, Wil-helm II. habe als Deutscher Kaiser und Königvon Preußen abgedankt. Zur gleichen Zeit riefPhilipp Scheidemann die Republik aus, undPrinz Max legte die Regierungsgeschäfte in dieHände seines badischen Landsmannes Fried-rich Ebert58. Prinz Max hat damit dieMonarchie zu Grabe getragen, nicht nur diedeutsche und die der Einzelstaaten, sondernauch die badische, seine eigene! Wir müssensagen: Der Großvater des Prinzen, GroßherzogFriedrich I., hob das Kaisertum aus der Taufe,sein Enkel trug es zu Grabe. So standen alsobadische Fürsten am Anfang und am Endeeines Reiches, das als Monarchie nicht einmalein halbes Jahrhundert existierte.

Was könnte die Geschichte des Großher-zogtums Baden lehren, was könnte Europalernen? Dass eine weise Regierung Wirtschaftund Wohlfahrt, Wissenschaft, Kunst und Bil-dung zu hoher Blüte führen kann, wenn sieEigeninitiative der Akteure und vernünftigeLenkung der Staatsgeschäfte unter einemDach vereinen kann, wenn nur der Rahmenund der Raum überschaubar bleiben. Manch-mal springt ein Funke aus der Vergangenheitauf die Gegenwart, ja auf die Zukunft über.

Baden liegt zwar im äußersten SüdwestenDeutschlands, aber inmitten der Euroregionmittlerer Oberrhein, eng mit den NachbarnPfalz und Elsass verbunden. Das frühere

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Musterland könnte unserem Kontinent Bei-spiel sein. Enden wir, wie wir begonnen haben,mit Goethe: „Was du ererbt von deinen Vätern,erwirb es, um es zu besitzen“59.

Literatur

– Otto Baumgarten, Der Anteil Badens an derReichsgründung, Tübingen 1924.

– A. Baumhauer, Franz Freiherr von Roggenbach,der badische Staatsmann und letzte badischeAußenminister. Vortrag gehalten im Museumsver-ein Lörrach. Schriftenreihe des MuseumsvereinsLörrach 2, Lörrach 1954.

– Erich Bayer (Hg), Wörterbuch zur Geschichte,Stuttgart 1974-4.

– Hans-Otto Binder, Reich und Einzelstaaten wäh-rend der Kanzlerschaft Bismarcks. TübingerStudien zur Geschichte und Politik, Tübingen1971.

– Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinne-rungen, Stuttgart-Berlin 1898, 1919.

– Elisabeth Fehrenbach, Die territoriale Neuord-nung des Südwestens, in: Die Geschichte Baden-Württembergs, hgg. von Reiner Rinker und Wil-fried Setzler, Stuttgart 1987-2.

– Walther Peter Fuchs, Großherzog Friedrich vonBaden und die Reichspolitik 1871–1902. 1. Band1871–1879, Veröffentlichungen der Kommissionfür geschichtliche Landeskunde in Baden-Würt-temberg, Reihe A, 15. Band, Stuttgart 1968.

– Lothar Gall, Gründung und Politische Entwick-lung des Großherzogtums bis 1848, in: BadischeGeschichte, hgg. von der Landeszentrale fürpolitische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart1979.

– A. Glock, Bürgerkunde Baden, Karlsruhe 1912.– Wolfgang Hug, Geschichte Badens, Stuttgart 1992.– Hans Jürgen Kremer, Heiter bis wolkig mit

gelegentlichen Schauern. Das GroßherzogtumBaden im preußisch-deutschen Kaiserreich; in:Vom Fels zum Meer, Tübingen 2001.

– Bernhard Mann, Anfänge des Verfassungsstaates(1815–1830), in: Die Geschichte Baden-Württem-bergs, hgg. von Reiner Rinker und Wilfried Setzler,Stuttgart 1987-2.

– Bernd Ottnad, Politische Geschichte von 1850 bis1918, in: Badische Geschichte, hgg. von derLandeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 1979.

– F. Schnabel, Das Land Baden und die Revolution1848/49; in: W. Keil (Hg), Deutschland 1848–1948,Stuttgart 1948.

– Klaus Schwabe (Hg), Die Regierungen derdeutschen Mittel- und Kleinstaaten 1815–1933.Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte.Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit,Band 14, Boppard am Rhein 1983.

– Die süddeutschen Staaten zwischen Königgrätzund Versailles, in: AHS 2/79, Wien.

– Carl Eduard Vehse, Die Höfe zu Baden, Leipzig-Weimar 1992.

– Franz X. Vollmer, Die 48er Revolution in Baden,in: Badische Geschichte, hgg. von der Landes-zentrale für politische Bildung Baden-Württem-berg, Stuttgart 1979 (Vollmer I).

– Franz X. Vollmer, Vormärz und Revolution1848/49 in Baden. Strukturen, Dokumente, Frage-stellungen. Modelle zur Landesgeschichte. Frank-furt 1979 (Vollmer II).

– Hans Georg Zier, Politische Geschichte Badens1918–1933, in: Badische Geschichte, hgg. von derLandeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 1979.

Anmerkungen

1 Aus Goethes Vierzeiler „Erinnerung“.2 Richard van Dülmen, Historische Anthropologie.

Entwicklung-Probleme-Aufgaben, Köln–Weimar–Wien 2000, 32.

3 Geschichte der romanischen und germanischenVölker von 1494–1514 (Sämtliche Werke 33/34),Leipzig 1885-3, 7.

4 Zit. nach Helmut Reichold, Bismarcks Zaun-könige, Duodez im 20. Jahrhundert, Paderborn1977, 8.

5 Reichold a. a. O.6 Badische Geschichte. Vom Großherzogtum bis zur

Gegenwart. hgg. von der Landeszentrale fürpolitische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart1979, Tafeln 61, 60.

7 Aus dem Gedicht „Zwischen Gaeta und Kapua“.8 Hug 194.9 Vgl. Hugo Hantsch, Die Geschichte Österreichs

1648–1918, Graz-Wien-Köln/Rhein 1952, 278.10 Vgl. Erich Zöllner Geschichte Österreichs, Wien

1961, 337.11 Vgl. dazu Egmont Zechlin, Die deutsche Einheits-

bewegung (Deutsche Geschichte 3/1), Frank-furt/M.-Berlin 1967, 18 – Einhart (d. i. HeinrichClass), Deutsche Geschichte, Leipzig 1919, 221zitiert die Mainzer Zeitung: „Deutschland ist tot,endlich und für alle Zeit“. Hagen Schulze, Kleinedeutsche Geschichte, München 1996, 85, erzählt,dass Goethe bemerkte, ein Streit seines Kutschershabe ihn mehr interessiert als die Nachricht vomEnde des Alten Reiches.

12 Zöllner a. a. O.13 Hantsch a. a. O.14 Henning Ottmann, Politisches Denken in Baden

während und nach der Französischen Revolution,in: Otto Mühleisen (Hg.), Die FranzösischeRevolution und der deutsche Südwesten, Mün-chen–Zürich 1989, 10.

15 Hug 195.16 Vgl. Fehrenbach 215; Gall 14.17 Bismarck 264, 269.18 Gall 16.19 Gall 18.20 Hug 210; vgl. dazu Glock 377 ff.21 Hug 212.22 Hug 213.23 Hug 211.24 Hug 213, erzählt eine hübsche Episode: Großher-

zog Ludwig … „nahm die Verfassung formal sehr

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ernst, wenn er auch in den Abgeordneten nachpatriarchalischem Muster gern seine Gefolgsleutesah: Bei der Landtagseröffnung trank er aus einemPokal mit badischem Wein auf die Gesundheit derStände und ließ nach alter Sitte den Pokalkreisen“.

25 Bayer 196, 218.26 Hug 209.27 Vgl. Vehse 119 ff; hingewiesen sei auch auf den

Roman Jakob Wassermanns: Kaspar Hauser.28 Hug 237.29 Hug 238; Mann 227.30 Hug 240 zitiert Friedrich Engels (Marx-Engels

Werke 7, Berlin 1973, 138): „Das höchste Ideal desbadischen Kleinbürgers und Bauern blieb immerdie kleinbürgerlich-bäuerliche Republik (wie inder Schweiz). Ein kleines Tätigkeitsfeld für kleineLeute, der Staat eine etwas vergrößerte Gemein-de, … eine kleine stabile, auf Handarbeit gestützteIndustrie, die einen schläfrigen Gesellschafts-zustand bedingt, … lauter Mittelstand und Mittel-mäßigkeit keine sozialen Kollisionen, … sondernein stilles, gemütliches Leben aller in Gottselig-keit …“.

31 Vgl. dazu Gero von Wipert, Sachwörterbuch derLiteratur, Stuttgart, 1979-6, 92 f – Richard M.Meyer, Die deutsche Literatur des 19. Jahr-hunderts, Berlin 1910, 1. Teil, 445 – Eduard Engel,Geschichte der Deutschen Literatur von denAnfängen bis in die Gegenwart, Leipzig 1920,2. Band: Das 19. Jahrhundert und die Gegenwart,213.

32 Hug 240. Hug zitiert den Historiker LudwigHäusser, weiter den Schweizer Dichter HeinrichZschokke mit dem Satz: „Das Wort, im Ständesaalzu Karlsruhe gesprochen, klang erhebend,beruhigend, belehrend, vom Fuße der Alpen biszum Ufer des deutschen Meeres wider“. Vgl. dazuJosef Nadler, Literaturgeschichte der deutschenStämme und Landschaften, IV. Band: Der deutscheStaat (1814–1914), Regensburg 1928.-1,2, 317.

33 Zit. bei Hug 241 und Gall 33.34 Hug 261.35 Dazu Schnabel; Vollmer I. und Vollmer II.36 Hug 253.37 Vollmer I, 62.38 Vollmer I, 64.39 Ottnad 68.40 Bismarck 602.41 Hug 261.42 Theodor Schieffer, Die deutsche Kaiserzeit (900 bis

1250), (Deutsche Geschichte 1/1), Frankfurt/M.–Berlin–Wien 1973, 25.

43 Brief an Großherzog Carl Alexander von Sach-sen–Weimar–Eisenach vom 22. Dezember 1866.Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, HA 130.(Er liegt mir in Faksimile vor).

44 Bismarck 426.

45 Generalfeldmarschall von Hindenburg, Ausmeinem Leben, Leipzig 1920, 41 f.

46 Bismarck 431.47 Die Branntweinsteuer blieb Baden bis 1887

(Eduard Bock, Staatsrecht des Deutschen Reiches,Stuttgart 1902, 18). Baden unterhielt nur zweiinnerdeutsche Gesandtschaften: in Bayern undin Preußen, wobei der Gesandte in Münchenauch bei Württemberg, der in Berlin seit 1909auch bei Sachsen beglaubigt war (Hans-JoachimSchreckenbach, Innerdeutsche Gesandtschaften1867–1945, in: Archivar und Historiker, zum65. Geburtstag Heinrich Otto Meisners, Berlin1956, 425). Die badischen Regimenter führten denZusatz „badisch“ (vgl. dazu Das deutsche Heernach dem Gesetz vom 3. Juli 1913, München1975-8, 44 f.

48 Ottnad 77 f.49 Fuchs 1*.50 Ottnad 48.51 Hans Riehl, Als die deutschen Fürsten fielen,

München 1979, 182. Zier 145 beschönigt dasGeschehen, indem er „das Betragen des MatrosenHeinrich Klumpp“ als „einzelnes Ereignis“ be-zeichnet.

52 Vgl. dazu Gall 15 – Bismarck 602; Baumgarten16 ff – Ottokar Lorenz, Friedrich, Großherzog vonBaden, Berlin 1902, 33 – Hans Lohmeyer, DiePolitik des Zweiten Reiches, Berlin 1939, 2. Band,256 – Chlodwig Fürst Hohenlohe–Schillingsfürst,Denkwürdigkeiten, Stuttgart–Leipzig 1907, 2.Band, 22 – Europäischer Geschichtskalender 1881,München, 231 – Ludwig Raschdau, In Weimar alsPreußischer Gesandter, Berlin 1939, 48.

53 Fuchs 1*.54 Hug 251.55 Vgl. dazu Prinz Max von Baden, Erinnerungen und

Dokumente, Stuttgart 1968 (ND).56 Ein Armeeführer erlebt den Weltkrieg. Persönliche

Aufzeichnungen des Generalobersten von Einem.hgg. von Junius Alter, Leipzig 1938, 257.

57 Vgl. Kaiser Wilhelm II., Ereignisse und Gestaltenaus den Jahren 1878–1918, Leipzig und Berlin1922, 239 f – Fritz Härtung, Deutsche Geschichte1871–1919, Leipzig 1939-4, 361.

58 Vgl. Hartung a. a. O.59 Goethe, Faust I., Nacht, Text Faust.

Anschrift des Autors:Hofrat Dr. phil. Karl Josef Trauner

Tewelegasse 16A-1130 Wien

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1. LEBENSLAUFDer Verfasser hat im Heft 3/2003 der

Badischen Heimat über die ParlamentstätigkeitMarie Bernays als einer der ersten badischenParlamentarierinnen berichtet. Die erste Red-nerin im badischen Parlament in Karlsruhenach Einführung des Frauenwahlrechts waraber Marianne Weber, die Frau des berühmtenSoziologen Max Weber. Sie hat am 15. Januar1919 die Bedeutung dieses Tages herausgestellt,weil damals zum ersten Mal Frauen in denbadischen Landtag eingezogen sind.

Marianne Weber wurde am 2. August 1870in Oerlinghausen bei Bielefeld als Tochter desArztes Eduard Schnitger geboren. Mütter-licherseits stammte Marianne aus einer Biele-felder Patrizierfamilie, ihr Großvater CarlDavid Weber gründete in Bielefeld ein führen-des Leinenunternehmen. Die Kindheit ver-brachte Marianne in Lemgo bei ihrer Groß-mutter väterlicherseits, weil ihre Mutter frühverstorben und ihr Vater geisteskrank war.1 Siebesuchte die höhere Mädchenschule zu Lemgound später ein Mädchenpensionat in Hanno-ver, wobei der Ausbildungsschwerpunkt aufFremdsprachen und Musik lag. 1892 wurde sievon Verwandten nach Berlin eingeladen, wo siesich im Malen weiterbilden sollte. Hier lerntesie ihren späteren Mann Max Weber kennen,2

den Neffen von Carl David Weber.3

1893 heirateten Marianne und Max Weberin Oerlinghausen, ein Jahr später wurde MaxWeber an die Universität Freiburg, 1897 an dieUniversität Heidelberg berufen. Hier studierteMarianne Weber als eine der ersten FrauenDeutschlands ohne Abschluss an den beidenUniversitäten Philosophie und Nationalöko-

nomie. „Die Möglichkeit einer systematischenAuseinandersetzung mit kulturellen undwissenschaftlichen Fragen eröffnete sich ihrerst nach ihrer Heirat. Als Ehefrau desNationalökonomen Max Weber stand ihr dieTeilnahme an den Seminaren seiner Kollegenoffen.“4 Sie war nicht nur für den Haushaltzuständig, sondern sie wollte wissenschaftlicharbeiten und ihrem Mann eine ebenbürtigePartnerin sein. Sie interessierte sich für diebürgerliche Frauenbewegung und gründete inHeidelberg die Sektion des Vereins „Frauen-studium-Frauenbildung“ und übernahm des-sen Vorsitz. Ihr Ziel in der Frauenbewegungfür alle Frauen war das Recht auf Ausbildungder Fähigkeiten und die Teilnahme am öffent-lichen Leben. Schon 1907 veröffentlichte sieein Buch über die Problematik Ehefrau oderMuttersein.5 Dieses schwierige Verhältnisuntersuchte sie in ihrem Buch bei verschiede-nen Völkern. 1919 wurde sie für GertrudBäumer als Vorsitzende des Bundes deutscherFrauenvereine gewählt.6 Ihr Mann unter-stützte sie in ihrem geistigen und politischenStreben, auch bei der Tätigkeit im verfassungs-gebenden badischen Landtag. Hier war sie vonJanuar bis Oktober 1919 Mitglied in derFraktion der Deutschen DemokratischenPartei7, gleichzeitig Schriftführerin der badi-schen Nationalversammlung und Mitglied derPetitionskommission.8

Nach dem überraschenden Tod ihresMannes zog sich Marianne Weber aus demöffentlichen Leben zurück. Wann sie aus dembadischen Landtag ausgeschieden ist, ist nichtmehr genau nachzuvollziehen. Fest steht, dassihre Mandatsniederlegung in der zweiten Sit-

IV. Geschichtliche Themen

! Konrad Exner !

Marianne WeberDie erste Rednerin im badischen Parlament

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zungsperiode des ersten Landtags am 21. Okto-ber 19199 von Landtagspräsident Kopf bekanntgegeben wurde. Wahrscheinlich ist sie aus demParlament ausgeschieden, weil sie mit ihremMann nach München gezogen ist, wo er kurzvor seinem Tod 1920 noch eine Professoren-stelle angetreten hatte. Ihre Ehe war kinderlosgeblieben, sie erzog aber jetzt die vier Kinderder kurz vorher verstorbenen Schwägerin. Diewissenschaftliche Tätigkeit Mariannes bestandnun vor allem darin, den Nachlass von MaxWeber zu sichten und eine Biografie „MaxWeber. Ein Lebensbild“10 herauszugeben.Diese Beschäftigung und ihre seitherigewissenschaftliche Tätigkeit brachten MarianneWeber 1922 den Ehrendoktor der juristischenFakultät der Universität Heidelberg. Die heuti-ge Wissenschaft ist von der damaligen Eigen-mächtigkeit Marianne Webers, den Nachlassihres Mannes zu ordnen, nicht immer angetan,weil manches nicht sachgemäß bearbeitet sei.„Die Wissenschaft ist heute über die Eigen-mächtigkeit der Witwe bei der Edition des

Nachlasses nicht immer glücklich, aber auchsie sind ein Zeichen dafür, wie diese Frau –ohne abgeschlossene wissenschaftliche Aus-bildung – die Wissenschaft ihres Mannesleidenschaftlich zu ihrer Sache machte.“11

Als die Arbeit der Biografie Max Webersabgeschlossen war, konnte Marianne Weberwieder ihr eigenes Leben gestalten. Sie ließden „Kreis akademischer Geselligkeit“ anSonntagnachmittagen, den ihr Mannbegründet hatte, 1924 wieder aufleben. „AlsGäste kamen u. a. Karl Jaspers, MartinDibelius, Friedrich Gundolf, Marie Baum undRichard Benz.“12 Auch während der Zeit desNationalsozialismus blieb der Kreis bestehen,er ging in die innere Emigration. 1948 gabMarianne Weber das Werk „Lebenserinne-rungen“13 heraus, in dem sie der ÖffentlichkeitEinblick in ihr Leben gewährte. Am 12. März1954 verstarb Marianne Weber im 84. Lebens-jahr in Heidelberg, sie überlebte ihrenberühmten Mann um 34 Jahre. Die Treffen des„Marianne-Weber-Kreises“ wurden ihr zurEhre noch 10 Jahre fortgeführt, sie fandennicht mehr in Webers Privathaus statt, sondernsie wurden ins Heidelberger KurpfälzischeMuseum verlegt.

2. TÄTIGKEIT IM BADISCHENLANDTAG

Erste öffentliche SitzungMarianne Weber war nach dem Ersten Welt-

krieg in der ersten Sitzungsperiode des I. Land-tages, die sich vom 15. 1. 1919–15. 10. 1919erstreckte, in der badischen Nationalversamm-lung. Hier trat sie an drei Sitzungstagen insRampenlicht. In der ersten Sitzung des Land-tages, der nach der „Revolution“ zum erstenMal demokratisch gewählt wurde, erinnerte siedie Abgeordneten, dass jetzt die Frauen denStaat mitgestalteten und am Wiederaufbaubeteiligt wären. Sie wies darauf hin, welchewichtige Aufgaben die große Mehrheit derFrauen schon vor dem Krieg erfüllten, harteMännerarbeit zu verrichten und das Frontheermit Munition und Kleidung zu versorgen. Undviele Frauen, die nicht gezwungen waren, Geldzu verdienen, hätten sich um die Lösungsozialer Aufgaben bemüht, sich hierfür fort-gebildet und bei der Gesetzgebung – „soweit es

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Marianne WeberVorlage und Aufnahme: Generallandesarchiv Karlsruhe J-Ac-W/110

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das weibliche Geschlecht betraf“ – Stellungbezogen. Deswegen konnte Marianne Webersagen, dass die Frauen im badischen Landtagnicht unvorbereitet seien. … „so glaube ich,von uns sagen zu dürfen, dass wir nicht unvor-bereitet in dieses Haus einziehen.“14 Sie bekamfür ihren Redebeitrag einen lebhaften Beifall,sie versprach aber auch nicht nur, mit ihrenParteikollegen und den weiblichen Abgeord-neten der anderen Parteien zusammenzuar-beiten, sondern zum Wohl des ganzen„badischen Vaterlandes“ Politik zu betreiben.

Neunte öffentliche SitzungBei der Beratung einer neuen, demo-

kratischen Gemeinde- und Städteordnung15

meldete sich Marianne Weber zu Wort. Siemeinte, dass das neue Gemeindegesetz dieFrauen nun als vollberechtigte Gemeinde-bürger ansehen werde. Vor der „Revolution“hatte die Frau in Gemeinde- und Städteaus-schüssen wenig zu sagen, sie war quasi nureine Alibifrau, außer in Kriegsfürsorge-kommissionen. In diesen Kommissionen hat-ten die Frauen „zum ersten Mal als voll-berechtigte und vollverantwortliche Mitgliederkollegial mit den Herren zusammen gear-beitet.“16 Hier mussten sie wie männlicheKollegen über die Höhe der Beihilfen für dieKriegerfamilien abstimmen und erhielteneinen ausgezeichneten Einblick in denGemeindehaushalt.

Die Hauptaufgabe der Frauen in dendemokratisch legitimierten Gemeinden undStädten war nach der Abgeordneten Weber dieöffentliche Fürsorge, damals die Wohlfahrts-pflege mit einzelnen von ihr genanntenGruppierungen:0 der Schulpflege

– vermittelte zwischen Schularzt, Schuleund Eltern,

0 der Wohnungspflege– zuständig für Wohnungssuche,

0 der Polizeipflege– vermittelndes Organ zwischen Frauen

und der Polizei0 Fürsorgeerziehung

– stellte fest, ob Kinder gefährdet wären.

Früher hätten die Frauen diese Arbeit auchausgeführt, aber in der Caritas oder in freien

Vereinen. Nun müssten aber diese Aufgaben inden Städten und Gemeinden von neuenBeamtinnen erledigt werden, damit jene auchbesser erfüllt würden. Und die Männer würdenauf diese Stellen sicherlich keinen Ansprucherheben, sondern den Frauen würde die Auf-gabe zufallen, „diese Ämter auch mit einembesonders frauenhaften Geiste zu erfüllen.“17 –Zum Abschluss ihrer Rede sprach MarianneWeber davon, dass man in Zukunft nicht mehrnur von den Stadtvätern, sondern auch vonden „Stadtmüttern“ reden werde.

Zwölfte öffentliche SitzungIn dieser Sitzung wurde über die badische

Verfassung beraten. Zu den staatsbürgerlichenund politischen Rechten der Badener nahmMarianne Weber im Parlament Stellung undhob hervor, wie wichtig die vier Worte seien,„ohne Unterschied des Geschlechts“, ohneUnterschied des Geschlechts seien alle Badenervor dem Gesetz gleich (Artikel 9), ohneUnterschied des Geschlechts seien alle Befähig-ten zu den öffentlichen Ämtern zuzulassen(Artikel 11). Die Abgeordnete wusste aber, dasssich diese Grundsätze nicht so schnell verwirk-lichen ließen wie die politischen Verände-rungen von 1918. „Ob freilich damit tief einge-wurzelte Vorurteile und Denkgewohnheitenüber das, was die Frau kann und soll, ebenfallsbeseitigt sind, … das ist ja noch eine andereFrage.“18 Aber erst wenn die höheren Berufe,die „zum Monopol des Mannes“ erklärtwurden, mit tüchtigen Frauen geteilt würden,wäre nach Meinung Marianne Webers einesachgemäße Arbeitsteilung entstanden.

Dem Vorurteil, dass Frauen sich beim „Ein-dringen in die bisher dem Manne vorbe-haltenen Berufe“ von den der Natur zuge-wiesenen Pflichten als Hausfrau, Ehefrau undMutter entfremde, widersprach sie. EineBeamtin im Staatsdienst oder eine Par-lamentarierin könne sowohl etwas für ihrGeschlecht und damit für den Dienst an ihrennächsten Menschen als auch für die All-gemeinheit tun. Marianne Weber wandte sichaber vehement gegen die Arbeit solcherFrauen, die eine auf einen Arbeiter zuge-schnittene Tätigkeit ausführen müssten undzu Hause noch kleine Kinder zu betreuenhätten. „Solange die Gattin des Arbeiters, die

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daheim kleine Kinder zu betreuen und ihrenHaushalt ohne fremde Hilfe zu besorgen hat,einen vollen, auf männliche Kraft zuge-schnittenen Arbeitstag auf Erwerb gehen muß,so lange ist das leibliche und sittliche Gedeihenweiter Volkskreise in schwerer Gefahr.“19 DieAbgeordnete sprach sich – das Einverständnisder anderen Volksvertreterinnen vorausgesetzt– dafür aus, solche Zustände in Zukunft zu ver-hindern. Sie wollte es entweder diesen Frauenfinanziell ermöglichen nur Hausfrau zu seinoder sich dafür einsetzen, dass Stellen ge-schaffen würden, die es den Frauen erlaubtenHaus- und Berufsarbeit zu vereinbaren, wie esheute im 21. Jahrhundert der Fall ist.

In dieser letzten Rede vor dem badischenParlament sprach Marianne Weber noch eineandere Frauengruppe an, und zwar die, die ihreMänner im Krieg verloren hätten. DieseFrauen, die ihre Frauenrolle als Frau undMutter nicht leben könnten, sollte man ineinen angemessenen Beruf hineinbringen.„Wenn wir ihnen dieses Loos irgendwieerleichtern wollen, so können wir gar nichtgenug tun, um ihre Berufsfreudigkeit zuwecken und sie überhaupt fest mit den großenAufgaben und Interessen des Gemeinwesens zuverknüpfen.“20

3. ZUSAMMENFASSUNG

Marianne Weber war nur kurz im Badi-schen Landtag, hat aber drei bedeutende Redenüber die Frauenrechte gehalten. Schon vorherwar sie in den Frauenvereinen politisch aktivgewesen und forderte für alle Frauen die Aus-bildung ihrer Fähigkeiten und die Teilnahmeam öffentlichen Leben. Für diese Frauenrechtehat sie sich in ihrem Leben eingesetzt. DieseZiele sind heute erreicht. Für sie ist sie eineVorkämpferin gewesen.

Da Marianne Weber mit dem berühm-ten Soziologen Max Weber verheiratet war,hat sie ihr Leben sehr auf ihn bezogen. Daswar auch sicherlich der Grund, weswegen sieihre parlamentarische Tätigkeit im badischenLandtag beendet und auch nicht nach seinemTod in der liberalen Deutschen Demo-kratischen Partei fortgesetzt hat. Den Gedan-ken der Frauenrechte hat sie nie aufgegeben,in dem Heidelberger „Kreis akademischer

Geselligkeit“ kam er immer wieder zurSprache.

Anmerkungen

1 http://www.lemgo.de/personen/marianne_weber.htm.2 Ina Hochreuther, Frauen im Parlament, Stuttgart

1992, S. 68.3 Marianne Weber, hg. von Bärbel Meurer, Tübingen

2004, S. V.4 Ingrid Gilcher-Holtey, Modelle „moderner“

Weiblichkeit, in Marianne Weber, hg. von BärbelMeurer, a. a. O., S. 43.

5 Marianne Weber, Ehefrau und Mutter in derRechtsentwicklung, Tübingen 1907.

6 Ina Hochreuther, Frauen im Parlament, a. a. O.,S. 69.

7 Ina Hochreuther, Frauen im Parlament,a. a. O.,S. 69.

8 Marianne Weber, Generallandesarchiv Karlsruhe231/10957 fol. 214.

9 Verhandlungen des Badischen Landtags, I. Land-tagsperiode, II. Sitzungsperiode, Protokollheft,Karlsruhe 1921, S. 7.

10 Marianne Weber, Max Weber. Ein Lebensbild,Tübingen 1926.

11 Marianne Weber, hg. von Bärbel Meurer, a. a. O.,S. 272.

12 Leena Ruuskanen, Der Heidelberger Bergfriedhof,Buchreihe der Stadt Heidelberg, Bd. III., Heidel-berg 1992, S. 96.

13 Marianne Weber, Lebenserinnerungen, Bremen1948.

14 Verhandlungen des Badischen Landtags, I. Land-tagsperiode, I. Sitzungsperiode, Protokollheft,Karlsruhe 1920, S. 9.

15 Gesetzentwurf, Die Änderung der Gemeinde- undStädteordnung betr., in: Verhandlungen des Badi-schen Landtags, I. Landtagsperiode, I. Sitzungs-periode, Beilagenheft, Karlsruhe 1920, S. 121 ff.

16 Amtliche Niederschriften der Verhandlungen desBadischen Landtags, I. Landtagsperiode, I. Sit-zungsperiode, Karlsruhe 1920, S. 285.

17 Amtliche Niederschriften der Verhandlungen desBadischen Landtags, I. Landtagsperiode, I. Sit-zungsperiode, a. a. O., S. 287.

18 Amtliche Niederschriften der Verhandlungen desBadischen Landtags, I. Landtagsperiode, I. Sit-zungsperiode, a. a. O., S. 473.

19 Amtliche Niederschriften der Verhandlungen desBadischen Landtags, I. Landtagsperiode, I. Sit-zungsperiode, a. a. O., S. 474.

20 Amtliche Niederschriften der Verhandlungen desBadischen Landtags, I. Landtagsperiode, I. Sit-zungsperiode, a. a. O., S 474.

Anschrift des Autors:Dr. Konrad Exner

Waidallee 11/169469 Weinheim

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„2004 – das Jahr des Salpeterer-Hans. Esjährt sich zum 350. Mal der Geburtstag vonHans-Friedli Albietz aus Buch“. Diesen Textfinden wir auf der Homepage des GasthausesEngel in Buch. Dort auch findet in diesemSommer unter dem Titel „Bühne frei fürSalpeterer. Unser Dorf spielt Theater“ einFreilichtspiel statt. Im Jubiläumsjahr 2004wurde in Herrischried am Klausenhof dasStück „Der Salpetrerhans“ von Markus Man-fred Jung uraufgeführt. Es wird in unserenTagen also viel der Salpeterer gedacht.

In der Ankündigung des Freilichttheatersin Buch heißt es erläuternd: „Über Jahr-hunderte kämpften die Bauern um ihre Rechteals freie Menschen gegen die Obrigkeit …“.Waren aber diese kämpfenden Bauern zugleich„Freiheitskämpfer“? So steht es als Untertitelin dem Buch von Karl von Moeller „DieSalpeterer“ (München 1939) oder in demgleichnamigen Buch von Emil Müller-Ettikonmit dem Untertitel „Geschichte eines Frei-heitskampfes …“ (Freiburg 1979) und ineinem Aufsatz von Thomas Lehner in derBadischen Zeitung vom 2./3. Juli 1977 „Frei-heitskampf der Salpeterer“.

Wolfgang Hug meint dazu, dass ihm ausseiner Sicht als Historiker der „Ruhm derSalpeterer als deutsche Freiheitskämpferunangemessen“ erscheine1. Diese Auffassungfand Klaus Rütschlin in einer am 17. Juli 2003in der Badischen Zeitung veröffentlichtenRezension „verwunderlich“. Er war also über-rascht, dass Zweifel daran bestehen, die Sal-peterer als „Freiheitskämpfer“ zu charak-terisieren. Wolfgang Hug berief sich in seinemAufsatz auf die Bürgerbewegungen ab Ende dersechziger Jahre, als die Salpeterer als eine„Hotzenwälder Freiheitsbewegung“ große Be-achtung fanden2 und eine Traditionsliniezwischen denen hergestellt wurde, die einst fürdie „Bewahrung alter Freiheiten“ und jenen,

die für die „Bewahrung der Schöpfung“ ein-traten bzw. eintreten.

Ich denke, dass vor einer Klassifizierungder Salpetererbewegungen sehr sorgsam ge-prüft werden solle, um was es ihnen ging. Alssicher darf vorab gelten, dass sich die Bauernim 18. Jahrhundert für die Bewahrung vonalters her gekommener „Rechte und Frei-heiten“ einsetzten. Und diese überlieferten undim Zusammenhang mit Elementen einergenossenschaftlichen Selbstverwaltung geleb-ten „Rechte und Freiheiten“ sind aufzuklären.

Gegenseitige Rechte und Pflichten ordne-ten die Lehensverhältnisse, die sich währendder Landnahme im Anschluss an die Römerzeitherausgebildet und zur Zeit Karls des Großenvollendet hatten. Karl war es auch, der sichbesonders für die Erhaltung eines freienBauernstandes einsetzte. Schon sein VaterPippin hatte ihm ergebene Bauern in seinenneuen Herrschaftsgebieten auch am aleman-nischen Hochrhein angesiedelt, um königs-treue, sichere Stützpunkte zu haben.

Die Freibauernhöfe, mit deren Besitzjeweils besondere Rechten und Pflichten ver-bunden waren, gab es in allen Gauen des sichherausbildenden Heiligen Römischen Reiches.Sehr ausführlich geben die Forschungen Theo-dor Mayers darüber Auskunft3. Im vorderenHotzenwald gilt Hochsal als eine derartigefränkische Königsbauernsiedlung.

Gründlich ist darüber geforscht worden, wieim hohen Mittelalter Freibauern in densüdlichen Schwarzwald kamen. Wenn auchüber die Anfänge keine schriftlichen Quellenvorliegen, so gehen Günther Haselier, Friedrichund Rudolf Metz oder Heinrich Schwarz4 davonaus, dass die mächtigen Freiherren von Tiefen-stein, Anhänger der Zähringer, zu derenLehensbezirk im 13. Jahrhundert der Hotzen-wald gehörte, Siedler für die Waldgebietewarben. Diese kamen offenbar aus den Sied-

! Joachim Rumpf !

Waren die Salpeterer„Freiheitskämpfer?“

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lungsgebieten im Rhein- und Fricktal und vonden Jurabergen südlich des Rheins. DieKolonisierung des Waldes verlief stets nachdem gleichen Schema: Die Bauern branntendas selbst ausgewählte oder ihnen zugewieseneStück Wald nieder und befreiten den Boden inharter und mühseliger Arbeit von den Baum-wurzeln. Dann säten sie in den durch Aschegedüngten Boden Hafer und Roggen. Oben aufden Höhen des Görwihler Berges bis Engel-schwand und östlich der Alb im fruchtbarenMuschelkalkgebiet bis ins Schlüchttal nachGurtweil befanden sich überwiegend Frei-bauern, die als Rodungssiedler angeworbenworden waren. Sie wurden für ihre besonderenLeistungen mit Privilegien versehen zu denenvor allem die direkte vogteiliche Zugehörigkeitzum Grundherren gehörte. Nachdem die Habs-burger Mitte des 13. Jahrhunderts in den Besitzder Freibauernsiedlungen gekommen waren,blieb es bei den alten Rechten und Freiheiten.

Eine Urkunde, aus der zu ersehen wäre,worin die Freiheiten und Rechte der Freileute imEinzelnen ursprünglich bestanden und wer sieihnen verliehen hatte, gibt es nicht. Selbst dasDokument des letzten Vertreters der Habsburg-Laufenburgischen Linie, des Grafen Hans, vom17. September 1396, auf das sich die Salpetererimmer wieder beriefen, enthielt keine Hinweiseauf die Inhalte der alten Rechte und Freiheiten.Wir können aber noch auf die Urkunde des Diet-helm v. Tiefenstein verweisen, in der schon imhohen Mittelalter von den „fryg luit“ die Redewar, die es schon „von alters her“ gab. Damit darfals sicher gelten, dass sie frei waren vom Anfangder Rodungen an. Im fränkisch-deutschenKönigtum galten alle jene Menschen als frei, diedirekt der königlichen Gewalt unterstandenbeziehungsweise den direkten Schutz des Kö-nigs genossen. Dieses Freiheitsverständnis warsehr lebendig geblieben, wie es die ständige Be-rufung der Bauernschaft auf „wie es von altersher kommen“ andeutet. Doch schon im hohenMittelalter, wurde in unseren Landschaften dieeinstige unmittelbare Zugehörigkeit zum Reichzum Mythos, der über die Jahrhunderte erhaltenblieb5.

Wenn wir genauer wissen wollen, was esmit den „alten Rechte und Freiheiten“ auf sichhatte, sind wir darauf angewiesen, genauso wiees früher geschah, auf die von alters her über-

lieferten Praktiken zu schauen und davon aus-zugehen, dass es die von Mund zu Mund über-lieferten alten Bräuche und Gewohnheitenwaren, die geltende Rechte schafften.

Der Vorzug der Freien in der Grafschaftgegenüber den Gotteshausleuten von St. Blasienund Säckingen, den beiden Klöstern, die eben-falls große Waldgebiete im Hotzenwald urbarmachen ließen, „bestand in der ausschließlichenZugehörigkeit zur Herrschaft (den Habs-burgern), der persönlichen Unabhängigkeit vonden Klosterverbänden und der damit verbun-denen Befreiung von leibherrlichen Pflichten“6.Außerdem bildeten die Freien in den Dörfernöstlich und westlich der Alb eine Gerichts-genossenschaft. Die Inhaber von Freigüternkamen an drei Terminen im Jahr zusammen undentschieden, gemeinsam mit dem HabsburgerVogt und unter Vorsitz des von allen Freiengewählten „Freirichters“ über Gegenstände, diein die Zuständigkeit von Niedergerichtengehörten. Verkäufe gehörten dazu, Erbschafts-angelegenheiten oder Übereignungen.

Kriminaldelikte, zu denen alle mit Leibes-strafen verbundenen Vergehen und Verbrechenzählten, wurden vom Inhaber der Hochge-richtsbarkeit geahndet. Und das war, und zwarzuständig auch für St. Blasien, das Haus Habs-burg, vertreten durch den Waldvogt.

Es war eine Besonderheit gegenüber ande-ren deutschen Territorien gewesen, dass sich inder „Grafschaft Hauenstein“ – diesen Namenerhielt dieser vorderösterreichische Ver-waltungsbezirk 1462 – die bäuerliche Selbst-verwaltung bis weit in das 18. Jahrhunderthinein gehalten hatte.

Klaus Hoggenmüller und Wolfgang Hugführen hierzu aus, dass die freien Leute in derGrafschaft ohne Zustimmung eines Herrenhinziehen konnten, wohin sie wollten, dass siepersönlich unabhängig waren von den Kloster-verbänden St. Blasien oder Säckingen und stattdessen ausschließlich der Herrschaft der Habs-burger zugehörten, wie zuvor der Herrschaftder Tiefensteiner7. Der Hauptinhalt der Frei-heiten blieb bis zum Jahre 1806, als Napoleondas Reich neu ordnete, dass die Freibauern dervogteilichen Gewalt des habsburgischen Herr-scherhauses direkt unterstanden. Alle anderenBewohner des Waldes, soweit sie nicht Land-fahrer und Heimatlose waren, „gehörten“ also

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entweder dem Kloster St. Blasien, dem StiftSäckingen oder dem Baron Zweyer, der seitdem siebzehnten Jahrhundert die Dorfherr-schaft in Unteralpfen besaß.

Ein Freier also, noch einmal sei es betont,war nicht dem Abt und dessen Vögten sonderndem Haus Habsburg untertan, dem er seineAbgaben entrichtete. Dieses Wissen begründetedas Selbstwertgefühl der freien Bauern. Daraufwollten sie nicht verzichten. Für uns mag esdreihundert Jahre später schwer verständlichsein, dass dieses Verständnis von „Freiheit“ eineso große Bedeutung hatte. Es kam sogar vor,dass sich unfreie Bauernschaften, so wie es jaauch 1739 in der Grafschaft geschah, von ihrengeistlichen oder weltlichen Grundherren frei-kauften und für die gewonnene Freiheit mehrbezahlten, als sie in Generationen an Abgabenhätten entrichten müssen. Materiell also einsehr schlechtes Geschäft würden wir heutesagen. In Lebensführung und Brauchtumunterschieden sich Eigenleute oder Freie ebensowenig voneinander wie in ihren materiellenLebensbedingungen: Es gab Reiche und Arme inbeiden Bevölkerungsgruppen, wobei die Armen,also jene, die kaum ihre Nahrung erwirt-schafteten und auf verschuldeten Höfen saßen,bis in das 18. Jahrhundert hinein ständigzunahmen. Der ökonomische Status von Freienund Leibeigenen war also vergleichbar8. Das aberwar nicht das Problem! Mit den Begriffen„unfrei“ oder „Leibeigenschaft“ assoziierten dieBauern gerade in den Generationen nach demGroßen Deutschen Bauernkrieg mehr und mehr„Sklaverei“ und verbanden damit eine schwererträgliche soziale Diskriminierung selbst dann,wenn der Unfreie besser und geschützter lebte,als der Freie9.

Genau bei diesem empfindlichen Punktfindet sich der auslösende Faktor der Sal-petererunruhen. Als der Salpeterersieder HansFridolin Alblietz aus Buch den Eindruckgewann, dass das Kloster St. Blasien die Privi-legien Freier beschneiden und außerdem seineEigenleute und Lehenbauern zu „Sklaven“machen wolle, ging er zum Kaiser nach Wien,um sich zu beschweren. Es ging ihm und seinenFreunden darum, an den überlieferten Frei-heiten und Rechten nicht geschmälert zu wer-den. Angesichts vorangegangener Ausdeh-nungsbestrebungen des in ihrer Region liegen-

den politisch und wirtschaftlich mächtigenKlosters St. Blasien, mit dessen Mönchen dieFreibauern seit Generationen im Streit lagen,waren diese Befürchtungen nicht unbegründet.Die Salpeterer wollten verhindern, dass sich dieÄbte Zuständigkeiten aneigneten, die ihnennicht zustehen würden.

Dass sich im Verlaufe von dreißig Jahrendann Agitationen und Aktionen gegen allerichtete, die tatsächlich oder vermeintlich denInteressen des Klosters Vorschub leisteten, wozudann auch die Regierungsstellen gehörten, warnicht zuletzt auf die Ungeschicklichkeiten derRegierenden und die Uneinigkeit unter den Ei-nungsgenossen selbst zurückzuführen.

Den Salpeterern ging es also keineswegsum Freiheitsrechte, wie wir sie heute ken-nen10, noch wollten sie eine Art freier Eid-genossenschaft. Sie wollten jene „Freiheiten“von denen das Recht auf die freie Wahl ihrerpolitischen Vertretung, den Einungsmeisternund die Mitwirkung an der niederen Gerichts-barkeit, die Bedeutsamsten waren, bewahren.Insofern gehören sie in die Reihe all jener, dieihre bestehenden, sich im Mittelalter durchTradition oder Privilegien herausgebildetenSonderrechte verteidigten. Das taten dieSalpeterer „mit Mut und Geschicklichkeit“, wiees bereits Günther Haselier charakterisierte11.Niemand von ihnen dachte an eine Änderungder politischen Machtverhältnisse oder gar anpersönliche Freiheitsrechte, wie sie sich zumBeispiel im Protestantismus bereits abzu-zeichnen begonnen hatten und in philo-sophischen Schriften aus Renaissance und Auf-klärung in Europa die Französische Revolutionmit ihrem Verständnis von „Freiheit, Gleich-heit, Brüderlichkeit“ vorbereiteten.

Angesichts dieser historischen Gegeben-heiten ließe sich in Bezug auf die Salpeterer-unruhen im 18. Jahrhundert eigentlich nurdann von „Freiheitskämpfen“ sprechen, wennman einen recht großzügigen und im Grundemissverständlichen Gebrauch von diesemBegriff machen möchte. Missverständlich füralle, die mit „Freiheitskampf“ den Kampf umeine Freiheit verstehen, die es noch nicht gibtbeziehungsweise, die genommen wurde. DerFreiheitskampf der Niederländer gegen dieSpanier 1568–1648 gehörte dazu, die Befrei-ungskriege 1813–1814 in Deutschland gegen

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Napoleon oder, im zwanzigsten Jahrhundert,die Befreiungsbewegungen kolonisierter Völ-ker in Süd- und Mittelamerika oder in Afrika.

Ich würde es vorziehen, um Verwirrungenoder Missdeutungen zu vermeiden, die „Sal-petererunruhen“, so überschrieb ich meinBuch12, in die Traditionen bäuerlicher Wider-stände zu stellen. Dort gehören sie hin. Und indiesen Widerstandsbewegungen ging es auchum die Bewahrung beziehungsweise Ver-teidigung alter Rechte und Freiheiten13.

Bei den Salpeterern des neunzehnten Jahr-hunderts oder, wie sie heute noch im Hotzen-wald genannt werden, bei den „religiösen“Salpeterern, ging es überhaupt nicht um„Freiheit“ oder handelte es sich gar um „Frei-heitskämpfe“14. Vielleicht ließe sich über IhreBestrebungen sagen, dass sie auf ihrer „Reli-gionsfreiheit“ bestanden. Auf diesen Gedankenaber kamen sie selbst nicht und jemandanderes hat ihre Weigerungen und passivenWiderstände später auch nicht so interpretiert.

Napoleon hatte mit seinen Armeen dieIdeale der Französischen Revolution in dieStaaten Europas zu tragen versucht und dabeineue Staaten geschaffen. Seinem Hauptfeind,dem Habsburger Kaiserhaus hatte er Vorder-österreich mit dem Breisgau abgenommen,und diese Landschaft Baden zugeschlagen.

Im Hotzenwald war man nun die alte Grund-herrschaft los – aber auch die Reste derEinungsverfassung. Die Bewohner der ehemali-gen Grafschaft waren Badische Untertanen mitneuen Rechten und Pflichten. Statt der Habs-burger Waldvogtei gab es in Waldshut ein Groß-herzoglich-badisches „Bezirksamt“ mit einemOberamtmann. Es waren auch keine Abgabenwie bisher mehr zu leisten, sondern Steuern zubezahlen. Das waren für einige Bauern etlicheNeuerungen zu viel. Sie wollten keine Steuernzahlen und nichts vom badischen Staat wissen,sondern lieber beim Haus Habsburg bleiben.Allein schon darum, weil die Habsburger katho-lisch waren, der Großherzog von Baden abernicht. Außerdem hatte es in Folge der Wessen-bergschen Reformen manche kirchlicheNeuerungen gegeben. Unter anderem warenFeiertage abgeschafft worden, Messen fielen aus,Predigten in deutscher Sprache wurden einge-führt und die Schulpflicht streng durchgesetzt.Da fing es an, zu rumoren. Mit einigen Steuer-

und Kriegsdienstverweigerungen begann es unddann fingen etliche religiöse Eiferer an, passivenWiderstand zu leisten. Sie gingen nicht mehr indie Kirchen, unter anderem weil die Pfarrer aufden Großherzog vereidigt waren und schicktenihre Kinder nicht mehr in die Schulen, weil esdort ein Lesebuch gab, dass von einem evan-gelischen Pfarrer verfasst worden war. Diese,zahlenmäßig sehr schmale Bewegung, wandeltesich mit der Zeit in eine Sekte, die allein die fürsie rechtmäßigen, allein vom Papst gesetztenPriester und Mönche anerkannten, die in denKlöstern Einsiedeln, Maria-Stein und in Luzernamtierten15.

Man hat, als behördlicherseits fest stand,dass von ihnen keine Gefahren gegen den Staatund seine Organe ausgingen, ja nicht einmalder öffentliche Friede gefährdet war, dieseneuen Salpeterer gewähren lassen. Es hat sieauch niemand daran gehindert, die Gottes-dienste in der Schweiz zu besuchen und auf dieSakramente der Priester in ihren Heimat-gemeinden zu verzichten. Lediglich gegenöffentliche Demonstrationen schritt die Staats-gewalt ein und die Verletzung der Schul-besuchspflichten wurde geahndet.

Zu keiner Periode dieser mehr als ein Jahr-hundert währenden Pflege einer katholischen,am Althergebrachten festhaltenden Subkultureiner nur wenige Familien zählende Gruppe16,ging es um einen „Freiheitskampf“. Gelegen-heit, sich für Freiheiten einzusetzen, hätte esreichlich gegeben. Denken wir nur daran, dassin den Anfangsphasen der Widerstände derreligiösen Salpeterer auf dem Hotzenwald, die„Befreiungskriege“ gegen Napoleon statt-fanden oder – später dann – 1848 dieBürgerliche Revolution, deren Freischaren imZeichen bürgerlicher Freiheiten sich gerade inunserer Landschaft mit den Regierungs-truppen an Opfern reiche Kämpfe lieferten.Diese Ereignisse berührten die Salpetereroffensichtlich überhaupt nicht. Ihnen ging eseinzig um ihre religiösen Rituale und eineFrömmigkeit, wie sie sie verstanden.

Wir dürfen aber„den Mut und die Opferbereitschaft

bewundern, mit der die Salpeterer es wagten,gegen den Strom der Zeit zu schwimmen.Insofern steht jedermann, – auch heute noch –der allein seinem Gewissen folgt, in

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salpeterischer Tradition. Ihr Festhalten amAlthergebrachten sowie ihre Orientierungenan überzeitliche Werte verdienen mit ihrerkonsequent gelebten Haltung unseren Res-pekt.“ (Rumpf, 2003, S. 132)

Doch Freiheitskämpfer waren sie zukeinem Zeitpunkt. Und ich denke, dass sieheute hier und da noch so bezeichnet werden,weil Missverständnisse vorliegen oderUnkenntnis der wirklichen Anliegen derreligiösen Salpeterer. Dagegen sind alle Wider-standsbewegungen mit denen der Salpetererverwandt. Doch nicht alle haben, wie wir amBeispiel der Salpeterer sahen, den Charaktervon „Freiheitskämpfen“.

Anmerkungen

1 Hug, Wolfgang: „Freie Bauern auf dem Wald – vomKampf der Salpeterer im 18. Jahrhundert“ In: „DerHotzenwald – Beiträge zur Natur und Kultur einerLandschaft im Südschwarzwald“. Hrsg.: HelgeKörner im Auftrage des Badischen Landesvereinsfür Naturkunde und Naturschutz e. V.

2 Vgl. dazu u. a.: Hubert Matt-Willmatt am 15. 3.1977 auf dem Plattencover „Salpeterer-Lieder“ vonRoland Kroell.

3 Vgl. hier u. a. die Aufsätze: „Königtum und Ge-meinfreiheit im frühen Mittelalter“ und „Bemer-kungen und Nachträge zum Problem der freienBauern“, In: Darmstadt 1974, S. 105–176).

4 Haselier, Günther: „Die Streitigkeiten der Hauen-steiner mit ihren Obrigkeiten …“ Karlsruhe 1940.Haselier hat darin (S. 16–41) sehr detailliert diewirtschaftliche und soziale Situation von Freienund Leibeigenen in der Grafschaft Hauensteinuntersucht. In: Quellen und Forschungen zurSiedlungs- und Volkstumsgeschichte der Ober-rheinlande. Hrsg.: Friedrich Metz u. a. Hier: DerHotzenwald, Bd. 2, 1. Teil. Karlsruhe 1940/41.Metz, Rudolf: Geologische Landeskunde desHotzenwaldes. Lahr 1980.

5 Heinrich Schwarz, ein im Zweiten Weltkrieggefallener Historiker, hat die Besiedlungsge-schichte untersucht. Seine Dissertation darüberwurde 1940 im ersten Band der Quellen undForschungen zur „Siedlungs- und Volkstums-geschichte der Oberrheinlande“ (Karlsruhe1940/41, S. 67–199) veröffentlicht. Über „dieeinstige Zugehörigkeit zum Reich“ vgl. S. 151.

6 Vgl.: Schwarz 1940, S. 152.7 Hoggenmüller , Klaus und Hug, Wolfgang: Die

Leute auf dem Wald. Alltagsgeschichte desSchwarzwaldes zwischen bäuerlicher Traditionund industrieller Entwicklung. Stuttgart 1987.

8 Auf die Einungsverfassung in der GrafschaftHauenstein, die wichtiges Element vor allem derRechte aller Einungsgenossen gewesen ist, wirdhier nicht eingegangen. Vgl. dazu u. a. denerwähnten Aufsatz von Wolfgang Hug oder mein

Buch „Die Salpetererunruhen im Hotzenwald“,Dachsberg 2003.

9 Vgl. hierzu besonders das Kapitel „Serfdom,Property and Honor“ in David Luebkes Buch: HisMajesty’s Rebels, S. 172–179; eine Dissertations-schrift an der Yale University aus dem Jahre 1997.

10 Einige Stichworte: Religionsfreiheit, Meinungs-freiheit, Redefreiheit, Pressefreiheit, Gewissens-freiheit oder denken wir an andere uns selbstver-ständliche Bürgerrechte, wie die der Gleichberech-tigung von Mann und Frau oder die Achtung derMenschenwürde.

11 Haselier, Günther, 1940, S. 40.12 Rumpf, Joachim: Die Salpetererunruhen im

Hotzenwald. Wolpadingen 2/2003. Mit „Unruhen“meine ich „Protesthandlungen von Untertaneneiner Obrigkeit zur Behauptung oder Durchset-zung ihrer Interessen und Wertvorstellungen“. Siesind politischer Natur, weil bzw. insofern sie dieLegitimation von Maßnahmen von Regierungenoder Behörden Frage stellen. Vgl. dazu: Blickle,Peter: Unruhen in der Ständischen Gesellschaft1300–1800. In: Ders. und Lothar Gall (Hg.): Enzy-klopädie deutscher Geschichte, Bd. 1 München1988, S. 5.

13 Hierzu vgl.: Schultze, Winfried: Aufstände, Revol-ten, Prozesse. Beiträge zu bäuerlichen Wider-standsbewegungen. Stuttgart 1983 und Blickle,Peter: Von der Leibeigenschaft in die Freiheit: EinBeitrag zu den realhistorischen Grundlagen derFreiheits- und Menschenrechte in Mitteleuropa.In: Ders. U. a.: Studien zur geschichtlichenBedeutung des deutschen Bauernstandes. Stutt-gart 1989, S. 213–226.

14 Auch in der jüngst veröffentlichten Untersuchungvon Tobias Kies „Verweigerte Moderne?“ über dieSalpeterer im 19. Jahrhundert findet sich keineAndeutung in Richtung „Freiheitskampf“. Kiesdeutet die Widerstände als „reaktiven sozialenProtest“. Konstanz 2004, S. 14.

15 Diese Darstellung ist nur grob und oberflächlich.Wer sich hier genauer informieren will, ist vorallem auf die Forschungsergebnisse von TobiasKies verwiesen, die er in dem Buch VerweigerteModerne? “Zur Geschichte der ,Salpeterer‘ imneunzehnten Jahrhundert“ (Konstanz 2004) ver-öffentlicht hat.

16 Zur Zeit ihrer größten Ausdehnung zu Beginn derUnruhen im zweiten Jahrzehnt des neunzehntenJahrhunderts, zählte man von den 26 000 Ein-wohnern dieses Bezirks etwa 200 Familien, diesich offen zu den neuen Salpeterern bekannten.Das mögen um 1000 Personen gewesen sein (Kies,2004, S. 129 ff). Der letzte religiöse Salpetererstarb 1934.

Anschrift des Autors:Dr. Joachim Rumpf

Hühnerbühl 779733 Görwihl

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„Diese Denkmäler und nicht das rein doku-mentarische Material sollten den Ausgangs-punkt für die neuen Generationen bilden, diesich mit dem Ersten Weltkrieg befassen. Sieerzählen uns vieles.“1

Wer heute an der Westseite des Kollegien-gebäudes I der Universität Freiburg entlanggeht, wird wohl kaum die verwitterte, in sichkauernde Frauengestalt aus Muschelkalkwahrnehmen, die sich dort in trauernder Posemit abschweifendem Blick neben dem Aufgangzur Bibliothek befindet. Auch wird es demheutigen Betrachter nicht in den Sinn kom-men deren Blickrichtung so zu deuten, wiedies der Freiburger Germanistikstudent AlbertLandherr kurz nach der feierlichen Ein-weihung des Denkmals im Dezember 1927 inden „Akademischen Mitteilungen“ tat: „Fernnach dem Westen, ins Uferlose, schweift ihrBlick, dorthin, wo die jugendlichen Leiberunserer toten Kameraden modern“2. Man wirdwohl stehen bleiben und die eingravierteInschrift lesen müssen, um der Allegorie aufdie Trauer der Alma Mater um ihre totenSöhne gewahr zu werden: „Den Toten.1914–1918 …“.

Der Erste Weltkrieg und die Erinnerungdaran rückt seit dem Jahr 2004 verstärkt in denBlickpunkt der Öffentlichkeit. Dem „GroßenKrieg“ wurde angesichts des 90. Jahrestagesdes Kriegsausbruchs eine gesteigerte Aufmerk-samkeit zuteil: Zahlreiche auch für ein breitesLesepublikum konzipierte Monografien undSammelwerke sind bereits erschienen oder an-gekündigt3, Zeitschriften wie der „Spiegel“gaben themenbezogene Sonderhefte heraus4,die Ausstellung „Ereignis und Erinnerung“ desDeutschen Historischen Museums erfuhr einbreites Echo in den Printmedien5, und groß-

angelegte Fernsehdokumentationen beschloss-en die Erinnerung an die „Urkatastrophe des20. Jahrhunderts“. So wie in den europäischenNachbarländern mit den Begriffen „La GrandeGuerre“ und „The Great War“ zentrale undkollektive „Erinnerungsorte“ beschrieben wer-den, so stark wurde in der breiten Öffentlich-keit Deutschlands die Auseinandersetzung mitdem Ersten Weltkrieg nach Kriegsende 1945von der Dokumentation und Aufarbeitung desDritten Reiches und des Holocausts überlagert.

Für große Teile des akademischen Milieusder Zwischenkriegszeit stellte die Erinnerungan den Krieg und die damit eng verbundeneBeschwörung des studentischen „Kriegserleb-nisses“ eine zentrale Strategie dar, die Sinn-losigkeit des Krieges angesichts der verhee-renden Niederlage umzudeuten und die„Lebensarbeit“ der akademischen Jugend da-rauf einzustellen, „dass aus der Asche einesunvermeidlichen Zusammenbruchs ein neuerPhönix, ein innerlich und äußerlich neugefestigtes Deutschland erstehe“6. Die folgen-reiche Militarisierung der Studentenschaft inder Weimarer Republik stützte sich dabei aufdem emphatischen Bericht der OberstenHeeresleitung vom 11. November 1914, in demes hieß: „Westlich von Langemarck brachenjunge Regimenter unter dem Gesange,Deutschland, Deutschland über alles‘ gegendie erste Linie der feindlichen Stellungen vorund nahmen sie.“ Nach der Niederlage von1918 entfaltete sich der Langemarck-Mythosstetig. Gerade auf den zahllosen Gedächtnis-und Langemarckfeiern wurde der Mythos vomheldenhaft-kämpfenden Studenten hochge-halten. „Es war ein Selbstopfer, wie es die Weltin solchem Ausmaße, in solcher Erhabenheitnoch nie gesehen hatte“, sprach Professor

! Christian Heuer !

„… die Hochschuljahre sind ihr Tagvon Langemarck“

– Akademische Erinnerungskultur –

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Fabricius 1929 auf der Langemarckfeier derAlbert-Ludwigs-Universität. „Noch heutestockt uns das Blut, wenn wir an diesesentsetzliche Hinsterben von jungen, edelstenMenschenleben denken, und es wallt wiederhoch auf in Bewunderung eines solchenHeldentums.“7

Nach Kriegsende und verstärkt in derzweiten Hälfte der 20er Jahre wurde das„Kriegserlebnis“ des studentischen Frontsol-daten zur identitätsstiftenden Ware aka-demischer Erinnerungskultur. Dabei kamenden individuellen Schilderungen des „Kriegs-alltags“ und den errichteten Denkmälern einebesondere Bedeutung zu. Bereits im Dezember1915 hatte der spätere Herausgeber der wohlbekanntesten Sammlung von „Kriegsbriefengefallener Studenten“, der Freiburger Germa-nist Philipp Witkop, in einem an der Uni-versität gehaltenen Kriegsvortrag „Die Feld-postbriefe unserer Krieger“ in den Mittelpunktgestellt, um „Geist und Seele des deutschenKrieges“ zu beschreiben8. Hatte der damaligeFreiburger Prorektor Schultze noch dreiWochen nach Kriegsbeginn gegenüber der„Akademischen Rundschau“ geäußert, dassman „über die Schicksale der im Felde stehen-den Studierenden unserer Hochschule […]kaum etwas anderes als vielleicht deren Toderfahren“9 werde, so bemühte sich das Frei-burger Universitätsarchiv kurz nach Kriegs-ende, „in nicht ferner Zeit“ eine Sammlungvon Kriegsbriefen herauszugeben, „die demLeser zeigen, wie unsere Helden dachten, wiesie litten, wie sie starben“10. Die Konstruktioneines einheitlichen „Kriegserlebnisses“ derStudentengeneration von 1914, zu der vor-nehmlich die breite Rezeption der Witkop-schen Sammlung beigetragen hatte, fand inden jährlich stattfindenden Gedächtnis- undLangemarckfeiern der Universität ihre Ent-sprechung. Dabei ging es den Apologeten desstudentischen Kriegserlebnisses im Beson-deren darum, die Kriegsjugendgeneration,diejenigen Studenten, „die diesen Kampf nurals Kinder erlebt und diese Opfer nicht ge-bracht haben“, an die Taten ihrer „Brüder“,„die dem Ruf des bedrohten Vaterlandesfolgten und, ohne zu schrecken, ihr junges,hoffnungsvolles Leben zum Opfer brachten“11,zu erinnern. Durch zahlreiche schulische

Gedenkveranstaltungen während der Kriegs-zeit, durch Schulbücher, durch die massen-hafte Verbreitung von „Kriegsbüchern“ undKriegsspielzeug, mit dem die Kinder undJugendlichen das Frontgeschehen nachspielenkonnten und mit den vielen propagandis-tischen Kriegspostkarten, die oft Eingang inderen Sammelalben fanden, war diese Kriegs-jugendgeneration grundlegend durch dasKriegsgeschehen geprägt worden.

Ähnliches wie für die Intention der Ge-dächtnis- und Langemarckfeiern galt für diebereits erwähnten Witkopschen Kriegsbriefe,die im Februar des Jahres 1929 zum Gegen-stand eines Preisausschreibens unter der Stu-dentenschaft der Albert-Ludwigs-Universitätwurden. So bat die Schriftleitung der „Aka-demischen Mitteilungen“ die FreiburgerStudentenschaft um prägnante Referate, indenen sich die Studenten mit der Bedeutungdieser Sammlung sowie mit den „wesentlichenStärken jener Studenten, die im Krieg gefallensind“12, auseinander setzen sollten13.

Als das vom Bildhauer Arnold Rickertgestaltete Denkmal im Wintersemester1927/28 der Freiburger Studentenschaft durchden Vorsitzenden der Denkmalskommission,Professor Hoche feierlich übergeben wurde,sprach dieser in seiner Rede nicht nur alleinvon der trauernden Frau als einem „Mal derErinnerung“, sondern unter dem Eindruck derNiederlage und dem als „Diktat“ empfundenenVersailler Vertrag hauptsächlich von der stei-nernen, trauernden Alma Mater als einem „Malder Weisung“, einer Weisung in eine „Zukunft,in einen Tag, dessen Morgenröte wir heutenoch nicht sehen“14, und nahm die anwesen-den Studenten zugleich in die Pflicht, sich der„akademischen Scharen, die bei Langemarcksingend in den Tod gingen“, zu erinnern: „Ihrseid verantwortlich dafür, daß diese Totensaatnicht ohne Frucht bleibt“15.

In den darauf folgenden Gedächtnisfeiernwurde der Name Langemarck zum Synonymfür die nationale Entschlossenheit der deut-schen Studentenschaft und stellte das Binde-glied zwischen Kriegsjugend- und Kriegs-generation innerhalb der heterogenen Studen-tenschaft der Zwischenkriegszeit dar. Sosprach der Geheime Rat Heffter ein Jahr späterzu den anwesenden Studenten und Professoren

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der Universität: „Dass deutsche Studenten hierin geschlossenen Verbänden, denen sie dasGepräge gaben, kämpften, dass sie nur vondem Gedanken an das bedrohte Vaterlandbeherrscht waren und in heller Begeisterungfür das Vaterland in Kampf und Tod gingen, dasist es, was es rechtfertigt, den Namen Lange-marck für alle Zeit mit der Geschichte derdeutschen Studentenschaft zu verknüpfen.“16

Die vom gleichen Künstler gemeißelteKupfertafel, die in neun Spalten die 556gefallenen Lehrer, Beamten und Studenten derUniversität Freiburg zu ihrem Gedächtnis undden Lebenden zu deren Mahnung17 anführt,wurde kurz nach dem Denkmal eingeweiht.Auch sie ist ein „Erinnerungsort“ akade-mischen Lebens in Freiburg, der weitgehendunbekannt ist. Der eingemeißelte Satz, denProfessor Fabricius in seiner Rede anlässlichder Langemarckfeier am 26. November 1929zitiert, befindet sich heute nicht mehr auf derTafel: „Im Kriege von 1914 bis 1918 kämpftenund starben für die Rettung des Reiches“. DieMahnung der beiden Denkmäler18, die demheutigen Betrachter angesichts zweier ver-nichtender Weltkriege und unzähliger weitererKriege einleuchtend und verständlich er-scheint, sorgte zum damaligen Zeitpunktunter den Studierenden für Verwirrung. „Wassoll diese Mahnung, was haben sich die, die denSpruch gewählt haben, dabei gedacht?“ Fabri-cius ging auf diese Fragen in seiner Rede einund gab eine Antwort die dem heutigenStudenten befremdlich erscheinen wird, sichjedoch ganz an der Tradition des akademischenLangemarck-Mythos der Zwischenkriegszeitorientierte, demnach sie nämlich nichts weiterbesage, „als daß wir uns diese Toten da zumVorbilde nehmen in der Hingabe an unser Volkund an unser Vaterland, in der gewissenhaftenund treuen Erfüllung unserer Pflicht“19.

Die Reden auf den Freiburger Universitäts-feiern stellten für das akademische Milieu derWeimarer Republik keinen Einzelfall dar.Hoche und Fabricius hätten ihre Reden durch-aus auch anlässlich jeder anderen akade-mischen Gedächtnisfeier halten können20. Der„jugendliche Idealismus“ der Studentengene-ration von 1914 wurde nicht nur in Freiburgzum „Erinnerungsort“ akademischen Lebensstilisiert. Dabei überlagerten sich die zentralen

Topoi der Erinnerung, so dass der akademischeLangemarck-Mythos als ein Konglomerat vonErinnerungsinhalten von der Professoren- undStudentenschaft und ihren Verbänden tradiertwurde. Der „Geist von 1914“, das „August-erlebnis“, die Idee der „Volksgemeinschaft“und die „Bewährung von Mannhaftigkeit,Wehrhaftigkeit, Mut und Tapferkeit studenti-scher Ehre“21, der Mythos des akademischenFrontsoldaten, wurde von zahlreichen studen-tischen Verbänden und anderen akademischenKreisen bereits kurz nach Kriegsende pro-pagiert. So sprach der „Deutsche Hoch-schulring“, der Dachverband für die völkischenKreise der Studentenschaft, in seiner ErlangerFassung von 1921 unmittelbar den „Geist von1914“ an und beschwor das Gemeinschafts-gefühl des Kriegserlebnisses, um „in Erfüllungunserer studentischen Pflicht allen Deutschenein Vorbild völkischer Einheit zu werden“22. Annahezu jeder deutschen Universität wurdejeweils am 11. November23 mit einer schlich-ten Feier derer gedacht, die sich „in heißemBegehren zu den Waffen gedrängt [hatten],[um] ihre junge Kraft, ihren jungen Mut, ihrjunges Leben für ihr geliebtes Vaterland [ein-zusetzen]“24. Wie schon zu Kriegsbeginn 1914versuchte erneut die „Waffe des Wortes“25 dieStudenten zu mobilisieren26: „Hier stehen sienoch in geschlossenem Verbande: die Hoch-schuljahre sind Ihr Tag von Langemarck“27. Indiesem Ausspruch findet sich der bereits zurJahrhundertwende artikulierte Anspruchwieder, wonach die Universitäten der Nation alsErzieherin dienen sollte, obwohl seit derHumboldtschen Bildungsreform eben dieserErziehungsanspruch obsolet geworden war.Wie bereits bei Kriegsausbruch 1914 stellteauch die Zwischenkriegszeit für weite Kreisedes akademischen Milieus eine Bewährungs-probe nationaler Gesinnung und zugleicheinen Prüfstein des „Leben[s] in allgemeinergeistiger Wehrpflicht“28 dar. Erneut wurde andie Aufgabe der Studentenschaft appelliert diegeistige Führerrolle innerhalb der Gesellschaftzu übernehmen, um aus diesem „Daseins-kampf“ als Sieger hervorzugehen. Schon beider Verwirklichung der bereits vor Kriegsaus-bruch virulent vorhandenen „Ideen von 1914“wurde den akademischen Gruppen eine be-sondere Verantwortung zugesprochen. So

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schrieb Heinrich Class, der Vorsitzende des„Alldeutschen Verbands“, in seiner unter demPseudonym Daniel Frymann erschienenSchrift „Wenn ich der Kaiser wär“ im Jahre1912: „Heilig sei uns der Krieg, wie dasläuternde Schicksal, denn er wird alles Großeund Opferbereite, also Selbstlose wecken inunserem Volke und seine Seele reinigen vonden Schlacken der selbstischen Kleinheit.“ DieStudenten „sollten [dabei] das Rückgrat despolitischen Lebens abgeben“29.

Der Vertrag von Versailles diente dabei inseiner strikten Ablehnung als Ausgangspunktder sozialdarwinistischen Legitimation undverband darüber hinaus weite Kreise derStudentenschaft mit den völkischen, natio-nalistischen und antidemokratischen Strö-mungen der Weimarer Republik. Besondersauf den Gedenkfeiern des Jahres 1929 wurdedieser Haltung Ausdruck verliehen. So sprachder erste Vorsitzende der Freiburger Studen-tenschaft im Sommer desselben Jahres: „Wach-sende Verelendung und Versklavung und dieGefahr völliger Vernichtung der deutschenZukunft verpflichten die deutsche aka-demische Jugend, um der Gerechtigkeit,Menschlichkeit und nationalen Selbst-behauptung willen anlässlich der zehntenWiederkehr dieses Schicksaltages zu demfeierlichen Bekenntnis, dass sie die Grundlagedes Friedensdiktates nie anerkannt hat undniemals anerkennen kann“30

Dieser während der Zwischenkriegszeitkultivierte Langemarck-Mythos32 sollte kurzeZeit später im Nationalsozialismus perver-tieren. Die Erinnerung an Langemarck über-nahm nicht nur eine „ideologische Brücken-funktion“32 zwischen nationalsozialistischerBewegung und bürgerlicher, akademischerGesellschaft, sondern war ebenso zentralerTopos der NS-Schul- und Universitätspolitik.Gerade auch für die Studenten, welche dieSchrecken des industrialisierten Krieges nichtmehr aus persönlicher Erfahrung herauskannten und unter denen der Mythos vomstudentischen Frontsoldaten breite Zustim-mung fand, stellte die Fortschreibung des ana-chronistischen Bildes von Männlichkeit undTapferkeit eine Möglichkeit dar, das Sol-datische und Kämpferische, die „Tat“, zu ihrerTugend zu erheben33. Mentalitätsgeschichtlich

folgenreich war dabei sicherlich die aka-demische Erinnerungskultur der Zwischen-kriegszeit. Mit der Anknüpfung an den aka-demischen Langemarck-Mythos und der Ent-wicklung eines umfangreichen Langemarck-Kultes, der in der Einrichtung des soge-nannten „Langemarck-Studiums“ gipfelte, ver-mochten es die Nationalsozialisten geschickt,Teile der akademischen Jugend für sich zugewinnen. Bereits im Jahre 1934 wurde anzwei Universitäten (Heidelberg und Königs-berg) dieses eingeführt, das es Nicht-abiturienten, Arbeiter- und Bauernsöhneermöglichen sollte ebenfalls die Hoch-schulreife zu erlangen34. Die auf den Gedächt-nis- und Langemarckfeiern der Zwischen-kriegszeit herbeigesehnte „Zukunft“ sahenviele der akademischen Jugend in der er-starkenden nationalsozialistischen Bewegung.Unter einer mentalitätsgeschichtlichen Pers-pektive betrachtet, erscheint es demnach nichtverwunderlich, dass der NationalsozialistischeDeutsche Studentenbund seit 1927 zur poli-tisch stärksten Kraft innerhalb der Studenten-schaft wurde und sich der Nationalsozialismusals Ideologie bereits 1931 innerhalb der„Deutschen Studentenschaft“ durchsetzenkonnte35: „Illiberale akademische Tradition,Fronterlebnis, Überfüllungskrise, Generations-konflikt und fanatischer Opfermut der NS-Studenten verbanden sich schließlich zu einerNazifizierungsdynamik, der selbst kritischeZeitgenossen kaum zu widerstehen wussten.“36

Anmerkungen

1 Howard, Sir Michael: Der Erste Weltkrieg – eineNeubetrachtung. In: Winter, Jay; Parker, Geoffrey;Habeck, Mary R. (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg unddas 20. Jahrhundert. Hamburg 2002, 19–33, hier22.

2 In: Akademische Mitteilungen. Organ für diegesamten Interessen der Studentenschaft an derAlbert-Ludwigs-Universität in Freiburg i. Br.(Donnerstag, 15. Dezember 1927) 5, 85.

3 Vgl. Berghan, Volker: Der Erste Weltkrieg.München 2004; Enzyklopädie Erster Weltkrieg.Hg. v. Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich, IrinaRenz in Verbindung mit Markus Pöhlmann.Paderborn, München, Wien, Zürich 2004; Ha-mann, Brigitte: Der Erste Weltkrieg. Wahrheit undLüge in Bildern und Texten. München 2004;Howard, Michael: Kurze Geschichte des ErstenWeltkriegs. München 2004; Mommsen, WolfgangJ.: Der Erste Weltkrieg. Anfang vom Ende des

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bürgerlichen Zeitalters. Frankfurt am Main 2004;Strachan, Hew: Der Erste Weltkrieg. Eine illus-trierte Geschichte. München 2004.

4 Spiegel special: Die Ur-Katastrophe des 20. Jahr-hunderts. Hamburg 2004.

5 Vgl. in Auswahl Fuhr, Eckhard: Kriegs-Mohn undGedächtnis. Eine großartige Berliner Schau zumErsten Weltkrieg öffnet den historischen Horizont.In: Die Welt (13. Mai 2004); Jessen, Jens: KleinFritzchens Lazarettbaukasten. Eine Berliner Aus-stellung zeigt den Ersten Weltkrieg im Spiegel vonErinnerungsnippes. In: Die Zeit (19. Mai 2004) 22,43; Medicus, Thomas: Kollektivdeutsche Amnesie.In: Frankfurter Rundschau (13. Mai 2004); Semler,Christian: Verzweifelt unangemessen. In: DieTageszeitung (15. Mai 2004), 21.

6 Der 1. Vorsitzende der Freiburger Studentenschaftbei der Einweihung des Denkmals. In: Aka-demische Mitteilungen (Donnerstag, 15. Dezem-ber 1927) 5, 87.

7 Akademische Mitteilungen (Dienstag 17. 12. 1929)5, 76.

8 Vgl. Freiburger Universitätsarchiv B1 4358 Kriegs-und Militärsachen u. B1 4336 Kriegs-Angelegen-heiten. Zu Witkop siehe auch Hettling, Manfred;Jeismann, Michael: Der Weltkrieg als Epos. PhilippWitkops „Kriegsbriefe gefallener Studenten“. In:„Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch …“Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs. Hg.v. G. Hirschfeld, G. Krumeich und I. Renz. Frank-furt a. M. 1996, 175–198.

9 Brief an die Schriftleitung der AkademischenRundschau vom 24. August 1914. Universitäts-archiv Freiburg B1 4348. Kriegssachen.

10 Akademische Mitteilungen (9. April 1919) 4, S. 23.11 Rektor Brie in seiner Ansprache vor der Kranz-

niederlegung. In: Akademische Mitteilungen (Don-nerstag, 15. Dezember 1927) 5, 86 f.

12 Akademische Mitteilungen (Dienstag, 5. Februar1929) 7, 118.

13 In der Ausgabe vom 19. November 1929 der „Aka-demischen Mitteilungen“ wurden die Gewinnerund Gewinnerinnen des Preisausschreibens be-kannt gegeben und die Veröffentlichung derBeiträge im Novemberheft der Zeitschrift „DasBuch des Monats“ angekündigt., die jedoch nichtmehr zugänglich ist.

14 S. Anm. 1, S. 86.15 Ebd.16 Akademische Mitteilungen (Dienstag, 4. Dezember

1928) 4, 62.17 „Den Toten zum Gedächtnis, den Lebenden zur

Mahnung“ lautet die Inschrift auf der Gedenktafel,die sich im 1. Obergeschoss des Kollegiengebäudes1 der Universität Freiburg befindet. Die Inschriftgeht dabei zurück auf eine Formulierung aus dem19. Jahrhundert. Die Inschrift „Den Gefallenenzum Gedächtnis, den Lebenden zur Anerkennung,den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung“wurde nach Billigung durch den preußischenKönig Friedrich Wilhelm III. am Berliner Kreuz-berg-Denkmal (1818–1821) angebracht. Die In-schrift stammt von dem Kulturhistoriker und Alt-philologen August Böckh. Vgl. hierzu Lurz,

Meinhold: Kriegerdenkmäler in Deutschland.Bd. 1. Befreiungskriege. Heidelberg 1985, 267 ff u.350 f.

18 Zu den Denkmälern vgl. Mertens, Veronika: Nichtnur die Wissenschaft. Ein Kunstführer durch dieUniversität Freiburg. Freiburg i. Br. 1995.

19 Siehe Anm. 8, 77.20 Vgl. Kotowski, Mathias: „Noch ist ja der Krieg gar

nicht zu Ende“: Weltkriegsgedenken der Univer-sität Tübingen in der Weimarer Republik. In:Hirschfeld, Gerhard et al. (Hrsg.): Kriegserfah-rungen. Studien zur Sozial- und Mentalitäts-geschichte des Ersten Weltkriegs. Essen 1997,424–438.

21 Siehe Anm. 3.22 Zit. n. Schulze, Friedrich; Sysmank, Paul: Das

deutsche Studententum von den ältesten Zeitenbis zur Gegenwart. München 19324, 482.

23 In Freiburg war der Tag der Langemarckfeier mitder offiziellen Gedächtnisfeier für die Gefallenendes Ersten Weltkriegs am 26. November zu-sammengelegt worden.

24 Rede gehalten von Professor Fabricius bei derLangemarckfeier der Universität am 26. November1929. In: Akademische Mitteilungen (Dienstag,17. Dezember 1929) 5, 76–78, hier 76.

25 In einer Rede des berühmten Berliner PhilologenUlrich von Wilamowitz-Moellendorff, gehalten am20. November 1914 in Berlin, hieß es dazu: „Wirälteren, die wir uns dieses Mal durch unsere Söhneund Schüler vertreten lassen müssen, haben nurdie Waffe des Wortes“. Wilamowitz-Moellendorff,Ulrich von: Militarismus und Wissenschaft. In:Ders.: Reden aus der Kriegszeit. Berlin 1915.

26 In den Revolutionswirren unmittelbar nachKriegsende wurde der Zusammenhang zwischenStudentenschaft und Mobilmachung besondersausdrücklich formuliert. So hieß es in einem „Auf-ruf an die akademische Jugend Preußens“: „Nocheinmal ruft das Vaterland seine waffenfähige jungeMannschaft. Noch einmal heißt es: Freiwilligevor … Schulter an Schulter mit euren Altersge-nossen aus dem Arbeiterstande sollt ihr jungenAkademiker der Regierung helfen, die Ordnungaufrechtzuerhalten. Schützt das bedrohte Kultur-erbe eurer Väter, rettet eure eigene Zukunft. Hilf,deutsche Jugend!“. Zit. n. Zorn, Wolfgang: Diepolitische Entwicklung des deutschen Studenten-tums 1918–1931. In: Stephenson, Kurt; Scharff,Alexander; Klötzer, Wolfgang (Hrsg.): Darstel-lungen und Quellen zur Geschichte der deutschenEinheitsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert.Bd. 5. Heidelberg 1965, 223–307, hier 239.

27 Aus der Gedächtnisrede des Geheimen RatsHeffter, anläßlich der Langemarckfeier 1928 inFreiburg. In: Akademische Mitteilungen (Dienstag,4. Dezember 1928) 4, 61 f, hier 62.

28 Ziegler, Theobald: Der deutsche Student am Endedes 19. Jahrhunderts. Vorlesungen gehalten imWintersemester 1894/95 an der Kaiser-Wilhelms-Universität zu Straßburg. Leipzig 18966, hierS. 15.

29 Frymann, Daniel: Wenn ich der Kaiser wär –Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten.Leipzig 19133, 182 f u. 111.

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30 Ansprache des 1. Vorsitzenden der FreiburgerStudentenschaft anlässlich der Gefallenengedenk-feier zur Sonnenwende. In: Akademische Mittei-lungen (Dienstag, 9. Juli 1929) 7, 117.

31 Vgl. hierzu Brunotte, Ulrike: Mythos Langemarck.Vor neunzig Jahren begann ein folgenreicherdeutscher Totenkult. In: www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=587204 (aufgerufen am 11. 11. 2004); Hüppauf, Bernd:Langemarck-Mythos. In: Enzyklopädie ErsterWeltkrieg. Hg. v. Gerhard Hirschfeld, GerdKrumeich, Irina Renz in Verbindung mit MarkusPöhlmann. Paderborn, München, Wien, Zürich2004, 671 f. Ders.: Schlachtenmythen und dieKonstruktion des „Neuen Menschen“. In: Hirsch-feld, Gerhard; Krumeich, Gerd (Hrsg.): Keinerfühlt sich hier mehr als Mensch … Erlebnis undWirkung des Ersten Weltkriegs. Essen 1993,43–84. Dithmar, Reinhard (Hrsg.): Der Lange-marck-Mythos in Dichtung und Unterricht.Neuwied, Krittel, Berlin 1992. Keller, Ernst:Nationalismus und Literatur. Langemarck, Wei-mar, Stalingrad. Bern 1970. Krockow, ChristianGraf von: Von deutschen Mythen. Rückblick undAusblick. Stuttgart 1995.

32 Krumeich, Gerd: Langemarck. In: Deutsche Er-innerungsorte. Hg. v. Etienne Francois u. HagenSchulze. Bd. 3. München 2001, 292–309, hier 309.

33 Vgl. Wildt, Michael: Generation des Unbedingten.Das Führungskorps des Reichssicherheitshaupt-amtes. Hamburg 2003, 45 f.

34 Noch mitten im zweiten Weltkrieg wurde derLangemarck-Kult durch die nationalsozialistischeBildungspolitik gepflegt. So wurde z. B. in Hanno-ver ein „Langemarck-Studium für Flamen undNiederländer“ eingeführt. Siehe hierzu die Unter-suchung von Schneider, Gerhard: „… nicht um-sonst gefallen“? Kriegerdenkmäler und Kriegs-totenkult in Hannover. Hannover 1991, 213 ff.

35 Vgl. Jarausch, Konrad H.: Deutsche Studenten1800–1970. Frankfurt a. M. 1984, 158.

36 Ebd. 162.

Anschrift des Autors:Christian Heuer

Schwarzwaldstraße 31079117 Freiburg

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„Nun sind wir hier angelangt. Baden ist einwahres Paradies der Schönheit. Die gestrigeEisenbahnfahrt war allerdings furchtbar; dieHitze war schon des Morgens, als wir abfuhren,sehr groß, steigerte sich aber noch …. InKarlsruhe wurde für eine Stunde Aufenthaltgemacht, und die Königin besuchte die Groß-herzogin Mutter. Das Schloss, in dem siewohnt, ist sehr schön und wundervoll einge-richtet … Um 8 Uhr ging es weiter nachBaden, wo wir nach 9 Uhr anlangten und woauf dem Bahnhof großer Empfang war. Dannfuhren wir nach dem Haus Messmer, in demdie Königin immer wohnt. Dicht vor dem-selben liegt das Konversationshaus und diePromenade; der Blick aus den Fenstern auf dieBerge ist bezaubernd.“ Das schrieb 1862 AdeleGräfin zu Dohna1 in Briefen an ihre Mutter,gesammelt in einem umfänglichen Band, dendas Generallandesarchiv Karlsruhe 1995 mitanderen Akten, den sogenannten Augusta-Koffern, aus markgräflichem Besitz erworbenhat.2 Adele zu Dohna übergab diese Brief-sammlung 1899, an die Großherzogin Luise,die Tochter der Königin Augusta von Preußen,der späteren deutschen Kaiserin, zu der sie alsHofdame 1862 bestellt worden war. DieAbschnitte über die häufigen Aufenthalte inBaden-Baden, einer Art Nebenresidenz nachBerlin und Koblenz, erlauben Einblicke inhöfisches Leben vor ca. 150 Jahren, vor allemin die Funktion der Hofdamen, geschriebenvon einer jungen Frau, die in ihrem schlichtenStil von der großen weiten Welt berichtenwollte – oder mußte, die für sie, nicht unty-pisch für ihre Generation, so überzeugend war.

Hofdame zu sein – das war mit Glanz, aberauch mit manchen Problemen verbunden, doches war eine Ehre , wenn die unverheirateteTochter einer adligen Familie dazu auserwählt

wurde. Bürgerliche Frauen waren zwar hof-fähig, wenn ihr Ehemann adlig war; Unverhei-ratete mußten aus einem Adelsgeschlechtstammen. Der Fürst zeichnete damit häufig ver-diente Staatsbeamte aus, in diesem Fall KönigWilhelm I. den Oberhofmarschall Dohna.

Nach der preußischen Rangordnung von1861 nahmen eine Hofdame der Königin Platz25 ein, d. h. vor der Frau eines Generalmajors.3

Adele zu Dohna war 1862 eine der vier Hof-damen, nämlich mit der Gräfin v. Branden-burg, v. Schwerin und v. Lymar. Sie teilte mitAlexandra v. Brandenburg für vier Monateihren Dienst, während die beiden anderen fürdiese Zeit beurlaubt wurden. Man wollte nicht,dass sich die jungen Frauen ihren Familien zusehr entfremden.

Aufgabe einer Hofdame war unter anderem,repräsentierend an dem Zeremoniell des Hofesteilzunehmen wie Empfängen, Audienzen,Festtafeln, Anlässen wie Theateraufführungen,Kostümfeste und Maskenumzüge, Staatsbesu-chen, Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen undHoftrauer. Ihr Prestige war gleichwertig mitdem der männlichen Hofbeamten, weil sie dieKontinuität der adligen Dynastien verkör-perten, hier der einflussreichen Familie Dohnain Ostpreußen.4

Im Alltag war eine Hofdame die Gesell-schafterin der Fürstin, in diesem Fall dereigenwilligen Augusta v. Sachsen-Weimar,1811 als Tochter des Großherzogs Karl Fried-rich und der Zarentochter Maria Pawlownageboren, ein Kind des Weimarer Musenhofes,von Goethe liebevoll begleitet. 1829 heiratetesie den vierzehn Jahre älteren Wilhelm, Prinzv. Preußen, nachdem dieser auf seine großeLiebe, die Prinzessin Elise Radziwill ausStandesgründen verzichten musste. Zwei Kin-der erwuchsen aus dieser Ehe: 1831 Friedrich

! Leonhard Müller !

„Tätige Fürstin in Residence“Aus den Briefen einer Hofdame

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Wilhelm, der spätere Kaiser Friedrich III., 1838Luise, die spätere Großherzogin v. Baden.Augusta verband mit ihrem Mann Freund-schaft und Achtung, weniger Liebe, und manlebte nach der Geburt des zweiten Kindes eineigenes Leben, nicht zuletzt wegen Augustaskörperlicher Beschwerden , die sie mit Kurenin Baden-Baden bewältigen wollte. Im libera-len Geist in Sachsen-Weimar aufgewachsen,begleitete Augusta bis zum Tod Wilhelms 1888ihren Gatten mit ihren politischen Stellung-nahmen, von Bismarck lautstark kritisiert.5

Ihre Neigung zum Regierungsmilieu und zumBerliner Hof war begrenzt, so dass sie sich ab1850 meist zweimal, im Frühjahr und imHerbst, nach Baden-Baden zurückzog, jeweilsmindestens für vier Wochen, begleitet voneinem größeren Gefolge von mehr als 30 Per-sonen. Augusta meinte mit entsprechenderErnährung wie Molkenkur und Gemüsesaftvon den in den Quellen nicht beschriebenenBeschwerden befreit zu werden, vor allemdurch tägliche lange Spaziergänge in frischerSchwarzwaldluft.

Man wohnte im „Maison Messmer“, einemvon einer innovativen Baden Badener Familiebetreuten Hotel, das einen entsprechendenrepräsentativen Rahmen bot.6 Vor allem war esaber das besondere Ambiente dieses alten Kur-orts, das die Besucher so einnahm.

Baden, den 11. August 1863„Nach dem Herren Diner machte ich mit

der Königin eine reizende Abendpromenade.Wir fuhren nach dem alten Schloss hinauf undstiegen dort aus. Es ist da oben wunderschön,man sieht das ganze Rheintal und bis Straß-burg hin, es war zwar etwas nebelig, doch gingdie Sonne blutrot unter, und die Beleuchtungwar prachtvoll. Dann ging die Königin in sehrschneller Gangart den Berg hinunter, derstellenweise sehr steil ist. Als wir untenankamen, war es fast dunkel, und der Wegdurch die Stadt war nicht sehr angenehm,denn des abends sind die Straßen hier sehrbelebt und es herrscht oft ein solchesGedränge, dass man schwer durchkommt.“ DieKönigin auf ihren Spaziergängen zu begleitenwar eine der wichtigen Aufgaben einerHofdame, besonders der fast tägliche Weg nachLichtental.

Baden, den 15. August 1863„Die Königin ging mit mir in das Kloster,

welches eine kleine Strecke von hier inLichtental liegt und sehr interessant ist. DieNonnen tragen weiß wollene Kleider mitschwarzen Schürzen und schwarzen Kopf-tüchern, die weiß eingefasst sind. Die Königinstellte mich der Oberin vor, die sehr freundlichwar und mich einlud, wiederzukommen, umdas Kloster und die Kirche zu besehen. Es warsehr still und friedlich dort.“

Diese Gänge nach Lichtental, oft bei Windund Wetter, tauchen in den meisten Briefenauf. Die Zeitgenossen beobachteten auchhierbei Augustas besonderes Interesse amKatholizismus und seinen Einrichtungen, jaihre Kritiker vermuteten, sie würde konver-tieren.7 Das war sicher nicht der Fall; es über-wog wohl mehr das Emotionale, das sie zu derLiturgie hinzog. Das zeigt z. B. der Brief derprotestantischen Adele vom 15. Mai 1867 anihre ostpreußische Mutter.

„Soeben komme ich aus dem LichtentalerKloster zurück, wohin ich die Königin beglei-tet hatte, die dort der Schleiernahme einigerNonnen mit beiwohnte. Die Feier währte von10 bis 1 Uhr und war sehr schön und eigen-tümlich. Die drei Geistlichen, zwei Kirchen-diener, zwei Chorknaben und alle Nonnenwaren fast unausgesetzt in Bewegung, wäh-rend die schleiernehmenden Nonnen bestän-dig ihre Gebete hersagten und auf ver-schiedene Fragen des Priesters antworteten.Aus der Hand desselben erhielten sie dann denSchleier in Form eines wollenen Gewandesund wurden von den anderen Nonnen sogleichdamit bekleidet; dann legten sie sich vor denAltar auf den Boden nieder, um wieder zubeten, worauf die Feier beendet war. Sie warennun unwiderruflich und für ihr ganzes LebenNonnen und in die Mauern des Klostersgebannt, was trotz des großen Friedens, derdarin liegt, doch etwas Beängstigendes undSchreckliches hat. Diese drei Nonnen aberdachten wohl anders; sie traten strahlendglücklich vor die Königin, die sie begrüßte undihnen einige sehr schöne Worte sagte, welcheihnen sicher wohl taten.“

Das Maison Messmer lag nicht weit entferntvon der Villa von Jacques Benazet und seinemSohn Eduard, die mit dem Spielcasino für

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einen besonderen Anziehungspunkt in Baden-Baden gesorgt hatten. Augusta hatte eineAbneigung gegenüber jenem Publikum, das ihrals „Halbwelt“ erschien, besuchte nie die Spiel-bank und beschränkte sich strikt auf Adels-kreise, von denen es genug gab. Dagegen spieltdas 1862 neueröffnete Theater eine wichtigeRolle für sie.

Baden, den 21 August 1863„Nachmittags ging ich mit der Königin

spazieren, dann wurde Toilette gemacht und indas Theater gegangen, wo die erste italienischeVorstellung stattfand. Es wurde der ,Fidelio‘gegeben und die Vorstellung war vollkommenund schön, wie ich es nicht beschreiben kann.Es wurde vollendet gesungen und gespielt. DasTheater ist außerordentlich glänzend und ele-gant von Pariser Arbeitern dekoriert.“

Neben dem Theater war Iffezheim mitseiner 1858 eröffneten Pferderennbahn einstandesgemäßer Treffpunkt.

Baden, den 6. September 1863„Wir waren mit der Königin auf dem

Rennen; es war hübscher und amüsanter alsdas vorige Mal, auch konnten wir alles vielbesser sehen. Die Königin fuhr mit GräfinBrandenburg in einem vierspännigen Wagenmit zwei Vorreitern. Graf Blücher und ichfolgten. Auf dem Rennplatz fanden wir denGroßherzog und die Großherzogin [vonBaden], den König von Holland und noch vieleandere schon auf der Tribüne, die ein kleinesHaus für sich bildet. Leider kamen wir sehr

spät und sahen nur die letzten Rennen. Zurückfuhr die Königin mit den großherzoglichenHerrschaften in einem vierspännigen Wagen,der von wundervollen sehr schön ange-spannten englischen Pferden gezogen wurde,die Jockeys in feuerroten Jacken.“

Baden, den 8. September 1863„Die Königin schickte mich heute wieder

mit dem Grafen Blücher zu den Rennen, waswirklich sehr gütig von ihr war … Die Rennenwaren höchst interessant, besonders das eine,in welchem ein Pferd lief, das selbst in Englandnoch niemals geschlagen war. Der Jockey rittes vorzüglich mit der größten Ruhe undgewann glänzend. Vor dem letzten Hürden-rennen mußten wir fort; leider ist dabei einReiter gestürzt und auf der Stelle tod geblie-ben. Nach Hause zurückgekehrt dinierten mitder Königin zusammen nur 5 Personen.“

Die Briefe sind voll von Notizen, wer beiwelchem Empfang, Essen, Tee anwesend war,eine Routine mit wechselnden Personen. EinKönig, ein Großherzog, ein Prinz löste denanderen ab. In Adeles Berichten wird dabei dasgeistige und politische Interesse der KöniginAugusta nicht berührt, die eine gebildete Frauwar und eine lebhafte Korrespondenz pflegte.Der Hofbetrieb mit seinen gesellschaftlichenund künstlerischen Ereignissen nahm für eineHofdame einen solchen Raum ein, dass sogarGroßherzog Friedrich I. über seinen Schwie-gervater Wilhelm I. schrieb: „Es ist sichtbarund fühlbar, dass das unaufhaltsame Treibenvon einem Fest zum andern eine betäubendeWirkung übte und der König während dieserZeit sich kaum mit anderen Fragenbeschäftigen konnte.“8

Außer diesem Veranstaltungsstress warauch die Speisetafel der Gesundheit nichtbesonders zuträglich. Dazu diese EintragungAdeles an ihre Mutter, die offensichtlich allesgenau wissen wollte.

Baden-Baden, den 23. Juni 1864„Gestern dinierte die Königin mit uns bei

dem Landgrafen und der Landgräfin vonHessen, wo es sehr hübsch und unterhaltendwar; auch war das Diner ganz vorzüglich unddie Speisen sehr gut zubereitet, was für dieKönigin sehr wichtig ist, da sie an besonders

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Maison Messmer. Kaiserin Augusta und Wilhelm I.wohnten in diesem Hotel bei ihren Aufenthalten in Baden-Baden.

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leichte Küche gewöhnt ist und ihr auswärtigeDiners nicht gut bekommen. Das Diner derKönigin besteht meistens aus 1. Soup à laReine, 2. Forellen und Rheinlachs, 3. Rind-fleisch mit Gemüse garniert, 4. einem Fleisch-gericht von Huhn oder Kalb, 5. einem zu-sammengesetzten Gericht aus Fleisch undGemüse, oft Sauerampfer, 6. Grüner Spargel,ein Lieblingsgericht der Königin, 7. einersüßen Speise, Eis, Eingemachtes oder frischenFrüchten … Die Königin genießt gerne ein-fache Speisen und Früchte, unter diesem mitVorliebe Walderdbeeren, die den ganzenSommer auf die Tafel kommen, auch zumeiner großen Freude … Ein großes Lieb-lingsgericht ist Hering mit Pellkartoffeln, wasihr leider meistens von Dr. Velten [ihr Leib-arzt] untersagt ist, es erscheint aber stets amGeburtstag der Königin zum Lunch, und darfsie dann ausnahmsweise davon essen.“

Neben den höfischen Tischsitten hatte dieKleidung einen hohen Stellenwert. NachDienstantritt 1862 erhielt Adele von der Ober-hofmeisterin im Auftrag der Königin vierKleider, „ein rose, ein buntes, ein weißes undein schwarzes …, letzteres besonders schön“(5. 12. 62) Nach der preußischen Hofvorschriftmussten bei der dreimonatigen Hoftrauerwollene hohe Kleider in den ersten siebenWochen getragen werden, in der zweiten Hälfteder Trauer schwarzseidene, am Ende schwarzeSamtkleider.9 Damit demonstrierte der Adel amHof nicht zuletzt seine Verbundenheit mit demköniglichen Haus. Adele schreibt täglich vom„Toilette machen“, nach jeder Wanderung zumTee, zum Diner, oft sehr hastig, zuweilen froh,dass sie bei Halsschmerzen in einfachen hohenDiner-Kleidern erscheinen konnte, nicht imdamaligen tiefen Dekolleté. Die Garderobe, derSchmuck der einzelnen Mitglieder, besondersbei Festen, war neben dem persönlichenPrestige erst die Voraussetzung für den Glanz,nach dem der Hof insgesamt verlangte.

Die Königin achtete auch auf den Gesund-heitszustand und das Allgemeinbefinden ihrerHofdamen, so zitiert: „Ich vertrete Mutterstellebei meinen Damen“ (14. 12. 66) Dement-sprechend wurden die Hofdamen zu Weih-nachten beschenkt, z. B. am 25. Dezember1864: „Ich erhielt ein wunderschönes Diner-Kleid von schwerer Seide … ein sehr hübsches

Reise-Necessaire, einen Fächer mit einerSchwalbe, den der König selbst ausgesuchthatte und vieles andere, auch besonders großePfefferkuchen.“

Wenn eine Hofdame heiratete, und dafürergaben sich im höfischen Leben vieleGelegenheiten, standesgemäße Partner zu fin-den, schied sie aus dem Hofdienst aus. Sonstherrschten strenge Sitten , wie der Brief vom4. September 1866 aus Gernsbach bei Baden-Baden zeigt, wo Adele mit dem GrafenMatuschka ein Quartier bezog. „Die Königinamüsierte sich gestern in dem Gedanken anunsere hiesige Existenz und sagte: ,Es ist gut,dass Graf Matuschka schon einen erwachsenenSohn hat; ich habe mit Absicht einen älterenKammerherrn gewählt, denn ich liebe es nicht,wenn die mir anvertraute Jugend mit unver-heirateten Herren herumfährt.‘ So sorgt undbehütet die Königin ihre Damen in wahrhaftmütterlicher Weise und daher fühlt man sichauch so sicher und geborgen in diesemSchutz.“ Augusta entschied sich ja für einenstrengen Lebensstil, in dem auch die Amourenihres Gatten mit Diskretion verschleiertwurden.

In den Briefen Adeles fehlen Anmerkungenzum politischen Geschehen, obwohl bei denvielen gesellschaftlichen Treffen sicher davondie Rede war. Nebenbei wird ein Gedenktagzum Gefecht an den Düppeler Schanzen imDänenkrieg 1864 erwähnt und der ja per-manente Einsatz der Königin Augusta für dieFrauenvereine und ihre Fürsorge für die Ver-wundeten nach 1866. Das war einer Aus-einandersetzung, in der badische Truppen amMain im Juli gegen preußische Verbändekämpften, kein Grund für die Königin, nichtschon im September wieder ins ehemalige„Feindesland“ Baden zu Tochter und Schwie-gersohn zu reisen. Hofdamen waren freilich zustrikter Vertraulichkeit verpflichtet, aber esentwickelte sich über die Repräsentations-pflichten hinaus oft ein Vertrauensverhältnisselbst bei der kühlen, oft sich steif gebendenAugusta.

Einige besondere Charakteristiken belebendie sonst in reinen Gesellschaftsberichtenabgefassten Briefe, so die zahlreichenInformationen über die Pariser Weltaus-stellung, die Adele so gern gesehen hätte.

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Baden-Baden, den 10. Juni 1867„Gestern Abend zum Tee erschienen die

Kronprinzessin [Victoria], die Großherzoginund der Großherzog … Die Kronprinzessinerzählte ungemein fesselnd und lebhaft vonParis und der Ausstellung; ihre Ausdrucks-weise hat etwas sehr anziehendes und wohl-klingendes und ihre Art deutsch zu sprechenist sehr hübsch. Es war eine Freude, ihre Schil-derungen zu hören und interessierte dieKönigin außerordentlich. Während derUnterhaltung zeichnete die Kronprinzessineine frische Rose, die man zufällig in einemGlase Wasser auf den Tisch gestellt hatte. Siemachte in kurzer Zeit ein reizendes kleinesBild, und obwohl es nur wenige Striche waren,so war es voller Ausdruck und man sah darausdie hohe Begabung der Kronprinzessin, dieebenso hervorragend ist wie ihre tiefenwissenschaftlichen Kenntnisse. In Paris soll dieKronprinzessin alle Professoren und andereHerren in Erstaunen versetzt haben durch dieArt, wie sie über alles sprach und in allenFächern orientiert war.“

Es finden sich auch Anzeichen für eine Ent-wicklung, die später zum raschen Thron-wechsel von Kaiser Friedrich III. zu Wil-helm II. führte, so vom 25. Mai 1867: „DieKönigin hatte leider die Nachricht, dass derKronprinz[Friedrich] recht krank an einemHalsgeschwür gewesen ist. Gottlob ist dasLeiden schnell behoben und die Genesung soweit vorgeschritten, dass der Kronprinz unddie Kronprinzessin gestern abend glücklich inParis eintreffen konnten … Prinz Wilhelm istin Karlsruhe zum Besuch bei den großherzog-lichen Herrschaften eingetroffen und wird inden nächsten Tagen mit seinen Begleitern eineFußreise durch den Schwarzwald machen.“

Von Victoria war Adele immer wieder fas-ziniert und sie vermittelt das, was auch dasPublikum empfinden mochte: „Der Kronprinzbefindet sich Gottlob wieder vollkommenwohl, er wird in Paris sehr bewundert, seineschöne Erscheinung fällt allgemein auf unddas Volk hat in den Straßen, die er passierte,,Ah! quel bel homme‘ gerufen.“ (29. Mai 1867)

Die naive, unkritische Haltung dieserjungen Frau, ihren ostpreußischen Dialektbeherrschend, nimmt einen bei der Brieflek-türe dennoch gefangen. Alle Theaterauf-

führungen, Konzerte, Gesangsabende findetsie wunderbar, die Gesellschaften, in der Regelam Marschalltisch sitzend, also der zweitenTafel, amüsant und anregend, weil es da sicherungezwungener als an der herrschaftlichenTafel zuging. Über eine Kindergesellschaftschreibt sie, es wurden „kleine Spiele unter-nommen wie Katz und Maus und dergleichenmehr, was mir, wie ich gestehen muß, unend-liches Vergnügen machte und wobei ich, wieich fürchte, etwas sehr lebhaft wurde; dieKönigin amüsierte sich aber darüber undlachte über meinen Eifer.“ (Baden-Baden,22. Mai 1867). Und immer wieder dieBegeisterung der Norddeutschen aus kühlerenKlimaten über die Reise nach Baden-Baden,der capitale d’été.

Baden-Baden, den 12. Mai 1864„Nun sind wir glücklich in Baden angelangt

und es läßt sich nicht beschreiben, wiewunderschön es jetzt hier ist in dem herr-lichen Frühlingsschmuck; alles steht invollster Blüte und der ganze schöne Ort wie inDuft getaucht; das frische Grün steht in seinerzarten Farbe reizend gegen die dunklenernsten Tannenwälder ab, die Baden-Badenumgeben. Man kann all die Pracht und Herr-lichkeit des hiesigen Frühlings gar nicht genugbewundern und genießen. Ganz entzückend istauch das Blühen des Flieders, den ich insolchen Massen und in solcher Üppigkeit wohlnoch nie gesehen habe; man kann sich kaumeine Vorstellung machen, der ganze Weg vonKarlsruhe hierher war von Flieder und ande-rem Blütenduft erfüllt, man glaubt wirklich, ineinem Frühlingstraum zu leben und möchetjeden Tag festhalten und alles immer mehrgenießen.“

Da spürt man wenig Belastung durch das,was andere Höflinge die „Last des Luxus“nannten, vielmehr schreibt sie immer ent-husiasmiert vom höfischen Kreis, den interes-santen Begegnungen, vor allem von dem Ver-ständnis „ihrer Majestäten“.

Der Abschied von der Königin, die im Juni1867 nach England fuhr, nur von ihrerOberhofmeisterin begleitet, war für Adeleüberraschenderweise das Ende ihrer Amtszeit,denn es kündigte sich bei ihr eine Herz-krankheit an, die sie zu Kuren, schließlich zur

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Heimkehr nach Ostpreußen zwang. DasKönigspaar wollte sie nicht entlassen, sondernsprach nur einen unbefristeten Urlaub aus, wassie als besondere Gnade empfand. Am Endeihrer in bestechend klarer Handschriftfixierten Briefsammlung schreibt sie: „Öftershabe ich noch das Glück gehabt, die geliebtenMajestäten wieder zu sehen und in der Umge-bung der Königin kurze Zeit sein zu dürfen.Die Jahre, die ich am Hofe der Königin ver-leben durfte, waren die schönsten meinesLebens und sind mir eine teure unaus-sprechlich wertvolle Erinnerung. Es war eineZeit, in der ich mich so vollkommen glücklichfühlte, wie es wohl selten den Menschen zu Teilwird.“

Ein Jahr nach der Zueignung der Brief-sammlung an Großherzogin Luise starb sie imOktober 1900, achtundfünzigjährig, unverhei-ratet.

Anmerkungen

1 Adele Julia Antonie, geb. am 10. Dezember 1841,gest. am 10. Oktober 1900, Tochter von KarlLudwig Alexander Graf zu Dohna – Schlodien –Carwinden und Ehefrau Anna, geborene vonAuerswald.

2 Generallandesarchiv Karlsruhe, 69 Baden Samm-lung 1995 A/o. S. Kasten 3.

3 Christa Diemel, Adlige Frauen im bürgerlichenJahrhundert, Hofdamen, Stiftsdamen, Salon-damen, 1800–1870, Frankfurt/M , 1998, S. 73.

4 A. a. O., S. 101.5 In der Literatur wird über die Kaiserin Augusta

unterschiedlich geurteilt. Hier nur ein eher ver-sönliches Zitat ihres politischen HauptgegnersBismarck: „Die Königin war, so lange nichtphysische Gefahren drohten, getragen von einemhohen Pflichtgefühl, aber aufgrund ihres könig-lichen Empfindens abgeneigt, andre Autoritätenals die ihrige gewähren zu lassen“, Gedanken undErinnerungen, Stuttgart 1898, Band II, S. 287.

6 Rolf Rößler, Kaiserin Augusta und ihre Bedeutungfür Baden-Baden, Aquae 03, 2003, Heft 36, S.63–76.

7 Anm. 5, Band I, S. 122-127.8 Hermann Oncken, Großherzog Friedrich I. v.

Baden und die deutsche Politik 1854–71, Stuttgart1924, Band I. S. 123.

9 Anm. 3, S. 96.

Anschrift des Autors:Dr. Leonhard Müller

Reinhold-Schneider-Straße 1076199 Karlsruhe

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Er war einer der Großen in den Bereichenvon Landesgeschichte, Rechtshistorik undKriminologie. Seine breit gefächerte Biblio-graphie umfasst etwa 1200 Titel.1 Ein Haupt-werk bildet seine dreibändige Untersuchungder mittelalterlichen Dorfgemeinde, fußendauf den Entwicklungen in seiner Heimat-region, der Baar. Zudem hat er eine ganzeReihe von Beiträgen veröffentlicht in MeinHeimatland und in der Badischen Heimat.2

Unser Landesverein hat ihn zum Ehrenmit-glied ernannt.

Vor hundert Jahren, am 27. August 1905,wird Karl Siegfried Bader in Waldau (heuteStadtteil von Titisee-Neustadt) als Sohn desHauptlehrers Karl Bader und seiner EhefrauRosa geb. Baur geboren. Im Jahre 1907 ziehtdie Familie nach Gutmadingen. Von dort ausbesucht Bader das Gymnasium in Donau-eschingen, studiert sodann Rechtswissenschaftin Tübingen, Wien, Heidelberg und zuletzt inFreiburg, wo er zum Doktor der Rechte pro-moviert wird. Nachdem er 1930 das zweiteStaatsexamen abgelegt hat, tritt er in denbadischen Justizdienst ein. Im Herbst 1933muss Bader, der das NS-Regime ablehnt, auspolitischen Gründen aus dem Staatsdienst aus-scheiden. Nun lässt er sich in Freiburg alsRechtsanwalt nieder, zugleich übernimmt erdie Leitung des Fürstenbergischen Archivs inDonaueschingen. In seiner Anwaltskanzleibeim Martinstor berät und vertritt er immerwieder bedrängte jüdische Mitbürger undandere Verfolgte der braunen Diktatur. Späterhat er sich erinnert, wie die Mandanten hinterder gepolsterten Doppeltür seines engen Büro-raums, wo sogar das Telefon durch eineübergestülpte Haube isoliert war, ihr Herz aus-

schütteten, ihre Empörung und ihre Angst inWorte fassten. Auch Gertrud Luckner, dieunter Einsatz ihres Lebens zahlreichenjüdischen Menschen beistand, gehört zu denSchützlingen des standhaften Anwalts.3

Im Jahre 1941 wird Bader zur Wehrmachteingezogen. Zuerst hat man ihn einerSanitätseinheit zugeteilt, da er wegen seinesDoktortitels für einen Mediziner gehaltenwird. Nach einigen Monaten sieht er sich ansWehrmachtgefängnis Freiburg versetzt. ImRang eines Gefreiten, dann Unteroffizier, hater sich um die verwaltungsmäßige Seite derStrafvollstreckung zu kümmern. Danebenmuss er als Pflichtverteidiger von angeklagtenSoldaten auftreten. In den letzten Kriegs-monaten wird befohlen, die Insassen und dasPersonal der Strafanstalt zu verlegen. Auf demMarsch durch Bayern geraten alle in ame-rikanische Kriegsgefangenschaft. Seine Erleb-nisse im Militärstrafvollzug hat Bader ineinem aufschlussreichen Manuskript fest-gehalten.4

Im Sommer 1945 kann Bader aus demGefangenenlager nach Freiburg heimkehren.Der politisch Unbelastete wird sogleich in denJustizdienst übernommen und vorweg zumkommissarischen, im Herbst zum planmäßi-gen Oberstaatsanwalt in Freiburg ernannt.Nach Errichtung eines Oberlandesgerichts inFreiburg wird Bader im März 1946 das Amt desGeneralstaatsanwalts übertragen. Vordring-liche Aufgabe ist jetzt nach Kriegsende dieNeuorganisation der Justiz inmitten von Nach-kriegskriminalität, Personalproblemen, Ent-nazifizierung, Raumnot, Materialmangel undstrengen Weisungen der Besatzungsmacht.Zeitaufwendig gestaltet sich die Tätigkeit in

V. Aktuelle Informationen

I. Personen

! Reiner Haehling von Lanzenauer !

Karl Siegfried Bader zum Gedenken

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der Reinigungskommission, die über Ent-nazifizierung und Wiedereinstellung derRichter und Staatsanwälte zu befinden hat.5

Daneben ist Sitzungsdienst bei Gericht wahr-zunehmen, zwischendurch ruft die Mord-kommission den Staatsanwalt an einen Tatortoder einen Leichenfundort. Und unaufhörlichsuchen Bittsteller den neuen Behördenchefauf, darunter viele Wohnungs- und Stellungs-suchende: Der reinste Bahnhofbetrieb imBüro … Alle wollen „Zeugnisse“ über ihreHaltung in der Aera Hitler, wenig erfreulicheBeanspruchung.6 Ein besonderes Augenmerkrichtet Bader auf die Aus- und Fortbildungjunger Juristen mitsamt dem Prüfungswesen.Mit Zustimmung der Franzosen wird er zumPrüfungskommissar ernannt. Nachdrücklichfördert Bader die Verfolgung von NS-Ver-brechen. Im Jahre 1947 übernimmt er per-sönlich Sitzungsvertretung und Plädoyer imProzess gegen den Erzbergermörder HeinrichTillessen. Über all dem findet der Vielbe-schäftigte noch Muße, zeitkritische Schriftenwie Ursache und Schuld in der geschichtlichenWirklichkeit (1946) oder Die deutschenJuristen (1947) zu veröffentlichen. Auch fürdie monatlich erscheinende Deutsche Rechts-zeitschrift (später: Juristenzeitung) zeichnet erab 1946 als Mitherausgeber.

Schon früher, nämlich im Jahre 1942,hatte sich Bader habilitiert und war zumDozenten für Rechtsgeschichte sowie Privat-und Kirchenrecht an die Universität Freiburgberufen worden. Nur wenige Vorlesungenhatte er während der Kriegsjahre haltenkönnen. Nun wird er im August 1945 zumaußerplanmäßigen Professor ernannt, nebendem täglichen Dienst wirkt er fortan alsRechtslehrer. Im darauf folgenden Jahr über-nimmt er die Leitung des Freiburger Univer-sitätsinstituts für Kriminalistik und Strafvoll-zugskunde. Seit dem Wintersemester 1946/47hält Bader, späterhin gemeinsam mit Pro-fessor Dr. Maunz, das Badische Seminar, wodie Rechts- und Verfassungsgeschichte desLandes Baden in Referaten und Diskussionenerarbeitet wird.7 Im Jahre 1951 folgt ProfessorBader einem Ruf an die Universität Mainz,zugleich sucht er um Entlassung aus demStaatsdienst nach. 1953 wechselt er an dieUniversität Zürich, dort wird ihm der Lehr-

stuhl für Schweizerische und DeutscheRechtsgeschichte übertragen. Das ihmangetragene Amt des Karlsruher General-bundesanwalts lehnt er im Jahre 1962 ab. InZürich gründet Bader die mit dem Juris-tischen Seminar verbundene Forschungsstellefür Rechtsgeschichte, die vorwiegend rechts-archäologisches Sammelgut bergen und eineSchriftenreihe herausgeben soll. Weiterhinruft er 1954 die Zürcher Ausspracheabende fürRechtsgeschichte ins Leben, wo regelmäßigWissenschaftler wie Praktiker vom Stand derForschung unterrichtet werden.8

Von ungewöhnlichem Wissensreichtum,dabei stets bescheiden und liebenswürdig auf-tretend, begegnet der Universitätslehrer denStudenten mit natürlicher Offenheit. Rechtenshat man nicht nur seine humanistischeGesinnung hervorgehoben, sondern auch jenetypisch badische Mischung aus politischemFreisinn, kulturell aufgeschlossenem Katholi-zismus, Herkunftsstolz und Heimattreue.9

Mancherlei Ehrungen erreichen den ver-

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Karl Siegfried Bader

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dienten Mann: Die Städte Elzach undGeisingen machen ihn zu ihrem Ehrenbürger,hohe Auszeichnungen werden ihm verliehen.Am 13. Dezember 1998 ist Professor Dr. KarlSiegfried Bader in Zürich verstorben, imFamiliengrab auf dem Geisinger Friedhof hater letzte Ruhe gefunden.10

Anmerkungen

1 Bibliographie in Festschrift für K. S. Bader, 1965,S. 503; vgl. a. K. S. Bader, Schriften zur Rechts-geschichte/Landesgeschichte, 3 Bde., Sigmaringen1983/84.

2 MH 1929, S. 271, 1934, S. 318; 1939, S. 247; BadH1938, S. 122 und 387, 1959, S. 313.

3 Freiburger Rundbrief Nr. 49 v. 26. 9. 1960, S. 30;Manfred Bosch, Als die Freiheit unterging, 1985,S. 128; Angela Borgstedt, Badische Juristen imWiderstand (1933–1945), 2004, S. 149.

4 Unter bestraften Soldaten, Typoskript 1945,Institut für Zeitgeschichte München Ms 126; vgl.dazu Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligen-hilfe 2004, S. 226.

5 Michael Kißener, Zwischen Diktatur und Demo-kratie, 2003, S. 284.

6 K. S. Bader in: Paul Weinacht, Gelb-rot-gelbeRegierungsjahre, 1988, S. 45.

7 Bader (Anm. 6) S. 62, 74. Der Verfasser hat dort imWintersemester 1950/51 ein Referat über denStand der Kaspar-Hauser-Forschung gehalten.

8 Walter Müller und Claudio Soliva (Hg.), Zwei Jahr-zehnte Rechtsgeschichte an der UniversitätZürich, 1975, S. 51, 59.

9 Friedemann Maurer, BadH 1995, S. 673.10 Nachrufe: Adolf Schmid, BadH 1998, S. 700;

Claudio Soliva, Schweizerische Juristenzeitung1998, S. 477; Ulrich Weber, Juristenzeitung 1999,S. 566; Gerhard Dilcher, Juristenzeitung 1999,S. 567; Reiner Haehling von Lanzenauer, ZGO2000, S. 369; Clausdieter Schott, Zeitschrift derSavigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ.Abt., 119. Bd., 2002, S. 1.

Anschrift des Autors:Dr. Reiner Haehling von Lanzenauer

Hirschstraße 376530 Baden-Baden

E Freudestund isch nit verwehrtJohannes Wenk-Madoery zum 75. Geburtstag

Bei bester Gesundheitkonnte Johannes Wenk-Madoery in Riehen (Schweiz)am 12. März 2005 seinen75. Geburtstag feiern. DerJubilar, der nicht imRampenlicht der Öffentlich-keit steht – und das ganzbewusst –, hat über vieleJahre ein Stück der jüngerenKulturgeschichte der Regiodokumentiert.

Zu nennen wären hieran erster Stelle die Hebel-feiern in der Regio. HebelsVermächtnis zu bewahren,Werk und Geist weiterzu-geben, für die Verständi-

gung der Menschen am Oberrhein tätig zu sein, warund ist das Anliegen von Johannes Wenk-Madoery,Spross einer alteingesessenen Riehener Familie.

Was sich in mehr als fünfzig Jahren in seinemArchiv angesammelt hat ist außergewöhnlich und ein-zigartig und würde jeder Bibliothek, einem germa-nistischen Institut, aber auch einem Museum alle Ehremachen. Die äußerst wertvolle Sammlung des Jubilars

gibt auch einen vielseitigen und eindrucksvollen Ein-blick in mehr als 150 Jahre Geschichte des Buch-drucks und der Buchgestaltung. Die Anzahl der Auf-sätze, Reden, Presseartikel und Bilder, Postkarten undBriefe in akribischer chronologischer Folge lassenerahnen, welcher zeitliche Aufwand bis heute nötigwar und erbracht werden musste.

Das Sammeln und Archivieren ist für JohannesWenk-Madoery mehr als nur ein Hobby, es ist zu einerLeidenschaft des Jubilars geworden. Ohne das innigeVerständnis seiner Frau Irma wäre das alles wohl nichtmöglich gewesen. So ist auch sie zur „Hebel-Expertin“geworden. Von den Hebelfeiern ausgehend, kamJohannes Wenk-Madoery ganz selbstverständlich mitvielen Menschen in Beziehung, die nicht nurliterarisch oder wissenschaftlich tätig sind, und soerweiterte sich sein „Einzugsbereich“ und Wissens-horizont. So ist es auch nicht verwunderlich, dass derJubilar viele Jahre dem Präsidium des HebelbundesLörrach e. V. angehörte und dessen Archiv nicht nurbetreut hat, sondern im wahrsten Sinne des Wortesauch „gefüttert“ hat. Auch heute noch ist JohannesWenk-Madoery ein viel gefragter Ansprechpartner,wenn es um das Leben und Werk Johann Peter Hebelsgeht. Die in vielen Jahren zusammengetrageneSammlung ist auch eine bibliographische Dokumen-tation. Sie schöpft aus der Begeisterung für Hebel undsein Werk, und sie ist eine tiefe Verneigung vor demgroßen Kalendermann, Pädagogen und Theologen.Über Grenzen hinweggehen ist im äußeren und iminneren Sinne ein wichtiger Faktor im Leben desJubilars geworden. Elmar Vogt

Der Jubilar Foto: Gemeinde-

archiv Hausen im Wiesental

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Sankt Augustin, 7. Januar 2005Lieber Vati!

Lili sagt: „Da ist jetzt einLoch, da wo der Opa war.“Ja. Da ist ein Loch. „Wie warer denn, der Opa?“ „Der warimmer so lustig in seinemRollstuhl.“ Die Enkel: allekennen den Opa nur imRollstuhl. So gehört sich daswohl für einen ordentlichenOpa: lustig scherzen, wenndie Enkel vorne auf demStuhlbrett mitrollen. DieBehinderung wurde ge-schwind umfunktioniert zueinem kindlichen Erlebnis.Unglaublich. Und so typisch

zugleich: Denn was so leicht und souverän daher kam,hast Du Dir hart erarbeitet. Mit eiserner Disziplin hastDein Rollstuhlleben gemeistert, das Schicksal nichthadernd hinterfragt, sondern die Situation als Heraus-forderung angenommen – um dann verschmitzt Dingezu sagen wie: „ich bringe meinen Stuhl immer selbstmit“ oder als Deine persönliche Maxime: „ich bin dochnicht auf den Kopf gefallen“.

Soviel Souveränität nötigte allen um Dich herumRespekt ab. Zu Recht. Und die, die dahinter blickendurften, wussten: das war Teamarbeit. Mutti, Du warstdie stille Heldin bei alledem. Das ist alles – nur nichtselbstverständlich. Vati wusste, welchen Halt er immeran Dir hatte, besonders in den letzten zwanzig Jahren.„Es ist ein Geschenk, gemeinsam alt zu werden“, sagteer mir bei einem unserer letzten Gespräche auf derIntensivstation in Bad Wildungen. Das war – eineLiebeserklärung an Dich, Mutti. Aber gleichzeitig auchein Bekenntnis zu den christlichen Werten, die ihmHalt und Orientierung gaben auf seinem Lebensweg.

Es kann kein Zufall sein, dass er mit BrahmsRequiem eingeschlafen ist. Diese, seine Musik hat ernicht nur intellektuell durchdrungen, sondern er hatsich von ihr immer emotional erfassen lassen. Hineindenken, hinein fühlen: Nein, auf den Kopf gefallenwarst Du nicht, Vati – ein großes Herz hattest Du auchnoch dabei! Mit Herz und Verstand gleichermaßen hastDu die Menschen für Dich gewonnen. Vielleicht Deinegrößte Gabe war das Talent zur Freundschaft. Treue inLebensbögen. Du liebtest die Menschen. Sehr viele vonIhnen sind deshalb heute hierher gekommen, um sichdafür bei Dir, Vati, zu bedanken.

Auch im Beruf wusstest Du die Menschen für Dichzu gewinnen. Da erzählen manche, wie Du nach

anstrengenden Tagungsstunden in die Tasten gehauenhast, um Lieder anzustimmen. Ganze internationalbesetzte Delegationsbusse brachtest Du im Sinneder Völkerverständigung zum gemeinsamen Singen.Ein Europäer der ersten Stunde – aus Leidenschaft undnicht etwa, weil es der Beruf erforderte. DerMinisterialbeamte hat die Sitzung präpariert und denAbend zelebriert. Präzision und Emotion – eineunschlagbare Kombination. Die Anerkennungen, dieWürdigungen, auch der wohl verdiente Professoren-titel, sie alle fußen darauf.

Neben dem Abschmettern von Verdi-Arien zurnächtlichen Stunde – Dich selber am Klavierbegleitend – sind wir Kinder groß geworden mit demKlappern der Olympia-Schreibmaschine aus demArbeitszimmer. Schreiben war Dein Elixier – ob alsRedenschreiber oder Biograf: Hinein denken undhinein fühlen in Themen und in das Leben anderer:Das brachte Dir Deinen Erfolg im Beruf und letztlicheben auch den Titel.

Schreiben war Passion. Auch das nötigte allen umDich herum Respekt ab. Du hast es als Aufgabe an derSache verstanden. Ohne Aufhebens hast Du gesell-schaftspolitische Verantwortung übernommen. Duwarst ein Staatsbürger und -diener im besten Sinne.Weit mehr als mancher, der per Wahl dazu gekürtwurde. Du hast den Ärger geschluckt, den Dir Abge-ordnete durchaus bereiten konnten. Erklärt hast Du esdamit, dass Du als Beamter schließlich dafüralimentiert und nicht schnöde „bezahlt“ wirst. KeinVertun: Diese für Dich hoheitliche Aufgabe war ebensoHerausforderung. Sie anzunehmen hast Du oft inSelbstlosigkeit absolviert. „So sind sie“, kom-mentiertest Du salopp das Tun derjenigen, das Direigentlich nicht passte.

Hier sprach auch die Souveränität einesUnabhängigen, der durch Erfahrung und Wissen insich selbst ruhte. Es reicht bei Weitem nicht aus zusagen, dass Dich die alte klassisch-humanistischeBildung prägte. Dein tiefes Weltverständnis machteuns alle staunen. Ein Begleiteffekt war Deinimmenser Wissensschatz. Wir Kinder haben bei„Trivial Pursuit“ immer auf den Bereich „Unter-haltung“ gesetzt, um Dich, Vati, mit wenigstenseinem Themenfeld schlagen zu können. Du hast esquittiert mit einem gütigen Lächeln. Gewonnen hastDu sowieso – und zwar uns alle allein wegen DeinesCharmes in diesen Situationen. Nein, Dein Wissenund Deine Kompetenz mutierten nie zu einem häss-lichen Dünkel. Sie waren nicht Maßstab. Du hast unsKinder immer gewähren lassen in dem, was wir taten.Auch das habt Ihr Euch im Team erarbeitet. Wirkonnten uns verlassen auf ein Urvertrauen in unsKinder. So warst Du uns ein großartiger Vater. UndOpa sowieso. Gleichwohl und gerade deshalb: „Da istjetzt ein Loch, da wo der Opa war“.

Stephan Ferdinand, Sohn von Prof. Dr. Ferdinand

Nachruf für Horst Ferdinand

Dr. Horst Ferdinand, 1982

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Dr. Hermann Person – Freiburg,der am 29. Januar 2005 verstorben ist, im hohen Alter von 91 Jahren. Schon der Vater

war – als Zentrumspolitiker – Präsident des (süd-) badischen Landtags gewesen und somitinvolviert in die politische Entwicklung nach Kriegsende. Der Sohn Hermann studierte inFreiburg Physik, Mathematik und Meteorologie; er durchlebte Krieg und Gefangenschaft,promovierte, wurde Leiter des Freiburger Wetteramtes, 1952 errang er erstmals ein Man-dat im Stuttgarter Landtag, 1967 wurde er Regierungspräsident in Freiburg und blieb esbis 1979. Er verstärkte die Kontakte über den Rhein ins Elsass und in die Schweiz.

25 Jahre lang war er Präsident des Badischen Sportbundes, Bad Krozingen wurdedurch ihn als Vorsitzenden im Aufsichtsrat der Kurbetriebe beispielhaft gefördert, von1972 bis 1983 war er Vorsitzender des Freiburger Münsterbauvereins, ab 1979 leitete er für10 Jahre den Schwarzwaldverein und machte sich dabei einen Namen in Natur- undUmweltschutz.

Hermann Person, der seit 1953 engagiertes Mitglied unserer „BadischenHeimat“ war, hat sich in vielfältiger Weise Verdienste um unser Land und speziell fürBaden erworben. 1975 bekannte er noch: „Die kulturellen alemannischen Ambitionen sindstärker, ausgeprägter und selbstverständlicher denn jemals seit Kriegsende“. Und 1977 gabPerson zu Protokoll: „Auch wir sind Baden-Württemberger geworden, wenngleich dieunschöne Bindestrichbezeichnung mir immer noch etwas schwer über die Lippenkommt“. Dr. Hermann Person wird in Baden nicht vergessen werden.

Adolf Schmid, Landesvorsitzender der „Badischen Heimat“

Prof. Dr. Horst Ferdinand,Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident, überreichte 2002 im Berliner Reichstag

Professor Horst Ferdinand das Große Bundesverdienstkreuz – für seine Verdienste um dieDarstellung des Parlamentarismus in der Bundesrepublik. Prof. Ferdinand ist 1921 inEttenheim/Baden geboren, wuchs heran in einer Epoche, wo viele Schicksale durchZwänge, Krieg und Gefangenschaft bestimmt waren. Erst mit 27 Jahren konnte erstudieren, promovierte über Messgesänge in süddeutschen Klöstern. Er fand eineAnstellung im Bundestag, wurde schließlich Leiter des Referats für interparlamentarischeBeziehungen, arbeitete dort 30 Jahre lang.

Im Ruhestand arbeitete er mit großer Energie und viel Sachkenntnis an biographi-schen Texten zu badischen Persönlichkeiten, über hundert solcher Lebensbeschreibungensind in den „Badischen“ bzw. „Baden-Württembergischen Biographien“ erschienen.

Am letzten Tag des Jahres 2004 ist Horst Ferdinand im Alter von 83 Jahren gestorben.Wir werden ihn, der über ein halbes Jahrhundert Mitglied der „Badischen Heimat“ war, ingroßer Dankbarkeit für seine engagierte Mitarbeit in herzlicher Erinnerung behalten.Requiescat in pace.

Adolf Schmid, Landesvorsitzender der „Badischen Heimat“

II. In memoriam

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III. Vereine

Das Schwarzwälder Trachten-museum in Haslach im KinzigtalDie umfangreichste Trachtensammlung im

Lande wird 25 Jahre alt

Mit einem attraktiven Ju-biläumsprogramm begeht dasSchwarzwälder Trachtenmu-seum in Haslach seinen 25. Ge-burtstag. Höhepunkte sind u. a.eine Podiumsdiskussion zu denTrachten und eine das Jahrabschließende Ausstellung „AlterHaslacher Weihnachtskrippen“.

Als die wohl umfangreichsteTrachtensammlung im Lande kann das seit 1980 inHaslach im Kinzigtal bestehende SchwarzwälderTrachtenmuseum bezeichnet werden.

Nach dem Willen des 1995 verstorbenen Schul-rektors Alfred Schmid und unter seiner Leitung war inden Zellen des ehemaligen Kapuzinerklosters inHaslach eine den ganzen Schwarzwald umfassendeTrachtensammlung entstanden. Inzwischen ständigausgebaut und erweitert, zeigt das Museum über 100Trachtenfiguren und damit Volkstrachten nicht nuraus dem Schwarzwald, sondern inzwischen auch ausseinen Randgebieten.

Besondere Beachtung verdient auch die Dar-stellung von Brautkronen, von Hauben und Hüten.Neben den Trachten in ihrer Vielfalt präsentieren sichim Schwarzwälder Trachtenmuseum auch die Badi-schen Bürgerwehren und Milizen und weisen hin aufein Stück bedeutender Kulturgeschichte im ehemalsselbstständigen Lande Baden.

Die umfassende Trachtensammlung wird ergänztdurch Trachtenstiche und viele Details wie Erzeugnisseaus den Glashütten oder der Strohflechterei desSchwarzwaldes, ergänzt durch Gegenstände aus dembäuerlichen Leben. Gerade dieses Gebiet im deutschenSüdwesten wird zu Recht als die „herausragendeTrachtenlandschaft Deutschlands“ bezeichnet.

Trachtenfreunden ist auch längst bekannt, dass esder aus Haslach stammende Heinrich Hansjakob(1837–1916) war, der sich zusammen mit seinen beidenGutacher Malerfreunden Curt Liebich und Prof.Wilhelm Hasemann Ende des 19. Jahrhunderts für denErhalt der Schwarzwälder Volkstrachten eingesetzt undengagiert hatte. Damals war es die über den Rheindrängende französische Mode, die die Standeskleidungdes Bauernstandes zu verdrängen versuchte. In seinerim Jahre 1892 veröffentlichten und kämpferisch ver-fassten Flugschrift mit dem Titel „Unsere Volkstrachten– Ein Wort zu ihrer Erhaltung“ versuchte HeinrichHansjakob – damals katholischer Pfarrer in Freiburg(Breisgau) – das Volk aufzurütteln und Interesse amTrachtenerhalt zu wecken. Eine Initiative, die in derGründung von Trachtenvereinen im ganzen LandeBaden seinen Widerhall gefunden hatte und schließlichin seinen Bemühungen gipfelte, „einen Verein für dieErhaltung der Volkstrachten“ zu gründen, was dann1895 in Freiburg vollzogen worden war.

Kein Wunder also, wenn der Name Heinrich Hans-jakob stets auch mit den Volkstrachten in Verbindunggebracht und gerade auch im SchwarzwälderTrachtenmuseum auf sein Engagement hingewiesenhin gewiesen wird.

Ein Besuch im Schwarzwälder Trachtenmuseumaber macht auch gleichzeitig vertraut mit derGeschichte des Haslacher Kapuzinerklosters, welchesin der Zeit 1630/32 erbaut und in Folge derSäkularisation aufgelöst worden war. Der Kreuzgang,eine Kapuzinerzelle und Klosterkirche lassen nochetwas vom einst klösterlichen Leben erahnen.

Öffnungszeiten:1. 4.–15. 10.: Di–Sa 9–17 Uhr,Sonn- und Feiertag 10–17 Uhr.16. 10.–31. 3.: Di–Fr 9–12 Uhr und 13–17 Uhr,im Januar nur nach Vereinbarung.Informationen: Schwarzwälder TrachtenmuseumIm Alten Kapuzinerkloster, 77716 HaslachTel. 0 78 32/7 06-1 72, Fax: 0 78 32/7 06-1 79E-Mail: [email protected], www.haslach.de

Ein kultureller Silberstreifen:„Verein Deutsche Sprache e. V.“

Es ist eine Erfolgsgeschichte: Im November 1997gründete Professor Walter Krämer in großer Sorge umdie deutsche Sprachkultur den „Verein zur Wahrungder deutschen Sprache“, zusammen mit 6 Getreuen.2004 begrüßte der „Verein Deutsche Sprache“ bereitssein 20 000 Mitglied: Gülenber Pirneserova, eineGermanistin aus Berlin, der Hauptstadt von Aserbai-dschan am Kaspischen Meer. Der Verein freut sich übereinen „geradezu unglaublichen Rückenwind“, dasUnternehmen findet viel Unterstützung und Zu-stimmung. Es fällt jedem auf, dass in letzter Zeit vieleenglische Werbesprüche vom Bildschirm verschwun-den sind. Warum soll nun eine wichtigere Rolle derdeutschen Sprache in Europa „illusorisch oder ego-istisch“ sein? Warum wird eigentlich die Aufwertungdes Deutschen, der meistgesprochenen Sprache in derEuropäischen Union, nicht von den politisch Verant-wortlichen betrieben? Ist nicht die Diskriminierungder deutschen Sprache bei vielen ein Hauptgrund fürdie Ablehnung der europäischen Einigung? Diegrößten Nettozahler des „Unternehmens Europa“werden eindeutig benachteiligt: 88 Millionen Europäersprechen Deutsch als ihre Muttersprache (Englisch 58Millionen, Französisch 55 Millionen), zu denken istauch an viele Millionen aus den neuen Beitrittsländernim Osten, die Deutsch als zweite oder dritte Fremd-sprache beherrschen.

„Gegen die globale Denglischsoße“ gibt es bereitsviele Gegenkräfte – vor allem auch die Wertschätzungfür unsere deutsche Sprache. Es ist gut, dass die Vor-kämpfer bzw. die Verteidiger der guten deutschenSprache auch Anerkennung und Ermunterung undZuspruch erfahren – wie eben die „KulturpreiseDeutsche Sprache 2004“ beweisen. Unter den Preis-trägern ist übrigens die „Stuttgarter Zeitung“ für eineabsolut anglizismenfreie Samstagsausgabe! Leser-

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briefe, die über „Sprachhunzer“ kritisch berichten,werden inzwischen in vielen Zeitungen veröffentlicht.

Neben der Sprache, die wir schätzen und pflegen,ist es vor allem der Sektor der deutschsprachigenMusik, der schlicht bedauernswert ist. 2003 wurdeermittelt, dass der Anteil deutschsprachiger Musik imRadio gerade bei 1,2 Prozent liegt. Ein regelrechterBoykott deutsch gesungener Titel. Ist eine Mindest-quote die Lösung? Von den deutschen Hörern und vorallem von den deutschen Musikern wird sie eindeutiggefordert. Deutschtümelei? Die 40-Prozent-Radio-Quote wäre die Minimalforderung. Mehr als jede Deng-lisch-Werbung hat das Verdrängen deutscher Texte ausdem Radio-Musik-Programm der deutschen Sprach-kultur geschadet. Wir müssen die gesungene Sprachewieder für deutsche Texte zurückgewinnen.

Adolf Schmid

IV. Ausstellungen

200. GeburtstagHans Christian Andersens

Ausstellung und Broschüre im KarlsruherLiteraturmuseum:

H. C. Andersen zu Besuch in Karlsruhe.Ausstellung vom 11. April – 12. Juni 2005

Den 200. Geburts-tag H. C. Andersen(2. 4. 1805) nahmdie Literarische Gesell-schaft Karlsruhe zumAnlass, bisher weitge-hend unbekannte Ein-tragungen aus seinenTagebüchern, die seineAufenthalte in Karls-ruhe betreffen, zu doku-mentieren. Andersenwar dreimal zu Besuchin Karlsruhe: am 11.bis 15. August 1855,vom 22. bis 24. Sep-tember 1860 und am27. April 1873.

Andersens Besuch in Karlsruhe und seine Auf-zeichnungen darüber zeigen, wie die Kultur derResidenzstadt der damaligen Zeit von einem Außen-stehenden wahrgenommen wurde. Bei seinem erstenAufenthalt in Karlsruhe besuchte Andersen das 1863fertiggestellte Akademiegebäude und sah „die vorzüg-lichen Gemälde von Murillo, Douv und Carracci“. Beiseinem zweiten Aufenthalt besuchte Andersen JohannWilhelm Schirmer (1807–1863), der am 29. Januar1855 Direktor der Karlsruher Kunstschule gewordenwar. Bei seiner zweiten Reise trifft er mit demIntendanten des Hoftheaters, Eduard Devrientzusammen. Die kleine Ausstellung im Literatur-museum zeigte Dokumente dieser Besuche in Karls-ruhe. Die Ausstellung wurde ergänzt durch Exponate

der reichen Märchenbüchersammlung von Dr. Hans-Jürgen Vogt, dem Vorsitzenden der KarlsruherRegionalgruppe.

Jürgen Oppermann hat in der Reihe „rheinschrift“im Auftrag der Literarischen Gesellschaft Karlsruheein sehr schön gestaltetes Begleitbuch unter dem Titel:H. C. Andersen zu Besuch in Karlsruhe (rheinschriftNr. 8, Info-Verlag, Euro 5,00) herausgebracht.

Heinrich Hauß

Zwischen Sonne und Halbmond300 Jahre Barockresidenz Rastatt.

350. Geburtstag des Markgrafen LudwigWilhelm von Baden

Rastatt war Schau-platz von drei über-regionalen historischenEreignissen, die durch dieDaten 1714, 1797 und1849 bezeichnet werden.Am 6. März 1714 wurdeder Friede von Rastattzwischen Prinz Eugen fürden Kaiser und MarschallClaude Herzog von Villarfür Frankreich geschlos-sen. Der Kongress vonRastatt in den Jahren 1797bis 1799 sollte den aus derFranzösischen Revolutionerwachsenen Krieg ab-schließen. Schließlich istRastatt mit dem 23. Juli

1849, der Kapitulation der eingeschlossenen Revolutio-näre und dem Ende des badischen Aufstandes, ver-bunden.

Ruhm und Glanz aber brachte für eine kurze Zeitvon 66 Jahren (bis 1771) der kleinen MarkgrafschaftBaden-Baden der Türkenlouis. Er hat aber zuvor„europäische Geschichte“ gemacht durch seine mili-tärischen Erfolge in den Türkenkriegen. Dass dieNachwelt gegenüber seinen „militärischen Glanz-leistungen im Donauraum“ (Schlacht von Slankamen,(1691) die „Großtat in der eigenen badischen Heimat(der Markgraf übernimmt 1693 das Kommando überdie alliierten Truppen am Oberrhein) ,übersah“, wurdeimmer wieder bedauert. Schnellbach hat 1955gemeint, dass er „in seinem Heimatland mehr legendärals tatsächlich historisch gekannt“ sei. Ob diese Ein-schätzung das Jubiläum 2005 ändert, darf bezweifeltwerden.

Im Jahre 2005 feiert Rastatt das Andenken an denGeburtstag Markgraf Ludwig Wilhelms am 8. April unddie 300. Wiederkehr des Einzugs in das neuerbauteSchloss in Rastatt. Mit der Verlegung der Residenz vonBaden-Baden nach Rastatt ist die „zweite Gründung“Rastatts verbunden. „Mit der Plan- und RegelstadtRastatt wurde erstmals im deutschen Südwesten dasWelt- und Herrschaftsverständnis des Barocksarchitektonisch umgesetzt. In Rastatt drückte sicherstmals am Oberrhein, der vom Ordnungswillen eines

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Kunsthandwerk –Landesausstellung 2004

88 Kunsthandwerker und -handwerkerinnen betei-ligten sich bei der Landesausstellung 2004 in Freiburg.Die Exponate im Augustinermuseum kamen aus denBereichen Schmuck, Keramik, Textil, Glas, Holz u. a.Die Jury vergab drei Staatspreise (Kerstin Mayer/Stutt-gart, Dorothee Stieffler/Mannheim und Beate Weiß/Gondelsheim) – alle zuerkannt für besondereSchmuckgestaltung. Fünf Anerkennungen wurdenausgesprochen: Für Judith Höfel aus Pforzheim(Schmuck und Gerät), Barbara Leippold-Preiss ausSchönaich (Textil), Marlene Gmelin und DetlefSchmelz aus Hermuthausen (Marionetten), KlausSeyfang aus Bietigheim-Bissingen (Flechterei) undBritta Spelleken aus Freiburg (für ihre Kunstprodukteaus Kiefernnadeln).

Dass das Kunsthandwerk schwer zuzuordnen ist –ob Kunst, ob Handwerk, machte diese Ausstellungdeutlich. Das Landesgewerbeamt schließt Ende 2004seine Pforten; die Förderung des Kunstgewerbes, derKreativität und alter handwerklicher Fähigkeiten,eines wichtigsten Stücks unserer Kultur, darf abernicht dem Zufall überlassen werden; hier ist eineTradition unserer Gesellschaft zu pflegen.

Adolf Schmid

Territorialfürsten bestimm-te, auf erweiterten Kennt-nissen in Naturwissenschaftund Mathematik beruhendePrägestempel auf der, wieRainer Müller es formulierte– das ,Symbol derGnadensonne auf das geo-graphische Weichbild‘ über-trug“ (Peter Hank, Ver-borgene Sonnenstadt).

Das Schloss in Rastatt(geplant ab 1699) solltenach dem Vorbild von Ver-sailles (1689 vollendet) denMachtanspruch Ludwig Wil-helms repräsentieren undist die „älteste original er-haltene Barockresidenz amOberrhein“. Im Herbst 1705bezog die markgräflicheFamilie vermutlich den lin-

ken Hofflügel des Schlosses. Man vermutet, dass derTürkenlouis auch in diesen Gemächern am 4. Januar1707 verstorben ist (Eva Zimmermann). Der Markgrafkam nur ein Jahr lang in den Genuss der neuen Resi-denz. Ein barocker Reichsfürst, ein barockes Schloss,eine barocke Stadtanlage, diese Potenz ist Grund genug,dass sich im Jahr des Doppeljubiläums die Stadt, „dieZeit des Barock in einzelnen Themen aus der künst-lerischen und kulturgeschichtlichen Perspektive zudurchleuchten“ (Veranstaltungskalender) vorgenom-men hat. „Spannende Ausführungen zum höfischenLeben, zum Alltag der adligen Gesellschaft, zu denRepräsentationsriten am Hof sowie Anekdotisches undMystisches bilden ebenso den Inhalt der Veran-staltungen. Einzelne Episoden der Geschichte undGeschichten aus der Region werden durch historischeInterpretationen und Inszenierungen in Kostümen derZeit lebendig und hautnah vermittelt“. Einige Themen,die ab 15. Juni 2005 (Erscheinungstermin unseresHeftes) angeboten werden, seien angeführt. „Triumphund Tragik des Türkenlouis“ (14. 8.), „Gold, Samt undSeide. Die Kunst der Verwandlung“ (27. 11.) „Von denenTürken und denen Chinesern“. „Fremdbilder im 17. und18. Jahrhundert“ (30. 10), „Der Türkenlouis und seineResidenz – Schloss Rastatt ein Meisterwerk des Barock“(10. 7.). „Rastatt, den 12. August 1725“. Das Hof-zeremoniell bei hohen Besuchen im Schloss Rastatt(29. 8.). Im Wehrgeschichtlichen Museum findet dieSonderausstellung „Zwischen Sonne und Halbmond“vom 9. April bis zum 25. September statt. Sie würdigtdie militärischen Leistungen des Markgrafen. Bei derVielfalt der Vorträge wäre es wünschenswert, wenn dasProjekt „Barock konkret und vor Ort“ in Buchformpubliziert werden könnte. Es wäre ein nachhaltigesGeschenk für die Liebhaber Rastatts.

Leider lag bei Eröffnung der Katalog zur Aus-stellung noch nicht vor.

(Subskriptionspreis bis 31. 1. 2005: 15 Euro,danach 18,50 Euro.) Im Stadtmuseum findet in derZeit vom 1. Juli bis zum 23. Oktober 2005 eine Aus-stellung zum Thema „Unsere ResidenzStadt. Rastattzwischen 1705 und 1771. Ausstellung zum 300-jäh-rigen Stadtjubiläum“ statt.

Ähnlich wie zum 300. Geburtstag des Türkenlouis(1955) haben sieben Autorinnen und Autoren ein

neues Buch zu Leben und Leistung des Markgrafenherausgebracht: „Der Türkenlouis. Markgraf LudwigWilhelm von Baden und Seine Zeit“, Herausgegebenvon Wolfgang Froes und Martin Walter, 2005. Leiderist das Kartenmaterial fast „unleserlich“, Karten zuden Türkenkriegen fehlen völlig.

„Schlösser. Baden Würt-temberg“ widmet in denHeften 1/2005 und 2/2005einen Schwerpunkt demJubiläum „300 Jahre Resi-denz Rastatt“ (Heft 1/2005:„Rastatt Türkenlouis undTürkentrank“ – der Mark-graf und seine Residenz;Heft 2/2005 Rastatt; „,Tür-kenbeute‘ – heute imMuseum und im Internet“).

Von Peter Hank liegt inder Schriftenreihe zur Re-

gional- und Stadtentwicklung vor: „VerborgeneSonnenstadt. Die geometrische Gundstruktur derbarocken Schloß- und Stadtanlage Rastatt“.

Heinrich Hauß

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306 Badische Heimat 2/2005

Fotoausstellung„Auf den zweiten Blick“Fotografien von Hans Steinhorst

(1928–1973)“, erstellt vomLandesmedienzentrum Baden-Württemberg

Sonderausstellung „Aufden zweiten Blick. Fotogra-fien von Hans Steinhorst(1928–1973)“ Fotos aus Ba-den-Württemberg mit un-gewöhnlichen Motiven ausden Bereichen Arbeitswelt,Architektur, Natur, Bräucheund Feste.

Muss landeskundlicheFotografie langweilig sein?Keinesfalls – vor allem dannnicht, wenn ein Profi wieHans Steinhorst (1928 bis1973) den Auslöser gedrückthat. Sein Auftrag bestand in

der Darstellung von Land und Leuten im Sinne einerkulturlandschaftlichen Dokumentation Baden-Würt-tembergischer Regionen, was zu einem reichen fotogra-fischen Werk führte, das heute wichtiger Bestandteildes Fotoarchivs des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg ist. Seinen Fotos, in denen er den eigen-tümlichen Begegnungen und überraschenden Zufällenwährend seiner Fahrten zwischen Stuttgart und Boden-see viel Raum gab, fehlt das Klischeehafte, das in derregionalen Natur- und Landschaftsfotografie so oft zusehen ist – Steinhorst setzte vielmehr auf Motive, indenen Land und Leute im Spannungsfeld von Traditionund Fortschritt erscheinen. Seine Aufnahmen aus derArbeitswelt, von Brauchtum und Festen, seine Ansich-ten von Architektur und Natur konzentrieren sich oftauf Erscheinungen am Rande des Geschehens, verratenein Interesse an den kleinen Dingen, die oft übersehenwerden. In der Ausstellung mit dem bezeichnendenTitel „Auf den zweiten Blick. Der Fotograf HansSteinhorst (1928–1973)“ sind rund 100 Farb- undSchwarz-Weiß-Aufnahmen zu sehen, die zwischen1965 und 1973 entstanden sind.

Zur Ausstellung erschienen ist ein Katalog, derzum Preis von 17 € an der Museumskasse käuflicherworben werden kann.Die Ausstellung dauert vom 16. Juli bis zum 9. Sep-tember und kann zu den Öffnungszeiten des Mu-seums „Narrenschopf“ besichtigt werden: Di–Sa14–17.30 Uhr, sonn- und feiertags 10–17.30 UhrEintrittspreis: 2 € Erwachsene, Kinder ab 6 Jahre 1 €

(zur Eröffnung ist der Eintritt frei)Achtung:An folgenden Terminen ist die Ausstellung wegenVeranstaltungen nicht zu besichtigen: Samstag,30. 7.; Sonntag, 31. 7.; Samstag, 6. 8.; Sonntag, 7. 8.

Dr. Jochen Schicht

Jüdisches Leben in Sulzburg,1900–1940

Im alten Basler Hof in Freiburg eröffnete Re-gierungspräsident Sven v. Ungern-Sternberg am 9. Mai2005 anlässlich der Kapitulation Deutschlands vor60 Jahren die Ausstellung „Jüdisches Leben in Sulz-burg“, einem Kleinstädtchen im Markgräfler Land,dessen rühriger „Freundeskreis der EhemaligenSynagoge Sulzburg“ eine detaillierte Beschreibung destäglichen Lebens und des nachbarschaftlichen Mit-einanders zwischen Christen und Juden in einer aus-gezeichneten Dokumentation zusammengestellt hatte,in der den Spuren jüdischer Geschichte durch zahl-reiches Bildmaterial wahrnehmbar nachgegangenwird. Der Regierungspräsident begrüßte ausdrücklicheinige ehemalige polnische KZ-Häftlinge und den ausden USA angereisten Nachkommen des letztenjüdischen Bürgermeisters von Breisach. Er gab vorallem seiner Freude über das erfreulich große Interes-se an der Ausstellungseröffnung Ausdruck. Es sei dasZiel, aus nächster Nähe sich mit diesem Teil deutscherGeschichte auseinander zu setzen, konkrete Schicksalevor Ort aufzuarbeiten und daraus zu lernen.

Die Historische Arbeitsgruppe hatte Zeugnisse desjüdischen Lebens aus Archiven, in Interviews und inVerbindung mit Sulzburger Zeitzeugen und ausBriefwechseln mit überlebenden Sulzburgern undderen Nachkommen gesammelt und vorgestellt. Dabeifanden sich zahlreiche Hinweise aus dem Alltagsleben:Namen, Stammbäume, Wohnungen und Häuser,Poesiealben und Ehrenurkunden, Vereinsleben undSport, rechtliche Stellung und Arbeitsbereiche – aberauch Bilder der Zerstörung und Deportation durch dieNationalsozialisten ins französische Gurs.

Peter Wehrle, der Bürgermeister von Sulzburg, wieskurz darauf hin, dass damals die Kleinstadt, eine untervielen lebendigen jüdischen Gemeinden im Regierungs-bezirk, zeitweilig fast ein Drittel jüdischer Bürger beher-bergte. Frau Sibylle Höschele als Vertreterin desFreundeskreises, die sich unermüdlich um das Zustande-kommen der Ausstellung bemüht hatte, wies auch daraufhin, die Dokumentation wolle mit ihrem nachträglichenGedenken den verschleppten und ermordeten ehemali-gen Mitbürgern einen Teil ihrer Würde zurückgeben.

Professor Heiko Haumann von der Universität Baselgab die eigentliche Einführung: Auch die Juden vonSulzburg waren Vertraute und zugleich Fremde, siehatten vielfache Kontakte mit den Christen und derenLeben, sie blieben zugleich – vor allem in Krisenzeiten –misstrauisch betrachtete Fremde. Das lag vor allen anreligiösen, von beiden Kirchen geschürten Vorurteilen(Christusmörder etc.), aber auch an der andersgeartetenLebensart, weil diese „Landjuden“ ihren Lebensunterhaltgrößtenteils als Hausierer und Händler betrieben unddabei – anders als die christlichen Bauern – bereits„kapitalistisch“ auf Gewinn hin arbeiteten. Da sie überallherumkamen, brachten sie kulturelle und politischeNeuheiten mit, kleideten sich bereits modisch nachStädterart. Insofern waren sie doch Fremde. – Dennochlitt das dörfliche Zusammenleben in Sulzburg lange Zeitnicht darunter. Erst die Nazis vollbrachten die Un-menschlichkeit, auch Sulzburg „judenfrei“ zu machen.

In die Ausstellung wurde durch Ullo von Peinenmit einem Text über jüdisches Leben eingeführt. Aus-

schnitte aus dem in Freiburg gut bekannten Buch vonLotte Paepke „Ein kleiner Händler, der mein Vater war“beendeten die Ausstellungseröffnung.

(Bis 10. Juni, mit Führungen und begleitendenVeranstaltungen.) Hermann Althaus

Blick in den Kletterturmauf einem Spielplatz amKalkofen bei Honau-Holzelfingen, Kreis Reutlingen, 1970

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Wer heute eines der zahlreichen in derSäkularisation von 1802/03 aufgehobenenKlöster unserer Heimat mit ihren z. T. wiederprachtvollen Bibliothekssälen besucht, stelltsich angesichts leerer oder nur lückenhaftgefüllter Regale die Frage, wo die in Jahrhun-derten entstandenen und zusammengetrage-nen wertvollen Handschriften und Buch-bestände geblieben sind. Sofern sie nicht alsOpfer sinnloser Zerstörung oder durch Unver-stand für immer verloren gingen, wurden siemeistens in alle Winde zerstreut. Nicht so dieeinst annähernd 40 000 Bände zählende Biblio-thek des ehemaligen Zisterzienser-Reichsklos-ters Salem in der Nähe des Bodensees, diezusammen mit Bibliotheksbeständen derebenfalls aufgehobenen BenediktinerabteiPetershausen in Konstanz den Besitzer fastkomplett wechselte. Wie ist es dazu ge-kommen? Beide Klöster, Salem und Peters-hausen, wurden durch die Säkularisation zumAusgleich für erlittene Verluste auf der linkenRheinseite Markgraf Carl Friedrich von Badenübereignet, der sie seinen Söhnen Friedrichund Ludwig (dem nachmaligen Großherzog)zur standesgemäßen Versorgung übertrug.Letzterer verkaufte mit Kaufvertrag vomDezember 1826 „die im Schloss zu Salem auf-gestellte Bibliothek“ – der kleinere AnteilPetershausens war zu einem früheren Zeit-punkt nach Salem verbracht worden – an dieUniversität Heidelberg.

Die Universitätsbibliothek Heidelbergzeigte nun von Mai bis Dezember 2004 ihreBücherschätze aus der Bibliothek des ehemali-gen Zisterzienserklosters Salem unter demTitel „Vom Bodensee an den Neckar“. (Hinweisin der „Badischen Heimat“ Heft 4/2004).

In mehreren zum Teil abgedunkeltenRäumen der Universitätsbibliothek an der

Plöck wurden etwa 100 der wichtigsten undinteressantesten Stücke aus der SalemerSammlung präsentiert. Annähernd 1000 JahreKlostervergangenheit begegneten den Besu-chern in Handschriften, Illuminationen undfrühen Drucken, die von kunstsinnigen Äbtenüber die Jahrhunderte hinweg gesammeltworden waren. Mit der Zierseite einer litur-gischen Handschrift, welche bereits um dasJahr 800 im italienischen Verona entstandenist und um 1200 kurz nach der GründungSalems (Bestätigung 1140 durch Papst Inno-zenz II.) in einen Salemer Codex eingebundenwurde, konnte man das älteste Exponat dieserAusstellung bewundern.

Schon im 12. Jahrhundert ist ein eigenesSalemer Scriptorium vorhanden. Diesem wirdder Initialschmuck einer der bedeutendstenSalemer Handschriften, dem Werk „Scivias“ derHildegard von Bingen, zugeschrieben. Text undGrundstock der Illustrationen entstanden im12. Jahrhundert vermutlich in Zwiefalten, derInitialschmuck um 1220 in Salem. Hildegardwurde 1098 in Bermersheim bei Alzey geborenund schon als Kind dem Benediktinerinnen-kloster Disibodenberg zur Erziehung anver-traut. 1114 trat sie als Ordensfrau dort ein undwurde 1136 Äbtissin dieses Konvents. Sieerbaute das 1151 bezogene Kloster Rupperts-berg bei Bingen, wo sie bis zu ihrem Tode 1179lebte. Schon als Kind hatte Hildegard Visionen,die sie ab 1141 aufzeichnete. Ihr erstes Werkwurde das hier gezeigte „Scivias“ (Wisse dieWege), eine Enzyklopädie von 26 Visionen, vonder Schöpfung bis zum Ende der Welt. Hilde-gard stand mit dem Salemer Abt Godefridus inKorrespondenz. Die erste Manuskriptseite zeigtdie von der Majestas Domini überragteSchöpfung der Welt. Die Initiale „J“ ist mit derDarstellung der Wurzel Jesse gestaltet.

307

! Anton Burkard !

Vom Bodensee an den NeckarEine Ausstellung von Bücherschätzen aus der ehemaligen

Zisterzienserabtei Salem in der Universitätsbibliothek Heidelberg

Badische Heimat 2/2005

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Von den 10 überlieferten Scivias-Hand-schriften enthalten die Heidelberger und dieWiesbadener Handschrift Illustrationen, wobeiletztere seit 1945 verschollen ist und damit denWert der Heidelberger Handschrift noch erhöht.

Ein Zeugnis der starken wechselseitigenVerbindungen befreundeter Klöster des Mittel-alters ist der Austausch von Kopien. Der Abtdes 1227 von Salem aus gegründeten aargaui-schen Zisterzienserklosters Wettingen, Chris-toph Silberysen, hatte 1564 eine GroßeSchweizerchronik anfertigen lassen. Darinnimmt die Beschreibung des Konstanzer Kon-zils von 1414–1418 einen großen Raum ein.Im Eingangsbild ist die Konzilseröffnungdurch die geistliche und die weltliche Machtdargestellt. Eine reich illustrierte Abschrift ausdem 17. Jahrhundert, der zum Bestand derSalemer Bibliothek gehört, konnte nun inHeidelberg betrachtet werden.

Eine weitere Kostbarkeit der HeidelbergerAusstellung war ein zweibändiges Abtsbrevier,

das von Abt Johannes Stantenat (1471–1494)begonnen und von seinem Nachfolger, AbtJohannes Scharpffer (1494–1510), vollendetwurde. Das Werk besteht aus einem Sommer-und einem Winterteil. Die inhaltliche Gestal-tung der Buchmalerei dürfte auf Abt Stantenatzurückgehen, dessen Wappen den Beginn desPsalters ziert: ein liegender Halbmond überdrei roten Hügeln in einem blauen Schild.(Abb. 2) Dasselbe Wappen erscheint auch aufeiner köstlichen Miniatur, welche eine Boots-fahrt des Abtes abbildet. Dieser sitzt, begleitetvon einem Zisterziensermönch und Musikan-ten unter einem mit seinem Wappen ge-schmückten Baldachin und hält sein Hünd-chen auf dem Schoß. Die am Ufer im Hinter-grund sichtbare Kapelle in einer Gebäude-gruppe weist vermutlich auf eine Stiftung desAbtes im Killenweiher bei Mimmenhausen hin.Nach dem Tod von Abt Stantenat ließ AbtScharpffer das Brevier vollenden und mitseinem Wappen, drei Sternen und einemRegenbogen auf blauem Grund, schmücken.Er war auch der Erbauer einer neuen Biblio-thek in Salem.

In Abt Scharpffers Amtszeit fiel auch eineAusgabe von Sebastian Brants „Narrenschiff“von 1494. Brant (1457–1521), der in Straßburggeboren wurde, studierte und promovierte inBasel, bevor er nach Straßburg zurückkehrteund dort 1503 Stadtschreiber wurde. KaiserMaximilian ernannte ihn zum KaiserlichenRat. In seinem „Narrenschiff“ geißelt er mit112 Narren die menschlichen Fehler. DasKloster Salem besaß davon zwei NürnbergerInkunabelausgaben von 1494.

Das bekannteste Werk des KosmographenSebastian Münster (1488–1552) aus Ingelheimist die 1544 in deutscher Sprache erschienene„Cosmographia“, in welcher Länder, Städteund Herrschaften beschrieben werden. Aus derdem Kloster Salem gehörenden letzten, 1628erschienenen Auflage des Werkes war eineKarte der Bodenseelandschaft in der Aus-stellung zu sehen, in der die Orte mit den zujener Zeit geläufigen Bezeichnungen einge-tragen wurden, wie Costentz, Podman, dieInsel Meinow oder auch das Kloster Salmswyl.

Ganzseitige Abbildungen der Abtei Salemaus dem Jahre 1708 und eine weitere von 1739vermitteln den Eindruck der Klosteranlage

308 Badische Heimat 2/2005

Abbildung 1: (=Bildtext/Unterschrift): Bildinitiale WurzelJesse. Aus der liegenden Gestalt wächst wie aus einerWurzel der Stammbaum Jesu heraus. Univ.-Bibl. Heidel-berg. Cod. Sal. X 16, Bl. 4r

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nach dem großen Brandvon 1697, teilweise mitgeplanten Neubauten,die dann nicht mehrausgeführt wurden.

Die kontinuierlicheEntwicklung der Sale-mer Klosterbibliothekerfolgte sowohl über dieeigene Herstellung vonBüchern als auch durchgezielten Ankauf undgelegentlichen Erwerbdurch die Äbte, z. B.bei deren Aufenthaltan kulturellen Zentren.Schenkungen durch denKaiserhof in Wien be-reicherten ebenso denSalemer Bestand wieStiftungen des Adels. Auf diese Weise kam 1753eine Ausgabe der von Kaiser Maximilian I.initiierten Theuerdankausgabe von 1519 vonSchloss Langenstein nach Salem. Aus denKlosterakten geht auch der Ankauf vonwissenschaftlichen und literarischen Neu-erscheinungen hervor. So wurde in Augsburgbei drei Buchhändlern bestellt, ferner in Basel,Zürich, Wien, Freiburg, Ulm und Karlsruhe,aber auch in Rom und Dijon. 1770/71 erwarbder Abt allein 450 Werke aus der Bibliothekeines Göttinger Professors von einer Auktionin Wien. 1765 hatte sich Abt Anselm II.Schwab, der große Förderer der Wallfahrts-kirche Birnau, im Auftrag des Generalkapitelsin Citeaux für mehrere Wochen in Paris auf-gehalten, wo er eine größere Anzahl Hand-schriften und Drucke des 16.–18. Jahrhundertserwerben konnte. Dabei stand die Theologie anerster Stelle, aber auch Werke der Geschichteund Geographie befanden sich unter denErwerbungen. Sehr beeindruckend ist dasprächtig gestaltete Stundenbuch – Livred’heures – von der Zeit um 1415 aus demBesitz des 1762 aufgelösten Pariser Jesuiten-kollegs. Eine ganz besondere Erwerbung gehtauf die Zeit des Aufenthalts von Abt Anselm inParis zurück. Er kaufte dort den Auktions-katalog mit der Büchersammlung der im Jahrezuvor verstorbenen Marquise de Pompadour.Daraus ersteigerte er einige Drucke. 1776, also

ein Jahrzehnt später, erstand der Abt einenBand mit den Erinnerungen der Marquise.Außer der Klosterbibliothek führte der Abtauch die persönliche Abtsbibliothek. Der Abtwar verantwortlich für die Ausleihe der von derKirche verbotenen Bücher (Catalogus libro-rum prohibitorum). Dieser enthielt etwa 500Titel, darunter eine Paracelsus-Gesamtausgabeund eine Luther-Ausgabe. Sie sollte Grundlagefür eine kritische Auseinandersetzung mit demLuthertum sein, wie aus der Widmungsschriftdes Geschenkgebers hervorgeht.

Dass die Salemer Bibliothek sich bemühte,mit ihren Erwerbungen auf der Höhe der Zeitzu bleiben, selbst wenn diese in ihrem Inhaltnicht der Grundeinstellung des Klosters ent-sprachen, zeigte sie mit der Anschaffungfranzösischer Literatur von Montesquieu,Rousseau, und einer 70-bändigen Gesamtaus-gabe der Werke Voltaires wie auch der berühm-ten Enzyklopädie von Diderot und d’Alembert,einem der wichtigsten aufklärerischen WerkeFrankreichs im 18. Jahrhundert.

Aus dem 18. Jahrhundert stammt auch derin der Ausstellung vorhandene ältesteerhaltene systematisch aufgebaute SalemerBibliothekskatalog. In zwei Bänden werdendarin jeweils die Bücher eines Stockwerks auf-gelistet. Der Verfasser dieses Katalogs, derdamals zuständige Bibliothekar HumbertPfeller, erstellte auch die beiden in der Aus-

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Abbildung 2: (Bildtext) Salemer Abtsbrevier von 1493–1495; linke Hälfte : das Abtswappenvon Johannes Stantenat; rechte Hälfte: Winterteil. Cod. Sal. IX.c

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stellung gezeigten Grundrisszeichnungen derBibliothek. Deren Bestand bezifferte er auf30 000 Bände. In der Mitte der Bibliothek standein Tisch, die Bücher befanden sich, wie inbarocken Bibliotheken üblich, im Bereich derFensternischen. Um 1800, also noch vor Auf-hebung des Klosters, wurden die Bestände derBibliothek ein letztes Mal kodifiziert im sogenannten Schiltegger-Katalog. Sein Systemteilte die Werke in vier Kategorien: Historica,Philosophica, Theologica und Juristica sowiein Polymathia.

Nach der Schließung des Klosters Salem1804 wurde die Bibliothek zunächst in ver-ringertem Umfang weiter betreut. In dieserZeit wurden auch Teile der Bibliothek desKlosters Petershausen in Salem aufgenom-men. Zu Verkaufsverhandlungen mit der Uni-versitätsbibliothek Heidelberg kam es erstmalsum 1824. Als sich eine Kommission Heidel-berger Professoren in Salem über Umfang undArt der Bestände umsah, sprach sich derseinerzeitige Bibliotheksdirektor Schlossergegen den Ankauf der vollständigen Sammlungaus, ja sie wurde sogar als „Ballast und Trödel-ware“ abgetan. Als Schlosser sich mit seinerHaltung nicht durchsetzen konnte, legte ersein Amt als Leiter der Heidelberger Univer-sitätsbibliothek nieder. Im Dezember 1826wurde der Verkauf der Klosterbibliothek imSchloss zu Salem „in dem Umfang undZustand, in welchem sie sich gegenwärtigbefindet, nebst den dazugehörigen Reposi-torien und Schränken“ abgeschlossen.

Wie im Geleitwort zum Katalog der Heidel-berger Ausstellung zum Ausdruck gebrachtwird, ging damit der Bodenseelandschaftunschätzbares Kulturgut verloren. Umso er-freulicher ist es aber, dass nach 200 Jahrennunmehr eine erste Begegnung mit einergrößeren Auswahl der Salemer Bücherschätzemöglich geworden ist.

Literaturangaben

1 Vom Bodensee an den Neckar. Ausstellungs-katalog; bearbeitet von Armin Schlechter.Schriften der Universitätsbibliothek Heidelberg,Band 5. Heidelberg 2003.

2 Vernissage: Die Universitätsbibliothek Heidelberg.Vernissage Verlag Heidelberg 2000.

3 Hermann Schmid: Die Säkularisation der Klösterin Baden 1802–1811. Überlingen 1980.

4 Erhard Gorys: Lexikon der Heiligen. München1998.

Der Verfasser dankt der Universitätsbibliothek Heidel-berg für die Genehmigung zur Reproduktion derbeiden Handschriften:

Hildegard von Bingen; Scivias (Cod. Sal. X,16) undSalemer Abtsbrevier (Cod. Sal. IX d)

Anschrift des Autors:Anton Burkard

Am Gehracker 479249 Merzhausen

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311Badische Heimat 2/2005

Freiburg –und „der schönste Turm auf Erden“

Eigentlich, rein ge-fühlsmäßig, emotional ha-ben schon viele seit Gene-rationen ihr Urteil gefällt:Die Freiburger haben sichim Mittelalter ein bemer-kenswert stilvolles Gottes-haus gebaut – mit einemTurm, dessen Schönheitschon immer hoch geprie-sen wurde. Das Wort vom„schönsten Turm der Chris-tenheit“ in Freiburg ist inder „öffentlichen Meinung“seit langem deutlich ver-ankert.

Nun hat der FreiburgerHistoriker Ernst Schulindie Diskussion um den„schönsten Turm“ wiederentfacht bzw. auf eine neueGrundlage gestellt (vgl.Joachim Röder, in: BadischeZeitung vom 16. März2005): Wer hat wann wieüber den Turm des Müns-ters unserer lieben Frau inFreiburg geurteilt.

Professor Schulin wur-de fündig in Band IV der7-bändigen Biographie vonWerner Kaegi über die gro-ße Schweizer Autoritätder europäischen Kunstge-schichte: Jacob Burckhardt,

1818 in Basel geboren und ebenda 1897 gestorben. Ersoll – so bisher die Legende – vom Freiburger Turm alsden „schönsten Turm der Christenheit“ gesprochenhaben. Als hervorragender Kunsthistoriker, der eineGeschichtsschreibung der kulturgeschichtlichenQuerschnitte entwickelte und der mit seiner Kritik amneuzeitlichen Fortschrittsglauben einen großengeistesgeschichtlichen Einfluss ausübte, für denkulturelle Entwicklungen und Ergebnisse als daseigentlich „Überdauernde“ galten, befasste sichnatürlich auch mit den gotischen Kirchen. Als Pro-fessor für Geschichte/Kulturgeschichte an der Hoch-schule in Zürich (1854 bis 1958) und in seiner Vater-stadt Basel (1858–1893) wurde er zu einem dergroßen Bewunderer vor allem der Münster inFreiburg und Straßburg. Letztlich gab er doch demFreiburger Turm, der 116 Meter in den Himmel ragtund seit Jahrhunderten das erhabene, verehrungs-würdige Wahrzeichen der Breisgaustadt ist, den Vor-rang, den ersten Preis – nicht nur in der christlichenWelt, nein: Der große Ästhet und weltweit anerkannteExperte fand in Freiburg den „schönsten Turm aufErden!“

Adolf Schmid

V. Städte

Titelphoto der „BadischenHeimat“ 3/1999 von Reinhold Mayer, Ulm

Zu neuer Identität undSelbstbewusstsein gefunden„Jetzt erst Recht“: Karlsruhe treibt

2010-Leitprojekte weiter

Karlsruhe hat durch den Wettbewerb um dieKulturhauptstadt des Jahres 2010 enorm gewonnen.Die Stadt hat zu einer neuen Identität und einem kraft-vollen Selbstbewusstsein gefunden. Obwohl sie ausdieser Konkurrenz nicht als Sieger hervorging, hat siedurch die unzähligen Impulse und die hervorragendeZusammenarbeit von Kulturinstitutionen, Wirtschaftund Politik wertvolle Kraft geschöpft. Diese Aufbruch-stimmung soll erhalten bleiben. Dafür haben Kul-turschaffende und die Stadt viel riskiert. Denn, soOberbürgermeister Heinz Fenrich „wir wussten vonAnfang an, dass wir als Themenbewerberstadt, die dasSpannungsfeld von Recht und Gerechtigkeit, Rechtund Unrecht in den Mittelpunkt stellt, in dieser Kon-kurrenz absolutes Neuland betreten“.

Die Karlsruher Konzeption ist in Berlin aber auchbei einigen Mitbewerbern auf große Anerkennunggestoßen. Sie hat Aufsehen erregt. So resümierte derSchriftsteller und Juror Adolf Muschg in seinem Rück-blick auf die Reise durch die zehn Städte in der ZEITam 17. März über Karlsruhe: „Die perfekte Kandidatur.Es fehlte ihr an nichts: weder an urbaner Substanznoch an kultureller Einrichtung, schon gar nicht aneiner kultivierten europäischen Umgebung. Allesstimmte: die Rede des Ministerpräsidenten im Saal desVerfassungsgerichts, das Grummeln Wolfgang Rihmsals City-Guide, der spekulative Talk mit PeterSloterdijk im ZKM, der zum Mekka der Moderneumgerüsteten Munitionsfabrik. ,Mit Recht. Karlsruhe‘– ein gedeckter Scheck mit origineller Unterschrift.Denn: ,Recht‘ sollte das Leitmotiv der Kulturhaupt-stadt sein. Die neue Verfassung der historischen Stadtwar es, die ihre Luft ,frei‘ machte und ihre Bewohnererst zu Bürgern im vollen Wortsinn. Die BewerbungKarlsruhes stützte sich auf das Dokument einerGründung: den Privilegienbrief von 1715.“ ZumSchluss aber schrieb Muschg: „Wahrlich, es ist immernoch eine privilegierte Stadt.“ Ist Karlsruhe also zu gutsituiert, um den Zuschlag als Kulturhauptstadt nochnötig zu haben?

Die von der Kultusministerkonferenz eingesetzteJury hat mit Essen und Görlitz anderen Bewerbern denVorzug gegeben. So wählte sie mit Essen eine Stadtaus, die es sich ähnlich wie die französische Kultur-hauptstadt Lille des Jahres 2004 zur Aufgabe gemachthat, den Umbruch von der Industrie- und Montanstadtdes 19. Jahrhunderts zur regional verankertenmodernen Metropole flächendeckend mit Hilfe derKultur zu bewältigen. Und Görlitz faszinierte mitseinem improvisierten deutsch-polnischen Charme,der Wunden offen legt, aber auch eine große Ver-gangenheit spüren lässt.

Auch Karlsruhe mit seinem badisch-fran-zösischem Flair ist schon lange auf dem Weg zurzukunftsorientierten Technologie- und Dienstleis-tungsstadt in der TechnologieRegion. Die Fächerstadtvergleicht sich nicht mit Essen und Görlitz, sonderndie Karlsruher wollen und müssen in ihrer Stadt aufeigene Stärken bauen und sie weiter entwickeln und

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Pflanz mit!

Die bundesweite Aktion hat der „Bund Heimat undUmwelt“ (BHU), unser gesamtdeutscher Verband derBürger- und Heimatvereine, angestoßen, um für dieFragen einer adäquaten Bepflanzung von Grundstü-cken und Gärten zu sensibilisieren. Diese Aktion solldazu beitragen, dass standortgerechten einheimischenBäumen ein Vorrang eingeräumt wird. In zwei badi-schen Gemeinden wurden nun „Demonstrationspflan-zungen“ durchgeführt – in Bretten, wo am 10. April2005 als Ersatz für eine alte Linde, die vor Jahrengefällt werden musste, ein neuer Baum gepflanztwurde (sh. Photo Waidelich, in Badische Neueste Nach-richten vom 11. 4. 05). Hier an der Arbeit (von links):stellvertretender Oberbürgermeister Gerhard Mayer,Manfred Michalzick, Vertreter der Sponsor-Firma SITAHeinemann GmbH, Gerlinde Hämmerle, Regierungs-präsidentin in Karlsruhe, Adolf Schmid, Landesvor-sitzender der „Badischen Heimat“ und Dr. GünterStegmaier, der lokale Vertreter des Heimatvereins.

Die parallele Aktion fand am 21. April 2005 inEschbach bei Müllheim im Gewerbepark statt. Dortsprachen Harald Kraus, Bürgermeister der Gemeinde,Regierungspräsident Dr. Sven von Ungern-Sternberg,Michael Claas, Geschäftsführer der SITA HeinemannGmbH und Adolf Schmid als Vertreter der „BadischenHeimat“. Adolf Schmid

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vertiefen. Nur so kann die Stadt eine für unsere Bür-gerinnen und Bürger lebenswerte Identität nach innensowie Strahlkraft nach außen entwickeln. Die Stadtspürt, gegründet auf ihre Geschichte, eine besondereethische Verpflichtung zur Wertediskussion Europasbeizutragen. Diese ist für die künftige EntwicklungEuropas von existenzieller Bedeutung. Als Sitz derhöchsten Gerichte der Bundesrepublik und der Ort, indem bereits 1818 mit der badischen Verfassung weg-weisende demokratische Impulse für ganz Deutschlandgesetzt wurden, strebt Karlsruhe als Kulturstadt auchkünftig dem Traum von Gerechtigkeit nach. Zielpunktist jetzt der 300. Geburtstag Karlsruhes im Jahr 2015.

Die Leitprojekte der Kulturhauptstadtbewerbung,der Europäische Stadtbrief 2010, der Platz der Grund-rechte, das Europäische Haus der Gerechtigkeit und denKreativpark Ostaue werden deshalb auch unter ver-änderten Bedingungen Schritt für Schritt umgesetzt. Soentsteht – angeregt von den markgräflichen Privilegiendes Jahres 1715 – gerade ein europäischer Stadtbrief.Wie das Modell einer menschengerechten europäischenStadt des 21. Jahrhunderts aussehen kann, erforscheninternationale Workshops, Arbeitsgruppen zu spezielleneuropäischen Themen und einzelne Gruppen wieJugendliche oder Senioren. Ziel ist, unterschiedlicheBedingungen für die Stadtentwicklung in den ver-schiedenen Regionen unseres Kontinents heraus zuarbeiten. Eingeflossen in den europäischen Stadtbriefsollen sie den Städten helfen, ihre innere Ordnung ineiner globalisierten Welt zukunftsgerecht zu gestalten.

Unmittelbar bevor steht außerdem die Verwirk-lichung des Platzes der Grundrechte. Auf der Weinbren-nerschen via triumphalis sowie als Doppelung imganzen Stadtgebiet gelegen, soll das Werk des interna-tional renommierten Partizipationskünstlers JochenGerz Ende Mai eingeweiht werden. Es deutet an, wieJuristen und prominente Bürger und auf der GegenseiteMenschen, die mit dem Recht in Konflikt gerieten,Recht und Gerechtigkeit empfinden. Im Haus derGerechtigkeit will Karlsruhe zur Auseinandersetzungmit unterschiedlichen Wertvorstellungen, der Rolle derReligionen, der Rechtsgeschichte und vielem mehr auf-fordern. Mit solchen Projekten stellt Karlsruhe die Fragenach den kulturellen Werten des zusammenwachsendenEuropas.

Mit dem Kreativpark Ost will die Fächerstadt einweiteres kulturelles Zentrum ausbauen, kreativen Nach-wuchs an sich binden, Existenzgründer unterstützenund für sie sowie naturwissenschaftlich und technischorientierte Fachkräfte angemessene Arbeits-bedingungen schaffen.

Zur Umsetzung dieser Projekte und zur Weiterent-wicklung unserer Stadt werden jetzt alle bishergemachten Erfahrungen gefiltert – auch aus den Wett-bewerben für die Stadt der Wissenschaft, der Bundes-gartenschau und den Überlegungen für die City 2015 –und daraus ein Masterplan erarbeitet.

Das Leitthema des Kulturhauptstadtkonzepts weiterzu verfolgen, darin stimmen der Oberbürgermeisterauch mit ZKM-Chef Peter Weibel, mit dem Rektor derHochschule für Gestaltung, Peter Sloterdijk, dem Kom-ponisten Wolfgang Rihm sowie vielen anderen Kultur-schaffenden, Bürgerinnen und Bürgern überein. DerTraum von Gerechtigkeit in Europa bleibt ein Thema,das Karlsruhe anpackt. Denn das geschriebene Recht istnichts anderes als die Zusammenfassung „unsererkulturellen Werte“. Und außerdem so sinnlich wie kon-

kret. Das hat die ERSTE NACHT des Rechts am26. Februar eindrucksvoll bewiesen. Die Koordinations-leiterinnen der ERSTEN NACHT, Frau SusanneLaugwitz und Frau Anna-Renate Sörgel, arbeiten aneiner Dokumentation über das Ereignis, die in Kürzevorliegen wird.

Projektteam KulturhauptstadtProjektleitung: BM Ullrich EidenmüllerTelefon: 07 21/1 33-20 14, Fax: 07 21/1 33-20 19,Daniel WensauerE-Mail: [email protected]

VI. Aktivitäten

Eine Linde pflanzten (v.l.n.r.): Gerhard Mayer, Manfred Michalzick, Gerlinde Hämmerle, Adolf Schmidund Dr. Günter Stegmaier

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313Badische Heimat 2/2005

Berichtigung zum Beitrag von Otto KlausSchmich: Zum Namen Vicus Senotensis

In Heft 1/2005, S. 96 f. haben die Leser(innen)sicher bemerkt, dass die Enz plötzlich im Pfinztalfließen soll. Der Autor bittet ihn zu entschuldigen undüberall die fehlerhafte Enz in die richtige Pfinz zu kor-rigieren.

Berichtigung zum Beitrag von Jürgen Baumgart:Der Krönungszug Kaiser Karl V. und Papst ClemensVII. 1530 in Bologna

In Heft 1/2005, S. 28 muss der letzte Satz in derrechten Spalte wie folgt lauten: Vor und hinter ihnensieht man im Zug Bedienstete, Städtedelegationen,Adlige, Fürsten, Gesandte, das Kardinalskollegium, dieMitglieder der Rota, Fanfarenbläser, aus deren Instru-menten flammende Töne quellen;

Wir bitten diese Fehler zu entschuldigen.

Berichtigung bzw. Ergänzung zum Artikel „DieBismarcks in Baden“ (Bad. Heimat 4/2004):

Wie mir der Archivdirektor des Freih. v.Gayling’schen Schlosses in Freiburg-Ebnet in seinergewohnt freundlichen Art mitteilte, sind mir in demo. g. Bericht einige Unrichtigkeiten unterlaufen, dieich hiermit richtig stellen oder ergänzen möchte.– Die Bismarcks in der Altmark waren keine Grafen

sondern untitulierter Uradel. Erst Friedr. Wilhelmv. Bismarck (1783–1860), kgl. württembergischerGeneralleutnant, wurde als 1. Bismarck in denwürttemberg. Grafenstand erhoben. Deswegenwird auch sein legitim geborener Sohn Augustbereits als Graf geboren.

– Die Herren von Nassau-Usingen sind (noch) keineHessen und der „Prinz v. Homburg“ war ein Land-graf.

– Die 1829 verstorbene Markgräfin Christiane Louisev. Baden (nicht Caroline), geb. Prinzessin v.Nassau-Usingen, ist die ältere Schwester der Gräfinv. Bismarck, des kinderlosen Ehepaares (nichtFamilie!).

– Die erwähnte Karoline Louise v. Baden, geb. Land-gräfin v. Hessen-Darmstadt, war deren Schwieger-mutter († 1783) und mit dem 1. Großherzog KarlFriedrich verheiratet.

– Die Gräfin Auguste von Bismarck, geb. Prinzessinvon Nassau-Usingen, starb 1846 (nicht 1848).

– Die 1. Gemahlin des Grafen August v. Bismarck,Clara Achenbach, war keine geborene Gräfin undseine 2. Gemahlin war „das Fräulein von Redlich“(nicht Frau!).

– Dr. Jürg Wille, Zürich, der mir seine Familien-chronik freundlicherweise zur Verfügung stellte,ist als Enkel väterlicherseits mit v. B. verwandt.

Hermann Althaus

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LUFTSCHUTZ UND LUFTKRIEG IN KARLSRUHE 1933–194522. April – 26. Juni 2005Stadtmuseum

Prinz-Max-Palais, Karlstraße 1076133 KarlsruheTel. 07 21/1 33-42 34Eintritt: 2 €

Di, Fr, So 10–18 Uhr, Do 10–19 Uhr, Sa 14–18 Uhr60 Jahre nach Kriegsende zeigt das Stadtmuseum eine Ausstellung, in

der nicht nur die Kriegszerstörungen in Karlsruhe dokumentiert werden,sondern auch die Schutzvorkehrungen vor den Bombenangriffen in damals errichteten Bunkernoder in den Kellern der Wohnhäuser. Unter der Leitung von Joachim Kleinmanns habenStudierende der Universität Karlsruhe im Fach Denkmalpflege diese Zeugnisse des Luftschutzesund des Luftkriegs in Karlsruhe Stadtteil für Stadtteil und Straße für Straße systematischinventarisiert. Der Kriegsalltag der Bevölkerung wird mit Inszenierungen besonders deutlichgemacht. Dazu tragen auch Zeitzeugengespräche bei, die im Begleitprogramm der Ausstellungstattfinden.

ERBE VON JAHRTAUSENDENSEJNANE BERBERKERAMIK VON FRAUEN AUS NORDTUNESIEN30. April – 26. Juni 2005

Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Schloss76131 KarlsruheTel. 07 21/9 26-65 14Eintritt: 4 / 3 €

Di–Do 10–17 Uhr, Fr–So 10–18 UhrPräsentiert wird eine einzigartige Auswahl der schönsten Berber-

keramiken. Besonders hervorgehoben werden die Werke von zwei Frauen,die ihren eigenen modernen Stil der Jahrtausende alten Keramiktradition

unter Verwendung tradierter Technik und Materialien entwickelt haben.

JEAN DUBUFFET – „ER HAT DIE SANDALEN AUSGEZOGEN“29. April – 26. Juni 2005

Staatliche Kunsthalle KarlsruheHans-Thoma-Straße 2–676133 KarlsruheTel. 07 61/9 26-33 59Eintritt: 5 / 3 €

Di–Fr 10–17 UhrSa, So 10–18 Uhr

Die Kabinett-Ausstellung präsentiert rund ein Dutzend Gouachen undZeichnungen Dubuffets, die um seine beiden Gemälde „Il a oté les naïls“ („Erhat die Sandalen ausgezogen“) aus der Hamburger Kunsthalle und „Arabe

aux traces de pas“ („Araber mit Fußspuren“) der Staatlichen Kunsthalle herum konzipiert wurden.Die Arbeiten zeugen von Dubuffets Auseinandersetzung mit dem Orient. Aus einfachen Umrisslinienentwickelt er Bildgegenstände, die beim Betrachter Vorstellungen vom „Orient“ wachrufen.

VI. Ausstellungen in Baden

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FLUG IN DIE VERGANGENHEITLUFTBILDER ARCHÄOLOGISCHER STÄTTEN VON GEORG GERSTER12. März – 3. Juli 2005

Badisches Landesmuseum Karlsruhe Schloss76131 KarlsruheTel. 07 21/9 26-65 14Eintritt: 4 / 3 €

Di–Do 10–17,Fr–So 10–18

Die Ausstellung mit rund 260 Luftaufnahmen des Fotografen Georg Gerster stellt weltweit die ersteSchau globaler archäologischer Flugbilder dar. Nirgends wird die Vielfalt und der Formenreichtumantiker Stätten so deutlich wie in den Bildern Georg Gersters. So ergeben sich spannende Gegenüber-stellungen: Die Ausstellung setzt die Akropolis von Athen neben ein aztekisches Heiligtum aus Mexikound neben den Tempelturm von Ur im Irak.

COOLHUNTERS – JUGENDKULTUREN ZWISCHEN MEDIEN UND MARKT23. April – 3. Juli 2005

ZKM I Museum für Neue KunstLorenzstraße 1976135 KarlsruheTel. 07 21/81 00-12 00Eintritt: 5 / 3 €

Di 10–16 Uhr Mi–Fr 9–18 Uhr Sa, So 11–18 Uhr

In modernen Gesellschaften entgrenzen sich die Altersgruppen. Die Kindheit hört früher aufund Jugendliche werden in kürzerer Zeit zu jungen Erwachsenen, die wiederum länger jugendlichbleiben. Das Leitbild „Jugendlichkeit“ gewinnt immer mehr Einfluss auf die ästhetische Produktionder Gesellschaft.

„… MEHR ALS NUR GÄSTE“ – DEMOKRATISCHES ZUSAMMENLEBEN MITMUSLIMEN IN BADEN-WÜRTTEMBERG24. Mai – 10. Juli 2005

Badisches Landesmuseum KarlsruheSchloss76131 KarlsruheTel. 07 21/9 26-65 14Eintritt: 4 / 3 €

Di–Do 10–17 UhrFr–So 10–18 Uhr

Im Zentrum steht die Kultur von Menschen mit muslimischem Hinter-grund in Baden-Württemberg, die anhand der Themen Arbeit und Alltag,Kultur und Religion, Gesellschaft und Familie dargestellt wird. DieWanderausstellung will neugierig machen auf das Leben und die Kultur des„Anderen“ und einen interkulturellen Dialog anstoßen.

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Anny und Sibel Öztürk:„References“, 2003

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JACQUES BELLANGE –RADIERUNGEN EINES HOFMALERS VON NANCY18. Juni – 10. Juli 2005

Staatliche Kunsthalle KarlsruheHans-Thoma-Straße 2–676133 KarlsruheTel. 07 61/9 26-33 59Eintritt: 5 / 3 €

Di–Fr 10–17 UhrSa, So 10–18 Uhr

Anlässlich des 50. Jubiläums der Partnerschaft Karlsruhes mit derlothringischen Stadt Nancy zeigt das Kupferstichkabinett der Kunsthalleseinen Bestand an Radierungen von Jacques Bellange. Er arbeitete von1602 bis zu seinem Tod 1616 unter der Regierung der Herzöge Karl III. undHeinrich II. von Lothringen am Hof von Nancy. Sein Stil zeichnet sichdurch eine für den Manierismus charakteristische Übertreibung aus, diesich in langgezogenen und unruhig bewegten Formen äußert. VonBellanges Radierungen sind lediglich 48 in wenigen erhaltenen Exemplaren

überliefert. Das Kupferstichkabinett der Kunsthalle besitzt neun seltene und vorzügliche Abzügedieses OEuvres. Die Ausstellung im Vorlegesaal bietet die einmalige Gelegenheit, die preziösenOriginalradierungen zu studieren.

49 BILDNISSE – EIN BUCHTHOMAS GATZEMEIER UND CHRISTIAN SOBOTH27. April – 23. Juli 2005

Badische Landesbibliothek KarlsruheErbprinzenstraße 1576133 KarlsruheTel. 07 21/1 75-0Eintritt freiMo–Fr 9–18 UhrSa 9.30–12.30 Uhr

In der Ausstellung sind die Originalvorlagen zum ersten Künstlerbuchvon Thomas Gatzemeier und Christian Soboth mit dem Titel „49“ zu sehen.Das 2004 erschienene Notizbüchlein bildet die Fläche für eine Abfolge vonPortraits, die von Thomas Gatzemeier gestaltet wurden. In der scheinbarwillkürlichen Aufreihung bilden sich Erzähltupfen und narrative Kerneheraus, die Christian Soboth mit eigenen und den Worten anderer andeutet.

Thomas Gatzemeier wurde 1954 in Sachsen geboren. Ausbildung als Schrift- und Plakatmaler,Steinmetzgehilfe, Studium der Malerei und Grafik an der Leipziger Hochschule. Er lebt und arbeitetseit seiner Ausbürgerung aus der DDR im Jahre 1986 freiberuflich in Karlsruhe. Christian Sobothist Literaturwissenschaftler und geschäftsführender Assistent am Interdisziplinären Zentrum fürPietismusforschung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

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ANT FARM 1968–197830. April – 24. Juli 2005

ZKM I Museum für Neue KunstLorenzstraße 19, 76135 KarlsruheTel. 07 21/81 00-12 00Eintritt: 5 / 3 €

Di 10–16 Uhr, Mi–Fr 9–18 Uhr, Sa, So 11–18 UhrDas ZKM zeigt die erste Überblicksausstellung zum Werk des

legendären Architektur- und Kunstkollektivs „Ant Farm“. DieArchitekten Chip Lord und Doug Michaels gründeten 1968 in SanFrancisco diese Gruppe, die sich außer mit Architektur, auch mit Video-,Performance- und Installationskunst beschäftigte. Durch spektakulärePerformances wurde sie bekannt, z. B. verkleideten sich Lord undMichaels einmal als Astronauten und rasten mit einem Cadillac durcheine Pyramide brennender Fernseher.

SCHATZKAMMER TROPEN – VERGÄNGLICHER REICHTUM100 JAHRE TROPENFORSCHUNG DES KARLSRUHER NATURKUNDEMUSEUMS21. Oktober 2004 – 7. August 2005

Naturkundemuseum KarlsruheErbprinzenstraße 13, 79133 KarlsruheTel. 07 21/1 75-21 11Eintritt: 2,50 / 1,50 €

Di–Fr 9.30–17 UhrSa, So 10–18 Uhr100 Jahre Tropenforschung am Naturkundemuseum bilden den

Rahmen für einen einzigartigen Einblick in dieses Thema, von denAnfängen bis zu den aktuellen Projekten der heutigen Wissenschaftler. Was

macht die Tropen für die Wissenschaftler so interessant? Welche besondere Bedeutung kommt dentropischen Ökosystemen zu? Wie gingen die ersten Forscher vor und wie arbeiten moderneWissenschaftler? Exponate aus Afrika und Amazonien und eine außergewöhnliche Ausstellungs-inszenierung geben einen Eindruck vom Leben und Forschen in den Tropen und von der Vergäng-lichkeit des tropischen Reichtums.

MAKING THINKS PUBLIC – ATMOSPHÄRE DER DEMOKRATIE20. März – 7. August 2005

ZKM Zentrum für Kunst und MedientechnologieLorenzstraße 19, 76135 KarlsruheTel. 07 21/81 00-12 00Eintritt: 5 / 3 €

Mi–Fr 10–18 Uhr, Sa, So 11–18 UhrSchon beim Eintritt in die Ausstellung spürt man, dass etwas

Merkwürdiges vor sich geht: die Beleuchtung, die Klänge und dieBeschriftungen scheinen auf unsichtbare und dennoch klar spürbare Weiseauf die Gegenwart des Besuchers zu reagieren. Der Besucher ist soeben denatmosphärischen Bedingungen der Demokratie begegnet. Die Ausstellungmöchte nicht weniger erreichen als eine Erneuerung dessen, was eineKunstausstellung ausmacht; sie möchte neue Wege des Nachdenkens über

Politik finden und Verfahren entwickeln, die zu einer neuen Form der Zusammenarbeit zwischenKünstlern und Wissenschaftlern führen.

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JOCHEN GERZ: ANTHOLOGIE DER KUNST7. April – 8. August 2005

ZKM I Museum für Neue KunstLorenzstraße 1976135 KarlsruheTel. 07 21/81 00-12 00Eintritt: 5 / 3 €

Di 10–16 Uhr, Mi–Fr 9–18 UhrSa, So 11–18 Uhr

Die Anthologie der Kunst begann als work in progress im September 2001. Jochen Gerz ludsechs KünstlerInnen und sechs TheoretikerInnen ein, mit einem Bild oder Text auf die Frage zu ant-worten: Was könnte, angesichts in ihrem Bild der Kunst heute, eine noch unbekannte Kunst sein?Die eingereichten Beiträge zur Anthologie der Kunst fordern dazu heraus, ästhethische Praxis undTheorie in einer globalen Gesellschaft neu zu überdenken.

EXIT–AUSSTIEG AUS DEM BILD14. Januar – 14. August 2005

ZKM I Museum für Neue KunstLorenzstraße 1976135 KarlsruheTel. 07 21/81 00-12 00Eintritt: 5 / 3 €

Di 10–16 Uhr, Mi–Fr 9–18 Uhr, Sa, So 11–18 UhrDie erste thematische Sammlungsausstellung zeigt Werke aus den

Beständen der Sammlungen Boros, FER, Froehlich, Grässlin, Weishauptund des ZKM. Beleuchtet wird ein vielschichtiger und spannender Aspekt der westlichen Kunst derzweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Der Ausstieg aus dem Bild.

EIGENWILLIG!KÜNSTLERINNEN AM BODENSEE 1900 BIS 195016. April – 21. August 2005

Städtische Wessenberg-Galerie Konstanzim Kulturzentrum am MünsterWessenbergstraße 4378462 KonstanzTel. 0 75 31/900 921Eintritt: 3 / 2 €

Di–Fr 10–18 UhrSa, So 10–17 Uhr

Bekannte sowie vergessene Künstlerinnen werden mit den rund um denSee herrschenden Lebens-, Arbeits- und Ausstellungsbedingungen des frühen 20. Jahrhunderts vor-gestellt. Die Ausstellung beleuchtet einerseits den Versuch vieler Künstlerinnen ihre Profession mitden tradierten weiblichen Rollen in Einklang zu bringen andererseits den Ausbruch einiger aus dengesellschaftlichen Konventionen. Werke von 30 Künstlerinnen aus den Bereichen Malerei, Graphik,Plastik und Kunsthandwerk sind zu sehen.

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Roy Lichtenstein: PerfectPainting (1985)

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STEFANO DELLA BELLA – EIN MEISTER DER BAROCKRADIERUNG4. Juni – 21. August 2005

Staatliche Kunsthalle KarlsruheHans-Thoma-Straße 2–6, 76133 KarlsruheTel. 07 61/9 26-33 59Eintritt: 5 / 3 €

Di–Fr 10–17 Uhr, Sa, So 10–18 UhrStefano della Bella (1610–1664) zählt zu den brillantesten Zeichnern

und Radierern des 17. Jahrhunderts. Geboren in Florenz, konnte er sichbereits früh ein Patronat der Familie Medici sichern. 1639 ging della Bella nach Paris und prägtedort rund zehn Jahre lang im Dienste der Kardinäle Richelieu und Mazarin die Kunst am HofLudwigs XIV. Della Bellas Werk ist ein Feuerwerk barocker Lebenspracht und Kulturgeschichte.Sein feiner, lockerer Strich, der sich zu einem eigenständigen, charakteristischen Radierstil ent-wickelte, zeigt ein Vorliebe für das exakte, auch in entfernt liegenden Hintergründen akribisch wie-dergegebene Detail. Dieses verbindet er jedoch mit einer kunstvollen, duftigen Atmosphäre zu einereigenwilligen Mischung aus realem Geschichten und feinster Sublimierung. 1650 kehrte er nachFlorenz zurück und arbeitete wieder für die Medici und Papst Alexander VII. in Rom.

DAS FRÜHWERK: FRANZ XAVER WINTERHALTER ZUM 200. GEBURTSTAG5. Juni – 31. August 2005

Museum des Landkreises WaldshutSchloss Bonndorf, 79848 Bonndorf im SchwarzwaldTel. 0 77 03/79 78Eintritt: 5 / 2,50 €

Di–So 10–12 Uhr und 14–17 UhrFranz Xaver Winterhalter wurde am 20. April 1805 in Menzenschwand

bei St. Blasien geboren. Er avancierte rasch zu einem der gefragtesten Por-traitmaler und wurde zum europäischen „Fürstenmaler und Malerfürsten“.Man verehrte den selbstbewussten Maler in Frankreich, England und Russ-land ebenso wie in Spanien, Portugal und Italien, der Schweiz, in Österreichund Deutschland. Während Franz Xaver Winterhalters Werk in der jüngeren

Vergangenheit in einer großen Retrospektive in London und Paris gewürdigt wurde, fand seit demTod des Künstlers im Jahr 1873 keiner Winterhalter-Ausstellung in Deutschland mehr statt. So istdiese die erste deutsche Werkschau überhaupt, die sich auf Winterhalters Frühwerk konzentriert.

KRIEG UND FRIEDEN IM ALTEN ÄGYPTEN – PHARAO SIEGT IMMER22. Mai – 11. September 2005

Reiss-Engelhorn-MuseenMit Curt-Engelhorn-ZentrumZeughaus C5, 68159 MannheimTel. 06 21/2 93-31 51Eintritt: 7 / 5 €

Di–So 11–18 UhrDie Ausstellung zeigt nicht allein das Leben in den Friedenszeiten des

Mittleren und des Neuen Reiches (2100–1070 v. Chr.), sondern auch einePeriode der Fremdherrschaft, die nur durch archäologische Forschungdokumentiert werden kann, weil sie von den Ägyptern selbst nicht auf-gezeichnet wurde.

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„ZWISCHEN SONNE UND HALBMOND“ – SONDERAUSSTELLUNG9. April – 25. September 2005

Wehrgeschichtliches MuseumSchloss Rastatt, Herrenstraße 18, 76437 RastattTel. 0 72 22/3 42 44Eintritt: 3 / 2 €

Di–So 9.30–17 UhrMarkgraf Ludwig Wilhelm, bekannt als „Türkenlouis“, gehört auf nationaler

Ebene zu den zu Unrecht vernachlässigten Persönlichkeiten. Von europäischerDimension ist jedoch besonders ein Wirkungsraum: In Ungarn und auf demBalkan befehligte er die kaiserliche Armee gegen das osmanische Herr. Mit demAufeinanderprallen zweier Kulturen und einer starken religiösen Motivation aufbeiden Seiten weist dieser Krieg einen deutlichen Aktualitätsbezug auf. DieSonderausstellung „Zwischen Sonne und Halbmond“ soll besonders diemilitärische Leistungen des Markgrafen würdigen und einer breiten Öffentlich-keit vorstellen.

„VOR 50 JAHREN …MIT HORST SCHLESIGER DURCH DAS JAHR 1955“FOTOAUSSTELLUNG21. März – 29. September 2005

Stadtarchiv KarlsruheMarkgrafenstraße 2976124 KarlsruheMo–Mi 8.30–15.30 UhrDo 8.30–18 UhrEintritt frei

„Zehn Jahre danach …“ Das Jahr 1955 ist sowohl vom Blick auf dieGegenwart als auch auf die Zukunft geprägt. Aus dem Nachlass des lang-jährigen Bildjournalisten bei den „Badischen Neuesten Nachrichten“präsentiert das Stadtarchiv Karlsruhe eine Auswahl der stadtgeschichtlichbedeutsamsten Ereignisse und eindrucksvollsten Fotos des Jahres 1955.

UMBRUCH UND ERINNERUNG.VON FEUERBACH BIS DIX3. September – 6. November 2005

Städtische Wessenberg-Galerie Konstanz im Kulturzentrum am MünsterWessenbergstraße 43, 78462 Konstanz, Tel. 0 75 31/900 921Eintritt: 3 / 2 €

Di–Fr 10–18 Uhr, Sa, So 10–17 UhrDie Jahre zwischen 1850 und 1930 waren nicht nur in künstlerischer

Hinsicht von vielfältigen Auf- und Umbrüchen bestimmt. Diese Ausstellungspürt den Wandel dieser Zeit nach, in der die Kunst einerseits durch das wider-sprüchliche Streben nach neuem Ausdruckswollen, andererseits durch denverklärten Blick auf Vergangenes geprägt war. Ein historischer Durchgang vonAnselm Feuerbach über Ferdinand Keller und Karl Walser bis zu Otto Dix.

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Signatur 8/BA SchlesigerA3 65 1 37

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