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MONOGRAPHIEN AUS DEM GESAMTGEBIETE DER PSYCHIATRIE Band 112 STEINKOPFF DARMSTADT

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MONOGRAPHIEN AUS DEM G E S A M T G E B I E T E D E R PSYCHIATRIE

Band 112

STEINKOPFF

DARMSTADT

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MONOGRAPHIEN AUS DEM G E S A M T G E B I E T E D E R PSYCHIATRIE

Herausgegeben von H. Sa6, Aachen • H. Sauer, Jena • F. Miiller-Spahn, Basel

Band 92: Soziokiilturelle Faktoreii unci die Psycliopathologic der Depression Empirische Untersuchungen zum pathoplasti-schen EinfluB soziokultureller Lebensformen bei der Melancholic \x)n D. Ebert (ISBN 3-7985-1185-3)

Band 93: Selbstbild und Objektbeziehuiigeii bei Depressioncn Untersuchungen mit der Repertory Grid-Technik und dem GieBen-Test an 139 Patientlnnen mit depressiven Erkrankungen Von H. Boker (ISBN 3-7985-1202-7)

Band 94: Elcktroki-aiiipftlicrapic Untersuchungen zum Monitoring, zur Effektivitat und zum pathischen Aspekt \x)n I-LW Folkerts (ISBN 3-7985-1204-3)

Band 95: Der Nerve Growth Factor bei neuro-psycliititrfechcn Erkraiikungcn Ein pleiotroper Modulator mit peripherer und zentralnervoser Wirkung Von R. Hellweg (ISBN 3-7985-1205-1)

Band 96: Aufklarimg und Einwilligung in der Psychiatric Ein Beitrag zur Ethik in der Medizin Von J. VoUmann (ISBN 3-7985-1206-X)

Band 97: Tabakabliangigkeit Biologische und psychosoziale Entstehungs-bedingungen und Therapiemoglichkeiten I m A. Batra (ISBN 3-7985-1212-4)

Band 98: Die psycliosozialen Folgen schwerer Unlallc Von U. Schnyder (ISBN 3-7985-1213-2)

Band 99: Korperliche Aktivitat und psycWschc Gesiindheit Psychische und neurobiologische Effekte von Ausdauertraining bei Patienten mit Panikstorung und Agoraphobic Von A. Brooks (ISBN 3-7985-1240-X)

Band 100: Das dopaininerge Verstarknngs-system Funktion, Interaktion mit andcren Ncurotransmit-tersystemen und psychopathologische Korrclatc Von A. Heinz (ISBN 3-7985-1248-5)

Band 101: Versorgimgsbedarf iind subjektive Sichtweisen scMz»plirener Patienten in geiiicindepsychiatrischer Betreuung Evaluationsstudie im Jahr nach Klinikentlassung in der Region Dresden Iton Th. Kallert (ISBN 3-7985-1263-9)

Band 102: Psychopatliologie YoiiLcib und Rauin Phanomenologisch-empirische Untersuchungen zu depressiven und paranoiden Erkrankungen Von Th. Fuchs (ISBN 3-7985-1281-7)

Band 103: Walirnehniiing der friilien Psychose Untersuchungen zur Eigen- und Fremdanamnese der beginnenden Schizophrenic Von M. Hambrecht (ISBN 3-7985-1292-2)

Band 104: Scliizophrenien pralingual Gehor-loser Einc Untcrsuchung im lautloscn Kompartiment dcs „menschcngemeinsamen Raums" Von K. Schonauer (ISBN 3-7985-1348-1)

Band 105: Zur Eniotions/Kognitions-Kopplniig bei Stornngen des Aflelds Neurophysiologischc Untersuchungen unter Verwendung ereigniskorrelierter Potentiale Von D.E. Dietrich (ISBN 3-7985-1347-3)

Band 106: Neuronale Korrelate psychopatho-logischer Syniptonie Denk- und Sprachprozesse bei Gesunden und Patienten mit Schizophrenic Von T. Kircher (ISBN 3-7985-1377-5)

Band 107: Familienbefunde beizykloiden Psyclioscn und nianisch-dcprcssivcr Erkran-kung Ein Beitrag zur Nosologic bipolarer phasischer Psychosen Von B. Pfuhlmann (ISBN 3-7985-1420-8)

Band 108: GcscHcchtsspczifischc UntcrscMcdc der scHafendokrinen Regulation und dcren Bedeutung fiir die Pathophysiologic der Major Depression Von LA. Antonijevic (ISBN 3-7985-1487-9)

Band 109: Serotonin und akustfech cvozicrtc Potentiale Auf der Suche nach einem verlaBlichen Indikator fur das zentrale 5-HT-System Von G. Juckel (ISBN 3-7985-1513-1)

Band 110: Psychiatric der Brandstiftung Einc psychopathologische Studic anhand von Gutachten Von W. Barnett (ISBN 3-7985-1519-0)

Band 111: Zercbrale Korrclatc klhrischer und ncuropsychologischcr Vcrandcrungcn in den Vcrlaufsstadien der Alzhcimcr-Dcmcnz Untersuchungen mit der quantitativen Magnet-resonanztomographie Von J. Pantcl und J. Schroder (ISBN 3-7985-1603-0)

Band 112: EffcktiYitat der Ergotherapie im psychiatrischen Krankenhaus Mit einer Synopse zu Geschichte, Stand und aktuellcr Entwicklung der psychiatrischen Ergo­therapie Von T. Reuster (ISBN 3-7985-1641-3)

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T. Reuster

Effektivitit der Ergotherapie im psychiatrischen Krankenhaus

Mit einer Synopse zu Geschichte, Stand und aktueller Entwicklung der psychiatrischen Ergotherapie

STEINKOPFF

DARMSTADT

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Priv.~Doz. Dr. med. habil. Thomas Reuster Klinik fiir Psychiatric und Psychotherapie der TU Dresden FetscherstraBe 74 01307 Dresden e-mail: [email protected]

ISBN 3-7985-1641-3 Steinkopff Veriag Darmstadt

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliotliek verzeiclinet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet liber http://dnb.ddb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der tlberset-ziing, des Nachdrucks, des Voitrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendimg, der Mikroveifilmung oder der Vervielfaltigung auf anderen Wegen imd der Speicherang in Datenverarbeitimgs-anlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmimgen des Urheben'echtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils giiltigen Fassung zulassig. Sie ist grandsatzlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestim-mimgen des Urheben'echtsgesetzes.

Steinkopff Veriag Darmstadt

ein Unternehmen der Springer Science+Business Media GmbH

www. steinkopff springer, de

© steinkopff Veriag Damistadt 2006

Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzei-chen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt wer den diirften.

Verlagsredaktion: Dr. Maria Magdalene Nabbe Umschlaggestaltung: Erich Kirchiier, Heidelberg

SPIN 1L544463 80/7231 - 5 4 3 2 1 0 - Gedruckt auf siiurefreiem Papier

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Geleitwort

Der Zugang zum Menschen und datnit auch der Zugang zum psychisch Kranken kann auf verschiedenen Ebenen geschehen, die sich in diagnosti-schen Kategorien darstellen lassen: der Syndromatologie, der somatischen Korrelate, der psychodynamischen (Konflikt-) Verarbeitung, dem soziody-namischen Stand in der Welt und ggf. gar in transzendenten Sichtweisen. Bin komplextherapeutischer Ansatz bei psychiatrischen Erkrankungen hat Strate-gien zu wahlen, die all diesen diagnostischen Ebenen gerecht werden: z. B. Somatotherapie, Psychotherapie, Soziotherapie. Je nach Krankheitsbild, sei-nen Verursachungen (im Sirme einer multifaktoriellen Genese) und dem Ver-laufsstadium des Geschehens konnen unterschiedliche Vorgehensweisen in den Mittelpunkt riicken. Zu Zeiten, als die modemen somatischen Therapie-verfahren - vorztiglich die Psychopharmakotherapie - noch nicht vorhanden waren bzw. sich die somatischen Interventionen in einem sehr einfachen Ras­ter bewegten, spielten Therapieverfahren, die wir heute mit Soziotherapie umschreiben wiirden, eine besondere RoUe und die Psychiatriegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts weist aus, dass Milieu, Beschaftigung, Arbeit, Kunst und Alltagstraining zu dieser Zeit besonders geschatzt wurden. Spaterhin lieB das Interesse an diesen Behandlungsformen nach und erst nach dem 2. Weltkrieg, insbesondere als die Psychiatric gesundheitspolitisch auf-gewertet wurde (Psychiatrie-Enquete, Rodewischer Thesen), erhohte sich das Interesse an Psycho- und Soziotherapie zunehmend. Wahrend die Psychothe­rapie ihre Legitimierung durch vielfaltige Studien erflihr, schien der soziothe-rapeutische Ansatz kaum wissenschaftliches Interesse zu fmden. Getragen von einem allgemeinen Plausibilitatsgedanken wurde adjuvant behandelt. Der Autor der vorliegenden Schrift hat nun den Versuch untemommen, sich dem Thema vom Deskriptiven des Vorgehens her iiber theoretische Grundle-gungen und anthropologische Sichtweisen hin zu empirischen Untersuchun-gen zur Effektivitat zu nahem.

Wissenschaftsmethodisch waren die Untersuchungsansatze aber schwer zu realisieren, well ethische Erwagungen keine ganz strenge Trennung von Ve-rum- und Kontrollgruppen zulieBen. Es kommen jedoch trotz dieser den Un-tersuchungsansatz erschwerenden Bedingungen Aussagen zustande, die das

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soziotherapeutische Vorgehen - hier zentriert auf eine stationare Ergothera-pie im Gruppensetting - als effektiv erweist, wobei offenbar besonders mani-sche und depressive Patienten profitieren. Wichtig erscheint in diesem Zu-sammenhang aber auch, dass die Patienten, die mit professioneller Ergothe-rapie betreut wurden, eine signifikant hohere Behandlungszufriedenheit aus-wiesen. Die Ergebnisse - besonders auf die Gruppe der schizophrenen Patienten be-zogen - lassen aber auch den Schluss zu, wirtschaftliche Erwagungen zum Einsatz der Ergotherapie im stationaren Bereich - wegen der eher kurzen Verweildauer in Akutkliniken - zu tiberdenken. Hervorzuheben ist das aus-gepragte methodische und methodologische Bewusstsein des Autors. Die von Reuster hier vorgelegte Schrift ist ein wichtiger, weil emsthaft-bemuhter und methodische Moglichkeiten ausschopfender Versuch, ein Partialfeld psychi-atrischer Therapie auf Sinnhaftigkeit hin abzuklopfen. Sie diirfte den interes-sierten Leser auch wegen der terminologischen Klarungen, der historischen Betrachtungen zum Thema und der Stellung der Soziotherapie im intematio-nalen Verstandnis sorgfaltig in ein Gebiet einfiihren, das, in der Regel neben-hin betatigt, mehr Aufmerksamkeit durch die in der Psychiatric Tatigen er-fahren sollte.

Dresden, im Juni 2006 Prof. Dr. med. Otto Bach

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Vorwort

Psychiatrische Ergotherapie ist in deutschsprachigen Kliniken ubiquitar verbreitet und wird auf der Gmndlage der Psychiatrie-Personalverordnung extensiv eingesetzt. Ob sie einen effektiven Beitrag zur meist multimodalen Therapie psychisch Kranker leistet, ist hingegen mit wissenschaftlichen Mitteln empirisch bisher nicht angemessen untersucht worden.

Vor diesem Hintergrund versucht die vorliegende Arbeit erstmals mit einem randomisierten Kontrollgruppen-Design zur Frage der therapeutischen Effektivitat einen verallgemeinerbaren Beitrag zu leisten. Gleichzeitig reagiert sie mit einem theoretischen Teil auf das aus psychiatrischer Sicht erkennbare Defizit an allgemeiner Theorie und Konzeptualisierung. So ist ihr Ansatz dichotom und verbindet die empirische Untersuchung mit einer hermeneutischen Vorklarung des Gegenstandes, die sch um die Gewinnung aktueller und psychiatrisch relevanter Perspektiven auf die inhaltliche, historische und wissenschaftliche Binnenstruktur der Ergotherapie bemiiht. Im Einzelnen beinhaltet dies Untersuchungen zur Terminologie und zum systematischen Ort der Ergotherapie innerhalb modemer psychiatrischer Therapeutik. Es folgt eine historische Rekonstruktion der Ergotherapie unter Einbeziehung neuer Quellen und einer differenzierten Bewertung der Simon'schen Praxis und Lehre. Ein weiteres Kapitel ist der aktuellen Bedeutung der Ergotherapie im psychiatrischen Krankenhaus gewidmet, deren quantitativen und strukturellen Merkmalen sowie ihrer Bedeutung aus Sicht der Patienten. Ein Uberblick uber die internationale Forschung der Occupational Therapy (Ergotherapie) beschheBt den theoretischen Teil. Die Forschung fokussierte in den letzten 15 Jahren vor allem auf die Entwicklung von Konzepten und ihre praktische Implementierung und Evaluation. Allerdings profitierte die psychiatrische Ergotherapie davon am wenigsten, was sich auch am Mangel tauglicher Studien zeigt. Die vorliegende Untersuchung versucht hier Abhilfe zu schaffen. Sie ware freilich nicht ohne vielfaltige Unterstiitzung zustande gekommen. Ich habe ich zu danken: Professor Otto Bach vor alien andern. Die Untersuchung wurde von ihm angeregt und vor allem in der Anfangsphase unersetzbar unterstiitzt. Immerhin mussten erhebliche Eingriffe in die Versorgungs-Routine vorgenommen und suffizient umgesetzt werden, eine Aufgabe, an der arztlicher Dienst, Pflege und Ergotherapie gemeinsam beteiligt waren. Auch nach seiner Berufung zum Vorstandssprecher des Dresdner Universitatsklinikums hat er den Fortgang der Arbeit ebenso interessiert wie geduldig begleitet. Sein kommissarischer Nachfolger im Amt des

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psychiatrischen Klinikdirektors, Professor Werner Felber, hat das Projekt konstruktiv-kritisch weiter gefordert. Auch ihm schulde ich besonderen Dank. Fiir die mathematische Beratung hinsichdich komplexer statistischer Verfahren danke ich herzhch Herm PD Dr. P. Winiecki und Prof. Dr. R. Koch. Methodischen Rat gewahrten Prof. Dr. H. Petermann und Dr. phil. M. LeiBe. Tatkraftige Heifer und engagierte Gesprachspartner waren die vormaligen Doktoranden Frau Dr. med. Petra Wadehnf und Herr Dr. med. Ulrich Buntrock. Den Ergotherapeutlnnen Frau C. GeiBler, Frau B. Berger, Frau B. Wulsten, Frau K. Stelzner und Herm F. Marks sei spezieller Dank abgestattet. Ohne ihre disziplinierte und uneigennutzige Mitarbeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei der Studiendurchfiihrung hatte die Untersuchung nicht erfolgreich realisiert werden konnen. Gleiches gih fur Schwestem und Pfleger aller Stationen, die ebenfalls im Sinne von Zusatzaufgaben das Management der „Selbstbeschaftigung" iibemahmen. SchlieBlich war Frau AnneHese Butter bei Anfertigung und Gestaltung der Graphiken eine wertvoUe Hilfe.

Ganz besonders aber danke ich meiner Familie - insbesondere meiner Frau Ulrike - fiir ihre Solidaritat, die mit viel Verstandnis und Nachsicht verbunden war. SchlieBHch danke ich den Herausgebem der Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatric, namentlich Herm Prof. Dr. H. SaB, und dem Steinkopff-Verlag, namentlich Frau Dr. M. Nabbe, fiir die Realisierang der Publikation in dieser Form.

Dresden, im Juni 2006 Thomas Reuster

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1 1.1 Zielstellung 2

Teill

2 Ergotherapie 4 2.1 Terminologie 4 2.2 Der systematische Ort der Ergotherapie irmerhalb einer modemen

psychiatrischen Therapeutik 4 2.2.1 Soziotherapie - Definition und Beschreibung 4 2.2.2 Soziotherapie: Definition 7

a) Semantik 7 b) Extension 8 c) Intension 11 d) Historisch-sozialpsychiatrische Dimension 14

2.2.3 Sozialpsychiatrische Forschung 18 2.3 Ergotherapie in geschichtlicher Perspektive 20 2.3.1 Allgemeine historische Aspekte 20 2.3.2 Ergotherapie in der deutschen Psychiatriegeschichte 23 2.3.2.1 Hermann Simon und die psychiatrische Ergotherapie der ersten

Halfte des 20. Jahrhunderts. 26 2.3.2.2 OttoBuchner 30 2.3.2.3 KurtBeringer 31 2.3.2.4 Carl Schneider 31 2.4 Kjitik an Arbeits- und Beschaftigungstherapie 33 2.5 Psychiatrische Ergotherapie in Deutschlandnach 1945 35 2.6 Zusammenfassung 41 2.7 Aktuelle Bedeutung der Ergotherapie im psychiatrischen Krankenhaus 41 2.7.1 Quantitative und strukturelle Merkmale 41 2.7.2 Qualitative Beschreibung 44 2.7.3 Ergotherapie aus Sicht der Patienten 45 2.7.4 EffektivitatsforSchung als Desiderat 45

3 tJberblick fiber die internationale Forschung in Occupational Tlierapy 46 3.1 Konzeptionelle Modelle im Kontext der Occupational Sciences 51 3.1.1 Historischer Kontext 51 3.1.1.1 Modelle 52

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X

3.1.1.1.1 Cognitive disabilities model 57 3.1.1.1.2 Cognitive perceptual model 5 8 3.1.1.1.3 Model of Hiunan Occupation 61 3.1.2. Diskussion und Kritik 63

TEIL II (EMPIRISCHER TEIL)

Einleitung 67 Evidenzbasierte Forschung 68 Outcome research in der Ergotherapie 69 Probleme soziotherapeutischer Effektmessung 70

Eigene Untersuchung 72 Fragestellimg 72 Beschreibung der ProgrammmaCnahme 74 Beschreibung der KontroUgmppenmaBnahme 75 Mehrdimensionale Therapie 76 Methode 76 Stichprobenbeschreibung 76 Dropouts 92 Analysestrategie: Intention-to-treat versus On-treat-Analyse 93 Messiastrumentarium und Messzeitpunkte 94 Messinstrumente im Einzelnen 96 STAI-G 96 SSF-Skala 97 KASSL 97 H-SA-Skala 98 TPF 99 MWT-B 100 Psychopathologie-Skalen (BPRS, BRMES, BRMAS) 100 Test d2 Aufinerksamkeits-Belastungs-Test 101 Fragebogen Patienteneinschatzung der Beschaftigung 103 Durchflihrung 104 Statistische Strategic und Methoden 104 Resultate 107 Resultate im univariaten Modell fur die Gesamtgruppe 107 Resultate im univariaten Modell in Abhangigkeit von der Diagnose 109 Zusammenfassung univariate Resultate 123 Bewertung der MaBnahmen durch die Patienten 124 Multivariate Analyse 125 Multivariate Merkmalsdetektion 128 Multivariate Grruppentreimung 136 Ergebnisse der Klassifikation (Diskrimination) 146 Differenzierung nach langerer und kilrzerer Krankheitsdauer bei Schizophrenic und Depression 150 Ergebnisse kiirzere versus langere Krankheitsdauer bei Schizophrenie 155 Ergebnisse kurzere versus langere Krankheitsdauer bei Depression 155

4 5 6 6.1

7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.6 7.6.1 7.6.1.1 7.6.1.2 7.6.1.3 7.6.1.4 7.6.1.5 7.6.1.6 7.6.1.7 7.6.1.8 7.6.1.9 7.7 7.8 7.9 7.9.1 7.9.2 7.9.3 7.9.4 7.9.5 7.9.5.1 7.9.5.2 7.9.6 7.9.6.1

7.9.6.1.1 7.9.6.1.2

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XI

7.9.6.2 Zusammenfassung und Diskussion aller Ergebnisse nach Diagnosen 156 7.9.6.2.1 Schizophrenie 156 7.9.6.2.2 Depression 157 7.9.6.2.2.1 Bewertung der Mafinahmen durch die depressiven Patienten 159 7.9.6.2.3 Manie 162 7.10 Methodenkritik 162 7.10.1 Probleme des Designs 162 7.10.2 Methodische Anmerkung 164

7.11 Zusammenfassung, Diskussion und Ausblick 164

8 Literaturverzeichnls 172 Abkurzungsliste 197

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1 Einleitung

Vor dem Hintergmnd intemationaler Bemiihungen iim psychiatrische Ursa-chen- und Therapieforschung ist das Defizit sowohl an wissenschaftlicher Theorie als auch an einer Nutzen-Forschung soziotherapeutischer MaBnah-men sehr erstaunlich. Namendich gilt diese Feststellung fur psychiatrische Ergotherapie. Sie hat zwar faktisch nach wie vor erhebliche Bedeutung in der Behandlung psychisch Kranker (Kunze und Kaltenbach,1986, Bach et al 2000, Spitzer 2002), doch ist sie in der psychiatrischen Forschung weitgehend skotomisiert. GroBe psychiatrische Kongresse beschaftigen sich allenfalls marginal mit soziotherapeutischen Themen, zu denen auch Ergotherapie ge-hort (Eikelmann 2002), und psychiatrische Publikationen und Dissertationen zu diesem Thema sind vergleichsweise rar (Die deutsche Bibliothek, o. J.). Soziotherapie ist den Arzten aus der Hand geglitten (Kisker 1999). Auch hat die aktuelle neurobiologische Diskussion, z. B. zur Neuroplastizitat, die Sozi­otherapie noch nicht erreicht.

Dabei stellen sich fur die Ergotherapie in der Psychiatric neue und wichtige Fragen. Ihre Aufgaben haben sich gewandelt: Sie liegen nicht mehr in der Verhiitung von Hospitalisierungsschaden und nicht im Ersatz von Psycho-pharmaka, wie Hermann Simon dies zu Zeiten der Anstaltspsychiatrie gezeigt und propagiert hat (Simon 1986, Merguet 1961, Felber und Reuster 2002). Die pharmakologischen und psychotherapeutischen Behandlungsmoglichkei-ten haben sich seitdem revolutionar verandert und die aktuelle Verweildauer im psychiatrischen Krankenhaus liegt nahe an jener anderer Facher (Fritze 2001). TherapiemaBnahmen sind komprimiert und soUen effizient sein. Rolle und therapeutische Funktion der Ergotherapie in der modemen Klinik sind unter diesen Bedingungen nicht mehr eindeutig. Leistet sie einen effektiven Therapiebeitrag im Rahmen multimodaler Behandlung oder unterhalt sie die Patienten mit Tatigkeiten von Hobbycharakter (Hafner 2000)?

Vor dem Anspruch einer evidenzbasierten und rationalen Therapie sowie damit verkniipft unter steigendem gesundheitsokonomischen Druck scheint es unverzichtbar, die Leistung Ergotherapie unter empirischen Aspekten zu eva-luieren. Dies bedeutet, Fragen nach ihrem realen klinischen Nutzen zu stellen vmd zu beantworten.

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1.1 Zielstellung

In diesem Sinne mochte die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur Klarung der Effektivitatsfrage leisten und fokussiert auf die Untersuchung des Einflusses von Ergotherapie auf bestimmte klinische Zustande und psychopathologische Variablen wahrend stationarer psychiatrischer Behandlung. Methodisch wird erstmals ein randomisiertes KontroUgmppen-Design mit einer verhaltnisma-I3ig groBen Gesamtstichprobe gewahlt. Der empirische (zweite) Teil ist die­sem Thema gewidmet.

Es hat sich allerdings bei der wissenschaftlichen Beschaftigung mit Ergothe­rapie ein erhebliches Problem gezeigt und gleichzeitig ein Desiderat, das eine psychiatrische HabiHtationsschrift, die sich mit Ergotherapie befasst, nicht ignorieren oder ausklammem kann: Deutlich wurde ein frappierendes Theo-rie- und Konzeptdefizit im HinbHck auf psychiatrische Ergotherapie. Es wiir-de als leichtfertige positivistische Verktirzung erscheinen, Probleme des ergo-therapeutischen Selbstverstandnisses nur deshalb abzublenden, weil das Each in der deutschen Psychiatric iiber die Orientierung an Tradition und Erfahrung nicht weit hinausgekommen und gerade erst dabei ist, in Konzept- und Mo-dellbildung Anschluss an die Internationale Entwicklung zu finden (Jerosch-Herold et al 1999). Ein wissenschaftlicher Zugriff verlangt auch Klarheit tiber den Begriff „Ergotherapie", mit dem man ansonsten faktizistisch oder begriff-lich blind operierte und obendrein den Vorwurf provozierte, alltagsweltliche Banalitaten zu untersuchen. Auch der methodische Fehlschluss einer Petitio principii, der als Wirkung erkennt, was er von vomherein angenommen hat, muss gerade dann bedacht werden, wenn etwas "fraglos Sinnvolles" oder "gesellschaftlich Wertvolles", wie es Betatigung ist, als Gegenstand einer Untersuchung gewahlt wird. Er macht sich heimlich insbesondere dann gel-tend, wenn man sich hinreichender (Vor)-Klarung der Sache, um die es geht, enthalt und, tradierten Vorstellungen verhaftet, zum Priifstein erklart, was einem dunklen Vorverstandnis entgegen kommt. Begriffe ohne Anschauung sind leer, sagt Kant, und Anschauung ohne Begriffe ist blind (Kant 1974); Kant meint dabei eine Anschauung, die durch empirisches Verstandnis zum Allgemeinen getrieben wird und in diesem Prozess operationalisierte Begriffe generiert.

Uberdies ginge mit der Beschrankung auf eine mit empirischem Material bloB kalkulierende Vemunft zu leicht Sinn und Verstandnis fur die Sache selbst verloren und damit auch die Anbindung an den Zusammenhang der psychiat-rischen Praxis. Wissenschaftlich relevante Erfahrung und ihr Material lassen sich unreflektiert nicht auf eine, z. B. an Effizienzkriterien interessierte. Per-

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spektive reduzieren; der Preis dafllr ware der Verlust einer als sinnvoll ver-standenen Praxis (vgl. Gadamer 1975, Marotta 1998).

Die folgende Vergegenwartigung ergotherapeutischer Praxis und Theorie dient also dazu, die wichtigsten Strukturen des Faches und vor allem seinen systematischen und historischen Ort innerhalb der psychiatrischen Therapeu-tik in eine zeitgemaBe Perspektive zu riicken und Starken und Schwachen des Verfahrens, dessen Vertreter(innen) durchaus mit selbstbewusstem professio-nellen Anspruch auftreten, in Asn psychiatrischen Blick zu nehmen.

Andererseits bleibt ein positivistisch-evaluatives, durch Messung und Zahlung vergleichendes und priifendes Verfahren unbedingter Priifstein und methodi-sches Ruckgrat medizinischer und auch sozialwissenschaftlicher Forschung, die zu Falsifikation oder Verifikation tradierter Annahmen oder differenzier-ter Hypothesen fiihrt. Diesem methodischen Imperativ tragt die anschliefiende empirische Evaluation einer klinisch-ergotherapeutischen StandardmaBnahme Rechnung.

Der Ansatz, der in der vorliegenden Arbeit gewahlt wird, ist somit dicho-tom und verbindet die empirische Untersuchung mit einer hermeneuti-schen Vorklarung, die sich um die Gewinnung aktueller und psychiat-risch relevanter Perspektiven auf die inhaltliche und historische Struktur der Ergotherapie bemiilit.

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TEILI

2 Ergotherapie

2.1 Terminologie

Terminologisch bezeichnet der Begriff Ergotherapie im Deutschen seit 1999 eindeutig und berufsrechtlich sanktioniert sowohl Beschaftigungstherapie als auch Arbeitstherapie (Scheepers et al 1999). Beschaftigungstherapie, die nach wie vor im psychiatrischen Krankenhaus, aber auch in ambulanten Praxen und Tagesstatten stattfindet, zentriert auf Beschaftigung und Betatigung als Be-standteil von Behandlung. Arbeitstherapie orientiert sich am Ziel einer Er-werbsfahigkeit und trainiert zielgerichtet Arbeitsfahigkeit in diesem, dam Selbsterhalt dienenden Sirme von Arbeit (Reker 1998, 2002, Reker und Ei-kelmann 1993). Arbeitstherapie ist eine Domane der extramuralen, rehabilita-tiv ausgerichteten psychiatrischen Behandlung. Im Englischen wird Ergothe­rapie gewohnlich mit Occupational Therapy iibersetzt, meint dabei aber eher Beschaftigungs- als Arbeitstherapie. Die alteren Begriffe work-therapy und vocational therapy als Bezeichnungen fur Arbeitstherapie fmdet man immer seltener. Ergotherapie bzw. Occupational Therapy haben sich als Leitbegriffe zur Beschreibung handlungszentrierter Therapien etabliert. In dieser Arbeit wird im empirischen Teil auf Beschaftigungstherapie fokussiert und Ergothe­rapie insoweit synonym verwendet. Im theoretischen Teil meint Ergotherapie entsprechend der deutschen berufsrechtlichen Bezeichnung Beschaftigungs-, aber auch Arbeitstherapie.

Ergotherapie muss zur Gruppe soziotherapeutischer HeilmaBnahmen gezahlt werden (Eikelmann 1998, Peters 1999, DGPPN 2005), was im Folgenden zu erlautem ist.

2.2 Der systematische Ort der Ergotherapie innerhalb einer moder-nen psychiatrischen Therapeutik

2.2.1 Soziotherapie - Definition und Beschreibung

Modeme psychiatrische Therapie ist entsprechend dem in der Psychiatric vorherrschenden biopsychosozialen Krankheitsmodell (Engel 1977, 1997) gmndsatzlich mehrdimensional konzipiert und verbindet die drei Dimensio-nen Somatotherapie, Psychotherapie und Soziotherapie (Freyberger et al 1996, Bach et al 2000, Bach 2002). Sie erscheint somit als Konsequenz einer

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schon vor Mitte des letzten Jahrhunderts erhobenen Forderung Ernst Kretschmers nach mehrdimensionaler Betrachtung psychiatrischer Sachver-halte (Kretschmer 1966).

Es ist fireilich zu konstatieren, dass zwar die Praxis der Psychiatric dicscn Grundsatz ancrkcnnt und nach ihm handelt, dass aber Bemiihungen um cine zugehorige psychiatrische Anthropologic fast vollstandig aus dem Lehr- und Publikationsbetrieb verschwunden sind. Es hat Ausnahmecharakter, wenn Bach immer wicder auf die Mehrdimensionalitat des Menschen hinweist und ihn aus psychiatrischer Perspektive in drei „Daseinsebenen" beschrciben mochte, namlich als Wesen mit biologischer, psychologisch-selbstbewusster und sozialer Dimension (Bach et al 2000, Bach 2002).

Diese Dreiglicdrigkeit ist seit alters ein philosophischer Topos abendlandisch-griechischer Tradition: Alkmaion (Mittelstrass et al 1984) defmierte den Men­schen als vemunftbegabtes natlirlichcs Lcbewesen und Aristoteles fugte mit der Bestimmung des Zoon politicon dem „von Natur aus nach Gemeinschaft strebenden Wesen" die soziale Dimension hinzu (Aristoteles 1958).

Auch wcim die Frage der Beziehung dieser drei Dimensionen und vor allem der korperlichen zu den beiden anderen hier offen bleiben und nur mit dem Hinweis auf die fortdauemde Brisanz und Aktualitat des Leib-Seele-Problems kommentiert werden soil (Ubersicht bei Metzinger 1990, 2002), darf vermit-tels der paradigmatischen Gtiltigkeit des genaimten bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells von Engel indirekt die Dreiglicdrigkeit des Menschen in der Psychiatric im beschriebenen Sinne doch als ancrkannt betrachtet werden (Grol3 und Loffler 1998, Reuster 2001). Allerdings gcht Engel nicht von einer Anthropologic aus, sondem tragt dem empirischen Befund Rechnung, dass psychiatrische Erkrankungen atiopathogenetisch „multifaktoriell", also durch Zusammenwirken von Faktoren aus den drei genannten Dimensionen, bedingt sind.

Dem bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell entspricht auf Therapieseite komplementdr (und in der Psychiatric gewissermaBen vorbildlich) die Trian-gulierung der Therapie nach Zielen und Methoden:

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Tabelle 2.1 Drei-Ebenen-Modell von Therapie, Storang und Grundlage

Ziel 1. biologischer Leib

2. Psyche

3. Soziale Teilnahme und soziales Handeln

Grundlagenwissenschaft Naturwissenschaften

Psychologie, Natur-Sozialwissenschaft

Sozialwissenschaften, u.a Psychologie, Padagogik

Therapiemetho de Somatotherapie (pharmakologisch etc.)

und Psychotherapie nach verschiedenen Verfahren und Me-thoden Soziotherapie (Psy-chosoziale Thera-pien)

Somatotherapie umfasst den differenzierten Bereich der Pharmakotherapie und anderer somatischer Therpieverfahren wie Elektrokrampftherapie (EKT), Schlafentzug, Lichttherapie u.a. auf der Grundlage von Forschungsergebnis-sen aber auch Hypothesen der biologischen Psychiatric.

Psychotherapie versucht, psychische Leiden durch psychische Mittel zu be-einflussen. Eine uniiberschaubare Anzahl von Verfahren und vor allem Me-thoden ist entwickelt worden und im Einsatz. Sie zielen schwerpunktmaBig -je nach theoretischem Fundament - auf die Losung intrapsychischer Konflik-te, auf personliche (Nach-)Reifung und Entvi'icklung oder die Anderung er-lemter dysfunktionaler oder pathogenetisch relevanter kognitiver und Verhal-tensmuster. Die therapeutischen GroB-Richtungen zielen primar auf den Men-schen als biologisch (Korper) und psychisch beschreibbares Wesen (Geist, Seele, Kognition, Emotion), auf das System Psyche und (mehr und mehr) auf das somatopsychische System Gehim.

Die soziale Dimension - mit Korper (Leib) und Psyche (Emotionalitat, Kognition, Personlichkeit) grundsatzlich verkniipft - wird komplementar von all jenen Therapien angesprochen, die neben Somato- und Psychotherapie etabliert sind, in der psychiatrischen Praxis eine enorme Rolle spielen und unter den keineswegs klaren oder verbindlichen Begriff Soziotherapie rubriziert werden. (Aktuell wird in den Leitlinien Soziotherapie der DGPPN entsprechend eines Trends im intemationalen Schrifttum die Ablosung des Titels "Soziotherapie" durch "Psychosoziale Therapie" gefordert. Der Terminus hat sich noch nicht durchgesetzt [DGPPN 2005]). Diese Therapien vi erden von Psychiatem verordnet, aber meist von speziell ausgebildetem nicht-arztlichem Fachpersonal durchgefuhrt.Unabhangig von der theoretisch und konzeptionell unscharfen Begriffsbasis der Soziotherapie, auf die im

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Weiteren einzugehen ist, well sie auch auf die Ergotherapie - eines ihrer Elemente - durchschlagt, bewegen wir uns mit der Feststellung der grundlegend dreidimensionalen psychiatrischen Therapeutik klinisch-empirisch und unter Beriicksichtigung aktueller Lehrmeinungen auf sicherem Grund (Huber 1987, Moller 2000, Freyberger et al 1996, Bach et al 2000, DGPPN 2005). Sicher ist zudem, dass Ergotherapie an den meisten psychiatrischen Kliniken in Deutschland, Europa, Australien und Nordamerika zum festen Therapiebestandteil gehort und dass sie konventionell in psychiatrischer Fachliteratur meist unter der Rubrik Soziotherapie erscheint und von Somato- wie Psychotherapie abgegrenzt wird (Scheepers und Mtiller 1992, Eikelmann 2002).

2.2.2 Soziotherapie: Definition

Der Begriff Soziotherapie lasst sich aufgrund undeutlicher und unterschiedli-cher Verwendung in der Literatur und aufgrund von Mehrdeutigkeiten in der Sache (leider) nicht in einem Satz definieren (Merguet 1961, Schulte 1962, Deister 2000, Priebe 1996, Domer und Plog 1996, Bach et al 2000, Edelson 1970, de Mare 1972, Steinbock 1993, Eikelmann 2002 , Reker 2002).

Eine systematische Rekonstruktion des Begriffes muss folgende Strukturdi-mensionen beachten:

a) Semantik b) Extension (Begriffsumfang, Anwendungsbereich, Objekte) c) Intension (Begriffsinhalt, Merkmale, Attribute) d) Historisch - sozialpsychiatrische Dimension

a) Semantik: Das Determinativum „Sozio" entspricht dem lateinischen Verb socere (socio) = vereinigen, verbinden, gemeinschaftlich machen. Socius als Adjektiv bedeutet verbunden, Socius/Socia heifit Gefahrte/Gefahrtin, Teilnehmer/in. Alle Autoren, die mit dem Wort Soziotherapie operieren, haben die (Wieder)-Einbindung psychisch Kranker in gemeinschaftliche Zusammenhange und soziales Leben im Blick. Sie betonen dabei die Nutzung und Wirksamkeit der Gemeinschaft ftir den und im therapeutischen Prozess, weshalb soziotherapeutische Verfahren in der Regel - aber nicht ausschliefilich - Gruppenverfahren sind . Zur Bedeutung des Sozialen sowohl als Mittel wie auch Ziel der Therapie (Grundwort im Kompositum Soziotherapie) auBem sich am ausfiihrlichsten Priebe (1996), Bach (1992, 1996, Bach et al 2000) und Eikelmann (1997). Auch in den soziotherapeutischen Leitlinien der DGPPN (2005) wird dazu konzis

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geschrieben und es besteht an diesem Punkt ausreichende definitorische Klarheit.

b) Extension: Praktisch und in extensionaler Hinsicht fallen im Wesentlichen folgende Therapieverfahren unter den Begriff Soziotherapie (Katschnig 1995, Deister 2000, Reker und Eikelmann 2000, Eikelmann 2002, DGPPN 2005):

Ergotherapie (Beschaftigungs- und Arbeitstherapie) psychiatrische Sport- und Bewegungstherapie Kunst-, Musik- und Gestaltungstherapie Psychoedukation Familieninterventionen Case Management Therapeutische Wohnformen

Unter Soziotherapie versammeln sich also die aufgezahlten Therapieformen, die praktisch jede modeme psychiatrische Klinik zwar nicht komplett, aber -pars pro toto - zumindest teilweise und gemaB den Empfehlungen und dem Stellenplan der Psychiatrie-Personalverordnung anbietet (Kunze und Kaltenbach 1996).

Beziiglich der Ergotherapie muss allerdings bemerkt werden, dal3 ihre Einordnung in die psychiatrische Soziotherapie keinem genuinen Interesse der ergotherapeutischen Profession entspricht, die an solcher Rubrizierung nirgends interessiert ist (Scheiber 1995, Scheepers et al 1999), sondem ausschlieBlich einem psychiatrischen Ordnungsinteresse, das neben Somato-und Psychotherapie quasi ex negative im Wesentlichen nur noch diese dritte Kategorie kennt, in die hineingepackt wird, was mit den beiden anderen Begriffen nicht hinreichend gedeckt und nivellierend allgemein auch als komplementare, flankierende, Ko- oder Begleittherapie bezeichnet wird (Deister 2000, Eikelmann 1997, Spitzer 2002, Nestmann 2002). Tatsachlich ist es wesentlich leichter, auch die Ergotherapie ex negative jenem dritten Bereich zuzuschlagen, den wir konventionell noch mit „Soziotherapie" betiteln mochten, als dies positiv durch Herausarbeitung von geniigend gemeinsamen Merkmalen der Ergo- und Soziotherapie zu tun. Das liegt daran, dass zwar fiir Ergotherapie eine allgemein verbindliche Definition vorliegt, nicht aber fiir Soziotherapie (DGPPN 2005). Dies wird nicht nur von verschiedenen Autoren konstatiert (Priebe 1996, Reuster et al 1999), sondem es lasst sich durch die Feststellung teilweise erheblicher Unterschiede der expliziten oder impliziten Begriffsdefmition bei verschiedenen Autoren leicht belegen (s.o.).

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Der Grand dieser Begriffs-Inkonsistenz diirfte darin zu suchen sein, dass fiir die psychiatrische Soziotherapie ein wesentlich geringeres koharentes Forschungs- und Publikationsinteresse besteht als fur Psycho- und Somatotherapie (Priebe 1996). Auch liegt bemerkenswerterweise bis dato weder ein deutsch- noch ein englischsprachiges Lehrbuch der Soziotherapie vor.

Es finden sich iiber die genannten Verfahren hinaus aber in der Literatur auch spezielle Verwendungen des Begriffes Soziotherapie, die zu erwahnen sind und die sich in 5 Gruppen gliedem lassen:

I. Immer noch findet man „Soziotherapie" als Bezeichnung fur eine bestimm-te voll- Oder teilstationare Behandlungsform in der Ubergangsphase frisch remittierter Schizophrener (Steinbock 1993), deren psychosoziale und prakti-sche Fahigkeiten an die Forderungen des Alltags angenahert werden soUen, wobei Alltag vorerst noch (teilweise) im geschtitzten Milieu und innerhalb der therapeutischen Gemeinschaft geschieht. "Die Soziotherapie" (Steinbock) ist in diesem Sinn lediglich eine spezifische Behandlungsstation innerhalb des psychiatrischen Krankenhauses (vgl. auch www.bezirkskUnikum-regensburg.de am 20.01.2002).

II. Im Lehrbuch der Psychiatric und Psychotherapie von K. Domer und U. Plog ("irren ist menschlich", Domer und Plog 1996), das einen dezidiert sozi-alpsychiatrischen Standpunkt vertritt, wird Soziotherapie ungewohnlich aus-fiihrlich behandelt. Es geht den Autoren dabei nicht um Charakterisierung bestimmter Soziotherapismethoden oder die Erklarang des diesen Methoden Gemeinsamen, sondem sie beschreiben Soziotherapie als umfassende und reflektierte Umgangskultur, in welche das gesamte psychiatrische Personal die Patienten hineinnimmt, nicht ohne selbst diese Kultur im Umgang der Teammitglieder miteinander und durch Supervision bestandig zu pflegen und zu tiben. Das Konzept schlieBt an das Modell der Therapeutic Community an, das unter dem Begriff "sociotherapy" in den 70 er Jahren die Therapie schizo-phren Erkrankter durch die/in der therapeutische(n) Gemeinschaft beschrieb (Edelson 1970).

III. Sozialpsychiatrische Programme einer therapeutischen Gemeinschaft in­nerhalb oder (vor allem) aufierhalb psychiatrischer Kliniken in betreuten Wohneinrichtungen werden in der angloamerikanischen Tradition als socio­therapy bezeichnet. Sociotherapy steht in englischsprachiger Literatur (Edel­son 1970, Hogarty et al 1974a-c, Goldberg et al 1977) iiberwiegend zur Be-schreibung dieser speziellen Bemlihungen; dies spiegelt sich auch in der De-

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finition des Psychiatric Dictionary von Campbell deutlich wider (Campbell 1989). Der Begriff wird aber im angloamerikanischen und intemationalen Schrifttum mittlerweile kaum noch verwendet (vgl. Eikelmann 2002). Edel-son (1970) grenzte sociotherapy (als Therapeutisches Wohnen) vom Oberbeg-riff Social Therapy ab. Im deutschsprachigen psychiatrischen Verstandnis handelt es sich beim Therapeutischen Wohnen gewissermaBen um einen Un-tertitel oder ein Konstituens der Soziotherapie (DGPPN 2005), und der deut-sche umfassendere Begriff Soziotherapie kommt dem angelsachsischen Social Therapy nahe. Als Soziale Therapie erscheint dieser Begriff gelegentlich auch im deutschsprachigen Schrifttum, namentlich bei soziologischen oder sozial-padagogischen Autoren (z.B. Hildenbrand 1991, Nestmann 2002).

IV. Eine weitere angloamerikanische Verwendungsspur zieht sich von der englischen group-analysis Patrick de Mares in eher esoterische Bezirke der humanistischen Psychologic in den USA (de Mare 1972, www.set-institute.org/theorv/BIB/html- Ilk). Port finden sich spezielle Definitionen mit hohem Ideologiegehalt auBerhalb der wissenschaftlichen Sozialpsychiat-rie.

Va). Aktuell wird in den Niederlanden Soziotherapie als profilierter Teil der Health Care dargestellt und es besteht die Moglichkeit einer Ausbildung zum Soziotherapeuten (www.soziotherapie.nl am 20.02.2002). Vb). In Deutschland besteht seit 01.01.2002 ein Soziotherapeutengesetz, das unterschiedliche professionelle nicht-arztliche und nicht-psycho-therapeutische Gesundheitsdienstleistungen fur Menschen mit schwerer psy-chischer Erkrankung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversi-cherung hineiimimmt (Der Spiegel 2001. Zur gesetzlichen Regelung vgl. §§ 37a und 92 Abs.l SGB V in Verbindung mit den Soziotherapie-Richtlinien des Bundesausschusses der Arzte und Krankenkassen 2001). Im Gesetz und in den Richtlinien wird wesentlich auf Motivations- und Koordinationsarbeit in der ambulanten Betreuung psychisch Kranker abgehoben. Exemplarisch wer-den dabei als Behandlungselemente Heilmittel (von Bedeutung ist insbeson-dere die Ergotherapie) und die hausliche Krankenpflege genannt. Die Aufzah-lung beschrankt sich dabei auf die Beneruiung von Behandlungselementen, die arztlich verordnet werden konnen und die in die fmanzielle Zustandigkeit der Krankenkassen fallen. Der Anspruch auf Soziotherapie setzt einen vom Vertragsarzt unter Beteiligung des Leistungserbringers der Soziotherapie (vgl. § 132 b SGB V) sowie des Patienten erarbeiteten Behandlungsplan voraus, der verschiedene Behandlungselemente (z.B. Heilmittel, hausliche Kranken­pflege etc.) zu einer Komplexleistung zusammenfasst. Der Anspruch auf So­ziotherapie umfasst die Koordination der im Rahmen des Behandlungsplans zur Verfligung gestellten Hilfsangebote sowie die Anleitung und Motivation

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zur Inansprachnahme der Leistungen mit dem Ziel, sie selbstandig in An-spruch zu nehmen. Neben ambulant tatigen Ergotherapeutlnnen diirflen vor allem Sozialarbeiter, Sozialpadagogen und psychiatrische Pflegekrafte von diesem Gesetz profitieren (vgl. Brill 2003).

Dieser neue Begriff Soziotherapie hat sich aus dem autochthon psychiatrischen Begriffsfundus gelost und wird zixktinftig wahrscheinlich von „den Soziotherapeuten" verwaltet werden, wahrend ihrerseits die Psychiatrie anstrebt, den Begriff in der sozialpsychiatrischen Terminologie durch "Psychosoziale Therapie" zu ersetzen (DGPPN 2005).

c) Intension: Obwohl kaum operationalisiert, beschreibt Soziotherapie eine hochst relevante Realitdt in der psychiatrischen Arbeit, die in der Hinfiihrung nicht vollstandig geheilter Patienten auf eine wieder soweit wie moglich rei-chende Teilnahme und Teilhabe am sozialen Leben und auf Bewaltigung der praktischen Anforderungen des Alltags besteht. Die Behandlung namentlich schizophrener aber auch affektiv oder suchtkranker Patienten mit Soziothera­pie ist Kern langer Abschnitte therapeutischer und rehabilitativer Bemiihun-gen in Klinik, Ambulanz und Gemeinde (Mtiller 1972, Brenk-Schulte 1979, Wing 1987, Eikelmann 1998, 2002).

Mtiller (1972) sieht in Soziotherapie „im Wesentlichen die Beeinflussung einer psychischen Krankheit durch situative Faktoren, die zusammengefasst das soziale Gefiige der Um- und Mitwelt bestimmen. Dies betrifft vor allem das Gemeinschaftsleben in einer natiirlichen oder kunstlichen Gruppe mit ihren dynamischen Auswirkungen, die Arbeit des Individuums, die Stimulie-rung der Personlichkeit durch ErschlieBung neuer Interessen und Tatigkeiten, die Gestaltung der Freizeit usw." Bach et al (2000) charakterisieren Soziothe­rapie als BehandlungS5?rategre (Hervorhebung T.R.), die sich unterschiedli-cher Medien bedient, xxm handlungsorientiert zu besseren kommunikativen, metakommunikativen, allgemein sozialen, aber auch korperlichen Kompeten-zen zu kommen. Das Grundanliegen ist ein kommunikatives, das moglichst naturliche zwischenmenschliche Beziehungen nutzt. Darauf hebt auch Peters (1999) in seiner lexikahschen Definition ab. Damit ist schlieBlich auch gesagt, dass auf die „Deutungshoheit" von Therapeuten als spezifische Bestimmung eines „therapeutischen Feldes" (Briicher 1986, Oevermann 1983) verzichtet wird. Folglich wird unter diesem Aspekt beziiglich Soziotherapie tiberhaupt die Funktion eines solchen therapeutischen Feldes negiert, wobei unseres Erachtens ein nutzbares Unterscheidungskriterium gegentiber jener von Oe­vermann gemeinten Psychotherapie entsteht, das bislang nicht beachtet wor-den ist.

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Gerade aber darum geht es: eine moglichst natiirliche Kommunikation herzu-stellen und zu fordem. Deshalb finden soziotherapeutische MaBnahmen im Ubrigen regelmaBig in der Grappe und nur ausnahmsweise in der Dyade statt.

Soziotherapeutische MaBnahmen zielen auf das „Hier und Jetzt", betonen das Handeln, die Nutzung der Ressourcen eines Patienten - seine sogenannten „gesunden Anteile", die sie gegentiber dem Krankhaften ansprechen, aktivie-ren und starken wollen. (Eikelmann und Reker 2000, DGPPN 2005). Sie rela-tivieren im Gefolge dieser Haltung die objektive und subjektive Psychopa-thologie des Patienten, ohne sie freilich zu ignorieren. Sie stellen in ihrer Dia-gnostik Fahigkeitsstorungen in dimensionaler Beschreibung in den Vorder-grund, weniger nosologisch (und damit kategorial) beschriebene Krankheiten und Storungen im Sinne der „disorders" der Diagnosemanuale DSM-4 und ICD-10. Entsprechend benutzen sie idealiter Untersuchungs- und Diagnosein-strumente, die Fahigkeitsstorungen (disabilities) und Behinderungen (handi­caps) einschatzen und quantifizieren (Schuntermann 1995, Kallert und Schtitzwohl 2000, WHO 2001). Sie stehen im Therapieansatz zwischen zwei Grundformen der Veranderung: Veranderung durch (theoretische) Aufklarung oder durch (praktisches) Training - und sie stehen dem Training naher. Wo Anpassung an das soziale Umfeld nicht (mehr) gelingt, suchen sie dieses den Moglichkeiten des Betroffenen anzupassen (z.B. Psychoedukation unter Ein-beziehung der Angehorigen). Grundsatzlich gilt fur soziotherapeutische MaB-nahmen das generelle und grundlegende Aufeinanderverwiesensein von Per­son und sozialem Kontext. (Darauf basiert auch das mit Soziotherapie ver-wandte und die sozialen Netzwerke betonende moderne Konzept des Empo­werments [Nestmann 2002]). Namentlich von Bach (1996) wird auf ihre Nahe zur Padagogik hingewiesen, ohne dass freilich moderne padagogische Kon-zeptionen fur soziotherapeutische Theorie und Praxis ausgeschopft waren (Buntrock 2003). Dabei ist zu beachten, dass, je groBer diese Nahe sein soil, die Verwendung des Grundwortes „Therapie" in bestimmten Komposita fragwiirdig wird (Aiheits-Therapie, Be-wegangs-Therapie, Masik-Therapie, Beschaftigungs-r/zeropze). Dies ist ein problematischer Punkt, der nur selten angesprochen wird und noch nicht angemessen aufgearbeitet ist. Benett (1972) wendet sich gegen die "Therapeutisierung" soziotherapeutischer Ap-plikationen. ToUe (zit. in Eikelmann 1998) halt an der Verwendung von „The-rapie" fest, well soziotherapeutische MaBnahmen der Behandlung dienten, meint aber, je weniger sie als Therapie angeboten wurden, sondem "als etwas Gesundes und Normales", desto niitzlicher seien sie fur den Patienten. Reker (2002) erklart, dass Ergotherapie eher als unspezifisches Verfahren gelte, dem keine spezifischen Wirkungen zugesprochen wiirden. Wing (2001) beklagt, dass in der Folge dieser Haltung kaum iiber Nebenwirkungen oder Schaden eines irregeleiteten Einsatzes nachgedacht werde und meint, solche Schaden

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seien immens „und mindestens so groB wie die Verschreibung eines gefahrli-chen Medikamentes oder einer uimotigen Psychotherapie".

Deutlich wird hier jedenfalls, dass den Gebrauch des Grandwortes ,,-therapie" nicht immer definitorische Klarheit begleitet. Reker (2002) nennt unter Be-zugnahme auf Richter et al (2000) folgende Kriterien, die fur die Einschat-zung einer Mafinahme als Therapie iiblich sind: Definition und Abgrenzung des Verfahrens; Beschreibung von Inhalten und moglichen Wirkfaktoren; Indikationen und Kontraindikationen; Zusammenhang mit therapeutischen Zielen; Dosisfragen (Frequenz und Dauer); empirische Belege fiir Wirkung und Wirksamkeit. Buchkremer und Klingenberg (2001) identifizieren am Beispiel wissenschaftlich fundierter Psychotherapie zwei Superfaktoren: Giil-tigkeit der Therapietheorie und enviesene Wirksamkeit. Davon ausgehend kommen sie zur Generierung der Begriffe Wissenschaftliche Fundierung und Wissenschaftliche Anerkennung, die sie in ihrer Arbeit systematisch darstellen und diskutieren. Rekers genannte Kriterienliste ist weitgehend mit derjenigen identisch, welche die Wissenschaftliche Fundierung konstituiert. Wissen­schaftliche Anerkennung hingegen hangt vor allem an der Verfugbarkeit kon-trolHerter Studien und fiihrt damit zu den Problemen und Desiderata, die wei-te Bereiche des soziotherapeutischen Forschungsfeldes - namentHch ergothe-rapeutische - kennzeichnen. Weiterfuhrend ware eine soziotherapeutische Spezifiziemng dieser Diskussion mit dem Ergebnis von ForschungsleitHnien, womit MaBstabe gesetzt und Orientierung vermittelt wilrden.

Essenziell ist bei soziotherapeutischen Ansatzen die Strategic (vgl. Bach 2002), sind weniger die Methoden und die Medien. Der Kanon soziotherapeu-tischer Methoden ist demnach auch nicht klar zu definieren, weil prinzipiell offen; er verfugt aber gleichwohl iiber einen nach Tradition und Verord-nungshaufigkeit etablierten Kern: Ergotherapie (= Beschaftigungs- und Ar-beitstherapie), Musik- und Gestaltungstherapie; in den Leitlinien der Deut-schen Gesellschaft fiir Psychiatric, Psychotherapie und Nervenkeilkunde (DGPPN 2005) werden im Weiteren noch Psychoedukation (auch der Ange-horigen), Case-Management und therapeutischer Sport hinzugerechnet. Fiir die ambulante Soziotherapie erklart Melchinger (1999) in Ubereinstimung mit Bach (2002), das Spezifische der Soziotherapie hege nicht in der Besonder-heit der Hilfen, sondem darin, dass die Hilfen als integraler Bestandteil einer arztHch verantworteten Komplexleistung auf ein defmiertes Ziel ausgerichtet und in einem Behandlungsplan festgeschrieben seien. Auch Reker (1998) hebt bei der Erklarung des Therapeutischen im Begriff der Arbeitstherapie unter Bezug auf mafigebliche Quellen die Integration in einen drztlichen Behand­lungsplan hervor; dies vor allem legitimiert MaBnahmen an Patienten als The­rapie. Die Indikationen fur Soziotherapie werden in der Klinik weiter gefasst