Beatrice Masini Ballerina in Spitzenschuhen Auf die ... · DIE AUTORIN Beatrice Masini,...

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Beatrice Masini Ballerina in Spitzenschuhen Auf die Spitzen, Zoe!

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Beatrice MasiniBallerina in Spitzenschuhen Auf die Spitzen, Zoe!

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DIE AUTORIN

Be a tri ce Mas ini, Kin der buch au to rin, Über­setze rin und Jour na lis tin, wur de in Mai land ge bo ren, wo sie auch heu te wohnt und arbei­tet. Ihre zwei gro ßen Lei den schaf ten sind Le sen und Schrei ben. Sie hat mehr als zwan­zig Bü cher für Kin der und Ju gend li che ge­schrie ben, die in zahl rei che Spra chen über setzt wur den. 2004 er hielt Be a tri ce Mas ini den Hans­Chris ti an­An der sen­Preis. Am liebs ten ent spannt sie sich in ei nem be que men Ses sel mit Blick auf den See und ei nem Sta pel Bü­cher zu ih ren Fü ßen.

Von Be a trice Masini ist beiOM NI BUS er schie nen:

Bal le ri na in Spit zen schu hen – Al ler An fang ist leicht (21711)Bal le ri na in Spit zen schu hen – Wer tanzt, ge winnt! (21714)Bal le ri na in Spit zen schu hen – Neue Freun de, neu es Glück (21770)

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Beatrice Masini

Ballerina in Spitzenschuhen

Auf die Spitzen, Zoe!

Aus dem Italienischen von Katharina Schmidt

Mit Illustrationen von Sara Not

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OMNIBUS ist der Taschenbuchverlag für Kinderin der Verlagsgruppe Random House GmbH

An mer kun gen

Das Ge dicht auf Sei te 63 ent stammt »Il vero am ore non ha le no cci ole« von France sca Genti, er schie nen bei Mi ni mum fax.

Der Text aus zug auf Sei te 116 ist der Be ginn des Ro mans »Cora line« von Neil Gai man, erschienen bei Mondadori.

Verlagsgruppe Random House FSC­DEU­0100Das für dieses Buch verwendete FSC­zertifiziertePapier Munken Print liefert Arctic Paper Munkedals AB, Schweden.

1. Auf la geDeut sche Erst aus ga be Ap ril 2008Ge setzt nach den Re geln der Recht schreib re form© 2005 Edi zi oni EL S.r.l., Tri es te ItalyDie ita li e ni sche Ori gi nal aus ga be er schien 2005un ter dem Ti tel »Scarp ette Rosa – Sulle pun te!«bei Edi zi oni EL S.r.l., Tri es te Italy© 2008 der deutsch spra chi gen Aus ga beOM NI BUS, Mün chenAlle deutsch spra chi gen Rech te vor be hal tenÜber set zung und An hang: Ka tha ri na SchmidtUm schlag bild: Kat ja Band lowIn nen il lust ra ti o nen: Sara NotUm schlag kon zep ti on: Ate li er Lan gen fass, Is man inghe · Her stel lung: CZSatz: Buch­Werk statt GmbH, Bad Aib lingDruck und Bin dung: GGP Me dia GmbH, Pöß neckISBN: 978­3­570­21771­9Prin ted in Germ any

www.om ni bus­ver lag.de

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Inhalt

Ein Ge schenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Die se Spit zen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

Ein Ge ständ nis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Ar abes ques . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

Ge sprä che . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Schwei gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Ein un ter halt sa mer Abend . . . . . . . . . . . . . 76

Bon bons als See len trös ter . . . . . . . . . . . . . . 88

Na men sind schon ko misch . . . . . . . . . . . . . 97

Schla mas sel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

Ein Film oder zwei? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

Über ra schun gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

Glos sar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

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Die Aka de mie ist eine Bal lett schu le, wie sie nur im Ro man vor kommt, mit Re geln wie in ei nem Ro man, und dort ge sche­hen Din ge, die ty pisch für ei nen Ro man sind. Sie äh nelt vie­len ech ten Bal lett schu len, aber es ist kei ne be stimmte ge meint. Voll kom men re a lis tisch ist aber der Ein satz, den alle Fi gu ren in die sem Buch brin gen, um ih rem Traum zu fol gen.

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Ein ko mi sches Buch ist das: in Form ei nes Bal lett­schuhs, man kann ihn nicht ge nau er ken nen; der Schuh ist am obe ren Rand des Bu ches ab ge schnit ten. Na tür lich ist auf der Ti tel sei te ein Schuh ab ge bil det, aber der äh nelt von der Brei te her eher ei nem hol län­di schen Holz schuh. Sei ne tief ro sa Far be, die klei ne Schlei fe am vor de ren Ver schluss und die kreuz wei se ge bun de nen Bän der un ter dem Ti tel ver mit teln aber ganz gut den Ein druck ei nes Bal lett schuhs. Das Buch heißt Hand buch der Tän ze rin, und man sieht so fort, dass es für klei ne Mäd chen be stimmt ist. Zoes Groß mut­ter hat es ihr ge schenkt. Sie sagt, sie hat das Buch bei ei ner ih rer Er kun dungs tou ren in ei ner Buch hand lung ge se hen und so fort an Zoe den ken müs sen, ob wohl sie na tür lich schon ein we nig zu alt da für ist. Zoe tanzt ja ernst haft, sie ist kein klei nes Mäd chen, für das Tan zen eine von vie len Mög lich kei ten ist. Trotz dem, das Buch

Ein Ge schenk

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ist lus tig und es kann doch ein Teil ih rer Samm lung wer den, oder?

Wa rum nicht? Es stimmt, Zoe sam melt wirk lich Bü­cher über Bal lett, von Billy Ell iot (ge meint ist der Ro­man, aber na tür lich hat sie auch den Film auf DVD) bis zu ei ner schön schreck li chen Aus ga be von An der sens »Die ro ten Schu he« mit zahl rei chen me lan cho li schen Il lust ra ti o nen. Dann die Bü cher von An ge li na Bal le ri na, ei ner sehr, sehr eng li schen klei nen wei ßen Maus. Und dann Fo to bü cher, in de nen sich ent zü cken de Mäd chen in Tu tus ganz toll amü sie ren (wis sen die über haupt, was Bal lett tan zen wirk lich be deu tet?), und ein paar kur­ze, ein biss chen kit schi ge Ro ma ne über klei ne Mäd chen mit fast zu kla ren Vor stel lun gen, die nur eins im Kopf ha ben: um je den Preis die Num mer eins zu wer den.

Da ist dann auch für die ses ko mi sche Schuh buch noch Platz in ih rer Samm lung, selbst wenn sie beim Durch blät tern auf Sät ze stößt, die so ab surd sind, dass man schon wie der da rü ber la chen kann: »Kei ne Tän­ze rin hält es ohne ein Paar Bein wär mer aus.« Oder: »Kei ne Tän ze rin kann ohne Tutu tan zen.« Und: »Tän­ze rin nen spre chen nicht mit dem Pub li kum, um ihm ihre Bot schaft zu ver mit teln. Statt des sen be nut zen sie ih ren Kör per, ihr Ge sicht und die Tanz schrit te dazu.« Stimmt das? Wäh rend Zoe die ses merk wür di ge Zeug

liest, hat sie eine Idee: Sie könn te ihr ei ge nes Hand buch der Tän ze rin schrei ben. Eine

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Art Ta ge buch. Oder viel leicht doch nicht, das wäre zu sim pel. Lie ber eine Samm lung von Ge dan ken, die ihr ganz von selbst ein fal len, in letz ter Zeit denkt Zoe so viel, dass sie schon glaubt, sie be stün de nur noch aus Kopf, ei nem Rie sen kopf. Viel leicht wür den die Ge dan­ken, die sich hin ter ih rer Stirn drän gen, ja kla rer, wenn sie sie auf schrie be. Zoe öff net die zweit o bers te Schub­la de ih res Schreib tischs, wo sie ihre un li nier ten Hef te auf be wahrt. Fast alle sind ganz nor ma le Schul hef te mit hüb schen ge blüm ten Um schlä gen, aber da run ter lie­gen auch zwei auf wen di ger ge stal te te Hef te, die wie klei ne Bü cher ge bun den sind. Eins hat man ihr zum Ge burts tag ge schenkt, es ist schwarz, hat ei nen ro ten Rand und wird mit ei nem Gum mi band ge schlos sen. Es sieht aus wie ein Schul heft von frü her. Das an de re hat sie sich selbst in ei nem Schreib wa ren ge schäft ge kauft, der Um schlag ist aus grün ka rier tem Stoff und ist mit leuch tend blau er Bor te ein ge fasst. Die Sei ten sind glatt weiß, also scheint es sich per fekt für ihre Art Ta ge buch zu eig nen. Zoe hat nie eins ge führt, sie hat nur ein mal zum Spaß da mit be gon nen, da war sie in der vier ten Klas se, nur weil Leda auch ein Ta ge buch hat te, aber es hat sie schnell ge lang weilt. Au ßer dem kam es ihr nicht sinn voll vor, das auf zu schrei ben, was sie am Tage er lebt hat te, denn dann kann te sie ja schon, was sie schrieb, und noch dazu war es ei gent lich im mer das Glei che. Viel leicht hat te sich das ja in zwi schen ge än dert. Und dies mal hat te sie auch nicht die Ab sicht fest zu hal ten,

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was pas siert war, son dern ihre ei ge nen Ge dan ken. Zoe nahm den rot gol de nen Fül ler, den ihr ihre Mut ter ge­lie hen hat te (er ge hör te näm lich wei ter ih rer Mut ter, Zoe durf te ihn nur zu Hau se be nut zen und nicht im Fe der mäpp chen in die Schu le mit neh men, dort hät te sie ihn ver lie ren kön nen), und fing an. Sie schrieb zu­erst ein we nig über das Schuh buch, aber dann nah men ihre Wor te eine ganz an de re Rich tung:

Tän ze rin nen re den nicht. Das brau chen sie nicht. Nein, das stimmt nicht. Und wie sie re den! Nur nicht mit Wor ten. Ihr Vo ka bu lar be steht aus Be we gun gen, die Ge füh le aus drü cken. Das Schwie ri ge da ran ist, die se Ge füh le ge nau zu er fas sen. Aber wenn dir das ge lingt, wirst du mer ken, dass der Kör per dem Kopf folgt, ihm ge horcht und du dann al les aus drü cken kannst, was du willst. Na ja, sa gen wir, fast im mer.

»Was machst du ge ra de?« Plötz lich reißt je mand die Tür auf, es ist Mar ta, die wie im mer völ lig un be küm­mert in Zoes Zim mer stürzt, ohne an zu klop fen.

»Ich schrei be ein Buch«, sagt Zoe, aber das meint sie nicht ernst. Mar ta hat sie schon ver ges sen, sie läuft zum Fens ter, schaut hi naus und meint: »Wa rum ist der Blick aus dei nem Fens ter schö ner als bei mir? Wenn ich es so über le ge, ist dein Zim mer auch grö ßer als meins.«

»Aber du hast die Ter ras se da vor, da kannst du so­

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gar mit dem Fahr rad drauf he rum fah ren«, sagt Zoe schnell. Als sie jün ger war, fand sie auch, Saras Zim­mer wäre viel schö ner, wa rum auch im mer. Viel leicht nur weil eine grö ße re Schwes ter meist auch be vor zugt wird und vie le Vor tei le ge nießt. Manch mal ist es wohl so, aber längst nicht im mer. In ih rer Fa mi lie wird al­les ge recht ver teilt: Zoe hat das grö ße re Zim mer, das stimmt, und es geht auf den Gar ten hi naus, aber von Saras Zim mer aus sieht man die Ber ge, wenn es klar ist, und eine Ter ras se zu ha ben, auf der man he rum fah­ren kann, ist schon ein gro ßer Vor teil, wenn Mar ta das bloß be grei fen woll te.

Ei gent lich be greift Mar ta eine gan ze Men ge, aber sie lässt es sich nicht an mer ken, denn spä ter beim Abend­es sen sieht sie Zoe über den Tisch hin weg ein we nig bos haft an und ver kün det: »Wisst ihr schon, dass Zoe sich ent schlos sen hat, den Be ruf zu wech seln?«

»Stimmt das?«, fragt ihr Va ter neu gie rig.»Si cher. Wenn sie er wach sen ist, wird sie Schrift stel­

le rin. Nein, sie hat so gar schon an ge fan gen zu schrei­ben.«

Ihre Mut ter schaut jetzt Zoe an und meint nur: »Was für eine Neu ig keit.«

»Aber es stimmt nicht«, recht fer tigt sich Zoe und ver sucht, Mar ta mit Bli cken zu ver nich ten, es wirkt aber nicht im Ge rings ten. »Es ist nur … ach nichts. Ich ma che mir nur No ti zen.« Und sie hofft bren nend, dass die Dis kus si on da mit be en det ist. Zoe hü tet ihre

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An ge le gen hei ten und ihre klei ne Welt ziem lich ei fer­süch tig. Nicht im mer. Aber sie möch te lie ber selbst ent schei den, wen sie da ranlässt und wann. Das hat sie erst vor Kur zem ent deckt. Sie ist schon im mer zu rück­hal tend ge we sen, aber jetzt sieht es so aus, als wür de sie gern al les für sich be hal ten.

Ihre El tern schei nen das be grif fen zu ha ben, und jetzt lenkt ihr Va ter Mar ta mit ei ner Fra ge vom The ma ab: »Hast du schon dei ne Le se ü bun gen ge macht?«

Mar ta sieht ihn ge lang weilt und ge reizt zu gleich an, dann senkt sie den Kopf und gibt zu: »Nein.«

»Sol len wir bei de uns nach dem Abend es sen da mit be schäf ti gen, was meinst du?«, schlägt Sara vor. Da­rauf hin rich ten sich plötz lich vier Au gen paa re auf sie, denn mit vier zehn hat man ei gent lich nicht viel Zeit für klei ne Schwes tern, oder sie hat zu min dest nie wel­che ge fun den. Je den falls bis jetzt.

»Ist viel leicht schlech tes Wet ter?«, fragt ihre Mut ter iro nisch und schaut aus dem Fens ter. Be stimmt nicht. Nein, man sieht ei nen wun der schö nen Son nen un ter­gang, aber an ge sichts Saras groß zü gi ger Ges te müss te es min des tens kräf tig ha geln.

»Sehr wit zig«, sagt Sara. »Da will ich mei ner klei­nen Schwes ter ein mal hel fen …«

»Ja, du hast es ge sagt. Ein Mal«, meint ihr Va ter. »Das ers te und das letz te Mal, neh me ich an.«

»Schaun wir mal«, sagt Sara. »Das kommt da rauf an.«

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Spä ter hört man aus Mar tas Zim mer Wort fet zen und mehr oder min der lau tes Ge brüll: Man be greift, dass Sara nicht sehr viel Ge duld hat und Mar ta müde ist und des halb ganz schlecht liest. Ent we der ist sie müde, oder sie hat kei ne Lust, oder das Stück, das sie le sen soll, ist zu schwer für sie. Viel leicht liegt es auch am Früh ling, da will man sich amü sie ren, die Pflich ten mal bei sei telas sen und sich sei ne Frei hei ten neh men: Nach dem Abend es sen das zu tun, was man möch te, weil es ein Stück chen freie Zeit vor dem Schla fen ge­hen ist und der Kopf auch Ab wechs lung und Er ho lung braucht. Nur ist Mar ta nicht gut im Le sen, das Schul­jahr ist fast vor bei, und sie tut sich im mer noch ziem lich schwer da mit, des halb ist täg li ches Üben mehr als Pflicht. Zoe hat Mit leid mit ih rer klei nen Schwes ter, ob wohl sie sich nicht vor stel len kann, wie man sich füh­len muss, wenn man ge druck te Wor te so sehr hasst und es ei nem so schwer fällt, sie zu ent zif fern: Für sie war das nie ein Prob lem. Ir gend wann, sie war etwa fünf, ha ben die an ei nan derge reih ten Buch sta ben für sie plötz lich ei nen Sinn er ge ben. Le sen hat ihr nie Mühe be rei tet, für sie war es eher ein Zau ber schlüs sel, um die Welt zu ent de cken. Das er zählt sie ih rer Mut ter, be vor sie ihr den Gu te nacht kuss gibt. Und ihre Mut ter, die auf zwei Kis sen un ter der Bett de cke liegt und ein Buch in der Hand hält, sagt mit ei nem Seuf zer: »Je des Kind ist an ders. Und das ist auch das Schö ne. Denk

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mal dran, wie ver schie den ihr seid, und ihr seid alle drei Schwes tern. Das ist fas zi nie rend. Aber es kann manch­mal schwie rig wer den.«

»Schreibst du wirk lich ein Buch?«Sara ist ge ra de aus dem Bad ge kom men und lehnt

mit über kreuz ten Ar men im Tür rah men. Da bei sieht sie Zoe sehr neu gie rig an. Zoe schaut vom Schreib tisch zu ihr auf. Im Halb dun kel wirkt ihre be zau bern de gro ße Schwes ter wie ein zar ter, ele gan ter, schwe re lo ser Schat ten, als be stün de sie nur aus ein paar kla ren Li­ni en. Zoe hät te sie gern ge zeich net. Aber da für ist sie to tal un be gabt.

»Aber nein«, ant wor tet sie und deckt au to ma tisch die Heft sei te mit der Hand zu, ob wohl Sara zu weit ent fernt steht, um sie le sen zu kön nen. »Das sind nur ein paar Ge dan ken über Bal lett.«

»Ani tas Mut ter sucht im mer nach dem Ta ge buch ih­rer Toch ter und liest es heim lich. Ist das nicht furcht­bar? Ani ta hat es ge merkt, weil sie schon den Ver dacht hat te. Des halb hat sie ein Haar zwi schen die letz ten Sei ten ge legt, und als sie zu rück kam und ihr Ta ge buch wie der ge öff net hat, war es nicht mehr da. Jetzt hat Ani ta zwei Ta ge bü cher: ein mal das alte, das ist aber nicht das ech te. Da schreibt sie Lü gen und harm lo ses Zeug hi nein. Und für ihr neu es Ta ge buch hat sie ein an de res Ver steck ge fun den. Manch mal kön nen Müt ter wirk lich Feind in nen sein.«

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»Hast du ein Ta ge buch?«, fragt Zoe.»Nein, für mich ist das ver geu de te Zeit. Du weißt

doch, ich schrei be nicht gern. Mir ist Ma the ma tik lie­ber.«

»Du könn test ei nen ge hei men Zah len code er fin den und den zum Schrei ben be nut zen«, sagt Zoe. »Wie ein Spi on. Dann könn test du we nigs tens dei ne ge lieb te Ma the ma tik ein set zen.«

»So viel Mühe und wo für? Um ei nem lee ren Blatt zu er zäh len, was ich ge tan habe? Ach komm!«

»Nor ma ler wei se schreibt man Ta ge buch, da mit man die Din ge kla rer sieht. Wenn du dei ne Ge dan ken auf­schreibst, klärst du dei nen Kopf. Das hat uns un se re I ta li e nisch leh re rin ge sagt«, meint Zoe ach sel zu ckend.

»Weißt du, was ich tue, wenn ich et was für mich klä ren will? Dann stel le ich mich vor den Spie gel und rede mit mir. Ich er zäh le mir al les. Manch mal auch ein paarmal hin ter ei nan der.«

Zoe nickt lä chelnd: »Das tue ich auch.«»Und es funk ti o niert, oder?«»Na tür lich.«»Das ist ein Hau fen ver schwen de tes Pa pier we ni ger.

Und je we ni ger Pa pier, des to mehr Bäu me. Mir sind Bäu me wich tig.«

»Mir auch«, sagt Zoe und lacht. »Aber es gibt doch auch Um welt pa pier, oder?«

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Es sah so aus, als wür de sich das Le ben für alle zum glei chen Zeit punkt ver än dern, so wie an ei ner Art Ge­mein schafts ge burts tag: end lich Spitze tan zen. Ein Jahr frü her als vor ge se hen wür den sie durch Ma dame Olens­kas end gül ti ge und sehr groß zü gi ge Ent schei dung un­ter ih rer und Gim enez’ Auf sicht da mit an fan gen. Die war in zwi schen Mada mes of fi zi el le As sis ten tin.

Na, bis jetzt war je den falls noch nicht viel pas siert. Sie hat ten nur un zäh li ge An pro ben hin ter sich ge­bracht, um die pas sen de Grö ße zu fin den. Alle Mäd­chen wis sen schon lan ge, dass es zwei Schuh ty pen gibt: ei nen mit recht e cki ger, ver stärk ter Spitze, die bei dem an de ren Typ mit rosa Sa tin über zo gen ist. Na tür lich ist der zwei te Typ viel schö ner, das sind rich ti ge Bal­lett schu he, von de nen man schon träumt, be vor man merkt, dass man sie selbst ha ben will, aber sie sind auch sehr emp find lich, weil der Sa tin sich so fort ab­nutzt. Des halb zieht man sie im All ge mei nen nur für die Vor stel lun gen an, da nach sind sie zum Weg wer­fen. Für das Trai ning rei chen die mit der vier e cki gen

Die se Spit zen

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Spitze. Wenn man drauf steht, ist da kein Un ter schied, au ßer dem sieht man es aus der Ent fer nung nicht, und die Gro ßen sa gen, am An fang sind die auch be que mer und leich ter zu be nutzen.

»Maman hat ge sagt, ich kann Schu he mit Sa tin spitze ha ben«, hat Lai la ver kün det. Na tür lich! »Sie hat ge­sagt, es ist ihr gleich gül tig, wie vie le ich ver brau che.«

Nie mand macht sich die Mühe, ihr zu ant wor­ten. Alle sind viel zu be schäf tigt da mit, sich selbst die Bän der an zu nä hen, oder ge nau er ge sagt, erst mal zu be grei fen, wo man sie an nä hen muss. Dazu biegt man den rück wär ti gen Rand der Schu he nach in nen, um den rich ti gen An satz punkt zu fin den. Nä hen war dann noch et was ganz an de res. De met ra hat er klärt, Ma dame Olen ska hät te ge sagt, es wäre Zeit, dass sie es selbst lern ten, da mit sie nicht im mer auf ihre Müt ter oder die Schnei de rin nen an ge wie sen wä ren, die tau send an de re Din ge zu tun ha ben. Au ßer dem küm mer ten sich rich ti ge Tän ze rin nen selbst um ihre Schu he, und sie hät te be stimmt nicht die Ab sicht, an ih rer Stel le vier zig Bän der an zu nä hen, schließ lich sei sie nicht ihre Die ne rin, son dern Schnei de rin, nein, so­gar die Lei te rin der Kos tüm schnei de rei, zum Don ner­wet ter.

Zoe hat in ih rem gan zen Le ben noch nie eine Na del ein ge fä delt, und als De met ra ihre dra ma ti schen Ver su­che be ob ach te te, mein te sie nur tro cken: »Also, Schätz­chen, an dei ner Stel le wür de ich erst mal zu Hau se an

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ei nem Stoff rest üben, be vor ich die se ar men Schu he durch lö cher te.« Mit den an de ren, die nicht ihre Lieb­lin ge sind, war sie noch kür zer an ge bun den: »Lasst es bes ser blei ben.« Aber na tür lich hat nie mand von ih­nen auf ge ben wol len, also ha ben sich vie le die Fin ger zer sto chen und die Bluts trop fen sind he run ter ge lau fen wie im Mär chen. Zoe hat auf Deme tras Rat ge hört und sich zu Hau se von ih rer Mut ter ei nen Stoff rest, Na del und Fa den ge ben las sen. Hat ihn ein we nig mit der Na del durch lö chert, gro ße, un re gel mä ßi ge Sti che ge­macht, dann hat te sie es satt und hat al les in die Ecke ge feu ert. Nach ei ner hal ben Stun de hat sie das Knäu el aus Stoff, Na del und Fa den wie der in die Hand ge nom­men, das sie auf den Bo den ge schmis sen hat te, und ist stur ge blie ben, schnau bend zwar, aber schließ lich ist es ihr ganz gut ge lun gen, ein Naht band am Stoff zu be­fes ti gen. Da nach hat sie da ran ge zo gen, um fest zu stel­len, ob es hielt, und beim drit ten Zie hen ist es ab ge ris­sen. Da hat Zoe al les hi naus in den Flur ge schleu dert, aber sie hat es wie der auf ge ho ben, als ihr ein fiel, dass Mar ta im mer bar fuß herum lief und sich mit der Na del in den Fuß ste chen könn te.

Ihre Mut ter über rasch te sie mit dem Stück Stoff in der Hand. Sie hat so fort be grif fen, was los war, na ja, sie ist ja auch die Mut ter ei ner Tän ze rin: »Es geht um die Bän der?«

Zoe nick te. Sie woll te nicht, dass sie so was Ba na les zur Ver zweif lung brach te, aber das stimm te schon.

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»Willst du mir nicht dei ne Schu he zei­gen?«, frag te ihre Mut ter.

Zoe ist es ein we nig pein lich, denn in dem gan zen Ei fer, zu ler nen, wie man die Bän der an die Schu he näht, hat sie die Schu he in ih rem Beu tel völ lig ver ges sen. Sie ist auf ge­stan den, um sie zu ho len. Sie lie gen noch im mer in der Plas tik tü te, auf der das un ver wech sel ba re grü ne Mar­ken zei chen des Pro du zen ten auf ge druckt ist. Es zeigt eine Tän ze rin von der Tail le ab wärts, im Tutu und na­tür lich auf Spit zen schu hen, auf de ren Soh len das La bel der Fir ma zu se hen ist.

»Da sind sie«, sagt Zoe und gibt sie ih rer Mut ter, die nimmt sie ehr fürch tig ent ge gen. Sie legt die Tüte auf die Kom mo de und holt ei nen Schuh he raus. Im Halb­dun kel des Flurs wirkt er blass und glän zend, es sieht bei na he so aus, als leuch te te er von selbst. Ihre Mut ter hebt ei nen Schuh hoch und dreht ihn zwi schen ih ren Hän den. »Er sieht aus wie ein klei nes Boot«, sagt sie. Und dann: »Was er zäh le ich für ei nen Un sinn? Weißt du, ich bin eben ein we nig auf ge regt. Du nicht?«

Das fragt sich Zoe jetzt zum ers ten Mal an die sem Tag, als hät te sie das Wich tigs te ein fach ver ges sen: Bin ich auf ge regt? Ihre Sor gen, passt der Schuh, sit­zen die Bän der und der Kampf mit der wi der spens ti­gen Na del ha ben sie ziem lich da von ab ge lenkt. Viel­leicht war das aber auch ihre Art, sich vor Ge füh len zu schüt zen. Um sich nicht von ih nen über wäl ti gen

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zu las sen. Und jetzt, da je mand die se Tür ge öff net hat, schnürt ihr das die Keh le zu. So sehr, dass es ihr nicht ein mal ge lingt, ih rer Mut ter auf die Fra ge zu ant wor­ten. Die stellt den Schuh ne ben sei nen Zwil ling (jetzt kann man sie noch nicht au sein and er hal ten, es gibt kei nen lin ken und rech ten Schuh, das er gibt sich erst, wenn sie be nutzt wer den) und um armt ihre Toch ter, die in vie ler Be zie hung grö ßer wird, auch durch die Spit zen schu he. Selbst wenn sie noch gar nicht in ih­nen ge tanzt hat.

»Sie sind schön«, flüs tert die Mut ter in Zoes Haa re.»Ja«, bringt Zoe jetzt he raus, so lang sam löst sich

der Kno ten in ih rer Keh le und al les ist wie der wie sonst. Bei na he je den falls.

»Möch test du, dass ich dir die Bän der an nä he?«»De met ra sagt, wir …«Mama lässt sie nicht aus re den: »De met ra hin, De­

met ra her … ich ma che das gern, wirk lich. Es muss doch gut wer den. Du hast noch alle Zeit zum Üben und zu ler nen, sie al lein an zu nä hen. Komm!«

Zoe gibt nach. Es wird schön sein, sich da ran zu er­in nern, dass ihre Mut ter die Bän der an ihre ers ten Spit­zen schu he ge näht hat.

Ge dan ke aus dem Hand buch der Tän ze rin:Um Tän ze rin zu wer den, braucht man sehr viel Ge­duld. Es dau ert sehr lan ge, bis man ge lernt hat, al les rich tig nach den Re geln des Bal letts zu ma chen.

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Ma dame Olen ska hat lan ge da rü ber ge re det, wie man die Bän der rich tig bin det: »Die Bän der der wei chen Schu he sind aus Baum wol le, sie sind rau und haf ten leicht an ei nan der«, hat sie er klärt. »Die Bän der der Spit zen schu he sind aus Sa tin und nei gen dazu zu rut­schen. Des halb ist es un ge heu er wich tig, sie kor rekt zu bin den. Nicht zu straff, denn dann schmer zen sie am Knö chel und schnü ren den Blut fluss ab, aber auch nicht zu lose, denn ein lo cker sit zen der Schuh ge horcht dem Fuß viel leicht nicht. Gim enez, möch ten Sie den Mäd chen zei gen, wie man es rich tig macht?«

Da rauf hin hat te die Gim enez lä chelnd ein Paar wun­der vol le rote Sa tin schu he aus ih rem schwar zen Beu tel ge holt, die glänz ten wie Di a man ten, und sie an ge zo­gen. Sie hat den Fuß auf die Bank ge stellt und im Zeit­lu pen tem po die Bän der ge schnürt.

»Ssso … und ssso … ssso … und ssso«, hat sie mit ih rem ge dehn ten, klang vol len S er klärt. Es war ein Ver gnü gen, ihr zu zu hö ren.

Sie sah aus wie ein Bild von De gas, hat te sich Zoe ge dacht, wäh rend sie ihr zu sah. Aber nein: De gas hat te sei ne Ge mäl de im mer in zar te Far ben ge taucht, sei ne Tän ze rin nen sind weiß, höchs tens mal rosa. Nicht rot und schwarz. Gim enez’ Hal tung hat sie auf die se Idee ge bracht.

Es war nicht so leicht, Gim enez zu ko pie ren, nach­dem sie ih nen ein paarmal das Ri tu al des Bän der schnü­rens ge zeigt hat te. Fast alle hat ten die Bän der zu lasch

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ge bun den und bei den ers ten Be we­gun gen wa ren sie am Knö chel run­ter ge rutscht. Also noch ein mal. Al les von vorn. Und wie der und wie der, die ge sam te Stun de ver ging, ohne ei nen ein zi gen Ton vom Kla vier, ohne eine

Be we gung, ein Plié, ein Port de bras.»Das war öde!«, hat te Leda ge sagt, als sie sich um­

zo gen. »Ich hät te bei na he lie ber eine gan ze Stun de an der Stan ge trai niert.«

»Du weißt doch, Ma dame Olen ska ach tet sehr auf Klei nig kei ten«, hat te Zoe ge ant wor tet.

»Ja, na tür lich, aber wir hät ten das mit den Bän dern doch auch al lein zu Hau se üben kön nen, ohne so viel Zeit da mit zu ver geu den. Um dann die da zu se hen«, und sie deu te te mit dem Kinn in Rich tung Lai la und re de te lei ser, »die na tür lich die Bän der im Hand um­dre hen rich tig schnü ren konn te. Miss Hun dert pro­zent, wie im mer.«

»Weil ich mich vor be rei tet habe«, hat te Lai la er wi­dert. Sie hat te es na tür lich ge hört. »Ich habe zu Hau se ge übt. Und ich habe auch ge übt, auf die Spitze zu ge­hen.«

»Na, wir wol len wohl wie im mer mit Rie sen schrit­ten vor wärts«, hat te Paola von der Bank ge gen ü ber ge­meint. »Wenn Ma dame Olen ska sagt, wir dür fen die Schu he nicht al lein aus pro bie ren, dann dür fen wir das eben nicht.«

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