Begleitmaterial Schumanns Kinderszenen · 2013-02-20 · Schumanns Kinderszenen - 4 Vita Gotthart...

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Schumanns Kinderszenen - 1 Material zur Vor - und Nachbereitung Schumanns Kinderszenen Herausgegeben von: Theater Dortmund / Kinder- und Jugendtheater Christine Köck & Isabel Stahl & Marie Helbing Theaterpädagogik & Dramaturgie Spielzeit 2012 / 2013 Theater Dortmund / Kinder- und Jugendtheater, Sckellstr. 5 - 7, 44141 Dortmund, Leitung: Andreas Gruhn, Geschäftsführende Direktorin: Bettina Pesch www.theaterdo.de

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Page 1: Begleitmaterial Schumanns Kinderszenen · 2013-02-20 · Schumanns Kinderszenen - 4 Vita Gotthart Kuppel 1946 geboren. 1966 begann er das Studium der Medizin an der Universität München,

Schumanns Kinderszenen - 1

Material zur Vor - und Nachbereitung

Schumanns Kinderszenen Herausgegeben von: Theater Dortmund / Kinder- und Jugendtheater Christine Köck & Isabel Stahl & Marie Helbing Theaterpädagogik & Dramaturgie Spielzeit 2012 / 2013 Theater Dortmund / Kinder- und Jugendtheater, Sckellstr. 5 - 7, 44141 Dortmund, Leitung: Andreas Gruhn, Geschäftsführende Direktorin: Bettina Pesch www.theaterdo.de

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Schumanns Kinderszenen Stück von Gotthart Kuppel mit Musik von Robert Schumann

ab 5 Jahren Das KJT in der Jungen Oper

Désirée von Delft, Steffen Happel, Nicolas Krüger

Regie: Antje Siebers Ausstattung: Oliver Kostecka

Dramaturgie: Isabel Stahl Dramaturgieassistenz: Marie Helbing

Theaterpädagogik: Christine Köck

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Kind sitzt lustlos am Klavier und hat keinen Spaß am Üben. Bis aus dem Flügel zwei Augenpaare, die eines Mädchens und eines Jungen, auftauchen. Aus dem Üben wird ein Spiel. Inspiriert von den kleinen Klavierstücken werden in Wort- und Gedankenspielen mit zum Teil anarchischem Witz Geschichten am und mit dem Flügel erzählt. Die Romantik der Musik Robert Schumanns und die Erfindungen der Kinder nähern sich einander an und nehmen die Zuschauer mit auf eine Reise in die Welt der Fantasie. Ein Eisberg kommt auf die Kinder zu, fremde Städte und Länder werden erkundet, Elefant und Storch kommen zu Besuch und entführen das ehemals lustlos übende Kind in eine (Musik-) Welt voller Überraschungen. Die Kinderszenen (Op. 15) sind ein Zyklus kleiner Klavierkompositionen von Robert Schumann aus dem Jahr 1838, in denen typische Elemente romantischer Poesie – wie etwa Sehnsucht oder Melancholie – auftauchen. Die insgesamt 13 kurzen Stücke bieten dem Hörer eine Projektionsfläche, auf der kleine Geschichten entstehen können und somit eine neue Welt eröffnen.

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Ein Stück über die Zärtlichkeit, von der Sehnsucht danach und der Angst davor

Für Kinder und Erwachsene nach einer Idee von Jürg Schlachter

Wenn Schumann sagt:

„… die Überschriften entstanden natürlich später und sind eigentlich nichts als feinere

Fingerzeige für Vortrag und Auffassung…“ dann sollen diese Fingerzeige mit aller Vorsicht und

Genauigkeit zu einem Versuch theatralischer Umsetzung genutzt werden.

Den Mut, dabei wiederum die Grenzen des Spiels nicht zu eng zu setzen, macht uns Schumann

selbst:

„Klavierspielen… Das Wort „spielen“ ist sehr schön, da das Spielen eines Instrumentes eins mit

ihm sein muß. Wer nicht mit dem Instrument spielt, spielt es nicht.“

Und:

„Um zu komponieren, braucht man sich nur an eine Melodie zu erinnern, die noch niemanden

eingefallen ist.“

Motto:

Wenn ich ein Flügel wär`

Und einen Vogel hätt`…    

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Vita Gotthart Kuppel 1946 geboren. 1966 begann er das Studium der Medizin an der Universität München, 1973 legte er dort das Staatsexamen ab. 1986 wurde Kuppel an der Universität Bochum zum „Dr. med.“ promoviert mit der Dissertation „Zum Gesundheitsverhalten von Schauspielern.“ 1960 bis 1972 Judosport bis in den Olympiakader. Über den Judosport kam er zu seiner ersten Theaterarbeit: er arrangierte 1970 eine Bühnenschlägerei. 1972 bis 1975 bei Peter Zadek in Bochum als Schauspieler, Körper-trainer, Dramaturg, Akrobat, Regieassistent und Musiker. Ab 1975 Soloauftritte als „Doktor Kuppels Kombinationskunst“: Schlappseiltänzer und Performer mit zahlreichen Soloprogrammen im In- und Ausland; daneben tätig als Schauspieler und Artist an verschiedenen Theatern. Ab 1982 Regie u.a. in München, Gelsenkirchen, Münster, Bremen, Wiesbaden, Heidelberg, Quito (Ecuador), Konstanz, Freiburg. Autor von Theaterstücken, zahlreiche Bearbeitungen, Kurzprosa in Literaturzeitschriften und Anthologien. 1991: Bremisches Literaturförderstipendium. 2003 „Die Natur ist witzig“, Teneriffa (Kurzprosa, spanisch und deutsch); Libretto „Der Herbst des Patriarchen“ nach dem Roman von Gabriel García Márquez für die Oper von Giorgio Battistelli am Bremer Theater. Seit 1996 Objektkunst. Lebt in Bremen und auf Teneriffa. Literatur von G. K. (Auswahl) Theaterstücke:

• 1987 Schumanns Kinderszenen (Verlag Autorenagentur, Berlin) • 1991 Schüsse ins Theater (Verlag Autorenagentur, Berlin) • 2000 Atlantisspinner, in: Theater der Generationen, hrsg. von Henning Fangauf,

Wilhelmshaven • 2004 Der Herbst des Patriarchen, Libretto für Giorgio Battistellis Oper nach dem

gleichnamigen Roman von Gabriel García Márquez (UA Bremen) • 1992 13 höchst persönliche, unvollständige und wahrscheinlich widersprüchliche Notizen

zum Theater für Kinder, in: Beiträge zum Kindertheater, Grundschule/Praxis Grundschule

• 2003 Die Natur ist witzig/La naturaleza es chistosa (Kurzprosa deutsch und spanisch), Producciones Gráficas, Los Majuelos, Tenerife

Inszenierungen (Auswahl)

• 1987 Schumanns Kinderszenen, G. K. (München) • 1989 Das Skurrilspiel Sowas, Albert Drach (Esslingen) • 1990 O wie schön ist Panama, G. K. nach Janosch (Braunschweig) • 1991 Schumanns Kinderszenen, G. K. (Gelsenkirchen) • 1996 Sonate in Urlauten, Kurt Schwitters (Freiburg) • 2000 XYZ, Friedrich Karl Waechter (Konstanz)

Ausstellungen von Objekten (Auswahl)

• 2004 Sala Conca (mit EMZ) • 2004 Begegnung im Europäischen Haus, Städtische Galerie Trebon, Tschechische

Republik (mit Tilman Rothermel und Wolfgang Schmitz) • 2004 Galerie Schraffur, Bremen (mit EMZ) • 2004, 2005, 2006 Buchladen Ostertor • 2007 Hören und Sehen, Hofgalerie, Bremen (mit Ingo Ahmels) • 2008 KunstStöcke, Museo Casa de El Capitán, San Miguel de Abona, Tenerife

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Diese KunstStöcke, auf den Kanarischen Inseln zum Stockfechten benutzt und unbrauchbar geworden, standen in der Ecke. Nebenher bewahrte ich Objekte auf, die für Ausstellungen zu klein waren. Ich brachte die Objekte in Augenhöhe, indem ich die Stöcke als senkrechte "Podeste" für sie benutzte. So sind nun die kleinen Objekte gut sichtbar präsentiert, und die Stöcke haben eine neue Funktion gefunden, in der sie ihre unsichtbare Geschichte als Gegenstände beisteuern. Und schließlich wurde der Stock selber zum Thema.

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Schumanns Kinderszenen - 6

Volkslied Joachim Ringelnatz

Wenn ich zwei Vöglein wär, Und auch vier Flügel hätt, Flög die eine Hälfte zu dir. Und die andere, die ging auch zu Bett, Aber hier zu Haus bei mir.

Wenn ich einen Flügel hätt Und gar kein Vöglein wär, Verkaufte ich ihn dir Und kaufte mir dafür ein Klavier.

Wenn ich kein Flügel wär (Linker Flügel beim Militär) Und auch keinen Vogel hätt, Flög ich zu dir. Da's aber nicht kann sein, Bleib ich im eignen Bett Allein zu zwein.

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Schumanns Kinderszenen - 7

1 Von fremden Menschen und Ländern 2 Kuriose Geschichte 3 Hasche-mann 4 Bittendes Kind 5 Glückes genug 6 Wichtige Begebenheit 7 Träumerei 8 Am Kamin 9 Ritter vom Steckenpferd 10 Fast zu ernst 11 Fürchtenmachen 12 Kind im Einschlummern 13 Der Dichter spricht In den Kinderszenen werden romantische Elemente verarbeitet: - das Sehnen nach Ferne und unbekannten Welten - das Interesse an Ungewöhnlichen und Skurrilen - der Rückzug in die Innerlichkeit - Fantasiewelten - Weltschmerz

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„Glückes genug" passt gut zu jenem flatternd-blauen Band in Mörikes „Er ist's", das sich als Bote des annähernden Frühlings erweist. In beiden Szenen - der musikalischen als auch der literarischen herrscht Freude über und auf etwas vor.

Er ist's Eduard Mörike (1804 – 1875)

Frühling lässt sein blaues Band Wieder flattern durch die Lüfte;

Süße, wohl bekannte Düfte Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen träumen schon, Wollen balde kommen.

Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's!

Dich hab' ich vernommen! Bilder des Spiels: „Haschemann & Ritter vom Steckenpferd“ Jedes Stück der Kinderszenen trägt eine Überschrift, die den Bezug zur Kindheit deutlich macht. Zwei der Stücke, das dritte und das neunte, heißen: Haschemann und Ritter vom Steckenpferd. In diesen Stücken wird musikalisch etwas ausgedrückt, was Ausdrucksform der Kinder schlechthin ist: das Spiel. Spielende Kinder sind häufig Gegenstand von Geschichten, in denen es unbeschwert, heiter und sorglos, aber auch gefährlich und waghalsig zugeht. Was für eine Geschichte Schumann über spielende Kinder erzählt, ist unschwer zu hören. Es ist eine unbeschwert heitere. Der Haschemann ist einer, der seinem Namen Ehre macht: in Sechzehnteln hurtet er herauf und hinunter. Im Spiel sind Spieler und Gegenstand noch etwas anderes, als was sie gewöhnlich sind das macht ja den Reiz des Spiels aus. Man kann sich den Reiter gut vorstellen, der da musikalisch geschildert wird; ein synkopisches Grundmuster hält das Pferd am Laufen. Dem unbefangenen kindlichen Hörer dürfte sich dieser verwegene Steckenpferdritt leicht erschließen; vor allem auch dann, wenn musikalische Vergleichsmöglichkeiten geboten werden.

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Bilder des Innern: „Bittendes Kind“ Musikalische Wiedergabe äußerer Bilder: so ließen sich die beiden spielerischen Stücke über die Kinderspiele bezeichnen. Ihnen ordnet sich eine Szene zu, die ein inneres Bild wiedergibt und etwas über die Psychologie des Kindes aussagt. Es ist das vierte Stück mit dem Titel „Bittendes Kind". Der Titel assoziiert eine Szene, die gut vorstellbar ist: in der Absicht, einen Wunsch erfüllt zu bekommen, fragt das Kind nach etwas Bestimmten, bittet um etwas Besonderes. Fragen und Bitten sind klassische Sprechakte — keineswegs auf kindliche Sprecher beschränkt. Das Ziel dieser Sprechakte steht jeweils fest; die Ausführung ist aber höchst verschieden. Schließlich lässt sich in vielfältigster Weise eine Frage oder Bitte stellen: höflich, bescheiden, wehleidig, herablassend, herausfordernd, frech, höhnisch, ironisch, zynisch, hinterhältig, drohend. Es gibt Fragen, die, wenn sie in bestimmter Weise geäußert werden, keine mehr sind, sondern Drohungen; so wie es Bitten gibt, die keine sind, sondern Befehle. Entscheidendes Indiz hierfür ist nicht die grammatikalische Konstruktion der Frage oder Bitte, sondern ihre Sprachmelodie, ihr Klang. Bei einer echten Bitte wird der Klang warm, die Melodie am Ende der Phrase leicht erhöht sein; bei einer drohend ausgesprochenen Bitte hingegen der Klang kalt und die Melodie keinerlei Schwingung aufweisen. Unbewusst beherrscht jeder Sprecher in Alltagssituationen dieses Sprechaktspiel - auch Kinder. Als Problem taucht das *Wie* der Gestaltung von direkter Rede aber dann auf, wenn es etwa im Unterricht darum geht, Dialoge oder Gedichte laut zu lesen. Wie hat es denn zu klingen, wenn in Fontanes Gedicht vom Ribbeck auf Ribbeck die Kinder nach dem Tod des famosen alten Herrn fragen: „He is dod nu. — Wer giwt uns nu 'ne Beer?" Das Lesen in diesem Sinne fördert das Gestalten von Sprachmelodien; das Hören von Schumanns vierter Kinderszene das Erkennen einer Melodie als Sprache. Es ist leicht zu hören, in welcher Weise die fiktive Kinderfigur ihre Bitte vorträgt: leise, zurückhaltend, fast ein wenig zaghaft.

Übung: eine Bitte wird festgelegt. Bspw: „Bitte lies mir etwas vor.“ Diese Bitte soll unterschiedlich vorgetragen werden. Was gibt es für Arten, jemanden um etwas zu bitten? Die Silben des Satzes werden ersetzt durch „ta“ Also: „Tata ta ta tata ta.“ Hört man jetzt immer noch, wie diese Bitte gemeint ist? Hört man jetzt sogar besser, wie die Bitte gemeint ist?

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Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland Theodor Fontane (1819-1898) Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, Ein Birnbaum in seinem Garten stand, Und kam die goldene Herbsteszeit Und die Birnen leuchteten weit und breit, Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl, Der von Ribbeck sich beide Taschen voll, Und kam in Pantinen ein Junge daher, So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?« Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn, Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.« So ging es viel Jahre, bis lobesam Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam. Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit, Wieder lachten die Birnen weit und breit; Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab. Legt mir eine Birne mit ins Grab.« Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus, Trugen von Ribbeck sie hinaus, Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht Sangen »Jesus meine Zuversicht«, Und die Kinder klagten, das Herze schwer: »He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?« So klagten die Kinder. Das war nicht recht - Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht; Der neue freilich, der knausert und spart, Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt. Aber der alte, vorahnend schon Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn, Der wußte genau, was damals er tat, Als um eine Birn' ins Grab er bat, Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus. Und die Jahre gingen wohl auf und ab, Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab, Und in der goldenen Herbsteszeit Leuchtet's wieder weit und breit. Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her, So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?« Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn, Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.« So spendet Segen noch immer die Hand Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

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 Traumbilder: „Von fremden Ländern und Menschen vs. Fürchtenmachen“ Die Kinderszenen eröffnen mit einem Stück, das in seiner lyrischen Zartheit, Schlichtheit und Verträumtheit an die Wiegen- und Schlummerlieder aus Schumanns Waldszenen oder den Albumblättern erinnert. Eine ungekünstelte, einfache Melodie — die Ähnlichkeit mit der aus dem Stück „Bittendes Kind" aufweist — ist das musikalische Material, das kaum verändert wird. Dieses ruhige Gleichmaß findet sich in vielen der Kinderszenen — allerdings nicht in jenem elften, das den Titel „Fürchtenmachen" trägt. Zwar beginnt auch dieses Stück melodiös-sanft, leise, fast traumverloren, doch plötzlich, geschieht nach kurzer Zeit ein abrupter Tempowechsel. In nur vier Takten huscht im pianissimo etwas Fremdartiges vorüber: Sechzehntel-Akkorde bei einem gleichzeitig in die Tiefe fallenden, akkordisch aufgeklappten melodischen Bogen deuten Nächtlich-Dunkles, fast etwas Koboldhaftes an. Die verträumte Ausgangsatmosphäre stellt sich wieder- um ein, so, als ob nie etwas gewesen wäre. Aber Kobolde haben nun einmal die Eigenschaft, dann aufzutauchen, wenn man sie nicht erwartet. Variantenreich ist er, der Wicht aus der elften Kinderszene. Das zweite Mal lauter, nämlich in polternden Akkorden, bis sein wiederum sehr kurzer Auftritt in einen abfallenden, von beruhigenden Begleitakkorden begleiteten Melodiebogen übergeht, der zu den verträumten Anfangstakten zurückführt, die sich nun schon als eine Art Rondothema ausweisen. Gegensätzliche musikalische Teile fügen sich hier zu einer ästhetischen Einheit — selbstverständlich ist das dem kindlichen Hören zugänglich. Noch einmal, ein letztes Mal meldet sich der Kobold wieder in seiner ersten Gestalt zurück, wiederum abrupt verschwindend, abgelöst durch das Anfangsthema, so dass auf das Ganze gesehen, das kleine Stück die Form eines leicht verzwickten Rondos aufweist: A - B -A-C- A - B - A. Am Ende ist alles so, wie es am Anfang war. Der Puck aus Shakespeares „Sommernachtstraum" würde sich in dieser Geschichte genauso wohl fühlen, wie der Kobold aus Bergengruens gleichnamigen Gedicht oder das berühmte bucklichte Männlein. Daß der grummeligen Gnomengeschichte eine Szene mit dem Titel „Kind im Einschlummern" folgt, ist aufschlussreich: die Kinderszenen gelangen, auch darin ganz romantisch, im nächtlichen Dunkel an ihr Ende. Es ist eine wundervolle Atmosphäre, die Schumann in diesem zwölften Stück hervorzaubert. Zart hingetupfte, ineinander fließende Intervallsprünge, die sich vor allem um die Sext gruppieren, ahmen auf musikalische Weise die ruhigen Atemzüge eines schlummernden Kindes nach. Und obwohl eine Schlummergeschichte eigentlich keine Geschichte ist, macht Schumann eine daraus. Der Mittelteil des Stückes weist leise Veränderungen auf: die Tonart wechselt von e-moll nach E-Dur; die ruhig fließenden, gleichsam atmenden Intervallsprünge gleiten in den Diskant; das ganze Geschehen rutscht in tiefere Tonregionen. Es sind wohl die musikalischen Zeichen dafür, daß der Schlummer in tiefen Schlaf übergegangen ist. Nach der gleichen Gesetzmäßigkeit ist übrigens auch die berühmte Träumerei komponiert, nur, daß einem kindlichen Hören die Szene mit dem schlummernden Kind leichter faßlich ist.

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Gegensätzliche Bilder Obwohl die Kinderszenen als geschlossener Zyklus gedacht sind, erzwingen sie nicht ihre geschlossene Behandlung im Unterricht; bereitwillig fügen sie sich auch in unkonventionelle Auswählarrangements. Die Möglichkeiten hierfür sind, wie gezeigt, vielfältig; eine wäre, Gegensätzliches zusammenzubringen — so etwa die fünfte und die zehnte Kinderszene. Der musikalische Duktus beider Kompositionen ist so verschieden wie deren Titel: „Glückes genug" und „Fast zu ernst". Das erstgenannte Stück perlt fast überschäumend daher, wohingegen das andere verhalten-ruhig, zart-schwebend, filigran- kunstvoll ist, melancholisch, ohne aber ins Düster-Dunkle abzugleiten. Beide Stücke lassen sich natürlich als musikalische Bilder kindlicher Gefühle deuten; sie sind aber auch auch auf andere Kontexte beziehbar. Etwa auf den jahres- zeitlicher Stimmungsbilder. Der lyrisch- frohe Charakter von „Glückes genug", der sich immer mehr zu einem volltönenden Gesang emporschwingt, würde gut zu jenem flatternd-blauen Band in Mörikes „Er ist's" passen, das sich als Bote des her- annähernden Frühlings erweist. In beiden Szenen - der musikalischen als auch der literarischen herrscht Freude über und auf etwas vor. Demgegenüber zeigt das Stück „Fast zu ernst" unverhohlen Affinitäten zu einem anderen Mörike-Gedicht: einem, in dem, zwischen Nebel und warmgoldenen Farben changierend, der „September" sein herbstliches Aussehen präsentiert. Die verhaltene Miniatur gerade dieser Mörike- Kostbarkeit findet ihre Entsprechung in Schumanns Komposition, weil die Ambivalenz der literarischen Herbststimmung sich in der musikalischen Gegenbewegung von zugleich aufsteigenden und abfallen- den melodischen Phrasen spiegelt. Bilder des Spiels, des Innern, des Traums, des Gegensatzes: es ist ein buntes Kaleidoskop von Kinderszenen, das sich da präsentiert — noch mehr an Schätzen enthaltend, als hier vorgestellt. Entgegen vorläufiger Vermutung zeigen sich die Kompositionen didaktisch freundlicher als gedacht; vor allem sich denen nicht verweigernd, deren Welten sie auf ihre Weise thematisieren: den Kindern. Ein besonderes pädagogisches Plädoyer haben die musikalisch-pädagogischen Kinderszenen ohnehin nicht nötig; eher denn schon ein tautologisches: sie sind im Unterricht zu behandeln, weil es sie gibt.

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Quellen www.wikipedia.de Baader, Meike Sophia: Die romantische Idee des Kindes und der Kindheit. Auf der Suche nach der verlorenen Unschuld. Berlin 1996. Bründel, Heidrun / Hurrelmann, Klaus: Einführung in die Kindheitsforschung. Weinheim 1996. Schank, Ulrike: 13 Zwangsläufige, ganz sicher unvollständige und wahrscheinlich widersprüchliche Notizen zum Theater des Gotthart Kuppel. In: Theater der Zeit. Kinder und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Stück-Werk 2. Deutschsprachige Autoren des Kinder- und Jugendtheaters. Berlin 1998, S. 98-103. Rösler, Winfried Schumanns Kinderszenen. Szenen für Kinder? Grundschule 26 (1994) 5, S. 56-58 urn:nbn:de:0111-opus-4614