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1 Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen | Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW | März 2011 Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen Befragung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Malteser Hilfsdienst e. V. aus den Bezirken Aachen, Bonn, Ruhrgebiet und Westfalen-Lippe Ergebnisübersicht von Privat Dozent Dr. Wolfgang Heinemann Ruhr-Universität Bochum

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1Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Behinderungen und Angriffe

bei Rettungseinsätzen

Befragung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Malteser Hilfsdienst e. V. aus den Bezirken Aachen, Bonn, Ruhrgebiet und Westfalen-Lippe

Ergebnisübersicht vonPrivat Dozent Dr. Wolfgang HeinemannRuhr-Universität Bochum

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2Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Zu dieser Untersuchung

Erfahrungsberichte über Angriffe auf Rettungskräfte und daraus erwachsene Inititiativen

aus den Reihen der Malteser, einschlägige Pressemeldungen, Erfahrungen aus

anderen Verbänden sowie Fallsammlungen im Internet (z. B. VIRCHEM) verweisen

darauf, dass – wie andere Berufsgruppen – auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

im Rettungsdienst Gefahr laufen, bei der Ausübung ihres Berufes Opfer von

Gewalttätigkeiten zu werden.

Bisher konzentriert sich die Diskussion des Problems von Gewalt am Arbeitsplatz und

das Bemühen um Maßnahmen zur Prävention und Abwehr von Gewalt und zur

Betreuung von Gewaltopfern stärker auf andere Berufsgruppen (z. B.

Sachbearbeiterinnen der ARGEn). Inwieweit die Erfahrungen aus anderen Branchen

auf den Rettungsdienst übertragbar sind, ist offen.

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Die vorliegende Untersuchung hat das Ziel, anhand einer Stichprobe aus Rettungswachen des Malteser Hilfsdienstes in Nordrhein-Westfalen exemplarisch zu ermitteln

(1) welches Ausmaß und welche Bedeutung Behinderungen, Beleidigungen und tätliche Angriffe im rettungsdienstlichen Alltag haben,

(2) welche Form von Beeinträchtigungen typisch für Rettungseinsätze sind, unterwelchen Umständen sie am häufigsten vorkommen,

(3) welche Maßnahmen der Prävention,Abwehr und Nachsorge aus der Sicht der Rettungsdienstler notwendig und sinnvoll wären.

(4) sollen schließlich auf der Grundlage der ermittelten typischen Gewaltsituationen und der Erfahrungen und Wünsche der Befragten Vorschläge zur Diskussion gestellt werden, wie die Sicherheit der Rettungskräfte durch geeignete, praxisgerechte Maßnahmen verbessert werden kann.

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An der Befragung beteiligten sich 265 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Malteser

Hilfsdienstes e.V. aus 21 Rettungswachen in Nordrhein-Westfalen. Das Ziel war eine

repräsentative und möglichst vollständige Erfassung der beteiligten Wachen; die

Wachen waren so ausgewählt, dass die verschiedenen Siedlungsbereiche Nordrhein-

Westfalens vom dicht besiedelten Ballungsraum (z.B. Ruhrgebiet, Bonn) über

benachbarte Groß- und Mittelstädte bis in den ländlichen Raum hinreichend vertreten

sind, damit regionale Unterschiede – beispielsweise typische Gewaltsituationen des

Ballungsraums im Vergleich zu dünner besiedelten Landesteilen – berücksichtigt

werden können.

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Die Befragung wurde von den beteiligten Bezirken Aachen, Bonn, Ruhrgebiet und

Westfalen-Lippe durchgeführt. Die Rücklaufquote, gemessen an der Zahl der

Beschäftigten in den beteiligten Wachen, betrug für die hauptamtlichen Vollzeitkräfte

insgesamt 55%, bezogen auf alle Beschäftigten betrug sie 36%. Insgesamt ist die

Rücklaufquote vor allem bei den hauptamtlich Beschäftigten über alle Regionen

hinweg gleichmäßig hoch. Die Antworten repräsentieren demnach vorwiegend die

Sicht der hauptamtlichen Vollzeitkräfte in den beteiligten Wachen. Diese Gruppe ist

hauptamtlich Beschäftigten sind insgesamt höher qualifiziert, weisen im Mittel eine

deutlich längere Dienstzeit auf (11,1 Jahre) als die anderen Gruppen (5,1 Jahre), und

sind in der Regel auf dem RTW eingesetzt. Die Wahrscheinlichkeit, mit

Gewaltsituationen konfrontiert zu werden, liegt bei dieser Gruppe erheblich höher.

Ihre stärkere Beteiligung an der Befragung ist vermutlich dadurch begründet.

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Stichprobe nach Orten (1)

Ortstyp Mitarbeiter

/innen gesamt

davon hauptamtl.,

Vollzeit Antworten,

gesamt

Antworten, hauptamtl.,

Vollzeit Rücklauf, gesamt

Rücklauf hauptamtl.,

Vollzeit E/DU 94 40 32 18 0,34 0,45 DO 96 32 58 25 0,60 0,78 BN 96 23 38 14 0,40 0,61 Großstd.*) 80 43 24 18 0,30 0,42 kl. Großstd.**) 129 17 33 13 0,26 0,76 Mittelstd.***) 171 62 51 29 0,30 0,47 Kl./Land****) 77 36 29 23 0,38 0,64 Gesamt 743 253 265 140 0,36 0,55

*) Krefeld., Aachen, Hagen **) Paderborn, Gütersloh, Schwerte ***) Erkelenz, Arsbeck, Jülich, Linnich, Willich, Schalmtal, Bornheim, Lemgo,

Lage, Detmold (nur 1 Fragebogen) ****) Nideggen, Nörvenich, Düren, Bad Münstereifel, Oerlinghausen, Hövelhof

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Stichprobe nach Orten (2)

Ortskategorie Mitarbeiter

/innen gesamt

davon hauptamtl.,

Vollzeit Antworten,

gesamt Antworten, hauptamtl.,

Vollzeit Rücklauf, gesamt

Rücklauf hauptamtl.,

Vollzeit Ballungsraum*) 286 95 128 57 0,45 0,60 kl. Großstd.**) 176 58 44 27 0,25 0,47 Mittelstd.***) 204 64 64 33 0,31 0,52 Kl./Land****) 77 36 29 23 0,38 0,64 Gesamt 743 253 265 140 0,36 0,55 *) Dortmund, Essen, Duisburg, Bonn. **) Krefeld, Aachen, Hagen, Paderborn, Gütersloh. ***) Schwerte, Erkelenz, Arsbeck, Jülich, Linnich, Willich, Schalmtal, Bornheim,

Lemgo, Lage, Detmold (nur 1 Antwort). ****) Nideggen, Nörvenich, Düren, Bad Münstereifel, Oerlinghausen, Hövelhof.

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Teilnahme: Interpretation

- Die Stichprobe ist regional unterschiedlich strukturiert: Im Ballungsraum Ruhr/Bonn wurden nicht hauptamtlich Beschäftigte stärker in die Befragung einbezogen, im ländlichen Raum antworteten fast nur Hauptamtliche.

- Die Hauptamtlichen sind im Durchschnitt älter, haben eine deutlich längere Dienstzeit (11,1 vs, 5,1 Jahre) und einen höheren beruflichen Status.

- Durch die Zusammensetzung der Gruppe werden die regionalen Unterschiede u. U. unterschätzt.

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Erfahrung mit Behinderungen, Beleidigungen und tätlichen Angriffen, nach Beschäftigungsstatus

63,2%91,9%92,6%Gesamt

44,1%86,5%87,4%andere

74,1% 98,5%96,4%Hauptamtliche

Angriff*)BeleidigungBehinderung

*) z.B. „Wurden Sie schon einmal … tätlich angegriffen?“ Anteil „ja“-Antworten.

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10Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Tätliche Angriffe in den letzten 3 Jahren, regionale Verteilung

Angriffe (letzte 3 Jahre)

0,78

0,69 0,69

0,83

0,40

0,60

0,41

0,00%

10,00%

20,00%

30,00%

40,00%

50,00%

60,00%

70,00%

80,00%

90,00%

E/DU DO BN KR/AC/HA PB/GT/Schw. Mittelst. Land

„…Wie häufig wurden Sie in den letzten 3 Jahren … tätlich angegriffen?“

Anteil Angaben > 0.

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Behinderungen, Beleidigungen und tätliche Angriffe in den letzten 3 Jahren: Häufigkeiten.

21751029,01Behinderungen

221101061,45Beleidigungen

143239,00Angriffe

NModusMedianMittel

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12Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Angriffshäufigkeit (ln-transform.) nach Region und Beschäftigungsstatus

Hauptamtlich/Vollzeit Teilzeit etc.Ruhr/Bonn Großstd. Mittelstd. Klein/Land

0,0

0,5

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

ln(A

ngrif

fshä

ufig

keit

+ 1)

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Fazit: Häufigkeit tätlicher Angriffe

- Behinderungen und Beleidigungen erscheinen als alltägliche Ereignisse, die fast alle Befragten schon mehrfach erlebt haben.

- Tätliche Angriffe werden dagegen als relativ seltene Ereignisse berichtet. Die Mehrheit der Befragten war jedoch schon Angriffen ausgesetzt.

- Behinderungen, Beleidigungen und Angriffe werden häufiger und in höherer Zahl von hauptamtlich beschäftigten Vollzeitkräften genannt. Besonders viele Angriffe nennen hauptamtlich Beschäftigte Rettungskräfte im Ballungsraum Ruhr/Bonn.

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Gewichtung und Entwicklung der Beeinträchtigungen

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Bedeutung und Entwicklung der Beeinträchtigungen

- Beleidigungen, Beschimpfungen und tätliche Angriffe werden mit großer Mehrheit als wichtiges Problem angesehen.

- Der vorherrschende Eindruck ist, dass Beleidigungen und Beschimpfungen in den letzten 3 Jahren zugenommen haben, die langjährig beschäftigten Befragten sehen das auch für das Ausmaß tätlicher Angriffe.

- Bei dieser Einschätzung gibt es kaum regionale Unterschiede. Insgesamt sehen vor allem Personen, die selbst angegriffen worden sind, die Entwicklung negativer und empfinden das Problem als wichtiger.

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Gefährliche Situationen (1)

1a. Angriff durch Patienten: Hilflose Personen im öffentlichen Raum (n=19)– ID 50: …wurde von Patient tätlich angegriffen, der hilflos und

alkoholisiert auf Gehweg in Blumenbeet lag. Patient trat nach uns und warf mit Erde u. Mülltonnen.

Diese Situation korrespondiert stark mit Alkohol- oder Drogenintoxi-kation. Am häufigsten spielen sich die Vorfälle abends und nachts (oft nach Mitternacht) im öffentlichen Raum und in Gaststätten oder ihrem Umfeld ab.

1b. Angriff durch Patienten: Psychiatrischer Notfall (n=6)– ID 239. Angriff mit Tränengas, durch den Patienten der sich im Zimmer

zurückgezogen hatte. Gemeldet wurde Suizidversuch.Eine der beiden auffälligen Gefahrensituationen im häuslichen Bereich.

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17Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Gefährliche Situationen (2)

Die andere häusliche Gefahrensituation:

3. Bedrohung durch Angehörige/Freunde bei internistischen Notfällen (vom Patienten geht in diesen Fällen keine Gefahr aus) (n=13)– ID 195. Bei einer Kinderreanimation wurde der Besatzung tödliche

Gewalt angedroht, sollte das Kind sterben. Zu diesem Zeitpunkt war das Kind jedoch bereits tot.

4. Gewalttaten, Schlägerei: Bedrohung (n=14), nur selten Angriff (n=2) durch Tatbeteiligte:– ID 39. Massenschlägerei in Gaststätte. Flaschen, Stühle, Gläser flogen

uns am Kopf vorbei. Polizei sammelte sich einige Straßen entfernt. Waren eingesperrt und konnten nicht weg…

– ID 80. Massenschlägerei im Rotlichtmilieu bei dem auch Waffen angewendet wurden gegenüber den Rettungsdienstlern.

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Gefährliche Situationen (3)

Obwohl bei Schlägereien und Gewalttaten die Bedrohung durch Täter im Vordergrund steht, nicht der tatsächliche Angriff, sind solche Situationen für die Retter besonders belastend und führen besonders häufig zu längeren Belastungen.

Diese Szenen werden fast ausschließlich im Ballungsraum Ruhr/Bonn berichtet (n=11), der Schwerpunkt ist Dortmund. Sie konzentrieren sich aufGaststätten, Diskos und ihr Umfeld und den übrigen öffentlichen Raum. Trotz spektakulärer Einzelberichte sind Gewaltsituationen dagegen nicht typisch für Einsätze im Wohnungsumfeld.

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Gefährliche Situationen (4)

5. Verkehrsunfall, Behinderung/Beschimpfung, Zuschauer (n=9):– ID 138. Verkehrsunfall: Patient wird im Auto vorversorgt und man kann

kaum arbeiten, weil Schaulustige & ein Reporter trotz Aufforderung zu gehen permanent die Arbeit behindern. Polizei & Feuerwehr waren noch nicht vor Ort.

Ein Sonderfall von geringerer praktischer Bedeutung ist schließlich.

6. Krankentransport, Beschimpfung, Unbeteiligte (n=4). – ID 160. Beschimpfung durch Taxi-Frahrer. Beschimpfung durch andere

Mitbürger über im Weg stehende KTWs.

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Zusammenfassung: Gefährliche Situationen

Gewalt gegen Retter wird von den Befragten vor allem geschildert als

Tätlicher Angriff durch Patienten, die durch veränderte Bewußstseinszustände(Alkohol- und andere Intoxikationen im öffentlichen Raum, psychiatrischer Notfall im häuslichen Umfeld) „unberechenbar“ geworden sind,

Beschimpfung und Bedrohung durch Freunde oder Angehörige des Patienten bei der Betreuung internistischer oder anderer nichtpsychiatrischer Notfälle,

Bedrohliche Situation, in der sie als Unbeteiligte in Schlägereien oder andere gewaltsame Auseinandersetzungen hineingeraten (besonders belastend, spezielles Risiko des Ballungsraums),

Behinderung durch Umstehende bei Verkehrsunfällen.

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Belastung durch gefährliche Situationen

*) Alle Angaben in Prozent der an den jeweiligen Orten berichteten Vorfälle.

31,82%21,14%23,30%Gesamt

35,29%18,75%29,41%Land

22,50%10,00%15,38%Mittelst. Belastung durch gefährliche

Situationen

20,00%10,00%10,00%PB/GT/Schw.

27,78%16,67%16,67%KR/AC/HA

13,33%0,00%12,50%BN

52,08%45,83%39,58%DO

27,78%16,67%22,22%E/DU

Folgen oderBelastung

LängereBelastungFolgen f. Retter*)

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Folgen und Belastungen (1)

Als unmittelbare Folgen für die betroffenen Retter werden meist Verletzungen (n=20), aber auch Ängste etc. (n=12) genannt; als längerfristige Belastungen sind erhöhte Vorsicht und Verunsicherung (N=9), psychosomatische Belastungen wie Ängste, Schweißausbrüche, Schlaflosigkeit (n=8) und die wiederholte Erinnerung (n=6) am häufigsten.

Bezogen auf die Gesamtzahl der Fragebögen oder der Beschäftigten sind die Zahlen gering: Psychosomatische Belastungen finden sich demnach in 3,0% der Fragebögen. Andererseits gibt es (z.B. durch Großereignisse) lokale Häufungen: 37,8% aller Dortmunder Antworten enthalten Hinweise auf länger dauernde Belastungen.

Zudem besteht im Rettungsdienst immer das Risiko belastender Erfahrungen wie dieser: – ID 142: Verkehrsunfall mit eingeklemmter Person. Fahrzeug brannte.

Der Fahrer ist dabei ums Leben gekommen.

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Folgen und Belastungen (2)

Angesichts der Bedeutung psychosozialer Belastungen für den Einzelnen bleibt der niedrigschwellige Zugang zu Gesprächsangeboten in solchen Fällen eine wichtige Präventivmaßnahme. Dafür sind jedoch nur – an der Fallzahl orientiert – begrenzte Kapazitäten erforderlich.

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Professionelle Distanz und belastende Erfahrungen (1)

Im Rettungsdienst ist (wie in den medizinischen und den Pflegeberufen) eine professionelle Distanz vom Leid der Patienten erforderlich. Ereignisse, die Außenstehende (wie den Verfasser) emotional berühren, werden nicht als besonders belastend geschildert.

Beispiele:– ID 100: Pat. wird betrunken im Wald aufgefunden, weibl. 15 Jahre. Sie

wehrt sich vehement gegen Untersuchung und Herstellen von Transportfähigkeit. Tätliche Angriffe, spucken und Beleidigungen werden nur durch Polizei + NA (Dormium) beherrschbar.

– ID 1: Ehemann hat seine Frau verprügelt! Ist noch am Einsatzort und behindert unsere Arbeit am Patienten. Wurden beleidigt + angegriffen. Polizei noch nicht vor Ort!

– (Der Befragte bemerkt dazu: RD-Alltag!!!)– ID 263: Junge Dame wurde von mehreren Russen vergewaltigt bzw.

versucht zu vergewaltigen. Ein Teil der Anwesenden behinderten das Rettungs-Personal.

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25Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Professionelle Distanz und belastende Erfahrungen (2)

Die professionelle Distanz wird unvermeidlich durchbrochen, wenn man selbst unberechenbaren Gefährdungen ausgesetzt ist oder verletzt wird. Hier besteht auch die Gefahr psychosomatischer Spätfolgen.

Beispiele:– ID 221: Ich hatte mal furchtbare Angst aus dem RTW zu steigen um

einer Person zu helfen weil es auf der Strasse sehr agressiv zuging; und man sich sogar schlug!

– ID 87:Prostituierte wurde im Milieu zusammengeschlagen. Täter drohten uns mit Messern. Weitere Gefährdung d. Schußwaffen…

– ID 15: Wir kümmern uns um einen Obdachlosen Mitbürger. Plötzlich kamen Dritte und behinderten uns bei der Arbeit und beleidigten uns. Ebenso nahmen sie unseren Koffer und kippten ihn aus, des weiteren versuchte man uns zu schlagen.

– ID 68: Angriff ohne Vorankündigung im Treppenhaus mit Eisenstange.– ID104: Überfall auf RTW zwecks Medikamentenbeschaffung (BTM)

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26Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Orte und Situationen, nach Betroffenheit

0,00

0,50

1,00

1,50

2,00

2,50

3,00

3,50

4,00

Psych. N

F

Gastst./

Disco

Hilfl. Pers

.

Schläg.

/Gew.

Demo.

Veranst

.

V erans

t.Ort

Intern.

NF

Verk.Unf.

Unfall

Geschäf

tSchu

le

Landstr.

Autobah

n

Wohnung

öff. Plätz

eStra

ße

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27Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Orte und Situationen, nach Personengruppen

0

0,5

1

1,5

2

2,5

3

3,5

4

Psych. N

F

Gastst./

Disco

Hilfl. Pers

.

Schläg.

/Gew.

Demo.

Veranst

.

V erans

t.Ort

Intern.

NF

Verk.Unf.

Unfall

Geschäf

tSchu

le

Landstr.

Autobah

n

Wohnung

öff. Plätz

eStra

ße

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Zusammenfassung: Situationen und Orte

- Die Versorgung hilfloser Personen und (in zweiter Linie) psychiatrischer Notfälle, bei denen Angriffe durch den Patienten drohen, wird am häufigsten mit Gewalt verbunden.

- Schlägereien und Gewalttaten zählen ebenfalls zu den gefährlichsten Situationen: die Beispiele weisen hier auf Bedrohung durch Tatbeteiligte hin. Internistische Notfälle erscheinen als wenig gewaltträchtig, dennoch bleibt die Wohnung ein relativ konfliktbeladener Einsatzort. Vermutlich schlägt sich hier die relativ oft genannte Situation der Bedrohung durch Angehörige nieder.

- Befragte mit Gewalterfahrungen geben höhere Häufigkeiten an, über die relative Gefährlichkeit der verschiedenen Situationen besteht weitgehend Einigkeit.

- Es gibt jedoch regionale Unterschiede: Einsätze vor Gaststätten und Discos, Schlägereien, Demonstrationen und Großveranstaltungen erscheinen als lokale Probleme des Ballungsraums, Dortmund ist hier besonders betroffen.

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29Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Tageszeiten: Nachteinsätze als Problem

0,00

0,50

1,00

1,50

2,00

2,50

3,00

3,50

06:00- 09:00- 12:00- 15:00- 18:00- 21:00- 0:00-05:59

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30Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Problemorte und –situationen (offene Frage)

0,00%

5,00%

10,00%

15,00%

20,00%

25,00%

30,00%

Stadtvie

rtel

Schwerp

unkte

Gaststä

tten, D

iscos

Veranst

.OrteStra

ße

Wohnung

Alkohol

, Drog

en

Schläge

rei/Gew

alt

hilfl. P

erson

Gruppen

psych.

NF

Verabst

altunge

nKTP

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31Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Problemorte und –situationen: Zusammenhänge

Psychiatri-scher Notfall

Schlägerei, Gewalt

hilflose Person

Gruppen

Stadt-viertel

Gast-stätten, Discos

Schwer-punkte

Veran-staltungs-

orte

Straße

Alko-hol,

Drogen

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32Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Zusammenfassung: Problemorte und -situationen

Problemorte sind Orte, an denen das Risiko besonders hoch ist, mit Patienten unter Alkohol oder Drogen konfrontiert (und von ihnen angegriffen) zu werden, oder in Schlägereien oder andere Gewaltsituationen hineinzugeraten. Das stimmt mit den ausführlich beschriebenen Vorfällen überein, die den Angriff durch bewußtseinsveränderte Patienten als die größte Gefahr darstellen.

Konkrete Problemorte:- Stadtteile mit ungünstiger sozialer Struktur, auch mit hohem

Immigrantenanteil; im Ballungsraum werden spezifische Ortsteile genannt (z.B. Duisburg-Marxloh), in den übrigen Bereichen mehr allgemein (z. B. „soziale Brennpunkte“).

- Es gibt im Ballungsraum konkrete Drogen- und Alkoholikertreffpunkte. Durchgängig wird jeweils der Hauptbahnhof genannt, in Bonn zusätzlich das „Bonner Loch“ und bestimmte Übergangsheime.

- Auch Einsätze im Umfeld von Gaststätten und Diskotheken gelten als gefährlich.

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33Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Problemgruppen (offene Frage)

0,00%

10,00%

20,00%

30,00%

40,00%

50,00%

60,00%

70,00%

Ausländ

er

Obdac

hl./Alk.

Polit. G

r.

Fußba

llfans

Krimine

lle

Umstehe

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Angeh

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zif.

ande

re

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34Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Aufschlüsselung: Ausländer als Problemgruppe

63,28%

28,91%

14,84%

21,88%

0,00%

10,00%

20,00%

30,00%

40,00%

50,00%

60,00%

70,00%

Ausländer gesamt ..dav on Südländer ..dav on Moslems ..dav on Osteuropäer

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35Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Problemgruppen und –situationen: Zusammenhänge

StreitUnter-schicht

allgemein

Alkoholiker

intern./med.Notfall

Kranken-transport

Alkohol,Drogen

Ausländerallgemein

"a lle Einsätze"

Oste urop äer,"Russen"

weibl.Patien ten

Religiöse

"Tür ken " etc.

Mo sle msKommu -

nikations-probleme

Polit.Gruppen

Demonstr.,Großveran-staltungen

Kriminelle Schlägerei,Gewalt

Fans

Angehö-r ige,

Freunde

psychiatr.Notfall

Unbeteiligte

Straße,Verkehr

Alte Leute

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36Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Hilfreiche Maßnahmen

0,00%

10,00%

20,00%

30,00%

40,00%

50,00%

60,00%

70,00%

Öffentlic

hkeitsa

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Selbstv

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psycho

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ere

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37Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Maßnahmen: Interpretation (1)

- Im Mittelpunkt der Maßnahmenvorschläge steht die Verbesserung der aktiven Handlungskontrolle (Beherrschen der Situation) durch Verbesserung der eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten.

- In zweiter Priorität wird der Schutz durch Polizei und Justiz sowie bessere Möglichkeiten zum Selbstschutz eingefordert. Beim Thema Selbstschutz besteht Klärungsbedarf: Während der Wunsch nach passiven Schutzmöglichkeiten (Schutzwesten) im Zusammenhang mit den berichteten Gefahrensituationen nachvollziehbar und unproblematisch erscheint, ist der damit verbundene Wunsch nach Selbstverteidigungswaffen und erweiterten Kompetenzen in Notwehrsituationen diskussionsbedürftig – die Rollen von Rettungsdienst und Ordnungsbehörden sollten nicht vermischt werden.

- Ein besseres Verständnis von Konfliktsituationen hat bei den Befragten einen geringeren Stellenwert. Analysen und Informationen zu diesem Thema gehören aber in den Kontext der Deeskalation im Umgang mit dem Patientenumfeld.

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38Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Maßnahmen: Interpretation (2)

- Der sehr niedrige Wert für alle Betreuungsmaßnahmen – auch im Vergleich mit Maßnahmen zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit und zum Selbstschutz – ist angesichts der geringen Anzahl berichteter psychosomatischer Beeinträchtigungen verständlich. Zudem wird die Inanspruchnahmen von Betreuung nicht unbedingt als Weg zu mehr Handlungskontrolle gesehen, sondern kann auch als Eingeständnis der Schwäche gemieden werden.

- In den Antworten kommen psychische und psychosomatische Beeinträchtigungen aber sehr wohl vor. Angesichts der Bedeutung solcher Beeinträchtigungen für die Betroffenen sollte das Thema nicht vernachlässigt werden. Große Beratungskapazitäten sind dafür nicht erforderlich, aber dem Einzelnen sollte ein niedrigschwelliger, sozial akzeptierter und allgemein bekannter Zugang zu externer Beratung(counseling) zur Verfügung stehen, um Spätfolgen zu vermeiden.

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39Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Erste Überlegungen: Empfehlungen anhand der Ergebnisse (1)

– Fortbildungen und Trainings sollten auf häufige Gefahrensituationen zugeschnitten werden.

– Thema: Verhalten bei Patientenangriff – Selbstverteidigung, rechtliche Situation (Was ist in Notwehrsituationen erlaubt, was nicht?). Selbstverteidigung muss geübt werden, Information reicht nicht.

– Thema: Deeskalation – Kommunikation mit dem Umfeld des Patienten (Angehörige, Freunde, etc.). In diesem Zusammenhang sollten die besonderen Schwierigkeiten und das Unbehagen im Umgang mit einem„fremdartigen“ Patientenumfeld thematisiert werden, z. B. mithilfe von Rollenspielen. Mittelfristig wäre ein höherer Anteil von Rettern mit entsprechendem Immigrationshintergrund hilfreich, für die das Umfeld nicht „fremdartig“ ist.

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40Behinderungen und Angriffe bei Rettungseinsätzen |Regional- und Landesgeschäftsstelle NRW |März 2011

Empfehlungen anhand der Ergebnisse (2)

- Thema: Selbstschutz – Verhaltensregeln für Rettungsdienstler in Gewaltsituationen.

- Eine Diskussion über passive und aktive Schutzausrüstung ist notwendig. Passiver Selbstschutz (z. B. Schutzwesten) kann in bestimmten Gefahrensituationen wie Schlägereien, bewußtseinsveränderte Patienten, PsychKG die subjektive und objektive Sicherheit verbessern.

- Problematisch ist, dass der Wunsch nach Schutzausrüstung zum Teil mit dem Wunsch nach Selbstverteidigungswaffen gekoppelt ist. Die Abgrenzung der Rollen des Rettungsdienstes und der Ordnungsbehörden sollte diskutiert und geklärt werden.

- Ein niedrigschwelliger, im Verband und den Wachen sozial akzeptierter Zugang zu externer Beratung im Falle psychischer und psychosomatischer Beeinträchtigung sollte angeboten werden. Die Akzeptanz stellt sich nicht von selbst her (Problem: Eingeständnis von Schwäche), sondern muss in Diskussionen vor Ort erarbeitet werden.

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Zusammenfassung: Analyse und Maßnahmen

Gewalt gegen Retter

AngriffBedrohung, Beleidigung,

Beschimpfung

Behinderung

Kontroll-verlust: erlebt

Kontroll-verlust: erwartet

Patient

Alkohol, Drogen

Patienten-umfeld

Tatbe-teiligte

Umstehende

Alkohol, Drogen

"fremd", Ausländer

Problemviertel, Schwerpunkte,

Gaststätten/Disk., Nachteinsatz

Problemviertel

Verlet-zungen, Angst

Angst

Hilflose Person im

öffentl. Raum, psych. NF

Schlägerei, Gewalttaten

Problemviertel, Schwerpunkte, Gastätten, Discos, Veranstaltungen,

Demonstrationen Gaststätten, Nachteinsatz

Verkehrsunfall,"Parken"

niedrigschwelliges Gesprächsangebot

niedrigschwelliges Gesprächsangebot

Deeskalationstraining

Selbstverteidigung, evtl. Schutzausrüstung

Selbstschutz (Verhaltensregeln), Schutzausrüstung

Deeskalationstraining

Deeskalationstraining, Information, Zielgruppe

in RD einbinden.

z. T. längere Belastung

z. T. längere Belastung

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Danksagung

Der Verfasser bedankt sich bei den Bezirksgeschäftsführern der Bezirke Aachen, Bonn, Ruhrgebiet und Westfalen-Lippe und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, deren effiziente Organisationdiese Befragung möglich gemacht hat.

Ein ganz besonderer Dank gilt den Befragten, die sich viel Mühe bei der Bearbeitung des Fragenkatalogs gegeben haben.

Ich hoffe, dass ich Ihre Antworten richtig interpretiert habe und wünsche Ihnen, dass die Ergebnisse zu einer fruchtbaren Diskussion und zu Verbesserungen Ihrer Arbeitssituation führen.

Dr. Wolfgang Heinemann