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Dysphagie Schluckstörungen rechtzeitig erkennen und behandeln Heilberufe Pflege Dossier Beilage in Heilberufe 3/2012 www.heilberufe.de Fortbildung mit Zertifizierung

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DysphagieSchluckstörungen rechtzeitig erkennen und behandeln

HeilberufePflege Dossier

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Fortbildung mit Zertifizierung

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PflegeDossier Dysphagie

gungen, unterschiedlichen Schwere-graden und infolge vielfältiger Ursachen auftreten. Aktuellen Statistiken zufolge leiden in den USA 15 Millionen Ame-rikaner (6–7% der Bevölkerung) an ei-ner Dysphagie [1]. In Deutschland liegt die Häufigkeit von Schluckstörungen bei 7% der Gesamtbevölkerung, in der Gruppe der Über-55-Jährigen sogar bei 16–22% [2]. Damit sind Schluckstö-rungen ein verbreitetes Problem, das in jedem Alter auftreten kann. Bedingt durch physiologische Alterungsprozesse und vor allem als Begleiterscheinung verschiedener Krankheitsbilder sind ältere Menschen jedoch besonders häu-fig betroffen.

Ursachen von SchluckstörungenDas hochkomplexe Geschehen beim Schlucken kann durch zahlreiche und vielfältige Ursachen beeinträchtigt wer-den. Neben organischen Gründen liegt oft auch eine gestörte Steuerung des Schluckvorgangs vor. Am häufigsten

tritt eine Dysphagie infolge einer neu-rologischen Erkrankung auf („neuro-gene Dysphagie“). Häufigste Ursachen sind hier Schlaganfall, Morbus Parkin-son und Schädel-Hirn-Trauma (siehe Abb. unten). Weitere Ursachen sind:

▶ Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen (z.B. Tumore, Entzündungen)

▶ Internistische Erkrankungen (z.B. Speiseröhrenerkrankungen, Gastroösophagealer Reflux)

▶ Medizinische Maßnahmen (z.B. Medikamente, Operationen, Bestrahlungen)

▶ Physiologische Alterungsprozesse (z.B. Abnahme von Muskelkraft)

Auswirkungen auf das SchluckenIn Folge all dieser Ursachen kann es zu Bewegungs-, Sensibilitäts- und Koordi-nationsstörungen der am Kauen und Schlucken beteiligten Organe und Mus-keln kommen. Daraus resultieren zahl-reiche Probleme mit der Gefahr des Verschluckens:

▶ Kauprobleme und unzureichende Nahrungszerkleinerung

▶ Eingeschränkte Nahrungskontrolle und Nahrungstransport im Mund

▶ Verzögerte Auslösung des Schluckre-flexes und vorzeitiges, unkontrol-liertes Abgleiten von Nahrung/Flüs-sigkeiten

▶ Eingeschränkter und verlangsamter Transport durch den Rachen

▶ Eingeschränkte Kehlkopfbewegung mit unvollständigem Verschluss der Luftröhre

▶ Eingeschränkte Öffnung der Speise-röhre

Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; Dossier 22

W ir schlucken normalerweise ganz automatisch und unbe-wusst – bis zu 2.000 Mal am

Tag. Doch das Schlucken ist ein hoch-komplexer Vorgang, der willkürlich initiiert wird und als Reflex abläuft (sie-he Abb. nächste Seite). Wenn in einer Abfolge von fein abgestimmten Bewe-gungen und Mechanismen Nahrung, Flüssigkeiten und Speichel vom Mund in den Magen gelangen, sind 50 Mus-kelpaare und fünf Hirnnerven daran beteiligt. Die zentrale Steuerung des Schluckvorgangs, der sich in vier Phasen einteilen lässt, erfolgt über Schluckzen-tren in verschiedenen Bereichen des Gehirns.

Dysphagie – wenn der Schluck­vorgang gestört ist Bei einer Schluckstörung – oder auch Dysphagie genannt – kommt es zu einer Störung des Schluckvorgangs auf dem Weg vom Mund bis in die Speiseröhre. Eine Dysphagie kann in vielen Ausprä-

Was sind Schluckstörungen?

Viele Ursachen – erhebliche FolgenEssen und Trinken sind nicht nur lebensnotwendig, sondern bereiten uns nebenbei auch Freude und Genuss. Nicht mehr richtig essen und trinken zu können, bedeutet für die Betroffenen daher gleichzeitig eine erhebliche Einschränkung ihrer Lebensqualität. Anstelle von Genuss tritt die Angst vor dem Verschlucken. Mitunter muss sogar ganz auf die orale Nahrung verzichtet wer-den. Doch wie entstehen Schluckstörungen?

(Que

lle [3

, 4, 5

])

Schlaganfall

Morbus Parkinson

Schädel-Hirn-Trauma

Kopf-Hals-Tumore

Multiple Sklerose

Demenz

0 10 20 30 40 50 60

über 50% (Akutphase)

ca. 50%

ca. 50%

ca. 45%

ca. 40%

ca. 50%

Häufige Ursachen von Dysphagien

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Die SchlUckPhASen

Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; Dossier 2 3

▶ Ansammlung von Nahrungsresten im Rachen und am Eingang von Luft- und Speiseröhre

▶ Eingeschränkte Schutzreflexe und Rei-nigungsfunktionen (Husten, Räus-pern)

Folgen von SchluckstörungenTrotz ihrer Verbreitung bleiben Schluck-störungen oft unerkannt. Das führt häu-fig zu schwerwiegenden bis lebensbe-drohlichen Folgeerkrankungen. Sie reichen von Mangelernährung und De-hydratation über chronische Bronchitis bis zu schweren Lungenentzündungen. Aus Angst vor dem Verschlucken ver-weigern viele Betroffene die Nahrungs-aufnahme oder ziehen sich von Mahl-zeiten zurück, was zu sozialer Isolation und Depressionen führen kann und so auch die Lebensqualität einschränkt.

hauptproblem Aspiration Bei einer Dysphagie kann es in allen vier Schluckphasen dazu kommen, dass vor, während und nach dem Schlucken Spei-chel, Nahrung und Flüssigkeiten in die Atemwege und in die Lunge gelangen (siehe Abb. unten). Dieses Verschlucken in die Lunge bezeichnet man auch als Aspiration, das gefährlichste Symptom einer Dysphagie. Normalerweise schützt uns der Hustenreflex, wenn Nahrung in die obere Luftröhre gelangt und beför-dert diese durch Hochhusten wieder in den Rachen, worauf ein spontanes Schlucken erfolgt. Kommt es jedoch zu wiederholten Aspirationen, kann eine Lungenentzündung entstehen, die As-pirationspneumonie. Daher ist es äu-ßerst wichtig, frühzeitig auf Anzeichen einer Aspiration zu achten.

Besonders problematisch ist die „stil-le Aspiration“, wenn infolge von Läh-mungen oder Sensibilitätsstörungen beim Verschlucken der spontane Hu-stenreflex ausbleibt. Eine „stille Aspira-tion“ kann leicht übersehen werden, da auch andere Anzeichen einer Dysphagie fehlen können. Plötzliches Fieber und eine Lungenentzündung unklarer Ursa-che sind dann häufig die ersten Hinwei-se, die sofort ärztlich abgeklärt werden müssen.

Orale Vorbereitungsphase (Mundphase 1): Die Nahrung wird zer-kleinert und zum Schlucken vorbereitet.

Orale Transportphase (Mundphase 2): Die Zunge befördert die Nahrung nach hinten. Der Schluck-reflex wird ausgelöst.

Pharyngeale Phase (Rachenphase): Die Nahrung wird durch den Rachen transportiert. Der Kehlkopf schließt.

Ösophageale Phase (Speiseröhrenphase): Die Nahrung wird in die Speiseröhre befördert und gelangt in den Magen.

▶ Husten vor, während oder nach dem Schlucken

▶ Feuchte, gurgelige, rauhe Stimme

▶ Verstärkte Verschleimung

▶ Gurgelnde, rasselnde Atemgeräusche

▶ Kurzatmigkeit, Pulsbeschleunigung

Wor An erkennen Sie eine ASPir Ation?

Aspiration: Bei einer Aspiration ge-langt während des Schluckvorgangs versehentlich Nahrung in die Luft-röhre und Atemwege. Ursache ist meist ein mangelnder oder fehlen-der Kehlkopfverschluss.

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PflegeDossier Dysphagie

Diagnostik und Therapie

Schluckstörungen rechtzeitig erkennen und behandeln

D ie Dysphagiediagnostik ist eine interdisziplinäre Aufgabe, die aus ärztlichen und logopä-

dischen/schlucktherapeutischen Ana-mnesegesprächen und Untersuchungen besteht. Apparative Verfahren wie die Fiberendoskopisch evaluierte Schluck-

Eine Schluckstörung äußert sich nicht immer eindeutig und wird daher vor allem bei alten Menschen oft über längere Zeit übersehen. Deshalb sollte – auch im Rahmen der pflege-rischen Versorgung – ein besonderes Augenmerk auf der Früherkennung von Schluck- störungen liegen. Eine gute Patientenbeobachtung und einfache Screeningtests für die Pflegepraxis helfen hier schnell weiter.

prüfung (FEES) und die Videofluoro-skopische Schluckuntersuchung (VFSS) ergänzen die Diagnostik.

Verschiedene direkte und indirekte Symptome können im Pflegealltag da-rauf hinweisen, bei welchen Patienten eine genauere Abklärung des Schluck-

vorgangs sinnvoll ist. Zu den indirekten Anzeichen für das Vorliegen einer Schluckstörungen zählen:

▶ Gewichts- und Flüssigkeitsverlust ▶ Mangelernährung ▶ Bronchitis ▶ Plötzliches Fieber unklarer Genese ▶ Lungenentzündung.

Doch nicht jeder Dysphagiepatient ent-wickelt solche Symptome, häufig treten sie auch zeitlich verzögert auf. Pflege-kräfte sollten daher verstärkt auf direkte Anzeichen für eine Dysphagie achten:

▶ Häufiges Verschlucken an Speichel, bestimmten Speisen oder Getränken

▶ Häufiges Räuspern oder Husten, bis hin zu Hustenanfällen z.T. mit Atem-not

▶ Ungewollter Speichel- bzw. Nahrungs-austritt aus dem Mund

▶ Niesen beim Essen, Austritt von Spei-chel/Nahrung/Flüssigkeit aus der Nase

▶ Nahrungsansammlungen und -reste im Mund und Rachen

▶ Kloßgefühl im Hals ▶ Gurgelnder, d.h. feucht klingender Stimmklang beim Sprechen

▶ Brodelnde, rasselnde Atemgeräusche ▶ Langsames Essen und Aufnahme von zu geringen Nahrungsmengen.

Anzeichen erkennen – So stellen Sie die richtigen FragenHinweise auf Schluckprobleme erhält man oft schon durch einfache Fragen an den Betroffenen und/oder seine Ange-

Dysphagie-Patient

Physiotherapeuten

Sanitätshäuser

Diätassistenten/Ernährungsberater

Logopäden

Ärzte

PflegeAngehörige

Sozialdienste Ergotherapeuten

Behandlung von Dysphagien im interdisziplinären Team

Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; Dossier 24

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(siehe Abb. vorherige Seite). Bei der Um-setzung der Behandlungskonzepts über-nehmen Pflegende eine entscheidende Rolle. Ziel der Therapie ist die Sicher-stellung der Ernährung, der Schutz der unteren Atemwege und das Erreichen der größtmöglichen Lebensqualität.

Die Behandlung erfolgt nach ärzt-licher Verordnung und wird von Logo-päden beziehungsweise Schluckthera-peuten durchgeführt. Sie basiert auf drei parallel durchgeführten Therapiebe-reichen mit Übungen und Maßnahmen zur Wiederherstellung der gestörten Funktionen (Kausale Therapie), zur Er-leichterung des Kauens und Schluckens (Kompensatorische Maßnahmen) oder zur Anpassung der Umwelt an die Stö-rung (Adaptive Hilfen).

hörigen, beispielsweise: Müssen Sie beim Essen und Trinken husten und verschlu-cken Sie sich häufig? Haben Sie Pro-bleme beim Kauen? Macht es Mühe, einen Bissen auf einmal runterzuschlu-cken? Verbleiben oft Speisereste in der Wange und/oder verspüren Sie ein Kloß-gefühl im Hals? Sind die Mahlzeiten für Sie anstrengend? Oder: Haben Sie in der letzten Zeit eine Gewichtsabnahme fest-gestellt?

Schluck­Screening durch PflegekräftePflegekräften kommt im interdiszipli-nären Schlucktherapieteam eine wich-tige Funktion zu: Bei der Aufnahme des Patienten stellen sie oft als erste fest, ob Anzeichen für eine Schluckstörung vor-liegen, leiten dann erste Maßnahmen zum Aspirationsschutz ein und initiie-ren die fachspezifische Schluckdiagnos-tik und -therapie durch den Arzt und die Logopädin/Schlucktherapeutin. Da eine Logopädin jedoch nicht in allen Fällen und sofort zur Verfügung steht, kann bei Verdacht auf eine Dysphagie auch von geschulten Pflegekräften ein erstes Schluck-Screening durchgeführt werden.

Bei der Überprüfung des Schluckvorgangs ist ein spezi-fisches Vorgehen mit einem klar definierten Ablauf notwendig. So muss zunächst geprüft werden, ob der Patient die Voraussetzungen für ei-nen Schlucktest und damit für eine ora-le Nahrungsaufnahme erfüllt:

▶ Der Patient ist wach und ansprechbar. ▶ Er kann 15 Minuten aufrecht sitzen. ▶ Er ist in der Lage zu husten, sich zu räuspern und seinen Speichel zu schlucken.

▶ Es liegt keine Lungenentzündung unklarer Ursache vor.

Sind all diese Punkte gewährleistet, wer-den verschiedene Tests zur Überprüfung der Schluckfähigkeit durchgeführt (sie-he Kasten links), die ggf. auch wieder-holt werden müssen.

Schluckstörungen sind behandelbarDie Therapie einer Schluckstörung er-folgt durch ein interdisziplinäres Team, in dessen Mittelpunkt der Patient steht

Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; Dossier 2 5

Wichtig: Vor der Durchführung des Schluck-Screenings muss geprüft werden, ob die Kriterien zur oralen Nahrungsaufnahme erfüllt sind: Der Patient 1. ist wach und ansprechbar, 2. kann 15 Minuten aufrecht sitzen, 3. kann willkürlich husten und sich

räuspern, 4. kann seinen Speichel schlucken

und5. hat keine Lungenentzündung un-

klarer Ursache.

Test 1: Der LöffeltestKann der Patient einen Teelöffel (angefeuchtet) ablecken?

Ja: Dann Test 2 und 3 durchführen.

Nein: Löffeltest mehrmals wiederho-len; Arzt und Logopädin/Schluckthe-rapeutin informieren.

Test 2: Der WassertestKann der Patient 1. mehrere Löffel Wasser schlucken? 2. mehrere Schlucke Wasser hinterei-

nander trinken?3. den Wassertest problemlos und

ohne Verschlucken bewerkstelli-gen?

Ja: Dann alle Getränke möglich, aber Test innerhalb von zwölf Stunden wie-derholen.

Nein: Dann Arzt und Logopädin/Schlucktherapeutin informieren; ge-eignete Schluckhilfen absprechen und einleiten, z.B. Getränke andicken und Trinkhilfen auswählen.

Test 3: Die Schluckprüfung (Kostform und Konsistenz)Kann der Patient 1. mehrere Teelöffel Apfelmus

schlucken?2. ein Stück Graubrot kauen und

schlucken?3. ein Stück Apfel kauen und

schlucken?4. die Schluckprüfung problemlos und

ohne Verschlucken bewerkstelli-gen?

Ja: Dann Vollkost möglich, aber am er-sten Tag noch unter Aufsicht essen.

Nein: Dann Arzt und Logopädin/Schlucktherapeutin informieren; geeignete Kost und Konsistenz fest- legen (z.B. weichere Kost), Schluck- und Esshilfen einleiten.

SchlUck-Screening

Literatur1. Bigenzahn W., Denk D.-M. Oropharynge-

ale Dysphagien. Thieme Verlag 19992. Kuhlemeier KV. Epidemiology and dys-

phagia. Dysphagia 1994;9:209-2173. Prosiegel M. Neurogene Dysphagien.

Leitlinien 2008 der DGNKN4. Easterling C.S., Robbins E. Dementia and

dysphagia. Geriatr. Nurs, 20085. Garcia-Peris P. et al. Long-term preva-

lence of oropharyngeal dysphagia in head and neck cancer patients: Impact on quality of life. Clin Nutr. 2007;26:710-717.

6. Bartolome G., Schröter-Morasch H. Dys-phagie – Diagnostik und Rehabilitation. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, 2006

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PflegeDossier Dysphagie

Pflegerische Assistenz

Geben Sie dem Patien -ten Hilfestellungen

L angjährige Erfahrungen in der Therapie von Schluckstörungen haben gezeigt, dass ein Schluck-

problem oft schon durch die richtige Körper- und Kopfhaltung behoben wer-den kann. Auf folgende Sitzhaltung ist zu achten:

▶ Der Patient sitzt aufrecht und gerade, ▶ der Oberkörper ist aufgerichtet, ▶ der Rücken ist angelehnt (ggf. Kissen im Rückenbereich),

▶ der Nacken gestreckt (ggf. mit kleinem Kissen/Nackenrolle unterstützen),

▶ die Arme liegen angewinkelt auf dem Tisch,

▶ der Kopf ist leicht nach vorne gebeugt und das Kinn nach unten gesenkt.

Diätetische Maßnahmen als Behandlungsgrundlage Diätetische Maßnahmen spielen in der Dysphagie-Therapie eine zentrale Rolle. Sie müssen sofort eingeleitet werden und dienen der Aufrechterhaltung der oralen Nahrungszufuhr.

Zentrales Anliegen ist die Bereitstel-lung der „richtigen Kost“. Dabei ist es essentiell, Kostart und Nahrungskonsi-

Einfache Maßnahmen können das Schlucken erheblich erleichtern. Alle Strategien zielen darauf ab, dass der Betroffene nährstoffreiche Kost in der richtigen Konsistenz und in ausreichenden Mengen schlucken kann. Oberstes Ziel: Aspirationen vermeiden.

stenz dem Schluckvermögen individuell anzupassen. Die therapeutische Rele-vanz diätetischer Maßnahmen basiert auf zahlreichen wissenschaftlichen Un-tersuchungen und langjährigen Erfah-rungen, die den positiven Einfluss diä-tetischer Faktoren auf das Kauen, die Speichelsekretion, die Auslösung des Schluckreflexes und die gesamte Schluckpassage nachweisen. Oberstes Ziel der diätetischen Maßnahmen ist: Sicheres Schlucken einer nährstoff-reichen und appetitlichen Kost in aus-reichenden Mengen, die den individu-ellen Energiebedarf abdeckt.

inhalte diätetischer Maßnahmen1. Nahrungsmittelauswahl

▶ Abhängig vom Schweregrad der Dys-phagie auswählen und individuell austesten

▶ Keine „Problemkost“ mit Körnern, Fasern, Krusten, Kernen, Schale etc. sowie keine zu trockene, krümelige, klebrige oder zu glatte Kost (keine Götterspeise)

▶ Keine „Mischkonsistenzen“ (z.B. Eintopf, Nudelsuppe etc.)

▶ Nahrungsmittel, die „Feedback“ geben im Mund (Widerstand beim Abbei-ßen, feste Kost mit Kauanreiz)

▶ Orientierung an den individuellen Kostvorlieben

2. KonsistenzHäufig wird die feste Kost nicht genug gekaut, ist nicht ausreichend gleitfähig und kann somit im Rachen hängen blei-ben. Deshalb sollte sie zerkleinert, zer-drückt, püriert oder sogar gesiebt/pas-siert werden. Daraus ergeben sich ver-schiedene Koststufen, die inhaltlich klar definiert sind (siehe Kasten) und je nach Schweregrad und Ausprägung der Schluckstörung individuell ausgewählt werden können. Bei einer Verbesserung oder Verschlechterung des Schluckver-mögens wird die Koststufe entsprechend angepasst.

Weil Flüssigkeiten zu schnell fließen, schlecht im Mund zu kontrollieren sind und vorzeitig in den Rachen abgleiten, sollten Getränke – von nektar- bis pud-dingartig – angedickt werden (z.B. mit dem Andickungsmittel Thick & Easy; Fresenius Kabi Deutschland GmbH).

3. Aussehen, Geschmack, Geruch und Temperatur

Appetitliches Aussehen sowie ange-nehmer Geschmack und Geruch der Nahrung motivieren zum Essen und fördern die Speichelbildung. Dadurch wird das Schlucken erleichtert und der Appetit angeregt. Auch Säuerliches regt die Speichelbildung an und wirkt so günstig auf die Auslösung des Schluck-reflexes und die Transportpassage. Milchspeisen und sehr süße Speisen sollten bei Aspirationsgefahr zunächst reduziert werden. Das Aspirat dieser Nahrungsmittel kann rasch zu Lungen-entzündungen führen.

Auch die Temperatur der Nahrungs-mittel spielt eine bedeutende Rolle. So werden kühle und sehr warme Speisen besser wahrgenommen als lauwarme und können leichter geschluckt werden.

4. Die richtige SchluckmengeStudien zufolge wird ein Volumen von 5 ml (ein gehäufter Teelöffel) am besten geschluckt. Größere Bolusmengen be-wirken zudem eine längere Öffnung der

Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; Dossier 26

▶ Stufe 1: Passierte Kost – ganz fein püriert, passiert und dünnbreiig

▶ Stufe 2: Pürierte Kost – dünn- bis dickbreiig

▶ Stufe 3: Sehr weiche Kost – bietet Kauanreiz, mit der Zunge noch zerdrückbar

▶ Stufe 4: Weiche Kost – leicht zu kauen, gut gleitende, feuchte Kost

▶ Stufe 5: Adaptierte Vollkost – alle Kost ohne Körner, Krusten etc.

koStStUFen Bei SchlUckStörUngen

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Christine Gebert LogopädinAsklepios Klinik HarburgEissendorfer Pferdeweg 5221075 Hamburg

Speiseröhre. Bei Patienten mit redu-zierter, aber noch erhaltener Kaufähig-keit sollte feste Nahrung nicht zu sehr zerkleinert und zerdrückt werden. So bietet sie noch einen Kauanreiz. Zudem sollte sich die Löffelmenge an der indi-viduellen Essgewohnheit des Betrof-fenen orientieren.

5. Nährstoffreiche und appetit anregende Kost

Gerade bei Menschen mit Schluckstö-rungen ist die Gefahr einer Mangeler-nährung groß. Daher wird in Zusam-menarbeit mit Diätassistenten, Ernäh-rungsberatern, Küche und Logopäden ein Dysphagiekostplan mit ausgewähl-ten Nahrungsmitteln erstellt. Daraus werden die täglichen Menüs unter Be-achtung des Nährstoffbedarfs und einer abwechslungsreichen Kost zusammen-gestellt. Ein appetitanregendes und op-tisch ansprechendes Darreichen auf dem Teller ist – gerade bei Breikost – wichtig. Beispielweise können pürierte Speisen angedickt und anschließend mit Hilfe von Spritztüllen oder Förmchen in eine appetitliche Form gebracht werden.

6. Abdeckung des EnergiebedarfsDysphagie-Patienten essen oft nicht nur einseitig, sie nehmen infolge größerer Anstrengung beim Essen auch zu ge-ringe Mengen und damit zu wenige Kalorien auf. Pflegekräfte müssen daher die aufgenommene Nahrungsmenge „im Blick“ behalten.

Bei mangelernährten Patienten kann mit angedickten vollbilanzierten Pro-dukten gegengesteuert werden (z.B. Fresubin® Crème; Fresenius Kabi Deutschland GmbH). Ob eine Mange-lernährung droht, lässt sich bereits mit vier einfachen Fragen abschätzen:

▶ Ist der BMI (Body Mass Index) < 20,5? ▶ Gab es einen Gewichtsverlust in den letzten drei Monaten?

▶ War die Nahrungsaufnahme in der letzten Woche reduziert?

▶ Liegt eine schwere Krankheit vor?Werden eine oder mehrere Fragen mit „Ja“ beantwortet, kann eine Mangeler-nährung vorliegen. In diesem Fall sollte ein Ernährungsassessment durchgeführt und der behandelnde Arzt informiert werden.

Die Mahlzeiten dauern bei Dyspha-giepatienten oft lange und viele benöti-gen dabei Unterstützung. Gute Vorbe-reitung und die Verwendung von ein-fachen Hilfsmitteln können die Nah-rungsaufnahme aber erheblich erleich-tern (siehe Kasten).

▶ Schluckstörungen (Dysphagien) sind sehr häufig, vor allem bei äl-teren Menschen und infolge neuro-logischer Erkrankungen.

▶ Die spezifischen Anzeichen werden leicht übersehen. Die Folge sind ernstzunehmende Erkrankungen bis hin zu lebensbedrohlichen Lun-genentzündungen.

▶ Im Pflegealltag sollte stets auf Früh-zeichen eines Schluckproblems ge-achtet werden. Beim ersten Ver-dacht ist ein Arzt hinzuzuziehen, der eine Schlucktherapie einleitet

FAZit FÜr Die PFlege

Heilberufe / Das Pflegemagazin 2012; Dossier 2 7

Vorbereitung

▶ Brille, Hörgerät, gut sitzende Zahn-prothese

▶ Esshilfen bereitstellen, die ein selbst-ständiges Essen ermöglichen und das Schlucken erleichtern (z.B. Teelöffel, Warmhalteteller, Antirutschfolie, Griff-verdickungen, spezielle Trinkbecher, ein kurzer und dünner Strohhalm)

▶ Aufrechte Sitzposition herstellen

▶ Richtige Kost und Konsistenz steht sichtbar vor dem Patienten; Speisen benennen, daran riechen und kosten lassen, evtl. nachwürzen

▶ Kleine Portion nehmen; mit gut zu schluckender Konsistenz beginnen

▶ Feste Kost muss gut zu kauen und ein-zuspeicheln sein

Assistierte Nahrungs aufnahme

▶ Einen gehäuften Teelöffel nehmen, ggf. die Lippen berühren (fördert die Mundöffnung), Löffel auf die Zunge führen und leicht drücken (fördert Schluckreflex), bei nicht spontanem Schlucken zum Schlucken auffordern

▶ Bei Patienten mit Hemiparese und ein-seitigen Sensibilitätsstörungen die Nahrung grundsätzlich von der gesun-den Seite reichen. Die Kost im Mund auf der intakten Zungenseite positio-nieren und mit Kopfneigung zur ge-sunden Seite schlucken lassen. Beim Schlucken über die gelähmte Seite besteht größte Aspirationsgefahr.

▶ Auffordern zum „kraftvollen Schlu-cken“ mit gleichzeitigem Kopfbeugen

▶ Stimmprobe durchführen: Nach dem Schlucken sofort „O“ sagen lassen. Klingt die Stimme feucht, den Pati-enten zum Räuspern und Nachschlu-cken auffordern.

▶ Vollständiges Schlucken kontrollieren: Befinden sich noch Nahrungsreste im Mund, erneut nachschlucken lassen und ggf. auf weichere Konsistenz wechseln. Der Mund muss vor der nächsten Portion leer sein.

▶ Dem Patienten beim Essen viel Zeit lassen; bei Ermüdung Pausen einle-gen, sich unterhalten. Nie gleichzeitig essen und sprechen.

▶ Bei Husten und Verschlucken ruhig bleiben, nicht auf den Rücken klopfen. Verschlucken macht Angst; der Patient soll sich bei ihnen sicher fühlen.

▶ Tabletten lassen sich mit breiiger Kost (z.B. Apfelmus, leicht angedickte Ge-tränke) oft leichter schlucken.

▶ Nach dem Essen soll der Patient noch circa 20 Minuten aufrecht sitzen

▶ Mundinspektion: Nahrungsreste ent-fernen und anschließend Mundpflege durchführen, Zahnprothese reinigen

▶ Informationen zu Schluckfähigkeit, Problemen beim Essen und Nahrungs-menge dokumentieren und im Team weitergeben.

eSSen reichen – tiPPS FÜr Die Pr AxiS

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1. Welche Aussage trifft zu?A Schlucken ist ein einfacher Prozess,

der sich willkürlich steuern lässt.B Der Schluckvorgang ist ein hoch-

komplizierter Vorgang, der willkürlich initiiert wird und als Reflex abläuft.

C Der Schluckvorgang wird nicht im Gehirn gesteuert.

2. Welche Aussage zum Auftreten von Schluckstörungen ist korrekt?

A Schluckstörungen äußern sich immer eindeutig.

B Schluckstörungen werden meist früh erkannt.

C Die ersten Anzeichen einer Schluck-störung werden oft nicht wahrge-nommen.

3. gelangt nahrung in die lunge, nennt man das

A DysphagieB PneumonieC Aspiration

Fragebogen

Dysphagie4. Welches Symptom weist auf das

Vorliegen einer Dysphagie hin?A Häufiges Husten und VerschluckenB Schluckauf C Halsentzündung

5. ein Schlucktest kann ...A ... nur vom Arzt durchgeführt werden. B ... auch bei Patienten, die keinen Hu-

stenreflex haben, erfolgen.C ... nur bei wachen und ansprechbaren

Patienten durchgeführt werden.

6. Beim Schluckscreening erfolgt der Wassertest ...

A ... vor dem Löffeltest.B ... nach dem Löffeltest.C ... am Ende des Schluckscreenings.

7. Welche grundsätzliche kopfhaltung fördert ein sicheres Schlucken?

A Kopf nach oben rechts drehenB Kopf nach vorne beugenC Kopf in den Nacken legen

8. Welche Aussage zu den diäte­tischen Maßnahmen bei Schluck­störungen ist richtig?

A Säuerliche Speisen führen zu zähem Speichel.

B Lauwarme Speisen werden gut wahr-genommen und geschluckt.

C Speisen mit Körnern/Fasern und Mischkost sollten vermieden werden.

9. Bei Schluckstörungen ...A ... erhalten die Patienten immer Nah-

rung der Koststufe 1.B ... erhalten die Patienten grundsätz-

lich pürierte Kost.C ... orientiert sich die Koststufe am

Schweregrad der Dysphagie.

10. Wann sollte man getränke bei Schluckstörungen andicken?

A Wenn beim Trinken oft gehustet wird. B Wenn keine Zähne im Mund sind.C Wenn sie Kohlensäure enthalten.

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