Beitrag von Götz Siedler

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EINMISCHEN IST ANGESAGT Mitbestimmen, sich einmischen, seine Ideen einbringen – das alles dürfen wir heute. Historisch gesehen ist dies jedoch keine Selbstverständlichkeit. Viele Jahrtausende lang galt: ein Herrscher entscheidet, das Volk hat zu gehorchen. Doch dauerhaft lässt sich das Freiheitsstreben nicht unterdrücken! Der Mensch möchte von seinem angeborenen Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch machen und nicht von korrupten Regimen bevormundet werden. Dieser drängende Wunsch nach persönlicher Entfaltung und Demokratie lässt momentan die Throne arabischer Despoten wackeln. In Deutschland sind solche Kämpfe ebenfalls über Jahrhunderte geführt worden – und haben ihre Opfer gefordert. Trotzdem aber lebte auch das deutsche Volk – nicht gänzlich unschuldig – jahrtausendelang in furchtbarer Unfreiheit und hatte unter Fürsten, Königen, Kaisern und Diktatoren zu leiden. Im Osten unserer heutigen Heimat hatten die Menschen sogar bis zum Untergang der DDR 1989/90 keine echten Mitspracherechte und somit keine Möglichkeit, Gesellschaft und Politik mitzubestimmen. Meine Generation ist also die erste, die Individualismus für selbstverständlich hält. Doch wie kann man sich Gehör verschaffen? Wofür sollte man eintreten? Was darf und was muss man eigentlich selbst entscheiden? Mitbestimmung beginnt im Alltag. Im Gespräch mit Freunden, in der Familie oder auch bei Diskussionen über ein schulisches Projekt – zum Beispiel das Ziel der nächsten Klassenfahrt - entwickelt man schon als Kind und Jugendlicher die Fähigkeit, für seine Überzeugungen einzutreten. Hier wird man auch mit ersten Problemen konfrontiert. Es ist umso wichtiger, eine Diskussionskultur zu pflegen; andere Ansichten zu tolerieren – zugleich aber für seine eigenen zu kämpfen. Und dies ist vielleicht das Schwierigste am demokratischen Prozess - aber auch das Bedeutendste. An dieser Stelle möchte ich das siebte der „Zehn Gebote eines Liberalen“, die der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell 1951 veröffentlichte , zitieren, welches lautet: „Fürchte dich nicht davor, exzentrische Ansichten zu vertreten; jede heute anerkannte Ansicht war einmal exzentrisch.“ Wer schon einmal als Einziger gegen die Meinung der Masse ankämpfen musste, weiß jedoch wie schwierig es ist, diesem Gebot Folge zu leisten. Aber tatsächlich kann nur das eigene Denken zu einer persönlichen Meinung führen – dies verlangt zwar eine gewisse Recherche über gesellschaftliche Themen, Engagement, Mut und Intelligenz; ist für einen Meinungspluralismus, der zur Demokratie zwingend gehört, jedoch unerlässlich. Zugleich darf man aber nie vergessen, dass aus genannten Gründen auch die Wichtigkeit des Anerkennens anderer Meinungen hervorgeht. In Rechtsstaaten, welche Meinungsfreiheit garantieren, hat Gewalt gegen Andersdenkenke folglich keinen Platz – schließlich könnten auch die Überzeugungen des anderen richtig sein. Diese Gebote der Toleranz einerseits und des selbstbewussten Repräsentierens seiner Auffassungen andererseits gilt es zu beachten, wenn man sich an politischen und gesellschaftlichen Diskursen beteiligt. Dies geschieht schon auf unterster Ebene beim Debattieren mit Freunden, welche man von seinen Ansichten überzeugen möchte. Wer seine Meinung darüber hinaus gerne einer breiteren Öffentlichkeit kund tun möchte, der kann dies durch Verfassen von Zeitungsartikeln oder Leserbriefen tun. Außerdem besteht die Möglichkeit der Teilnahme an einer Demonstration. Die Grundrechte, die dem Bürger solcherlei erlauben (Rede-; Presse- und Versammlungsfreiheit) und

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EINMISCHEN IST ANGESAGT

Mitbestimmen, sich einmischen, seine Ideen einbringen – das alles dürfen wir heute. Historisch

gesehen ist dies jedoch keine Selbstverständlichkeit. Viele Jahrtausende lang galt: ein Herrscher

entscheidet, das Volk hat zu gehorchen.

Doch dauerhaft lässt sich das Freiheitsstreben nicht unterdrücken! Der Mensch möchte von seinem

angeborenen Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch machen und nicht von korrupten Regimen

bevormundet werden. Dieser drängende Wunsch nach persönlicher Entfaltung und Demokratie lässt

momentan die Throne arabischer Despoten wackeln. In Deutschland sind solche Kämpfe ebenfalls

über Jahrhunderte geführt worden – und haben ihre Opfer gefordert. Trotzdem aber lebte auch das

deutsche Volk – nicht gänzlich unschuldig – jahrtausendelang in furchtbarer Unfreiheit und hatte

unter Fürsten, Königen, Kaisern und Diktatoren zu leiden. Im Osten unserer heutigen Heimat hatten

die Menschen sogar bis zum Untergang der DDR 1989/90 keine echten Mitspracherechte und somit

keine Möglichkeit, Gesellschaft und Politik mitzubestimmen.

Meine Generation ist also die erste, die Individualismus für selbstverständlich hält. Doch wie kann

man sich Gehör verschaffen? Wofür sollte man eintreten? Was darf und was muss man eigentlich

selbst entscheiden?

Mitbestimmung beginnt im Alltag. Im Gespräch mit Freunden, in der Familie oder auch bei

Diskussionen über ein schulisches Projekt – zum Beispiel das Ziel der nächsten Klassenfahrt -

entwickelt man schon als Kind und Jugendlicher die Fähigkeit, für seine Überzeugungen einzutreten.

Hier wird man auch mit ersten Problemen konfrontiert. Es ist umso wichtiger, eine Diskussionskultur

zu pflegen; andere Ansichten zu tolerieren – zugleich aber für seine eigenen zu kämpfen. Und dies ist

vielleicht das Schwierigste am demokratischen Prozess - aber auch das Bedeutendste. An dieser

Stelle möchte ich das siebte der „Zehn Gebote eines Liberalen“, die der Mathematiker und Philosoph

Bertrand Russell 1951 veröffentlichte , zitieren, welches lautet: „Fürchte dich nicht davor,

exzentrische Ansichten zu vertreten; jede heute anerkannte Ansicht war einmal exzentrisch.“ Wer

schon einmal als Einziger gegen die Meinung der Masse ankämpfen musste, weiß jedoch wie

schwierig es ist, diesem Gebot Folge zu leisten. Aber tatsächlich kann nur das eigene Denken zu einer

persönlichen Meinung führen – dies verlangt zwar eine gewisse Recherche über gesellschaftliche

Themen, Engagement, Mut und Intelligenz; ist für einen Meinungspluralismus, der zur Demokratie

zwingend gehört, jedoch unerlässlich.

Zugleich darf man aber nie vergessen, dass aus genannten Gründen auch die Wichtigkeit des

Anerkennens anderer Meinungen hervorgeht. In Rechtsstaaten, welche Meinungsfreiheit

garantieren, hat Gewalt gegen Andersdenkenke folglich keinen Platz – schließlich könnten auch die

Überzeugungen des anderen richtig sein.

Diese Gebote der Toleranz einerseits und des selbstbewussten Repräsentierens seiner Auffassungen

andererseits gilt es zu beachten, wenn man sich an politischen und gesellschaftlichen Diskursen

beteiligt. Dies geschieht schon auf unterster Ebene beim Debattieren mit Freunden, welche man von

seinen Ansichten überzeugen möchte. Wer seine Meinung darüber hinaus gerne einer breiteren

Öffentlichkeit kund tun möchte, der kann dies durch Verfassen von Zeitungsartikeln oder

Leserbriefen tun. Außerdem besteht die Möglichkeit der Teilnahme an einer Demonstration. Die

Grundrechte, die dem Bürger solcherlei erlauben (Rede-; Presse- und Versammlungsfreiheit) und

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damit dessen Mitbestimmungsrecht stärken, sind in einer Demokratie essenziell und daher auch als

Menschenrechte definiert. Eine andere Art der Teilhabe an sozialen Prozessen stellt der Einsatz in

einer gesellschaftlichen Institution dar. So sind viele Deutsche Anhänger einer Religions-

beziehungsweise Weltanschauungsgemeinschaft , Vereinsangehörige, Unterstützer einer

Bürgerinitiative sowie Mitglieder in einer Nichtregierungsorganisation, Gewerkschaft oder Partei.

Dafür ist eine „open society“ - die zumindest prinzipiell den Ideen Karl Poppers folgt – notwendig.

Der Staat sollte sich hier hüten, Minderheiten jedweder Form zu unterdrücken oder die alten

Mehrheitsansichten grundlos zu bevorzugen! Konservative mögen dies teilweise anders sehen; für

mich aber ist klar, dass jede Abweichung von der Masse erst einmal als Gewinn an Vielfalt zu sehen

ist. Eine „Diktatur der herrschenden Meinung“ darf es nicht geben! Deshalb bin ich von der

Wichtigkeit einer freiheitlichen Gesellschaftspolitik überzeugt. Im Grundsatzprogramm der

Jungliberalen findet man diesbezüglich einen sehr schönen Satz über das Angebot an sozialen

Organisationen: „Diese Vielfalt schafft Freiheit, weil sie Wahlmöglichkeiten eröffnet, und bleibt nur

dann erhalten, wenn die Gesellschaft stets die Offenheit und Toleranz behält, neue Angebote

anzunehmen.“

Über die Debatte und die gesellschaftliche Beteiligung hinaus aber sind Wahlen und politische

Teilhabe die zentralen Organe zur Mitbestimmung. In echten Demokratien - welche freie, gleiche,

allgemeine und geheime Wahlen durchführen – kann so jeder Bürger mitentscheiden, welche

Politiker und Parteien mit welchen Zielen und Grundsätzen in das Parlament und in die Regierung

gelangen. Das bedeutet echte Partizipation an Entscheidungen über die Angelegenheiten der

gesamten Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist die Passivität vieler Deutscher – gerade auch

Jugendlicher – nur schwer nachvollziehbar. Politik gilt als langweilig, Politiker als lügende Hohlköpfe.

So erklären sich auch die beinahe chronisch fallenden Wahlbeteiligungen. Allerdings kann die

beschriebene Entwicklung nur als gefährlich angesehen werden. Was passiert, wenn das Volk sein

Parlament und die Parteienlandschaft verabscheut, das erlebte man 1933 als Nationalsozialisten die

ungeliebte Republik mit ihren Freiheitsrechten zerstörten.

Hier muss ein Umdenken auf beiden Seiten stattfinden: Regierende müssen zu ihren Versprechen

stehen und sollten niemals in die Bequemlichkeit verfallen, ihre Ansichten für „alternativlos“ zu

erklären. Andererseits sollte die Bevölkerung an demokratischen Prozessen teilnehmen, anstatt nur

zu nörgeln. Dabei halten viele den eigenen Einfluss für unwichtig und gering. In Wahrheit aber

besteht eine Gesellschaft aus wenig mehr als der Summe individueller Ansichten. Einmischen lohnt

sich also! Auch wenn es etwas Zeit und Mühe kostet; der Erhalt unserer Freiheit verlangt Interesse

und Engagement aller Deutschen!

Dass es notwendig ist, diesen Fakt bereits Heranwachsenden zu vermitteln, erkannten auch die

Kultusminister und so gibt es heute an jeder weiterführenden Schule einen Schülerrat, der in

Zusammenarbeit mit Direktion und Lehrerschaft Prozesse mitgestaltet. Auf diese Weise lernen die

Schulsprecher und ihre Stellvertreter die „politische“ Arbeit auf geringster Ebene kennen und können

direkt Themen zur Sprache bringen, welche die Lernenden bedrücken.

Eine andere Art der schulischen Mitbestimmung bietet die Mitarbeit an einer Schülerzeitung. Diese

erfüllt wichtige Funktionen; sie informiert, klärt auf, kommentiert und informiert. So demonstrieren

Schülerzeitungen die Bedeutung einer freien Presse für die Republik. Und wer schon früh lernt, seine

Meinung in Debatten einzubringen, der wird wohl zeitlebens ein Streiter für die Meinungsfreiheit

bleiben. Im besten Fall kann ein von Schülern getragenes Medium sogar auf Probleme hinweisen,

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Diskussionen anregen und dadurch den Schulalltag verbessern. Deshalb gilt: die Schülerzeitung ist ein

wesentliches Element demokratischer Schulkultur.

Über die schulische Mitbestimmung hinaus gehend können sich auch schon Minderjährige politisch

betätigen – durch Beitritt zu einer Parteijugendorganisation und Teilnahme an deren Stammtischen,

Konferenzen und Aktionen. Um „seine“ Partei zu finden, kann der Interessierte im Internet jede

Menge Informationen zu Programmen und Zielen der einzelnen Fraktionen finden. Heute gelingt es

sogar, via Facebook Kontakt zu den Ortsvorsitzenden der Jugendorganisationen aufzunehmen und

Interessengespräche zu vereinbaren. Auch ich ging diesen Weg und konnte sehen, dass Politik nicht

nur ein Altherrenthema ist, sondern dass eben auch junge Menschen mit neuen Ideen auf diesem

Feld tätig sind und mit vollem Einsatz und Respekt für den politischen Gegner für ihre Ideale

kämpfen. Wenn man diese Fakten einer breiteren Öffentlichkeit nahe bringen könnte, dann wäre der

Politikverdrossenheit wohl einiges an Nährboden entzogen.

Die politische Überzeugung kann nur aus dem eigenen Denken entstehen. Dennoch gibt es einige

Werte, welche meiner Meinung nach von enormer Wichtigkeit sind und um deren Erhalt zu kämpfen

sich lohnt.

Freiheit und die Selbstbestimmtheit des Individuums sollten als Grundlage und Richtschnur der

Politik dienen. Dabei endet die Freiheit des Einzelnen dort, wo die des Nächsten beginnt.

Als Ideale eines der Freiheit des Individuums verpflichteten Staates sollten folgende gelten:

- Frieden, denn Krieg verursacht Leid und beschränkt die Freiheit von Soldaten und Opfern;

- Solidarität, damit auch die Ärmsten einer Gesellschaft frei von Hunger, Kälte und Krankheit ihr

Leben gestalten können;

- Gerechtigkeit, denn in einem Rechtsstaat sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich – ein

bedeutendes Menschenrecht;

- Demokratie, denn die Bürger müssen über die Freiheit verfügen, ihre Regierung selbst zu

bestimmen

und -

Toleranz, weil alternative Lebensentwürfe ebenfalls über ein Existenzrecht verfügen.

Immer wenn diese Werte bedroht werden, lohnt es sich einzugreifen und für sie einzustehen. Dann

gilt: Einmischen ist angesagt!