Bent Jensen Völkermord ist nicht gleich Völkermord - Vierteljahreshefte fuer freie...

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7/30/2019 Bent Jensen Völkermord ist nicht gleich Völkermord - Vierteljahreshefte fuer freie Geschichtsforschung - 1997 Nr. 2 http://slidepdf.com/reader/full/bent-jensen-voelkermord-ist-nicht-gleich-voelkermord-vierteljahreshefte-fuer 1/2 VffG · 1997 · 1. Jahrgang · Heft 2 111 Zur Konzeption : Ich erhoffe mir, daß in meiner Arbeit revisionistische Lügen wie in einem Lexikon nachgeschlagen werden können . Fol- gende drei Informationen sollen jeweils geleistet werden : 1) Knappe Information über die Herkunft und Zielsetzung einer revisionistischen Argumentation . 2) Information über die im jeweiligen Fall genutzten Bil- dungslücken und / oder Vorurteile . 3) Das zur Verfügung stellen unmißverständlicher, histori- scher Quellen , die die aufgetretene Lüge als eine solche entlarven . Anwendung : Den Gebrauch meiner Arbeit erhoffe ich mir wie folgt. Gesetzt den Fall, eine derartige Informationsschrift ist an Schulen und Jugendeinrichtungen vorhanden, dann wäre es für jeden Pädagogen, jede Pädagogin ein Leichtes , umgehend auf revisionistische Äußerungen zu reagieren . Es bliebe dem Deutschleher oder der Erzieherin im Jugendzen- trum erspart , die Antwort zunächst schuldig zu bleiben und sich auf die anstrengende Suche in historischer Fachliteratur zu begeben, die in der Praxis dann meist ganz unterbleibt . Mit einer derartigen Fibel wäre es möglich innerhalb weni- ger Minuten ( Nach dem Gang ins Büro oder in die Lehrerbi- bliothek ) eine unmißverständliche Widerlegung rechtsextre- mer Äußerungen zu leisten . Den historischen Quellen sind selbstverständlich genaue Angaben beigefügt , so daß eine Überprüfung durch die Jugendlichen ebenso möglich wie er- wünscht ist . Pädagogische Motivation : Die Haltung vieler Wissenschaftler und Pädagogen, nämlich rechtsradikale Thesen schlicht als indiskutabel zu übergehen, mag ethisch nicht zu beanstanden sein ; pädagogisch sehe ich in diesem Verhalten jedoch eine große Gefahr . Dort wo keine Antwort erfolgt, wächst der Eindruck , daß diese nicht möglich ist . Auch halte ich es für eine ungenutzte Gelegenheit dem rechtsextremen und faschistischen Denken nicht entgegenzu- treten , obwohl man es gerade hier an seiner Wurzel treffen kann . Mit Sicherheit wird kein überzeugter Revisionist durch eine Schrift wie die meine bekehrt werden , aber es dürfte ihm schwer fallen, seine Ansichten zu verbreiten. Ich hoffe , daß ich Ihnen mit meinen Angaben eine Hilfe sein kann und würde mich sehr freuen wieder von Ihnen zu hören . Mit freundlichen Grüßen . [gez. Markus Tiedemann] « Man hat es hier also mit einem weiteren Beispiel eines antifa- schistischen, volkspädagogischen Ansatzes in der Ge- schichtswissenschaft zu tun. Dem Autor ist offenbar nicht daran gelegen, Thesen zu wägen und zu Erkenntnissen zu kommen. Sein erster Punkt lautet nämlich, »über die Herkunft und Zielsetzung revisionistischer Argumentation« aufzuklä- ren. Seine Voreingenommenheit diesbezüglich legt er offen, indem er jene bekämpfte Auffassungen bereits im voraus als »Lügen« und »Fälschungen« vorverurteilt – die Vokabeln “Irrtum” und “Fehler” oder “möglich” und “wahrscheinlich” scheint er nicht zu kennen. Seinen eigenen politischen Extre- mismus offenbart er, wenn er den Trägern revisionistischer Auffassungen ohne Kenntnis ihrer Persönlichkeit die Eigen- schaften »rechtsradikal«, »rechtsextrem« bzw. »faschistisch« anhängt, sie also ihrer Menschlichkeit beraubt. Seine Triebfe- der schließlich ist nicht die Verringerung menschlicher Zwei- fel, sondern der Schrecken von Mölln (das er noch nicht ein- mal korrekt zu schreiben weiß). Somit hat sein Projekt viel mit Politik zu tun, aber bestimmt nichts mit Wissenschaft. Für Sie gelesen in: Weekend Avisen , 18. Oktober l996, 42. Woche Revisionismus ist manchmal gut, manchmal schlecht. Das hängt offensichtlich davon ab, wer und was revidiert wird. Völkermord ist nicht gleich Völkermord Von Prof. Dr. phil. Bent Jensen Es ist eine interessante Tatsache, daß das Interesse für den na- tionalsozialistischen Völkermord an Juden in den 40er Jahren die Aufmerksamkeit in Westeuropa und den USA so stark be- ansprucht, während es für den kommunistischen Völkermord an den Bauern in Rußland und der Ukraine (und Kasachstan) in den 30er Jahren fast kein Interesse gibt. So hatWeekend Avisenin beinahe jeder Nummer einen Arti- kel oder eine Buchbesprechung über das erstgenannte Thema, aber im großen ganzen nie eine Abhandlung des letzteren. Leiden und Tod der russischen und ukrainischen Bauern sind augenscheinlich uninteressant. Und doch fanden sie statt in Europa, nicht weit weg von der späteren Vernichtung von Ju- den. Es gibt auch interessante Unterschiede bei der Sichtweise der Medien und der Politiker in Bezug auf die zwei Völkermorde, die in der gleichen Epoche stattfanden und mit nur einem hal- ben Dutzend Jahre Zeitabstand. In Deutschland kann man zum Beispiel sehr streng bestraft werden, wenn man bestimm- te Sachen über den deutsch-nationalsozialistischen Völker- mord gesagt oder geschrieben hat, und Thomas Thura teilt in seinem Artikel vom 11. Oktober mit, daß der britische Histo- riker David Irving im letzten Jahr von einem deutschen Ge- richt zu einer Geldbuße von nicht weniger als 30.000 DM (= 120.000 dänische Kronen) verurteilt wurde, weil er fünf Jahre früher die Auffassung vertreten hatte, daß die Deutschen kei- ne Gaskammern in Auschwitz benutzten. Man stelle sich nur vor, daß man auch bestraft würde, wenn man politisch unkorrekte Meinungen über andere historische Fragen äußert. Da gäbe es dann viel zu tun. Es ist wirklich verblüffend – um es sehr milde auszudrücken – daß ein euro-

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7/30/2019 Bent Jensen Völkermord ist nicht gleich Völkermord - Vierteljahreshefte fuer freie Geschichtsforschung - 1997 Nr. 2

http://slidepdf.com/reader/full/bent-jensen-voelkermord-ist-nicht-gleich-voelkermord-vierteljahreshefte-fuer 1/2

VffG · 1997 · 1. Jahrgang · Heft 2 111

Zur Konzeption : Ich erhoffe mir, daß in meiner Arbeit revisionistische Lügenwie in einem Lexikon nachgeschlagen werden können . Fol- gende drei Informationen sollen jeweils geleistet werden :1) Knappe Information über die Herkunft und Zielsetzung

einer revisionistischen Argumentation .2) Information über die im jeweiligen Fall genutzten Bil-

dungslücken und / oder Vorurteile .3) Das zur Verfügung stellen unmißverständlicher, histori- scher Quellen , die die aufgetretene Lüge als eine solcheentlarven .

Anwendung : Den Gebrauch meiner Arbeit erhoffe ich mir wie folgt. Gesetzt den Fall, eine derartige Informationsschrift ist an Schulen und Jugendeinrichtungen vorhanden, dannwäre es für jeden Pädagogen, jede Pädagogin ein Leichtes ,umgehend auf revisionistische Äußerungen zu reagieren . Esbliebe dem Deutschleher oder der Erzieherin im Jugendzen-trum erspart , die Antwort zunächst schuldig zu bleiben und sich auf die anstrengende Suche in historischer Fachliteratur zu begeben, die in der Praxis dann meist ganz unterbleibt . Mit einer derartigen Fibel wäre es möglich innerhalb weni- ger Minuten ( Nach dem Gang ins Büro oder in die Lehrerbi-bliothek ) eine unmißverständliche Widerlegung rechtsextre-mer Äußerungen zu leisten . Den historischen Quellen sind selbstverständlich genaue Angaben beigefügt , so daß eineÜberprüfung durch die Jugendlichen ebenso möglich wie er-wünscht ist .

Pädagogische Motivation : Die Haltung vieler Wissenschaftler und Pädagogen, nämlichrechtsradikale Thesen schlicht als indiskutabel zu übergehen,mag ethisch nicht zu beanstanden sein ; pädagogisch seheich in diesem Verhalten jedoch eine große Gefahr . Dort wo

keine Antwort erfolgt, wächst der Eindruck , daß diese nicht möglich ist . Auch halte ich es für eine ungenutzte Gelegenheit demrechtsextremen und faschistischen Denken nicht entgegenzu-treten , obwohl man es gerade hier an seiner Wurzel treffenkann . Mit Sicherheit wird kein überzeugter Revisionist durcheine Schrift wie die meine bekehrt werden , aber es dürfte

ihm schwer fallen, seine Ansichten zu verbreiten. Ich hoffe , daß ich Ihnen mit meinen Angaben eine Hilfe seinkann und würde mich sehr freuen wieder von Ihnen zu hören .

Mit freundlichen Grüßen .

[gez. Markus Tiedemann]«

Man hat es hier also mit einem weiteren Beispiel eines antifa-schistischen, volkspädagogischen Ansatzes in der Ge-schichtswissenschaft zu tun. Dem Autor ist offenbar nichtdaran gelegen, Thesen zu wägen und zu Erkenntnissen zukommen. Sein erster Punkt lautet nämlich, »über die Herkunftund Zielsetzung revisionistischer Argumentation« aufzuklä-

ren. Seine Voreingenommenheit diesbezüglich legt er offen,indem er jene bekämpfte Auffassungen bereits im voraus als»Lügen« und »Fälschungen« vorverurteilt – die Vokabeln“Irrtum” und “Fehler” oder “möglich” und “wahrscheinlich”scheint er nicht zu kennen. Seinen eigenen politischen Extre-mismus offenbart er, wenn er den Trägern revisionistischer Auffassungen ohne Kenntnis ihrer Persönlichkeit die Eigen-schaften »rechtsradikal«, »rechtsextrem« bzw. »faschistisch«anhängt, sie also ihrer Menschlichkeit beraubt. Seine Triebfe-der schließlich ist nicht die Verringerung menschlicher Zwei-fel, sondern der Schrecken von Mölln (das er noch nicht ein-mal korrekt zu schreiben weiß). Somit hat sein Projekt vielmit Politik zu tun, aber bestimmt nichts mit Wissenschaft.

Für Sie gelesenin: Weekend Avisen, 18. Oktober l996, 42. Woche

Revisionismus ist manchmal gut, manchmal schlecht.Das hängt offensichtlich davon ab, wer und was revidiert wird.

Völkermord ist nicht gleich VölkermordVon Prof. Dr. phil. Bent Jensen

Es ist eine interessante Tatsache, daß das Interesse für den na-tionalsozialistischen Völkermord an Juden in den 40er Jahrendie Aufmerksamkeit in Westeuropa und den USA so stark be-ansprucht, während es für den kommunistischen Völkermordan den Bauern in Rußland und der Ukraine (und Kasachstan)in den 30er Jahren fast kein Interesse gibt.So hat Weekend Avisenin beinahe jeder Nummer einen Arti-kel oder eine Buchbesprechung über das erstgenannte Thema,aber im großen ganzen nie eine Abhandlung des letzteren.Leiden und Tod der russischen und ukrainischen Bauern sindaugenscheinlich uninteressant. Und doch fanden sie statt in

Europa, nicht weit weg von der späteren Vernichtung von Ju-den.Es gibt auch interessante Unterschiede bei der Sichtweise der Medien und der Politiker in Bezug auf die zwei Völkermorde,

die in der gleichen Epoche stattfanden und mit nur einem hal- ben Dutzend Jahre Zeitabstand. In Deutschland kann manzum Beispiel sehr streng bestraft werden, wenn man bestimm-te Sachen über den deutsch-nationalsozialistischen Völker-mord gesagt oder geschrieben hat, und Thomas Thura teilt inseinem Artikel vom 11. Oktober mit, daß der britische Histo-riker David Irving im letzten Jahr von einem deutschen Ge-richt zu einer Geldbuße von nicht weniger als 30.000 DM (=120.000 dänische Kronen) verurteilt wurde, weil er fünf Jahrefrüher die Auffassung vertreten hatte, daß die Deutschen kei-ne Gaskammern in Auschwitz benutzten.

Man stelle sich nur vor, daß man auch bestraft würde, wennman politisch unkorrekte Meinungen über andere historischeFragen äußert. Da gäbe es dann viel zu tun. Es ist wirklichverblüffend – um es sehr milde auszudrücken – daß ein euro-

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7/30/2019 Bent Jensen Völkermord ist nicht gleich Völkermord - Vierteljahreshefte fuer freie Geschichtsforschung - 1997 Nr. 2

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112 VffG · 1997 · 1. Jahrgang · Heft 2

päischer Staat zum Ausgang des 20. Jahrhunderts meint, daßhistorische Probleme von Gerichten abgehandelt werden sol-len, und nicht von Historikern. Es ist ansonsten totalitärenStaaten vorbehalten, die Bürger für Meinungen zu bestrafen,von denen man meint, daß sie gegen das Staatsinteresse ver-stoßen. Das deutsche Sondergesetz bezüglich dessen, wasman in Bezug auf Auschwitz nicht sagen darf, ist ein Schand-

fleck und ein grober staatlicher Übergriff auf die Freiheit der Meinungsäußerung und der Forschung.Was den umfassenderen Völkermord in der Sowjetunion an-geht, verhält es sich beinahe umgekehrt. Ich bin persönlichvon einem Historiker einer Art nationalsozialistischer Nei-gung beschuldigt worden, weil ich in den 80er Jahren darauf bestand, daß das Katyn-Massaker an polnischen Offizierenund Intellektuellen von sowjetischen Mördern begangen wor-den war und nicht von nationalsozialistischen. Im umgekehr-ten Fall gewann ein Historiker in Westeuropa und den USAgroße Anerkennung und akademisches Ansehen, weil er Sta-lins Verantwortlichkeit für Verbrechen bestritt, die, wie er-wähnt wurde, sowohl in Bezug auf Ausmaß und Dauer um-

fassender waren als die von Hitler und NS-Deutschland.Auf noch einem weiteren Gebiet gibt es einen eigentümlichenUnterschied in der Betrachtungsweise von Nationalsozialis-mus und Kommunismus. Thomas Thurah geht sehr hart mitdem Revisionisten David Irving ins Gericht, weil letzterer meint, daß es im Nationalsozialismus verschiedene Strömun-gen gab, eine gute und eine schlechte. Ich halte mich in dieser

Frage nicht für so klug, wie es Thomas Thurah anscheinendist, aber es sollte doch wohl erlaubt sein, wenigstens die Fra-ge zu diskutieren.Umgekehrt hat einer der anerkanntesten amerikanischen Re-visionisten, Stephen Cohen, mit dem Spezialgebiet Sowjet-union der 20er und 30er Jahre bedeutende Anstrengungenentfaltet, um just zwischen einem guten und einem schlechten

Bolschewismus zu unterscheiden, der gute personifiziertdurch Nikolaj Bukharin und der schlechte durch Stalin. Ande-re Historiker haben Lenin und Stalin als Repräsentanten für den guten bzw. den bösen Sozialismus gebraucht.Zum Schluß: Es ist bedauerlich zu erfahren, daß jüdischeGruppen in den USA einen renommierten Verlag dazu brin-gen können, eine geplante Herausgabe z.B. von Irvings Goeb- bels-Biographie aufzugeben, nur weil sie diesen Menschennicht behagt. In den USA sind es nicht wie in Deutschland diePolitiker und Gerichte, sondern einflußreiche private Grup- pen, die bestimmen wollen, was die Bevölkerung lesen darf und was sie nicht lesen darf. Das ist ein grober privater Über-griff gegen die Meinungs- und Forschungsfreiheit.

Es gibt ja so vieles, was die eine oder andere “Gruppe” nichtlesen oder hören mag. Aber es ist natürlich völlig unannehm- bar, daß starke Organisationen auf diese Weise anderen ihrenWillen aufzwingen können. Das zeugt im übrigen auch vongeringem Glauben an das freie Wort – oder, wie die altenGriechen sagten: es schadet einer Sache nicht, daß sie erörtertwird.

Deutschland verletzt die Freiheit der MeinungsäußerungVon Dr. phil. Christian Lindtner

Mehrere deutsche Wissenschaftler sitzen im Gefängnis oder sind auf dem Weg dorthin. Selbst der Abdruck einer offiziel-len Anklageschrift kann strafbare “Volksverhetzung” sein.Die Entwicklung muß für Dänemark, das vom südlichen Nachbarn auf vielfältige Weise abhängig ist, Anlaß zur Sorgesein.Wenn der Leser glaubt, daß öffentliche Buchverbrennungenglücklicherweise der Vergangenheit angehören, dann muß er seinen Glauben ändern. Er muß leider nur seinen Blick hinabauf unseren großen südlichen Nachbarn richten.Deutschland ist ja ansonsten kein rückständiges Entwick-

lungsland. Im Gegenteil, gerade diese Nation hat auf fast al-len Gebieten der Wissenschaft eine führende Stellung einge-nommen, und die Forschung und Technik anderer Länder hatdavon zu allen Zeiten voller Bewunderung und Lernbegier Nutzen gezogen.Gerade das ist ein guter Grund achtzugeben, wenn es soweitkommt, daß selbst deutsche Politiker offen einräumen, daß esProbleme mit der Freiheit der Meinungsäußerung gibt, undeinige von ihnen beginnen, Druck auf die Gerichte auszu-üben, um politisch genehme Urteile durchzusetzen.In den letzten Monaten gab es mehrere beunruhigende Fällederartiger politischer Justiz, die Einzelpersonen und Verlage bestrafen und andere abschrecken sollen, jene Freiheitsrechte

in Anspruch zu nehmen, die ihnen ansonsten ausdrücklichdurch das Grundgesetz des eigenen Landes wie auch durchinternationale Absprachen und Abkommen zugesichertwerden.

In der Theorie erlaubt das deutsche Grundgesetz (Art. 5)selbstverständlich jedem, seine Meinung in Wort, Schrift undBild zu äußern, wie auch Kunst, Wissenschaft und Forschungals frei erklärt werden. Die Grenze wird – wie bei uns undanderenorts – nur durch den verständlichen Wunsch gezogen,die allerstörendsten, verletzendsten und anstößigsten Äuße-rungen zu dämpfen. Es muß eine gewisse Rücksicht auf denFrieden des Privatlebens und die öffentliche Ruhe und Ord-nung genommen werden.Aber in der Praxis ist das ganz anders. Was die deutsche Ge-setzgebung mit der einen Hand gibt, versucht sie dann mit der

anderen zu nehmen. Mit Gefängnis bis zu 5 Jahren kann dasGesetz (§ 130 StGB) den bestrafen, der, wie es heißt, “zumHaß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt”. Eines sachli-chen wissenschaftlichen Beweises dafür, daß jemand tatsäch-lich, in der gegebenen Weise, mit einem bestimmten Ziel undmit einem konkreten Ergebnis überhaupt in einem bestimmtenMaß Haß gegen einen Teil der Bevölkerung zu wecken ver-mag oder vermochte, bedarf es nicht.Hier liegt das Problem. Es reicht aus, daß der Staatsanwalt behauptet, daß es einfach so ist, und daß der Richter bereit ist,hierauf einzugehen. (Der erste Richter, der dieses Spiel nicht begriff, wurde bereits gezwungen, vorzeitig in den Ruhestandzu gehen.)

Der Leser glaubt vielleicht, daß es damit nicht seine Richtig-keit haben kann? Aber es ist leider wahr, und mehrere Juri-sten wiesen zu recht darauf hin, daß wir hier einer modernenAusgabe der früheren Hexenprozesse gegenüberstehen.