Bestimmung von Sulfhydryl- und Disulfidgruppen in Proteinen mit Hilfe der amperometrischen Titration

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Z. Lebensm. Unters.-Forsch. 156, 139--144 (1974) © by J. F. Bergmann, Miinehen 1974 Bestimmung yon Sulfhydryl- und Disulfidgruppen in Proteinen mit Hilfe der amperometrischen Titration II. Kritische Betrachtung der Methoden zur amperometrischen Titration yon Protein-SH-Gruppen mit Silbernitrat Klaus Hofmann und Reiner Hamm Institut fiir Chemic und Physik der Bundesanstalt fiix" Fleischforschung, Kulmbach (BRD) Eingegangen am 3. ~Iai 1974 Determination of Sulphydryl and Disulphide Groups in Proteins by Amperometric Titration II. Critical Discussion of the Methods for the Amperometric Titration of SIt Groups of Proteins by Silver Nitrate Summary. The methods, developed for the titration of the SH groups in proteins (direct, reserved, indirect and double-indirect or ,,equivalence" titration) are discussed considering their advantages or disadvantages. Especially proteins, not soluble in water, and such proteins with slowly reacting SH groups should be titrated by the indirect methods. Zq~sammen/assung. Verschiedene, ffir die Bestimmung yon Protein-Stt-Gruppen ausgear- beitete Titrationsverfahren (,,direkte", ,,umgekehrte", ,indirekte" und ,,doppelt-indirekte" oder ,,_&quivalenz"-Titration) werden hinsiehtlich ihrer M~ngel und Vorziige besproehen. Fiir ungel5ste Proteine und solche mit langsam reagierenden SH-Gruppen sind nur die indirekten Methoden empfehlenswert. Einleitung In der ersten Mitteilung dieser Reihe [1] war auf die Bedeutung der Bestimmung yon Sulfhy- drylgruppen in Lebensmittelproteinen hingewiesen worden. Die Reaktionsf~higkeit yon Sulf- hydrylgruppen in Proteinen und die Spezifit~t der Reaktion yon Silberionen mit SH-Gruppen wurden erSrtert. Daraus ergab sich, daI~nnter den Bedingungen der amperometrischen Titration Ag+-Ionen als spezifisches SH-Reagens angesehen werden kSnnen. Auf der Grundlage dieser t~l~ersicht sollen im folgenden die verschiedenen Methoden zur amperometrischen Titration yon SIt-Gruppen in Proteinen mit Silbernitrat einer kritischen Betraehtung unterzogen werden. I. AUgemeines Die ~ethode der amperometrischen Titration mit Silbernitrat wurde yon Kolthoff [2] erst- reals auf Mercaptane angewendet und yon Beneseh [3] auf SH-Proteine iibertragen. Wegen ihrer zahlreichen Vorziige z~hlt sie zu den am h~ufigsten zur Bestimmung yon SII- (und Disulfid-) Gruppen eingesetzten Verfahren. In Form einer indirekten Titration [4] hat sieh diese Methode in eigenen zahlreichen Untersuchungen der letzten zehn Jahre -- vor aUem bei Anwendung auf Muskelgewebe und Myofibrillen -- sehr bew~hrt. Start der iiblichen rotierenden Elekgrode ver- wenden wir die einfaeher zu handhabende und aul~erdem empfindlichere [5] station~re Platin- Indikatorelektrode [4--8], wobei die zu titrierende LSsung magnetisch geriihrt wird. Die besonderen Vortefle der amperometrischen Titration mit AgNOa sind: 1. Hohe Empfindlichkeit der SH-Bestimmung (MikrogTamm-Bereieh); 2. genaue _~quivalenzpunktbestimmung (Schnittpunkt zweier Geraden); 3. Anwendbarkeit auf triibe oder farbige LSsungen; 4. schonende Reaktionsbedingtmgen mSglieh (pH- Werte um 7); 5. geringe St5rungsempfindlichkeit; 6. geringer Kostenaufwand (Mil~'oamperometer, Mikrobfirette, Titrationsger/~t (leicht selbst herstellbar, vgl. [4, 6]), Magnetrfihrer). Die yon uns angewandte indirekte Titrationsmethode (4), die genauer als,,doppelt- indirekte" oder J~quivalenz-Titration bezeichnet werden soll (s. Absehnitt 5), bietet weiterhin folgende MSgliehkeiten: a) Ersatz yon AgNO a durch andere SH-Reagen- tien, wie p-Chlormercuribenzoat oder N-:4thylmaleinimid (9, 10), z.B. zur Uber- prfifung der mit Sflbernitrat erzielten Ergebnisse; b) Ausdehnung der Reaktionszeit (bei Proteinen meist notwendig); c) Anwendung auf unlSsliehes Untersuehungs- material (Muskelgewebe).

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Z. Lebensm. Unters.-Forsch. 156, 139--144 (1974) © by J. F. Bergmann, Miinehen 1974

Bestimmung yon Sulfhydryl- und Disulfidgruppen in Proteinen mit Hilfe der amperometrischen Titration

I I . Kri t ische Be t rach tung der Methoden zur amperomet r i schen Ti t ra t ion yon P ro te in -SH-Gruppen mi t Si lberni t rat

Klaus Hofmann und Reiner H a m m

Institut fiir Chemic und Physik der Bundesanstalt fiix" Fleischforschung, Kulmbach (BRD)

Eingegangen am 3. ~Iai 1974

Determination of Sulphydryl and Disulphide Groups in Proteins by Amperometric Titrat ion

I I . Critical Discussion of the Methods for the Amperometric Titration of SI t Groups of Proteins by Silver Nitrate

Summary. The methods, developed for the titration of the SH groups in proteins (direct, reserved, indirect and double-indirect or ,,equivalence" titration) are discussed considering their advantages or disadvantages. Especially proteins, not soluble in water, and such proteins with slowly reacting SH groups should be titrated by the indirect methods.

Zq~sammen/assung. Verschiedene, ffir die Bestimmung yon Protein-Stt-Gruppen ausgear- beitete Titrationsverfahren (,,direkte", ,,umgekehrte", ,indirekte" und ,,doppelt-indirekte" oder ,,_&quivalenz"-Titration) werden hinsiehtlich ihrer M~ngel und Vorziige besproehen. Fiir ungel5ste Proteine und solche mit langsam reagierenden SH-Gruppen sind nur die indirekten Methoden empfehlenswert.

Einleitung In der ersten Mitteilung dieser Reihe [1] war auf die Bedeutung der Bestimmung yon Sulfhy-

drylgruppen in Lebensmittelproteinen hingewiesen worden. Die Reaktionsf~higkeit yon Sulf- hydrylgruppen in Proteinen und die Spezifit~t der Reaktion yon Silberionen mit SH-Gruppen wurden erSrtert. Daraus ergab sich, daI~ nnter den Bedingungen der amperometrischen Titration Ag+-Ionen als spezifisches SH-Reagens angesehen werden kSnnen. Auf der Grundlage dieser t~l~ersicht sollen im folgenden die verschiedenen Methoden zur amperometrischen Titration yon SIt-Gruppen in Proteinen mit Silbernitrat einer kritischen Betraehtung unterzogen werden.

I . AUgemeines Die ~ethode der amperometrischen Titration mit Silbernitrat wurde yon Kolthoff [2] erst-

reals auf Mercaptane angewendet und yon Beneseh [3] auf SH-Proteine iibertragen. Wegen ihrer zahlreichen Vorziige z~hlt sie zu den am h~ufigsten zur Bestimmung yon SII- (und Disulfid-) Gruppen eingesetzten Verfahren. In Form einer indirekten Titration [4] hat sieh diese Methode in eigenen zahlreichen Untersuchungen der letzten zehn Jahre - - vor aUem bei Anwendung auf Muskelgewebe und Myofibrillen - - sehr bew~hrt. Start der iiblichen rotierenden Elekgrode ver- wenden wir die einfaeher zu handhabende und aul~erdem empfindlichere [5] station~re Platin- Indikatorelektrode [4--8], wobei die zu titrierende LSsung magnetisch geriihrt wird.

Die besonderen Vortefle der amperometrischen Titration mit AgNOa sind: 1. Hohe Empfindlichkeit der SH-Best immung (MikrogTamm-Bereieh); 2. genaue _~quivalenzpunktbestimmung (Schnittpunkt zweier Geraden); 3. Anwendbarkeit auf triibe oder farbige LSsungen; 4. schonende Reaktionsbedingtmgen mSglieh (pH- Werte um 7); 5. geringe St5rungsempfindlichkeit; 6. geringer Kostenaufwand (Mil~'oamperometer, Mikrobfirette, Titrationsger/~t (leicht selbst herstellbar, vgl. [4, 6]), Magnetrfihrer).

Die yon uns angewandte indirekte Titrationsmethode (4), die genauer als, ,doppelt- indirekte" oder J~quivalenz-Titration bezeichnet werden soll (s. Absehnitt 5), bietet weiterhin folgende MSgliehkeiten: a) Ersatz yon AgNO a durch andere SH-Reagen- tien, wie p-Chlormercuribenzoat oder N-:4thylmaleinimid (9, 10), z .B . zur Uber- prfifung der mi t Sflbernitrat erzielten Ergebnisse; b) Ausdehnung der Reaktionszeit (bei Proteinen meist notwendig); c) Anwendung auf unlSsliehes Untersuehungs- material (Muskelgewebe).

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Die Titrationen werden meist entweder in Ammoniakpuffer (Kolthoff) oder iu Trispuffer (Benesch) ausgefiihrt. Die Anwendung yon Ammoniak ist jedoch mit verschiedenen Nachteflen verknfipft: 1. Wegen der Flfichtigkeit des Ammoniaks gndert sich -- besonders beim Durchleiten eines Inertgases -- die l~Ha-Konzen- tration der LSsung laufend, d. h. die Bedingungen wghrend der Titration sind nicht konstant (auch nicht bei gleichbleibendem pH-Wert). Es ist erstaunlich, dab gerade diese Tatsache bisher keine Beriicksichtigung land. 2. Ammoniakpuffer sind -- bei vergleichbarer Pufferkapazit~t -- stgrker basisch als Trispuffer, so dab eine hShere Gefahr der Autoxydation der Protein-SH-Gruppen und der Proteindena- turierung besteht. 3. Die Titrationskurven verlaufen nach ]~berschreitung des ~quivalenzpunktes (~P) nach unseren Erfahrungen weniger stefl als bei Anwendung yon Trispuffer, wodurch der graphisch ermittelte AP weniger scharf markiert werden kann. 4. In einem biochemischenLaboratorium, in dem meist auch EiweiBbestimmun- gen nach Kjeldahl durchgefiihrt werden, kann mit Ammoniak nicht gearbeitet werden. 5. Ammoniak is~ gfftig.

Es erscheint verwunderlich, dab trotz diescr zahlreichen und schwerwiegenden Nachteile der Verwendung des Ammoniaks bei der amperometrischen Titration yon SH-Gruppen die meisten Untersuchungen yon Kolthoff u . M i t a r b . - - zum Tell auch in neuerer Zeit (11, 12) -- in Ammoniakpuffern ausgeffihrt warden.

Versehiedene Varianten der amperometrischen Titration yon Protein-SH-Gruppen sind zur ~berwindung der Schwierigkeiten, die einer raschen Titration entgegenstehen, entwiekelt worden. Sie sollen im folgenden kurz beschrieben und kritisch diskutiert werden.

2. Die direkte Titration

Sie ist auf Suspensionen, die feste Teilchen (zerkleinertes Muskelgewebe, Myo- fibrillen u. g.) enthalten, sowie auf gelSste Proteine mit sehr langsam reagierenden SH-Gruppen nicht anwendbar. Daher udrd hgufig so verfahren, dab man einen geringen Uberschu~ an AgNOa auf einmal zugibt, 30 rain wartet und anschlieBend unter weiterer AgNOs-Zugabe den Stromanstieg verfolgt [13--15]. Der •P wird bei dieser ,,ReagensiiberschuB-Methode" durch Extrapolation, wie Abb. la zeigt, er- halten. Hierin liegt die Schwgche dieses Verfahrens, denn der so erhaltene Endpunkt ist unsicher, da man den Verlauf des dem Reststrom entsprechenden Kurvenabschnittes

pA

Sta r t ~ / /

/ /

/

APe× ~Pw

~uA

20-

/ /

I I I

I l

Abb. la Abb. la. Ermittlung des Titrationsendpunktes (AP)

//I /I / /

/ / /

/ / / l /

/ /

/ /

/

AP b mt

v b-a=,~P

Abb. lb bei der amperometrisehen Titra-

tion mit AgNO8 nach der Reagensiiberschu~-l~ethode (nach Benesch [13]); titrierter Ab- schnitt ~ ; extrapolierter Abschnitt . . . . ; Reststrom . . . . . .

Abb. lb. Ermittlung des Titrations-Endpunktes (/~P) bei der amperometrischen Titration mit AgNO3 nach der Differenzmethode (nach Kevei [16]). Erl~uterungen im Text

~A

(Abb. la) night kennt; Die Extrapolation bis zur x-Achse, die den Endpunkt J~Pex ergibt, ist nur dann gerechtfertigt, wenn kein Reststrom auftritt. In der Regel ist dies jedoeh der Fall, so dab tin h6herer, wahrer Endpunkt J~Pw gegeben ist (Abb. la).

Ein anderes Verfahren [16] besteht darin, zun/~chst in einer SH-freien L6sung denjenigen Verbrauch an AgNO 3 zu messen, der zum Erreichen tines bestimmten Stromwertes, z. B. 20 ~zA (s. Abb. lb), erforderlich ist (Ergebnis: a ml). Dann wird festgestellt, wieviel AgNO3-L6sung der SIt-haltigen Probel6sung zugesetzt werden muB, um die gleiche Stromst/irke zu erreichen (b ml). Die Differenz b-a gibt den Verbrauch an Silbernitratl6sung an (entspricht dem J~P, der sich bei der Titration theoretisch ergeben warde).

Wie aus Abb. lb zu ersehen ist, setzt dieses Verfahren voraus, dab die beiden Stromsteigungen einander parallel verlaufen, d.h. dab pro Milliliter Silbernitrat- 16sung der gleiche Anstieg erfolgt. Das ist jedoch nur dann gegeben, wenn alle den Diffusionsstrom beeinflussenden Parameter, wie z. B. Viscosit/tt und Rfihrgesehwin- digkeit, bei beiden Titrationen konstant bleiben. Diese Bedingung ist praktiseh sehon deshalb kaum zu erffillen, weft die Viscosit/~tsverh/iltnisse in der proteinfreien and in der proteinhaltigen L6sung untersehiedlich sind. Bei dieser Methode mug daher mit methodischen Fehlern gerechnet werden.

In F/~llen, in denen eine direkte Titration m6glieh ist, kann ein eventuell un- spezifiseher Verbraueh an AgN08 durch eine "blank titration" ermittelt werden, indem die Titration naeh BloeMerung der Protein-SH-Gruppen mit einem anderen Reagens (z. B. p-Chlormereuribenzoat) ausgef/ihrt wird [17]. Itierbei w/~re aber eine vollst/indige Bloekierung aller SH-Gruppen notwendig, eine Bedingung, die ebenfal]s nieht immer zu erffillen ist (z. B. bei MuskeleiweiB [18]).

Das Problem der korrekten ~quivalenzpunktbestimmung Bisher wurde vorausgesetzt, dab bei der amperometrisehen Titration der SH-

Gruppen mit AgN03 der Diffusionsstrom so lange konstant bleibt (Abb. 2a, Kurven- absehnitt A), wie in der L6sung SH-Gruppen vorliegen und die zugesetzten Ag+-Ionen verbraueht werden (Ag + + RSH -~ RSAg). Erst beim Ubersehreiten des /~quiva- lenzpunktes steigt der Strom an (Kurvenabsehnitt B). Eine solehe ,,ideale" Titra- tionskurve erh/~lt man z. B. bei der Titragon yon SH-Glutathion [4, 9] und Rinder- serumalbumin [11]. Bei der Titration yon Cystein und anderen, Silberkomplexe

A

1~ m[ AgN0 3 ~P

Abb. 2~.

/JA

141

0 0

, B

t m, Ag.o3 ~5

Abb. 2b Abb. 2a. Ideal verlaufende amperometrische Titrationskurve

Abb. 2b. Von der Idealform abweichende Titrationskurve mit unterschiedlicher Bestimmung des Endpunktes. Erl~uterungen im Text

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bildenden SH-Verbindungen [9, 19] sowie bei verschiedenen Proteinen [3, 5, 7, 19--21] haben dagegen die Titrationskurven unter Umst~nden die in Abb. 2b wiedergegebene Form.

Damit erhebt sieh die Frage, ob in Abb. 2b der Schnittpunk~ yon A' mit B (~_~ P~) oder derjenige yon A mit der Extrapolation yon B (~---P1) dem SH-Gehalt entspricht. Diese Frage ist trotz ihrer grundlegenden Bedeutung in der uns bekannten Literatur iiberraschenderweise noch nie erSrtert worden. Manche Autoren [5, 7, 19--21] markieren den ~quivalenzpunkt entsprechend dem tats~chlichen Kurven- verlauf (P2), andere [3, 6, 14) zeichnen die Kurve so, als verliefe sie regular (P1). Verlguft der Kurvenabschnitt A' relativ flach und derjenige yon B sehr steil, so ist die Abweichung zwischen P1 und P~ so gering, dab sie vernachl~ssigbar sein kann. In den meisten F~llen weichen jedoch die beiden Punkte deutlich voneinander ab. Die Frage, ob P1 oder Pe dem tatsachlichen Titrationsendpunkt entspricht, bedarf somit einer eingehenden Diskussion.

Fiir den yon der regul~ren Titrationskurve abweichenden Verlauf kommen alle Einfliisse in Betracht, die den Diffusionsstrom auf Zusatz yon AgN08 auch dann erhShen, wenn noch SH-Gruppen in der LSsung vorliegen. Als Ursache hierffir sind zu nennen:

a) Komplexbilgung. Es ist anzunehmen, daB an Silbermercaptid komplex ge- bundene Ag+-Ionen an der Platin-Elektrode ebenso reduzierbar sind wie an NH 3 oder Tris gebundene Silberionen und daher einen Diffusionsstrom verursachen. Komplexe der Form (R-SAg)xAg + kSnnen sich bei geniigender Stabilit£t auch in Gegenwart yon SH-Giuppen bilden; z.B. reagieren an das Cysteinmercaptid ge- bundene Ag+-Ionen nicht mehr mit SH-Glutathion [4].

Der Punkt P~ in Abb. 2b zeigt einen AgNO3-Verbrauch an, der nicht dem SH- Gehalt entspricht, sondern der um die komplex gebundene Silberionen-Menge hSher liegt. Extrapoliert man dagegen den AP entsprechend dem idealen Kurvenverlauf, so erh~lt man einen Punkt (P1), der theoretisch dem SH-Gehalt £quivalent ist und auch praktisch diesem nahe kommt [9].

Komplexbildung kSnnte auch erst nach Abs~ttigung aller SH-Gruppen eintreten. In diesem Fall w~re jedoch eine andere Kurvenform zu erwarten (Kurve mit zwei Knickpunkten).

b) Trgge R~ktion der SH.Grupl~en. Diese gibt sich dadurch zu erkennen, dab am Anfang der Titration der Diffusionsstrom nach jedem AgNO3-Zusatz jeweils nur langsam absinkt, wie die mit Hilfe eines Polarographen aufgezeichnete Kurve

juA

/ //

S 0 ¢ ¢ mL A No 3

Abb. 3. Kontinuierliche Aufzeichnung des stufenfSrmigen Stromverlaufs bei der amperometri- schen Titration langsam reagierender Protein-SH-Gruppen mit Hilfe eines Polarographen (nach

Hofmann [29]). Zur Ermittlung des .~quivalenzpunktes siehe Text

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in Abb. 3 erkennen l'gBt. Trotz portionsweiser Zugabe der AgNO3-LSsung zu der ProteinlSsung in grSBeren Zeitabstgnden (z. B. in 2-min-Intervallen) w£rd wegen der verzSgerten Gleichgewiehtseinstellung jewefls nur ein Teil der zugesetzten Ag+-Ionen verbraueht. Die restliehen Silberionen bewirken einen bleibenden flaehen Kurven- anstieg (ausgezogene Linie in Abb. 3).

Die Kurvenform ist aber nur formal mit jener, die bei Komplexbildung (s. oben) auftritt, verglaiehbar, denn der Endpunkt der Titration der Protein-SIt-Gruppen entsprieht bier dem Punkt P2, wie folgende Uberlegung zeigt (vgl. Abb. 3) : Wfirden alle SH-Gruppen rasch reagieren und das zugesetzte Silber bis zum AP vollst~ndig verbrauehen, so lgge der Diffusionsstrom an allen Stellen niedriger, und zwar am Kurvenknickpunkt und an allen dariiberliegenden Punkten um den Betrag A i, so dab sieh eine ideale Kurve (gestriehelt gezeichnet) mit dem Sehnittpunkt P2 ergeben wfirde. P2 entspricht somit dam SH-Gehalt eher als P1- DaB im Falle yon Komplexbildung das Umgekehrte zutrifft (s. unter a), erkli~rt sich daraus, dab diese zu einem Mehrvarbrauch, unvollstgndige Reaktion dagegen zu einem Minderver- braueh an Silberionan ffihrt. Bei der Ermittlung des Punktes, der der tatsgchlichen SH-Menga entsprieht, muB im ersteren Falle ein niedi'igerer, im letzteren dagegen ein hSherer Endpankt resultieren.

c) Viscosit~itsSnderung. Dieser Faktor kann praktisch vernachlgssigt werden, da die Anderung der Viseositi~t der zu titrierenden LSsung, yon welaher der Diffusions- strom abhgngt, bei der in Betraeht kommenden Volumengnderung nur sehr gering ist. Bei Zusatz yon 1 ml 0,001 m-AgNO 3 zu jewefls 36 ml wgBriger LSsungen yon Harn- stoff (8 m), Eialbumin (60 rag/36 ml) und Aetomyosingel (6,6 rag/36 ml) ermittelten wh- mit Hilfe eines Ostwald-Viscosimeters Viscositgtsitnderungen yon -- 5,1%, + 1,8 % (Denaturierung ?) resp. -- 3,0%.

3. Die umgekehrte Titration Sie besteht darin, daB Silbernitrat vorgelagt und mit der SIt-LSsung titriert

wird [22], wobei L-Kurven erhalten werdan, die das Spiegelbild zu dan bei der direkten Titration erhaltenen Kurven darstellen. Dieses Verfahren ist auf nieder- molekulare SH-Verbindungen [22] und SH-Proteine in Serum und Vollblut [23] angawendet worden. Allerdings wurde dabei nieht zu Enda titriert, sondern zur Bestimmung des ~P nm" dar Stromabfall bei Zusatz einer bestimmten Mange an SH-LSsung registriert und dann das Volumen berechnet, das dan Strom auf den Wert Null gebracht hgtte. Gegen diese Extrapolationsmethode sind die gleiehen Ein- wgnde geltend zu maehen wie gegen die bereits diskutierte ,,Reagensfiberschul3- Methode" (s. Abschnitt 2). Auch hinsichtlieh der LSsung des Problems, alle SH- Gruppen zu erfassen, bietet sie gegenfiber der direkten Titration keinen Vorteil.

4. Die indirekte Titration Das yon uns eingefiihrte Verfahren der indirekten Titration bietet die M6glichkeit

der Erfassung aller Stt-Gruppen eines Proteins, ohne dab dabei Schwierigkeiten bei der Endpunktbestimmung auftreten: Man versetzt die SH-LSsung mit einem geringen UberschuB an Silbernitrat und titriert naeh Erreichen des Reaktionsgleiehgewiehts -- bei~uskelproteinwerden hierzu 60 min benStig~ -- die restlichen Silberionen ampero- metrisch zurfiak. Das Verfahren wurde zur Bestimmung der Stt-Gruppen in Muskel- gewebe eingesetzt [24, 25], wobei als Titrationsmittel Kaliumjodid diente, das im Gegensatz zu dem grundsgtzlieh ebenfalls geeigneten SH-Glutathion lange Zeit titerstabfl (und auBerdem billiger) ist.

5. Die doppelt.indirekte oder "~quivalenz"-Titration Dieses yon uns entwickelte Verfahren (4, 9, 26) client dem gleichen An-

wendungsbereich wie die indirekte Titration. Es bietet aber dariiber hinaus den

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grol3en Vortei l , dal~ aueh andere SH-Reagen t i en un te r Verwendung derselben Ver- suehs teehnik eingesetz~ werden kSnnen; h ie rdureh is t eine op t ima le Vergle ichbarke i t der Ergebnisse gegeben, da als T i t ra t ions reagens s te ts AgNO 3 ve rwende t ~_rd, das sich fiberdies durch eine grol~e T i t e r s t ab i l i t~ t auszeichnet . Die Methode w a r d e yon uns e ingehend geprfif t u n d in zahlre iehen Un te r suehungen an Muskelpro te in und ande ren P ro t e inen angewende t (4, 9, 10, 26, 28- -32) .

Das Prinzip: Die z. B. 0,6 ~.mol SH enthaltende LSsung oder Suspension wird mit 1,0 [zmol SH-Reagens (z. B. Ag~Oa, N-~thylmaleinimid, p-Chlormereuribenzoat) bei pH 7,4 (Trispuffer) mindestens 1 Std incubiert. Die restliehen Silberionen (0,4 t~mol) werden durch Zugabe yon 1,0 ~mol SH-Glutathion verbraucht. Es verbleiben 0,6 ~mol Glutathion, d. h. die gleiche SH- Menge, die in der urspriinglichen ProbelSsung enthalten war. Diese wird nun mit AgN03 ampero- metrisch titriert [4, 9]. Hierbei wird eine den reaktionsf~higen Protein-SH-Gruppen entsprechende ~enge Silbernit.ra~ verbraucht, so d al~ fiir diese Art der indirekten SH-Bestimmung auch die Bezeichnung ,,Aquivalenz-Titration' verwendet werden kann. Die resultierenden Titrations- kurven zeigen einen nahezu idealen Verlauf entsprechend Abb. 2a, da es sich letztlich um eine Titration yon SH-Glutathion handelt. Damit entfallen die Sehwierigkeiten der Aquivalenzpunkt- bestimmung, wie sie in Abschnitt 2.1 erSrtert wurden.

Li te ra tur

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Dr. K. Hofmann und Professor Dr. R. Hamm Institut fiir Chemie und Physik Bundesanstalt fiir Fleischforschung D-8650 Kulmbaeh, Blaich 4 Bundesrepublik Deutschland