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Helmut Fink | Rainer Rosenzweig (Hrsg.) Bewusstsein – Selbst – Ich Die Hirnforschung und das Subjektive

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Ich

ie Fortschritte der Neurowissenschaften erschließen grundlegende Arbeitsprinzipien des menschlichen Gehirns. Alle geistigen Aktivitäten gehen mit spezifischen

neuronalen Anregungsmustern einher. Doch nur die wenigsten Leistungen des Gehirns führen zu einem bewussten Erleben seines Besitzers. Und ein „Ich“ kommt in den Daten von Hirnscans naturgemäß nicht vor.

Wie weit reichen also die Methoden und Konzepte der Hirn­forschung? Kann die „Erste­Person­Perspektive“ des Ich­Erlebens auf die „Dritte­Person­Perspektive“ der Neurobiologie zurück geführt werden? Wie verhält sich die subjektive Innensicht unserer Erlebnisse zur objektiven Außensicht unserer Hirn­zustände? Wie entstehen Bewusstsein und persönliches Identitätsgefühl? Welche Störungen können dabei auftreten? Wovon hängt unser Selbstbild ab?

Mit Beiträgen von: Katrin Amunts, Ansgar Beckermann, Norbert Bischof, Frank Erbguth, Brigitte Falkenburg, John­Dylan Haynes, Christof Koch, Ulrich Kühnen, Wolf Singer, Henrik Walter und Jennifer Windt.

DBewusstsein –Selbst –Ich

Die Hirn forschung und das Subjektive

ISBN9783897854185

9 783897 854185

TdS Buch "Bewusstsein-Selbst-Ich" 07-2014.indd 1 28.07.14 10:28

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Fink/Rosenzweig (Hrsg.) · Bewusstsein – Selbst – Ich

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In dieser Reihe erschienen:

Helmut Fink/Rainer Rosenzweig (Hrsg.): Freier Wille –frommer Wunsch? Gehirn und Willensfreiheit (2006)

Stephan Matthiesen/Rainer Rosenzweig (Hrsg.): VonSinnen. Traum und Trance, Rausch und Rage aus Sichtder Hirnforschung (2007)

Helmut Fink/Rainer Rosenzweig (Hrsg.): Neuronen imGespräch. Sprache und Gehirn (2008)

Rainer Rosenzweig (Hrsg.): Nicht wahr?! Sinneskanäle,Hirnwindungen und Grenzen der Wahrnehmung (2009)

Helmut Fink/Rainer Rosenzweig (Hrsg.): Künstliche Sinne,gedoptes Gehirn. Neurotechnik und Neuroethik (2010)

Rainer Rosenzweig (Hrsg.): Geistesblitz und Neuronendonner.Intuition, Kreativität und Phantasie (2010)

Helmut Fink/Rainer Rosenzweig (Hrsg.): Mann, Frau, Gehirn.Geschlechterdifferenz und Neurowissenschaft (2011)

Helmut Fink/Rainer Rosenzweig (Hrsg.): Verantwortungals Illusion? Moral, Schuld, Strafe und das Menschenbildder Hirnforschung (2012)

Helmut Fink/Rainer Rosenzweig (Hrsg.): Das Tier im Menschen.Triebe, Reize, Reaktionen (2013)

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Helmut Fink /Rainer Rosenzweig (Hrsg.)

Bewusstsein –Selbst – Ich

Die Hirnforschung und das Subjektive

mentisMÜNSTER

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Helmut FinkEinleitung: Mein Gehirn und ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Wolf SingerIn unserem Kopf geht es anders zu, als es uns scheintDas Gehirn, ein sich selbst organisierendes System . . . . . 17

Katrin AmuntsMein Hirn, Dein Hirn, das simulierte HirnIndividuelle Vielfalt aus der Sicht der Neuroanatomie . . . 37

John-Dylan HaynesDas Ich im HirnscannerFakt und Fiktion beim Auslesen (un-)bewussterGedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

Christof KochDas Leib-Seele-Problem im 21. JahrhundertInformationsverarbeitung und das Gehirn . . . . . . . . . . . 67

Norbert BischofIgnoramus – et ignorabimus?Warum das Leib-Seele-Problem noch längst nichtgelöst ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

Brigitte FalkenburgMythos DeterminismusNeuronale Mechanismen und ihre Grenzen . . . . . . . . . . 107

Ansgar BeckermannSelbstbewusstsein ohne IchWie kognitive Wesen lernen, sich als Teil der Welt zusehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

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6 Inhalt

Jennifer M. WindtTräume, Bewusstsein und das SelbstEine Analyse aus Sicht der Philosophie des Geistes . . . . . 151

Ulrich KühnenKultur und KognitionWie das Selbst das Denken formt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Frank ErbguthNarkose – Koma – WachkomaErkenntnisse zum »abgeschalteten« Bewusstsein . . . . . . 205

Henrik WalterDie dritte Welle der biologischen PsychiatriePsychische Störungen, Neurobiologie undPhilosophie des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

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Vorwort

Dieses Buch versammelt Beiträge der Vortragenden, die auf demSymposium »Bewusstsein – Selbst – Ich. Die Hirnforschung unddas Subjektive« gesprochen haben. Dieses Symposium fand von 4.bis 6. Oktober 2013 statt und wurde – wie die jährlichen Vorgän-gerveranstaltungen seit 1998 – von der gemeinnützigen turmder-sinne GmbH, einer Gesellschaft des Humanistischen VerbandesHVD Bayern, organisiert. Nach 15 Jahren in Nürnberg wurdedas Symposium 2013 erstmals in der Stadthalle Fürth abgehal-ten. Die Originalfolien der meisten Vorträge sind im Netz unterwww.turmdersinne.de ⇒ Symposium 2013 ⇒ Vortragsfolien zu-gänglich.

Der vorliegende Band ist bereits der zehnte in dieser Reihe. Erwidmet sich der fundamentalen Frage nach dem nur schwer insnaturwissenschaftliche Weltbild einfügbaren – aber gleichwohl un-abweisbaren – Phänomen des Bewusstseins und des Ich-Erlebens.Alle Bände dieser Reihe gehen von Erkenntnissen der Hirnfor-schung aus und zeigen Anwendungen und Einordnungen aus ver-schiedener, etwa medizinischer, psychologischer oder philosophi-scher Perspektive auf. Die bisher behandelten SchwerpunktthemenWillensfreiheit, Bewusstseinsveränderung, Sprache, Sinneswahr-nehmung, Hirndoping, Kreativität, Geschlechtsunterschiede, Ver-antwortungszuschreibung und Mensch-Tier-Verhältnis haben alleeinen erkennbaren Bezug zum Menschenbild. Das gilt klarerweiseauch für diesen Band.

Unser Dank gilt erneut den Autor(inn)en, allesamt Fachleuteauf ihrem Gebiet, die durch Wort und Text einem breiteren Pu-blikum Einblick in ihre Forschung geben. Ebenso sind wir demeingespielten Team des turmdersinne verpflichtet, ohne das dieSymposien nicht stattfinden könnten. Das Glossar des Buches be-ruht auf wichtiger Zuarbeit von Barbara Rosenzweig und Domi-nique Böhm. Schließlich gebührt dem mentis Verlag einmal mehruneingeschränkte Anerkennung.

Nürnberg im August 2014 Die Herausgeber

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Helmut Fink

Einleitung: Mein Gehirn und ich

»Mein Gehirn und ich, wir sind schon zwei«, so lautet ein selbstiro-nisches Bonmot. Sprache ist geduldig. Im Englischen etwa kannmit »Me, Myself and I« leicht eine persönliche Dreifaltigkeit her-beigeredet werden, die durch keinerlei Befund gedeckt ist. Dochbleiben wir bei »meinem Gehirn und mir«: Diese Zweiheit ruft einSchmunzeln hervor, weil mit ihr offensichtlich etwas nicht stimmt,ohne dass sie andererseits ganz falsch wäre. Wie kommt es zu die-sem eigenartigen Spannungsverhältnis?

Das Gehirn ist kein Organ wie jedes andere. Es legt den Kernder Persönlichkeit fest. Man kann sich jedes andere Organ ampu-tiert, transplantiert oder durch Technik ersetzt denken, ohne dieIdentität einer Person zu zerstören – nicht aber das Gehirn. All un-sere Erinnerungen, Vorlieben, Zielvorstellungen und Handlungs-dispositionen sind darin gespeichert. Zwar sind auch beim Gehirnschrittweise Ergänzungen des neuronalen Netzwerks durch Im-plantate denkbar, und die materielle Grundlage der Geistestätigkeitkann viele Hilfsmittel außerhalb der natürlichen Hirnphysiologieeinschließen. Aber eine vollständige Ersetzung des Gehirns ohnePersönlichkeitsverlust müsste alle Funktionen im Detail nachbil-den, die die individuellen neuronalen Verschaltungen im Lebens-vollzug der jeweiligen Person erfüllen. Das ist utopisch. Jedes Ge-hirn ist ein Kosmos für sich.

Das Gehirn einer Person und ihre Geistestätigkeit gehören also,so scheint es, untrennbar zusammen. Frei schwebende Geister ohnematerielle Träger sind im Zeitalter der Wissenschaft aus der Modegekommen und leben nur in Märchen, Mythen und Religionen fort.Gleichwohl kann eine Person nicht schlechthin mit ihrem Gehirnidentifiziert werden. »Ich bin mein Gehirn« taugt höchstens alsprovokant-neurozentrische Zuspitzung, nicht jedoch als ernsthafteanthropologische Aussage. Der Personenbegriff umfasst mehr alsein materielles Substrat unter der Schädeldecke. »Mein Gehirn«

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und »ich« sind somit in der Tat zwei verschiedene – genauer: ver-schiedenartige – Entitäten.

Wie auch immer der ontologische Status von Personen im Ein-zelnen beschrieben wird – ganz ohne Bezug auf eine geistige Ebene,auf bewusstes Erleben, auf die »Innenperspektive« der Person wirdes nicht gehen. Die materielle Konfiguration eines Lebewesens,seine Körperlichkeit, sein »äußeres« Schicksal in Raum und Zeit,die Reiz-Reaktions-Ketten und Regelkreise seines Verhaltens sindzweifellos unverzichtbare Voraussetzungen für die Zuschreibungdes Personenstatus. Entscheidend sind darüber hinaus jedoch Emp-findungsfähigkeit (und damit Leidensfähigkeit), zukunftsgerichteteWünsche und Interessen sowie eine Vorstellung seiner selbst undeine Art Identitätsgefühl. Personen sind alles in allem notorischbewusstseinsbegabt.

Bewusstsein ist ein fragiles und doch hartnäckiges Phänomen.Einerseits ist unser bewusstes Erleben lückenhaft, in Schlaf, Nar-kose und Koma reduziert oder gar stillgelegt, seine Inhalte auchim Wachzustand sehr selektiv, bisweilen assoziativ und unstet. An-dererseits ist das phänomenale Bewusstsein – wenn auch nur dasjeweils eigene – als solches unabweisbar. Es kann nicht als Illusionabgetan oder aus einer umfassenden Betrachtung der Wirklichkeitfortgelassen werden. Zudem gibt es für die Ebene der »mentalenGehalte« ein gut funktionierendes Vokabular, das sowohl über Ge-danken und Absichten als auch über Wahrnehmungsinhalte undEmpfindungen und sogar über höchst subjektive Gefühlsnuancenund Erlebnisqualitäten eine erstaunlich präzise intersubjektive Ver-ständigung erlaubt.

Die Erforschung des Bewusstseins hat eine methodische Sonder-stellung. Während materielle Abläufe durchgängig in der 3. Person-Perspektive eines externen Beobachters (der selbst nicht Gegen-stand der Beschreibung ist) beschrieben werden, beruht die Un-tersuchung von Bewusstseinsvorgängen auf dem privilegierten Zu-gang der 1. Person-Perspektive. Solange es nur um Gesetzmäßigkei-ten in den Verhaltensäußerungen eines Lebewesens geht, könnendie neuronalen Ursachen des Verhaltens in der untersuchten Si-tuation problemlos in ein physisches Erklärungsschema eingefügtwerden. Soll hingegen zusätzlich ein subjektives Erleben erfasst

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werden, so muss zuerst eine Art Symbolverhalten des Lebewesensausgewertet werden, das über seinen inneren Zustand Auskunftgibt. Sprachliche Äußerungen sind hierfür bei Versuchspersonendie naheliegendste Lösung: Wer wissen will, was ein Mitmenschdenkt und fühlt, kann und muss ihn fragen.

Das Studium der neuronalen Anregungsmuster im Gehirn wäh-rend berichteter Bewusstseinsvorgänge führt dann zur Unterschei-dung zwischen denjenigen physiologischen Vorgängen, die mit be-wusstem Erleben einhergehen, und denjenigen, bei denen dies nichtder Fall ist. Dieses Programm ist nichts anderes als die Suche nachneuronalen Korrelaten des Bewusstseins. Es ist bescheidener, aberdafür handhabbarer als die große Frage, wieso es überhaupt qua-litatives Erleben gibt oder wie sich »die Materie« und »der Geist«zueinander verhalten. Zwischen diesen beiden verbleibt eine Erklä-rungslücke, wenn nicht gar eine ontologische Kluft. Darin liegt ein»hartes Problem« – oder wie man früher gesagt hätte: ein »Welträt-sel« –, das in diesem Buch nicht gelöst wird.

Es bleibt sicherlich sinnvoll, die objektiv-materialistische unddie subjektiv-mentalistische Sprachebene sorgfältig auseinanderzu-halten, und sei es nur, um sie dann umso treffsicherer aufeinanderbeziehen zu können. Vorschnelle Reduktionen und Kategorienfeh-ler sind in den vergangenen Jahrzehnten ausgiebig kritisiert wor-den, so dass das Verhältnis zum »Leib-Seele-Problem« schon langekein naives mehr sein kann. In diesem Zusammenhang ist eine ge-genseitige Schärfung der Argumente bei den beteiligten Disziplinenund speziell zwischen Neurowissenschaften und Neurophiloso-phie zu beobachten. Im vorliegenden Band wird ein aktueller Über-blick über einige Entwicklungen in den Bereichen Hirnforschung,Philosophie, Psychologie und Medizin gegeben.

Den Anfang macht der Beitrag des Neurophysiologen Wolf Sin-ger. Er erläutert einige grundlegende Prinzipien in der Arbeitsweisedes Gehirns und identifiziert die Evolution, Umwelteinflüsse undlebenslanges Lernen als Determinanten seiner funktionellen Archi-tektur. Unsere kognitiven Fähigkeiten sind durch die lebensweltli-chen Anforderungen im Mesokosmos begrenzt, unsere Wahrneh-mung beruht wesentlich auf konstruktiven Leistungen und implizi-tem Vorwissen. Objekte werden vom Gehirn distributiv verarbei-

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tet, ihre Merkmale werden durch erhöhte Aktivität und Synchroni-sierung der zuständigen Neuronen repräsentiert. Bei Schizophrenieliegt eine Störung dieser Synchronisationsmechanismen vor.

Im anschließenden Beitrag der Neurowissenschaftlerin KatrinAmunts steht die interindividuelle Variabilität, also die Abweichun-gen zwischen individuellen Gehirnen, im Mittelpunkt. Sie zeigtsich im zellulären und molekularen Aufbau der unterschiedlichenHirnbereiche. Eine vergleichsweise große Variabilität wurde imBrocaschen Sprachareal gefunden. Durch räumliche Referenzsys-teme können Hirnkarten erstellt werden, die die Wahrscheinlich-keit zeigen, ein Hirnareal an einer bestimmten Stelle zu finden. DieOrdnungsprinzipien der Hirnorganisation sind Forschungsgegen-stand. Dabei werden die Verbindungen zwischen Arealen bis hinzu einzelnen Nervenfasern mit speziellen bildgebenden Verfahrenuntersucht.

Der Psychologe und Neurowissenschaftler John-Dylan Hay-nes behandelt die Frage, inwieweit heute schon Gedanken ausder Aktivität des Gehirns »ausgelesen« werden können. Dies istbei manchen Wahrnehmungsinhalten, auch bei unterschwelligenWahrnehmungen und bei einfachen Entscheidungen mit überzu-fälliger Treffsicherheit möglich. Die verwendeten Verfahren zurMessung der Hirnaktivität und zur Mustererkennung werden kurzvorgestellt, ebenso die damit verbundenen Schwierigkeiten. Wich-tige Anwendungen liegen in der Medizin bei Gehirn-Computer-Schnittstellen zur Prothesensteuerung und bei der Kontaktauf-nahme mit Wachkoma-Patienten. Diskutiert werden auch Lügen-detektoren auf der Basis von Hirnscans und Studien im Bereich desNeuromarketing.

Der Physiker und Neurowissenschaftler Christof Koch schildertseinen persönlichen Zugang zur Bewusstseinsforschung und erläu-tert die dabei maßgeblichen Ideen. Bewusstsein wird als grundle-gende Eigenschaft bestimmter komplexer Systeme angesehen, dienicht weiter reduziert werden kann. Im Rahmen einer funktiona-listischen Betrachtung kommt es nicht auf das Substrat des Gehirnsan, sondern nur auf seine Organisation. Die Kennzeichnung be-wusster Vorgänge erfolgt in der Sprache der Informationstheorie.Zentral ist in diesem Zugang der Begriff der integrierten Infor-

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mation. Er drückt zugleich Integration und Differenzierung desbetrachteten Systemzustands aus. Die integrierte Information dientals quantitatives Maß des mit einem Systemzustand verbundenenBewusstseins. Auch die Qualität einer Erfahrung lässt sich in einemhochdimensionalen Raum mathematisch abbilden.

Im nachfolgenden Beitrag begründet der Psychologe und Ver-haltensforscher Norbert Bischof seine grundsätzliche Skepsis ge-genüber solchen rein informationstheoretischen Zugängen. Ausge-hend von Dualismus und Monismus als klassischen Positionen zum»Leib-Seele-Problem« unterscheidet er die Begriffspaare »leiblich/seelisch« als Erlebnisinhalte und »psychisch/physisch« als Korre-late.1 Das psychophysische Problem liegt nicht im Zustandekom-men des Selbstbildes, sondern darin, dass es überhaupt eine Wahr-nehmungswelt gibt. Isomorphieforderungen zwischen Gehirn undBewusstsein werden diskutiert und die Semantik von Signalen alsAnsatzpunkt zum Verständnis von Bewusstsein herausgearbeitet.Semantik ist jedoch kein Gegenstand der Informationstheorie. Inder Frage der Willensfreiheit wird vor dem Hintergrund unsererklassischen Erkenntnis- und Beschreibungsmittel auf die Möglich-keit quantenmechanischer Effekte hingewiesen.

Die Physikerin und Philosophin Brigitte Falkenburg lieferteinen kritischen Abriss zur Wissenschaftstheorie der Hirnfor-schung. Nach Schilderung des Zusammenwirkens von top down-und bottom up-Ansatz in den Naturwissenschaften widmet sie sichden Leistungen mechanistischer Erklärungen und weist auf dieGrenzen deterministischer Vorstellungen angesichts thermodyna-mischer Irreversibilitäten hin. Die Signalübertragung in neuronalenNetzen kann durch Schaltkreise mit stochastischen Verknüpfun-gen simuliert werden. Der Informationsbegriff dient dabei als se-mantische Brücke zwischen natürlichen und künstlichen Systemen(Gehirnen und Computern). Beim Übergang zu Geist oder Be-wusstsein wird diese Analogie jedoch überzogen. Probleme zeigensich bei einer modularen Auffassung des Selbsterlebens, bei der

1 Viel detaillierter ausgearbeitet findet man den hier nur knapp angedeuteten Zugangin dem gründlichen und anregenden Lehrbuch von N. Bischof: Psychologie. EinGrundkurs für Anspruchsvolle, 2. Aufl., Kohlhammer, Stuttgart 2009.

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Erklärung von Bewusstseinsinhalten im Rahmen des Bindungspro-blems sowie bei der Betrachtung neuronaler Synchronisierung alsPhasenübergang.

Der Philosoph Ansgar Beckermann unterwirft die substanti-vierte Rede von »dem Ich« einer vernichtenden Kritik und spürtdabei ihren sprachlichen Wurzeln bei Descartes und Locke nach.Anschließend rekonstruiert er das Konzept »Selbstbewusstsein« –ohne Bezug auf ein »Ich« oder »Selbst« – als ein Wissen über dieeigene Person. Zentraler Ausgangspunkt ist die Repräsentation derUmgebung durch kognitive Wesen. Statt Weltkoordinaten erweisensich akteurzentrierte Koordinaten im Lebensvollzug zunächst alsnaheliegend und nützlich. Erst die Notwendigkeit, andere kogni-tive Wesen und deren Überzeugungen zu repräsentieren, eröffnetdie Möglichkeit, sich als ein kognitives Wesen unter diesen zu se-hen und deren Repräsentation der eigenen Person mit der eigenen,ursprünglich akteurzentrierten Repräsentation in Verbindung zubringen. Darauf aufbauend entstehen dann Metarepräsentationender eigenen intentionalen Zustände.

Die Philosophin Jennifer Windt analysiert die Begriffe desTraumbewusstseins und des Traumselbst unter Einbeziehung em-pirischer Befunde aus der Schlaf- und Traumforschung. Nach ei-nem Rückblick auf die Entdeckung des REM-Schlafs einerseits unddie Zurückweisung der Aussagekraft von Traumberichten durcheine frühe Strömung der analytischen Philosophie andererseits gibtsie Belege für die Fruchtbarkeit der Annahme, dass Träume be-wusste Erlebnisse im Schlaf sind. Dazu gehören die sensorischeund emotionale Qualität von Träumen, die Integration externerReize ins Traumgeschehen, die Reaktionen von Klarträumern (lu-ziden Träumern) und die spezifische Hirnaktivität bei bestimm-ten Trauminhalten. Das Konzept eines phänomenalen Traumselbstwird gestützt durch Berichte variierender Selbstrepräsentationenim Traum, wobei die minimale Form des Selbsterlebens in raum-zeitlicher Selbstlokalisierung besteht. Diese befördert nicht nurden Vergleich von Traumselbst und Wachselbst, sondern auch vonvirtueller und erlebter Realität.

Der Psychologe Ulrich Kühnen untersucht in seinem Beitrag,ob und wie das kulturelle Umfeld Einfluss auf Wahrnehmung, Auf-