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Universität Salzburg & University of Salzburg Business School Universitätslehrgang Executive MBA International Arts Management Lehrgangsleitung: Univ.-Prof. Dr. Adolf Haslinger Prof. Herwig Pöschl Bibliotheken der Zukunft Strategieentwicklung an wissenschaftlichen Bibliotheken am Beispiel der Universitätsbibliothek Wien Master Thesis vorgelegt von: Dr. Andreas Brandtner Esteplatz 3/14 1030 Wien Wien, im Oktober 2010

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Universität Salzburg & University of Salzburg Business School

Universitätslehrgang Executive MBA International Arts Management

Lehrgangsleitung:

Univ.-Prof. Dr. Adolf Haslinger

Prof. Herwig Pöschl

Bibliotheken der Zukunft Strategieentwicklung an wissenschaftlichen Bibliotheken

am Beispiel der Universitätsbibliothek Wien

Master Thesis vorgelegt von:

Dr. Andreas Brandtner

Esteplatz 3/14

1030 Wien

Wien, im Oktober 2010

2

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und

ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benützt und die

den benützten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche klar

gemacht habe.

Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen

Prüfungsbehörde vorgelegt und auch nicht veröffentlicht.

Dr. Andreas Brandtner

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 3

Einleitung 5

1. Bibliotheken in der Wissensgesellschaft 8

1.1. Was heißt Bibliothek? 8

1.2. Hybride Bibliotheken zwischen analoger und digitaler Information 10

1.2.1. Digitalisierung von analoger Information 17

1.2.2. Bereitstellung von originärer digitaler Information 22

1.2.3. Langzeitarchivierung von digitaler Information 23

1.3. Die neue Qualität des analogen Bibliotheksraums 26

1.4. Teaching Library 28

1.5. Bibliothek 2.0 / 3.0 / 4.0 30

1.6. Bibliothekstypologisches und Ausdifferenzierung der Bibliotheken 32

2. Die Universitätsbibliothek Wien als Dienstleistungseinrichtung

der Universität Wien 35

2.1. Geschichte 35

2.2. Aktuelle Daten und Fakten 37

2.3. Organisatorische Verankerung 40

2.4. Ablauforganisation und neue Handlungsfelder 41

2.5. Aufbauorganisation 45

Exkurs 1: Zweischichtigkeit, Einschichtigkeit und funktionale

Einschichtigkeit von Bibliothekssystemen in Universitäten 47

2.6. Aufgaben und Kernkompetenzen 48

3. Strategieentwicklung für Organisationen 50

3.1. Positionen der Managementtheorie 50

3.2. Strategieentwicklung für und von Bibliotheken 62

3.2.1. Allgemeine bibliothekarische Zukunfts- und Strategieentwürfe 63

3.2.2. Konkrete bibliothekarische Strategieentwicklung 72

4. Strategieentwicklung der Universitätsbibliothek Wien 77

4.1. Voraussetzungen und Vorbereitung 77

4.1.1. Aufbauorganisation 77

4.1.2. Ablauforganisation und Geschäftsprozessmanagement 79

Exkurs 2: Geschäftsprozess: Personenbezogene Änderungen

bei bestehender Entlehnberechtigung 79

4.1.3. Organisationskultur 90

4.1.4. Personalentwicklung 93

4.1.5. Interne Kommunikation 95

4.1.6. Kernkompetenzen 96

4.2. Rahmenbedingungen und relevante Umwelten 100

4.2.1. Gesetzliche Rahmenbedingungen 100

4.2.2. Inneruniversitäre Rahmenbedingungen 100

4.2.3. Erfolgskritische außeruniversitäre Umwelten 102

4.2.4. Systemische Konsequenzen 104

4.3. Initiierung und Grundausrichtung 105

4.4. Zielsetzung und Prozess 106

4.4.1. Zielsetzung 106

4.4.2. Struktur 106

4.4.3. Verlauf 107

4.5. Nächste Schritte 116

4.5.1. Evaluation der Prototypen durch die Steuerungsgruppe 116

4.5.2. Evaluation der Strategieentwicklung durch die Peer-Evaluation 116

5. Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven 118

5.1. Ergebnisse der Evaluationen 118

5.2. Zwischenbilanz zur Strategieentwicklung – Lessons Learned 118

5.2.1. Stärken 118

5.2.2. Schwächen 119

5.2.3. Chancen 119

5.2.4. Risiken 120

5.3. Erfolgskritische Perspektiven 120

5.3.1. Etablierung eines strategischen Managements 120

5.3.2. Weiterentwicklung der Organisationskultur 121

5.3.3. Innovation durch Prototyping 121

Resümee 123

Literaturverzeichnis 124

2

Vorwort

Die vorgelegte Arbeit greift das Thema des strategischen Managements auf und

behandelt es am Beispiel eines der differenziertesten, dynamischsten, turbulentesten

und auch zukunftsmächtigsten Märkte des frühen 21. Jahrhunderts, des

Informationsmarkts. Dabei wird der Bereich der Bibliothek als einer der zentralen (und

bisweilen zu wenig bedachten) Marktplayer herausgegriffen und exemplarisch am

Beispiel der Universitätsbibliothek Wien – einer der größten wissenschaftlichen

Bibliotheken des deutschen Sprachraums und auch in gesamteuropäischer Perspektive –

abgehandelt. Rekonstruiert und kritisch reflektiert wird der

Strategieentwicklungsprozess, den die Bibliothek der Universität Wien nach

umfangreicher und intensiver Vorbereitung als zentrale Maßnahme zur

Organisationsentwicklung im Jahr 2008 gestartet hat und der zum Abfassungszeitraum

der Master Thesis noch nicht abgeschlossen ist.

Die Studie rekurriert auf einen Teil der beruflichen Biographie ihres Verfassers und

resultiert aus seiner Tätigkeit in vier Gedächtnisinstitutionen: dem Adalbert-Stifter-

Institut des Landes Oberösterreich in Linz, dem Österreichischen Literaturarchiv der

Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, der Handschriftensammlung der Wiener

Stadt- und Landesbibliothek (heute: Wienbibliothek im Rathaus) und schließlich und

vor allem der Dienstleistungseinrichtung Bibliotheks- und Archivwesen

(Universitätsbibliothek / Universitätsarchiv) der Universität Wien. Als stellvertretender

Leiter des Bibliotheks- und Archivwesens der Universität Wien war der Verfasser

zentral an der Vorbereitung und Initiierung des dargestellten

Strategieentwicklungsprozesses beteiligt und verantwortet seine Durchführung

maßgeblich mit.

Die Untersuchung fokussiert vornehmlich auf die Management- und

Organisationspraxis. Zentral ist der Erfolg des rekonstruierten und begleiteten

Strategieentwicklungsprozesses und nicht seine theoretische Verallgemeinerung und

Quasi-Objektivierung. Dennoch wird die entsprechende Managementtheorie gründlich

miteinbezogen und in die Praxis vermittelt. Dies ist vor dem Hintergrund der

beruflichen Verstrickung des Verfassers in seinen Untersuchungsgegenstand dringend

notwendig: Denn die Untersuchung möchte auch die unternehmerische Praxis mit

Komplexität anreichern sowie konsequent und beharrlich in Frage stellen, die blinden 3

Flecken des Managementalltags ausleuchten. Gerade in einer Situation turbulenter

Umwelten, diskontinuierlicher, nicht-linearer Prozesse, die sich der Prognose zu

entziehen scheinen, verspricht der Rückgriff auf theoretische Abstraktion, die

Wahrnehmung so zu flexibilisieren, dass Organisationsgestaltung und Organisieren mit

robusten wie gleichzeitig fragilen Netzwerken, mit mehrdeutigen Umwelten und mit

einer unbekannten Zukunft produktiv interagieren können.

Als Konsequenz aus ihrer praktischen Fundierung bezieht diese Master Thesis auch klar

Position. Sie ergreift Partei für die Institution Bibliothek als Ort des freien,

uneingeschränkten und offenen Umgangs mit Information, als Ort von Kommunikation

und sozialer Interaktion, als Einrichtung, die Zugänge schafft und Austausch

ermöglicht. Angesichts der zunehmenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung

von Information und Wissen kommt der Bibliothek – flankiert von anderen

Gedächtnisinstitutionen – eine immer wichtiger werdende Funktion in einer

demokratisch organisierten Informations- und Wissensgesellschaft zu, der die freie

Zugriffsmöglichkeit auf Information vorausgesetzt ist. Die Arbeit bezieht ihre Position

nicht rhetorisch und damit im verhandelten Kontext naiv, sondern sie versucht, den

Bibliotheken ein erfolgskritisches Aktionsfeld aufzubereiten und einschlägiges Material

verfügbar zu machen, um diese für ihre eigene Profilierung in einem durch starke

Konkurrenz ausgezeichneten Markt zu stärken.

Bei Herwig Pöschl, dem Gründer und langjährigen Leiter des ICCM (International

Centre for Culture and Management), bedanke ich mich sehr herzlich für die Begleitung

dieser Master Thesis und darüber hinaus für die immer gewinnbringenden Gespräche,

verstreut über zahlreiche Jahre. Ich bedanke mich ebenfalls bei Mag. Maria Seissl, der

Leiterin des Bibliotheks- und Archivwesens der Universität Wien, die den dargestellten

Strategieentwicklungsprozess entscheidend mit gestaltet und intensiv gefördert hat.

Mag. Gerda Mraczansky, der Leiterin der Abteilung Personalentwicklung der

Universität Wien, danke ich besonders, weil sie das dargestellte Vorhaben ideell, in

seiner Finanzierung auch budgetär und immer konzeptionell unterstützt hat.

Fanø, September 2010

4

Einleitung

Bibliotheken sind als Informationsdienstleister feste Größen des aktuellen und

historischen Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsbetriebs. Seit dem späten 20.

Jahrhundert ändert sich allerdings der Informationsmarkt rapide, teilweise turbulent und

gewiss auch nachhaltig. Das alteuropäische Leitmedium Buch ist grundlegend

relativiert, Information wird vermehrt digital gehandelt, und das Internet erlaubt den

Zugriff auf Daten orts- und zeitunabhängig. Information wird zur zentralen Ressource

des 21. Jahrhunderts und Bildung ein signifikanter Standortvorteil in einer

globalisierten Welt. Aber Information und Wissen sind nur dann marktfähig, wenn sie

durch Informationsarbeit aufbereitet und zugänglich gemacht werden, ein klassisches

Terrain der Bibliotheken und ein attraktives Feld für neue Player am Markt.

Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen und technologischen

Entwicklung, die das Verhältnis von Informationserstellung, -angebot und -nachfrage

neu ordnen wird, widmet sich die Master Thesis der Frage nach der Zukunft der

Bibliotheken. In einer Art Werkstattbericht wird der aktuell seit etwa zwei Jahren

laufende Strategieentwicklungsprozess der Universitätsbibliothek Wien dargestellt,

sowie in soziokultureller und managementtheoretischer wie -praktischer Hinsicht

kontextualisiert und reflektiert. Die Universitätsbibliothek Wien gerät dabei nicht nur

als Einzelorganisation in den Blick, sondern dient auch als repräsentatives Beispiel für

wissenschaftliche Bibliotheken in der gegenwärtigen scheinbar paradoxen Situation,

dass die Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft keinesfalls den Organisationstyp

Bibliothek automatisch begünstigt, obwohl die bibliothekarische Gemeinschaft konform

zu den Grundwerten der Wissensgesellschaft agiert. Zentrales Anliegen der Arbeit ist

es, in einer Zeit eines diagnostizierten Umbruchs die Strategiediskussionen von

Universitäts- und Hochschulbibliotheken aus der Perspektive einer Einzelorganisation

kritisch zu unterstützen, um deren Erfolgspositionen im Wettbewerb zu stärken. Denn

erst durch intensive Positionierungsarbeit kann es Bibliotheken gelingen, am

Informationsmarkt langfristig erfolgreich zu bleiben.

Im ersten Kapitel „Bibliotheken in der Wissensgesellschaft“ werden nach einem kurzen

Blick auf den aktuellen Bibliotheksbegriff die Konsequenzen sowohl der neuen

Informations- und Kommunikationstechnologien als auch gegenwärtiger

soziokultureller Prozesse für den Bibliotheksbereich dargestellt. Besonders zu bedenken 5

sind hier die Veränderungen, die aus der rasant fortschreitenden Digitalisierung der

Informations- und Wissenswelt resultieren. Insgesamt soll deutlich gemacht werden,

welche Anforderungen aktuell an Gedächtnisinstitutionen gestellt werden, und zudem

veranschaulicht werden, wie sich diese Einrichtungen proaktiv in eine freilich nur

schwierig prognostizierbare Zukunft, die teilweise durch disruptive Innovationen

gekennzeichnet ist, bewegen können.

Im zweiten Teil „Die Universitätsbibliothek Wien als Dienstleistungseinrichtung der

Universität Wien“ wird die im Mittelpunkt der Arbeit stehende Organisation sowohl

hinsichtlich betriebswirtschaftlicher Kerngrößen und -faktoren als auch hinsichtlich der

Prämissen ihrer Organisationskultur vorgestellt. Die ins Auge gefasste Organisation

erweist sich dabei als typische Repräsentantin einer Universitätsbibliothek, die sich vor

allem durch ihre markante Größe und innerbetriebliche Komplexität sowie durch

infrastrukturelle Herausforderungen, aber auch durch ihren spezifischen

organisationalen Entwicklungsstand auszeichnet.

Im dritten Abschnitt „Strategieentwicklung für Organisationen“ werden

unterschiedliche Ansätze und Schulen strategischen Managements rekonstruiert, wobei

sowohl auf aktuelle als auch historische Positionen abgehoben wird. Dieser Rekurs ist

umso notwendiger, als der Ausgangspunkt der Arbeit kein systematischer der

Managementtheorie sein kann, sondern ein praktischer des konkreten Managements ist.

Dieser hier bewusst (lösungs-)pragmatisch gewählte Ansatz einer aktiven

Unternehmensführung soll die Zusammenführung und Synthese unterschiedlicher und

bisweilen systematisch unvereinbarer Ansätze der Managementlehre erlauben, dort wo

die Organisation in ihrer Entwicklung und Zukunftsausrichtung profitiert. Ein Blick auf

rezente Beispiele von Strategieentwicklung an und für Bibliotheken schärft die

Aufmerksamkeit auf den in der Master Thesis betrachteten Organisationstyp.

Das vierte Kapitel „Strategieentwicklung der Universitätsbibliothek Wien“ beschäftigt

sich mit der derzeit laufenden Organisationsentwicklungsmaßnahme und den dafür

notwendigen Vorarbeiten. Der von einem externen Beratungsteam begleitete Prozess ist

fundamental partizipatorisch angelegt und resultiert aus dem kooperativen,

postheroischen Führungsstil des Top Managements der Bibliothek, der von grandiosen

Gesten grundsätzlich absieht. Er intendiert Konsequenzen für die Organisationskultur

und wurde auch von entsprechenden Optimierungsmaßnahmen – vor allem bei der

6

Verbesserung der betriebsinternen Kommunikation – basiert und flankiert. Mitbedacht

werden an dieser Stelle auch die Rahmenbedingungen und relevanten Umwelten.

Im fünften Kapitel „Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven“ wird einerseits der

Strategieentwicklungsprozess mit Stand September 2010 bewertet, andererseits werden

mögliche Zukunftsperspektiven verfolgt. Dabei wird besonders auf die langfristige

Etablierung von strategischem Management, die kontinuierliche Optimierung der

Organisationskultur und die Mobilisierung von Innovationspotential abgehoben. Der

Anlage als Werkstattbericht folgend, werden keine konkreten Handlungsanweisungen

entwickelt, sondern mögliche Spuren in die Zukunft verfolgt. Ein Resümee fasst die

Ergebnisse zusammen und beschließt die Arbeit.

Die Master Thesis versteht sich als beispielhafter und punktueller Beitrag zur Reflexion

der Ökonomisierung des Informationsmarkts und ihrer gesellschaftlichen

Konsequenzen. Ihre Ergebnisse sollen für die Bibliothekswelt insofern reflexions- und

handlungsrelevant sein, als Perspektiven einer strategischen Ausrichtung und damit

(pro-)aktiven Zukunftsgestaltung eröffnet werden. Damit wird gegenüber einer bloß

reaktiven Anpassung an geänderte Umweltbedingungen eine neue Dimension

strategischer und folglich auch operativer Aktivität gewonnen, die eine kurz- und

mittelfristige Perspektive zu überschreiten versucht, um einen langfristigen

Entwicklungshorizont zu eröffnen. Nicht nur die Inhalte der Strategieentwicklung der

Universitätsbibliothek Wien sollen dabei relevant sein, sondern – und das vor allem –

ihre sehr bewusst gewählte Form. Insofern Organisation in der vorliegenden Arbeit als

in ihrer Bewegung, Aktivität und Veränderung, das heißt als permanenter Prozess des

Organisierens verstanden wird, kann auch Strategie nicht als abgeschlossener Vorgang

bzw. als Produkt aufgefasst werden, sondern wird ebenso als anhaltender

Organisationsentwicklungsprozess begriffen. Diese Sichtweise konzentriert den Blick

auf die Prozessualität der Strategieentwicklung, deren Qualität maßgeblich ihren Erfolg

mitbestimmt.

7

1. Bibliotheken in der Wissensgesellschaft1

1.1. Was heißt Bibliothek?

Wirft man einen Blick auf die neueste Geschichte des Begriffs Bibliothek,2 ist auffällig,

dass es um die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert zu einem markanten Wandel

kommt: Die etymologische Basis, nämlich Bibliothek als Sammlung bzw.

Aufbewahrungsort (θήκη: Ablage) von Büchern (Βιβλίον: Buch), wird zugunsten des

Begriffs Information verlassen. Zwei Beispiele mögen das veranschaulichen:

Rupert Hacker vertritt in seinem einführenden Lehrbuch „Bibliothekarisches

Grundwissen“ noch die ältere Ansicht:

Das Wort Bibliothek kommt aus dem Griechischen und bedeutet Büchersammlung. Da sich in einer funktionierenden Bibliothek die Bücher in einer bestimmten Ordnung befinden und zur Benutzung durch den Leser verfügbar sein müssen, kann man eine Bibliothek definieren als eine geordnete und benutzbare Sammlung von Büchern.3

Die neuere Version findet sich etwa im „Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung“ von

Gisela Ewert und Walther Umstätter:

Die Bibliothek ist eine Einrichtung, die unter archivarischen, ökonomischen und synoptischen Gesichtspunkten publizierte Information für die Benutzer sammelt, ordnet und verfügbar macht.4

„Publizierte Information“ meint hier gedruckte Dokumente, audiovisuelle Medien in

analoger und digitaler Form sowie digitale Medien usw., „archivarisch“ verweist auf die

Bewahrung der Medieneinheiten, „ökonomisch“ bedeutet informationslogistisches

1 Die hier verwendete Begriffsfassung von Wissensgesellschaft orientiert sich an den Arbeiten von Nico Stehr; vgl. z. B.: Nico Stehr: Moderne Wissensgesellschaft. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 36 (2001), S. 7–14, hier S. 10: „Wenn Wissen in steigendem Maße nicht nur als konstitutives Merkmal für die moderne Ökonomie und deren Produktionsprozesse und -beziehungen, sondern insgesamt zum Organisationsprinzip und zur Problemquelle der modernen Gesellschaft wird, ist es angebracht, diese Lebensform als Wissensgesellschaft zu bezeichnen.“ 2 Vgl. etwa Gisela Ewert / Walther Umstätter: Die Definition der Bibliothek. Der Mangel an Wissen über das unzulängliche Wissen ist bekanntlich auch ein Nichtwissen. In: Bibliotheksdienst 33 (1999), S. 957–971. 3 Rupert Hacker: Bibliothekarisches Grundwissen. 7., neu bearb. Aufl. München: Saur 2000, S. 11. 4 Gisela Ewert / Walther Umstätter: Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung. Auf der Grundlage des Werkes von Wilhelm Krabbe und Wilhelm Martin Luther. Stuttgart: Hiersemann 1997, S. 10. 8

Handeln, das heißt, dass die richtige Information in richtiger Form am richtigen Ort zur

richtigen Zeit zu ökonomisch vertretbaren Kosten verfügbar gehalten wird, und

„synoptisch“ stellt fest, dass Bibliotheken eine Zusammenschau des gesamten

Informationsangebots leisten.

Parallel zu dieser Neudefinition sind vor allem im universitätsbibliothekarischen

Kontext Ansätze zu beobachten, den Begriff Bibliothek zu vermeiden und stattdessen

Komposita mit den Termen Medien, Information usw. (z. B. Informationszentrum) zu

bilden.5 Dies resultiert häufig aus der Tendenz, die institutionelle Trennung zwischen

Universitätsbibliotheken und vergleichbaren bzw. vermeintlich vergleichbaren

Einrichtungen der Wissensspeicherung und Informationsvermittlung aufzubrechen und

etwa Bibliothek, Medienzentrum und Rechenzentrum organisatorisch

zusammenzuführen. So ist etwa im Jahr 2002 an der Universität Ulm ein Informations-

und Kommunikationszentrum entstanden, im Jahr 2004 an der Brandenburgisch

Technischen Universität Cottbus ein Informations-, Kommunikations- und

Medienzentrum.

Auch die disziplinäre Identität der Bibliothekswissenschaft6 ist dann in Frage gestellt,

wenn die Bibliothek in einer engen Begriffsauslegung als organisierendes Korrelat der

Druck- und Schriftkultur gedacht wird, die momentan ihre Paradigmen bildende Rolle

zugunsten von Techniken des netzbasierten Umgangs mit digitalen Informationen

einbüßt. Der Begriff „Digitale Bibliothek“ erscheint in dieser Sichtweise als

kontraproduktive Metapher, die die wesentliche Differenz zwischen analog und digital

verstellt und den Blick auf das grundsätzlich Neue im Digitalen versperrt.7 Da der

Gegenstand der Bibliothekswissenschaft zusehends marginalisiert wird, wäre eine

Neukonstitution anzudenken, die die bisherige Bibliothekswissenschaft ausrichtet als

Wissenschaft von den technischen, sozialen und institutionellen Formationen, deren

Fokus auf dem kollektiven Umgang im Kontext digitaler Wissenschaft liegt.8

5 Vgl. Ulrich Naumann: Über die Zukunft der namenlos gemachten Bibliothek. In: Bibliotheksdienst 38 (2004), S. 1399–1416. 6 Zu aktuellen Positionen vgl. Hans-Christoph Hobohm: Desiderate und Felder bibliothekswissenschaftlicher Forschung. In: Bibliothekswissenschaft – quo vadis? Eine Disziplin zwischen Traditionen und Visionen. Programme – Modelle – Forschungsaufgaben. Hg. von Petra Hauke. München: Saur 2005, S. 47–64. 7 Vgl. Stefan Gradmann: Gibt es „Digitale Bibliotheken“? Wird es sie jemals geben? Zu den Grenzen einer allzu populären Metapher. In: Digitalität und Literalität. Zur Zukunft der Literatur im Netzzeitalter. Hg. von Harro Segeberg und Simone Winko. Paderborn, München: Fink 2005, S. 295–314. 8 Vgl. Stefan Gradmann: Hat Bibliothekswissenschaft eine Zukunft? Abweichlerische Gedanken zur Zukunft einer Disziplin mit erodierendem Gegenstand. In: Bibliothekswissenschaft – quo vadis? Eine 9

Zurück zur Transformation des Bibliotheksbegriffs: Die Verabschiedung einer explizit

ortsorientierten (Sammlung bzw. Aufbewahrungsort) und produktorientierten (Bücher)

Definition und Hinwendung zu einer funktions- und zielorientierten (archivarisch,

ökonomisch und synoptisch) und kundenorientierten (Information) Auffassung vollzieht

(verspätet) – freilich ohne sich dessen auch nur ansatzweise bewusst zu sein – eine

zentrale Marketing-Erkenntnis. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Theodore

Levitt führt in seinem berühmten und häufig zitierten Artikel „Marketing Myopia“ aus

dem Jahr 1960 aus,9 dass nur Unternehmen, die sich an ihren Kundinnen und Kunden

orientieren und nicht nur an ihren Produkten, auf Dauer Produkte herstellen können, die

am Markt absetzbar sind. Zuerst ist das Bedürfnis der Kundinnen und Kunden

festzustellen, auf das das Produkt abgestimmt werden muss, nicht umgekehrt zuerst das

Produkt zu erstellen. Um erfolgreich zu sein und dauerhaft zu bleiben, haben

Unternehmen von einer Produktorientierung auf Kundenorientierung umzustellen.

1.2. Hybride Bibliotheken zwischen analoger und digitaler Information10

Von den frühen Hochkulturen bis heute sind Bibliotheken integrativer Bestandteil der

kulturellen Praxis und für differenzierte Gesellschaften als Daten-, Informations- und

Wissenszentren funktional. Dabei ist ihre etwa zweieinhalbtausendjährige Geschichte

durchgehend von der Speicherung und Bereitstellung physischer Objekte an physischen

Orten bestimmt. Mit der zunehmenden Digitalisierung analoger Information, mit der

Produktion genuin digitaler Daten (Born Digital) und mit der Möglichkeit, über das

Internet digital zu kommunizieren, hat sich der Informationsmarkt mit Ausgang des 20.

Jahrhunderts grundlegend geändert. Information ist vom physischen Medium getrennt

und zumindest potentiell orts- und zeitunabhängig allgemein verfügbar. Die

Wissenstradierung ist nicht mehr unmittelbar an bestimmte Institutionen bzw.

Disziplin zwischen Traditionen und Visionen. Programme – Modelle – Forschungsaufgaben. Hg. von Petra Hauke. München: Saur 2005, S. 97–102. 9 Theodore Levitt: Marketing Myopia. In: Harvard Business Review 38 (1960), S. 55–68. 10 Vgl. Andreas Brandtner: Digitale Medien, analoge Speicher, hybride Bibliotheken. Nachrichten aus der bibliothekarischen und (literatur-)archivarischen Praxis. In: Germanistik im Kontakt. Tagung österreichischer und kroatischer Germanist/inn/en. Opatija, 29. 9.–1. 10. 2005. Hg. von Svjetlan Lacko Vidulić, Doris Moser und Sladan Turkovic. Zagreb: Abteilung für Germanistik der Philosophischen Fakultät der Universität Zagreb 2006 (= Zagreber Germanistische Beiträge. Beih. 9; zugl. Stimulus 2005), S. 347–351. 10

Institutionstypen gebunden, sondern in den virtuellen Raum des World Wide Web

(WWW) verlagert, wo eine Vielzahl von Akteurinnen und Akteuren angetreten ist,

Information verfügbar zu machen, als Wissen aufzubereiten und schließlich das Netz zu

organisieren. Neben zahllosen staatlich-öffentlichen, privatwirtschaftlichen und nicht-

kommerziell persönlich privaten Initiativen, die punktuell agieren (z. B. mit WWW-

Portalen), finden sich hier auch Weltkonzerne, wie der Suchmaschinen-Betreiber

Google, die globalen Anspruch erheben. Markant heißt es im Mission Statement von

Google, des derzeit wohl einflussreichsten Players am Informationsmarkt: „Das Ziel

von Google besteht darin, die auf der Welt vorhandenen Informationen zu organisieren

und allgemein zugänglich und nutzbar zu machen.“11 Damit formuliert die im Jahr 1998

gegründete Internet-Firma Google eine Aussage, die direkt dem Selbstverständnis der

Traditionsunternehmung Bibliothek entnommen scheint.

Die Bibliotheken ihrerseits haben seit dem frühen 19. Jahrhundert zuerst im

angloamerikanischen und dann auch im kontinentaleuropäischen Raum einen Prozess

einer tief greifenden Professionalisierung durchlaufen.12 Mit der

Bibliothekswissenschaft wurde eine spezielle Disziplin für das Bibliothekswesen

etabliert, in der Folge ein fachspezifischer Kompetenzkanon ausgebildet und ein eigener

Berufsstand ausdifferenziert. Es wurden Ausbildungswege und Curricula definiert,

Verbände gegründet, Bibliothekszentren mit koordinierender Funktion eingerichtet und

in manchen Staaten Bibliotheksgesetze erlassen. Mittlerweile hat dieser

hochprofessionelle, international vernetzte und auch bürokratisierte Apparat zahlreiche

Standards, Regelwerke und Normen zur Bewältigung seiner traditionellen Aufgaben der

Sammlung, Erschließung, Bereitstellung und Bewahrung von Information entwickelt,

zumeist national und zusehends auch international akkordiert. Dass sich dieser Apparat

dabei auf das Leitmedium Buch konzentriert hat, war mediengeschichtlich konsequent

und resultierte zudem aus der funktionalen Aufgabenverteilung unter den

Gedächtnisinstitutionen Archiv (Verwaltung von Originalen),13 Bibliothek (Verwaltung

11 http://www.google.de/corporate/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 12 Vgl. Uwe Jochum: Kleine Bibliotheksgeschichte. 2., durchges. und bibliographisch erg. Aufl. Stuttgart: Reclam 1999 (= Universal-Bibliothek 8915), S. 114–129. 13 Vgl. etwa Angelika Menne-Haritz: Schriftgutverwaltung und Archivierung. In: Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation. Hg. von Marianne Buder. 4. Aufl. München u. a.: Saur 1997, S. 460–472, hier S. 465f. 11

publizierter Information),14 Museum (Verwaltung musealer Objekte)15 und

Dokumentation (Nachweis von Information).16

Für den Entwicklungsstand von Bibliotheken und anderen Gedächtnisinstitutionen, die

sich mit der Auswahl / Aufnahme, Bearbeitung, Speicherung und Bereitstellung /

Übertragung von Information beschäftigen, ist strukturell auch zu bedenken, dass sie

eng an medienhistorische Bedingungen gebunden sind und die spezifische Materialität

der historischen und aktuellen Datenträger, die es zu verwalten gilt, massiv den Aufbau

und Ablauf ihrer Organisation bestimmt. Mediengeschichtliche Veränderungen oder gar

Brüche machen in diesen Gedächtnis- bzw. Speicherinstitutionen teilweise

grundlegende Umbauten notwendig, soll der Anspruch erhalten bleiben, auf rezenten

Trägern transportierte Information bereitzuhalten oder auch zu archivieren. Die

ausschließliche Orientierung an historischen Medien würde unweigerlich zu einer

Musealisierung und damit Marginalisierung am Informationsmarkt führen.

Der aktuelle „besonders dynamische(r) Umbruch in der Evolution der Medien und in

den Modi neuzeitlicher Kommunikation“17 wurde von einer mittlerweile

transdisziplinär expandierenden Medienwissenschaft etwa im Anschluss an Marshall

McLuhan als Ende der Gutenberg-Galaxis beschrieben. In der Folge wird die aktuelle

Gegenwart als Epochenschwelle zwischen Buchzeitalter und elektronischer Ära

(mitunter auch Turing-Galaxis) aufgefasst. Begriffe wie Informations-, Wissens-,

Kommunikations- oder Netzwerkgesellschaft versuchen, die gesamtkulturelle

Dimension des sich vollziehenden Transformationsprozesses zu formulieren. Dabei

liegt der zukunftsrelevante Faktor wohl gar nicht so sehr in der Vielzahl und Vielfalt der

neuen Medientechnologien, die sich im Verlauf des 20. und 21. Jahrhunderts

ausdifferenziert haben, sondern wesentlich in der Möglichkeit, analoge Text-, Bild-

14 Vgl. etwa Gisela Ewert / Walther Umstätter: Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung. Auf der Grundlage des Werkes von Wilhelm Krabbe und Wilhelm Martin Luther. Stuttgart: Hiersemann 1997, S. 10. 15 Vgl. etwa Statuten des International Council of Museums ICOM, angenommen von der ICOM-Generalversammlung in Den Haag, Niederlande, am 5. September 1989 und geändert auf den ICOM-Generalversammlungen in Stavanger, Norwegen, am 7. Juli 1995 und Barcelona, Spanien, am 6. Juli 2001. 16 Vgl. etwa Outline of a Long-Term Policy of the International Federation of Documentation. Den Haag 1960, S. 9. 17 Horst Wenzel: Vom Anfang und vom Ende der Gutenberg-Galaxis. In: Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen. Hg. von Lutz Musner und Gotthart Wunberg. Wien: WUV Universitätsverlag 2002, S. 339–355, hier S. 350. 12

oder Toninformation in digitalen Code zu übersetzen und in diesem weiter zu

prozessieren.18

Mit dem Abschied von der Gutenberg-Galaxis – inklusive fundamentaler Relativierung

des Leitmediums Buch sowie umfassender Digitalisierung von Information – und mit

dem Eintritt in eine globalisierte Informations- und Wissensgesellschaft begegnen

Bibliotheken nun einer doppelten Herausforderung: ihrer Selbstverortung in der

Infrastruktur des virtuellen Raums und ihrer Selbstbehauptung in einer

posttypographischen Wissenskultur. Nachdem innerhalb der Bibliothekswelt um die

Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert der interne Konsens über die Funktion von

Bibliotheken brüchig geworden war und sich das Bibliothekswesen in einer

Identitätskrise sah, scheint sich mittlerweile ein Set von Innovationsaktivitäten

herauskristallisiert zu haben, das fachimmanent auf breitere Akzeptanz stößt.

Traditionell auf die Verarbeitung und Bereitstellung analoger Daten angelegt, zählen

sich die Bibliotheken heute zu den Protagonisten der elektronischen Ära. Um der

medienhistorischen Entwicklung zu folgen und standzuhalten, wird im Rahmen des

Konzepts der sogenannten Hybridbibliothek19 digitale Information in das

bibliothekarische Leistungsspektrum integriert und vorhandene analoge Information

digitalisiert. Auch der Wissenschaftsrat – deutsches Beratungsgremium der

Bundesregierung und der Regierungen der Länder – trägt in seinen „Empfehlungen zur

digitalen Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken“ dieser Entwicklung

Rechnung:

Auf absehbare Zeit werden „Hybridbibliotheken“, welche eine Mischung aus gedruckten und digitalen Publikationen und Informationsquellen vorhalten, das vorherrschende Modell sein, zu welchen sich die Bibliotheken weiterentwickeln müssen.20

18 Vgl. z. B. Norbert Bolz: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse. München: Fink 1993, S. 111f.: „Der Terminus Medienverbund besagt, daß es keine Einzelmedien mehr gibt. Und da alle technischen Medien heute digitalisierbar sind, können alle Daten im selben Speicher abgelegt werden. Der Medienverbund funktioniert dann als computergesteuertes Algorithmensystem. Eben das aber ist das Betriebsgeheimnis einer Kultur, die sich heute anschickt, ihre alteuropäische Identität wie eine Schlangenhaut abzustreifen“. 19 Der Begriff Hybridbibliothek ist als Fachterminus seit den späten 1990er Jahren eingeführt; vgl. Chris Rusbridge: Towards the Hybrid Library. In: D-Lib Magazine 4 (1998); http://www.dlib.org/dlib/july98/rusbridge/07rusbridge.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 20 Wissenschaftsrat. Empfehlungen zur digitalen Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken. Greifswald 2001, S. 29; http://www.wissenschaftsrat.de/texte/4935-01.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010; vgl. dazu Dietmar Haubfleisch: Hybride Bibliotheken. Einige Anmerkungen zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur digitalen Informationsversorgung durch 13

Um die vorhandenen Medienbrüche sowohl im Bereich der Metadaten (Daten, die

Informationen über andere Daten enthalten, wie z. B. Bibliothekskataloge) als auch der

Information (Bestände bzw. Daten) auszugleichen, haben Bibliotheken umfangreiche

Projekte zur Retrokatalogisierung (digitale Neukatalogisierung analog katalogisierter

Medieneinheiten) bzw. Retrokonversion (Überführung eines analogen Katalogs in einen

Online-Katalog) und (Retro-)Digitalisierung unternommen. Diese befassen sich

einerseits mit den Katalogen, die retrokonvertiert, also in maschinenlesbare Form

überführt werden, andererseits mit den Beständen. Sind die Bibliotheken bei der

Retrokatalogisierung ihrer Bestände bzw. der Retrokonversion ihrer konventionellen

Kataloge auf Vollständigkeit aus, so hat – zumindest für die momentane Situation – der

deutsche Wissenschaftsrat empfohlen, „die Retrodigitalisierung vorhandener Bestände

aus Gründen des hohen Personalaufwandes auf Grundlagen- oder Teilbestände [zu]

konzentrieren“.21 Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus dem Urheberrecht.

Ziel der Bibliotheken ist es, den Medienbruch zwischen analog und digital für die

Benützerinnen und Benützer möglichst auszugleichen, indem ein einheitlicher Online-

Zugriff geschaffen wird, um „den integrierten Zugang zu weltweit verfügbaren

Informationsangeboten zu gewährleisten“.22 Für die Benützung soll die Bibliothek als

Lern-, Kommunikations- und Wissensort einen integrierten Zugang zu weltweit

verfügbaren Informationsangeboten garantieren.

Damit ist ein weiterer Paradigmenwechsel in der Bibliothekswelt angesprochen, den die

Zeit- und vor allem die Ortsunabhängigkeit von Information in ihrer Online-

Verfügbarkeit verursacht. Der physische Bestand vor Ort in den Bibliotheksmagazinen

und Lesesälen wird sekundär gegenüber WWW-Zugriffsmöglichkeiten auf digitale

Information in weltweit verstreuten Servern. Folglich legen Bibliotheken nunmehr ihr

Hauptaugenmerk nicht mehr auf Besitz und Bestand, sondern auf Versorgung und

Zugang (Access versus Ownership).23 Bibliotheken werden als Bring-Bibliotheken

konzipiert, die den Benützerinnen und Benützern die benötigten Informationen schnell

am jeweiligen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen.24

Hochschulbibliotheken. In: Marburger Bibliotheksinformationen 7 (2001), H. 3, S. 29–34; http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/2001/0002/welcome.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 21 Ebd., S. 21. 22 Ebd. 23 Vgl. Eleanor A. Gossen / Suzanne Irving: Ownership versus Access and Low-Use Periodical Titles. In: Library Resources & Technical Services 39 (1995), H. 1, S. 43–52. 24 Vgl. Helge Steenweg: Von der Hol- zur Bringbibliothek. In: ABI-Technik 20 (2000), S. 364–382. 14

Der Umstieg von Eigentum bzw. Besitz (Ownership) auf Zugang (Access) kann auch

im Rahmen der vom US-amerikanischen Soziologen Jeremy Rifkin allgemein

beobachteten Transformation des traditionellen Markts gesehen werden, an dessen

Stelle Netzwerke treten. Im prognostizierten Access-Zeitalter ist aus dem Streben nach

Eigentum ein Streben nach Zugriff geworden, nach Zugriff auf das, was diese

Netzwerke zu bieten haben. Die Bibliothek wird damit insofern zum Pförtner bzw.

Gateway, Gatekeeper oder Portal, als sie Regeln und Bedingungen des Zutritts zu

Information definiert und bestimmt.25 Bereits im 1979 erstveröffentlichten Entwurf

einer postmodernen Wissensgesellschaft „La condition postmoderne“ des französischen

Philosophen Jean-François Lyotard emergiert die „Verfügung über die Informationen“

zur wesentlichen Entscheidungskategorie für gesellschaftliches Handeln.26

Wie grundlegend dieser Übergang zur sogenannten Bring-Bibliothek die Konditionen

des Bibliothekswesens ändert, kann eine schlaglichtartige Erinnerung bzw.

Vergegenwärtigung der alten Hol-Bibliothek – die freilich oft noch immer

bibliothekarische Realität und damit Alltag für die Benützerinnen und Benützer ist –

andeuten. Zentral wirken hier die Restriktionen, die diese Bibliothek aufgrund ihrer

spezifischen materiellen und räumlich-architektonischen Verfasstheit ihren

Benützerinnen und Benützern strukturlogisch auferlegen muss. Jede

Benützungsaktivität ist institutionell definiert. Magazinlagerung, Leseräume,

Öffnungszeiten, Bestellmengen, Ausgabetermine, Entlehnfristen usw. schränken den

Informationsfluss lokal, temporal und quantitativ empfindlich ein. Der Weg zu den

Speicherinhalten ist weit, mitunter voll von Hindernissen und verlangt von den

Benützerinnen und Benützern hohe Aktivität, ausgeprägte Kondition und große

Frustrationstoleranz. Diese Bibliothek der Gutenberg-Galaxis ist in der

kontinentaleuropäischen Bilderwelt noch immer stereotyp verankert, und es ist auch

genau diese Art von Bibliothek, die der italienische Semiotiker und Schriftsteller

Umberto Eco in seiner Rede „Die Bibliothek“ mit seinem „Modell einer schlechten

Bibliothek in 19 Punkten“ im Sinn einer paradoxen Intervention therapieren möchte.27

Doch die geschlossene analoge Informationskette, die in der Bibliothekswelt die

Qualität der Zugriffsmethoden auf Information entscheidend festlegte und die 25 Vgl. Jeremy Rifkin: Access. Das Verschwinden des Eigentums. Warum wir weniger besitzen und mehr ausgeben werden. Frankfurt am Main, New York: Campus 2000, S. 118f., 238–244. 26 Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. Hg. von Peter Engelmann. Wien: Edition Passagen 1986 (= Edition Passagen 7), S. 52.

15

skizzierten Restriktionen systemimmanent verantwortet, ist mittlerweile äußerst brüchig

geworden. Nimmt man die Entwicklung des österreichischen Bibliothekswesens als –

durchaus repräsentatives – Beispiel,28 so lässt sich die Einführung der elektronischen

Datenverarbeitung bis in die frühen 1970er Jahre zurückverfolgen. Damals – nachdem

bereits einzelne Bibliotheken in den 1960er Jahren die EDV zur Katalogisierung und

Entlehnung eingesetzt hatten – haben die wissenschaftlichen Bibliotheken national

koordiniert begonnen, ihre administrativen und bibliothekarischen Kernprozesse zu

automatisieren. Sukzessive wurden Nominalkatalogisierung, Sacherschließung,

Entlehnung, Zeitschriftenverwaltung usw. in maschinenlesbare Form gebracht und in

einem integrierten System zusammengeführt. Dies implizierte auch die Aufgabe der

konventionellen Bestandsnachweise – in der Regel Zettelkataloge –, die durch

Datenbanken ersetzt wurden. Für die Öffentlichkeit wurden diese Datenbanken vorerst

innerhalb der Bibliotheksräumlichkeiten als Online-Kataloge und schließlich mit der

Durchsetzung des WWW ab der Mitte der 1990er Jahre orts- und zeitunabhängig als

Web-Online-Katalog zugänglich gemacht. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt tauchen im

Umfeld der Futurologie erste Ansichten digitaler Bibliotheken auf. So schreibt etwa der

Mitbegründer des Media Labs am Massachusetts Institute of Technology (MIT)

Nicholas Negroponte mit Blick auf eine der größten und bedeutendsten Bibliotheken

der Welt, die Library of Congress in Washington / D. C.:

Thomas Jefferson erdachte das Konzept einer Bibliothek, aus der man unentgeltlich Bücher ausleihen konnte. Aber dieser große Pionier hätte sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können, daß eine Zeit kommen würde, in der zwanzig Millionen Menschen gleichzeitig auf eine digitale Bücherei zugreifen und deren Inhalt kostenlos abrufen.29

Komplementär zu dem Einbruch in die geschlossene analoge Bibliothekswelt, der aus

der freien Bereitstellung digitaler Metadaten im WWW resultiert, selbst allerdings auf

analog verfügbare Information abzielt (z. B. Druckwerke, Handschriften), tut sich ein

27 Umberto Eco: Die Bibliothek. München, Wien: Hanser 1987, S. 15–19. 28 Vgl. Heinz Hauffe: Bibliotheksautomation in Österreich – State of the Art. In: Bibliotheksmanagement – Kulturmanagement: Vorträge und Berichte. 24. Österreichischer Bibliothekartag. Congress Innsbruck, 3.–7. 9. 1996. Wien: Österreichische Nationalbibliothek 1998 (= Biblos-Schriften 168), S. 113–126; Eva Bertha: Elektronische Datenverarbeitung an Österreichischen Universitätsbibliotheken. Ein Streifzug durch die letzten drei Jahrzehnte. In: Bibliothek Technik Recht. Festschrift für Peter Kubalek zum 60. Geburtstag. Hg. von Hans Hrusa. Wien: Manz 2005, S. 25–34. 29 Nicholas Negroponte: Total digital. Die Welt zwischen 0 und 1 oder Die Zukunft der Kommunikation. München: Bertelsmann 1995, S. 10f. 16

zweiter Riss auf, der der Dynamik des (wissenschaftlichen) Kommunikationsmarkts

folgt. Im Zuge der Abkehr von traditionellen Informationsträgern und der Hinwendung

zu elektronischen Medien werden digitale Daten unmittelbar hergestellt und sind von

Bibliotheken im Sinn ihrer Archiv- und Informationsversorgungsfunktion in ihre

Speicher zu transferieren. Dieser Digitalisierung der Produktion und Distribution von

Information begegnen Bibliotheken mit der Öffnung von Zugängen zu elektronischen

Archiven für Datenbanken, elektronische Zeitschriften und E-Books.30

1.2.1. Digitalisierung von analoger Information

In Deutschland haben die Bibliotheken frühzeitig mit der Digitalisierung ihrer Bestände

begonnen. Auslösendes Moment war die Förderung durch die Deutsche

Forschungsgemeinschaft (DFG), die 1997 ein Programm für die „Retrospektive

Digitalisierung von Bibliotheksbeständen“ ausgeschrieben hatte.31 Ziel war der Aufbau

einer „Verteilten Digitalen Forschungsbibliothek“. Verzeichnete die Programmlinie

einerseits durch die starke Beteiligung von Bibliotheken, Archiven und

Forschungseinrichtungen einen großen Erfolg, haben andererseits die unterschiedlichen

organisatorischen Voraussetzungen der geförderten Projekte zu äußerst heterogenen

Vorgehensweisen geführt. So unterstützte diese erste Förderphase de facto weniger den

Aufbau einer verteilten digitalen Forschungsbibliothek, sondern erprobte vielmehr die

Digitalisierung in unterschiedlichen Fachbereichen und Anwendungen sowie mit

unterschiedlichen Materialtypen.32

30 Vgl. etwa Regine Schmolling: Paradigmenwechsel in wissenschaftlichen Bibliotheken? Versuche einer Standortbestimmung. In: Bibliotheksdienst 35 (2004), S. 1037–1060. 31 Vgl. Elmar Mittler: Digitalisierung als Aufgabe der Bibliotheken. Ein Rückblick in die Zukunft. In: Bibliotheken gestalten Zukunft. Kooperative Wege zur Digitalen Bibliothek. Dr. Friedrich Geißelmann zum 65. Geburtstag. Hg. von Evelinde Hutzler, Albert Schröder und Gabriele Schweikl. Göttingen: Universitätsverlag 2008, S. 11–27; http://epub.uni-regensburg.de/4564/1/hutzler_digitale_bibliothek.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 32 Vgl. „Retrospektive Digitalisierung von Bibliotheksbeständen“. Evaluierungsbericht über einen Förderschwerpunkt der DFG. Gesamtredaktion Manfred Thaller. Köln 2005; http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/pdf/retro_digitalisierung_eval_050406.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 17

Aus dieser Pilotphase hat die DFG mehrere Konsequenzen gezogen, die sich unter

anderem in den im Jahr 2006 erstmals vorgelegten „DFG-Praxisregeln

‚Digitalisierung’“ ausdrücken. Diese Praxisregeln (aktueller Stand 2009)33 wollen

durch die Formulierung von Standards einen Beitrag zur Nachhaltigkeit und

Zukunftsfähigkeit der unterstützen Projekte leisten. Neben technischen Aspekten (z. B.

Auflösung und Bildqualität, Farbtiefe, Dateiformate) werden dabei auch die Auswahl

und konservatorische Prüfung des für die Digitalisierung vorgesehenen Materials, die

Vermeidung von Doppeldigitalisierungen, die Volltextgenerierung, Lesung mittels

OCR (Optical Character Recognition), Metadaten usw. angesprochen. Für

Digitalisierungen stehen Forschungsrelevanz und wissenschaftliche Nachfrage sowie

Bestandsschutz für häufig genutzte oder unikale Materialien im Vordergrund.

Derzeit hat die DFG im Förderbereich „Erschließung und Digitalisierung“ drei

Programme und Aktionslinien ausgeschrieben. Erstens zielt das Programm

„Erschließung und Digitalisierung handschriftlicher und gedruckter Überlieferung“ auf

herausragende und für die Forschung überregional relevante Bestände der

handschriftlichen und / oder gedruckten Überlieferung (z. B. seltene oder schwer

zugängliche Druckwerke, unveröffentlichte Nachlässe bedeutender Provenienz,

historisch wichtige Akten und Urkunden, mittelalterliche Handschriften). Zweitens

schließt die Aktionslinie „Digitalisierung der in nationalen Verzeichnissen

nachgewiesenen Drucke – VD 16 / VD 17“ an die jahrzehntelang betriebene

nationalbibliographische Verzeichnung der Drucke des 16. und 17. Jahrhunderts an und

kann damit auf bereits vorhandenen hochwertigen Metadaten aufsetzen. Aus dem

Bereich des VD 16, also des Verzeichnisses der im deutschen Sprachbereich

erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts, wird derzeit etwa an der Bayerischen

Staatsbibliothek in München und an der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-

Anhalt in Halle digitalisiert. Die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

ist zum Beispiel mit der Digitalisierung ihrer preußischen Drucke im VD 17, also im

Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts,

befasst. Drittens greift die Aktionslinie „Digitalisierung der DFG-

Sondersammelgebiete“ ebenfalls eine bereits langfristig erarbeitete Struktur auf. Die im

33 Deutsche Forschungsgemeinschaft: Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme (LIS): DFG-Praxisregeln „Digitalisierung“. Stand: April 2009; http://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/praxisregeln_digitalisierung.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 18

Rahmen der DFG-geförderten überregional agierenden nahezu vollständigen fachlichen

Sammlungen des national und international publizierten Wissens sollen digitalisiert und

überregional elektronisch bereitgestellt werden. Die Aktionslinie ist auf besonders

umfangreiche Bestandssegmente ausgerichtet, insbesondere in folgenden

Schwerpunktbereichen: historische Zeitschriftenbestände und Monographien ab 1800,

nicht gemeinfreie Zeitschriften und Monographien und fachlich relevante Produktlinien

einzelner Verlage.

Zudem sind umfangreiche Digitalisierungsmaßnahmen aus dem aktuell in einer

Pilotphase geführten VD 18, also dem Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich

erschienenen Drucke des 18. Jahrhunderts, zu erwarten. In dieser bis 2011 projektierten

Einführungsphase sollen ca. 80.000 Drucke erschlossen und digitalisiert sowie

gleichzeitig verschiedene Workflows zur Massendigitalisierung erprobt werden.

Digitalisate liegen bereits online vor von der Sächsischen Landesbibliothek – Staats-

und Universitätsbibliothek Dresden, der Niedersächsischen Staats- und

Universitätsbibliothek Göttingen und der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-

Anhalt.

Zusätzliche koordinative Unterstützung erhält die deutsche Bibliothekenlandschaft

durch die „Allianz Schriftliches Kulturgut“, die im Jahr 2001 von elf deutschen

Archiven und Bibliotheken mit umfangreichen historischen Beständen gegründet

wurde. Diese Allianz will die in ihrer Existenz gefährdeten Originale der reichen

kulturellen und wissenschaftlichen Überlieferung in Deutschland sichern und diese

Überlieferung als nationale Aufgabe im öffentlichen Bewusstsein verankern. Dabei

wird ebenfalls die Digitalisierung unterstützt, wobei als Handlungsmaxime

„Originalerhaltung und Digitalisierung“ ausgegeben wird. Denn Originalerhalt und

technische Reproduktion ergänzen sich hervorragend und sind deshalb differenziert

einzusetzen:

Das Digitalisat eines Originals ermöglicht die weltweite Verfügbarkeit eines Teils seiner Merkmale und Aussagen – aber nur der Originalerhalt sichert dauerhaft die Möglichkeit historischer Einordnung und wissenschaftlichen Verstehens. Die Digitalisierung leistet einen wertvollen Beitrag zur Bestandsschonung und erleichtert die Zugänglichkeit: Was digital vorliegt, muss nur noch in besonderen Fällen im Original bereitgestellt werden und kann in virtuelle Forschungsumgebungen integriert werden. Die realen Studien- und

19

Forschungsorte, das Archiv und die Bibliothek, gewinnen an Attraktivität, weil hier mit den Originalen gearbeitet werden kann.34

Als Beispiele für Massendigitalisierungen in Österreich können zwei Aktivitäten der

Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) in Wien genannt werden: Im Rahmen des

Projekts ANNO werden historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften

digitalisiert und über die Website der ÖNB verfügbar gemacht (http://anno.onb.ac.at/),

im Projekt ALEX historische österreichische Rechts- und Gesetzestexte

(http://alex.onb.ac.at/).

Auf europäischer Ebene wurde mit Europeana (http://europeana.eu/) eine WWW-

Plattform geschaffen, die als Europäische Digitale Bibliothek digitale und digitalisierte

Bestände aus zahlreichen europäischen Gedächtnisinstitutionen zugänglich macht. Mit

Stand September 2010 enthält Europeana etwa sechs Millionen digitale Objekte. Zu

dieser gesamteuropäischen Initiative wurde auf regional-lokaler Ebene mit Europeana

local (http://www.europeanalocal.eu/) ein Äquivalent geschaffen, das in nationalen

Versionen ausgeprägt ist (z. B. Deutschland: http://www.europeanalocal.de/ bzw.

Deutsche Digitale Bibliothek: http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/; Österreich:

http://www.europeanalocal.at/).

In einer Kooperation mit Bibliotheken hat auch Google mit der Digitalisierung von

Bibliotheksbeständen begonnen. Im Rahmen von Google Books

(http://books.google.de/) kooperieren zahlreiche US-amerikanische Bibliotheken und

mittlerweile auch eine Reihe europäischer Bibliotheken mit dem Weltkonzern, um einen

Teil ihrer Bestände digitalisiert online verfügbar zu machen. Als derzeit einzige

deutsche Bibliothek ist die Bayerische Staatsbibliothek, als einzige österreichische die

Österreichische Nationalbibliothek beteiligt.35

Ein weiterer Beitrag, den Bibliotheken zur Überlieferung des digitalen kulturellen Erbes

leisten, kann hier ebenfalls nur kurz erwähnt werden: die Archivierung von Websites.36

Die Archivierung des Web als wichtiges Kommunikations- und Publikationsmittel liegt 34 http://www.allianz-kulturgut.de/original-und-digital.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 35 In dieser Thesis kann und soll das auch in Bibliothekskreisen heftig diskutierte Engagement von Google nicht näher kommentiert werden, würde das (vor allem die Behandlung urheberrechtlicher Fragen) doch den inhaltlichen Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen. 36 Vgl. Andreas Rauber / Hans Liegmann: Web-Archivierung zur Langzeiterhaltung von Internet-Dokumenten. In: nestor Handbuch. Eine kleine Enzyklopädie der digitalen Langzeitarchivierung. Version 2.0. Hg. von Heike Neuroth, Achim Oßwald, Regine Scheffel, Stefan Strathmann und Mathias Jehn. Boizenburg: vwh, Hülsbuch 2009;

20

primär im Aufgabenbereich von National- und Staatsbibliotheken. Ziel der

Webarchivierung ist die Sammlung und Archivierung des gesamten jeweils nationalen

Webspace. Für Österreich übernimmt diesen Auftrag die ÖNB, deren

Sammlungsauftrag in der Mediengesetznovelle 2009 um den Bereich der Online-

Medien erweitert wurde. Im Rahmen der Webarchivierung werden Websites mit

sogenannten Webcrawlern automatisiert gesammelt. So werden regelmäßig die gesamte

nationale Top-Level Domain „.at“ sowie Seiten mit Österreich-Bezug archiviert

(Domain Harvesting). Ebenso speichert man Websites zu speziellen Themenbereichen

wie Politik, Kultur, Medien, Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung in

häufigeren Intervallen (selektives Harvesting). Online-Inhalte zu speziellen Anlässen

und Großereignissen (z. B. Nationalratswahlen) werden in weiteren Momentaufnahmen

archiviert (Event Harvesting). Dadurch sollen auch Websites, die nur für den Zeitraum

des Ereignisses zur Verfügung stehen, für die Nachwelt festgehalten werden.

Universitätsbibliotheken wiederum, deren Zentralaufgabe in der

Informationsversorgung der Universitätsangehörigen liegt, stellen vermehrt eine

Digitalisierung on Demand bereit und verzichten – sofern kein bedeutsamer Altbestand

vorliegt – auf systematische Digitalisierungen. So bieten im Rahmen des Netzwerks

EOD (E-Books on Demand: http://www.books2ebooks.eu/), das innerhalb des EU-

Programms eTEN unter Koordination der Universitätsbibliothek Innsbruck aufgebaut

wurde, mehr als zwanzig europäische Bibliotheken als kostenpflichtiger Service die

vollständige elektronische Kopie von urheberrechtsfreien Büchern an. Nach einer von

den einzelnen Bibliotheken festgelegten Embargo-Zeit wird das benützungsorientiert

hergestellte Digitalisat kostenfrei allgemein zugänglich gemacht.

Dass die Nachweissituation für digitalisierte Drucke im deutschsprachigen Raum

ungenügend ist, ist mittlerweile ein Gemeinplatz der Digitalisierungsdiskussion

geworden. Seit 2005 bauen die Arbeitsgemeinschaft Sammlung Deutscher Drucke, die

Verbundzentrale des Gemeinsamen Bibliotheksverbunds und das

Hochschulbibliothekszentrum, gefördert von der DFG, das Zentrale Verzeichnis

digitalisierter Drucke (ZVDD: http://www.digitalisiertedrucke.de/) auf, um einen

zentralen Nachweis und Zugang zu digitalisierten Bibliotheksmaterialien

http://nestor.sub.uni-goettingen.de/handbuch/artikel/nestor_handbuch_artikel_293.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 21

bereitzustellen. Aufgrund der Heterogenität der Digitalisierungsaktivitäten ist der

Nachweis im ZVDD noch sehr unterschiedlich.

1.2.2. Bereitstellung von originärer digitaler Information

Seit den 1990er Jahren nimmt die Bedeutung originärer digitaler Publikationen für

Bibliotheken stetig zu. Vor allem für die Universitätsbibliotheken als wissenschaftliche

Informationsversorger bedeutete dies anfangs, bibliographische Datenbanken und

Fachdatenbanken zu erwerben, um ihren Benützerinnen und Benützern die

Möglichkeiten der elektronischen Informationsrecherche zu eröffnen. Damit sollten die

seit den 1980er Jahren eingerichteten Informationsvermittlungsstellen abgelöst werden,

bei denen Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter benützerseitig beauftragte

Informationsrecherchen in Fremddatenbanken durchführten. In den 1990er Jahren

dynamisierte sich der bibliothekarische Aufbau des Bestands an elektronischen Medien

durch die rasche Verbreitung von elektronischen Zeitschriften. Diese E-Journals

breiteten sich zuerst in den Bereichen Naturwissenschaft, Technik und Medizin aus und

griffen dann in andere Disziplinen und nun auch auf die Kulturwissenschaften über. Die

Bibliotheken erwerben die elektronischen Zeitschriften in der Regel über

Lizenzverträge, in denen der spezifische Zugriff auf die Volltexte geregelt ist. Die

digitalen Daten verbleiben auf den Servern der Verlage, die Bibliotheken erhalten

Freischaltungen für einen definierten Benützerkreis, üblicherweise über Campus-

Lizenzen für alle Universitätsangehörigen. Mitunter kann dies dazu führen, dass bei

Abbestellung einer rein digital vorliegenden Zeitschrift der entsprechenden Bibliothek

auch der Zugriff auf diejenigen Jahrgänge verwehrt wird, für die sie bereits

Abonnementsgebühren bezahlt hat. Durch die enormen Preissteigerungen von vor allem

elektronischen STM-Zeitschriften (Science-Technics-Medicine-Zeitschriften) wurde

zudem die sogenannte Zeitschriftenkrise im Bibliothekswesen verschärft. Bibliotheken

sind dabei also mit galoppierenden Preisentwicklungen angesichts stagnierender oder

rückläufiger Bibliotheksetats konfrontiert. Nach den Datenbanken und den E-Journals

halten seit ein paar Jahren die E-Books Einzug in die Bibliotheken.

Neben den Datenbanken, E-Journals und E-Books steigt der Bestand an E-Ressourcen

in Universitätsbibliotheken auch deutlich durch die elektronisch eingereichten und

aufbewahrten Qualifikationsschriften der Studierenden und Publikationen der

22

Forschenden, die die Bibliotheken in der Regel über eigens eingerichtete Institutional

Repositories zugänglich machen. Befördert wird diese Publikationspraxis an manchen

Universitäten durch eine offensive Open Access Policy, die den

Universitätsangehörigen zumindest nahelegt, sämtliche ihrer Publikationen über einen

solchen Hochschulschriftenserver allgemein online zugänglich zu machen. In jüngster

Zeit gewinnt für Universitätsbibliotheken die Administration wissenschaftlicher Primär-

und Forschungsdaten an Bedeutung, also Datenmaterial, das für Forschungszwecke

erhoben wurde, oft irgendwo von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern

individuell abgelegt bzw. abgespeichert wird und insofern weitgehend hinter der

Publikation verschwindet.37

Dass die veränderten Arbeits- und Publikationsformen in der Wissenschaft zu einem

rasanten Anstieg der digitalen Medien vor allem in Universitätsbibliotheken führen

werden, ist evident. Nach einer Schätzung der British Library zu wissenschaftlichen

Publikationen im Jahr 2020 werden 40% ausschließlich digital, 50% gedruckt und

digital und 10% ausschließlich gedruckt vorliegen.38

1.2.3. Langzeitarchivierung von digitaler Information

Sowohl die Digitalisierung von analoger Information als auch die Bereitstellung von

originärer digitaler Information verlangt von Bibliotheken, soll Nachhaltigkeit

gewährleistet sein, die Langzeitarchivierung dieser Daten zu sichern. Dabei resultiert

die wachsende Herausforderung aus der raschen Alterung der Datenträger, der

Datenformate und der involvierten Hard- und Software. Um die Nutzbarkeit digitaler

Daten langfristig zu garantieren, ist es deshalb notwendig, Aktivitäten der

Digitalisierung und Vorhaltung originärer digitaler Daten bereits frühzeitig und proaktiv

mit Strategien zur digitalen Langzeitarchivierung zu flankieren. Aus der begrifflichen

Definition der Langzeitarchivierung folgert die grundsätzliche Aufgabenstellung:

„Langzeit“ ist die Umschreibung eines nicht näher fixierten Zeitraumes, währenddessen wesentliche, nicht vorhersehbare technologische und

37 Vgl. z. B. das Projekt „Publication and Citation of Scientific Primary Data“ (STD-DOI); http://www.std-doi.de/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 38 Vgl. http://www.bl.uk/news/2005/pressrelease20050629.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 23

soziokulturelle Veränderungen eintreten; Veränderungen, die sowohl die Gestalt als auch die Nutzungssituation digitaler Ressourcen in rasanten Entwicklungszyklen vollständig umwälzen können. Es gilt also, jeweils geeignete Strategien für bestimmte digitale Sammlungen zu entwickeln, die je nach Bedarf und zukünftigem Nutzungsszenarium die langfristige Verfügbarkeit und Nachnutzung der digitalen Objekte sicherstellen. […] „Archivieren“ bedeutet zumindest für Archive, Museen und Bibliotheken mehr als nur die dauerhafte Speicherung digitaler Informationen auf einem Datenträger. Vielmehr schließt es die Erhaltung der dauerhaften Verfügbarkeit und damit eine Nachnutzung und Interpretierbarkeit der digitalen Ressourcen mit ein.39

Da zusehends mehr relevante Information in digitaler Form entsteht und vorliegt, wird

die Langzeitarchivierung zu einer der wesentlichen Bedingungen der

Weiterentwicklung des Bildungs- und Wissenschaftssystems und damit zu einer der

Grundbedingungen der Informationsgesellschaft. Daraus erhellt, dass digitale

Langzeitarchivierung nicht von einem Institutionstyp allein getragen werden kann,

sondern kollaborativ erarbeitet werden muss.

Aus dieser Überlegung wurde in Deutschland mit nestor

(http://www.langzeitarchivierung.de/) ein nationales Kompetenznetzwerk für digitale

Langzeitarchivierung geschaffen. Vorrangiges Ziel von nestor ist die Bündelung von

Standardisierungsaktivitäten und Vermittlung von Standards in die Anwender-

Communities. nestor wurde im Jahr 2003 als Kooperationsverbund mit Partnern aus

verschiedenen Bereichen, die mit der Langzeitverfügbarkeit digitaler Daten zu tun

haben, begründet. Als Bibliotheken sind aktuell die Bayerische Staatsbibliothek, die

Deutsche Nationalbibliothek und die Niedersächsische Staats- und

Universitätsbibliothek Göttingen vertreten.

Wie bereits gesehen, ist Langzeitarchivierung für Bibliotheken insofern ein

erfolgskritischer Faktor, als die von ihnen verwaltete und aufbereitete Information

zusehends digital vorliegt.40 Langzeitarchivierung für Bibliotheken setzt sowohl den

Aufbau großer Datenspeicher als auch die Entwicklung von Prozessen voraus, die die 39 Hans Liegmann / Heike Neuroth: Einführung. In: nestor Handbuch. Eine kleine Enzyklopädie der digitalen Langzeitarchivierung. Version 2.0. Hg. von Heike Neuroth, Achim Oßwald, Regine Scheffel, Stefan Strathmann und Mathias Jehn. Boizenburg: vwh, Hülsbuch 2009; http://nestor.sub.uni-goettingen.de/handbuch/artikel/nestor_handbuch_artikel_381.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 40 Vgl. Mathias Jehn / Sabine Schrimpf: Bibliotheken. In: nestor Handbuch. Eine kleine Enzyklopädie der digitalen Langzeitarchivierung. Version 2.0. Hg. von Heike Neuroth, Achim Oßwald, Regine Scheffel, Stefan Strathmann und Mathias Jehn. Boizenburg: vwh, Hülsbuch 2009; http://nestor.sub.uni-

24

archivierten Datenmengen adressierbar und nutzbar halten. Zudem sind die Daten für

die drei heute gängigen Verfahren der Langzeitarchivierung, nämlich Migration,

Emulation oder Konversion, vorzubereiten.41 Auch hier zeigt sich, dass die anstehenden

Aufgaben nur kollaborativ bewältigt werden können. Folglich wurde von der Deutschen

Nationalbibliothek mit kopal (http://kopal.langzeitarchivierung.de/) ein Projekt initiiert,

das ein kooperativ entwickeltes und betriebenes Langzeitarchiv für digitale Daten

aufgebaut hat. Mitte 2007 ist dieses Langzeitarchivsystem in den Regelbetrieb der

Deutschen Nationalbibliothek übernommen worden. Zur dauerhaften Adressierung der

Online-Objekte vergibt die Deutsche Nationalbibliothek persistente Identifikatoren in

Form eines URN (Uniform Resource Name), der anders als eine URL (Uniform

Resource Locator) dauerhaft adressierbar und damit zitierbar bleibt.

Im Sommer 2008 wurde die Schwerpunktinitiative „Digitale Information“ von

bedeutenden deutschen Wissenschaftsorganisationen gestartet, um gemeinsam die

Informationsversorgung in Forschung und Lehre zu verbessern. Dazu zählen etwa die

(DFG), die Fraunhofer-Gesellschaft, die Hochschulrektorenkonferenz, die Leibniz-

Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft und der Wissenschaftsrat. Diese

sogenannte Allianz-Initiative (http://www.allianzinitiative.de/) bearbeitet die

Handlungsfelder Nationale Lizenzierungen, Open Access, Nationale Hosting-Strategie,

Forschungsprimärdaten, Virtuelle Forschungsumgebungen und Rechtliche

Rahmenbedingungen. Dabei steht die Nationale Hosting-Strategie vor der Aufgabe, die

zunehmend erworbenen digitalen Verlagspublikationen (vor allem E-Journals)

dauerhaft über eine entsprechende Infrastruktur verfügbar zu machen. Es besteht

Einigkeit darüber, dass eine nationale Strategie hier aus Kostengründen sowie aus

Gründen der technischen und organisatorischen Bewältigung unverzichtbar sowie

umgehend zu entwickeln und umzusetzen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn

wissenschaftliche Publikationen nach dem von vielen Bibliotheken angestrebten E-

Only-Prinzip nur noch in elektronischer Form beschafft und vorgehalten werden. Ziel

einer nationalen Hosting-Strategie ist es, eine leistungsfähige Infrastruktur zum

goettingen.de/handbuch/artikel/nestor_handbuch_artikel_377.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 41 Bei der Migration werden die digitalen Objekte durch äußere Einwirkung so modifiziert, dass sie unter veränderten Umgebungsbedingungen ohne inhaltlichen oder strukturellen Informationsverlust weiterverwendet werden können. Bei der Emulation wird das originäre Umfeld der digitalen Objekte simuliert, das neue Umfeld also an die digitalen Objekte angepasst. Bei der Konversion werden die digitalen Objekte in analoge, menschenlesbare Form umgewandelt und auf einem alterungsbeständigen Informationsträger wie entsprechendem Papier oder Mikrofilm gespeichert. 25

Speichern digitaler Volltexte aufzubauen und zu betreiben (Hosting), die den

nachhaltigen Zugriff auf lizenzierte Verlagspublikationen und retrodigitalisierte

Bestände sicherstellen soll.

1.3. Die neue Qualität des analogen Bibliotheksraums

In der Folge des orts- und zeitunabhängigen Zugriffs auf digitale Information im WWW

wird der real-physische Bibliotheksbesuch für den direkten Informationszugang an

Bedeutung verlieren, er ist zumindest nur mehr in Ausnahmefällen zwingend, die

allerdings ebenso rückläufig sind (z. B. durch zunehmende Digitalisierung alter und

wertvoller Bestände). Der englische Philosoph Anthony Appiah formuliert pointiert:

„The library I never go to is already one of the most important places in my life”.42

Im Gegenzug scheint aber der analoge Bibliotheksraum eine neue Qualität auszuprägen

und an Relevanz zu gewinnen. Er kann für die Bibliotheksbenützerinnen und -benützer

zunehmend wichtig werden, um an einem optimalen Lernort Wissen anzueignen, zu

reflektieren und in Kommunikationsprozessen sozial produktiv zu machen; – oder

vielleicht auch etwas ganz anderes zu tun, das momentan gar nicht absehbar ist und der

Kreativität nachfolgender Generationen überlassen ist.

Der öffentlich zugängliche Bibliotheksraum wird zum dritten Ort, der im Unterscheid

zum ersten Ort (Wohnraum) und zum zweiten Ort (Arbeitsplatz) ein neutraler Ort ist, in

dem man verweilt und soziale Bindungen zur Umwelt aufrecht erhält.43 Da er weder

den Funktionsbereichen Privatsphäre noch Arbeit zuzuordnen ist, kann er Zuflucht

gewähren und jenseits von Job und Familie soziale und kulturelle Interaktion

ermöglichen.

Besonders öffentliche Bibliotheken im angloamerikanischen Raum setzen seit dem

frühen 21. Jahrhundert auf das Konzept des dritten Orts und orientieren sich dabei an

anderen Dienstleistungseinrichtungen oder auch kommerziellen Handelsunternehmen.

Auffällig häufig wird Bibliotheken empfohlen, sich an Starbucks zu orientieren, einem

Konzern, der sich auf Kaffeeprodukte spezialisiert hat und diese über konzerneigene

42 Anthony Appiah: Realizing the Virtual Library. In: Gateways to Knowledge. The Role of Academic Libraries in Teaching, Learning, and Research. Hg. von Lawrence Dowler. Cambridge / Massachusetts: MIT Press 1997, S. 35–39, hier S. 39. 43 Vgl. zum Konzept der „Third Places“ Ray Oldenburg: The Great Good Place: Cafes, Coffee Shops, Community Centers, Beauty Parlors, General Stores, Bars, Hangouts, and How They Get You Through the Day. New York: Paragon House 1989. 26

Kaffeehäuser vertreibt. Besonders vorbildlich werden dabei spezifische Marketing-

Strategien – vor allem im Bereich Community Building – als auch die Ausstattung der

Geschäftslokale – vor allem freier Internet-Zugang über WLAN (Wireless Local Area

Network) – angesehen.44

Die wissenschaftlichen Bibliotheken gehen vermehrt dazu über, ihre real-physischen

Bibliotheksräume als Learning (Resources) Centres einzurichten.45 Das Konzept

stammt bereits aus den 1970er Jahren und wurde seitdem entsprechend den

informations- und kommunikationstechnologischen Rahmenbedingungen modifiziert

und vor allem in der angloamerikanischen Bibliothekswelt realisiert. Seit den 1990er

Jahren stehen in Großbritannien die Learning (Resources) Centres und in Australien,

Kanada und in den USA die Information Commons bzw. Learning Commons usw. für

die Aufbereitung von Bibliotheksräumen als Kommunikations- und Lernorte. Sie zielen

darauf ab, sich den Bedürfnissen der studierenden Nutzerinnen und Nutzer sowie den

veränderten Lernprozessen – vor allem der von der konstruktivistischen Lerntheorie

abgeleiteten Verschiebung vom Lehren zum selbstbestimmten Lernen – und

Studienbedingungen anzupassen und diese mit den bibliothekarischen

Rahmenbedingungen zu verknüpfen. Im Idealfall fungiert das Learning Centre als One-

Stop-Shop für Studierende, die hier alle Services der unterschiedlichen Einrichtungen

(z. B. Angebote zur Studien- und Finanzberatung, zur Lern- und

Rechercheunterstützung, zur Informations- und IT-Kompetenz, zur beruflichen

Entwicklung) gebündelt vorfinden.

Im deutschsprachigen Raum gehörte die Universitätsbibliothek Göttingen zu einer der

ersten Bibliotheken, die ein Learning Resources Centre eingerichtet haben.46 Das im

Jahr 2005 eröffnete Zentrum bietet einen integrierten Zugriff auf Hard- und Software

sowie technische Systeme, mit denen Recherche, Kommunikation, E-Learning,

Multimedia, Produktion und Druck sowie die Nutzung unterschiedlicher digitaler

Medien möglich sind. Das Learning Resources Centre ist zentral im Bibliotheksgebäude 44 Vgl. z. B. John Stanley: The Third Place. The Role of the Library in Today’s Society. In: Australian Library and Information Association, April 2005; http://www.alia.org.au/publishing/incite/2005/04/john.stanley.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 45 Vgl. Christine Gläser: Die Bibliothek als Lernort – neue Servicekonzepte. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 32 (2008), S. 171–182. 46 Vgl. Tobias Möller-Walsdorf: Das Göttinger Learning Resources Center – ein neues computerbasiertes Serviceangebot der Bibliothek. In: Tradition und Zukunft – die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Eine Leistungsbilanz zum 65. Geburtstag von Elmar Mittler. Hg. von Margo Bargheer und Klaus Ceynowa. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen 2005, S. 337–347. 27

auf dem geisteswissenschaftlichen Campus angesiedelt. Auf einer Fläche von 400

Quadratmetern umfasst es einen Rechnerpool mit vierzig PC-Arbeitsplätzen, spezieller

Software, umfangreichen Druck-, Kopier- und Scan-Möglichkeiten,

Videokonferenztechnologien und verschiedenen Medienausgabesystemen. Vor allem

Studierende nutzen hier die Möglichkeit, ausgewählte Programme für Internetrecherche,

Textverarbeitung und Grafikanwendungen, leistungsstarke A3-Scanner, Posterdrucker

oder CD-Brenner einzusetzen. Bei der Nutzung der Hard- und Software stehen

Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter für Beratung und Betreuung zur

Verfügung. Spezielle Schulungsangebote sollen besonders den Studierenden den

Umgang mit der modernen Technik erleichtern.

1.4. Teaching Library

Eine weitere Perspektive der Bibliothek, die in engem Zusammenhang mit dem

Learning Resources Centre gesehen werden kann, allerdings nicht unbedingt an einen

physischen Ort gebunden ist, stellt die Teaching Library dar. Der Begriff der Teaching

Library geht ursprünglich auf eine Bezeichnung der Berkeley Library der University of

California für ihr Kurs- und Schulungsangebot zurück. Die damit verbundenen

Intentionen der Library Education, Information Literacy bzw. der Benützerschulung

waren indes bereits ab der Mitte des 20. Jahrhunderts geläufig, sind also im Grundsatz

nicht neu.

Auf der Basis des Modells der Teaching Library soll die Bibliothek verstärkt als Teil

des Bildungssystems auftreten und selbst Angebote im Rahmen von universitärer und

außeruniversitärer Aus-, Fort- und Weiterbildung machen. Besonderes Augenmerk ist

dabei der Entwicklung von Informationskompetenz zu widmen. Informationskompetenz

wird als Schlüsselqualifikation der modernen Informationsgesellschaft angesehen, die

ein entscheidender Faktor für den Erfolg in Forschung, Studium und Beruf darstellt. Sie

wird definiert als Fähigkeit, die es ermöglicht, bezogen auf ein bestimmtes Problem

Informationsbedarf zu erkennen, Informationen zu ermitteln und zu beschaffen sowie

Informationen zu bewerten und effektiv zu nutzen.

Bibliotheken in Deutschland und Österreich, die sich am Konzept der Teaching Library

orientieren, haben ein modulares Kursangebot und sind mit diesem in das Curriculum

28

der kooperierenden Schule, Hochschule oder Universität eingebunden, gelegentlich

wird zusätzlich Prüfungsverantwortung übernommen.47

Das Konzept der Teaching Library ist momentan hoch im Kurs, und seine

Protagonistinnen und Protagonisten sehen selbstbewusst weitere Erfolge auf sich

zukommen:

Die Teaching Library dürfte aufgrund der durch Bildungsberichte, Lehrplan- und Studienreformen günstigen Rahmenbedingungen, aber auch wegen der unbestrittenen Bedeutung, die den Schlüsselqualifikationen Informations- und Medienkompetenz für das lebenslange Lernen zukommt, gute Realisierungschancen auch im deutschsprachigen Raum haben.48

Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die Generation, die in den 1990er Jahren geboren

und mit dem WWW sozialisiert wurde, zwar viel im Internet recherchiert und auch

weiß, wo sie suchen muss, mit der Masse der Informationen jedoch kaum umgehen

kann: Inhalte werden wenig kritisch hinterfragt, analysiert oder eingeordnet. Diese

sogenannte Generation Google greift in der Regel bei ihrer Informationsrecherche

zuerst zu Suchmaschinen, dann erst zum Buch. Der Report „Information Behaviour of

the Researcher of the Future” des University College London, der die Google

Generation als nach 1993 Geborene definiert, stellt fest, dass „internet research shows

that the speed of young people’s web searching means that little time is spent in

evaluating information, either for relevance, accuracy or authority”.49 Angesichts dieses

zwar extensiven und intensiven, allerdings wenig reflektierten Medienumgangs der

Generation Google, die in absehbarer Zeit an die Universitäten strömen wird, scheint

die Teaching Library weiterhin – vor allem mit Einsatz von Blended Learning –

benötigt zu werden.

47 Vgl. z. B. Wilfried Sühl-Strohmenger: Hochschulbibliothek. Informationskompetenz und pädagogisch-didaktische Qualifizierung. Lehren und Lernen in der Bibliothek – neue Aufgaben für Bibliothekare. In: B.I.T. online 6 (2003), S. 317–326; http://www.b-i-t-online.de/archiv/2003-04/fach1.htm; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 48 http://www.bibliotheksportal.de/hauptmenue/themen/bibliothek-und-bildung/teaching-library/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 49 Information Behaviour of the Researcher of the Future. A Ciber Briefing Paper. London: University College London 2008;

29

1.5. Bibliothek 2.0 / 3.0 / 4.0

Ein weiterer Schritt im Übergang von der analogen zur digitalen Bibliothek ist die

konsequente Integration sowohl der bibliothekarischen als auch der nutzerseitigen

Aktivitäten in das WWW. Die im Web 2.0 bzw. im Social Web ausgeprägten

interaktiven und kollaborativen Elemente des Internet, die den User ins Zentrum rücken

lassen, weisen eine Reihe von Funktionalitäten auf, die von Bibliotheken sehr

vorteilhaft verwendet werden können. Zudem entspricht die starke User-Orientierung

dem anhaltenden Trend in der Bibliothekswelt, die Benützerinnen und Benützer in den

Mittelpunkt der Aufmerksamkeit treten zu lassen und sie auch in die bibliothekarische

Produkt- und Servicegestaltung miteinzubeziehen.

Im Jahr 2005 wurde in Analogie zum Terminus Web 2.0 der Begriff Library 2.0 von

dem Informationsexperten Michael Casey in seinem Blog „Library Crunch“ geprägt50

und findet sich heute in fast allen Beiträgen, die die Zukunft der Bibliotheken

thematisieren. Trotz seiner Konjunktur ist das Konzept Bibliothek 2.0 nicht einheitlich

definiert. Grundkonsens scheint aber darin zu bestehen, dass nun im Unterschied zur

traditionellen Bibliothek – post festum die Bibliothek 1.0 – die grundsätzliche

Ausrichtung auf die Benützerinnen und Benützer zentral ist. Dabei wird auf die dem

Web 2.0 zugeschriebenen Grundprinzipien wie Partizipation, Kollaboration, Interaktion

bzw. Zwei-Wege-Kommunikation zurückgegriffen. Als basale, teilweise visionäre

Prinzipien werden genannt und mitunter kontroversiell diskutiert:

• OPAC (Online Public Access Catalogue) + Browser + Web 2.0-

Eigenschaften + Offenheit für Verbindungen zu Anwendungen Dritter =

OPAC 2.0.

• Bibliotheksbenützerinnen und -benützer haben an der Gestaltung und an der

Implementierung von Dienstleistungen teil und sind in der Lage, sie zu

benützen und auf ihre individuellen Bedürfnisse zuzuschneiden.

• Offenheit: Bibliothek 2.0 ist kein geschlossenes Konzept.

http://www.jisc.ac.uk/media/documents/programmes/reppres/gg_final_keynote_11012008.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 50 Vgl. Michael Casey: Working Towards a Definition of Library 2.0. In: Library Crunch, 21. Oktober 2005, http://www.librarycrunch.com/2005/10/working_towards_a_definition_o.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 30

• Permanente Verbesserung anstatt Upgrade-Zyklen („perpetual beta“).

• Kopieren und Integrieren von Programmen und Ideen Dritter in die

Bibliotheksdienstleistungen.

• Dienstleistungen ständig überprüfen, verbessern und dazu bereit zu sein,

diese jederzeit durch neue, bessere Dienstleistungen zu ersetzen.51

Unter OPAC 2.0 bzw. Next (New) Generation OPAC wird ein Online-Katalog

verstanden, der sich neben dem großen Datenpool, schnellen Antwortzeiten, der

Integration von Normdaten und der Anreicherung der Titelaufnahmen (mit

Inhaltsverzeichnissen, Textauszügen usw.) vor allem durch seine Interaktivität mit den

Benützerinnen und Benützern auszeichnet. Beispiele dafür sind der WorldCat

(http://www.worldcat.org/) der OCLC (Online Computer Library Center) oder Primo

(http://www.exlibrisgroup.com/de/category/PrimoOverview), ein Produkt der auf

Bibliothekssoftware spezialisierten Firma Ex Libris.

Übrigens werden mittlerweile auch weitere Versions-Upgrades der Bibliothek

verhandelt: also Bibliothek 3.0 und Bibliothek 4.0. So riskiert etwa die Trend- und

Zukunftsforscherin Wendy Schultz im Jahr 2006 eine Vision der Bibliothek 4.0.

Nachdem sie die Bibliothek 3.0 ganz in den virtuellen Raum verlegt hat („Web 3D to

Library 3D“), sieht sie mit der Bibliothek 4.0 den real-physischen Ort zurückkehren:

But Library 4.0 will add a new mode, knowledge spa: meditation, relaxation, immersion in a luxury of ideas and thought. In companies, this may take the form of retreat space for thought leaders, considered an investment in innovation; in public libraries, the luxurious details will require private partners as sponsors providing the sensory treats. Library 4.0 revives the old image of a country house library, and renovates it: from a retreat, a sanctuary, a pampered experience with information – subtle thoughts, fine words, exquisite brandy, smooth coffee, aromatic cigar, smell of leather, rustle of pages – to the dream economy’s library, the LIBRARY: a WiFREE space, a retreat from technohustle, with comfortable chairs, quiet, good light, coffee and single malt.52

51 Vgl. Patrick Danowski / Lambert Heller: Bibliothek 2.0 – Die Zukunft der Bibliothek? In: Bibliotheksdienst 40 (2006), S. 1259–1271, hier S. 1261f.; http://www.zlb.de/aktivitaeten/bd_neu/heftinhalte2006/DigitaleBib011106.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 52 Wendy Schultz: To a Temporary Place in Time. In: Next Space – The OCLC Newsletter 2006/2, http://www.oclc.org/nextspace/002/6.htm; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010; vgl. dazu Hans-Christoph Hobohm: Bibliothek(swissenschaft) 2.0. Neue Auflage oder Wende in Forschung und Lehre? Vortrag auf dem 2. gemeinsamen Bibliothekstag Berlin / Brandenburg am 29. September 2007 in Frankfurt / Oder. In: LIBREAS – Library Ideas 3/4 (2007), S. 1–14; http://www.ib.hu-berlin.de/~libreas/libreas_neu/ausgabe10/003hob.htm; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 31

1.6. Bibliothekstypologisches und Ausdifferenzierung der Bibliotheken

In der Folge der geänderten Marktsituation, in der sich Bibliotheken bewegen, der

beschränkten Ressourcen, die dem Bibliothekswesen zur Verfügung stehen, der neuen

Dynamiken am Informationsmarkt und natürlich auch in der Folge der zahlreichen

neuen bibliothekarischen Profilierungsansätze kommt es zu einer weiteren funktionalen

Ausdifferenzierung der Bibliotheken. Zudem verstärkt sich die Konkurrenz unter den

Bibliotheken zunehmend, da sich der lokale Vorteil im elektronischen Zeitalter

drastisch reduziert. Bibliotheksleistungen können daher auch über große Entfernungen

angeboten werden. Um sich am Informationsmarkt zu behaupten, werden vorrangig

Qualität, Effektivität und Effizienz und nicht Standortvorteile zählen.

Momentan ist von folgender Situation auszugehen: Traditionell gliedert sich das

Bibliothekswesen im deutschsprachigen Raum in zwei Sparten: die öffentlichen

Bibliotheken bzw. Büchereien und die wissenschaftlichen Bibliotheken.

Auf der Basis dieser Bibliothekstypologie obliegt den öffentlichen Bibliotheken (früher:

Volksbüchereien), z. B. Stadt- oder Gemeindebibliotheken, die allgemeine

Literaturversorgung. Sie wenden sich an die gesamte Bevölkerung, an Erwachsene,

Jugendliche und Kinder, und dienen der allgemeinen Information, der Aus-, Fort- und

Weiterbildung, der Leseförderung, der Förderung der Medienkompetenz, der

Unterhaltung und der Freizeitgestaltung. Bei den öffentlichen Bibliotheken steht die

Gebrauchsfunktion im Vordergrund.

Die wissenschaftlichen Bibliotheken, z. B. National-, Staats-, Landes-, Universitäts-,

Instituts- und Spezialbibliotheken, stellen ihre Bestände für wissenschaftliche und

berufliche Zwecke zur Verfügung. Sie dienen vorwiegend der Forschung, der Lehre,

dem Studium oder auch dem spezifischen Bedarf von Behörden und Firmen. Die

meisten Bibliotheken werden von öffentlichen Trägern unterhalten (Bund, Länder,

Gemeinden), es gibt jedoch auch Firmen-, Kirchen-, Verbandsbibliotheken usw. Bei

den wissenschaftlichen Bibliotheken steht sowohl die Gebrauchsfunktion

(Universitätsbibliotheken) als auch die Archivfunktion (Nationalbibliotheken,

Regionalbibliotheken) im Vordergrund. Innerhalb der Gruppe der wissenschaftlichen

Bibliotheken gibt es je nach Aufgabe und Zweckbestimmung verschiedene Arten von

Bibliotheken. Differenziert werden können Bibliotheken von nationaler und

32

überregionaler Bedeutung (wie National- und Staatsbibliotheken), Landesbibliotheken

und andere Regionalbibliotheken, Universitäts- und Hochschulbibliotheken und

Spezialbibliotheken (Fachbibliotheken).

Da es sich bei Bibliotheken um Dienstleistungseinrichtungen handelt, ist das

Dienstleistungsspektrum maßgeblich durch die spezifische strategische Ausrichtung

und die jeweilige Kundennachfrage geprägt. Die Bibliotheksentwicklung der letzten

Jahre ist dadurch bestimmt, dass die Bibliotheksaufgaben diversifiziert wurden. Das

traditionelle Aufgabenspektrum der Mediendienste – Erwerbung (Bestandsaufbau),

Erschließung (Bestandsbearbeitung als Formalkatalogisierung und Sacherschließung),

Bereitstellung (Benützung) und Erhaltung (Archivierung) von Medieneinheiten – wird

um die Informationsdienste – allgemeine und wissenschaftliche Auskunft, Schulungen,

Führungen und Öffentlichkeitsarbeit – erweitert. Diese beiden Schwerpunkte der

Mediendienste und Informationsdienste prägen aktuell das Dienstleistungsangebot für

Bibliotheksbenützerinnen und -benützer. Bibliotheksinterne Aufgaben wie Verwaltung,

technische Dienste oder Aus-, Fort- und Weiterbildung unterstützen dieses

Aufgabenspektrum.

Bernd Vogel und Silke Cordes skizzieren in ihrer Studie „Bibliotheken an Universitäten

und Fachhochschulen“ mögliche weitere Ausdifferenzierungsperspektiven im Bereich

der wissenschaftlichen Bibliotheken.53 Die mit Blick auf die wachsende Diskrepanz

zwischen Leistungssteigerungen und Ressourcenbeschränkungen aufgestellte These,

dass das vollständige bibliothekarische Aufgabenspektrum zukünftig von weniger

Bibliotheken erbracht werden kann, führt zur Forderung nach verstärkter Profilbildung

und strategischer Positionierung.54 In der Folge werden von Vogel und Cordes

idealtypisch vier Bibliotheksprofile entworfen: Die „Universelle Bibliothek“ deckt

sämtliche Aufgabenschwerpunkte einer Hochschulbibliothek bei der konventionellen

und digitalen Informationsversorgung ab und erfüllt zudem Archivaufgaben; die 53 Bernd Vogel / Silke Cordes: Bibliotheken an Universitäten und Fachhochschulen. Organisation und Ressourcenplanung. Hannover: HIS 2005 (= Hochschulplanung 179); vgl. dazu Andreas Brandtner: [Rez. zu:] Bernd Vogel / Silke Cordes: Bibliotheken an Universitäten und Fachhochschulen. Organisation und Ressourcenplanung. Hannover: HIS 2005 (= Hochschulplanung 179). In: Mitteilungen der Vereinigung österreichischer Bibliothekarinnen & Bibliothekare 60 (2007), H. 3, S. 90–94. 54 Vgl. Theresia Simon: Die Positionierung einer Universitäts- und Hochschulbibliothek in der Wissensgesellschaft. Eine bibliothekspolitische und strategische Betrachtung. Frankfurt am Main: Klostermann 2006 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie: Sonderband 91); vgl. dazu Andreas Brandtner: [Rez. zu:] Theresia Simon: Die Positionierung einer Universitäts- und Hochschulbibliothek in der Wissensgesellschaft. Eine bibliothekspolitische und strategische Betrachtung

33

„Gebrauchsbibliothek“ versorgt die primäre Nutzergruppe mit aktueller Information

und zeichnet sich durch ein Nettonullwachstum ihrer gedruckten Bestände aus; die

„Digitale Bibliothek“ stellt ihre Informationsangebote zum größten Teil in digitaler

Form bereit; die „Virtuelle Bibliothek“ ist eine digitale Bibliothek ohne eigene

Medienbestände, deren Hauptaufgabe darin besteht, mit Lizenzen, Portalen,

Kooperationen usw. Zugänge zu Information zu schaffen.

(= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie: Sonderband 91). In: Mitteilungen der Vereinigung österreichischer Bibliothekarinnen & Bibliothekare 61 (2008), H. 4, S. 168–171. 34

2. Die Universitätsbibliothek Wien als

Dienstleistungseinrichtung der Universität Wien

2.1. Geschichte55

Die Geschichte der Universitätsbibliothek war immer eng mit der Universität Wien

verknüpft – schon seit der Bibliotheksgründung im Jahr 1365 durch Herzog Rudolf IV.,

wodurch die UB Wien die älteste Universitätsbibliothek im deutschen Sprachraum ist.

Angesiedelt war die sogenannte „publica libraria“ an der Stelle des heutigen

Universitätsplatzes. Die Hohe Schule bestand aus einer Reihe von Fakultäten. Jede

Fakultät besaß ihre eigene Bibliothek.

Im 15. Jahrhundert wuchsen die Buchbestände erheblich. Bald war jeweils ein eigener

„bibliothecarius“ damit betraut, die Werke vor Beschädigung und Entwendung zu

schützen. Entlehnen konnte man die angeketteten Bände (libri catenati) nur in

Ausnahmefällen.

Bedingt durch die Türkenkriege und die Pestepidemien nahm der Stellenwert der

Universität Wien im 16. und 17. Jahrhundert stark ab. Mit der Bedeutung der

Universität verfiel auch die ihrer Bibliothek. Schließlich übernahm die

Klosterbibliothek der Jesuiten die Aufgaben der UB, deren letzte Bestände 1756 der

Hofbibliothek in Wien, der heutigen Österreichischen Nationalbibliothek, inkorporiert

wurden.

Erst in der Regierungszeit von Kaiserin Maria Theresia, genauer am 13. Mai 1777,

wurde die UB neu eröffnet, vornehmlich mit den Beständen der aufgelassenen

Jesuitenklöster, wobei die wertvollsten Bücher an der Hofbibliothek blieben. Die neue

Bibliothek war im barocken Bibliothekssaal des Akademischen Jesuitenkollegs und

einigen Nebenräumen untergebracht und im Unterschied zu ihrer Vorgängerin

allgemein zugänglich. Damals wurde die Bestimmung erlassen, dass die UB direkt dem

Staat (und nicht etwa der Universität) unterstand; die Leitung der Bibliothek war also

direkt dem zuständigen Minister verantwortlich. Diese Bestimmung änderte sich erst

am 1. Jänner 2000, als die UB dem Rektor der Universität unterstellt wurde.

55 Vgl. bis in die Mitte der 1970er Jahre: Walter Pongratz: Geschichte der Universitätsbibliothek Wien. Wien, Köln, Graz: Böhlau 1977. 35

Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts musste ein Erweiterungsbau in Angriff

genommen werden, da sowohl der Buchbestand kontinuierlich anwuchs, als auch die

Benützungsfrequenz ständig zunahm. Die UB Wien wurde zur führenden

Forschungsbibliothek der österreichisch-ungarischen Monarchie. Im Jahr 1884 folgte

die Bibliothek der Universität in den Neubau auf dem Ring nach. Die drückende

Raumnot blieb bestehen, da keinerlei Möglichkeiten zur Erweiterung eingeplant waren.

Dennoch erlebte die UB eine Blütezeit, die allerdings mit dem Ersten Weltkrieg zu

Ende ging: Problematisch waren Personalknappheit durch die Einberufungen im Ersten

Weltkrieg und später durch die Wirtschaftskrise, sowie Lücken im Bestandsaufbau, vor

allem bei ausländischen Zeitschriften.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Buchbestand nach Niederösterreich in

bombengeschützte Räume ausgelagert, doch gingen durch Transport, schlechte

Lagerung und andere kriegsbedingte Komplikationen viele Bücher verloren oder

wurden beschädigt. 1951 war der Wiederaufbau des bombenbeschädigten Gebäudes

wesentlich abgeschlossen; man zog dem Lesesaal einen höheren Boden ein und gewann

dadurch Raum für ein zusätzliches Magazin.

Nach der Übersiedlung von Universitätsinstituten in das 1961 in der Universitätsstraße

errichtete Neue Institutsgebäude (NIG) konnten ein Foyer mit Garderobe, eine

Entlehnabteilung, ein Kleiner Lesesaal, die Zeitschriftenabteilung sowie Räume für die

Buchbearbeitung und zusätzlicher Stellraum geschaffen werden. Doch war dieser

Raumgewinn ein Rückschlag, denn ursprünglich hätte das NIG kein Instituts-, sondern

ein reines Bibliotheksgebäude werden sollen; ein Beschluss der Universität im Jahr

1955 hatte die seit langem geplante Zentralbibliothek verhindert.

Das Universitätsorganisationsgesetz 1975 (UOG 1975) etablierte eine engere

organisatorische Verbindung der Bibliothek mit der Universität, ohne jedoch deren

Unabhängigkeit anzutasten. Sukzessive wurde die innere Struktur den Erfordernissen

der Zeit angepasst, so z. B. ein Referat für die Planung der ADV (Allgemeine

Datenverarbeitung) eingerichtet oder die Informationsvermittlungsstelle für maschinelle

Literatursuche (IVS; seit 2001: Zentrum für elektronische Recherchen) ausgebaut. Die

Koordination der Literaturauswahl zwischen Hauptbibliothek, Fakultäts- und

Fachbibliotheken wurde verbessert. Sammelrichtlinien wurden erarbeitet und

veröffentlicht.

36

Seit dem Wintersemester 1986 kann die Entlehnverbuchung (beginnend mit der

Lehrbuchsammlung) und seit 1989 auch die Katalogisierung automationsunterstützt

durchgeführt werden, seit 1999 durch das integrierte Bibliothekssystem Aleph, das die

israelische Firma Ex Libris entwickelte und betreut.

Als im Jahr 1998 die Magazine so weit gefüllt waren, dass für neue Bücher kein Platz

mehr vorhanden war, wurden die Räume der ehemaligen Niederösterreichischen

Landesbibliothek in der Teinfaltstraße 8 angemietet und etwa 300.000 Bücher dorthin

ausgelagert. Diese Außenstelle wurde im Mai 1999 eröffnet, wenig später konnte die

neue Lehrbuchsammlung im Hauptgebäude ihren Betrieb aufnehmen.

Nach den im Universitätsorganisationsgesetz 1993 (UOG 1993) vorgegebenen

Reformen untersteht nun seit 1. Jänner 2000 die UB nicht mehr dem Ministerium,

sondern direkt dem Rektor der Universität Wien. Mit Inkrafttreten des

Universitätsgesetzes 2002 (UG 2002) am 1. Jänner 2004 wurde die

Universitätsbibliothek Wien gemeinsam mit dem Archiv der Universität Wien und den

zu Fachbereichsbibliotheken neu zusammengelegten ehemaligen Fakultäts-, Fach- und

Institutsbibliotheken zur Dienstleistungseinrichtung Bibliotheks- und Archivwesen

zusammengeschlossen.

2.2. Aktuelle Daten und Fakten

Mit einem Bestand von über 6,8 Millionen Büchern ist die Universitätsbibliothek Wien

deutlich vor der Österreichischen Nationalbibliothek die größte

Druckschriftenbibliothek Österreichs und eine der größten Universitätsbibliotheken

Europas. Einen schematischen Überblick über die Bibliothek und ihre Situierung in der

Universität Wien sollen folgende Kennzahlen vermitteln, die sich auf das Jahr 2009

beziehen:56

56 Vgl. Der Bibliotheksindex. BIX-Ergebnisse 2009: wissenschaftliche Bibliotheken; http://www.bix-bibliotheksindex.de/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 37

Bibliotheken insgesamt (Hauptbibliothek, Fachbereichsbibliotheken,

Institutsbibliotheken)

48

Zahl der aktiven Entlehnerinnen und Entlehner, die keine

Universitätsangehörigen sind

12.244

Zahl der Studierenden 85.781

Zahl der Lehrenden 6.747

Zahl der Benützerarbeitsplätze gesamt 3.377

Zahl der Computerarbeitsplätze 415

Zahl der Benützerarbeitsplätze mit Internetzugang 415

Quadratmeter Benützungsbereich 34.451

Mitglieder der primären Nutzergruppe (wissenschaftliches Personal,

allgemeines Personal, Studierende)

92.528

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Vollzeitäquivalente) 299

Wochenöffnungsstunden 73

Bibliotheksbesuche physisch 2,911.948

Bibliotheksbesuche virtuell 9,024.664

Aktive Entlehnerinnen und Entlehner 76.070

Schulungsteilnehmerinnen und -teilnehmer 12.058

Entlehnungen ohne Vormerkung 814.380

Entlehnungen insgesamt 1,169.726

Ausgaben Erwerb elektronische Medien 1,888.220 €

Ausgaben Medienerwerb 7,119.448 €

Ausgaben der Bibliothek 21,199.690 €

Ausgaben Personal 12,748.886 €

Zahl der beschafften Medien 118.022

Fortbildungstage Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 1.549

Dritt- und Sondermittel der Bibliothek 617.975 €

Gesamtmittel der Bibliothek 22,828.976 €

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für elektronische Dienste 19,1

Setzt man diese Werte in Beziehung zu Kennzahlen vergleichbarer Bibliotheken im

deutschsprachigen Bereich, erscheinen folgende Aspekte signifikant:

38

1. Die UB Wien als Bibliothek der mit rund 86.000 Studierenden größten Universität im

deutschen Sprachraum hat eine von anderen Bibliotheken nicht ansatzweise erreichte

Mitgliederzahl ihrer primären Nutzergruppe zu betreuen. In Relation zu dieser Zahl ist

die infrastrukturelle Ausstattung als unterdurchschnittlich zu bezeichnen. So stehen der

UB Konstanz für den Medienerwerb 3,103.009 € zu Verfügung, zu versorgen sind

allerdings nur 11.484 primäre Benützerinnen und Benützer. Damit verfügt die UB

Konstanz über 43,6% der Höhe des Erwerbungsbudgets der UB Wien, betreut allerdings

nur 12,4% der Zahl der primären Benützerinnen und Benützer der UB Wien. Ähnliche

Relationen ließen sich in den Kategorien Benützungsbereich,

Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, Ausgaben für Literatur / Information,

Bibliotheksbesuche, Schulungsstunden und Bibliotheksausgaben (immer pro primäre

Benützerinnen und Benützer gerechnet) aufzeigen.

2. Die UB Wien arbeitet entschlossen am Ausbau der digitalen Bibliothek: Der Anteil

der Ausgaben für elektronische Medien, die elektronische Nutzung pro primäre

Benützerinnen und Benützer und auch der Anteil des Personals für elektronische

Dienste liegen vergleichsweise im guten Mittelfeld.

3. Die Öffnungszeiten der UB Wien bleiben deutlich hinter denen deutscher

Hochleistungsbibliotheken zurück. Dies resultiert vor allem aus der schwierigen

räumlichen Situation der UB Wien, die für die Öffnung der Benützungsbereiche einen

erhöhten Personaleinsatz erfordern würde.

4. Der Anteil der Dritt- und Sondermittel an den Bibliotheksmitteln ist vergleichsweise

niedrig. Dies resultiert zu einem Teil aus der in Relation zu Deutschland weniger

ausgeprägten Förderstruktur.

Dieser etwas holzschnittartige Kennzahlenvergleich zeigt vor allem, dass sich die UB

Wien in der Situation eines Massenversorgers befindet, dessen

Entwicklungsperspektive durch die begrenzten Ressourcen in vielerlei Hinsicht

eingeschränkt ist. Umso anspruchsvoller erscheinen deswegen die Herausforderungen

an das Management hinsichtlich der Organisationsentwicklung der Bibliothek.

39

2.3. Organisatorische Verankerung

Die Universitätsbibliothek bildet gemeinsam mit dem Universitätsarchiv die

Dienstleistungseinrichtung (DLE) Bibliotheks- und Archivwesen der Universität Wien,

der größten Lehr- und Forschungseinrichtung in Österreich. Der Organisationsplan der

Universität Wien definiert in § 15 ihre acht Dienstleistungseinrichtungen (Bibliotheks-

und Archivwesen, Finanzwesen und Controlling, Forschungsservice und Internationale

Beziehungen, Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsmanagement, Personalwesen und

Frauenförderung, Raum- und Ressourcenmanagement, Studien- und Lehrwesen und

Zentraler Informatikdienst) wie folgt:

Dienstleistungseinrichtungen sind Organisationseinheiten der Universität, die die Universität, ihre Organisationseinheiten und Organe sowie ihre Angehörigen bei ihrer Aufgabenerfüllung unterstützen. Sie haben im allgemeinen keine Forschungs- oder Lehraufgaben, können aber mit aufgabenspezifischen wissenschaftlichen Tätigkeiten betraut werden und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen.57

Die DLE Bibliotheks- und Archivwesen gehört somit dem administrativen Bereich der

Universität an und ist direkt dem Rektorat unterstellt, wobei die bibliotheksspezifischen

Agenden von einem Vizerektor wahrgenommen werden. Das zentrale

Steuerungselement für das Rektorat sind die Zielvereinbarungen, die jährlich zwischen

Rektorat und Fakultäten / Zentren, Studienprogrammleiterinnen und

Studienprogrammleitern (wissenschaftlicher Bereich) sowie zwischen Rektorat und

Dienstleistungseinrichtungen (administrativer Bereich) geschlossen werden. Sie stellen

auch das Bindeglied zur Leistungsvereinbarung zwischen Bund und Universität dar. In

diesen Zielvereinbarungen wird festgehalten, welche Ziele die Einrichtungen im

nächsten Jahr erreichen sollen und welches Budget ihnen – im Sinn einer leistungs- und

bedarfsorientierten Ressourcenverteilung – zur Verfügung gestellt wird. Die

Maßnahmen zur Erreichung der gesetzten Ziele werden von der Leitung der jeweiligen

Einrichtung selbstständig ausgewählt. Als weiteres Führungs- und

Steuerungsinstrument zur Umsetzung der Leistungs- und Zielvereinbarungen ist an der

Universität Wien das Jahresgespräch implementiert. Im Sinn einer Top-Down-Strategie

57 Organisation der Universität Wien im Universitätsgesetz 2002. 13. Oktober 2006, S. 10; http://www.univie.ac.at/rektorenteam/ug2002/organisation.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 40

findet ein solches Gespräch zwischen dem zuständigen Vizerektor und der Leiterin der

DLE Bibliotheks- und Archivwesen einmal jährlich statt.

2.4. Ablauforganisation und neue Handlungsfelder

Bei der Beschreibung der Ablauforganisation der UB Wien ist zu berücksichtigen, dass

sie als Teil des funktional ausdifferenzierten Bibliothekswesens agiert und vor allem

innerhalb des Kontextes des deutschsprachigen Bibliothekswesens zu denken ist.

Die UB Wien als wissenschaftliche Bibliothek agiert ganz im Zeichen ihrer Integration

in die Universität Wien. So ist sie primär wissenschaftliche Informationsversorgerin

und in ihrem Leistungsspektrum vom Bedarf der Universitätsangehörigen

(wissenschaftliches Personal, allgemeines Personal, Studierende) bestimmt. Sie verfolgt

einerseits die Mediendienste (Erwerbung, Erschließung, Bereitstellung und Erhaltung)

und baut andererseits den Aufgabenschwerpunkt Informationsdienste aus, um sich

verstärkt als Dienstleistungszentrum rund um verschiedene Medien zu etablieren.

Bei der Ausprägung und Gestaltung der bibliothekarischen Arbeitsabläufe ist neben der

erfolgreichen Abwicklung sowohl der Medien- als auch der Informationsdienste an die

grundsätzliche Bestandserweiterung durch digitale Medien zu denken. Das bedeutet,

dass der bibliothekarische Apparat so ausdifferenziert sein muss, dass er sowohl

analoge als auch digitale Medien verarbeiten kann. Die UB Wien setzt momentan – wie

die meisten anderen wissenschaftlichen Bibliotheken im deutschsprachigen Raum – auf

die Umsetzung des Konzepts der Hybridbibliothek, die nicht nur Zugang zu

elektronischen (digitalen) Ressourcen und traditionellen (analogen) Bibliotheksquellen

gewähren will, sondern alle Arten von Informationen unter denselben oder mehreren

Nutzeroberflächen integriert, um digitale und nicht-digitale Dienstleistungen

anzubieten.

Neben der Bewältigung der traditionellen Aufgaben und der Entwicklung hin zur

Hybridbibliothek hat die UB Wien im Verlauf der letzten Jahre zudem neue

Handlungsfelder übernommen, die zum Teil dem Bereich der digitalen Bibliothek

zugehören, zum Teil aus der neuen Aufgabenverteilung am Informationsmarkt

resultieren. Ein kurzer Überblick über diese neuen Services soll verdeutlichen, in

41

welchem komplexen Aufgabenspektrum sich wissenschaftliche Bibliotheken aktuell

bewegen:

PHAIDRA (Permanent Hosting, Archiving and Indexing of Digital Resources and

Assets)

PHAIDRA ist ein Digital Asset Management System mit

Langzeitarchivierungsfunktionen. Ein Digital Asset Management System dient der

Speicherung und Verwaltung von beliebigen digitalen Inhalten, insbesondere von

Mediendateien wie Grafiken, Videos, Musikdateien, Textbausteinen usw. PHAIDRA

eröffnet für Forschung, Lehre, Verwaltung und die einzelnen Akteurinnen und Akteure

die Möglichkeit, ihre Publikationsleistungen zu speichern, zu dokumentieren und auf

lange Zeit zu archivieren. Mit PHAIDRA erhalten die gespeicherten und entsprechend

mit Metadaten versehenen Objekte (z. B. Texte, Bilder, Videos, Audiodateien) einen

permanenten Link. Sämtliche digitale Objekte können somit rasch und effizient

aufgefunden und abgerufen werden.

EOD (E-Books on Demand)

Die UB hat das Service E-Books on Demand (EoD) eingerichtet, bei dem

urheberrechtsfreie Bücher (siebzig Jahre nach dem Tod der Verfasserin bzw. des

Verfassers) auf Wunsch digitalisiert und als E-Books im PDF-Format mit automatisch

erkanntem Volltext – OCR (Optical Character Recognition) ohne Korrektur –

ausgeliefert werden. Wie bei einem Document Delivery Service (z. B. die

kostenpflichtige Beschaffung von Dokumenten über die Fernleihe) zahlen die

Kundinnen und Kunden für das Service. Zusätzlich zur Auslieferung an Kundinnen und

Kunden werden die Digitalisate langfristig im Digital Asset Management System

PHAIDRA archiviert und im Internet mit einem E-Book-Viewer der Öffentlichkeit zur

Verfügung gestellt.

Hochschulschriftenserver E-Theses

An der Universität Wien ist die Abgabe von Abschlussarbeiten in elektronischer Form

für alle Studienrichtungen verpflichtend. Ist diese elektronische Abgabe erfolgt, werden

die nachfolgenden Prozesse weitgehend automatisiert abgewickelt: Verständigungen

der Beteiligten, Erfassung der Arbeit im Katalog der Universitätsbibliothek und

42

Veröffentlichung auf dem Hochschulschriftenserver. Die hochgeladenen Arbeiten

werden im Sinn einer guten wissenschaftlichen Praxis einer Plagiatsprüfung unterzogen,

die von der UB koordiniert wird. Der Hochschulschriftenserver bietet die Möglichkeit,

die Abschlussarbeiten weltweit verfügbar zu machen. Mit Hilfe strukturierter Metadaten

werden die Dokumente bibliographisch beschrieben und über nationale und

internationale Bibliothekskataloge, Suchmaschinen und andere Nachweisinstrumente

erschlossen und somit suchbar gemacht. Die Zitierfähigkeit wird durch eine dauerhafte

und stabile Internetadresse garantiert.

Open Access

Ziel ist es, den Open-Access-Gedanken (also die kostenlose Bereitstellung

wissenschaftlicher Literatur im Internet) an der Universität Wien bekannter zu machen

und die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Mitarbeiterinnen und

Mitarbeitern der Universität diese neue Form des Publizierens ermöglicht. Als konkrete

Maßnahmen sind die Erstellung einer Informationswebsite der Universität zu diesem

Thema sowie die Inbetriebnahme eines Institutional Repository vorgenommen. Mit

Hilfe dieses Volltextservers soll der gesamte wissenschaftliche Output von

Angehörigen der Universität Wien, also Diplom-, Magister- und Masterarbeiten,

Dissertationen, Habilitationsschriften, Publikationen, Projektberichte,

Konferenzbeiträge, Working Papers, Vorträge usw., einer breiten Öffentlichkeit via

Internet zur Verfügung gestellt werden. Open Access wird an der Universität Wien von

der UB koordiniert.

RAD (Research Activities Documentation)

RAD ist die Forschungsdokumentation der Universität Wien und verzeichnet die

Forschungsleistungen ihrer Angehörigen. Dazu zählen insbesondere Publikationen,

Vorträge, Drittmittelprojekte, Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler,

Funktionen in wissenschaftlichen / universitären Gremien und Engagement in

wissenschaftlichen Zeitschriften. Das Ziel ist, Daten nur mehr an einer zentralen Stelle

für verschiedene Zwecke laufend zu erfassen. Die Daten aus RAD dienen nicht nur der

Erstellung der Wissensbilanz, sondern auch als Grundlage für Fakultätsevaluierungen

und Zielvereinbarungsgespräche. RAD ist organisatorisch an der UB Wien situiert.

43

Informationsvermittlung

Neben den traditionellen Mediendiensten hat sich die bibliothekarische

Aufmerksamkeit in den letzten Jahren verstärkt den Informationsdiensten zugewandt.

Unter der Voraussetzung, dass Wettbewerbsvorteile zentral in der qualifizierten

Beratung der Endnutzerinnen und Endnutzer zu finden sind, wurden Ressourcen aus

dem Back Office in das Front Office verlagert. Als koordinierende Einrichtung der

Benützerbetreuung wurde an der UB Wien das Zentrum für elektronische Recherchen

eingerichtet, das sowohl Anfragen entgegennimmt und beantwortet als auch Führungen

und Schulungen veranstaltet.

Szientometrie und Bibliometrie

Eine der größten Herausforderungen im universitären Bereich ist derzeit die

Forschungsevaluation und die daraus resultierende Unterstützung der

Universitätsleitung bei Entscheidungen bezüglich der Entwicklung von

Forschungsschwerpunkten (Science Policy). Mit Hilfe der Szientometrie (Untersuchung

der wissenschaftlichen Forschung) und ihrem Teilgebiet der Bibliometrie

(Beobachtung, Analyse und Evaluation von Publikationen und ihrer Zitierhäufigkeit)

kann der wissenschaftliche Output einer Universität gemessen werden. An der

Universität Wien spielt dabei die Bibliothek nicht nur eine wichtige Rolle bei der

Aufbereitung (Gewinn, Analyse, Strukturierung) der Daten, sondern auch durch die

Kenntnisse und praktischen Erfahrungen ihrer Spezialistinnen und Spezialisten im

Bereich der Szientometrie und Bibliometrie. Die UB Wien koordiniert diese neuen

Aufgaben an der Universität Wien und bündelt die vorhandenen Kompetenzen.

Vienna University Press

Die Vienna University Press ist ein Verlag, den die Universität Wien und V&R unipress

in Kooperation gegründet haben. Rechtlich gehört die Vienna University Press als

Imprint zu V&R unipress, einem Tochterunternehmen des renommierten

geisteswissenschaftlichen Verlagshauses Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Die

Universität steuert über den wissenschaftlichen Beirat das Verlagsprogramm und

überwacht das vereinbarte Leistungsspektrum des Verlags. Die UB Wien ist im Beirat

vertreten und fungiert als Koordinationsstelle innerhalb der Universität.

44

Sammlungen an der Universität Wien

Die erste vorrangige Aufgabe dieses neuen Handlungsfeldes war, alle Sammlungen, die

sich in den verschiedenen Instituten und Departments der Universität Wien befinden, zu

identifizieren, sämtliche Daten zu den Sammlungen (Geschichte, Bestand, Umfang,

Erschließung, Adresse, Kontaktperson, Benützungsbeschränkungen) systematisch zu

erfassen und ein Gesamtverzeichnis zu erstellen, das über eine eigene Website abrufbar

ist (http://sammlungen.univie.ac.at/). Mittelweile werden die Sammlungen

infrastrukturell unterstützt und koordiniert, wobei die Kuratorenaufgabe von der UB

Wien wahrgenommen wird.

Provenienzforschung

Auch österreichische Bibliotheken erhielten in der Zeit des Nationalsozialismus oft

beschlagnahmtes Bibliotheksgut von aufgelösten Einrichtungen wie Vereinen oder

Schulen und aus Enteignungen oder Zwangsverkäufen von Privatpersonen. So befinden

sich auch in den Beständen der UB Wien Bücher aus solchen bedenklichen

Erwerbungsvorgängen. Die Provenienzforschung der UB Wien durchforstet

systematisch die Eingänge aus den Jahren 1938 bis 1945. Die Bibliothek kommt damit

ihrer Aufgabe zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit den eigenen Beständen und der

Aufarbeitung der Erwerbungspolitik während der NS-Zeit nach. Zudem restituiert sie

die unrechtmäßig erworbenen Bestände an die rechtmäßigen Eigentümerinnen und

Eigentümer. Aufgrund der komplexen Sachlage ist diese Arbeitsaufgabe als langfristig

anzusetzen und deswegen innerhalb der Organisationsstruktur der Bibliothek zu

verankern.

2.5. Aufbauorganisation

Die Dienstleistungseinrichtung Bibliotheks- und Archivwesen der Universität Wien ist

organisatorisch gegliedert in die Universitätsbibliothek (Hauptbibliothek, 39

45

Fachbereichsbibliotheken und acht Institutsbibliotheken), das Universitätsarchiv, zwölf

Zentrale Services und einige Subeinheiten, denen Spezialaufgaben zugeteilt sind.58

Dem Universitätsarchiv obliegt die Erhaltung, Erschließung und Bereitstellung der

historischen Überlieferung der Universität Wien und der universitätsgeschichtlichen

Sammlungen für Zwecke der Universitätsverwaltung, der wissenschaftlichen Forschung

und Lehre sowie zur Wahrnehmung berechtigter persönlicher Belange. Es nimmt mit

Publikationen, Vorträgen und Ausstellungen aktiven Anteil an der universitäts- und

wissenschaftsgeschichtlichen Arbeit und unterstützt facheinschlägige

Forschungsprojekte. Für die Archivbenützung wird ein Lesesaal- und fachlicher

Beratungsdienst durchgeführt, darüber hinaus werden schriftliche Auskünfte erteilt. Die

Direktion des Universitätsarchivs ist direkt der Leitung der DLE Bibliotheks- und

Archivwesen unterstellt.

Die 48 Bibliotheken der UB befinden sich an Standorten in ganz Wien, wobei die

Hauptbibliothek seit 1884 im damals neu eröffneten Hauptgebäude am Ring

untergebracht ist. Die Fachbereichs- und Institutsbibliotheken sind in der Regel in

unmittelbarer Nähe zu den Instituten, Fakultäten / Zentren aufgestellt, deren

Fachbereich sie abdecken. Der Unterschied zwischen Fachbereichs- und

Institutsbibliothek besteht darin, dass die Fachbereichsbibliotheken organisatorisch

komplett in die UB integriert sind, das Personal der Institutsbibliotheken hingegen den

Instituten bzw. Fakultäten zugeordnet ist. Ihr Erwerbungsbudget beziehen die

Institutsbibliotheken von der UB. Die Direktion der Hauptbibliothek wird von der DLE-

Leitung in Personalunion wahrgenommen, die Leiterinnen und Leiter der

Fachbereichsbibliotheken sind direkt der Leitung der DLE Bibliotheks- und

Archivwesen unterstellt.

Die Zentralen Services haben für den gesamten Bereich zentrale und koordinierende

Aufgaben wahrzunehmen und sind als interne Dienstleister etabliert (z. B. Team EDV-

Infrastruktur, Team Koordinierter Bestandsaufbau). Die Zentralen Services haben den

Charakter von Stabsstellen, ihre Leitungen sind direkt der Leitung der DLE Bibliotheks-

und Archivwesen unterstellt.

58 Vgl. das Organigramm: http://bibliothek.univie.ac.at/wir_ueber_uns.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 46

In Bezug auf den engeren Bereich Bibliothek (Hauptbibliothek,

Fachbereichsbibliotheken, Institutsbibliotheken) befindet sich die UB am Weg von der

Zweischichtigkeit in die angestrebte funktionale Einschichtigkeit.

Exkurs 1: Zweischichtigkeit, Einschichtigkeit und funktionale Einschichtigkeit von

Bibliothekssystemen in Universitäten59

Duale (zweischichtige) Bibliothekssysteme

An den traditionellen Universitäten war die Literaturversorgung früher so organisiert,

dass eine zentrale Bibliothek (die eigentliche Universitätsbibliothek) und eine große

Zahl von selbstständigen fachlichen Instituts-, Seminar- oder Lehrstuhlbibliotheken

unverbunden nebeneinander bestanden. Dabei war der Bestand der Zentral- bzw.

Hauptbibliothek im geschlossenen Magazin untergebracht, während die Bücher der

Institutsbibliotheken meist als Freihandbestände aufgestellt waren. Die zentrale

Universitätsbibliothek fungierte vorwiegend als Entlehnbibliothek, die

Institutsbibliotheken waren in der Regel Präsenzbibliotheken. Das entscheidende

Merkmal dieser dualen Literaturversorgung ist die Unabhängigkeit der

Institutsbibliotheken von der zentralen Universitätsbibliothek.

Die Ursprünge dieses Systems lassen sich in allen traditionsreichen deutschen

Universitäten auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückführen. Im Laufe der

Jahrzehnte bis in die 1960er Jahre hinein haben sich daher solche Bibliothekssysteme

entwickelt, die häufig deutlich über 150 selbstständige Institutsbibliotheken haben. Um

das Bild noch unübersichtlicher und rational noch schwerer nachvollziehbar zu machen,

haben sich darüber hinaus an vielen Standorten quasi auf einer Mesoebene

institutsübergreifende Bibliotheken auf Fachbereichs- oder Fakultätsebene entwickelt –

nicht selten unter Beibehaltung von Kleinbibliotheken auf Instituts- oder

Arbeitsgruppenebene.

59 Vgl. Ulrich Naumann: Hochschulbibliothekssysteme im Vergleich. 5. Aufl. Vorlesungsskript einer geplanten Lehrveranstaltung am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin Sommersemester 2007,

47

Integrierte (einschichtige) Bibliothekssysteme

Das einschichtige System findet man häufig bei Hochschulen, die nach 1960 gegründet

wurden (z. B. Universitäten Bochum, Konstanz, Regensburg). Einschichtigkeit im

Bibliothekswesen zeichnet sich durch die zentrale Verwaltung von Personal- und

Sachmitteln aus. Beschaffung, Erschließung und Bereitstellung der Medien geschieht

nach einheitlichen Grundsätzen.

Funktionale einschichtige Bibliothekssysteme

Traditionell zweischichtige Bibliothekssysteme werden ihre individuelle Ausprägung

der funktionalen Einschichtigkeit entwickeln oder haben dies bereits erreicht. Hierzu

gehören, soweit möglich, die Bildung von (Fach-)Bereichsbibliotheken, die

Zusammenführung von materiellen Ressourcen für bestimmte Materialien

(Zeitschriften, elektronische Dokumente), Aufbau von Gesamt-Online-Katalogen,

universitätsinterne Abstimmung der Erwerbungen durch möglichst umfassenden Einsatz

integrierter Bibliothekssysteme und Verbundteilnahme der Bibliotheken, Beteiligung an

Personalauswahlverfahren, zentrale Schulungsangebote für die Bibliothekarinnen und

Bibliothekare in den dezentralen Bibliotheken, Abschluss von / und Beteiligung an

Konsortialprodukten usw.

Die UB Wien arbeitet seit Jahren daran, die Institutsbibliotheken, deren Personal den

Instituten zugehört, in ihren Verband zu integrieren. Zumeist ist das mit baulichen

Veränderungen verbunden, in deren Folge Bibliotheken zusammengelegt werden.

Zudem wurde von der Universitätsleitung aufgegeben, Institutspersonal, das mit

bibliothekarischen Agenden befasst ist, in den Bereich der Bibliothek zu übernehmen.

2.6. Aufgaben und Kernkompetenzen

Die derzeitige offizielle Aufgabenbeschreibung der UB Wien ist kein selbst erstelltes

Mission Statement, sondern wurde großteils aus dem – juristisch überholten und außer

Kraft gesetzten – UOG 1993 übernommen (vgl. § 78):

http://www.ub.fu-berlin.de/~naumann/biblsysteme/Vorlesungsskript_2007.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 48

Die Aufgaben der Universitätsbibliothek umfassen:

• Beschaffung, Erschließung und Bereitstellung aller für Forschung, Lehre und Studium erforderlichen Informationsträger unter Beachtung weitgehender Kontinuität und Vollständigkeit

• Bereitstellung der Bestände für die Universitätsangehörigen und für die wissenschaftlich interessierte Öffentlichkeit

• Vermittlung von Information unter Nutzung weltweiter Datennetze (z. B. Internet) und Datenbanken einschließlich der Dokumentenlieferung

• Vermittlung von Informationskompetenz • Pflege und Erschließung des wertvollen historischen Buchgutes • Mitarbeit an Gemeinschaftsunternehmen des österreichischen und

internationalen wissenschaftlichen Informationswesens • Kooperation und Koordination mit den anderen wissenschaftlichen

Bibliotheken Österreichs und des übrigen Europas Der Sammelauftrag des Bibliotheks- und Archivwesens umfasst die Beschaffung der Informationsträger aus allen an der Universität Wien gelehrten Wissenschaftsdisziplinen, wobei der UB die Stellung eines bibliographischen Zentrums für die Universität zukommt. Überdies besitzt die UB das Pflichtexemplarrecht für Wien, Niederösterreich und Burgenland. Gemäß § 43 Mediengesetz sind von jedem Druckwerk (Bücher und Zeitschriften) kostenlos zwei bzw. drei Exemplare an die UB abzugeben.60

Im Rahmen der Strategieentwicklung der UB Wien wird diese Aufgabenbeschreibung

nicht nur dahin gehend geprüft werden, inwieweit sie mit dem gegenwärtigen Ist-

Zustand übereinstimmt bzw. von aktuellen Entwicklungen abweicht. Es wird vielmehr

notwendig sein, sie durch ein selbstformuliertes Mission Statement abzulösen. Dabei ist

besonders auf das Management der Kernkompetenzen zu achten, die auf die

Bedürfnisse der Endkundinnen und Endkunden zentral Bezug nehmen.

Damit ist die UB als wissenschaftliche Bibliothek der Universität Wien positioniert,

deren Hauptaufgabe in der Informationsversorgung der Universitätsangehörigen

besteht. Diese ihre primäre Nutzergruppe setzt sich aus den Studierenden, den

Angehörigen des wissenschaftlichen Personals und den Angehörigen des allgemeinen

Personals zusammen. Mit derzeit 86.000 Studierenden und 8.900 Mitarbeiterinnen und

Mitarbeitern der Universität Wien (davon 6.700 Wissenschaftlerinnen und

Wissenschaftler) zählt die UB Wien in europäischer Perspektive zu den

Universitätsbibliotheken mit den quantitativ größten primären Nutzergruppen (ein

rascher Vergleich aktueller Zahlen ist über den Bibliotheksindex BIX / http://www.bix-

bibliotheksindex.de/ möglich: z. B. UB Frankfurt am Main: 41.600, UB München:

49

49.900 Primärnutzerinnen und -nutzer). – Die wissenschaftlich interessierte

Öffentlichkeit, die nicht Teil der Universität Wien ist, wird als sekundäre Nutzergruppe

wahrgenommen.

60 http://bibliothek.univie.ac.at/aufgaben.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 50

3. Strategieentwicklung für Organisationen

3.1. Positionen der Managementtheorie

Innerhalb der Managementlehre und -theorie war und ist der Bereich des strategischen

Managements deutlichen Konjunkturen unterworfen. Das Konzept der Strategie leitet

sich wie viele andere Aspekte des Managements aus dem Militärwesen ab und meinte

ursprünglich die Kunst der Heerführung.61 Der preußische General und

Militärtheoretiker Carl von Clausewitz interpretierte den Begriff in seinem Hauptwerk

„Vom Kriege“ (1832–1834) neu. Für ihn ist Strategie „der Gebrauch des Gefechts zum

Zweck des Krieges“.62 Strategie setzt dem kriegerischen Akt ein Ziel, das dem Zweck

entspricht, und entwirft den Kriegsplan.

In den 1950er Jahren wurde der Strategiegebegriff systematisch in die

Managementlehre und folglich ins Management integriert, indem die in vielerlei

Hinsicht einflussreiche Harvard Business School begann, Strategie im Rahmen ihrer

Managementausbildung zu unterrichten. Sowohl im Studium als auch in der Praxis galt

Strategie dementsprechend als die wichtigste Aufgabe des Chief Executive Officers

(CEO). Damit wurde das Top Management, das den Gesamtkurs des Unternehmens zu

steuern hat, für die Formulierung und auch für die Umsetzung der Strategie als

Gesamtplanung verantwortlich.

Die 1960er Jahre erweisen sich als Zeit einer weitverbreiteten Begeisterung für

strategische Planung. Einen frühen Beitrag dazu lieferte der amerikanische

Wirtschaftshistoriker und Ökonom Alfred D. Chandler jr. mit seiner Studie „Strategy

and Structure“ (1962). Er fasste den Strategiebegriff folgendermaßen:

Strategy can be defined as the determination of the basic long-term goals and objectives of an enterprise, and the adoption of courses of action and the allocation of resources necessary for carrying out these goals.63

61 Vgl. Wolfgang H. Staehle: Management. Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive. 8., überarb. Aufl. München: Vahlen 1999 (= Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften), S. 573–575. 62 Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Auswahl. Hg. von Ulrich Marwedel. Stuttgart: Reclam 1980 (= Universal-Bibliothek 9961), S. 178. 63 Alfred D. Chandler jr.: Strategy and Structure. Chapters in the History of the Industrial Enterprise. Cambridge / Massachusetts: MIT Press 1962, S. 13. 51

In der Folge deklarierte Chandler in seinem Hauptwerk anhand seiner Formel „structure

follows strategy“ einen Primat der Strategie vor der Struktur. Die Organisationsstruktur

muss der Strategie entsprechen und sollte von dieser gesteuert werden – nicht

umgekehrt. Dieser Ansatz wurde in der Nachfolge zunächst kontroversiell diskutiert

und gilt heute als simplifizierend, da mittlerweile über systemische Positionen deutlich

wurde, dass Organisationen nicht monokausal zu deuten und auch nicht zu führen sind.

Die wesentlichen Arbeiten zur Strategiediskussion der 1960er Jahre steuerte der

amerikanische Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler Harry Igor Ansoff bei. Mit

seiner Studie „Management-Strategie“ (Corporate Strategy, 1965) hatte er zentralen

Anteil an der Begründung des strategischen Managements.64

Bis heute berühmt geblieben und auch immer wieder zitiert ist seine Marktfeldstrategie

(Ansoff-Matrix bzw. Ansoff Model of Strategic Planning), die eine praktische Methode

zur Fällung strategischer Entscheidungen liefern soll. Diese Matrix, die die Elemente

„Bestehende Märkte“, „Neue Märkte“, Bestehende Produkte“ und „Neue Produkte“

miteinander verbindet, eröffnet vier unterschiedliche Wachstumsstrategien:

• Marktdurchdringung (Market Penetration): Das Unternehmen wächst mit

bestehenden Produkten in seinem aktuellen Marktsegment. Hierzu muss es in

einem Verdrängungswettbewerb mit Konkurrenten seinen Marktanteil erhöhen.

• Markterschließung (Market Development): Das Unternehmen erschließt für die

bestehenden Produkte neue Marktsegmente.

• Produktentwicklung (Product Development): Das Unternehmen entwickelt neue

Produkte für die bereits bestehenden Marktsegmente, in denen es aktiv ist.

• Diversifikation (Diversification): Das Unternehmen entwickelt neue Produkte

für neue Märkte.

Ebenfalls bereits in den 1960er Jahren sind Ansätze zur Fokussierung auf eine Vision

als Herzstück unternehmerischen Agierens auszumachen. So legten der Soziologe Tom

Burns und der Psychologe George M. Stalker mit „The Management of Innovation“65

eine Untersuchung von zwanzig Firmen vor, die sie nach mechanischen und

organischen Managementsystemen (Mechanistic vs. Organic Systems of Management) 64 Harry Igor Ansoff: Management-Strategie. München: Verlag Moderne Industrie 1966.

52

unterschieden. Im Unterschied zu den mechanischen operierten die organischen

Systeme auf unsicheren Märkten mit rapide wechselnden Technologien. Sie konnten

dort dann erfolgreich agieren, wenn sie sich netzwerkartig ausdifferenzierten,

Teamarbeit forcierten, gemeinsame Wertvorstellungen und eine gemeinsame Vision

ausprägten, um sich ihren dynamischen Umwelten möglichst gut anzupassen. Da Burns

und Stalker davon überzeugt waren, dass sich die Märkte der Zukunft durch wachsende

Instabilität auszeichnen werden – der Informationsmarkt ist ein gutes Beispiel dafür –,

erwarteten sie sich eine Ausbreitung dieser organischen Systeme.

Zur wissenschaftlichen Disziplin entwickelte sich das strategische Management in den

1970er Jahren.66 Dabei konzentrierte sich der Fachbereich auf die Langfristplanung

bzw. strategische Planung und stieß rasch an seine Grenzen: Planungsprozeduren

verkommen zu bürokratischen Zielfestschreibungen, Implementierungsprobleme häufen

sich und Änderungen der Umwelten werden nicht adäquat prognostiziert.

In den 1980er Jahren gewannen vor allem die Arbeiten des Wirtschaftswissenschaftlers

Michael Porter an Bedeutung. Anfang der 1980er Jahre publizierte er mit seiner Studie

„Wettbewerbsstrategie“ (Competitive Strategy, 1980)67 eines der seither

einflussreichsten Managementbücher. Im Jahr 1985 legte Porter dann seinen zweiten

Management-Klassiker vor, das Handbuch „Wettbewerbsvorteile“ (Competitive

Advantage, 1985).68 Stellen diese Arbeiten keine besonders große Hilfe bei der

Entdeckung profitabler Strategien dar, sind sie jedoch ein wichtige Instrumente bei der

Entscheidung, ob eine bestimmte Strategie voraussichtlich zu einem nennenswerten

Gewinn führen wird oder nicht.

Strategie wird hier als „Entscheidung, wie man konkurrieren will“ gefasst, wobei drei

Strategietypen unterschieden werden: a) Kostenführerschaft als Kostenvorsprung

gegenüber Konkurrenz, b) Differenzierung als Konkurrieren auf der Basis eines

zusätzlichen Werts für die Kundinnen und Kunden (z. B. Qualität) und c) Konzentration

auf Schwerpunkte. Die Spielregeln des Wettbewerbs und damit auch die Wahl der

Strategie einer Organisation bestimmt nur die Kombination des externen und internen

65 Tom Burns / George M. Stalker: The Management of Innovation. London: Tavistock Publications 1961. 66 Vgl. Günter Müller-Stewens / Christoph Lechner: Strategisches Management. Wie strategische Initiativen zum Wandel führen. Stuttgart: Schäffer-Poeschel 2001, S. 8–11. 67 Michael Porter: Wettbewerbsstrategie. Methoden zur Analyse von Branchen und Konkurrenten. Frankfurt am Main: Campus 1983. 68 Michael Porter: Wettbewerbsvorteile. Spitzenleistungen erreichen und behaupten. Frankfurt am Main: Campus 1986. 53

Umfelds einer Branche. Porter identifiziert mit seinen berühmten Five Forces fünf

Wettbewerbskräfte, deren Kombination das Erfolgspotential einer Branche definieren:

die Verhandlungsmacht der Lieferanten, die Verhandlungsmacht der Kunden, die

Bedrohung durch neue Wettbewerber, die Bedrohung durch Substitute bzw.

Ersatzprodukte oder -leistungen und die Konkurrenz zwischen bestehenden

Wettbewerbern.

Ebenfalls in den 1980er Jahren lenkten die US-amerikanische Wirtschaftskrise und die

beginnende Hausse der japanischen Ökonomie die traditionellen Management-Schulen

auf das japanische Management, das zu dieser Zeit in den angelsächsischen und

kontinentaleuropäischen Raum importiert wurde. Der japanische Unternehmensberater

Kenichi Ohmae stellte in seinem Buch „Japanische Strategien“ (The Mind of the

Strategist, 1982) den Unterschied zwischen amerikanischem und japanischem

Management dar. Im Zentrum seines Buches steht die gegen die Planungsobsession der

1970er Jahre gerichtete These,

dass erfolgreiche Unternehmensstrategien nicht aus möglichst genauen Analysen erwachsen, sondern aus einer ganz bestimmten Geisteshaltung. […] Große Strategien, wie große Kunstwerke oder große wissenschaftliche Entdeckungen auch, erfordern eine technische Meisterschaft bei der Ausarbeitung, entspringen jedoch aus Erkenntnissen, die außerhalb der Reichweite der bewußten Analyse liegen.69

Als eine genuin US-amerikanische Antwort auf die Probleme der eigenen Wirtschaft

und der Krise zahlreicher US-Unternehmen, die als „over-managed“ und „under-led“

angesehen wurden, ist die Fokussierung auf Leadership und charismatische Führung zu

sehen, die in der europäischen Tradition bereits bei dem deutschen Soziologen Max

Weber formuliert ist. Im Rahmen seiner Herrschaftssoziologie konstatierte Weber drei

Typen legitimer Herrschaft, den rationalen, den traditionalen und den charismatischen

Typus. Die Legitimität der charismatischen Herrschaft basiert „auf der außeralltäglichen

Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person

und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen“.70

69 Kenichi Ohmae: Japanische Strategien. Hamburg: McGraw-Hill 1986, S. 2f. 70 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Tübingen: Mohr 1922, S. 124. 54

Sechzig Jahre später entwarfen die Managementtheoretiker Warren Bennis und Burt

Nanus in ihrem Bestseller „Führungskräfte“ (Leaders, 1985)71 vier Strategien des

erfolgreichen Führens, die im Zeichen eines neocharismatischen Führungsstils stehen:

• Mit einer Vision Aufmerksamkeit erzielen

• Sinn vermitteln durch Kommunikation

• Eine Position einnehmen und damit Vertrauen erwerben

• Entfaltung der Persönlichkeit durch ein positives Selbstwertgefühl

Besonders markant ist hier zu erkennen, dass neocharismatische Ansätze ihren

Schwerpunkt von der Strategie auf die Vision verlagern. Die knapp und

enthusiasmierend formulierte Vision bezieht sich auf einen zukünftigen Zustand und

soll als langfristige Zielvorgabe die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motivieren, eine

gemeinsame Identität herstellen und eine einheitliche Entwicklungsrichtung vorgeben.

Sie korreliert mit der transformationalen Führung einer charismatischen

Führungspersönlichkeit, die die Geführten zur Selbstverwirklichung in der Arbeit

stimuliert.

Der US-amerikanische Organisationstheoretiker Peter M. Senge setzte in seinem

Konzept der „Lernenden Organisation“, das auch Aspekte der Strategieentwicklung

beinhaltet, ebenfalls auf Vision. In seinem Standardwerk „Die fünfte Disziplin“ (The

Fifth Discipline, 1990), das mit seinen „Five Forces“ die fünf Komponenten einer

lernenden Organisation vorführt, nennt er – neben Personal Mastery, mentalen

Modellen, Team-Lernen und dem integrativen Systemdenken – als vierte Disziplin die

gemeinsame Vision.72 Dabei ist wichtig mitzubedenken, dass Senge die lernende

Organisation nicht als Produkt, sondern als Prozess begreift.

Der Organisationspsychologe Edgar Schein brachte ebenfalls in der Mitte der 1980er

Jahre mit seiner Arbeit „Unternehmenskultur“ (Organizational Culture and Leadership,

1985)73 einen weiteren Aspekt, der für die Strategiediskussion wichtig wurde, ins Spiel:

die Organisationskultur. Zentral ist dabei seine Erkenntnis, dass die Qualität der

71 Warren Bennis / Burt Nanus: Führungskräfte. Die vier Schlüsselstrategien erfolgreichen Führens. Frankfurt am Main, New York: Campus 1992. 72 Vgl. Peter M. Senge: Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. Stuttgart: Klett-Cotta 1996, S. 251–283. 73 Edgar Schein: Unternehmenskultur. Ein Handbuch für Führungskräfte. Frankfurt am Main, New York: Campus 1995. 55

Organisationskultur einen entscheidenden Einfluss auf den Erfolg von Unternehmen

hat. Für die Strategieentwicklung maßgeblich ist, dass die Unternehmenskultur die

Unternehmensstrategie dann unterstützt, wenn es einen über Partizipation hergestellten

Konsens in der Mission, den Zielen und den Mitteln zur Erreichung der Ziele usw. im

Unternehmen gibt. Die Partizipation ist auch deswegen zu unterstützen, um auf allen

Ebenen das Engagement und die Lernfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu

fördern.

In den 1990er Jahren war strategisches Management in der Managementlehre

weitgehend diskreditiert. Lean Management74 und Business Reeingeenering75

beanspruchten den größten Teil der Aufmerksamkeit.

Indem sie auf Strategieentwicklung setzten, versuchten die beiden

Managementtheoretiker Gary Hamel und C. K. Prahalad explizit, das teilweise für die

unternehmerische Praxis destruktive Business Reeingeenering zu überwinden. In ihrem

Management-Standardwerk „Wettlauf um die Zukunft“ (Competing for the Future,

1994)76 gehen sie von einer Situation aus, die durchaus auf die heutige Herausforderung

für Bibliotheken übertragbar ist, nämlich die Situation unstrukturierter Industrien, für

die „die Zahl der zukünftigen Kombinationsmöglichkeiten so groß [ist], daß eine

herkömmliche Szenarienplanung kaum in der Lage wäre, die ganze Bandbreite an

potentiellen Ergebnissen aufzuzeigen“.77 Nach ihrer Diagnose findet der Wettbewerb

um die Zukunft häufig in diesen unstrukturierten Arenen statt, „in denen es noch keine

Regeln für den Wettbewerb gibt“.78 Als markantes Beispiel für unstrukturierte

Industrien wird die Digitalindustrie angeführt, an der Bibliotheken mittlerweile massiv

partizipieren. Ihre Schlussfolgerung für unstrukturierte Industrien lautet:

Industrievorausblick muß auf fundierte Einsichten in die Entwicklung von Lebensgewohnheiten, Technologie, Bevölkerungsstruktur und Geopolitik beruhen, aber er hängt ebensosehr von der Vorstellungsgabe wie von Vorhersagen ab. Um die

74 Vgl. James P. Womack / Daniel T. Jones / Daniel Roos: Die zweite Revolution in der Autoindustrie. Konsequenzen aus der weltweiten Studie des Massachusetts Institute of Technology. Frankfurt am Main, New York: Campus 1992. 75 Vgl. Michael Hammer / James Champy: Business Reengineering. Die Radikalkur für das Unternehmen. Frankfurt am Main, New York: Campus 1993. 76 Gary Hamel / C. K. Prahalad: Wettlauf um die Zukunft. Wie Sie mit bahnbrechenden Strategien die Kontrolle über Ihre Branche gewinnen und die Märkte von morgen schaffen. Wien: Ueberreuter 1995 (= Manager-Magazin-Edition). 77 Ebd., S. 136. 78 Ebd., S. 71f. 56

Zukunft gestalten zu können, muß ein Unternehmen zuerst in der Lage sein, sich die Zukunft vorzustellen.79

Insofern hat das Top Management die Aufgabe, den gegenwärtigen Chancenhorizont zu

erweitern, um in der Zukunft erfolgreich zu sein. Dies kann gelingen, wenn das

Unternehmen nicht als Portfolio einzelner Geschäftseinheiten, sondern als Portfolio von

Kernkompetenzen, die anhand einer allgemeinen Beschreibung des Kundennutzens

definiert werden, begriffen wird (z. B. „Benutzerfreundlichkeit“ bei Apple,

„Taschengröße“ bei Sony). Spannend und logisch folgerichtig dabei ist die Feststellung,

dass „ein Unternehmen, das es sich zum Ziel gesetzt hat, die Zukunft als erstes zu

erreichen, […] über bloße Kundenorientiertheit hinausgehen“80 muss.

Aus dieser Grundfokussierung resultiert Hamels und Prahalads Vorbehalt gegenüber

Planung, die einen Exaktheitsgrad erfordern würde, der nicht erreicht werden kann,

wenn man über die nächsten zwei, drei Jahre hinausblickt. Planung, die stets an den

gegenwärtigen Bedingungen ausgerichtet ist, führt folglich zu Anpassung und

Unbeweglichkeit. Um langfristig Kundennutzen zu sichern, ist es notwendig,

Kernkompetenzen statt strategische Geschäftseinheiten sowie Funktionen versus

Produkte wahrzunehmen, unverstellt naiv wie ein Kind zu denken, neugierig zu sein, im

Sinn eines Eklektizismus alles durch eine Vielzahl von Objektiven zu betrachten und

gelegentlich dem zu misstrauen, was man zu sehen vermeint. Es ist nötig,

eine Vorstellung davon zu haben, welche neuen Vorteile oder „Funktionen“ den Kunden im Lauf der nächsten zehn Jahre angeboten werden sollen, welche neuen Kernkompetenzen erforderlich sein werden, um diesen Kundennutzen zu schaffen, und welche Veränderung die Kundenschnittstelle erfahren muß, um den Kunden den Zugang zu den neuen Vorteilen zu erleichtern.81

Für Hamel und Prahalad wird deswegen die strategische Architektur zum

unternehmerischen Erfolgsfaktor, die festlegt, „‚was wir heute tun müssen’, um die

Zukunft vorwegzunehmen. Eine strategische Architektur ist das wesentliche Bindeglied

zwischen Heute und Morgen, zwischen kurzfristigem und langfristigem Zeithorizont“.82

Als Zentrum der strategischen Architektur wird die strategische Intention gedacht, die

für die Reise in die Zukunft die emotionale und intellektuelle Energie mobilisiert. „Die 79 Ebd., S. 137. 80 Ebd., S. 162. 81 Ebd., S. 172.

57

strategische Intention muß ein Ziel vermitteln, das den Respekt und die Gefolgschaft

jedes einzelnen Mitarbeiters verdient“.83 Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter muss

diese zu personalisierende Intention verstehen, sie teilen und zu ihrer Verwirklichung

beitragen. – Bei der Strategieentwicklung der UB Wien fungiert die Vision als

strategische Intention.

Ebenfalls spannend ist Hamels und Prahalads Aufforderung an das Top Management,

„einen Anspruch zu erheben, der per definitionem eine Kluft zwischen Ambition und

Ressourcen erzeugt“.84 Denn mittelfristige Herausforderungen verlangen mehr von der

Organisation, als sie derzeit für möglich hält, und perfekte Harmonie garantiert

Atrophie und Stagnation. Deshalb hat der Strategieprozess von einer bewusst

herbeigeführten mangelnden Harmonie zwischen der gegenwärtigen und der

angestrebten Position der Organisation ausgehen.

Anregend für den bibliothekarischen Bereich kann auch Hamels und Prahalads

Bestehen auf einer Perspektive auf Kernkompetenzen sein, die einer ausgeprägten

Diversifikation des Produkt- und Serviceportfolios entgegen gehalten wird.

Kernkompetenzen werden als die dauerhaftesten und komplexesten Bausteine für die

Strategiekonstruktion angesehen und sind damit die Wurzeln der Wettbewerbsfähigkeit.

– Für Bibliotheken ließe sich hier eine Diskussion darüber anschließen, ob die

einfachen Suchstrategien von Google übernommen werden sollen oder ob die

eigenspezifische differenzierte Suchmöglichkeit in ihren einheitlich strukturierten Daten

forciert werden sollte.

Für Hamel und Prahalad stellt Strategie die Möglichkeit dar, die Mitarbeiterinnen und

Mitarbeiter eines Unternehmens, die durch Empowerment aktiviert wurden, auf eine

gemeinsame Linie zu bringen. Erst damit wird – immer in Koalition mit der

Möglichkeit zu eigenverantwortlichem Handeln – das Kollektiv einer Organisation in

die Richtung des Erfolgs bewegt. Zudem kann strategisches Denken die Planung der

kleinen Schritte transzendieren, die in einer Welt tiefgreifender Veränderungen nicht

hilfreich ist.

Diesen Faktor der Ungewissheit über die Entwicklung der Zukunft hat besonders

prominent der Wirtschafts- und Sozialphilosoph Charles Handy in die Diskussion

82 Ebd., S. 176. 83 Ebd., S. 210. 84 Ebd., S. 228. 58

gebracht. In seiner Studie „The Age of Unreason“ (1989)85 wird Zukunft als

diskontinuierlicher Wandel gedacht. Im neu eingetretenen Zeitalter der Unvernunft

bestätigt sich als einzige Voraussage, dass sich eben keine bestätigen wird. Strategische

Planung wird insofern immer unzuverlässiger. Für Organisationen stellt sich als

besondere Herausforderung die Anpassung an sich laufend verändernde Umwelten,

wobei Handy den Begriff der Veränderung als Synonym für Lernen auffasst und daher

jedes Veränderungsmodell auch als Lernmodell denkt:

Those who are always learning are those who can ride the waves of change and who see a changing world as full of opportunities rather than of damages. They are the ones most likely to be the survivors in a time of discontinuity […]. If you want to be in control of your change, take learning more seriously.86

Der Management-Experte Jim Collins zeigte in seinem Bestseller „Der Weg zu den

Besten“ (Good to Great, 2001) deutliche Distanz zur Strategieentwicklung. Priorität hat

zuallererst die Rekrutierung von exzellentem Personal für die Organisation:

Die entscheidende Erkenntnis ist: „Wer“-Fragen kommen vor „Was“-Entscheidungen – vor Visionen, vor Strategien, vor einer Organisationsstruktur, vor Taktik. Erst „Wer“, dann „Was“ – als rigorose Regel.87

Zudem stellte er auf der Basis seiner breiten empirischen Untersuchung fest, dass

Strategie keinen Unterschied zwischen besonders erfolgreichen (Take-off-

Unternehmen) und weniger erfolgreichen Unternehmen ausmacht,88 bekennt sich

allerdings zu einer Perspektive auf Kernkompetenzen mit einem Unternehmensportfolio

kleinstmöglicher Streuung.89 – Hier ist für Bibliotheken zu konstatieren, dass sie als

Einrichtungen des öffentlichen Dienstes oder als den Ministerien oder öffentlichen

Körperschaften nachgeordnete Einrichtungen nur eingeschränkte Möglichkeiten der

Personalpolitik haben und deswegen auf andere Managementmaßnahmen setzten

müssen, z. B. auf Strategieentwicklung. Interessant ist, dass Collins diese Situation 85 Charles Handy: The Age of Unreason. Boston / Massachusetts: Harvard Business School 1989; vgl. zum selben Thema auch Handys Essaysammlung „Ohne Gewähr“ (Beyond Certainty, 1995): Charles Handy: Ohne Gewähr. Abschied von der Sicherheit – Mit dem Risiko leben lernen. Wiesbaden: Gabler 1996. 86 Ebd., S. 55f. 87 Jim Collins: Der Weg zu den Besten. Die sieben Management-Prinzipien für dauerhaften Unternehmenserfolg. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2003 (= dtv 34039), S. 88. 88 Vgl. ebd., S. 153.

59

eingeschränkter Personalpolitik am Beispiel akademischer Institutionen mitbedenkt, an

seinem Prinzip festhält und die Entwicklung hier langfristig ansetzt.90

Spannender für die strukturell technikorientierten und -affinen Bibliotheken kann die

von Collins behauptete Technologiefalle sein: „Technologisch induzierter Wandel ist

nichts Neues. Die entscheidende Frage heißt nicht: ‚Welche Rolle spielt die Technik’?,

sondern: ‚Wie gehen Take-off-Unternehmen mit Technik um?’“.91 – Hier werden

Bibliotheken vor die Aufgabe gestellt, technologische Innovation nicht bloß wegen

ihrer Emergenz und Verfügbarkeit einzusetzen, sondern auf ihre Unterstützung für ihren

Geschäftserfolg zu prüfen und dies zum Implementierungskriterium zu machen.

In der Tradition eines Managements by Values scheinen bei Collins die

Wertorientierung die Rolle von Strategieentwicklung einzunehmen:

Dauerhafte Spitzenunternehmen bewahren ihre zentralen Werte und Zielsetzungen, während sie ihre Unternehmensstrategien und -praktiken ununterbrochen an die sich verändernden Verhältnisse anpassen. Das ist die magische Kombination aus „Bewahre den Kern und fördere die Weiterentwicklung“.92

Für eine organisationale Strategieentwicklung ist hier allerdings einzuräumen, dass

gerade sie Werte in einer Organisation sichtbar und allgemein machen kann.

Entscheidend ist hier der Prozess der Strategieentwicklung, der lanciert wird. In einem

partizipatorisch angelegten Verfahren können positive Unternehmenswerte tief in der

Belegschaft verankert werden.

Dieser Diskreditierung unternehmerischer Strategie, die bei Jim Collins exemplarisch

nachgelesen werden kann, wurde neuerdings mit ihrer Rehabilitierung begegnet. So

betonte etwa jüngst die Betriebswirtschaftlerin Cynthia A. Montgomery, dass Strategie

zu einer Wettbewerbstaktik verengt wurde und damit vom übergeordneten Zweck des

Unternehmens abgelöst wurde. Dabei ist in Vergessenheit geraten, dass Strategie eine

dynamische Orientierungshilfe für die langfristige Organisationsentwicklung sein sollte.

Folglich hat der Unternehmenszweck im Zentrum der Strategie zu stehen, die in einem

infiniten Prozess zu entwickeln ist, der vom Geschäftsführer selbst geleitet wird.

89 Vgl. ebd., S. 181. 90 Vgl. ebd., S. 274f. 91 Ebd., S. 189. 92 Ebd., S. 247. 60

Das Puzzle namens Strategie lässt sich nicht auf einmal zusammenfügen. Was den Strategen von allen anderen Personen im Unternehmen unterscheidet, ist seine Aufgabe, immer wieder neue Gründe für den Fortbestand des Unternehmens zu finden. Zum einen muss er die Wertschöpfung im Auge behalten, zum andern Veränderungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens, die entweder dessen Position bedrohen oder neue Möglichkeiten zur Wertschöpfung bergen. Diesen unendlichen Prozess zu begleiten, inmitten des Schlachtengetümmels dem Handeln im Unternehmen Richtung und Sinn zu geben, ist die krönende Aufgabe des CEOs.93

Abschließend soll strategisches Management noch aus der Sicht des

Managementtheoretikers Henry Mintzberg rekonstruiert werden, und dies vor allem

deswegen, weil sein holistischer Ansatz die Basis der Strategieentwicklung an der UB

Wien bildet. Nach seiner grundlegenden Arbeit „Die strategische Planung“ (The Rise

and Fall of Strategic Planning, 1994)94 fasste Mintzberg gemeinsam mit seinen

Kollegen Bruce Ahlstrand und Joseph Lampel seine Überlegungen in dem auch für die

Management-Praxis sehr anregenden und spannenden Buch „Strategy Safari – Eine

Reise durch die Wildnis des strategischen Managements“ (Strategy Safari, 1999)

zusammen.95

Mintzberg geht in seiner Strategielehre von einer Rekonstruktion der verschiedenen

Denkschulen strategischen Managements aus und differenziert dabei zehn Ansätze:

1. Designschule

Strategieentwicklung als konzeptioneller Prozess: Die Strategie wird aus einer

Anpassung der internen Fähigkeiten der Organisation an die externen

Möglichkeiten formuliert.

2. Planungsschule

Strategieentwicklung als formaler Prozess: Die Strategie wird auf der Basis

eines faktenorientierten Planungsprozesses festgelegt.

3. Positionierungsschule

Strategieentwicklung als analytischer Prozess: Die strategische Positionierung

einer Organisation erfolgt auf der Basis der Analyse des Geschäftskontextes.

93 Cynthia A. Montgomery: Die Rückkehr der strategischen Führung. In: Harvard Business Manager 30 (Mai 2008), S. 10–18, hier S. 18. 94 Henry Mintzberg: Die strategische Planung. Aufstieg, Niedergang und Neubestimmung. München: Hanser 1995. 95 Henry Mintzberg / Bruce Ahlstrand / Joseph Lampel: Strategy Safari. Eine Reise durch die Wildnis des strategischen Managements. Wien: Ueberreuter 1999. 61

4. Unternehmerschule

Strategieentwicklung als visionärer Prozess: Der visionäre Prozess wird von

einer charismatischen Führungspersönlichkeit entwickelt.

5. Kognitive Schule

Strategieentwicklung als mentaler Prozess: Mit Hilfe der kognitiven Psychologie

wird die Strategieentwicklung als Prozess der Informationsverarbeitung

analysiert.

6. Lernschule

Strategieentwicklung als sich herausbildender Prozess: Da die Welt als zu

komplex wahrgenommen wird, als dass Strategien geschlossen und kohärent

entwickelt werden können, erfolgt strategische Positionierung in kleinen

Schritten während eines organisationalen Lernprozesses.

7. Machtschule

Strategieentwicklung als Verhandlungsprozess: Die Strategie wird als ein

Prozess der Vermittlung zwischen Machtinhabern innerhalb der Organisation

und / oder zwischen der Organisation und ihren externen Stakeholdern

entwickelt.

8. Kulturschule

Strategieentwicklung als kollektiver Prozess: Die Strategie wird in einem

kooperativen Prozess entwickelt und ist eine Reflexion der Organisationskultur.

9. Umweltschule

Strategieentwicklung als reaktiver Prozess: Die Strategie ist eine Antwort auf

die Herausforderungen, die durch externe Umwelten auferlegt werden.

10. Konfigurationsschule

Strategieentwicklung als Transformationsprozess: Alle anderen neun Schulen

werden als relevant erachtet, wobei jede Schule ihre Zeit und

Anwendungssituation hat. Die Strategieformulierung ist ein Prozess des

Umwandelns der Organisation von einer Art Entscheidungsstruktur in eine

andere. Die Konfigurationsschule ist die von Mintzberg selbst vertretene

Position.

Mintzberg selbst greift die pointierteste Kritik an seiner Konfigurationsschule auf, die

von dem Organisationstheoretiker Lex Donaldson stammt und Mintzberg vorwirft, über

62

keinen kohärenten Theoriezugang zu verfügen.96 Doch gerade der synkretistische

Ansatz der Konfigurationsschule macht diese Position für das praktizierende

Management so attraktiv und unmittelbar in der Organisationsrealität einsetzbar.

Deswegen bildete Mintzbergs Ansatz auch die Basis für die Strategieentwicklung an der

UB Wien.

3.2. Strategieentwicklung für und von Bibliotheken

Angesichts der sich aktuell massiv ändernden medienhistorischen und

wissensökonomischen Bedingungen werden in der Bibliothekswelt zunehmend

Anstrengungen unternommen, Zukunft planerisch und strategisch zu gestalten. Dabei

werden alternative kurz-, mittel- und langfristige Szenarien des Informationsmarkts

erarbeitet, um die Institution Bibliothek mit ihren spezifischen Kompetenzen und ihrem

Innovationspotential entsprechend positionieren zu können. Besonders berücksichtigt

werden hierbei die Rolle der neu auf den Markt drängenden Informationsdienstleister

(vor allem Google) und des veränderten Informationsverhaltens der zukünftigen

Bibliotheksbenützerinnen und -benützer (vor allem Digital Natives).

Um die Anforderungen, die an Information und damit an Informationsdienstleister

gestellt werden, abzuleiten und die Zukunftsressourcen der Gedächtnisinstitution

Bibliothek einzuschätzen, kann vor allem auf folgende Quellen und Instrumente

zurückgegriffen werden:97

• Nationale und internationale Strategiepapiere (z. B. Bibliothek 2007)

• Visionen, Leitbilder, Strategien und Mission Statements einzelner Bibliotheken

• Nationale und internationale Good-Practice-Modelle

• Innovative Einzelprojekte (z. B. Innovationsmanagement an der Bibliothek der

ETH Zürich)

96 Vgl. ebd., S. 386–390. 97 Vgl. Hans-Christoph Hobohm: Bibliothek(swissenschaft) 2.0. Neue Auflage oder Wende in Forschung und Lehre? Vortrag auf dem 2. gemeinsamen Bibliothekstag Berlin/Brandenburg am 29. September 2007 in Frankfurt / Oder. In: LIBREAS – Library Ideas 3/4 (2007), S. 1–14; http://www.ib.hu-berlin.de/~libreas/libreas_neu/ausgabe10/003hob.htm; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 63

• Bibliotheksneubauten, die eine langfristige Entwicklungsplanung voraussetzen

bzw. statuieren (z. B. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und

Universitätsbibliothek Dresden)

• Systematische Beobachtung und Analyse des Informationsmarkts

• Untersuchungen zum Informationsverhalten der primären Nutzergruppe

• Benützerbefragungen (z. B. Conjoint-Analyse der Universitätsbibliothek

Bielefeld)

• Trendforschung, Zukunftskonferenzen, Expertenbefragungen, Delphi-Studien

und Szenariotechniken

• Literaturstudien

In der Folge sollen einige dieser Hilfsmittel für die Strategieentwicklung exemplarisch

vorgestellt werden.

3.2.1. Allgemeine bibliothekarische Zukunfts- und Strategieentwürfe

Bibliothek 2007

Als Flagschiff-Projekte für den deutschsprachigen Raum können die Studien

„Bibliothek 2007“ und „Bibliothek 2012“ gelten.

Die Studie „Bibliothek 2007“, die von der Bertelsmann Stiftung und der

Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände e. V. verantwortet wird, setzt als

Grundkonsens voraus, dass Bibliotheken „als gesellschaftlich wertvolle Institutionen,

deren Funktionen nicht substituiert werden können“98, weiterbestehen. Diese Prämisse

mag für den bibliothekarischen Berufsstand in seiner Legitimationskrise

identitätsvergewissernd wirken, bedingt aber notwendig eine hochselektive

Realitätswahrnehmung. Auf der Basis einer Expertenbefragung, einer Ist-Analyse der

derzeitigen Situation der Bibliotheken in Deutschland und einer internationalen Good-

Practice-Recherche zu vorbildlichen nationalen Entwicklungen im Bibliotheksbereich

wurde im Jahr 2004 ein nationales Strategiepapier vorgelegt,99 das aufzeigen soll, wie

die Bibliotheken in Zukunft zu einer optimalen Infrastruktur für Bildung und Kultur 98 http://www.bibliothek2007.de/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.

64

beitragen können. Aufgrund des Befunds, dass in Deutschland eine strategische

Verankerung der Bibliotheken als Teil der Bildungs- und Wissenschaftsinfrastruktur

fehle, wurde die Einrichtung einer nationalen Bibliotheksentwicklungsagentur zur

länderübergreifenden Koordination und Unterstützung der Bibliotheken gefordert. Mit

dem Kompetenznetzwerk für Bibliotheken (KNB) wurde 2004 eine vergleichbare

Organisation gegründet.

Für die Entwicklung der einzelnen Bibliotheken werden fünf Handlungsmaximen

formuliert:

• Im Zentrum aller Innovation steht der Kunde der Bibliothek. • Die lokale, regionale, nationale und internationale Zusammenarbeit zwischen

Bibliotheken ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. • Zur Finanzierung innovativer Projekte müssen Bibliotheken alle Möglichkeiten

ausschöpfen (z. B. Einwerbung von Drittmitteln). • Innovative Veränderungen dürfen vor den eigenen Organisationsstrukturen nicht

Halt machen. • Personaleinsatz und -entwicklung in Bibliotheken müssen auf den Erkenntnissen

moderner und leistungsorientierter Betriebsführung beruhen.100

Bibliothek 2012

Das 2007 gestartete Projekt „Bibliothek 2012“ setzte die Arbeiten von „Bibliothek

2007“ fort und legte 2009 die Publikation „21 gute Gründe für gute Bibliotheken“

vor.101 Das Papier richtet sich nicht in erster Linie an die Fachöffentlichkeit, sondern

insbesondere an die Unterhaltsträger von Bibliotheken, an Politikerinnen und Politiker

und an Verwaltungsangehörige. Wohl aus diesem Grund ist es zu einer Werbebroschüre

für Bibliotheken geworden, das für eine innerbibliothekarische Diskussion wertlos

bleibt.

99 Bibliothek 2007. Strategiekonzept. Hg. von der Bertelsmann Stiftung und der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände e. V. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung 2004. 100 Ebd., S. 23. 101 21 gute Gründe für gute Bibliotheken. Hg. von der BID – Bibliothek & Information Deutschland. Berlin: Bibliothek & Information Deutschland 2009; http://www.bideutschland.de/download/file/21%20GUTE%20GRUENDE_endg_16-1-09.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 65

Bibliotheken 2040

Das Projekt „Bibliotheken 2040“ wurde im Jahr 2000 von der Niederländischen

Vereinigung Öffentlicher Bibliotheken initiiert und wirft die Frage nach der Zukunft der

öffentlichen Bibliotheken auf. Die vorgelegte Publikation102 dokumentiert die Idee,

Bibliotheken für die Zukunft zu entwerfen. Es werden sieben experimentelle und

phantasievolle Zukunftsideen von Bibliotheken vorgestellt, die ganz bewusst die

Grenzen des Wahrscheinlichen und Möglichen sprengen. Sie entstanden in Kooperation

von Bibliothek, Design, Architektur, Kunst und Bibliotheksbenützung. Da die

Zukunftswerkstatt „Bibliotheken 2040“ auf öffentliche Bibliotheken ausgerichtet ist, ist

es für wissenschaftliche Bibliotheken wie Universitätsbibliotheken schwierig, die

Ergebnisse in ihren Bereich zu importieren.

Taiga Forum

Eine Gruppe amerikanischer Bibliotheksdirektorinnen und -direktoren nahm sich im

März 2006 der Erforschung der eigenen Zukunft an und kam zu dem provozierend-

pessimistischen Schluss, dass für Hochschulbibliotheken die nächste Zukunft eher einer

Verödung gleich kommt: Sie nannten sich deshalb „Taiga Forum“, tatsächlich in

Assoziation zur bekannten unwirtlichen Klimazone der Nordhalbkugel. Ihre zentrale

These in ihren „Fifteen Provocative Statements“103 lautet: In fünf Jahren wird die

Bibliothek nicht mehr sein, was sie war („traditional library organizational structures

will no longer be functional“), vor allem weil die physisch vorhandenen Einrichtungen

und Objekte bis hin zum Personal stark ausgedünnt werden und Google die Rolle der

wissenschaftlichen Informationsvermittlung übernommen hat („all information

discovery will begin at Google“).

Auf dieses erste Treffen folgten bislang drei weitere Zusammenkünfte, wobei im

Rahmen des letzten Workshops im Jänner 2009 die „Statements“ zu den „Taiga 4

Provocative Statements“104 aktualisiert wurden. Dieser Update der Thesen radikalisiert

die ursprüngliche Ausrichtung zu einer Auflösung der Bibliotheken, die physisch mit

den Universitäten verschmelzen („library buildings will no longer house collections and 102 Bibliotheken 2040. Die Zukunft neu entwerfen. Bad Honnef: Bock + Herchen 2001. 103 Taiga Forum: Fifteen Provocative Statements. 2006; http://www.taigaforum.org/documents/ProvocativeStatements.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 104 Taiga Forum: Taiga 4 Provocative Statements. 2009;

66

will become campus community centers that function as part of the student services

sector“). Die hoch professionalisierte bibliothekarische Kompetenz wird nicht mehr als

adäquat erachtet, Bibliotheken als Informationsdienstleister erfolgreich zu prozessieren:

„University administrators will see that librarians do not have the skills they need and

will hire leaders from other parts of the academy, leading both to a realignment of the

library within the university and to the decline of the library profession“.

Horizon Reports

Das New Media Consortium (NMC) beschäftigt sich als internationales Non-Profit-

Konsortium, dem Hunderte von Universitäten, Colleges, Museen, Forschungszentren

und Think Tanks weltweit angehören, mit dem Einsatz neuer Medien und neuer

Technologien in lernfokussierten Organisationen. Mit seinen Horizon Reports gibt es

seit dem Start des Horizon Projekts (http://www.nmc.org/horizon) im Jahr 2003 hoch

angesehene Berichte über Technologieentwicklungen im Bildungssektor heraus. Jedes

Jahr fasst ein Advisory Board die Ergebnisse der Expertengespräche und von

Literaturstudien in einem Report zusammen.

Die Einschätzungen von Horizon 2007 treffen sich ziemlich genau mit den Prognosen

des Taiga Forums. Vom Jahr 2007 an gerechnet werden als Key Trends für

Universitätslehre und -studium und damit auch für Bibliotheken sechs Bereiche als

relevant identifiziert:105

• Kurzfristig:

o User Generated Content

o Social Networking

• Kurz- bis mittelfristig:

o Mobile Phones

o Virtual Worlds

• Mittelfristig: http://www.taigaforum.org/documents/Taiga%204%20Statements%20After.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.

67

o The New Scholarship and Emerging Forms of Publication

o Massively Multiplayer Educational Gaming

Horizon 2008 entwirft folgendes Bild:106

• Kurzfristig:

o Grassroots Video

o Collaboration Webs

• Kurz- bis mittelfristig:

o Mobile Broadband

o Data Mashups

• Mittelfristig:

o Collective Intelligence

o Social Operating Systems

Horizon 2009 benennt folgende Aspekte als wichtig:107

• Kurzfristig:

o Mobiles

o Cloud Computing

• Kurz- bis mittelfristig:

o Geo-Everything

o The Personal Web

• Mittelfristig:

o Semantic-Aware Applications

o Smart Objects

105 The Horizon Report. Hg. von The New Media Consortium und Educause Learning Initiative. Stanford / California: The New Media Consortium 2007. http://www.nmc.org/pdf/2007_Horizon_Report.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 106 The Horizon Report. Hg. von The New Media Consortium und Educause Learning Initiative. Stanford / California: The New Media Consortium 2008. http://www.nmc.org/pdf/2008-Horizon-Report.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 107 The Horizon Report. Hg. von The New Media Consortium und Educause Learning Initiative. Stanford / California: The New Media Consortium 2009. http://www.nmc.org/pdf/2009-Horizon-Report.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 68

Horizon 2010 erkennt folgende Trends:108

• Kurzfristig:

o Mobile Computing

o Open Content

• Kurz- bis mittelfristig:

o Electronic Books

o Simple Augmented Reality

• Mittelfristig:

o Gesture Based Computing

o Visual Data Analysis

Hype Cycle for Emerging Technologies

Interessant zur Einschätzung neuer bzw. zukünftiger Informations- und

Kommunikationstechnologie ist auch der „Hype Cycle for Emerging Technologies“ der

Firma Gartner Consulting (http://www.gartner.com/). Dieser jährlich publizierte

Technologieradar zeigt die jeweilige Marktreife neuer Entwicklungen.

Studien des OCLC (Online Computer Library Center)

OCLC, das Online Computer Library Center in Dublin / Ohio, griff die Frage nach der

Zukunft von Bibliotheken schon 2003 in der von der angloamerikanischen

Bibliothekswelt viel beachteten Studie „Environmental Scan 2003“ auf,109 mit der

OCLC eine ganze Reihe von Trendstudien zur Unterstützung der Neudefinition ihrer

Mitgliedsbibliotheken eröffnete. In der Folge erschienen folgende Berichte:

„Information Format Trends: Content, Not Containers” (2004), „Perceptions of

Libraries and Information Resources” (2005), „College Students’ Perceptions of

Libraries and Information Resources” (2006), „Sharing, Privacy and Trust in Our

Networked World” (2007), „From Awareness to Funding: A Study of Library Support

in America” (2008), „Online Catalogs: What Users and Librarians Want” (2009) und

„How Libraries Stack Up: 2010” (2010).

108 The Horizon Report. Hg. von The New Media Consortium und Educause Learning Initiative. Stanford / California: The New Media Consortium 2010. http://www.nmc.org/pdf/2010-Horizon-Report.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 109 The 2003 OCLC Environmental Scan: Pattern Recognition. Hg. von Alane Wilson. Dublin / Ohio: OCLC Online Computer Library Center 2004; http://www.oclc.org/reports/escan/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 69

Untersuchungen zum Informationsverhalten der Benützerinnen und Benützer

Das Informationsverhalten der Benützerinnen und Benützer gerät zunehmend in den

Blick der Bibliotheken. Nicht mehr die eigenen Standards, Regeln und Normen

scheinen primär handlungsleitend, sondern der Bedarf und die Interessen der primären

Nutzergruppe. Aus diesem Grund werden verstärkt Befragungen der primären

Nutzergruppe durchgeführt, die Aufschlüsse über die Aufbereitung der Informationen,

die die jeweilige Bibliothek vorhält, geben sollen. Entsprechende Studien wurden im

Rahmen der Aktivitäten des Horizon-Projekts, von OCLC usw. durchgeführt.

Conjoint-Analyse der Universitätsbibliothek Bielefeld

An der UB Bielefeld wurde in einem Projekt, das die Bibliothek gemeinsam mit der

Universität Bielefeld durchgeführt hat, die Conjoint-Analyse zur Ermittlung zukünftiger

Serviceangebote auf das Bibliothekswesen übertragen. Die Conjoint-Analyse ist ein

allgemein anerkanntes Instrument der Marketingforschung und ermöglicht eine

systematische Erfassung und Analyse von Kundenpräferenzen. Die Fragestellung lautet

dabei nicht, wie bei Befragungen zur Leistungsmessung allgemein üblich: „Wie werden

die derzeitigen Serviceleistungen beurteilt?“ Die Conjoint-Analyse zielt vielmehr

ausdrücklich auf die zukünftige Gestaltung von Dienstleistungen und setzt mit der

Ermittlung von Kundenpräferenzen für eine vorgegebene Auswahl von realisierbaren

alternativen Dienstleistungsoptionen methodisch anders an. Die Fragestellung der

Conjoint-Analyse lautet daher: „Welche Dienstleistungsoptionen bringen den

Kundinnen und Kunden zukünftig den größten Nutzen?“ – „Welche umsetzbaren

Optionen sollen das zukünftige Serviceangebot bilden?“

Ziel des Projekts war daher, durch die Anwendung der Conjoint-Analyse als Instrument

der Marketingforschung einen umfassenden Analyse- und Simulationsrahmen für

wissenschaftliche Bibliotheken zu entwickeln, der auf Basis von Präferenzmessungen

eine empirisch und wissenschaftlich fundierte Strategieplanung für die gezielte

Weiterentwicklung des Dienstleistungsspektrums ermöglicht. Dieser allgemeine

Analyse- und Simulationsrahmen wurde aus einer empirischen Untersuchung am

Beispiel der UB Bielefeld extrahiert und anschließend über eine zweite Untersuchung

am Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum der Universität Cottbus

überprüft und validiert. Mit Abschluss des Projekts wurde dieser Analyse- und

70

Simulationsrahmen über einen Leitfaden zur allgemeinen Nachnutzung anderen

Bibliotheken zur Verfügung gestellt.110

Literaturstudien

Mittlerweile liegen zahlreiche Publikationen vor, die sich mit der strategischen

Ausrichtung und der Zukunft von Bibliotheken befassen. Die wichtigsten Arbeiten

werden in der Thesis an anderen Stellen erwähnt und ausgewertet, so dass sie hier nicht

gesondert aufgeführt werden müssen. Die schlaglichtartige Auseinandersetzung mit

zwei Positionen – einer deutschsprachigen und einer aus dem US-amerikanischen

Bereich – mag einen exemplarischen Einblick in die Ausrichtung und Bandbreite dieser

Arbeiten geben, da beide Ansätze extrem divergieren und die Pole der Diskussion

markieren.

Im Jahr 2005 legte der deutsche Bibliothekar Jürgen Seefeldt seinen Aufsatz

„Zukunftsvisionen: Die Bibliotheken von morgen“ vor.111 Ausgang nehmend von der

Diagnose eines radikalen Wandels am Informationsmarkt, vermutet er, dass die

Bibliothek langfristig nicht mehr die Hauptlieferantin von Informationen aller Art für

Bildung und Wissenschaft sein wird, sondern nur noch eine unter mehreren

Informationslieferanten. Dabei scheint eine große Rolle zu spielen, dass es den

Bibliotheksverantwortlichen nicht gelungen ist, im politischen Diskurs gegenüber den

politischen Entscheidungsträgern die Rolle der Bibliotheken klar zu akzentuieren. Es

fehlt an nationaler Koordinierung, Steuerung und entsprechender Etatzuweisung.

Die Zukunft der Bibliothek verortet Seefeldt ganz stark im Kontext des Schlagworts

„Local Access, Global Information“. Bibliotheken haben die Digitalisierung der

Medien, den Medientransport, die Auskunftstätigkeit und die Strukturierung des

Wissens voranzutreiben. Gleichzeitig sollen sie Lernorte sein und damit

Multimediazentren ausprägen. Bibliothek ist folglich ein Zusammenspiel realer und

virtueller Räume. Als ein Hauptcharakteristikum der Bibliothek der Zukunft kann die

„Just-in-Time-Bibliothek“ gelten, die auf Abruf alle momentan notwendigen

Informationen zugänglich macht. Damit unterscheidet sie sich von der traditionellen

„Just-in-Case-Bibliothek“, die auf die Lagerung von Information für eine potentielle

Nutzung beschränkt ist. Im Rekurs auf einen Aufsatz von Elmar Mittler, damals 110 Vgl. http://www.prosebica.de/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010.

71

Direktor der UB Göttingen, aktualisiert Seefeldt, was die Benützerinnen und Benützer

in der Bibliothek der Zukunft bekommen:

1. alles, was man braucht; 2. alles, wie man es braucht; 3. alles, wann man es braucht; 4. alles, wohin man es braucht; 5. mehr, als man weiß; 6. alle veröffentlichten Informationen im freien Zugriff.112

Robert Darnton, Historiker an der Harvard University, wo er auch die

Universitätsbibliothek leitet, publizierte im Jahr 2009 seinen Beitrag „Die Bibliothek im

Informationszeitalter. 6.000 Jahre Schrift“.113 Der Beitrag geht davon aus, dass

Information explosionsartig wächst, sich Informationstechnologie rasch ändert und

Bibliotheken grundsätzlich vor der Herausforderung stehen, sich in diesen neuen

Gegebenheiten zu orientieren.

Im historischen Rückblick erscheint das Tempo der Veränderungen atemberaubend:

4.300 Jahre von der Schrift zum Kodex, 1.150 Jahre vom Kodex zu den beweglichen

Lettern, 524 Jahre von den beweglichen Lettern zum Internet, 19 Jahre vom Internet zu

den Suchmaschinen und sieben Jahre von den Suchmaschinen zu Google. Dennoch geht

Darnton in seinem Beitrag von Stabilität bzw. Longue durée aus und schlägt als

Grundgedanken vor: Jedes Zeitalter war auf seine Art ein Informationszeitalter, und

Information war immer instabil. Heute leben wir in einer Welt, die eine Vielzahl von

Information vorhält, zugänglich macht und auch der Bewertung entzieht. Information

wird dabei zu einer (Un-)Menge multipler, veränderbarer Texte, die unterschiedlich

interpretiert werden kann.

Darnton begreift die Bibliothek emphatisch als Zitadelle des Wissens, weil einzig sie in

der Lage sein wird, Information langfristig zu speichern. Das historische Buch kann in

seiner physischen Präsenz für die Forschung nicht als Digitalisat ersetzt werden und

111 Jürgen Seefeldt: Zukunftsvisionen: Die Bibliotheken von morgen. In: B.I.T 8 (2005), S. 11–18; http://www.b-i-t-online.de/archiv/2005-01/fach1.htm; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 112 Elmar Mittler: Die Bibliothek der Zukunft. Überlegungen aus Anlaß der Planungen zu einem Informations- und Kommunikationszentrum in Adlershof (Berlin). In: Bibliothek 20 (1996), S. 259–261, hier S. 259; http://www.bibliothek-saur.de/1996_2/259-261.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 113 Robert Darnton: Die Bibliothek im Informationszeitalter. 6.000 Jahre Schrift. In: Telepolis, 17. Dezember 2009; http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31742/1.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 72

benötigt seine gesicherte Aufbewahrung. Darnton schließt mit einem Plädoyer für die

alte Bibliothek:

Als Zitadelle des Lernens und als Plattform für Internet-Abenteuer verdient es die wissenschaftliche Bibliothek immer noch, der Mittelpunkt der Universität zu sein, der die Vergangenheit erhält und Energie für die Zukunft sammelt.

3.2.2. Konkrete bibliothekarische Strategieentwicklung

An einzelnen Bibliotheken finden mitunter explizite und theoriegeleitete

Strategieentwicklungen statt. Diese individuellen Aktivitäten, die häufig nicht über

Publikationen vermittelt werden, können für die eigene Strategieentwicklung die Rolle

von Good-Practice-Beispielen bzw. Benchmarks übernehmen. Zwei aktuelle Beispiele

sollen kurz vorgestellt werden, die Universitätsbibliothek der Technischen Universität

München und die Bibliothek der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich.

Universitätsbibliothek der Technischen Universität München

Die UB der TU München hat aufgrund mehrfacher Evaluierungen ein Reformkonzept

erarbeitet, das die Literaturversorgung der Universität grundlegend verändert hat.114 Die

Neustrukturierung betraf sowohl interne Geschäftsabläufe als auch die Positionierung

der UB gegenüber ihren Kundinnen und Kunden.

1996 wurde das zweischichtige Bibliothekssystem intern evaluiert, wobei in der Folge

die geplanten Umsetzungsmaßnahmen in Richtung Einschichtigkeit aufgrund innerer

Widerstände blockiert wurden. 1998 wurde mit einer externen Evaluierung ein zweiter

Anlauf genommen, wobei die Ergebnisse der früheren Untersuchung großteils bestätigt

wurden. Der externen Beratung wurde eine höhere Bedeutung zugemessen, so dass ab

1999 mit den Reformen begonnen werden konnte.

Der Umstrukturierungsprozess dabei war insofern partizipatorisch angelegt, als alle

geplanten Veränderungsmaßnahmen organisationsweit vorgestellt und diskutiert

wurden. Als erster Schritt wurde flächendeckend in allen Abteilungen Teamarbeit

eingeführt, nicht ohne dass flankierend zu den Korrekturen an der Aufbauorganisation

73

extern begleitete Teamfindungsmaßnahmen gesetzt wurden und besonderes Augenmerk

auf die Entwicklung der internen Kommunikation gelegt wurde. Als zweiter, äußerst

komplexer Schritt wurde die Neuordnung des Bibliothekssystems angegangen, das heißt

aus bibliothekarischer Sicht die Integration der zahlreichen Instituts- und

Lehrstuhlbibliotheken in die Universitätsbibliothek, ein bekanntermaßen heikles

Unterfangen, weil hier auch Etathoheit zu verhandeln ist. Im Zuge dessen wurde eine

neue Bibliotheksordnung vorbereitet, und Benützerbefragungen wurden durchgeführt,

um die Literaturversorgung bedarfsgerecht weiterentwickeln zu können. Für die

zukünftige Bibliotheksentwicklung wurde festgelegt, Benützerbefragungen als feste

Einrichtung der bibliothekarischen Arbeit zu etablieren. Organisationsintern wurde an

der Kommunikationskultur gearbeitet, ein Leitbild erstellt, ein hausinternes

Fortbildungsangebot etabliert und Führungskultur über Führungskräfte-Workshops

vermittelt. Hierarchien wurden verflacht und Arbeitsgruppen zur Ausarbeitung von

Geschäftsgängen für alte und neue Dienstleistungen gebildet. Reiner Kallenborn, der

Direktor der UB der TU München fasst in seinem Aufsatz „Aspekte der

Organisationsentwicklung am Beispiel der Universitätsbibliothek der Technischen

Universität München“ zusammen und hebt dabei auf die veränderte Organisationskultur

ab:

Durch die hier dargestellten Ansätze ist kein neuer Zustand entstanden, sondern eine Kultur des Wandels, die von den Mitarbeiter(inn)en der Universitätsbibliothek gemeinsam getragen wird und durch die Einbindung aller Interessierten eine deutlichere Wahrnehmung von Fortschritten und Erfolgen der eigenen Arbeit ermöglicht. Es ist wohl allen Beteiligten klar geworden, dass in der heutigen Zeit Transparenz, Kooperation und Effizienz keinen Luxus darstellen, sondern dass es kontinuierlicher Anstrengungen bedarf, um nach innen größere Arbeitsgerechtigkeit, nach außen noch bessere Dienstleistungen zu ermöglichen.115

Aus all diesen Aktivitäten entstanden der Bibliotheksentwicklungsplan 2004–2008116

und der Library Strategic Plan 2006–2010,117 die die Ziele der Bibliothek jeweils

mittelfristig zusammenstellen.

114 Vgl. Reiner Kallenborn: Aspekte der Organisationsentwicklung am Beispiel der Universitätsbibliothek der Technischen Universität München. In: Bibliothek 28 (2004), S. 318–326; http://www.bibliothek-saur.de/2004_3/318-326.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 115 Ebd., S. 325f. 116 http://www.ub.tum.de/bibliothek/profil/bibliotheksentwicklungsplan.html; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 74

Als weiterer und systematischer Ausbau des Reformkonzepts wurde an der UB der TU

München Qualitätsmanagement implementiert, wobei die Bibliothek im April 2007 als

erste deutsche Universitätsbibliothek nach DIN EN ISO 9001:2000 zertifiziert

wurde.118 Der ausgeprägt partizipatorische Ansatz am Weg dorthin wird etwa über die

Beschreibung der Leitbildfindung deutlich:

Im Sommer 2004 wurde das Leitbild der Universitätsbibliothek erarbeitet. Etwa zwei Drittel aller Mitarbeiter nahmen an einem ganztägigen Workshop teil, in dem Grundsätze der eigenen Arbeit und des Erscheinungsbildes der Bibliothek diskutiert wurden. In teilweise kontroversen Auseinandersetzungen wurden das Selbstverständnis der Bibliothek sowie die Reformprozesse der vorangegangenen Jahre diskutiert und Schwerpunkte für die künftigen Jahre erörtert. Das Leitbild wurde im Internet sowie in der Mitarbeiterzeitung publiziert.119

Bibliothek der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich

Die Bibliothek der ETH Zürich hat einen Organisationsentwicklungsprozess lanciert,

der sich durch eine ausgeprägte Top-Down-Lenkung auszeichnet. In seinem Vortrag

„Warum Veränderung und warum jetzt? Ein Beispiel aus der Schweiz“ aus dem Jahr

2003 erläutert Wolfram Neubauer, der Direktor der ETH-Bibliothek, den

Reformprozess, den seine Bibliothek durchlaufen hat und durchläuft.120 Ausgehend von

der Beobachtung, dass sich die Umwelten der Bibliotheken in den letzten Jahren stark

verändert haben (technologische Neuerungen, Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb,

Kostendruck auf Bibliotheken, Konkurrenzdruck), Bibliotheken allerdings äußerst stabil

bzw. nur reaktiv geblieben sind, wurde an der ETH-Bibliothek ein Change Management

Prozess eingeleitet. Orientiert hat sich dieser Prozess an dem dreistufigen

Veränderungsmodell des Psychologen Kurt Lewin (Unfreeze / Auftauen – Move /

Bewegen – Refreeze / Einfrieren). In der ersten Phase wird die Veränderung vorbereitet,

117 http://www.ub.tum.de/bibliothek/profil/Library_Strategic_Plan_2010.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 118 Vgl. Caroline Becker / Caroline Leiß: Qualitätsmanagement in Universitätsbibliotheken. Als erste deutsche Universitätsbibliothek wurde die Bibliothek der TU München im April 2007 von TÜV SÜD nach DIN EN ISO 9001:2000 zertifiziert. In: Bibliotheksforum Bayern 3 (2009), S. 172–177; http://www.bsb-muenchen.de/fileadmin/imageswww/pdf-dateien/bibliotheksforum/2009-3/BFB_0309_06_Becker-Leiss_V04.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 119 Ebd., S. 174. 120 Vgl. Wolfram Neubauer: Warum Veränderung und warum jetzt? Ein Beispiel aus der Schweiz [Tagungsvortrag „Die lernende Bibliothek“ an der Universität Bozen, 2003]; http://www.unibz.it/it/library/about/events/Documents/Biblioteca_apprende/relazioni_presentazioni_GER/2003-09_learninglibrary_neubauer-folien.ppt; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 75

in der zweiten durchgeführt und in der dritten wird der veränderte Zustand

stabilisiert.121

In der ersten Etappe des Veränderungsprozesses (Unfreeze) an der ETH-Bibliothek

wurden folgende Maßnahmen gesetzt:

• Durchführung einer Umfrage zur Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und

Mitarbeiter

• Konstitution einer Gruppe „pro Veränderung“

• Formalisierung des Austauschs zwischen der Erwerbungsabteilung und den

beiden Katalogisierungsabteilungen (Formal- und Sacherschließung)

• Einsatz einer Arbeitsgruppe mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der drei

Abteilungen Erwerbung, Formalkatalogisierung und Sachkatalogisierung

• Besuch von anderen Bibliotheken, die die angepeilte Organisationsstruktur

bereits umgesetzt haben

• Durchführung einer Plenarveranstaltung zur Präsentation der Vision

Im zweiten Abschnitt des Change Managements (Move) standen folgende Aktivitäten

auf dem Plan:

• Einsatz einer abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppe, die mit neuen Abläufen

experimentierte

• Einführung einfacherer Katalogisierungsregeln

• Installation einer „Kummertante“

• Sicherstellung des Trainings für neue Aufgaben

• Entwicklung interner Marketingmaßnahmen, um die Mitarbeiterinnen und

Mitarbeiter kontinuierlich zu informieren

In der dritten Episode (Refreeze) wurde wie folgt agiert:

• Einsatz von drei definitiven Gruppen mit Teamleadern

121 Vgl. Kurt Lewin: Frontiers of Group Dynamics. In: Human Relations 1 (1947), S. 5–41. 76

• Räumliche Zusammenlegung der Gruppenmitglieder

• Belohnung des ersten Teams

• Dokumentation der neuen Prozesse in einem Handbuch

• Bekanntmachung der Entwicklung in der Universität

• Einladung zu einem Empfang zum Abschluss der Entwicklung

Darüber hinausgehend wurde damit in der Bibliothek ein kontinuierlicher

Veränderungsprozess installiert, der von der Skizzierung des Ist-Zustands ausgeht,

Messgrößen bestimmt, den Prozess reflektiert, die Performance misst und daraus

wiederum Verbesserungen identifiziert und implementiert.

Einen aktuellen Einblick in die Fortschritte dieses Prozesses gibt der Leiter der an der

ETH-Bibliothek im Verlauf der Organisationsreform neu gegründeten Abteilung für

Innovation und Marketing Rudolf Mumenthaler.122

122 Vgl. Rudolf Mumenthaler: Innovations- und Produktmanagement an einer Hochschulbibliothek am Beispiel der ETH-Bibliothek [Tagungsvortrag am 4. Leipziger Kongress für Bibliothek und Information 2010]; http://www.opus-bayern.de/bib-info/volltexte/2010/856/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 77

4. Strategieentwicklung der Universitätsbibliothek Wien

4.1. Voraussetzungen und Vorbereitung

Der Wechsel der Leitung und der stellvertretenden Leitung der DLE Bibliotheks- und

Archivwesen in den Jahren 2004/05 hat erstmals managementorientierte

Persönlichkeiten an die Spitze der Organisation gebracht, die den bürokratischen Ansatz

ihrer Vorgängergenerationen nicht fortsetzten. Rasch war der Plan gefasst, einen

Strategieentwicklungsprozess der gesamten DLE Bibliotheks- und Archivwesen in

Gang zu setzen. Bevor dieser jedoch konkret gestartet wurde, wurde geprüft, welche

dafür notwendigen Vorarbeiten noch zu erledigen sind. Diese Evaluation erfolgte im

Bewusstsein eines historischen Verständnisses von Organisationen, die bestimmte

Phasen bzw. Stadien durchlaufen.123 Als wichtig wurde erachtet, zu klären, in welcher

Entwicklungsphase sich die eigene Organisation befindet, um davon ausgehend gezielt

Maßnahmen zur weiteren Entwicklung zu setzen. Folgende Maßnahmen der

Organisationsentwicklung wurden von 2005 bis 2008 realisiert, um den

Strategieentwicklungsprozess optimal in der Dienstleistungseinrichtung umsetzen zu

können:

4.1.1. Aufbauorganisation

Klare Definition und transparente interne und externe Kommunikation der

Organisationsstruktur

In einem ersten Schritt wurden sämtliche Organigramme der DLE Bibliotheks- und

Archivwesen aktualisiert. Dies erfolgte in einer Kombination von Top-Down- und

Bottom-Up-Verfahren.124 Um zu gewährleisten, dass die Organigramme die

Organisationsrealität abbilden, wurden sie in den einzelnen Abteilungen von den

123 Vgl. z. B. Larry E. Greiner: Evolution and Revolution as Organizations Grow. In: Harvard Business Review 50 (1972), H. 4, S. 37–46; Larry E. Greiner: Commentary and Revision of HBR Classic, „Evolution and Revolution as Organizations Grow”. In: Harvard Business Review 76 (1998), H. 3, S. 55–68. 124 Vgl. Christine Hohnschopp: Die Katze in der Bibliothek. Eine systemische Studie zu Aufbauten und Abläufen. In: Wissensnester – Wissenshöhlen. Über die Gegenwart und über die Zukunft. Hg. von Andreas Ernst Lieben. Düsseldorf: Pegasus 2005, S. 19–60. 78

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diskutiert. Allfällige Änderungsvorschläge wurden

an die Direktion weitergegeben. Diese Vorgehensweise sorgte auch für die allgemeine

Verbreitung und Bekanntheit der Organigramme, die zudem im Intranet und teilweise

auf der Website (http://bibliothek.univie.ac.at/wir_ueber_uns.html) veröffentlicht

wurden. Zudem wurde die informelle Organisation (Arbeitsgruppen, Projekte) ebenfalls

dokumentiert und im Intranet abgebildet.

Ausprägung einer Matrixorganisation

Im Zuge der Aktualisierung der Organigramme wurde die Organisationsstruktur sowohl

punktuell geändert, wo einzelne Verbesserungen notwendig erschienen, als auch

systematisch hin zu einer Matrixorganisation entwickelt, um die Funktionalität der

Aufbauorganisation zu stärken. Dabei wurden traditionell von der Hauptbibliothek

übernommene Aufgaben (z. B. Öffentlichkeitsarbeit, Redaktion der Sacherschließung)

zu Zentralen Services ausgelagert, die als Stabsstellen direkt der Direktion unterstellt

sind und aus einem Selbstverständnis als interne Dienstleister serviceorientiert

fungieren.

Integration der neuen Handlungsfelder in die Organisationsstruktur

Die veränderte Position von Bibliotheken am Informationsmarkt hat auch für die UB

Wien neue Handlungsfelder eröffnet, die als Abteilungen bzw. Teams in die

Aufbauorganisation eingegliedert wurden (Research Activities Documentation RAD,

Digital Asset Management System PHAIDRA, Bibliometrie, Open Access,

Sammlungen an der Universität Wien).

Am Weg zur funktionalen Einschichtigkeit

Zudem wurde konsequent an der Umsetzung des Konzepts der funktionalen

Einschichtigkeit weitergearbeitet. Von 2005 bis 2009 wurden folgende

Institutsbibliotheken in Fachbereichsbibliotheken integriert oder transformiert und

damit vollständig von der UB Wien übernommen: Astronomie, Meteorologie,

Musikwissenschaft, Numismatik, Orientalistik und Sonder- und Heilpädagogik.

79

4.1.2. Ablauforganisation und Geschäftsprozessmanagement

Um die Ablauforganisation zu optimieren und möglichst effizient und effektiv zu

gestalten, wurde Geschäftsprozessmanagement implementiert. Dabei wurden in einem

ersten Schritt die Kerngeschäftsprozesse dokumentiert und im Sinn des

Prozessmanagements bearbeitet. In einem weiteren Schritt werden auch die

Supportprozesse dokumentiert und optimiert.

Um das Geschäftsprozessmanagement an der UB Wien mit einem Beispiel zu

veranschaulichen, wird im folgenden Exkurs der Prozess „Personenbezogene

Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ dargestellt.

Exkurs 2: Geschäftsprozess: Personenbezogene Änderungen bei bestehender

Entlehnberechtigung

Status/Version IST / Version 0.3

Geltungsdauer von: unbekannt bis: laufend

Prozess-Verantwortung

DLE Bibliotheks- und Archivwesen

Inhalt 1. Allgemeines

2. Prozess-Darstellung

3. Prozess-Beschreibung

Phase 1: Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung

Arbeitsschritt 1: Bekannt geben der Änderung

Arbeitsschritt 2: Aktualisieren der Daten und Ermitteln des Benutzerstatus

Arbeitsschritt 3: Entrichten des Benutzungsgebühr und / oder der Kaution

Arbeitsschritt 4: Prüfen ob neuer Bibliotheksausweis erforderlich

Arbeitsschritt 5: Erstellen eines neuen Bibliotheksausweises

4. Interaktion mit anderen Prozessen

5. Prozess-Kennzahlen

6. Kritische Erfolgsfaktoren

80

1. Allgemeines

Verfügt eine Person über eine Entlehnberechtigung für Medieneinheiten aus den Beständen der bibliothekarischen Einrichtungen der Universität Wien und ändern sich persönliche Daten dieser Person, sind diese Änderungen unverzüglich der Universitätsbibliothek bekannt zu geben. Diese Änderungen führen zu einer Aktualisierung der personenbezogenen Daten bzw. können zur Ausstellung eines neuen Benutzerausweises / eines Benutzeretiketts führen.

Was ist das Prozessziel? Das Ziel des Prozesses ist die Berücksichtigung von Änderungen zu bestehenden Entlehnberechtigungen.

Wer trägt die Prozessverantwortung?

DLE Bibliotheks- und Archivwesen

Wer ist für die Abwicklung zuständig?

DLE Bibliotheks- und Archivwesen

Wie gestaltet sich der Prozessablauf?

• Die Person ändert ihre E-Mailadresse oder Telefonnummer online („Mein Konto“) selbst bzw.

• gibt eine Adressänderung, Namensänderung oder die Ergänzung eines akademischen Grades oder Titels der Bibliothek bekannt.

• Kommt es aufgrund der Änderung der persönlichen Daten zu einer Änderung des Benutzerstatus (z. B. Studierender wird Mitarbeiter), werden die Daten aktualisiert und gegebenenfalls ein neuer Benutzerausweis / ein Benutzeretikett ausgestellt.

Welche Voraussetzungen sind zu erfüllen?

Bestehende Entlehnberechtigung

Welche Unterlagen sind beizubringen?

• Meldenachweis

• Studierendenausweis bzw. amtlicher Lichtbildausweis, Schülerausweis

• Mitgliedsausweis des Alumniverbandes

• Antrag auf Ausstellung / Änderung eines Bibliotheksausweises deutsch bzw. englisch bzw.

• Antrag auf Erteilung eines Diplomand/innen- bzw. Dissertant/innen-Status für Studierende der Universität Wien

• Urkunde bei Namensänderung (Heiratsurkunde, Scheidungsurkunde)

• Bescheid über die Verleihung eines akademischen Grades oder eines anderen Titels

Wer kann den Prozess auslösen?

• Personen, die über eine Entlehnberechtigung verfügen

Welche Fristen sind für den Prozessauslöser zu beachten?

Keine

81

Wie lange ist die Bearbeitungsdauer?

1 Arbeitstag (die Änderung wird sofort durchgeführt bzw. der Ausweis sofort ausgestellt, die Bearbeitung dauert etwa 5 Minuten)

Welche Rahmenbe-dingungen / rechtliche Grundlagen gibt es?

• „Benützungsordnung für Bibliotheken“ veröffentlicht im Mitteilungsblatt der Universität Wien, Studienjahr 2007/2008, 46. Stück, ausgegeben am 30.09.2008, Nr. 390

• Richtlinien für die Vergabe des Benutzerstatus

Welche Schnittstellen gibt es?

Input für den Prozess

o Vom Antragsteller: Änderungsmeldung und Vorlage erforderlicher Dokumente

o Aus dem Prozess „Erteilen einer neuen Entlehnberechtigung“: Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus

Output aus dem Prozess

o In den Prozess „Entlehnung“: Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus, Bibliotheksausweis / Benutzeretikett

o In den Prozess „Beenden einer Entlehnberechtigung“: Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus

o In den Prozess „Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“: Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus

o In den Prozess „Bezahlen von Gebühren“: Benutzergebühr / Kaution

Erklärung der im Prozess verwendeten Abkürzungen:

Aleph Ist hier keine Abkürzung, sondern erster Buchstabe des hebräischen Alphabets und Eigenname des Bibliothekssystems der israelischen Firma Ex Libris

Was bedeuten die verwendeten Abkürzungen?

DLE Dienstleistungseinrichtung

82

2. Prozess-Darstellung Input Prozessablauf Output

Phas

e 1

83

3. Prozess-Beschreibung

Rollen im Prozess:

Benutzer – Referent

Phase 1: Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung

Verfügt eine Person über eine Entlehnberechtigung und es ändern sich persönliche Daten dieser Person, sind diese Änderungen unverzüglich der Hauptbibliothek oder einer für die Ausstellung von Bibliotheksausweisen ausgerüsteten Fachbereichsbibliothek bekannt zu geben. Diese Bekanntgabe kann bei der Änderung der Telefonnummer oder E-Mailadresse online oder persönlich erfolgen.

Die Bekanntgabe von Änderungen, die die Ausstellung eines neuen Benutzerausweises / eines Benutzeretiketts nach sich ziehen, erfolgt persönlich in der Hauptbibliothek oder in einer für die Ausstellung von Bibliotheksausweisen ausgerüsteten Fachbereichsbibliothek mittels Vorlage der entsprechenden Unterlagen.

Verantwortlich: DLE Bibliotheks- und Archivwesen

Durchgeführt: DLE Bibliotheks- und Archivwesen

Dauer: Die Datenänderung erfolgt sofort bzw. der Ausweis wird sofort ausgestellt, die Bearbeitung dauert etwa 5 Minuten

Arbeitsschritt 1: Bekanntgeben der Änderung

Eine Person, die über eine Entlehnberechtigung verfügt, gibt eine Änderung ihrer personenbezogenen Daten bekannt. Dies kann online erfolgen (im Fall der Änderung der E-Mailadresse oder der Telefonnummer) oder persönlich (im Fall der Änderung der Adresse, der E-Mailadresse oder der Telefonnummer, einer Namensänderung, des akademischen Grades oder des Benutzerstatus) mit den entsprechenden Unterlagen am Ausweisschalter in der Entlehnung der Hauptbibliothek oder in einer für die Ausstellung von Bibliotheksausweisen ausgerüsteten Fachbereichsbibliothek.

Input: • Meldenachweis

• Studentenausweis bzw. amtlicher Lichtbildausweis

• Antrag auf Ausstellung / Änderung eines Bibliotheksausweises deutsch bzw. englisch bzw.

• Antrag auf Ausstellung eines Bibliotheksausweises für eine Lehrveranstaltung bzw. ein Projekt bzw.

• Antrag auf Erteilung eines Diplomand/innen- bzw. Dissertant/innen-Status für Studierende der Universität Wien

• Urkunde bei Namensänderung (Heiratsurkunde, Scheidungsurkunde)

• Bescheid über die Verleihung eines akademischen Grades oder eines anderen Titels

• Richtlinien für die Vergabe des Benutzerstatus

Output: • Änderungsmeldung und Vorlage erforderlicher Dokumente

84

Verantwortlich: DLE Bibliotheks- und Archivwesen

Durchgeführt: Universitätsbibliothek / Referent

Ergebnis: Bekannt gegebene Änderung und Vorlage erforderlicher Dokumente

Arbeitsschritt 2: Aktualisieren der Daten und Ermitteln des Benutzerstatus

Arbeitsschritt 2: Aktualisieren der Daten und Ermitteln des Benutzerstatus

Der Referent ändert gegebenenfalls in Aleph folgende Daten des Benutzers

• Name

• Titel

• Matrikelnummer (wenn der Antragsteller Studierender, Diplomand oder Dissertant der Universität Wien ist)

• Staatsbürgerschaft

• Benutzerstatus

• Adresse(n)

• Akademischer Grad

Aufgrund der entsprechenden Unterlagen ändert der Referent die Daten des Benutzers. Bei folgenden personenbezogenen Änderungen kommt es zu einer Änderung des Benutzerstatus und / oder zur Ausstellung eines neuen Benutzerausweises:

• Studierender der Universität Wien wird (Nicht-)EU-Bürger oder Mitarbeiter oder Alumnimitglied oder Mitarbeiter einer Institution oder Studierender einer anderen Bildungseinrichtung

• Änderung des Vornamens und / oder Zunamens

• Ergänzung des akademischen Grades (neuer Bibliotheksausweis, wenn nicht genug Platz am Bibliotheksausweis vorhanden ist, um den Titel einfach zu ergänzen)

Bei folgenden Statuswechseln muss kein neuer Benutzerausweis / Benutzeretikett ausgestellt werden:

• Studierender der Universität Wien wird Diplomand / Dissertant

• Mitarbeiter der Universität Wien wird EU-Bürger

• Ergänzung des akademischen Grades (wenn genug Platz am Bibliotheksausweis vorhanden ist, wird der Titel ergänzt)

• Schüler, EU-Bürger, Gastbenutzer, Angehöriger einer bestimmten österreichischen Institution, Alumnimitglied wird Studierender oder Mitarbeiter der Universität Wien (neuer Bibliotheksausweis nur wenn notwendig)

Entweder fällt eine Benutzungsgebühr oder / und Kaution an oder nicht.

Input: • Änderungsmeldung und Vorlage erforderlicher Dokumente

• Daten des Benutzers und die Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus (aus 85

dem Prozess „Erteilen einer neuen Entlehnberechtigung“)

Output: • Aktualisierte Daten

• Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus (in den Prozess „Entlehnung“, in den Prozess „Beenden einer bestehenden Entlehnberechtigung“ und in den Prozess „Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“)

Verantwortlich: DLE Bibliotheks- und Archivwesen

Durchgeführt: Universitätsbibliothek / Referent

Möglichkeit 1: Benutzungsgebühr / Kaution fällt an

Möglichkeit 2: Benutzungsgebühr / Kaution fällt nicht an

Arbeitsschritt 3: Entrichten der Benutzungsgebühr und / oder der Kaution

Arbeitsschritt 4: Prüfen ob neuer Bibliotheksausweis erforderlich

Arbeitsschritt 3: Entrichten des Benutzungsgebühr und / oder der Kaution

Je nach Benutzerstatus hat der Antragsteller eine Benützungsgebühr und eine Kaution (Nicht EU-Bürger mit Wohnsitz in Österreich) zu entrichten. Ist eine Kaution zu entrichten, füllt der Referent ein Kautionseinzahlungsformular als Bestätigung der Einzahlung dreifach aus. Diese werden vom Antragsteller und vom Referenten unterschrieben. Ein Exemplar erhält der Antragsteller, ein Exemplar verbleibt in der Entlehnung und ein Exemplar wird an die Bibliotheksdirektion übermittelt.

Input: • Aktualisierte Daten

• Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus

• Benutzungsgebühr / Kaution

Output: • Aktualisierte Daten

• Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus

• Entrichtete Benutzungsgebühr / Kaution (in den Prozess Bezahlung von Gebühren)

Verantwortlich: DLE Bibliotheks- und Archivwesen

Durchgeführt: Universitätsbibliothek / Referent

Ergebnis: entrichtete Benutzungsgebühr / Kaution

Arbeitsschritt 4: Prüfen ob neuer Bibliotheksausweis erforderlich

Arbeitsschritt 4: Prüfen ob neuer Bibliotheksausweis erforderlich

Der Referent prüft, ob ein neuer Bibliotheksausweis erstellt werden muss. Dies ist der Fall, wenn:

86

• ein Studierender der Universität Wien EU-Bürger oder Mitarbeiter oder Alumnimitglied oder Mitarbeiter einer Institution oder Studierender einer anderen Bildungseinrichtung wird,

• eine Änderung des Vornamens und / oder Zunamens vorliegt oder eine

• Ergänzung des akademischen Grades (neuer Benutzerausweis, wenn nicht genug Platz am

Bibliotheksausweis vorhanden ist, um den Titel zu ergänzen) erfolgt.

Input: • Aktualisierte Daten

• Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus

Output: • Aktualisierte Daten

• Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus

Verantwortlich: DLE Bibliotheks- und Archivwesen

Durchgeführt: Universitätsbibliothek / Referent

Möglichkeit 1: neuer Bibliotheksausweis Möglichkeit 2: keine neuer Bibliotheksausweis

Arbeitsschritt 5: Erstellen eines neuen Bibliotheksausweises

Arbeitsschritt 5: Erstellen eines neuen Bibliotheksausweises

Ist aufgrund der bekannt gegebenen Änderung die Ausstellung eines neuen Bibliotheksausweises

notwendig, erfolgt die Ausstellung durch den Referenten.

Input: • Aktualisierte Daten

• Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus

Output: • Bibliotheksausweis (an den Antragsteller übergeben, in den Prozess „Entlehnung“)

Verantwortlich: DLE Bibliotheks- und Archivwesen

Durchgeführt: Universitätsbibliothek / Referent

Ergebnis: geänderte Entlehnberechtigung und erstellter Benutzerausweis

87

4. Interaktion mit anderen Prozessen

7.Benutzungsgebühr / Kaution

Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung

1. Änderungsmeldung und Vorlage

erforderlicher Dokumente

Bezahlen von Gebühren

Beenden einer Entlehnberechtigung

Entlehnung

8.Bibliotheksausweis

Personenbezogene Änderungen bei

bestehender Entlehnberechtigung

5.geänderte Entlehnberechtigung je nach

Benutzerstatus

6.geänderte Entlehnberechtigung je nach

Benutzerstatus (bei weiteren Änderungen)

3.Bibliotheksausweis

4.geänderte Entlehnberechtigung je nach

Benutzerstatus

2. Daten des Benutzers und

Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus Erstellen einer neuen

Entlehnberechtigung

Input

1. Änderungsmeldung und Vorlage erforderlicher Dokumente:

Die Änderungsmeldung und Vorlagen erforderlicher Dokumente vom Antragsteller gehen in den Prozess „Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ ein.

2. Daten des Benutzers und Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus:

Die Daten des Benutzers und die Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus aus dem Prozess „Erstellen einer neuen Entlehnberechtigung“ gehen in den Prozess „Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ ein.

Output

3. Bibliotheksausweis: Der Bibliotheksausweis aus dem Prozess „Erteilen einer neuen Entlehnberechtigung“ geht in den Prozess „Entlehnung“ ein.

4. Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus:

Die Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus aus dem Prozess „Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ geht in den Prozess Entlehnung ein.

88

5. Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus:

Die geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus aus dem Prozess „Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ geht in den Prozess „Beenden einer Entlehnberechtigung“ ein.

6. Geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus:

Die geänderte Entlehnberechtigung je nach Benutzerstatus aus dem Prozess „Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ geht bei einer weiteren Änderung wieder in den Prozess „Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ ein.

7. Benutzergebühr / Kaution:

Die Benutzergebühr / Kaution aus dem Prozess „Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ geht in den Prozess „Bezahlen von Gebühren“ ein.

8. Bibliotheksausweis: Der Bibliotheksausweis aus dem Prozess „Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung“ wird an den Antragsteller ausgehändigt.

89

5. Prozess-Kennzahlen

Die Prozess-Kennzahlen beschreiben die Wirksamkeit bzw. Entwicklung eines Prozesses im zeitlichen Verlauf bezogen auf das Prozessziel:

Prozessname: Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung

Bezug zum Prozessziel:

Kennzahl:

Sollwert:

Messmethode:

Messfrequenz:

Verantwortlich:

Beispiel für das weitere Erfassen einer Kennzahl:

Mess-Frequenz Istwert Sollwert

1 8 5

2 10 5

3 5 5

4 4 5

5 7 5

Kennzahlen-Entwicklung

8

10

5

7

4

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

1 2 3 4 5Messfrequenz

Mes

swer

te

SollwertIstwert

90

6. Kritische Erfolgsfaktoren

Prozessname: Personenbezogene Änderungen bei bestehender Entlehnberechtigung

Problemstellung: Derzeit ist nur der Antrag auf Ausstellung / Änderung eines Bibliotheksausweises auf Englisch verfügbar.

Lösungsvorschlag: Wir schlagen vor, auch eine englische Version für

• Antrag auf Ausstellung eines Bibliotheksausweises für eine Lehrveranstaltung bzw. ein Projekt

• Antrag auf Erteilung eines Diplomand/innen- bzw. Dissertant/innen-Status für Studierende der Universität Wien

• Zustimmungs- und Haftungserklärung des/der Erziehungsberechtigten für Personen unter 18 Jahren

• Abholberechtigung

zur Verfügung zu stellen.

4.1.3. Organisationskultur

Nach der weit verbreiteten Definition des Organisationspsychologen Edgar Schein ist

Organisationskultur

„ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben wird“.125

Das Top Management der UB Wien beschäftigt sich mit der Organisationskultur auf

allen drei von Edgar Schein beschriebenen Ebenen: den Artefakten, den bekundeten

Werten und den Grundprämissen.

Artefakte

Artefakte bestehen an der Oberfläche und meinen alle Phänomene, die man sieht, hört

und fühlt (z. B. Leitbild, Logo, Architektur, Stil der Kleidung und Sprechweise,

Kommunikation, verwendete Technologie, Rituale). Um die Corporate Identity zu

125 Edgar Schein: Unternehmenskultur. Ein Handbuch für Führungskräfte. Frankfurt am Main, New York: Campus 1995, S. 25. 91

stärken und die Zugehörigkeit zur Universität Wien zu unterstreichen, wurden an der

UB Wien verschiedene Maßnahmen durchgeführt. So wurde etwa damit begonnen, das

Corporate Design der Universität Wien konsequent umzusetzen. Angesichts von mehr

als vierzig bibliothekarischen Standorten in der Stadt Wien und der nur eingeschränkt

zur Verfügung stehenden Ressourcen ist dieser Prozess, der vor allem auf die

Adaptierung der Leitsysteme abzielt, zeitlich als mittelfristiges Unterfangen

einzuschätzen. Unterstützt wird die UB Wien dabei von der DLE Öffentlichkeitsarbeit

und Veranstaltungsmanagement der Universität Wien. Im Bereich Corporate

Communication wurden etwa einheitliche Telefoniestandards implementiert, um die

Kommunikation nach innen und außen effizienter und effektiver zu gestalten.

Bekundete Werte

Die bekundeten Werte bestimmen das Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

und meinen das Gefühl, wie die Dinge sein sollen (z. B. Ehrlichkeit, Freundlichkeit,

Flexibilität, spielerisch, konservativ, erfahren). Hier wurde im Sinn eines Managements

by Values stark auf die Vorbildwirkung der Führungskräfte gesetzt, die vom Top

Management der Bibliothek ausging und mit gezieltem Führungskräftetraining in der

gesamten Organisation verbreitet wurde. Diese gemeinsame Wertgrundlage, die als

gelebtes Wertsystem zu etablieren ist, basiert auf dem Selbstverständnis der Bibliothek

als Partnerin von Forschung, Lehre und Studium. Damit werden

Dienstleistungscharakter und Serviceorientierung ins Zentrum der Aufmerksamkeit

gestellt. Der Wertschätzung nach außen – den Kundinnen und Kunden gegenüber –

korreliert eine Wertschätzung nach innen – den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

gegenüber. Im Rahmen einer Vereinbarungskultur, dem als Instrument etwa das

Jahresgespräch zur Verfügung steht, werden an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Entscheidungskompetenzen delegiert, um den Rahmen motivierter Arbeit zu schaffen.

Grundprämissen

Die Grundprämissen legen die hauptsächlichen Ziele der Organisation fest und sind

betriebsweit bekannt, akzeptiert und unterstützt. Als fundamentale Grundprämisse, aus

der alle Handlungsaktivitäten der Bibliothek abgeleitet werden können, gilt, dass die

UB Wien die zentrale Informationseinrichtung der Universität Wien ist und alle

Universitätsangehörigen in Forschung, Lehre und Studium bestmöglich unterstützt. Die

92

Durchsetzung dieser Grundprämisse ist angesichts des historischen Fundaments der

Universitätsbibliotheken in Österreich insofern nicht selbstverständlich, als sie bis zur

Umsetzung des Universitätsorganisationsgesetzes 1993 im Jahr 2000 nicht dem

Rektorat der jeweiligen Universität, sondern dem Wissenschaftsministerium zugeordnet

und unterstellt waren. Zudem resultiert aus der Überregulierung bibliothekarischer

Arbeit – Standards, Regelwerke, Normen – tendenziell eine spezifische Eigendynamik

des bibliothekarischen Handelns, die sich traditionell weniger an den Bedürfnissen und

Interessen der jeweiligen primären Zielgruppe ausrichtet, sondern mehr am hoch

professionellen und spezialisierten bibliothekarischen Apparat. Wobei hier auch daran

erinnert werden soll, dass das Bibliothekswesen bereits frühzeitig die Orientierung auf

die Benützerinnen und Benützer erkannt und auch programmatisch formuliert hat. So

beziehen sich die ersten vier der berühmten „Fünf Gesetze der Bibliothekswissenschaft“

des indischen Mathematikers und Bibliothekars Shiyali Ramamrita Ranganathan aus

dem Jahr 1931 ausschließlich auf Kundenorientierung, erst das fünfte Gesetz ist auf die

Bibliothek als Organisation gerichtet: 1) Books are for use. 2) Every book its reader. 3)

Every reader his book. 4) Save the time of the reader. 5) A library is a growing

organism.126

Um die Orientierung auf die Benützerinnen und Benützer in der UB Wien

innerorganisatorisch zu intensivieren, wurden regelmäßige Benützerbefragungen

flächendeckend eingeführt. Jedes Semester werden etwa fünf Befragungen in den

Fachbereichsbibliotheken durchgeführt, alle fünf Jahre eine Befragung der

Hauptbibliothek. Zudem werden spezielle Zielgruppen gesondert befragt. So wurden

bisher die Studierenden in der Studieneingangsphase und im PhD-Studium untersucht.

Mit 1. Oktober 2008 trat nach intensiver Diskussion die neue Benützungs- und

Gebührenordnung in Kraft, die wesentlich weniger Restriktionen als die

Vorgängerversion beinhaltet und die Bibliothek als dienstleistungsorientierte

Gebrauchsbibliothek positioniert.

126 Vgl. Shiyali Ramamrita Ranganathan: The Five Laws of Library Science. London: Goldstone; Madras: Madras Library Association 1931 (= Madras Library Association Publication Series 2); http://www.cro.sanita.fvg.it/reposCRO/Biblioteca/5_leggi_ranganathan.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 93

4.1.4. Personalentwicklung

Aus dem postheroisch-partizipatorisch angelegten Führungsstil127 des Managements der

UB Wien folgert eine konsequente Personalentwicklung, die stark auf Empowerment

der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzt. Mitgestaltung soll ermöglicht werden durch

konsequente Delegation der Entscheidungs- und Umsetzungskompetenz an die

Personen, die über entsprechendes Sach- und Organisationswissen verfügen. In Gestalt

von Arbeitsgruppen, Projekten und Teams wurde ergebnis- und ressourcenorientierte

Arbeit implementiert.

Konsequentes Fort- und Weiterbildungsmanagement

Gut qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bilden das Fundament betrieblichen

Erfolgs. Einen wesentlichen Anteil an der Qualifikation und damit an der Kompetenz

kommt dabei einer konsequenten und arbeitsplatzorientierten Fort- und Weiterbildung

zu. Um die Fort- und Weiterbildung in der UB Wien weiter zu verbessern und den

aktuellen Erfordernissen anzupassen, wurde abgekoppelt vom Jahresgespräch und in

enger Kooperation mit der Abteilung für Personalentwicklung der Universität Wien an

der Bibliothek eine Fort- und Weiterbildungsschiene etabliert, die mit ihren jeweiligen

Bildungsmaßnahmen möglichst exakt den Erfordernissen des Arbeitsplatzes und den

Entwicklungsperspektiven der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entspricht.

Jeweils im Oktober wird der konkrete Bildungsbedarf in der UB Wien erhoben. Die

Erhebung erfolgt über einen Fragebogen, der eine Reihe von Themen enthält, die für die

UB Wien relevant sind. Zudem ist über Freitext die Möglichkeit gegeben, die genannten

Themenfelder sowohl spezifisch als auch allgemein zu ergänzen. Um Arbeitsplatznähe

und auch Teamorientierung zu erreichen, werden die Fragebögen an die Leiterinnen und

Leiter aller Abteilungen, Teams, Zentralen Services und Fachbereichsbibliotheken zur

konkreten Bedarfserhebung in ihrer jeweiligen Organisationseinheit ausgegeben. Die

Ergebnisse der Auswertungen stellen die Basis für das Fort- und Weiterbildungsangebot

der UB Wien für das folgende Jahr und punktuell auch darüber hinaus dar. Zudem

verfolgt die UB Wien aus strategischen Überlegungen als besonderen Schwerpunkt die 127 Vgl. Charles Handy: The Age of Unreason. Boston / Massachusetts: Harvard Business School 1990, S. 166: „Whereas the heroic manager of the past knew all, could do all, and could solve every problem, the postheroic manager asks how every problem can be solved in a way that develops other people’s

94

Entwicklung ihrer Führungskräfte. Gemeinsam mit der Abteilung für

Personalentwicklung wurde für diesen Bereich ein eigenes Programm ausgearbeitet.

Welcome Kit

Um neu aufgenommene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglichst rasch in die

Arbeitsumgebung der Bibliothek einzuführen und um wichtige Voraussetzungen des

gemeinsamen Arbeitens in der Organisation standardisiert zu kommunizieren, wurde

ein Welcome Kit eingeführt. Dieses Welcome Kit, das als Broschüre physisch und im

Intranet digital vorliegt, enthält in Form eines Glossars die für die Arbeit in der

Bibliothek relevanten Informationen.

Workshops Führungskompetenz

In Vorbereitung des Strategieentwicklungsprozesses wurde an der UB Wien ein

kontinuierliches Führungskräftetraining etabliert. Um die Führungskräfte der UB Wien

in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen und intensiver miteinander zu

vernetzen, wurden von Dezember 2007 bis November 2008 vier jeweils zweitägige

Workshops zum Thema Führungskompetenz veranstaltet. Als externer Trainer für alle

Workshops konnte Günther Kienast (http://www.kienast-kienast.at/) gewonnen werden.

Aufgrund der hohen Qualität der Beratung und der deutlichen Akzeptanz durch die

Teilnehmerinnen und Teilnehmer war damit auch die Beratungsfirma gefunden, die den

vorzubereitenden Strategieentwicklungsprozess begleiten sollte.

In den Workshops Führungskompetenz reflektierten die Teilnehmerinnen und

Teilnehmer gemeinsam aufgrund ihrer bisherigen Praxis ihre Führungsaufgaben und die

dafür erforderlichen Kompetenzen und arbeiteten Pläne für nötige Veränderungen aus.

Theorieimpulse des Beraters unterstützten die Teilnehmenden in ihrem Reflexions- und

Arbeitsprozess. Wichtig war die intensive Beteiligung der Führungskräfte und ein

lösungsorientierter Ansatz: Die bisherigen Erfahrungen mit dem Thema „Ich und meine

Führungsaufgaben“ waren Ausgangspunkt für zukunftsorientierte Lösungen. Einzel-

und Gruppenarbeiten wechselten mit Impulsreferaten und Diskussionen im Plenum ab.

An diesen fakultativen Workshops haben ca. fünfzig Personen und damit fast alle

Führungskräfte der UB Wien (Leiterinnen und Leiter der Fachbereichsbibliotheken, der

capacity to handle it”; vgl. auch Dirk Baecker: Postheroisches Management. Ein Vademecum. Berlin: Merve 1994 (= Internationaler Merve-Diskurs 185). 95

Abteilungen und Teams der Hauptbibliothek und der Zentralen Services)

teilgenommen.

Internationalisierung der Bibliothek

Um die Bibliothek weiter zu internationalisieren, wurde das an der Universität Wien

eingeführte Programm Erasmus Staff Mobility, das die Mobilität allgemein Bediensteter

zu Fortbildungszwecken unterstützt, in der UB Wien erfolgreich implementiert. Als

Outgoing unterstützt die Universität Wien dabei einen mindestens fünftägigen

Auslandsaufenthalt von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des allgemeinen

Universitätspersonals zu Fortbildungszwecken an einer anderen Universität innerhalb

Europas. Die Antragstellung kann mit Unterstützung einer Führungskraft und auf Basis

klar definierter Ziele erfolgen. Als Incoming betreut die UB Wien Personen, die über

Erasmus Staff Mobility an die UB Wien kommen. Sie besuchen während ihres

mindestens fünftägigen Aufenthalts verschiedene Einrichtungen der

Universitätsbibliothek.

Im Jahr 2007 hat die UB Wien erstmals an der Benchmarking-Initiative

„Bibliotheksindex Wissenschaftliche Bibliotheken“ (BIX-WB; http://www.bix-

bibliotheksindex.de/) teilgenommen, die Daten zum Bibliotheksvergleich liefert. Damit

sollte die Leistungsfähigkeit und Ressourcenausstattung der Bibliothek über einen

Kennzahlenvergleich im internationalen Rahmen vergegenwärtigt werden. Zudem

wurde die Transparenz der Organisation nach innen und nach außen weiter gesteigert.

4.1.5. Interne Kommunikation

Verbesserung der internen formellen Kommunikation

Besonderes Augenmerk wurde auf die Verbesserung der formellen internen

Kommunikation gelegt, die von zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als

suboptimal wahrgenommen wurde. Zudem kann ein partizipatorisch angelegter

Strategieentwicklungsprozess nur dann reüssieren, wenn die interne Kommunikation

der Organisation funktioniert. Erfolgreich eingeführt wurden ein interaktiv

ausgerichtetes Intranet und ein zweimonatiger interner Newsletter, der mittlerweile auf

große Resonanz stößt. Zudem ist das Jahresgespräch als Managementinstrument

96

obligatorisch flächendeckend implementiert, die DLE-weiten Mailinglisten wurden

aktualisiert und die Sitzungskultur wurde grundlegend geändert. Sowohl die

Abteilungsleitersitzung – Direktion, Leiterinnen und Leiter der Zentralen Services und

der Abteilungen und Teams der Hauptbibliothek – als auch die Außenbereichssitzung –

Direktion, Leiterinnen und Leiter der Zentralen Services und der

Fachbereichsbibliotheken – wurden von monologisch angelegten Treffen zu

Workshops, bei denen gemeinsam Lösungen erarbeitet werden, transformiert.

Zudem wurde das interne Berichtswesen optimiert, indem Quartalsberichte der Projekte

eingeführt wurden, die selbstzweckhaften Monatsstatistiken hingegen wurden

abgeschafft, die Bibliotheksjahresstatistik wurde erneuert. Die Neuausrichtung des

Jahresberichts wurde zumindest vorgenommen.

Verbesserung der internen informellen Kommunikation

Die informelle interne Kommunikation unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern

wurde insofern ebenfalls verbessert, als die Motivation dazu und die

Rahmenbedingungen optimiert wurden. Zu diesen Verbesserungsmaßnahmen zählen

ebenso die Verstärkung von Arbeitsgruppen-, Projekt- und Teamarbeit mit

unterschiedlich zusammengestellten Personengruppen wie die Modernisierung

traditioneller Kommunikationsformen wie Betriebsausflug und Weihnachtsfeier.

4.1.6. Kernkompetenzen

Wie bereits bei der Beschäftigung mit den beiden Managementtheoretikern Gary Hamel

und C. K. Prahalad dargestellt, ist der Kernkompetenzansatz wichtig für

Strategiefestlegungen. Die Betriebswirtschaftler Christian Homp und Wilfried Krüger

haben das Kernkompetenzkonzept übernommen und ausgebaut. Dabei entwerfen sie das

Modell einer dreischichtigen Unternehmenskompetenz.128 Die äußerste Schicht bildet

die Kompetenz 1. Ordnung, die dann erreicht ist, wenn eine Organisation ihre

Fähigkeiten und Ressourcen so entwickelt und kombiniert, dass sie erfolgreich im

Wettbewerb mithalten kann. Nach dieser Sicherstellung von Wettbewerbsfähigkeit

128 Vgl. Christian Homp / Wilfried Krüger: Kernkompetenz-Management. Steigerung von Flexibilität und Schlagkraft im Wettbewerb. Wiesbaden: Gabler 1997, S. 26–29. 97

prägt eine Unternehmung Wettbewerbsvorteile mit Hilfe besonderer Fähigkeiten aus,

die als Kompetenz 2. Ordnung gedacht werden. Von Kernkompetenz im eigentlich Sinn

– die Kompetenzen 3. Ordnung – wird gesprochen, wenn eine Unternehmung in der

Lage ist, ihre Ressourcen und Fähigkeiten zum Aufbau neuer Produkte und / oder

Märkte einzusetzen.

Flankierend zu ihrem Strategieentwicklungsprozess hat die UB Wien mit einer Task

Force folgenden thematischen Rahmen definiert, in dem Kernkompetenzen zu stärken

sind. Dafür wurden fünf Grundpositionen vorgegeben: die UB Wien als Raum der

Innovation, als digitale und analoge Bibliothek, als sozialer Raum, als Teaching Library

und als Learning Library.

Die UB Wien als Raum der Innovation

Die Universitätsbibliothek ist Trägerin innovativer Entwicklungen im Rahmen des

Informationsmanagements für die Universität Wien. Durch kontinuierliche

Beobachtung und Auswertung des Informationsmarkts sowie strategisches

Partnerschaftsmanagement werden an ihr Wissen und Kompetenz gebündelt und

weiterentwickelt. Die Universitätsbibliothek lernt durch ihre inner- und

außeruniversitären Kooperationen von anderen Organisationseinheiten und Institutionen

auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Die dadurch erworbenen Kenntnisse

werden gewinnbringend für die Universität Wien eingesetzt. Durch ihr konsequentes

Innovationsmanagement ist die Universitätsbibliothek eine gefragte Partnerin

internationaler Kooperationen und wissenschaftlicher Projekte. In den Bereichen, in

denen die Universitätsbibliothek bereits exzellente Leistungen erbringt, engagiert sie

sich richtungsweisend in der Entwicklung und Gestaltung neuer Produkte. Dort, wo sie

innovative Entwicklungen identifiziert, positioniert sie sich auf Grund ihrer

Kompetenzen als Early Adopter.

Die UB Wien als digitale und analoge Bibliothek

Die Universitätsbibliothek stellt ihren Benützerinnen und Benützern Information digital

und analog zur Verfügung. Dabei ist sowohl der elektronische als auch der

konventionelle Bestand über ein gemeinsames Recherche-Portal integriert unter einer

Nutzeroberfläche recherchierbar. Der Bestandsaufbau orientiert sich an den

Erfordernissen von Forschung, Lehre und Studium an der Universität Wien. Um einen

98

zeit- und ortsunabhängigen Zugang zur Information zu ermöglichen, erwirbt die

Universitätsbibliothek wenn möglich elektronische Medien. Dort, wo

Benützungsinteressen oder andere Gründe es erfordern, werden weiterhin gedruckte

Informationsträger angekauft. Der gesamte Bestand der Universitätsbibliothek ist nach

internationalen Standards formal und inhaltlich erschlossen. Die Bestandspflege erfolgt

nach qualitätsgesicherten Aussonderungskriterien. Basierend auf gesamt

österreichischen Archivierungsvereinbarungen und dem kontinuierlichen Ankauf von

elektronischen Backfiles wird eine optimale Stellraumbewirtschaftung betrieben. Wo es

der Lehr- und Studienbetrieb erfordert, werden Lehrbücher in mehreren Exemplaren zur

Verfügung gestellt. Eine Bereinigung dieses Bestands erfolgt bedarfsgemäß durch

Aussonderung älterer Exemplare. In den Magazinen werden nur mehr unikal

vorhandene Print-Bestände aufbewahrt.

Die UB Wien als sozialer Raum

Die Universitätsbibliothek ist identitätsstiftender Raum für die Universitätsangehörigen,

insbesondere für die Studierenden, und Präsentationsort universitärer Leistungen (z. B.

Konferenzen, Ausstellungen, Lesungen, Interviews). Barrierefreiheit, liberale

Benützungsbedingungen, niedrig schwellige Zugänglichkeit und aktuelle

infrastrukturelle Versorgung bieten größtmögliche Benützerfreundlichkeit. Änderungen

der Verfügbarkeit und Benützung von Medien (von analog zu digital) und neue

Curricula erfordern entsprechende Lern- und Arbeitsumgebungen. Die

Universitätsbibliothek begegnet dieser Herausforderung mit flexibler

Raumbewirtschaftung und -gestaltung und trägt dadurch zur weiteren Verbesserung der

Studienbedingungen bei. Diesem differenzierten Raumangebot entsprechen

unterschiedliche Öffnungszeiten und die jeweilige Verfügbarkeit bestimmter Services,

wie etwa qualifizierte Beratung.

Die UB Wien als Teaching Library

Die Universitätsbibliothek fungiert als Teaching Library für die Angehörigen der

Universität Wien. Sie ist im Bereich Information und Informationskompetenz in die

Curricula der Bachelor-, Master- und Doktorats- bzw. PhD-Studiengänge aller

Fachbereiche integriert. Informationskompetenz wird dabei als Schlüsselqualifikation

der modernen Informationsgesellschaft angesehen, die ein entscheidender Faktor für

99

den Erfolg in Studium, Forschung und Beruf darstellt. Die Expertinnen und Experten

der Universitätsbibliothek bieten im Rahmen des universitären Lehrangebots

modularisierte Kurse zur Vermittlung von Informationskompetenz mit Lernzielen und

Inhalten, die für jedes Fach Gültigkeit haben und durch fachspezifische Module ergänzt

werden können. Zudem ist die Universitätsbibliothek mit ihrem Kursangebot in der

Personalentwicklung der Universität Wien vertreten und veranstaltet weiterhin

zielgruppenspezifisch eigene Schulungen. Für die zeit- und ortsunabhängige

selbstständige Kompetenzaneignung sind interaktive Online-Tutorials als eigenständige

multimediale Lerneinheiten eingerichtet. Das digitale Informationsangebot der

Bibliothek ist über Schnittstellen direkt mit den in der Universität Wien eingesetzten

Lernplattformen vernetzt.

Die UB Wien als Learning Library

Angesichts der rasanten Dynamik des zukunftsmächtigen Informationsmarkts ist die

Bibliothek als Organisation und in der Folge das bibliothekarische Berufsbild massiven

Veränderungen ausgesetzt. Diese Veränderungsprozesse fordern von den

Bibliothekarinnen und Bibliothekaren in vielen Fällen gesteigerte und teilweise

hochgradig spezialisierte Fachkompetenz, weitreichende Schlüsselqualifikationen und

ausgeprägte Flexibilität. Vor dem Hintergrund dieses Befunds ist besonders auf die

exzellente Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu achten und für

kontinuierliche Fort- und Weiterbildung zu sorgen. Komplementär zu dieser

individuellen Kompetenzerweiterung ist Lernen auch auf organisationaler Ebene zu

situieren, um nachhaltigen Erfolg sicherzustellen. Insofern versteht sich die

Universitätsbibliothek als Lernende Organisation. Ausgehend von klaren Visionen,

Zielen und Strategien sowie der grundsätzlichen Orientierung am Nutzen der

Kundinnen und Kunden fördert ein partizipativer Führungsstil projekt- und

teamorientiertes Arbeiten. Die Personal- und Organisationsentwicklung ist an der

Erreichung der Organisationsziele ausgerichtet. Die Organisationskultur zeichnet sich

durch Kooperations- und Konfliktlösungsfähigkeit, wechselseitiges Vertrauen und

Teamgeist, Unterstützung neuer Ideen, Belohnung von Engagement, konstruktive

Fehlerkultur und transparente interne Kommunikation aus.

100

4.2. Rahmenbedingungen und relevante Umwelten

4.2.1. Gesetzliche Rahmenbedingungen

Die Organisation von Universitäten ist in Österreich durch das Universitätsgesetz 2002

(UG 2002) geregelt. Dieses österreichische Bundesgesetz wurde erstmals im

Bundesgesetzblatt I Nr. 120/2002 kund gemacht.129 Im Unterschied zu den

Vorgängergesetzen UOG 1975 und UOG 1993 enthält das UG 2002 keine direkten

Regelungen des Bibliothekswesens an der Universität, die Existenz einer UB geht bloß

implizit aus einzelnen Gesetzesformulierungen hervor. Auch in Zukunft scheint die

Gesetzgebung als mögliche Rahmenbedingung der Strategieausrichtung der UB Wien

eher sekundär zu sein, da die Tendenz der Legislative klar gezeigt hat, dass die

Regelungsdichte in Bezug auf Universitätsbibliotheken kontinuierlich abnimmt. Zudem

ist zu bedenken, dass eine Reihe von Gesetzen die bibliothekarische Arbeit direkt

mitbestimmt (z. B. Mediengesetz und Urheberrechtsgesetz) und dass in Österreich im

Unterschied etwa zu manchen deutschen Bundesländern kein eigenes Bibliotheksgesetz

ausformuliert ist.

4.2.2. Inneruniversitäre Rahmenbedingungen

Universität Wien

Die Universität Wien hat als Instrument zur Planung ihrer strategischen Ausrichtung

einen Entwicklungsplan formuliert, der vor allem Zielsetzungen im Hinblick auf die

Gestaltung von Forschung und Lehre im europäischen Kontext beinhaltet.130 Nach dem

Prinzip der rollierenden Planung wird etwa einmal jährlich auf gesamtuniversitärer

Ebene sowie in den Fakultäten und Zentren die Entwicklungsplanung überprüft und

gegebenenfalls angepasst. Der Planungshorizont des Entwicklungsplans reicht aktuell

129 Vgl. http://www.bmwf.gv.at/wissenschaft/national/gesetze/organisationsrecht/ug_2002/; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 130 Universität Wien 2012. Entwicklungsplan der Universität Wien; http://www.univie.ac.at/rektorenteam/ug2002/entwicklung.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 101

bis ins Jahr 2012. Da die Dienstleistungseinrichtungen der Universität Wien nicht

berücksichtigt werden, hat der Entwicklungsplan für die Strategieentwicklung der UB

keine unmittelbare Konsequenz. Für den operativen Bereich ist er insofern wichtig, als

er Schwerpunkte in Forschung und Lehre definiert, die auch entsprechend in der

Organisationsentwicklung der UB Wien zu berücksichtigen sind.

Die DLE Bibliotheks- und Archivwesen kooperiert eng mit den anderen

Dienstleistungseinrichtungen der Universität Wien, vor allem mit dem Zentralen

Informatikdienst (ZID), der DLE Personalwesen und Frauenförderung und der DLE

Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungsmanagement und mit spezifischen Abteilungen,

vor allem der Besonderen Einrichtung für Qualitätssicherung oder auch dem Center for

Teaching and Learning.

In der Zielvereinbarung 2009 zwischen dem Rektorat der Universität Wien und der

Leitung der DLE Bibliotheks- und Archivwesen wurde festgelegt, dass „die UB-

Leitung bis Oktober 2009 ein Zukunftskonzept der UB zu entwickeln und dem Rektorat

vorzulegen“ hat.

Bologna-Prozess und Europäischer Hochschulraum

Der Bologna-Prozess ist ein europäisches Projekt, das in den späten 1990er Jahren

entwickelt wurde. Neben der Förderung der Mobilität von Forschenden, Lehrenden und

Studierenden soll vor allem die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas und des

europäischen Hochschulsystems gesteigert werden. Im Juni 1999 fand die

Unterzeichnung der Bologna-Erklärung während einer Konferenz von

Bildungsministerinnen und Bildungsministern aus 29 europäischen Staaten in Bologna

statt. Die Bologna-Erklärung setzte sich zum Ziel, bis zum Jahr 2010 einen

gemeinsamen Europäischen Hochschulraum zu verwirklichen.

Kernpunkte der Bologna-Erklärung waren die Schaffung eines gestuften

Studiensystems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse, die Verwendung

von ECTS (European Credit Transfer and Accumulation System) oder eines ähnlichen

Kreditpunktesystems, die Förderung von Mobilität, Flexibilität und Qualitätssicherung,

wie die Betonung einer europäischen Dimension in der Hochschulbildung.

Auf Universitätsbibliotheken hat der Bologna-Prozess vor allem zwei Konsequenzen,

die bei der Strategieentwicklung der UB Wien auch zu berücksichtigen sind. Erstens

intensiviert der Bologna-Prozess die universitäre Vermittlung von berufsfeldorientierten

102

bzw. allgemein berufsbefähigenden Kompetenzen. Da zu diesen

Schlüsselqualifikationen auch Informations- und Medienkompetenz gezählt werden,

bietet sich für Universitätsbibliotheken die Chance, im Rahmen der Teaching Library

im Curriculum als Kursanbieter vertreten zu sein.131 Zweitens tendiert das dreistufige

Studienmodell (Bachelor – Master – PhD) zu einer starken Standardisierung und

Verschulung der Lehre. Für Universitätsbibliotheken macht das den Medienbedarf vor

allem der Undergraduate-Studierenden wesentlich kalkulierbarer und damit auch

begrenzbar. Gut bestückte physische und in Zukunft auch virtuelle

Lehrbuchsammlungen tragen damit zum Studienerfolg unter den derart normierten

Lehrbedingungen bei.

4.2.3. Erfolgskritische außeruniversitäre Umwelten

Dynamik des Informationsmarkts und Bibliotheken im Ausdifferenzierungsprozess

Wie bereits dargestellt, bewegen sich Bibliotheken momentan aufgrund der Dynamik

des Informationsmarkts mit neuen Playern – Stichwort „Google“ – sowie neuen

Technologien – Stichwort „Web 2.0 und 3.0“ – und aufgrund sinkender Etats vor allem

bei den Erwerbungsmitteln in einem verschärften Ausdifferenzierungsprozess. Nur

mehr wenige Bibliotheken werden in Zukunft als Voll- und Universalbibliotheken

sämtliche bibliothekarische Aufgabenbereiche abdecken können. Die meisten werden

sich in Kooperation mit anderen Informationseinrichtungen je spezifisch profilieren.

Die UB Wien hat sich im Rahmen ihres Strategieentwicklungsprozesses auch dieser

Profilierungsfrage systemisch zu stellen.

Bibliotheksstandort Wien

Im Zuge der Globalisierung des Informationsmarkts wird der Standortfaktor von

Bibliotheken vor dem Hintergrund der wachsenden digitalen Informationsversorgung

zunehmend sekundär. Im Bereich der Kulturwissenschaften ist allerdings zu erwarten,

131 Vgl. z. B. HIS-Workshop „Der Beitrag der Bibliotheken zum Bologna-Prozess“. Hannover, 22. Februar 2007. Vermittlung der Schlüsselqualifikationen Informations- und Medienkompetenz in den neuen Studiengängen. Ziele, Anforderungen, Konzepte, Strategien – am Beispiel ausgewählter Hochschulbibliotheken (UB Freiburg u. a.); http://www.his.de/publikation/seminar/bibliotheken/Vermittlung.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 103

dass das physische Buch mittel- bis langfristig nicht virtuell substituiert wird. Zudem

spielen die Bibliotheksräume als physische Kommunikations- und Lernorte eine immer

größere Rolle. Insofern ist auch der Bibliotheksstandortfaktor Wien im

Strategieentwicklungsprozess der UB Wien zu berücksichtigen. Dieser Standort

zeichnet sich durch eine hohe Bibliotheksdichte aus, wobei vor allem die

Österreichische Nationalbibliothek, die Wienbibliothek im Rathaus, andere

Universitätsbibliotheken der fachlich spezialisierten Universitäten (z. B. Technische

Universität, Wirtschaftsuniversität) und eingeschränkt auch die Büchereien der Stadt

Wien für die UB Wien im Aktionsradius von Kooperation bis Konkurrenz relevant sind.

Benützerinnen und Benützer als Digital Immigrants und Digital Natives

Um am hoch kompetitiv gewordenen Informationsmarkt bestehen zu können, ist die

spezifische Erwartungshaltung der Nachfrage zu berücksichtigen. Besonders folgende

Qualitäten werden benützerseitig von der Ware „Information“ gefordert: Aktualität,

Vollständigkeit und Kontinuität; Qualität und Authentizität; strukturierte Erschließung;

dauerhafte, orts- und zeitunabhängige sowie möglichst kostenfreie bzw. kostengünstige

Zugänglichkeit; hoher Schnittstellenkomfort (unmittelbar, schnell,

benützungsfreundlich).

Zudem ist zu bedenken, dass Universitätsbibliotheken unmittelbar davor stehen, die

Angehörigen der Google Generation, also die nach 1993 Geborenen, zu ihrer primären

Nutzergruppe zu zählen. Diese Digital Natives sind mit dem Internet in all seinen

Facetten aufgewachsen und unterscheiden sich in ihrem Informationsverhalten

(Information Behavio[u]r) deutlich von den Digital Immigrants. So wird es für

Bibliotheken immer wichtiger, sich mit dem spezifischen Informationsverhalten dieses

Personenkreises auseinandersetzen und es bei der Erstellung ihres eigenen

Leistungsangebots zu berücksichtigen. Das Bibliothekswesen kann dabei auf die

Ergebnisse eines relativ jungen Forschungsfelds der Informationswissenschaft

rekurrieren,132 bzw. es werden auch eigene Untersuchungen durchgeführt.133

132 Vgl. z. B. New Directions in Human Information Behavior. Hg. von Amanda Spink and Charles Cole. Dordrecht: Springer 2005 (= Information Science and Knowledge Management 8). 133 Vgl. Perceptions of Libraries and Information Resources. A Report to the OCLC Membership. Dublin / Ohio: OCLC Online Computer Library Center, Inc. 2005; http://www.oclc.org/reports/pdfs/Percept_all.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010; Information Behaviour of the Researcher of the Future. A Ciber Briefing Paper. London: University College London 2008; http://www.jisc.ac.uk/media/documents/programmes/reppres/gg_final_keynote_11012008.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010; vgl. dazu Urs Naegeli: „Key findings“ aus aktuellen 104

Unterstützt wird dieses bibliothekarische Interesse am Informationsverhalten ihrer

Kundschaft von dem Trend, die Kundinnen und Kunden zunehmend in die

Produktentwicklung und -gestaltung der Bibliotheken zu integrieren.134 Auch diese

Beobachtungen bzw. Entwicklungen hat die UB Wien bei ihrem

Strategieentwicklungsprozess zu beachten.

4.2.4. Systemische Konsequenzen

Aus den kurz skizzierten Rahmenbedingungen und Umwelten ergeben sich markante

systemische Konsequenzen für den Strategieentwicklungsprozess. Vor allem kann nicht

mehr von einem stabilen und vertrauten Bild von Bibliothek ausgegangen werden,

sondern vom Informationsmarkt mit seiner Dynamik, seinen Produktivfaktoren,

Technologien, Strukturen, Akteurinnen und Akteuren sowie Umwelten, wobei für den

Informationsmarkt bzw. die Informationsteilmärkte mehrere alternative Zukunftsbilder

denkbar sind. Für den für die Strategieentwicklung relevanten Prognosezeitraum von

fünf bis zehn Jahren sind vor allem folgende Bereiche zu berücksichtigen:

• Technologische Entwicklungsperspektiven, vor allem im Bereich Internet und

Medien (z. B. Web 2.0, Web 3.0, Semantic Web)

• Medienhistorische Perspektiven (z. B. Konvergenz von Print-, Audio- und

audiovisuellen Medien hin zu multimedialen Angeboten)

• Tendenzen im Bildungs- und Wissenssystem (z. B. E-Learning und neue

Lernkultur, Zukunft der Universität)

• Veränderung im Medienverhalten und in der Informationsverbreitung (z. B.

Verschiebung der traditionellen Rollenverteilung zwischen Wissensproduktion

und Wissenskonsumation, Wissensportale, Wikipedia)

Nutzerstudien zum Informationsverhalten der „Google generation“ oder: Leidet die „Google generation“ an Informationsmangel? In: Bibliotheken und Dokumentationszentren als Unternehmen: Antworten von Bibliotheken und Dokumentationszentren auf die Herausforderungen der digitalen Gesellschaft. Chur: Arbeitsbereich Informationswissenschaft 2009 (= Churer Schriften zur Informationswissenschaft 30), S. 6–20; http://www.fh-htwchur.ch/uploads/media/CSI_30_FachtagungBIS.pdf; zuletzt aufgerufen: 20. September 2010. 134 Vgl. in allgemeiner Perspektive: Produktentwicklung mit virtuellen Communities. Kundenwünsche erfahren und Innovationen realisieren. Hg. von Cornelius Herstatt und Jan G. Sander. Wiesbaden: Gabler 2004. 105

• Neuordnung des wissenschaftlichen Publikationswesens (z. B. Open Access

Initiative)

• Entwicklung des Urheberrechts (z. B. Digital Rights Management)

• Programme von Fördergebern auf nationaler (z. B. Förderschiene

„Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme“ der

Deutschen Forschungsgemeinschaft) und internationaler Ebene (z. B.

Aktionsplan eEurope 2005, 6. und 7. EU-Forschungsrahmenprogramm, EU-

Initiative i2010)

• Konkrete laufende Pilotprojekte im Informations- und Mediensektor

• Neue Forschungsrichtungen (z. B. die gerade im Entstehen begriffene Web-

Wissenschaft)

4.3. Initiierung und Grundausrichtung

Nach der erfolgreichen Bewältigung der dargestellten Vorarbeiten hat die DLE-Leitung

Mitte 2008 entschieden, den Strategieentwicklungsprozess mit Ende des Jahres 2008

einzuleiten und konsequent zu betreiben. In dem mit dem Rektorat geführten

Zielvereinbarungsgespräch für das Jahr 2009 wurde der Strategieentwicklungsprozess

bestätigt und festgeschrieben, und es konnten die für die Finanzierung der

Beratungsfirma notwendigen Budgetmittel gesichert werden.

Als Grundausrichtung wurde von der DLE-Leitung definiert: Der Prozess sollte die

gesamte DLE umfassen, also die Universitätsbibliothek und das Universitätsarchiv. Er

sollte realitätsnah und nachhaltig angelegt sein, potentiell alle Mitarbeiterinnen und

Mitarbeiter einbeziehen, offen sein, um Kreativität zu fördern, und insofern komplex

sein, als die relevanten Umwelten zu bedenken sind. Von der DLE-Leitung wurde als zu

behandelnde Frage einzig die Thematisierung der institutionellen Zugehörigkeit der UB

Wien zur Universität Wien ausgeklammert, die für die gegenwärtige Situation als

unproduktiv erachtet wurde. Das Hauptgewicht der Strategieentwicklung sollte auf der

Prozessualität liegen, um möglichst die Organisationskultur zu optimieren. Nach der

erfolgreichen Kontaktnahme mit der Beratungsfirma von Barbara Kienast und Günther

Kienast (Kienast & Kienast; http://www.kienast-kienast.at/), Kostenvoranschlag und

106

Zuschlag wurden in Gesprächen zwischen der DLE-Leitung und der externen

Begleitung die Zielsetzung und der Prozess definiert und konkretisiert.

4.4. Zielsetzung und Prozess

4.4.1. Zielsetzung

Zentrales Ziel ist die Erarbeitung von Vision, Mission, erfolgskritischen

Handlungsfeldern, mittelfristigen Zielen und entsprechenden Strategien sowie

Maßnahmen für die DLE Bibliotheks- und Archivwesen. Der Prozess ist ausgeprägt

partizipatorisch anzulegen, um allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit

der Mitgestaltung zu geben.

4.4.2. Struktur

Um diese Zielsetzung erreichen zu können, werden folgende Gremien bzw.

Arbeitsformen eingerichtet:

Entscheidungsteam

Das Entscheidungsteam, das aus der DLE-Leitung besteht, entscheidet über die

Meilensteine des Prozesses und über die Ergebnisse auf der Basis der Empfehlungen

aus der Steuerungsgruppe.

Steuerungsgruppe

Die Steuerungsgruppe lenkt gemeinsam mit der externen Begleitung den gesamten

Strategieentwicklungsprozess auf der Basis der Entscheidungen des

Entscheidungsteams. Diese Steuerung bezieht sich sowohl auf die Inhalte als auch auf

die Prozessgestaltung. Sie ist auch mitverantwortlich für die auf den

Entwicklungsprozess bezogene Kommunikationsarbeit hin zu den anderen Mitgliedern

der Organisation. Sie bereitet Unterlagen für die Entscheidungen des

Entscheidungsteams (sowohl hinsichtlich der Inhalte als auch der Prozessgestaltung)

107

vor. Die Steuerungsgruppe erteilt in Abstimmung mit dem Entscheidungsteam

Arbeitsaufträge (Projektaufträge) an erforderliche Arbeitsgruppen, die ihre Ergebnisse

wiederum in die Steuerungsgruppe einbringen.

Um den Prozess möglichst breit in Bibliothek und Archiv zu verankern, hat das

Entscheidungsteam die Steuerungsgruppe so zusammengesetzt, dass die gesamte DLE

mit ihren unterschiedlichen Subeinheiten und Arbeitsbereichen optimal repräsentiert ist.

Zudem wurde darauf geachtet, eine gute Verteilung bei Alter, Berufserfahrung und

Geschlecht zu erreichen und sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiterinnen und

Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung einzubinden.

Arbeitsgruppen

Arbeitsgruppen sind in ihrer Zusammensetzung gemischte Gruppen, die

Teilthemenbereiche im Auftrag der Steuerungsgruppe bearbeiten.

Großgruppen

Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DLE Bibliotheks- und Archivwesen sind

eingeladen, im Rahmen von Großgruppen an der Erarbeitung der Vision, Mission,

Handlungsfelder usw. mitzuwirken.

4.4.3. Verlauf

Konstitution der Steuerungsgruppe und erste Arbeiten

Entsprechend den erwähnten Kriterien hat das Entscheidungsteam im Frühjahr 2009 14

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DLE Bibliotheks- und Archivwesen als Mitglieder

in die Steuerungsgruppe nominiert. Die Delegation war ausdrücklich freiwillig und

wurde von allen Betroffenen angenommen. Bald allerdings zeigte sich, dass die

Arbeitstreffen der Steuerungsgruppe so bibliothekslastig waren, dass der Delegierte des

Universitätsarchivs auf eigenen Wunsch das Gremium verlassen hat. Damit war eine

selbst gesetzte Zielvorgabe, nämlich die Beteiligung von Bibliothek und Archiv, zu

korrigieren. Das Universitätsarchiv hat in der Folge ein eigenes Strategiepapier

erarbeitet.

108

Am 26. März 2009 hat sich die Steuerungsgruppe zum ersten Mal getroffen und unter

der Moderation von Kienast & Kienast ihre Arbeit aufgenommen. Es folgten weitere

Treffen, teilweise unter Beteiligung des Entscheidungsteams. Die Aufgaben dieser

Treffen bestanden in der Prozessplanung, der inhaltlichen Strukturierung der

Strategieentwicklung und Identifikation ihrer Bausteine sowie der Vorbereitung des

ersten Großgruppentags.

Erster Großgruppentag

Der erste Großgruppentag fand am 2. Juli 2009 in den Räumlichkeiten des Juridicums

der Universität Wien – dem Gebäude der Fakultät für Rechtswissenschaften und der

Fachbereichsbibliothek Rechtswissenschaften – statt. Um allen Mitarbeiterinnen und

Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, an diesem Ereignis, das in Anlehnung an die

Methode „Open Space“ gestaltet war, teilzunehmen, und um die Priorität des

Strategieentwicklungsprozesses intern zu kommunizieren, hat die DLE-Leitung an

diesem Tag sämtliche Benützungsbereiche der UB Wien geschlossen. Der erste

Großgruppentag wurde zum vollen Erfolg. Etwa 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

der UB Wien haben im Rahmen von 26 Workshops teilgenommen und kooperativ

zahlreiche und qualitativ hochwertige Ergebnisse erarbeitet, ein eventueller Protest der

Benützerinnen und Benützer der Bibliothek wegen der Bibliotheksschließung ist fast

gänzlich ausgeblieben.

Aufgabe des ersten Großgruppentags war es, Visionen, Ziele, Handlungsfelder und

Lösungsansätze für die Zukunft zu sammeln und zu diskutieren, neue kooperative und

dialogorientierte Arbeitsformen gemeinsam zu praktizieren und einander besser kennen

zu lernen.

Treffen der Steuerungsgruppe

Zwischen erstem und zweitem Großgruppentag haben sich die Steuerungsgruppe und

die externe Beratung unter teilweiser Beteiligung des Entscheidungsteams mehrmals

getroffen. Die Aufgaben dieser Treffen waren die Sichtung und Bündelung der

umfangreichen Ergebnisse des ersten Großgruppentags, die Zuordnung der in der

Bibliothek bereits laufenden Projekte zu den Handlungsfeldern, eine erste Formulierung

einer kohärenten Vision, die weitere Prozessplanung und die Vorbereitung des zweiten

Großgruppentags. So hat die Steuerungsgruppe auf der Basis der Ergebnisse des ersten

109

Großgruppentags elf Handlungsfelder definiert und dazu elf Vorbereitungsgruppen

einberufen, die mit 15. Juli 2009 starteten und mit 31. August 2009 ihre Ergebnisse

vorzulegen hatten:

1. Organisationskultur

2. Organisationsstruktur

3. Soziale, wirtschaftliche und ökologische Verantwortung / Corporate Social

Responsibility (CSR)

4. Budget – Infrastruktur – Räume

5. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

6. Bestand

7. Services und neue Aufgaben

8. Kooperationen

9. Benützerinnen und Benützer

10. Wissens- und Informationsvermittlung

11. Öffentlichkeitsarbeit

Die elf Vorbereitungsgruppen hatten konkret den Auftrag, zu den elf Handlungsfeldern

jeweils Mission Statements und Strategiefelder auszuarbeiten. Dabei waren jedem

Handlungsfeld ein Mission Statement und mehrere Strategiefelder zuzuordnen. Zu

jedem der elf Handlungsfelder sollte in weiterer Folge jeweils von der

Steuerungsgruppe ein Arbeitsauftrag für mit Oktober 2009 einzurichtenden

Arbeitsgruppen formuliert sein.

Zweiter Großgruppentag

Der zweite Großgruppentag fand am 22. September 2009 im Juridicum statt, wobei

wieder alle Benützungsbereiche der UB Wien geschlossen wurden. Auch der zweite

Großgruppentag, an dem ebenfalls etwa 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

teilgenommen haben, geriet zum großen Erfolg.

Aufgabe des zweiten Großgruppentags war es, die von der Steuerungsgruppe

gebündelten Ergebnisse der Arbeitsgruppen in Workshops weiter zu entwickeln und zu

präzisieren.

110

Treffen der Steuerungsgruppe

Nach dem zweiten Großgruppentag haben sich die Steuerungsgruppe und die externe

Beratung unter teilweiser Beteiligung des Entscheidungsteams erneut mehrmals

getroffen. Die beiden Aufgaben dieser Treffen waren erstens die Ausformulierung des

Strategieentwicklungskonzepts für das Rektorat und zweitens die Vorbereitung von

sogenannten Prototypengruppen, die ausgehend von den Arbeitsgruppen zu den elf

Handlungsfeldern gebildet wurden.

Strategieentwicklungskonzept

Im Oktober 2009 legte die Steuerungsgruppe ihr Strategieentwicklungskonzept vor, das

nun mit dem Entscheidungsteam diskutiert und partiell modifiziert wurde. Wie im

Zielvereinbarungsgespräch für 2009 mit dem Rektorat vereinbart, wurde es beim

Rektorat als Diskussionsbasis für das Zielvereinbarungsgespräch für 2010 eingebracht.

Es versteht sich als Startschuss für zahlreiche (kurzfristig realisierbare) Maßnahmen.

Deren Umsetzung erfolgte nun in den nächsten Monaten bis Mitte 2010. In diesem

Zeitraum wurden noch weitere Umsetzungsmaßnahmen ausgearbeitet und zukünftige

Entwicklungslinien aufgezeigt.

Prototypen

Bei der Implementierung von Prototypen in den Strategieentwicklungsprozess wurde

der Theorie U des Management- und Organisationstheoretikers sowie Forschers am

Massachusetts Institute of Technology (MIT) Claus Otto Scharmer gefolgt.135 Mit

seiner Theorie U zeigt Scharmer auf, in welchen Hinsichten internalisierte traditionelle

Theorien und Methoden, Veränderungsprozesse zu initiieren, zu gestalten und zu

moderieren, blind sind. Eine solche Blindheit liege darin, dass nicht gesehen werde,

dass die Haltung von Veränderungsagenten zentral ist. Die innere Haltung bestimme

letztlich den Erfolg. Dabei werden sieben Prozesse unterschieden, die die Haltung

beeinflussen und damit auch soziale Kommunikationsprozesse letztlich strukturieren:

1. Runterladen [Downloaden]: Muster der Vergangenheit wiederholen sich – die Welt wird mit den Augen gewohnheitsmäßigen Denkens betrachtet.

135 Vgl. C. Otto Scharmer: Theorie U. Von der Zukunft her führen. Heidelberg: Auer 2009. 111

2. Hinschauen [Seeing]: Ein mitgebrachtes Urteil loslassen und die Realität mit frischem Blick betrachten – das beobachtete System wird also von dem Beobachter getrennt wahrgenommen.

3. Hinspüren [Sensing]: Sich mit dem Feld verbinden, eintauchen und die Situation aus dem Ganzen heraus betrachten – die Grenze zwischen Beobachter und Beobachteten verschwimmt, das System nimmt sich selber wahr.

4. Anwesend werden [Gegenwärtigung bzw. Presencing]: sich mit dem Quellort – dem inneren Ort der Stille – verbinden, von dem aus die im Entstehen begriffene Zukunft wahrnehmbar werden kann.

5. Verdichten [Kristallisieren] der Vision und Intention – Kristallisieren und Bewusstmachen der Intention und Vision, die aus der Verbindung zu diesem tieferen Quellort entstehen.

6. Erproben [Prototyping] des Neuen in Prototypen, in denen die Zukunft durch praktisches Tun gemeinsam erkundet und entwickelt wird.

7. Das Neue praktisch anwenden und institutionell verkörpern [in die Welt bringen bzw. Performing]: das Neue durch beispielsweise Infrastrukturen und Alltagspraktiken in eine Form bringen.136

Auf den laufenden Strategieentwicklungsprozess der UB Wien gewendet, ist dieses

Modell zum gegenwärtigen Verlaufszeitpunkt der Entwicklung von Prototypen wie

folgt zu verstehen: Mit den Vorarbeiten der Steuerungsgruppe und dem ersten

Großgruppentag wurde der Bereich „Runterladen“ abgearbeitet. Das eigene Feld, die

eigene Umgebung, die jetzige Situation wurde wahrgenommen. Die Beteiligten haben

sich selbst in Bewegung gebracht, ihre Perspektive der eigenen Wahrnehmung erweitert

und sich schließlich von dem üblichen „Downloading“ verabschiedet. Ebenfalls bereits

abgeschlossen sind „Hinschauen“ und „Hinspüren“ (erster Workshop am zweiten

Großgruppentag) und „Anwesend werden“ (zweiter Workshop am zweiten

Großgruppentag). Neben dem „Kristallisieren“, das mit der Entwicklung der Prototypen

erreicht wurde, stehen 2010 die Aspekte „Erproben“ und „Das Neue praktisch

anwenden und institutionell verkörpern“ am Plan. In diesen letzten Phasen geht es um

die Umsetzung. Das Neue erscheint zuerst vielleicht nur in einem Bild oder einem Satz.

Damit das Neue realisiert werden kann, muss es sich zu einem konkreten Bild

verdichten, das in einem ersten Prototyp möglichst rasch in die Tat umgesetzt wird,

noch nicht perfekt, sondern ausbau- und entwicklungsfähig. Es ist notwendig, zügig ins

Handeln zu kommen und einen neuen Gedanken umzusetzen und in die bestehende

Praxis einzubetten.

136 Ebd., S. 63. 112

Prototypengruppen

Um Handeln und Praxis rasch zu realisieren, wurden von der Steuerungsgruppe nach

Abstimmung mit dem Entscheidungsteam folgende elf Prototypen, die sich jeweils auf

Strategiefelder beziehen, definiert und Prototypengruppen, die die einzelnen

Versuchsprojekte zu bearbeiten hatten, gebildet:

1. Weg womit? (Strategiefeld: Bestand)

Geplant ist die Einrichtung einer Clearingstelle, in der es in erster Linie um eine

übergreifende Bestandsanalyse geht. Danach sollen ein Bestandsabbaukonzept und

verordnende und ausführende Richtlinien erstellt werden.

2. Bücher Arche Noah / E-Ark (Strategiefeld: Bestand)

Dieser Prototyp ist ein Folgeprototyp zum Prototyp „Weg womit?“. Im Rahmen von

„Bücher Arche Noah“ ist ein dezentrales Bücherdepot mit Bestellfunktion zu

konzipieren. Im Rahmen von „E-Ark“ werden die auszulagernden Bestände definiert,

wobei nur jene Bestände ausgelagert werden sollen, die es noch in einer anderen Form

(z. B. digital oder als Mikroform) gibt. Zudem soll eine Bedarfserhebung über

Räumlichkeiten mit optimalen Verkehrsanbindungen sowie Lagerbedingungen

durchgeführt werden.

3. Workflow für E-Medien (Strategiefeld: Bestand)

Dieser Prototyp dient der internen und externen Kommunikation und Transparenz. Es

sollen Standards festgeschrieben werden für den Workflow für E-Medien, durch den

Arbeitsabläufe effizienter werden. Die Bestellung von E-Ressourcen soll vereinfacht

und die E-Medien sollen inhaltlich erschlossen werden.

4. Öffentlichkeitsarbeit up2date (Strategiefeld: Öffentlichkeitsarbeit)

Die Services und Leistungen der Öffentlichkeitsarbeit werden unter Nutzung

unterschiedlicher Medien zielgruppenorientiert bekannt gemacht. Alle PR-Aktivitäten

sollen professionell unterstützt werden, Fundraising bzw. die Lukrierung von

113

Drittmitteln soll ausgebaut werden. Die Öffentlichkeitsarbeit mit einem beständigen

Kernteam wird durch eine Basisgruppe (mit breiter Zusammensetzung) verstärkt.

5. P4L (Prototypes for Libraries) (Strategiefeld: Services und neue Aufgaben)

Es soll eine permanente Möglichkeit geboten werden, Prototypen zu entwickeln. An

wen kann man sich wenden, wenn man eine gute Idee hat, und welche Ressourcen

stehen für die Entwicklung zur Verfügung?

6. Job Visiting (Strategiefeld: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter)

Die Job Visite dient dazu, andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren

Arbeitsfelder kennenzulernen. Diese Visiten sollen auf freiwilliger Basis geschehen und

ermöglichen es, andere Abteilungen und Arbeitsaufgaben kennenzulernen.

7. Ein Sofa für jede Bibliothek (Strategiefeld: Benützerinnen und Benützer)

In allen Bibliotheken soll das gleiche Sofamodell aufgestellt werden, das als

Erkennungszeichen für die UB Wien als Wohlfühlort, Ort der Kommunikation und des

Austausches steht.

8. Online-Tutorials und Screen Casts (Strategiefeld: Benützerinnen und Benützer)

Online-Tutorials sollen angedacht werden und dann via Facebook und Twitter verbreitet

werden. Screen Casts werden gedreht und auf YouTube gestellt.

9. Fortbildungspass (Strategiefelder: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter / Wissens- und

Informationsvermittlung)

In modularer Form soll ein auf den Infodienst der Hauptbibliothek und der

Fachbereichsbibliotheken zugeschnittener Fortbildungspass eingeführt werden. Dieser

ist für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Infodienstes verpflichtend und muss in

einem gewissen Abstand aufgefrischt werden.

10. Mentoring (Strategiefelder: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter)

Jede neue Mitarbeiterin bzw. jeder neuer Mitarbeiter kann eine Kollegin bzw. einen

Kollegen als Mentorin bzw. Mentor zur Seite gestellt bekommen.

114

11. Bessere Zusammenarbeit (Strategiefeld: Organisationskultur)

Der Austausch und die Kommunikation zwischen diversen Abteilungen, Services und

Fachbereichsbibliotheken der UB Wien sollen ausgebaut und gestärkt werden.

Zur Mitarbeit an diesen Prototypen waren alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UB

Wien eingeladen. Nach den erfolgten Anmeldungen wurden die Gruppen beauftragt,

ihre Prototypen mit 29. Jänner 2010 abzuschließen, so dass ab Februar Zeit zum

Erproben und Einbringen von Verbesserungen zur Verfügung steht. Im Gegensatz zu

Pilotprojekten – und das ist einer der Vorteile des Prototypenkonzepts – können

Prototypen bei einem negativen Ergebnis auch wieder verworfen werden. Der

Schwerpunkt bei der Prototypenentwicklung liegt im Erkunden und im Learning by

Doing.

Prototypen im Dialog

Im Sinn von Scharmers Punkt „Erproben“ haben die Prototypengruppen Dialogrunden

einberufen, zu denen UB-interne und -externe Expertinnen und Experten eingeladen

wurden. Bei diesen Meetings wurden die einzelnen Prototypen vorgestellt und der

Expertise der Gäste ausgesetzt. Dabei wurden die Prototypen in anregenden und

abwechslungsreichen Diskussionen erprobt und gegebenenfalls auch modifiziert und

auch weiter präzisiert und konkretisiert.

Präsentation der Prototypen

Am 17. Februar 2010 wurden im Juridicum von den elf Entwicklungsgruppen ihre elf

Prototypen vorgestellt. An dieser halbtägigen Veranstaltung haben etwa 100

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der UB Wien teilgenommen.

Prototypen in der Praxis

Im Sinn von Scharmers „Das Neue praktisch anwenden und institutionell verkörpern“

werden die Prototypen nach der Schlusspräsentation in der Praxis unter realen

Bedingungen getestet. Die Praxis zeigte, dass die Prototypen je nach Intensität ihrer

Beschäftigung und auch Komplexität ihrer Aufgabenstellung unterschiedliche

Entwicklungsgeschwindigkeiten eingeschlagen hatten. Manche Prototypen konnten

115

unmittelbar nach ihrer Präsentation und Diskussion im Februar 2010 in Test gehen,

manche befinden sich noch in der Konzeptionsphase.

Zwei Beispiele aus dem Handlungsfeld „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ sollen diese

unterschiedliche Umsetzungsschnelligkeit veranschaulichen: der bereits in der

Organisationspraxis umgesetzte Prototyp „Job Visiting“ und der noch in Planung

befindliche Prototyp „Mentoring“. Die Steuerungsgruppe hat die Aufgabe, diese

organisationalen Ungleichzeitigkeiten auszugleichen.

Zum Thema „Job Visiting“ hat eine siebenköpfige Prototypengruppe seit Oktober 2009

daran gearbeitet, diese Idee in ein Pilotprojekt umzusetzen. Dabei wurden Zielsetzung,

Rahmenbedingungen und Verfahrensweisen abgeklärt und innerhalb von

Dialoggruppen die für die Realisierung notwendigen Personen miteinbezogen. Nach

dem Commitment der Verantwortlichen und Zuständigen wurde der Prototyp innerhalb

der UB über verschiedene Kommunikationskanäle (z. B. Intranet, Newsletter)

beworben. Mit Juni 2010 startete der Prototyp in der Praxis und wird seither intensiv

genützt. Die Prototypengruppe steht während dieser Testphase als Auskunfts- und

Unterstützungsinstanz zur Verfügung und sammelt die für die Evaluation notwendigen

Informationen, wobei die Evaluation dann über eine dauerhafte Implementierung in der

Bibliothek entscheiden wird.

Im Unterschied zum Prototyp „Job Visiting“ ist „Mentoring“ noch nicht in die Phase

der Umsetzung eingetreten, sondern befindet sich derzeit im Erproben. Hier zeigte sich,

dass ausführlichere Vorbereitungsarbeiten mit der Abteilung für Personalentwicklung

der Universität notwendig sind, um ein Schulungsangebot für die Mentorinnen und

Mentoren zu entwerfen und aufzustellen. Denn erst nach dem Absolvieren einer solchen

Schulung können Bibliotheksangehörige erfolgversprechend als Mentorinnen und

Mentoren fungieren. In realistischer Einschätzung wird sich der Start von Mentoring an

der UB Wien in das Frühjahr 2011 verschieben.

Weiterführung des Prozesses und personelle Erneuerung der Steuerungsgruppe

In der Zielvereinbarung zwischen der Leitung der DLE Bibliotheks- und Archivwesen

und dem Rektorat der Universität Wien für das Jahr 2010 konnte vereinbart werden,

dass der Strategieentwicklungsprozesse weitergeführt und auch budgetiert wird. Die

Beratungsfirma Kienast & Kienast wurde dazu wieder als externe Begleitung

gewonnen. Außerdem wurde in der Zielvereinbarung beschlossen, dass der

116

Strategieentwicklungsprozess im Rahmen der für das Jahr 2010 vorgenommenen Peer-

Evaluation der DLE Bibliotheks- und Archivwesen evaluiert wird.

Auf Initiative der Steuerungsgruppe hat das Entscheidungsteam mit Mitte 2010 etwa die

Hälfte der Mitglieder dieses Lenkungsgremiums ausgetauscht. Diese Rotation erfolgte

bei einem Treffen der Steuerungsgruppe, des Entscheidungsteams und der externen

Beratung am 28. Juni 2010. Da die Mitarbeit in der Steuerungsgruppe von der UB-

Leitung auch als Personalentwicklungsmaßnahme angesehen wird, gibt das die

Möglichkeit, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend zu fördern. Weiters

werden die über einen längeren Zeitraum engagierten Mitglieder durch ihr Ausscheiden

wieder für andere Aufgaben frei gespielt. Zudem wird eine neue Dynamik in die

Steuerungsgruppe hineingetragen. Als nächste Aufgabe kommt auf diese aktualisierte

Steuerungsgruppe die Evaluation der Prototypen zu.

4.5. Nächste Schritte

4.5.1. Evaluation der Prototypen durch die Steuerungsgruppe

In weiterer Folge ist geplant, dass die Steuerungsgruppe in Abstimmung mit dem

Entscheidungsteam die Ergebnisse der Praxiserprobung der Prototypen nach einer rund

viermonatigen Laufzeit im Herbst 2010 evaluiert und prüft, ob eine Weiterführung des

jeweiligen Prototyps im Regelbetrieb der UB Wien möglich bzw. sinnvoll ist. Aus

dieser Evaluation werden die nächsten konkreten Schritte abgeleitet.

4.5.2. Evaluation der Strategieentwicklung durch die Peer-Evaluation

Im Rahmen des siebenjährigen Zyklus der Evaluation von Dienstleistungseinrichtungen

und Stabsstellen an der Universität Wien wird die UB Wien im Jahr 2010 evaluiert.

Unterstützt wird die Evaluation von der Besonderen Einrichtung für Qualitätssicherung

der Universität Wien. Die Evaluierung von Dienstleistungseinrichtungen und anderen

administrativen Einheiten erfolgt in einem zweistufigen Prozess mit einer

Selbstevaluation inklusive einer Befragung der Benützerinnen und Benützer sowie einer

117

Fremdevaluation durch externe Expertinnen und Experten. Für die Fremdevaluation der

UB Wien wurden folgende Personen ausgewählt und gewonnen: Sheila Corrall,

Professorin für Bibliothekswesen und Informationsmanagement an der University of

Sheffield, Michael Cotta-Schönberg, stellvertretender Generaldirektor der Royal

Library Denmark und Direktor der Universitätsbibliothek Kopenhagen, James J.

Duderstadt, emeritierter Professor und ehemaliger Präsident der University of Michigan

in Ann Arbor, und Petra Hätscher, Direktorin der Bibliothek der Universität Konstanz.

Diese vier Fachleute werden die UB Wien bei ihrem Site Visit am 30. September und 1.

Oktober 2010 besuchen. Nach dem Site Visit verfassen die Evaluatorinnen und

Evaluatoren einen Endbericht, zu dem die UB Wien Stellung nehmen kann. Der

Endbericht der Peers sowie die Stellungnahme der DLE werden veröffentlicht. Das

Follow-Up umfasst die Erstellung eines Maßnahmenkatalogs zur Qualitätssicherung

inklusive Zeitplan sowie das Monitoring dieser Maßnahmen durch die Besondere

Einrichtung für Qualitätssicherung und das Rektorat.

Im Rahmen dieser Peer-Evaluation werden auch die Resultate des

Strategieentwicklungsprozesses geprüft werden. Diese Prüfergebnisse werden neben der

bibliotheksinternen Einschätzung des Strategieentwicklungsprozesses die weitere

Vorgehensweise der UB Wien bei Form und Inhalt ihrer Strategieentwicklung

maßgeblich mitbestimmen.

118

5. Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven

5.1. Ergebnisse der Evaluationen

Im Herbst 2010 wird die Strategieentwicklung der UB Wien auf zwei Ebenen evaluiert:

Die Prototypen werden UB-intern von der Steuerungsgruppe evaluiert, der

Gesamtprozess UB-extern von den Peers. Hier gilt es, die Ergebnisse abzuwarten und

für die weitere Optimierung der Organisationsentwicklung zu nützen.

5.2. Zwischenbilanz zur Strategieentwicklung – Lessons Learned

Um Zukunftsperspektiven zu entwerfen, ist es notwendig, das Erreichte zu prüfen und

als Ausgangsbasis für weitere Entwicklungen zu bewerten. Im Sinn von

Qualitätsmanagement ist es angeraten, Lernerfahrungen, die während des Prozesses

gemacht wurden, zusammenzutragen und wieder in den Prozess hineinzutragen. Als

Grundschema der kurzen Zwischenbewertung werden nach dem SWOT-Modell die

Stärken (Strengths), Schwächen (Weaknesses), Chancen (Opportunities) und Risiken

(Threats) der bisherigen Strategieentwicklung dargestellt.

5.2.1. Stärken

Die Stärken des Strategieentwicklungsprozesses an der UB Wien liegen in der

Umsetzung der Ergebnisse in der Praxis. Dies kann in zweierlei Hinsicht gesehen

werden. Erstens ist es gelungen, den Großteil der Prototypen in überschaubarer Zeit und

auf adäquatem Qualitätsniveau in die operative Ebene der Organisation zu bringen. Es

wurde nicht (nur) Papier produziert, sondern die Aktivität der Organisation wurde

tatsächlich verändert. Zweitens hat der Prozess die Organisationskultur der UB Wien

massiv und nachhaltig weiterbewegt. Breit unterstützt wurden neue Formen des

gemeinsamen Arbeitens eingeübt und für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neue

Kommunikationsverfahren (z. B. moderierte Diskussionen) praktiziert, die – flankiert

durch spezielle Trainingsmaßnahmen – gleich Eingang in den Regelbetrieb der 119

Bibliothek gefunden haben. Partizipation und Empowerment wurden von den

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur als Konzepte verstanden, sondern als

Realitäten erfahren. Dies stärkte das Vertrauen in die DLE-Leitung und

verallgemeinerte das Verantwortungsbewusstsein gegenüber der UB Wien und in Folge

der Universität Wien. Die UB Wien hat sich vor allem während der beiden

Großgruppentage als starke Organisation erlebt, und das hat vermutlich nachhaltig das

Selbstbewusstsein erhöht.

5.2.2. Schwächen

Die Schwächen des Strategieentwicklungsprozesses an der UB Wien liegen in der

Erstellung von kohärenten Konzepten. Die Strategiebildung erfolgte in der

Steuerungsgruppe sehr am Beispielfall, am Konkreten orientiert. Dadurch wurde ein

systematisches Herangehen an die strategische Positionierung der UB Wien

vernachlässigt. Das Strategieentwicklungskonzept zeigt insofern diese

Unausgewogenheit in der Schwerpunktsetzung, als manchen Handlungsfeldern

Maßnahmen zugeordnet sind, manchen nicht, die Qualität der Mission Statements sehr

unterschiedlich ausgefallen ist und die Vision über ein Abstimmungsverfahren

gewonnen wurde.

Eine weitere Schwäche liegt in der äußerst geringen Einbindung der Stakeholder der

UB Wien in den Prozess. Weder die Studierenden noch wichtige Leitungsorgane der

Universität wurden strukturell beteiligt. Einzig in den Dialogrunden zu den Prototypen

wurden Stakeholdervertreter als Gäste eingeladen. Es kann aber auf dem bisher

Geleisteten aufgebaut und an die Stakeholder herangetreten werden.

5.2.3. Chancen

Die Chancen, die aus dem Strategieentwicklungsprozess resultieren, sind vor allem in

der veränderten Organisationskultur zu sehen. Denn dabei entstand ein Pool hochaktiver

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die miteinander vernetzt sind, gemeinsame

Arbeitserfahrung gemacht haben und über die notwendigen Tools verfügen, Arbeit

120

innovativ, effektiv und effizient zu gestalten. Hier ist eine organisationale

Eigendynamik zu erwarten, von der die UB Wien sehr profitieren wird. Zudem haben

auch jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Auftrittsflächen im

Strategieentwicklungsprozess dahingehend genützt, dass sie innerhalb der Organisation

und ihren bislang eingespielten Verfahren sowie stereotypen Verhaltensmustern

plötzlich erhöhte Aufmerksamkeit erfahren und ihr Potential friktionsfrei einbringen

können. Die Chancen entstehen vor allem aus der konsequenten Ausrichtung des

Strategieentwicklungsprozess als großräumige Personalentwicklungsmaßnahme.

5.2.4. Risiken

Die Risiken, die der Strategieentwicklungsprozess in sich trägt, sind Demotivation und

Frustration der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese treten unabänderlich ein, wenn

die geweckten Erwartungen in Verbesserungen jeglicher Art enttäuscht werden, wenn

die vorgenommenen und zumeist lautstark deklarierten Ziele aus den Augen geraten,

wenn die Leitung das Interesse verliert und wenn sich der Prozess, ohne ans Ziel

gekommen zu sein, verläuft. Diese Risiken eignen nicht spezifisch dem

Strategieentwicklungsprozess der UB Wien, sondern wohnen allen

Organisationsveränderungsprozessen, die partizipatorisch angelegt sind, inne. Sollte der

Prozess scheitern, würde es Jahre dauern, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu

einem neuen Anlauf zu gewinnen, der Vertrauensverlust wäre zu hoch.

5.3. Erfolgskritische Perspektiven

5.3.1. Etablierung eines strategischen Managements

Vor dem Hintergrund der hier brainstormartigen SWOT-Analyse zeigt sich das

ausgeprägte Potential des Strategieentwicklungsprozesses, und es zeigt sich auch

augenfällig seine markanteste Schwäche: die fehlende Kohärenz, die mangelnde

Systematik, das zu geringe Abstraktionsniveau, der zu wenig ausgeprägte Blick auf das

Ganze der Organisation. Vermutlich wird es an diesem Punkt der

121

Organisationsentwicklung notwendig sein, die Top-Down-Aktivität zu intensivieren

und die Leitung der UB Wien stärker in die Strategieentwicklung zu involvieren.

Vermutlich wird die Leitung der UB Wien ein strategisches Management zu etablieren

haben, das aus der Gesamtperspektive der Organisation agiert und Kohärenz schafft.

5.3.2. Weiterentwicklung der Organisationskultur

Wie mehrfach gezeigt wurde, war die Weiterentwicklung der Organisationskultur eines

der zentralen Ziele und auch eine der Stärken des Strategieentwicklungsprozesses. Die

Arbeit an der Kultur einer Organisation ist ein nicht abzuschließendes Vorhaben und

damit als permanenter Prozess zu vergegenwärtigen. Die UB Wien wird hier sowohl die

erfolgreich beschrittenen Wege weitergehen, als auch entschieden, kreativ und

experimentierfreudig Neues erproben.

5.3.3. Innovation durch Prototyping

Im Rahmen der Strategieentwicklung der UB Wien wurde der Prototyp P4L (Prototypes

for Libraries) entwickelt. Als allgemeine Definition von Innovation, auf deren

Grundlage weiter aufgebaut werden soll, wurde ausgegeben: Innovationen sind

Produkte oder Dienstleistungen, die im österreichischen Bibliothekswesen noch nicht

eingesetzt werden oder nur wenig verbreitet sind. Sie wirken auf sämtliche Bereiche der

Bibliothek und umfassen z. B. neue Technologien und die Entwicklung neuer und die

Verbesserung bestehender Services.

Basierend auf dieser Definition ergaben sich für die DLE-Leitung überzeugende

Argumente, die für die Errichtung einer Innovationsstelle an der UB Wien sprachen, um

ein innovationsfreundliches Umfeld innerhalb der Bibliothek aufzubauen:

• Das allgemeine Bestreben der Bibliothek, sich als innovative Einrichtung

gegenüber der Universität und der Öffentlichkeit zu positionieren und zu

präsentieren,

122

• die Ausarbeitung von Antworten auf die rasante technologische Entwicklung im

Bereich der Informationstechnologie,

• die systematische Erfassung, Analyse und Koordination innovativer Ideen und

Vorschläge zu gewährleisten und

• den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Umsetzung ihrer Ideen

Unterstützung anzubieten.

Als Kernaufgaben der Innovationsstelle wurden folgende Handlungsfelder definiert:

Trendbeobachtung und -analyse, Freiräume für Ideen und Projekte, Projektberatung und

-entwicklung und strategische Planung. Um diese Vorhaben zu unterstützen, wurde P4L

in die ständige Einrichtung von ubw:innovation als Stabsstelle überführt, beginnend mit

Mitte 2010, wobei eine Vollzeitstelle innerhalb der UB Wien für diese neue Aufgabe

umgeschichtet wurde. Eine Arbeitsplanung wird derzeit erstellt, die ersten Ergebnisse

sollen im Oktober 2010 präsentiert werden.

Hier wird sich zu erweisen haben, welche Rolle die Produktion von Prototypen für die

Organisationsentwicklung der UB Wien einnehmen kann und wie erfolgreich diese

neue Stelle ist, die unmittelbar aus dem Strategieentwicklungsprozess generiert wurde.

Organisatorische Herausforderungen sind sicherlich die Abstimmung mit der DLE-

Leitung, die Koordination mit der noch immer aktiven Steuerungsgruppe und die

Verankerung in der Gesamtorganisation.

123

Resümee

Universitätsbibliotheken sind aktuell angesichts der Dynamik und Transformation des

Informationsmarkts in einer Situation der Ungewissheit über ihre zukünftige Relevanz

für ihre primäre Nutzergruppe. Sie stehen vor drängenden, gewiss auch unangenehmen,

aber allemal herausfordernden Fragen: Werden Forschende, Lehrende und Studierende

an Universitäten ihre Bibliothek konsultieren, wenn sie Information benötigen? In

welchem Ausmaß und in welcher Weise werden sie das tun? Werden die

Universitätsleitungen bzw. die Unterhaltsträger ihre personal- und kostenintensiven

Bibliotheken weiter ausfinanzieren, sobald sich Möglichkeiten einer kostengünstigeren

Informationsversorgung bei gleichem Qualitätslevel abzeichnen?

Die erste Antwort auf diese Fragen ist selbst eine Frage: Was müssen Bibliotheken tun,

um als Informationszentren zu reüssieren? Die Universitätsbibliothek Wien hat sich

diese Frage auch gestellt und ihre Beantwortung – zumindest teilweise – in einen von

der Bibliotheksleitung initiierten Strategieentwicklungsprozess gelegt. Die UB Wien

sollte aus einem bloßen Reagieren auf sich rasant verändernde Umwelten herausgeführt

werden, um proaktiv Zukunft selbst gestalten zu können.

Um den kooperativen Führungsstil der UB-Leitung dem Strategieentwicklungsprozess

einzuschreiben, wurde eine partizipatorisch ausgerichtete Vorgangsweise gewählt, an

der alle Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter teilnehmen können. Top-Down-

Verfahren wurden mit einer starken Bottom-Up-Bewegung verschränkt.

Die vorgelegte Master Thesis hatte sich vorgenommen, diesen Prozess bis zu seinem

Zwischenstand im September 2010 zu rekonstruieren. Dabei galt es zuerst, die Kontexte

und Voraussetzungen zu auszuweisen, in der sich diese

Organisationsentwicklungsmaßnahme bewegt. Sodann wurde das Zielssystem

dargestellt und der Prozess selbst detailliert in Struktur, Verlauf und Ergebnissen

geschildert. Dies erschien umso wichtiger, als eine der wesentlichen Absichten bei der

Prozessinitiierung in die Stärkung der partizipatorischen Prozessualität gelegt wurde,

um eine kooperative Organisationskultur zu forcieren. Eine Bewertung und eine

Perspektivensetzung der Strategieentwicklung schließen die Thesis ab.

124

Literaturverzeichnis

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