Biedermann und die Brandstifter - Libri...

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Max Frisch Biedermann und die Brandstifter Suhrkamp

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In »Biedermann und die Brandstifter« hat Max Frisch

den Kern des Verderbens von Person und Gemein-

schaft freigelegt: die verdorbene Sprache. Biedermann

und seine Frau unterliegen gegen die Brandstifter,

weil, was sie sagen, nicht gemeint ist. Ihre Sprache

dient nicht der Darstellung, sondern der Vorstellung.

Werner Weber

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9 783518 390450

ISBN 3-518-39045-7

€ 5,00 [D]

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M a x F r i s c h s S t ü c k Biedermann und die Brandstifter Ist die G e s c h i c h t e des B ü r g e r s G o t t l i e b B i e d e r m a n n , de r die Brands t i f t e r in sein H a u s e in­lädt , u m v o n ihnen - ve r zwe i f e l t e H o f f n u n g oppor tun i s t i s che r G u t ­müt igke i t u n d E in fa l t - v e r s c h o n t z u w e r d e n . D a s S t ü c k ent larvt p r ä ­z ise eine Ge i s t e sha l tung , die de r T e c h n i k des Tota l i tä ren z u m E r f o l g verhi l f t . Biedermann und die Brandstifter - eine po l i t i sche Pa rabe l , die ihre kr i t i sche K r a f t n icht aus de r E n t l a r v u n g de r L ü g e u n d de r M a n i p u l a t i o n bez ieht , s o n d e r n aus de r I n s z e n i e r u n g de r b i e d e r m ä n n i ­schen W e r t l o s i g k e i t g e g e n ü b e r V e r b r e c h e r n , die s ich ü b e r h a u p t n icht tarnen, die v i e l m e h r - w o r a n er inner t das? - v o n A n f a n g an sagen, w a s sie w i r k l i c h w o l l e n .

D a s » L e h r s t ü c k o h n e L e h r e « w u r d e a m 29. M ä r z 1958 a m S c h a u ­spie lhaus Z ü r i c h uraufgeführ t . D i e deu t sche E r s t a u f f ü h r u n g mi t de r U r a u f f ü h r u n g des Nachspiels w a r a m 28. S e p t e m b e r 1958 an den S täd t i schen B ü h n e n F r a n k f u r t a m M a i n . Biedermann und die Brand­stifter gehör t seit J a h r e n n icht n u r z u m Thea te r r epe r to i r e , s o n d e r n auch z u m L e k t ü r e k a n o n i m Deu t schun te r r i ch t .

M a x F r i s c h , a m 15 . M a i 1911 in Z ü r i c h g e b o r e n , s tarb do r t a m 4. A p r i l 1991. Se in W e r k erscheint Im S u h r k a m p Ver l ag .

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Max Frisch Biedermann und die

Brandstifter Ein Lehrstück ohne Lehre

Mit einem Nachspiel

Suhrkamp

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ebook Suhrkamp Verlag Berlin © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main

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der Übersetzung, des öff entlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen,

auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografi e, Mikrofi lm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

www.suhrkamp.deeISBN ----

Umschlagfoto: Stephan Erfurt

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Biedermann und die Brandstifter Ein Lehrstück ohne Lehre

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Personen; Herr Biedermann • Babette, seine Frau Anna, ein Dienstmädchen • Schmitz, ein Ringer

Eisenring, ein Kellner • Ein Polizist • Ein Dr. phil. Witwe Knechtung.

Der Chor, bestehend aus den Mannen der Feuerwehr

Szene; Eine Stube, ein Dachboden

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D i e Bühne ist finster, dann leuchtet ein Streichholz auf: man sieht das Gesicht von Herrn Biedermann, der sich eine Zigarre anzündet und jetzt, da es heller wird, sich seinerseits umsieht. Ringsum stehen Feuerwehrmänner in Helmen.

B I E D E R M A N N Nicht einmal eine Zigarre kann man heutzutage anzünden, ohne an Feuersbrunst zu denken!... das ist ja wi­derlich - Biedermann verbirgt die rauchende Zigarre und ver­zieht sich, worauf die Feuerwehr vortritt in der Art des antiken Chors. Eine Turmuhr schlägt: ein Viertel.

C H O R Bürger der Vaterstadt, seht Wächter der Vaterstadt uns, Spähend, Horchend, Freundlichgesinnte dem freundlichen Bürger -

C H O R F Ü H R E R Der uns ja schließlich bezahlt. C H O R Trefflichgerüstete

Wandeln wir um euer Haus, Wachsam und arglos zugleich.

C H O R F Ü H R E R Manchmal auch setzen wir uns, Ohne zu schlafen jedoch, unermüdlich

C H O R Spähend, Horchend, Daß sich enthülle Verhülltes, Eh' es zum Löschen zu spät ist, Feuergefährliches. Eine Turmuhr schlägt halb.

C H O R F Ü H R E R Feuergefährlich ist viel, Aber nicht alles, was feuert, ist Schicksal, Unabwendbares.

C H O R Anderes nämlich, Schicksal genannt, Daß du nicht fragest, wie's kommt, Städtevernichtendes auch, Ungeheures, Ist Unfug,

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C H O R F Ü H R E R Menschlicher, C H O R Allzumenschlicher, C H O R F Ü H R E R Tilgend das sterbliche Bürgergeschlecht.

Eine Turmuhr schlägt: drei Viertel. C H O R Viel kann vermeiden Vernunft. C H O R F Ü H R E R Wahrlich: C H O R Nimmer verdient es der Gott,

Nimmer der Mensch, Denn der, achtet er Menschliches so, Nimmer verdient er den Namen Und nimmer die göttliche Erde, Die unerschöpfliche, Frachtbar und gnädig dem Menschen, Und nimmer die Luft, die er atmet, Und nimmer die Sonne -Nimmer verdient, Schicksal zu heißen, bloß weil er geschehen: Der Blödsinn, Der nimmerzulöschende einst! Die Turmuhr schlägt: vier Viertel.

C H O R F Ü H R E R Unsere Wache hat begonnen. Der Chor setzt sich, während der Stundenschlag tönt: neun Uhr.

Szene i

Stube Gottlieb Biedermann sitzt in seiner Stube und liest die Zeitung, eine Zigarre rauchend, und Anna, das Dienstmädchen mit weißem Schürzchen, bringt eine Flasche Wein.

A N N A Herr Biedermann? - Keine Antwort. Herr Biedermann -Er legt die Zeitung zusammen.

B I E D E R M A N N Aufhängen sollte man sie. Hab ich's nicht immer gesagt? Schon wieder eine Brandstiftung. Und wieder die-

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selbe Geschichte, sage und schreibe: w i e d e r so ein Hausierer, der sich i m Dachboden einnistet, ein harmloser Hausie­rer . . . Er nimmt die Flasche. Aufhängen sollte man sie! Er nimmt den Korkenzieher.

A N N A Herr Biedermann -B I E D E R M A N N Was denn? A N N A Er ist noch immer d a .

B I E D E R M A N N Wer? A N N A Der Hausierer, der Sie sprechen möchte. B I E D E R M A N N Ich bin nicht zu Hause! A N N A Das hab ich ihm gesagt, Herr Biedermann, schon vor einer

Stunde. Er sagt, er kenne Sie. Herr Biedermann, ich kann die­sen Menschen nicht vor die Tür werfen. Ich kann's nicht!

B I E D E R M A N N WieSO nicht? A N N A Nämlich er ist sehr kräftig...

Biedermann zieht den Korken. B I E D E R M A N N Er soll morgen ins Geschäft kommen. A N N A Ich hab's ihm gesagt, Herr Biedermann, schon dreimal,

aber das interessiert ihn nicht. B I E D E R M A N N W i e S O nicht? A N N A Er will kein Haarwasser. B I E D E R M A N N Sondern? A N N A Menschlichkeit...

Biedermann riecht am Korken. B I E D E R M A N N Sagen Sie ihm, ich werde ihn eigenhändig vor die

Tür werfen, wenn er nicht sofort verschwindet. Er füllt sorgsam sein Burgunder glas. Menschlichkeit!... Er kostet den Wein. Er soll im Flur draußen warten. Ich komme sofort. Wenn er irgend etwas verkauft, ein Traktat oder Rasierklingen, ich bin kein Unmensch, aber - ich bin kein Unmensch, Anna, das wissen Sie ganz genau! - aber es kommt mir keiner ins Haus. Das habe ich Ihnen schon hundertmal gesagt! Und wenn wir

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drei freie Betten haben, es kommt nicht in Frage, sag ich, nicht in Frage. Man weiß, wohin das führen kann - heutzutage... Anna will gehen und sieht, daß der Fremde eben eingetre­ten ist: ein Athlet, sein Kostüm erinnert halb an Strafanstalt und halb an Zirkus. Tätowierung am Arm, Lederbinde um die Handgelenke. Anna schleicht hinaus. Der Fremde wartet, bis Biedermann seinen Wein gekostet hat und sich umdreht.

S C H M I T Z Guten Abend. Biedermann verliert die Zigarre vor Verblüffung. Ihre Zigarre, Herr Biedermann -Er hebt die Zigarre auf und gibt sie Biedermann.

B I E D E R M A N N Sagen Sie mal -S C H M I T Z Guten Abend! B I E D E R M A N N Was soll das heißen? Ich habe dem Mädchen aus­

drücklich gesagt, Sie sollen im Flur draußen warten. Wieso -ich muß schon sagen.. . ohne zu klopfen...

S C H M I T Z Meine Name ist Schmitz. B I E D E R M A N N Ohne zu klopfen. S C H M I T Z Schmitz Josef.

Schweigen Guten Abend!

B I E D E R M A N N Und was wünschen Sie? S C H M I T Z Herr Biedermann brauchen keine Angst haben: Ich

bin kein Hausierer! B I E D E R M A N N Sondern? S C H M I T Z Ringer von Beruf. B I E D E R M A N N Ringer? S C H M I T Z Schwergewicht. B I E D E R M A N N Ich S e h e .

S C H M I T Z Das heißt: gewesen. B I E D E R M A N N Und J C t Z t ?

S C H M I T Z Arbeitslos. Pause Herr Biedermann brauchen keine Angst haben, ich suche keine Arbeit. Im Gegenteil. Die Ringerei ist mir verleidet...

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Bin nur gekommen, weiFs draußen so regnet. Pause Hier ist's wärmer. Pause Hoffentlich stör ich nicht. -Pause

B I E D E R M A N N Rauchen Sie? Er bietet Zigarren an.

S C H M I T Z Das ist schrecklich, Herr Biedermann, wenn einer so gewachsen ist wie ich. Alle Leute haben Angst vor mir . . . Danke! Biedermann gibt ihm Feuer. Danke. Sie stehen und rauchen.

B I E D E R M A N N Kurz und gut, was wünschen Sie? S C H M I T Z Mein Name ist Schmitz. B I E D E R M A N N Das sagten Sie schon, ja, sehr erfreut -S C H M I T Z Ich bin obdachlos.

Er hält die Zigarre unter die Nase und kostet den Duft. Ich bin obdachlos.

B I E D E R M A N N Wollen Sie - ein Stück Brot? S C H M I T Z Wenn Sie nichts andres haben... B I E D E R M A N N Oder ein Glas Wein? S C H M I T Z Brot und Wein... Aber nur wenn ich nicht störe, Herr

Biedermann, nur wenn ich nicht störe! Biedermann geht zur Tür.

B I E D E R M A N N Anna! Biedermann kommt zurück.

S C H M I T Z Das Mädchen hat mir gesagt, Herr Biedermann will mich persönlich hinauswerfen, aber ich habe gedacht, Herr Biedermann, daß das nicht Ihr Ernst ist... Anna ist eingetreten.

B I E D E R M A N N Anna, bringen Sie ein zweites Glas. A N N A Sehr wohl. B I E D E R M A N N Und etwas Brot - ja. S C H M I T Z Und wenn's dem Fräulein nichts ausmacht: etwas

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Butter. Etwas Käse oder kaltes Fleisch oder so. Nur keine Umstände. Ein paar Gurken, eine Tomate oder so, etwas Senf - was Sie grad haben, Fräulein.

A N N A Sehr wohl. S C H M I T Z Nur keine Umstände!

Anna geht hinaus. B I E D E R M A N N Sie kennen mich, haben Sie dem Mädchen gesagt. S C H M I T Z Freilich, Herr Biedermann, freilich. B I E D E R M A N N Woher? S C H M I T Z Nur von Ihrer besten Seite, Herr Biedermann, nur von

Ihrer besten Seite. Gestern abend am Stammtisch, ich weiß, Herr Biedermann haben mich gar nicht bemerkt in der Ecke, die ganze Wirtschaft hat sich gefreut, Herr Biedermann, jedes Mal, wenn Sie mit der Faust auf den Tisch geschlagen ha™ ben.

B I E D E R M A N N Was habe ich denn gesagt? S C H M I T Z Das Einzigrichtige.

Er raucht seine Zigarre, dann: Aufhängen sollte man sie. Alle. Je rascher, um so besser. Auf­hängen. Diese Brandstifter nämlich... Biedermann bietet einen Sessel an.

B I E D E R M A N N Bitte. -Schmitz setzt sich.

S C H M I T Z Männer wie Sie, Herr Biedermann, das ist's, was wir brauchen!

B I E D E R M A N N Jaja, gewiß, aber -S C H M I T Z Kein Aber, Herr Biedermann, kein Aber! Sie sind noch

vom alten Schrot und Korn, Sie haben noch eine positive Ein­stellung. Das kommt davon.

B I E D E R M A N N Gewiß -S C H M I T Z Sie haben noch Zivilcourage. B I E D E R M A N N Sicher -S C H M I T Z Das kommt eben davon. B I E D E R M A N N Wovon? S C H M I T Z Sie haben noch ein Gewissen, das spürte die ganze

Wirtschaft, ein regelrechtes Gewissen.

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B I E D E R M A N N Jaja, natürlich -S C H M I T Z Herr Biedermann, das ist gar nicht natürlich. Heutzu­

tage. Im Zirkus, wo ich gerungen hab, zum Beispiel - und drum, sehn Sie, ist er dann auch niedergebrannt, der ganze Zirkus! - unser Direktor zum Beispiel, der hat gesagt: Sie können mir, Sepp! - Ich heiße doch Josef... Sie können mir! hat er gesagt: Wozu soll ich ein Gewissen haben? Wörtlich. Was ich brauche, um mit meinen Bestien fertlgzuwerden, das ist 'ne Peitsche. Wörtlich! So einer war das. Gewissen! hat er gelacht: Wenn einer ein Gewissen hat, so Ist es meistens ein schlechtes... Er raucht genußvoll. Gott hab Ihn selig.

B I E D E R M A N N Das heißt, er Ist tot? S C H M I T Z Verbrannt mit seinem ganzen Plunder...

Eine Standuhr schlägt neun. B I E D E R M A N N Versteh nicht, was das Mädchen so lange macht! S C H M I T Z Ich hab Zeit. -

Es gibt sich, daß sie einander plötzlich in die Augen blicken. Sie haben auch kein freies Bett im Haus, Herr Biedermann, das Mädchen sagte es schon -

B I E D E R M A N N Warum lachen Sie? S C H M I T Z Leider kein freies Bett! das sagen nämlich alle, kaum

daß ein Obdachloser - und dabei will ich gar kein Bett. B I E D E R M A N N Nein? S C H M I T Z Ich bin's gewohnt, Herr Biedermann, auf dem Bo­

den zu schlafen. Mein Vater war Köhler. Ich bin's ge­wohnt . . . Er raucht vor sich hin. Kein Aber, Herr Biedermann, kein Aber! sag ich: Sie sind kei­ner von denen, der in der Wirtschaft ein großes Maul verreißt, well er Schiß hat. Ihnen glaub ich's. Leider kein freies Bett! -das sagen alle - aber Ihnen, Herr Biedermann, glaub ich aufs Wort . . . Wo führt das noch hin, wenn keiner mehr dem andern glaubt? Ich sag immer: Wo führt das noch hin, Kinder! jeder hält den andern für einen Brandstifter, nichts als Mißtrauen in

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der Welt. Oder hab ich nicht recht? Das spürte die ganze Wirtschaft, Herr Biedermann: Sie glauben noch an das Gute in den Menschen und in sich selbst. Oder hab ich nicht recht? Sie sind der erste Mensch in dieser Stadt, der unsereinen nicht einfach wie einen Brandstifter behandelt -

B I E D E R M A N N Hier ist ein Aschenbecher. S C H M I T Z Oder hab ich nicht recht?

Er schlägt sorgsam die Asche seiner Zigarre ah. Die meisten Leute heutzutage glauben nicht an Gott, sondern an die Feuerwehr.

B I E D E R M A N N Was wollen Sie damit sagen? S C H M I T Z Die Wahrheit.

Anna bringt ein Tablettchen. A N N A Kaltes Fleisch haben wir keins. S C H M I T Z Das genügt, Fräulein, das genügt - nur den Senf haben

Sie noch vergessen. A N N A Entschuldigung!

Anna geht hinaus. B I E D E R M A N N Essen Sie! -

Biedermann füllt die Gläser. S C H M I T Z Nicht überall, Herr Biedermann, wird man so emp­

fangen. Das kann ich Ihnen sagen! Ich habe schon Dinge er­lebt- Kaum tritt unsereiner über die Schwelle, Mann ohne Krawatte, obdachlos, hungrig: Nehmen Sie Platz! heißt es, und hintenherum rufen sie die Polizei. Was finden Sie dazu? Ich frage nach einem Obdach, nichts weiter, ein braver Ringer, der sein Leben lang gerungen hat; da packt so ein Herr, der noch nie gerungen hat, unsereinen am Kragen - Wieso? frag ich und dreh mich bloß um, bloß um ihn anzublicken, schon hat er die Schulter gebrochen. Er nimmt das Glas. Prost! Sie trinken, und Schmitz beginnt zu futtern.

B I E D E R M A N N E S ist halt so eine Sache, mein Herr, heutzutage. Keine Zeitung kann man mehr aufschlagen: Schon wieder so eine Brandstifterei! Und wieder die alte Geschichte, sage und

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schreibe: Wieder ein Hausierer, der um Obdach bittet, und am andern Morgen steht das Haus in Flammen... Ich meine nur -offengesprochen: Ich kann ein gewisses Mißtrauen schon ver­stehen. Er greift zu einer Zeitung. Hier: bitte! Er legt ihm die offene Zeitung neben den Teller.

S C H M I T Z Ich hab's gelesen. B I E D E R M A N N Ein ganzer Stadtteil.

Er erhebt sich, um es Schmitz zu zeigen. Hier: lesen Sie das! Schmitz futtert und liest und trinkt.

S C H M I T Z Beaujolais? B I E D E R M A N N Ja.

S C H M I T Z Dürfte noch etwas wärmer sein. . . Er liest über den Teller hinweg. » - scheint es, daß die Brandstiftung nach dem gleichen Muster geplant und durchgeführt worden ist wie schon das letzte Mal.« Sie geben einander einen Blick.

B I E D E R M A N N Ist das nicht unglaublich?! Schmitz legt die Zeitung weg.

S C H M I T Z Drum les ich ja keine Zeitungen. B I E D E R M A N N Wie meinen Sie das? S C H M I T Z WeiPs immer wieder dasselbe ist. B I E D E R M A N N Jaja, mein Herr, natürlich, aber - das ist doch

keine Lösung, mein Herr, einfach keine Zeitung lesen; schließlich und endlich muß man doch wissen, was einem be­vorsteht.

S C H M I T Z W O Z U ?

B I E D E R M A N N Einfach so. S C H M I T Z Es kommt ja doch, Herr Biedermann, es kommt ja

doch! Er riecht an der Wurst. Gottesgericht. Er schneidet sich Wurst ab.

B I E D E R M A N N Meinen Sie?

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Anna bringt den Senf. S C H M I T Z Danke, Fräulein, danke! A N N A Sonst noch etwas? S C H M I T Z Heute nicht.

Anna bleibt bei der Türe. Senf ist nämlich meine Leibspeise -Er drückt Senf am der Tube.

B I E D E R M A N N Wieso Gottesgericht?! S C H M I T Z Weiß ich ' s . . .

Er futtert und blickt nochmals in die Zeitung. » - scheint es den Sachverständigen, daß die Brandstiftung nach dem gleichen Muster geplant und durchgeführt worden ist wie schon das letzte Mal.« Er lacht kurz, dann füllt er sein Glas mit Wein.

A N N A Herr Biedermann? B I E D E R M A N N Was denn? A N N A Herr Knechtung möchte Sie sprechen. B I E D E R M A N N Knechtling? Jetzt? Knechtung? A N N A Er sagt -B I E D E R M A N N Kommt nicht in Frage. A N N A Er könne Sie gar nicht verstehen -B I E D E R M A N N Wozu muß er mich verstehen? A N N A Er habe eine kranke Frau und drei Kinder -B I E D E R M A N N Kommt nicht in Frage! sag ich.

Er ist aufgestanden vor Ungeduld. Herr Knechtling! Herr Knechtling! Herr Knechtling soll mich gefälligst in Ruh lassen, Herrgott nochmal, oder er soll einen Anwalt nehmen. Bitte! Ich habe Feierabend. Herr Knechtling! Ich verbitte mir dieses Getue wegen einer Kündigung. Lä­cherlich! Und dabei gibt's heutzutage Versicherungen wie noch nie in der Geschichte der Menschheit... Ja! Soll er einen Anwalt nehmen. Bitte! Ich werde auch einen Anwalt nehmen. Beteiligung an seiner Erfindung. Soll er sich unter den Gas­herd legen oder einen Anwalt nehmen - bitte! - wenn Herr Knechtling es sich leisten kann, einen Prozeß zu verlieren oder zu gewinnen. Bitte! Bitte!

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Er beherrscht sich mit Blick auf Schmitz. Sagen Sie Herrn Knechtung: Ich habe Besuch. Anna geht hinaus. Sie entschuldigen!

S C H M I T Z Sie sind hier zu Haus, Herr Biedermann. B I E D E R M A N N Schmeckt es denn?

Er setzt sich und schaut zu, wie der Gast genießt. S C H M I T Z Wer hätte gedacht, ja, wer hätte gedacht, daß es das

noch gibt! Heutzutage. B I E D E R M A N N Senf? S C H M I T Z Menschlichkeit.

Er schraubt die Tube wieder zu. Ich meine nur so: Daß Sie mich nicht einfach am Kragen pak-ken, Herr Biedermann, um unsereinen einfach auf die Straße zu werfen - hinaus in den Regen! - sehen Sie, das ist's, Herr Biedermann, was wir brauchen: Menschlichkeit. Er nimmt die Flasche und gießt sich ein. Vergelte Gott. Er trinkt und genießt es sichtlich.

B I E D E R M A N N Sie müssen jetzt nicht denken, Herr Schmitz, daß ich ein Unmensch sei -

S C H M I T Z Herr Biedermann! B I E D E R M A N N Frau Knechtllng nämlich behauptet das! S C H M I T Z Wenn Sie ein Unmensch wären, Herr Biedermann,

dann würden Sie mir heute nacht kein Obdach geben, das ist mal klar.

B I E D E R M A N N Nicht wahr? S C H M I T Z Und wenn's auch nur auf dem Dachboden ist.

Er stellt das Glas nieder. Jetzt ist er richtig, unser Wein. Es klingelt an der Haustür. Polizei - ?

B I E D E R M A N N Meine Frau -S C H M I T Z Hm.

Es klingelt nochmals. B I E D E R M A N N Kommen Sie!... Aber unter einer Bedingung,

mein Herr: Kein Lärm! Meine Frau ist herzkrank -

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Man hört Frauenstimmen draußen, und Biedermann winkt dem Schmitz, daß er sich beeile, und hilft, Tablettchen und Glas und Flasche werden mitgenommen, sie gehen auf Fuß­spitzen nach rechts, wo aber der Chor sitzt.

B I E D E R M A N N Sie entschuldigen! Er steigt über die Bank.

S C H M I T Z Sie entschuldigen! Er steigt über die Bank, und sie verschwinden, während von links Frau Biedermann in die Stube tritt, begleitet von Anna, die ihr die Sachen abnimmt.

B A B E T T E Wo ist mein Mann? Sie wissen, Anna, wir sind keine Spießer: Sie können einen Schatz haben, aber ich will nicht, Anna, daß Sie ihn im Haus verstecken.

A N N A Frau Biedermann, ich hab aber keinen. B A B E T T E Und wem gehört das rostige Fahrrad, das unten neben

unsrer Haustüre steht? Ich bin ja zu Tod erschrocken -

Dachboden Biedermann knipst das Licht an, man sieht den Dachboden, er winkt dem Schmitz, daß er eintreten soll, es wird nur geflü­stert.

B I E D E R M A N N Hier Ist der Schalter... Wenn Sie kalt haben, ir­gendwo gibt's ein altes Schaffell, glaub ich - aber leise, Herr™ gott nochmal... Ziehn Sie die Schuhe aus! Schmitz stellt das Tablettchen ab und zieht einen Schuh aus. Herr Schmitz -

S C H M I T Z Herr Biedermann? B I E D E R M A N N Sie versprechen es mir aber: Sie sind aber wirklich

kein Brandstifter? Schmitz muß lachen. Seht! Er nickt gut' Nacht, geht hinaus und macht die Türe zu, Schmitz zieht den anderen Schuh aus.

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Stube Babette hat etwas gehört und horcht, sie blickt entsetzt, dann plötzlich Erleichterung, sie wendet sich an den Zuschauer.

B A B E T T E Mein Mann, der Gottlieb, hat mir versprochen, jeden Abend persönlich auf den Dachboden zu gehen, um persön­lich nachzuschauen, ob kein Brandstifter da ist. Ich bin ihm dankbar. Sonst könnte ich nämlich die halbe Nacht lang nicht schlafen...

Dachboden Schmitz geht zum Schalter, jetzt in Socken, und löscht das Licht.

Chor Bürger der Vaterstadt, seht Wachen uns, Wächter der Unschuld, Arglos noch immer, Freundlichgesinnte der schlafenden Stadt, Sitzend, Stehend -

C H O R F Ü H R E R Manchmal eine Pfeife stopfend zur Kurzweil. C H O R Spähend,

Horchend, Daß nicht ein Feuer aus traulichen Dächern Lichterloh Tilge die Vaterstadt uns. Eine Turmuhr schlägt drei.

C H O R F Ü H R E R Jedermann weiß, daß wir da sind, und weiß: Anruf genügt. Er stopft sich die Pfeife.

C H O R Wer denn macht Licht in der Stube Um diese Stunde? Wehe, in nervenzerrüttetem Zustand Schlaflos-unselig Seh ich die Gattin. Babette erscheint im Morgenrock.

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Page 21: Biedermann und die Brandstifter - Libri GmbHmedia.libri.de/shop/coverscans/135/13560576_lprob.pdfweil, was sie sagen, nicht gemeint ist. Ihre Sprache dient nicht der Darstellung,sondern

B A B E T T E Da hustet einer!... Man hört Schnarchen. Gottlieb! Hörst du's denn nicht? Man hört Husten. Da ist doch einer!... Man hört Schnarchen. Männer! dann nehmen sie einfach ein Schlafpulver. Eine Turmuhr schlägt vier.

C H O R F Ü H R E R 's ist vier Uhr. Babette löscht das Licht wieder.

C H O R F Ü H R E R Aber ein Anruf kam nicht. Er steckt die Pfeife wieder ein, es wird hell im Hintergrund.

C H O R Strahl der Sonne, Wimper, o göttlichen Auges, Aufleuchtet noch einmal Tag Uber den traulichen Dächern der Stadt.

Heil uns! Nichts ist geschehen der nächtlichen Stadt, Heute noch nichts...

Heil uns! Der Chor setzt sich.

Szene 2

Stube Biedermann steht in Mantel und Hut, Ledermappe unterm Arm, trinkt seinen Morgenkaffee und spricht zur Stube hinaus.

B I E D E R M A N N - - zum letzten Mal: Er ist kein Brandstifter. S T I M M E Woher weißt du das? B I E D E R M A N N Ich habe ihn ja selbst gefragt... Und überhaupt:

Kann man eigentlich nichts anderes mehr denken in dieser Welt? Das ist ja zum Verrücktwerden, ihr mit euren Brand­stiftern die ganze Zeit -Babette kommt mit einem Milchkrug. Zum Verrücktwerden!

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