BINDING (1913)- Deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil

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^^,^i^r-r Grandriss B.'M" des ^ Deutschen Strafrechts Allgemeiner Teil Von Dr. Karl Binding ordentlichem Pi-ofessor der Rechte in Leipzig. %. 1. I Ai^hte, iwit der sii^j^es^n gtejchlautende Aiiflage. -c^-<í35>-o Leipzig Verjag von Félix Meiner 1913. H <\ ,, . \,,, -f;:Cixx> • Al«í r*K:aiía - t'^anual^^ ^.

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Derecho Penal Aleman

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Grandriss B.'M" des ^

Deutschen Strafrechts

Allgemeiner Teil

Von

Dr. Karl Binding ordentlichem Pi-ofessor der Rechte in Leipzig.

%. 1. I Ai^hte, iwit der sii^j^es^n gtejchlautende Aiiflage.

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Leipzig Ver j ag von Fé l ix Meiner

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Meinen Zuhórern

aufs neue gewidmet.

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Vorwort zur siebenten Auflage.

Ais .,einseitiger Vertreter des Rechts und des Strafrechts ins-besondere" übergebe ich meinen Horern aufs neue diesen Grundriss des Strafrechts — von den Vielseitigen und den Dilettanten darum sicher, aber zu meiner Freude, lebhaft getadelt, dazu jedoch genotigt durch den Stolz auf meine Wissenschaft und ihren Gegenstand — wer kann des Stolzes auf den wunderbaren Bau der Rechtsordnung weniger entbehren, ais der, der ihíi so selten hat: der Mann des Rechts? —, dc3s Weiteren durch meine Abneigung gegen alies dilettantische Treiben, das mir verachtlich wird, wenn es sich aufblaht und mit der An-massung verbindet.

Ich bin Lehrer des Strafrechts und ais solcher will ich und darf ich nichts Anderes lehren ais eben Strafrecht. Mogen die Dilettanten und die juristischen Apostaten die Rolle dieses Rechtsteiles und derer, die sich ihm widmen, auf das bescheidenste Mass zurückführen wollen : das Verbrechen und der Verbrecher — Beide sind leider unsterblich, und eine Ahndung des Verbrechens wird es geben, so lange die Welt steht!

Das Verbrechen zu lehren samt seiner Rechtsfolge wird also stets eine grosse, scharf geschlossene Aufgabe der Rechtswissenschaft bleiben. Gerade dieser Lehre habe ich mein Leben gewidmet, und meine Zuhorer etwas Anderes zu lehren, ais ich weiss und sie gerade an dieser Stelle lernen soUen, hielte ich das Eine für eine Charlatanerie und das Andere für eine Gewissenlosigkeit ihnen gegenüber.

Da auch der Kriminalist noch sozusagen ein Mensch ist, kann er sich bei dem Gedanken an das doppelte Schicksal, ais welches sich das Verbrechen für die Menschheit und für ihr sundines Mitglied zugleich darstellt, der tiefsten Bewegung nicht entschlagen. Und ganz von selbst wendet sich sein Blick rückwarts in die Zeit vor der Missetat und er fragt sich: Hatte sie nicht verhütet werden konnen, verhütet werden soUen, und wie?

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Und Gedanken nach Gedanken im Dienst der Vorbeugung schwirren ihm durch den Kopf. Denn auch ihn freut die verhütete Missetat unendlich mehr ais selbst die vollkommen gerecht geahndete. Und wie weit bleibt das Menschenwerk der Verbrechens-Bestrafung hinter der Anforderung voUendeter Gerechtigkeit zurück! Les choses parfaites ne sont pas du ressort de l'humanité, klagte schon Friedrich der Grosse, angesichts der Unmoglichkeit vollkommene Gesetze zu schaffen!

SoUte also der Kriminalist nicht dem Prophylaktiker die Hand zum gemeinsamen „Kanipfe gegen das Verbrechen" reichen? Ja stünde ihm nicht wol an, den Schwerpunkt seiner ganzen Tatigkeit statt in die Aimdung des Verbrechens in dessen Hinderung zu ver-legen? Lebhaft genug wird er von alien Seiten dazu aufgefordert! Erleuchtete Augen sehen „neue Horizonte", und ihre Tráger werden heftig und ausfallend gegen die Rückstandigen, deren Blick jene „neuen Horizonte" nur ais alte und neue Nebelbanke erkannt hat^

Dieser ganze Begriíf der „Verbrechensbekampfung" aber, wo-von die Strafrechtspflege nur eine kleine Unterabteilung darstellen solí, entbehrt aller wissenschaftlichen Brauchbarkeit. Denn was durch die Vorbeugungsmassnahmen bekampft werden solí, ist nicht das „ Ver-brechen", sondern d i e N e i g u n g zum V e r b r e c h e n in d e r A l l -g e m e i n h e i t , und womit sich das Strafrecht allein zu befassen hat, ist allein d i e a i s b e g a n g e n g e d a c h t e u n d d i e w i r k l i c h b e -g a n g e n e M i s s e t a t d e s E i n z e l n e n . Gerade durch diese Tat wird eine ganz eigene dramatische Scene eingeleitet, die sich zwischen dem Staate und dem in concreto Schuldigen sozusagen unter vier Augen abspielt. Zu diesem Drama giebt es auf dem ganzen weiten Gebiete der „Verbrechensbekampfung" kein Gegenstück. Denn dieses Drama heisst Verbrech e r - Bekampfung!

Von alien den Massnahmen aber, die uns ais solche der Verbrechens-Prophylaxe bezeichnet und empfohlen werden, hat nicht eine einzige diese Hinderung zum alleinigen Zwecke^. Es sind nicht weniger ais alie die grossen Massnahmen der Wohlfahrtspflege, oder wie man heute lieber, aber nicht besser sagt, „der Sozialpolitik" gemeint, die ganz willkürlich in ihren wirklichen Zwecken beschrankt werden.

^ Übrigens ist docb vielleicht zu betonen, dass in dieser ganzen „modenien Bewegung" nicht ein einziger neuer Gedanke aufgetaucht ist! Sie sind alie schon früher vertreten worden — mit Ausnahme der bedingten Verurtei lung! Ihre Übereinstimmung mit den treibenden Gedanken und den praktischen Zieleu der Bewegung, welche die zweite Hálfte des 18. Jahrhunderts beherrscht hat, ist vielfach geradezu frappant!

' Nicht einmal von der Fürsorge für die entlassenen Stráflinge darf das Gegenteil behauptet werden.

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Das unendliche Gebiet der physischen und moralischen Volks-gesundungspflege: die Hebung des Wolstandes und Wolanstandes, die Besserung der Wohnungsverhaltnisse, die Massnahmen zur mog-lichsten Unschadlichmachung der Prostitution und zur Zurückdrangung des Alkohols, und wie sie alie sonst heissen, lediglich unter den Gesichtspunkt der Verbrechenshinderung stellen, das vermag in der Tat nur, wer sich von der Fülle der Zwecke dieser ganzen so segens-reichen und dankenswerten Gesamtaktion ganz ungenügende Vor-stellungen macht!

Und der Kriminalist solí dieses unermessliche Gebiet des Ver-waltungsrechtes seinem Fachgebiete einverleiben und beanspruchen, es in seinem Interesse meistern zu dürfen?

Steht denn a priori fest, dass für die zu tuenden Schritte gerade der Gesichtspunkt der Minderung verbrecherischer Neigungen der entscheidende sein solí, und nicht vielleicht ein ganz anderer, hinter dem die Rücksicht darauf, dass durch die Massnahme vielleicht Verbrechen gerade ausgelost werden, vollstandig in den Hintergrund treten muss?

Desshalb kann man auch, was seitens der „Verbrechensbekampfer" in dieser Richtung vorgebracht wird, gar manchmal nicht ohne An-wandlung grosser Heiterkeit geniessen!

Man lese doch nur einmal unbefangen den Abschnitt bei F e r r i über die ganz per nefas sog. Strafersatzmittel (Das Verbrechen ais sociale Erscheinung^ übersetzt von Kurella, S. 178 ff.)! Und sein Nachbeter A s c h a f f e n b u r g . Das Verbrechen und seine Bekampfung S. 195 ff., blast vorsichtiger. aber in ganz dasselbe H o r n \

Es.ist ja zweifellos richtig — lacherlich richtig! —, dass wenn das Papiergeld abgeschafft wird, seine Falschung von selbst aufhort, dass die Aufhebung der Zolle und der Steuern alie Defrauden ver-schwinden machen wird, dass wenn keine unehelichen Kinder mehr geboren werden, der Kindesmord erloschen muss, dass . k e i n e Kinder oder nur e i n s oder hochstens z w e i in armeren Familien diese be-freien von einer Fülle von Nahrungssorgen, die zu alien moglichen Ver-

' Man beachte die Fülle aller moglichen Vorschláge in dieser Richtung, die A s c h a f f e n b u r g macht! Freilich die ihm so erwünschte sehr hohe Be-steuerung von Wein und Bier würde die Zahl der Defrauden ausserordentlich steigern, das Verbot des Branntweinverkaufs von Sonnabend Mittag bis Montag eine grosse Fülle von Polizeikontraventionen auslosen u. s. w. W i r bezahlen die Aussicht auf Verbrechensminderung sehenden Auges sehr oft mit dem Kauf-preis sicherer Verbrechensvermehrung. Bei alien solchen Gescháften k a n n der Preis auch grosser sein, ais der Gewinn! Und so ist grosse Yorsicht geboten.

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brechen führen kSnnen, dass überhaupt die Linderung der okonomischen Notlage gleichbedeutend ist mit einer Zurückdrangung der Diebstahle und ihrer gewinnsüchtigen Verwandten! Es fehlt nur noch die Empfehlung der einzigen Massnahme, die radikal helfen würde: die Abschaífung des Menschen überhaupt. Dann sind alie Morder — vvas sage ich: überhaupt alie Verbrecher und Verbrechen auf immer ge-wesen! ^

Aber „abschaffen" ist das Gegenteil von schaíFen. Und sieht man einmal all den grossen schopferischen Massnahmen der Gesetzgebung zur Hebung des deutschen Volkes seit den letzten dreissig Jahren ins Antlitz, so hat fast jede die MSglichkeit neuer Verbrechen geschaflfen, und doch durfte nicht eine einzige im Hinblick darauf unterbleiben!

Ich übertreibe sehr wenig mit den Worten, dass jeder grosse Kulturfortschritt zugleich einen Ausbau des Verbrechensgebietes und eine Auslosung bestimmter verbrecherischer Neigungen, oft auch eine starke Steigerung verbrecherischer Fahigkeiten bedeutet. Und wenn ich gegenüber dem schwachlichen Jamraern über die Zunahme der Verbrechen — ich lasse hier freilich die furchtbaren russischen Verhalt-nisse, in denen heute die Sünden Aller an Alien geracht werden, ausser Betracht! — den Satz aufstellen würde, dass die Zunahme der Ver-brechen, in richtigem Sinn verstanden, ein Symptom steigender Kultur ware, so dürfte man diesen Satz zwar paradox nennen, eine verstandige Auslegung aber konnte seinen starken Wahrheitsgehalt nicht verkennen!

Dem Kriminalisten aber zumuten, er solle auf diesem Grebiete der Gesetzgebung und der Verwaltung die Fackel vorantragen und sie lehren, wie sie es überall zu machen hatten, um vor allem verbrecherische Neigungen moglichst hintanzuhalten, heisst ihm nicht nur eine unlos-bare Riesenaufgabe, sondern auch eine unertragliche AufdringHchkeit zumuten. Und nur ein riesenhafter Dilettantismus kann die Naivitat haben, uns solche Zumutung zu machen!

So werden wir Pfleger des Strafrechts uns damit begnügen müssen, diese Akte der Wohlfahrtspflege mit unserer vollsten Sympathie zu be-gleiten und hie und da aus unserer Kenntnis der Verbrecherwelt heraus von einer Massnahme abzuraten, weil der durch sie erzielte Gewinn ausser Verhaltnis stehen würde zu der durch sie ausgelSsten Neigung, Verbrechen zu begehen. Im Übrigen liegen sie zwar ganz innerhalb

1 Freilich die „Verbrechen" der Tiere und die abgeschmackteste Erfinduug L o m b r o s o s , die „Verbrechen" der insektenfresaenden Pflanzen, würden übrig bleiben!

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unseres menschlichen Interesses, und jeder von uns wird mitarbeiten an ihrer Forderung nach seiner Kraft, aber gleichzeitig liegen sie ganz ausserhalb unserer wissenschaftlichen Aufgabe.

Wie jedoch kann man d a s V e r b r e c h e n lehren ohne den V e r b r e c h e r ais Spezies des Menschengeschlechtes und ais durch die Gesellschaft tausendfáltig bedingtes Wesen zu schildern? Wie kann man d a s V e r b r e c h e n strafen wollen statt des V e r b r e c h e r s , den die Manner der neuen Horizonte doch im Gegensatz zu den Rückstandigen ais den allein Strafwürdigen bezeichnen?

Es giebt Satze, bei denen unser Auge, wenn es zuerst auf ihnen haftet, nach dem erlosenden Druckfehler spaht. Freilich hie und da, wie gerade hier, vergebens!

Seit der Erfindung der Strafe ist grundsiitzlich nie Jemand anders ais der Verbrecher gestraft worden. Und gerade seine Bestrafung solí der neue Horizont sein! Die einzige Neuheit konnte doch in dem Nachweise bestehen, wie man endlich einmal das Verbrechen strafen konne ohne den braven, des Mitleids aller Edlen so würdigen Verbrecher mitzutreffen! Diese schwere Kunst hat von den neuen Unsterblichen freilich noch Niemand zu lehren vermochtl^

Aber dieser Verbrecher wird uns in ganz neues Licht gerUckt, und allein in diesem ihn zu sehen ware unsere Pflicht, wenn anders die Zeit der Pflicht nicht auch schon weit hinter uns lage!

Er kommt ais verbrecherisches Menschenkind auf die Welt. In der Wiege ist er schon Morder. Er mag dann durch die Welt wandern und hundert Jahre alt werden, ohne je die geringste Norm-widrigkeit begangen zu haben: stets tragt er das Kainszeichen des Brudermordes auf der Stirne!

Und Aver diesen „geborenen Verbrecher", der vielleicht nie eine Missetat begangen, diesen Virtuosen in einer Kunst, die er nie geübt

^ Dass der Verbrecher im Einzelfall des tiefsten Mitleides würdig sein kann, weiss ich aus Erfahrnng znr Genüge. Aber die ganze Klasse an diesem Mitleiden teiluehmen zu lassen trótz der Eüile veráchtlicher, abstossender, j a abscheulicher Elemente in ihrer Mitte, dazu fehlt aller Grund! Doch vergreift sich hiebei wenigstens eine natürliche Empfindunc; nur in ihrem Gegenstande. Geradezu monstros ist aber die Verherrlichung „de3 Verbrechens" und die Klage , dass der Verbrecher von heute unter die verbrecherische Vollkommenheit der grossten Scheusáler der Eenaissance herabgesunken sei , wozu sich N i e t z s c h e verstiegen hat. S. D ü r i n g e r , Nietzsches Philosophie vom Standpunkte des modernen Rechtes, 2. Aufl., Leipz. 1906 S. 106 ff. Dünkel und Krankheit in tragischem Vereiu haben hier eine geradezu grauenhafte Perversitát der Gedanken und der Empfindungen

erzeugt!

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hat, mit Widerstreben, aber durch wissenschaftliche Erkenntnis geno tigt, in die Raritátenkammer des allererlesensten Unsinns verweist, der ficbt dann ais Moderner wieder einmal, wie die alten Rellenen sehon vielfach mit gleichem Misseríblge getan haben, die Zurechnungs-fahigkeit des Verbrechers an. Denn wir Alie folgen stets und ausnahmelos unwiderslehlichem Zwange: der arme Scblucker, der Raubmord und Notzucht begeht, ebenso wie Rafael und Michelangelo, Mozart und Beethoven, Goethe und Schiller, wenn sie unsterbliche Kunstwerke erzeugen, wie Kaiser WilheJii, Bismarck und Moltke, wenn sie das Deutsche Reich errichten, wie die grossen Gelehrten, wenn sie ihre Bilcher schreiben, wie schmahsüchtige Parlamentarier, die elende Klatsch-Stíinkereien urbi et orbi ais ausgemachte Wahrheit verkünden! Ven unbekannter Macht wird die Billardkugel des Motivs gegen das Band des Charakters geschleudert, und der Effekt ist da: bald in der Ge-stalt eines Mordes, einer Schandung, einer Verleumdung, bald in der erfreulicheren einer Sixtina, eines Faust, einer C-Moll-8ymphonie, des Deutschen Reichs oder eines Werkes über Psychiatrie.

Indessen : ultra posse nemo obligatur! Freilich auch von „Konnen" darf ja nach moderner sog. Naturwissenschaft keirie Rede mehr sein. Und so mag der Jurist woUen oder nicht: das G e g e n t e i l d i e s e r L e h r e muss er glauben. Er ware in schlimmer Lage, wenn sie wirklich sieghafte wissenschaftliche Wahrheit enthielte. Davon aber ist sie um eine Unendlichkeit entfernt. Den Beweis für den Menschen ais reines Mittelglied mechanischer Kausalitat, für seine Unverantwortlichkeit in Ausübung seiner Taten hat noch Niemand auch nur bis zur leisesten Wahrscheinlichkeit geführt^ so laut die ihn zu führen unter-nehmen, jedesmal ihren Sieg in die Welt geschrieen haben und noch schreien. Die grosse Wahrheit jedoch tritt schweigsam in die Welt, jedenfalls hat sie stets den Larra und die Posaune verschmaht. Und so steht auch jetzt trotz aller zuversichtlichen Lautheit an Stelle des Be-weises wieder die Hypothese, und noch dazu eine Hypothese, gegen deren Richtigkeit nicht weniger ais alie Wahrscheinlichkeitsgründe sprechen.

Ein Grund von ganz besonderer Kraft ist die Tatsache, dass jede Rechtsordnung der Welt auf die Einteilung der Menschen in Zurech-nungsfáhige und Unzurechnungsfahige basirt ist. Staatsrecht wie Privatrecht, Prozess- wie Verwaltungsrecht, und ganz selbstverstandlich das Strafrecht — sie alie tragt dasselbe Fundament. Und dieser histo-rische Grund wird verstarkt durch die Erkenntriis, dass nie eine Rechtsordnung denkbar sein wird, die auf diese Unterscheidung ver-zichten k()nnte. Wir werden den Wansinnigen nicht zur personlichen

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Regierung lassen, wir werden ihn nie zum Beamten machen, wir werden sein Testament und seine Vertrage nicht anerkennen, wir werden ihn seinen Prozess nicht selbst führen lassen, wir werden für-sorgend ihm wie dem Kinde den gesetzlichen Vertreter geben, werden das Strafverfahren gegen ihn einstellen und ihn wissentlich nie in Strafe nehmen. Natürlich bleibt er uns Rechtssubjekt. Aber wir trauen ihm rechtlich bedeutsames Haudeln nicht zu und machen ihn dess-halb nie für seine Taten verantwortlich!

Wer nur das geringste Verstandnis dafür hat, wie sich tiefste Wahrheiten in der Geschichte oíFenbaren, wie sie sich den Volkern unbewusst ais treibende Machte erweisen, in dieser ihrer wirksamen Herrlichkeit von ihnen ais selbstverstandlich anerkannt werden, und wie die Welt nicht ohne sie eingerichtet und fortbestehend gedacht wei'den kann, der würde sich sagen, dass sie unbedingte Achtung verdienen, auch wenn unsere Fahigkeit nicht entfernt hinreichen soUte, sie wissenschaftlich exakt zu erklaren, und er würde verstehen, dass die Versuche des Einzelnen, an ihnen zu rütteln, keinen anderen Erfolg verdienen ais den, der Lacherlichkeit zu ver fallen.

Wir nehmen guten Rat von Jedermann, natürlich auch von Seiten der Naturwissenschaften. Wir vergelten nach unserer vornehmen Art zu vergelten den schlechten, den uns manche ihrer (Pseudo-)Vertreter neuer-dings so gerne erteilen, mit dem doppelten guten: sich freizuhalten von dem Dünkel, ais konnten die Naturwissenschaften je die Schlüssel zum Verstandnis des menschlichen Seelenlebens geben, und dem weiteren, die Scheuklappen abzuwerfen, die ihnen die Erfassung grosser geschichtlicher Wahrheit unmoglich machen.

Wie dann Alie die, welche dieHandlungsfahigkeit willig anerkennen, sie sich bescheiden zu erklaren versuchen, ob deterministisch, ob in-deterministisch — das gilt ganz gleich. Ihrer Aller Gedanken, so scheint mir, sind gleich unzulanglich, bis auf den Grund des Ratsels zu tauchen, und Ihrer Aller Sprache ist gleichermassen ein Versuch mit untauglichen Mitteln, das Unsagbare, den Kern tiefster individueller Empfindung — denn darum handelt es sich schliesslich! —, in Wort-form zu bannen. Wer aber die Zurechnungsfáhigkeit überhaupt leugnet, also alie Menschen zu Wansinnigen in unserem Sinne degradirt, der isí ein r e c h t l i c h e r N i h i l i s t , und mit dem haben wir Alie gar keine Gemeinschaft, ausser der, dass wir ihm, wenn er uns dazu notigt, die Macht des Rechts an seinem eignen Leibe beweisen.

Über die gerade in Deutschland leider nicht kleine Gruppen der „Halben" aber, welche an der Zurechnungsfáhigkeit im Grunde fest-haltend aufs Áusserste beflissen sind, diese ihre Anerkennung unschad-

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lich zu machen und sich die Consequenzen Derer anzueignen, die sie leugnen, denke ich genau wie F e r r i : zu wahren Bundesgenossen sind sie íür alie Ganzen gleich unbrauchbar! Aber unseren Gegnern gilt ihre Liebe, und ihnen suchen sie nach Krfiften zu nutzen. So bleibt uns nur übrig, sie ais Hülfstruppen unserer Feinde zu be-trachten.

Alié die aber, die an der Handlungsffihigkeit festhalten und sich darin treu bleiben, bilden den geschlossenen Heerbann des Rechtes, dessen Einheit durch den Unterschied deterministischer und indetermi-nistischer Grundstimraung nie gefahrdet werden dürfte!

Eine Rechtsordnung überhaupt und ein Strafrecht insbesondere, basirt auf die allgemeine menschliche Handlungsunfahigkeit, ist in den Augen des Sachverstandigen — und ais solcher darf sich hier wirk-lich einnial der Jurist betrachten! — ehrlich herausgesprochen nichts ais ein grotesker Unsinn! Darán andert auch die Tatsache nichts, dass unter den Juristen selbst die Nihilisten nicht mangeln. Apostaten hat es zu alien Zeiten und in alien Lagern gegeben.

Nun sagt man mir, die Grenzen zwischen krank und gesund liessen sich nicht genau feststellen. Ich bemerke zunachst, nicht um die Grenzen von gesund und krank handelt es sich, sondern um die ven handlungsfahig und handlungsunfáhig, und es dürfte der Hand-lungsfahígen noch genug geben, die der erfahrene Psychiater, der eine Geisteskrankheit schon in ihren ersten Anfangen erkennt, schon fiir krank wird erklaren müssen.

Dáss aber auch diese zvveite Grenze im Einzelfalle sehr wol ein-raal zweifelhaft sein kann, wissen wir seit Jahrhunderten. Wir wissen auch, dass ín der Rechtsgemeinschaft gar mannichfach Handlungs-fahige ais handlungsunfáhig, Geisteskranke ais handlungsfahig be-handelt worden sind. Beides bedauern wir tief, konnten es friiher noch woniger verhüten ais jetzt, und helfen uns prinzipiell so, dass wir im Zweifelfalle Fahigkeit oder Unfáhigkeit v e r m u t e n , je nachdem die eine oder die andere Prasumtion dem zweifelhaften Menschenkinde mehr Vorteil bringt.

Psychiater aber, die den fundamentalsten rechtlichen Unterschied unter den Menschen nicht anerkennen wollen, die nicht bereit, vielleicht auch nicht fahig sind, sich in unsere unentbehrlichen Be-trachtungsweisen hineinzudenken, konnen ais „sachverstándige Gehtilfen der Rechtspfiege" nicht benutzt werden ^

' Ich brauche kaum zu betoneu, dass ich hier nur gegen diejenigen Ver-treter der Psychiatrie kámpfe, welche diese extremen Ansichten verfechten. Ihren Standesgenossen Jeisten sie dadureh íceiuen Dienst!

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Solange ich auf dem Katheder stehe, habe ich meinen Zuhorern ans Herz gelegt, bei dem geringsten Zweifel an der Zurechnungs-fahigkeit des Angeklagten die Zuziehung des Sachverstandigen nicht zu verabsaumen.

Solí ich jetzt noch genotigt werden, ihnen das Misstrauen gegen die After-Sachverstandigen in die Seele zu pflanzen, weil diese die ganze Welt zu einem Tollhause machen, jeden Angeklagten zu einem Unzurechnungsfahigen stempeln und sich selbst bescheidentlich zu den allein tauglichen Weltenrichtern erheben wollen ? Wahrlich! Zum segensreichen Antpitte dieses Richteramtes durch die Pratendenten ist die Welt noch nicht ganz reif geworden! Sie müssen sich noch etwas in Geduld fassen!

Ist der „Verbrecher" unzurechnungsfahig, dann hat es für uns keine Wichtigkeit mehr, welcher Anteil d e n V e r h á l t n i s s e n - , welcher andrerseits s e i n e m C h a r a k t e r an der begangenen Tat zusteht. Ist e*r dagegen zurechnungsfahig, dann kann es für die Straf-zumessung bedeutsam genug werden, wie grade dieser Mensch sich herausgebildet hat, und welchen Druck die Verhaltnisse auf ihn geübt haben.

Solange es nun eine Strafrechtspflege giebt, hat sie Verbrecher-Soziologie treiben müssen, zur Zeit der absolut bestimmten Strafen freilich noch unvollkommen genug — aber die Schuldfrage stand doch stets zur Beantwortung! ^ , von der Erfindung der relativen Strafe an eingehender und bedachtiger und ergiebiger. Eine Fülle wert-vollster Beobachtungen über die Verbrecher, ihre Lebens-, Denk- und Handlungsweise hat sich im Laufe der Jahrhunderte in der Strafrechtspflege aufgespeichert — zum guten Teil von der Gesetzgebung zu ihren Satzungen verwertet.

Es dürfte wenig bessere Kenner dieser Menschengruppe geben ais unsere Beamten der gerichtlichen Polizei, unsere Staatsanwalte, unsere Richter — ganz besonders unsere Untersuchungsrichter — und unsere Strafvollstreckungsbeamten, die doch heute noch an der Strafrechtspflege wirklich beteiligt sind! Der Popanz des „weltfremden Richters" besteht doch nur in den Kopfen derer, die ihn verSchtlich machen wollen.

SoMí eit wir also zum Verstandniss des Verbrechers und seiner Taten dessea benotigten, was man neuerdings Soziologie nennt, haben wir unsere Soziologie selbstandig herausgebildet, woraus sich erklaren dürfte, dass ich aus der modernen Soziologie zum Verstandniss der Verbrecherwélt und ihrer Aktion nichts gelernt habe, was mir nicht

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xrv schoB' langst gelauíig war. Und meinen Fachgenossen in Theorie wie Praxis dürfte es kaum andera gegangen sein!

So werden wir uns an soziologischen Werken ven Herzen er-freuen, wenn feine, exakte, vor allem unbefangen gemachte Be-obachtungen geistreich zur Darslellung gebracht werden; aber die Soziologie in grosserem Umfange in die Darstellung des Strafrechts aufzunehmen — dazu liegt für uns kein Grund vor.

Doch kann dies ais eine Sache personlicher Liebhaberei bezeichnet werden!

Was endlich die Verbrechensstatistik anlangt^ vor der so Viele an-betend in den Staub sínken, so téile ich diese Verehrung nicht. Vor alien anderen Statistiken hat sie den Vorzug der grossen Ungenauig-keit voraus. Nur ais Fleisszeugniss tur die Aktion der Gericlite und Staatsanwalte im einzelnen Geschaftsjahre triíft sie wirklich zu. Die grosse Erganzung, die m. E. allein im Stande ware, die richtige Lesung und Deutung jener ZifFern zu ermSglichen, d i e S t a t i s t i k ü b e r d i e Z a h l d e r d e m R e c h t g e m á s s e n H a n d l u n g e n und ü b e r d i e Z a h l u n t e r d r ü c k t e r V e r b r e c h e n s r e i z e , wird sich ja nie geben lassen. Und so kann mir nicht imponiren, wenn man die Taísachen einfachster Beobachtung angeblich hochst wissenschaftlich und aufs Haar exakt bis zur Ermüdung in den Prozenten statistischer Daten zum Ausdruck bringt. Noch fehlt für diesen Irrgarten nach meiner Ubérzeugung der leitende rote Faden, und so veranlasst man den jungen Juristen besser nicht, ihn schon in seinen Lehrjahren zu betreten. Ja auch wer sich spater hineinwagt, mag sich vorsehen! Kein Teil der Statistik scheint mir tendenzioser Ausdeutung und Ausbeutung mehr ausgesetzt und mehr unterlegen zu sein, ais grade dieser!

So wird die "^'^erbrechensstatistik grade heut gern dazu benutzt, um den „Bankrott unseres Strafrechtssystems" zu beweisen. Ich bin der letzte, dessen Unverbesserlichkeit zu behaupten. Von einem Bankrott aber zu sprechen halte ich für ganz unerlaubt! Oft dient ja auch diese Behauptung offensichtlich nur zu tendenzioser Entstellung. Weil wir rait Hülfe unserer Strafe der Verbrechenswiederholung seitens derselben Person bisher nicht Meister geworden sind, solí sie und sollen wir mit ihr Bankrott gemacht haben? Man wird doch nicht behaupten woUen, die frühere Zeit hátte den Kückfall besser zu hintertreiben verstanden — natürlich von der reicheren Anwendung des einzigen radikalen Mittels gegen den Rückfall, der Todesstrafe abgesehen!

Aber in der Zukunft! Da wird es sicher in Folge der prophy-laktischen Mas^regeln aller Art fast keine Verbrechen mehr geben, und

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in Folge der „Sicherungsstrafe" wird der sog. Rückfall ganz aussterben. So wird uns hoíFnungsfreudig versichert — so wird uns zuversichtlich prophezeit! Ob aber die Zukunft die Wechsel einlosen wird, welche die HoíFnung auf sie zu ziehen wagt, das ist denn doch noch eine ganz offene Frage.

Ich lasse die Prophylaxe hier einmal bei Seite, weil aueh ich Einiges von ihr erhoffe, relativ am Meisten von der Zurückdrangung der Vor-liebe zum Alkohol. Was aber die sog. Sicherungsstrafe nach dem neuesten Recept anlangt, die Strafe, die keine mehr ist, nur noch miss-brauchlich ihren Ñamen führt, die nicht mehr getragen wird von dem tiefen Gefühl der Missbilligung des Unrechts, von der Überzeugung ihrer Notwendigkeit und Gerechtigkeit, sondern nur noch eine Mass-regel des Mitleids mit dem schuldlosen Verbrecher sein solí, die somit alies Ernstes, aller Eindrucksfahigkeit entkleidet wird, so getraue ich mir, Prophezeiung gegen Prophezeiung zu stellen: d i e s e „ S t r a f e " w i r d in d e r T a t d e n B a n k r o t t m a c h e n , d e n man u n s r e r g e s c h i c h t l i c h ü b e r l i e f e r t e n S t r a f e zu U n r e c h t n a c h s a g t ! Und was berechtigt mich zu dieser Vorhersagung? Die Kenntniss der menschlichen Natur, ganz besonders der Leidenschaften, die den Nahrboden der Verbrechen zu bildeu pflegen. Eine Flut wilder Er-regung vor verderblichem Ausbruch zu bewahren, dazu bedarf es eines Aufwandes überlegener Energie: mit der Limonade des Mitleids ist dagegen nichts auszurichten!

Diese „Sicherung8strafe", die lediglich darauf ausgeht, den Keim verbrecherischer Tat in dem Strafling zu ersticken — die damit nebenbei gesagt dem Staat eine thorichte, weil ganz unlosbare Aufgabe stellt — übersieht vollstandig, dass Strafandrohung wie Strafvollzug an erster Stelle ihre Wirkung auf die ganze Rechtsgemeinschaft zu üben bestimmt sind, und dass Beide dieses nur konnen, wenn sie eindrucksvoll bleiben, womoglich auf den Verbrecher u n d die Gesammt-heit, ist diess nicht nicht mOglich, dann wenigstens auf die Gesammt-heit allein. Denn diese letztere Wirkung ist die unendlich bedeutendere und segensreichere! ^

So lehne ich also Alies ab, was zur „Sicherung der Gesell-schaft" neuerdings gegenüber dem „Verbrecher" vorgeschlagen worden ist?

^ Wenn Sommer iu seinem schonen, durch relatives Massbalten aus-gezeichneten Werke „Die Krimmalpsychologie" (Leipzig 1904), S. 326 sagt: „eine Strafe sei psychologiscli nur dann richtig, wenn in der Person des zu Bestrafenden eine B e e i n f l u s s b a r k e i t durcli das S t r a fmi t t e l vorhanden sei", so ist dabei diese Hauptfunktion der Strafe vollstandig verkannt.

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XVI

Ja und nein! Unbedingt lehne ich ab die Herabwtirdigung der Strafe zur

polizeilichen Sicherungsmassregel. Sie ist etwas wesentlich Anderes, Hoheres, Edleres!

Unbedingt lehne ich ab jede Gleichbehandlung von Verbrechern und Irren! Jeder Mann des Rechts muss sie verwerfen ais ebenso sinnlos wie ungerecht!

Ebenso weise ich den Missbrauch zurück, diese Gleichbehandlung mit dem lügnerischen Ñamen der Strafe zu belegen, und nicht minder den ungeheuerlichen Versuch, die Zurechnungsfahigkeit zu verwerfen, aber doch eine „soziale Verantwortlichkeit" des Unzurechnungsfahigen aufrecht halten zu woUen! Dann ist auch der Maniakalische, der einen Andern aníallt, dem gegenüber „verantwortlich", der sich wider ihn vérteidigt^ und der bissige Hund erfahrt seine „soziale Verantwortlichkeit" dadurch, dass er den zu seiner Abwehr notigen Tritt erhalt! Weltgeschichtliche Begriffe wie den der Verantwortlichkeit so unerhort zu falschen ist unerlaubt!

Unbedingt lehne ich ab die Aufhebung des Strafmasses! Ich ver-weise dazu auf das, was ich darüber unten S. 236 — 238 aus-geführt habe.

Nicht minder die Bestimmung des Strafgehaltes der Freiheits-strafe einseitig nach den Rücksichten der Besserung oder der Spezial-Pravention. Die Strafe muss Übel für den Strafling, die Behandlung des Irren — auch die notgedrungen strenge — für diesen eine Woltat bleiben!

Andrerseits trete ich ein für die Erweiterung des Versuchs, den Strafling sich durch gute Führung eine Abkürzung der Strafzeit ver-dienen zu lassen, wenngleich bei diesem Versuche grosse Vorsicht angezeigt ist.

Angesichts der Einheit der Staatszwecke scheint auch mir ge-boten, wahrend der langer dauernden Freiheitsstrafe den Versuch einer Einwirkung auf den Charakter des Straflings im Sinne einer Festigung im Rechten nicht zu verabsaumen — freilich nur ais Versuch und in dem Masse, dass dadurch das Wesen der Strafe nicht verflüchtigt wird! Denn nie darf unter der Adhasion des Nebenzwecks der Hauptzweck leiden!

Ich glaube in der Tat: in der richtigen Behandlung dieser schwierigen Elemente werden wir von den Irrenarzten bei aller Ver-schiedenheit der Aufgaben viel lernen konnen und dankbar lernen. Sie haben auf diesem Gebiete in neuer Zeit sich grosse Verdienste erworben! Ziehen wir daraus Nutzen, soweit wir irgend künnen und

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dürfen! Vergessen wir dabei aber nie, dass die Aufgabe der Strafe nie ist, Kranke zu heilen!

Unbedingt lehne ich ab die Bemessung der Strafe lediglich nach dem Maasse des Sicherungsbedürfnisses der Gesellschaft grade gegenüber diesem konkreten Verbrecher, Es giebt nur e i n e n Straf-massstab, der sich allerdings in Wahrheit aus zweien kombinirt: das ist die Schwere der schuldhaften Tat und die Rücksicht auf Aufrecht-haltung und Stabilirung der durch sie erschütterten Autoritat des Gesetzes.

Nach meiner Ueberzeugung wird diese zweite Rücksicht in wich-tigen Fallen noch nicht in gebührendem Maasse geübt. Ich bedenke mich nicht einen Augenblick, für schwere Angriffe der Gefangenen auf das Gefangnisspersonal, für schwere Verbrechen Ausgebrochener, für Totschlage, um sich der Ergreifung auf frischer Tat zu entziehen, die Zulássigkeit der Todesstrafe in relativ bestimmten Strafgesetzen zu fordern. Wo alie Repressionsmittel gegen den Lebenden versagen, muss die Todesstrafe Platz greifen: die Macht des Rechts kann nicht darauf verzichten, sich in alien Lagen ais die überlegene zu beweisen! Merkwürdig ist freilich, zu sehen, mit welcher Kunst F e r r i (S. 436 íF.) wie A s c h a f f e n b u r g (S. 228 íf.) die Todesstrafe umgehen, deren Kultivirung doch ganz in ihrer Richtung der Reinigung der Gesellschaft von unertraglichen Plaggeistern liegt: sie müsste in zu grossem Umfange angewandt werden, desshalb würde sie besser gar nicht an-gewandt ( F e r r i S. 438. 439)! Ob Beide nicht innerlich zurück-gebebt sind vor der Hinrichtung Geisteskranker — einer Barbarei sonder Gleichen!

Ebenso bin ich stets für exemplarische Bestrafung eingetreten, wenn Verbrechen mit der Wirkung einer ausnahmsweise starken Er-schütterung gesetzlicher Autoritat begangen vvurden.

Ues Weiteren bin ich von jeher der Ansicht gewesen, dass ver-brecherische Ilartnackigkeit, die aber nicht ohne Weiteres aus einer Mehrheit begangener Straftaten desselben Taters geschlossen werden kann, ais allgemeiner Grund fakultativer Strafscharfung añerkannt werden müsste!

„Und die Unverbesserlichen ?" hore ich lebhaft fragen. Ich will hier auf den ausserordentlich vorsichtig zu bestimmenden Begí iff nicht eingehen. Ich gebe ohne Weiteres zu: es giebt Subjekte, bezüglich deren bei ihrer eventuellen Entlassung aus der Haft eine fast an Ge-wissheit grenzendc Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie die Freiheit nur dazu benutzen, uní sich das Wiederkommen durch neue Missetat zu verdienen. Diese und diese allein will ich hier ais Unverbesser-

B i n d i n g , Strafrecht. (Jrandriss. 7. Auft. I I

Page 10: BINDING (1913)- Deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil

XVIII

l iche, d- h. gegen Strafandrohung und StrafvoUzug vollkommen indifferente verstanden wissen.

Von j e h e r , lange vor alien modernen Bestrebungen in dieser Richtung, war ich für Unschadlichmachung dieser Sippschaft — aber nur soweit nicht lediglich Bagatellsachen in F rage stehen.

Sollte es sich hier um Wiederholung schwerer Taten handeln — Totschlag, schwere Korperverletzung, Raub, schwerer Diebstahl, Not-zucht , Unzucht mit Kindern unter 14 Jahren u. s. w. —, so stande m, E. nichts im Wege^ die Rückfallstrafe so zu steigern, dass die Wiederholung, soweit es Menschen überhaupt mOglich ist , hintan-gehalten wi rd : also eventuell bis zur Todes- oder Freiheits-Strafe auf Lebenszei t ! Auch bei letzterer sollte jedoch dem Strafling die M(5g-lichkeit, sich durch gute Führung bessere Existenzbedingungen in der Anstalt zu verdienen, nicht abgeschnitten sein.

Im Ubrigen kommen wesentlich die einfachen Vermogensver-brechen, die Korperverletzungen und die Beleidigungen in Betracht. Hier scheint mir solche bis zur Lebenslánglichkeit erstreckte Rückfallstrafe nicht zulassig. Wol aber nach verbüsster Strafe die Unterbr ingung in polizeiliche Nachhaft — wenn notig selbst auf Lebenszeit. Die Behandlung in diesen Anstalten müsste sich aber von der in den Strafanstalten w e s e n t l i c h unterscheiden. Insbesondere konnten hier alie Erleichterungen der Haft zugelassen werden, die sich mit dem Det inirungszweck irgend vertragen.

Unsere Bettelarmut an Mitteln notigt uns leider, die Einsperrung den verschiedenartigsten Zwecken ais Mittel dienstbar zu machen. Dem Auge, das am Áusseren haftet, vor Allem dem des Dilettanten, erscheint dann leicht Alies gleich, was im Gewande zwangsweiser Detention einhertritt . Dieser Schein ist neuerdings verhangnisvoU ge-worden! Oft bildet die Einsperrung für uns nur die unerwünschte, aber unentbehrliche Voraussetzung, welche die Anwendung des Mittels, worauf es ankommt, erst ermoglichen solí: so gerade die des Irren, der geheilt werden solí. Oft ist sie gerade im Gegenteil das Mittel selbst oder wenigstens ein wesentlicher Teil der zur Verfügung stehenden Mittel : so bei der Zwangsstrafe, vor Allem aber bei der Rechtsstrafe. Die Detention des Irren, des wegen Unverbesserlichkeit Detinirten und des Straflings zu identificiren ist ein arger Missgriff! Es handelt sich hier ura drei verschiedene Massnahmen in ausserlich gleichem Gewand!

Aber auch Zulassigkeit und Dauer jener Nachhaft, die sich auch an die Geldstrafe anschliessen konn te , waren vom Richter zu be-stimmen.

XIX

Bei den Bagatellsachen jedoch — ich denke besonders an kleine Forst- und Feldfrevel sowie an die Polizeikontraventionen — würde solche eventuell lebenslánglich dauernde Nachhaft ausser allem Ver-haltnisse zu ihrem Anlass stehen und ausserdem den Staat zu über-massiger Ausdehnung seiner Verbrecher-Pensionen notigen. Ich glaube, man hatte sich hier mit der Rückfallstrafe zu begnügen.

Die Gesellschaft muss doch auch zum Teil selbsttatig mitwirken zu ihrem Schutze wider verbrecherische Angriffe. Sie ist doch wahr-lich kein unmündiges Kind, das sich nicht wehren kann! Soweit ihr dies dann misslingt, muss sie die Unbill t ragen!

Aber Strafe und Sicherungsmassnahme sind scharf auseinander-zuhalten, und nie darf jene zu einer Unterar t von dieser herab-gezogen werden.

So hat die Strafrechtstheorie mehr ais j e triftigen Grund, ihr Gebiet scharf zu umgrenzen, keine unnützen Ausflüge auf fremde Gebiete zu machen, festzuhalten an dem Schatze der ihr durch die Geschichte überlieferten gesunden und praktisch brauchbaren Gedanken , weiter zu arbeiten an deren Vertiefung behufs der Fortbildung des Rechts-zustandes der Gegenwart in der Richtung geschichtlicher Überlieferung. Ihre erste Aufgabe ist und bleibt jedoch immer, das Verstándniss des Rechts der Gegenwart zu vermitteln. Der Zukunft hat sie vorzubauen unter der Losung: maassvolle Reform, aber unerschütterliche Feind-schaft gegen Revolution und gegen alie, die zu ihr aufrufen, besonders die rechtlichen Nihiiisten!

Und so habe ich keinen Grund gehabt, neue Materien meiner Vorlesung und ihrem Grundrisse einzuverleiben. Wol aber hatte ich Anlass, an beiden zu bessern. Wer suchen mag , wird die Spuren dieser bessernden Hand vielerorts wahrnehmen konnen. Ganz neu bearbeitet ist die Lehre von der Teilnahme (§§ 62—71), bezüglich deren ich zu neuen, wie mir scheinen will, haltbarercn Ergebnissen ge-langt bin.

L e i p z i g , am ersten Weihnachtstag 1906.

Dr. Karl Binding.

I I '

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VorbemerkuDg zur achten Auflaga

Die 7. Auflage dieses Grundrisses, der aus den Bedürfnissen der

Vorlesungen entstanden war, vergriíFsich wáhrend des letzten Semesters,

in welchem sein Verfasser las.

Es ist dann aber der Verlagshandlung von den verschiedensten

Seiten der dringende Wunsch ausgesprochen worden, diesen eigen-

artigen Grundriss des Strafrechts, der ja zugleich für den allgemeinen

Teil der vollstandigste ist, doch nicht aus dera Handel verschwinden

zu lassen. Und die Verlagshandlung hielt es für ihre Pflicht, diesen

Anforderiingen zu entsprechen und dafür zu sorgen, dass das Buch

anch fernevhin allgemein zugánglich bleibe.

Da sich der Verfasser einer Neubearbeitung nicht unterziehen

woUte, erscheint mit seiner Zustimmung der „Grundriss" deshalb neu

im unveranderten Wiederabdruck der 7. Auflage.

Nur eine Anzahl von Fehlern sind verbessert worden.

Der Verlag.

•'•^t^^k

B I B L I O T E C A

I n h a 11. Seite

Vorrede V—XIX Verzeichnis der Abkürzungen - 1 — 4

E i n l e i t u n g . § 1. I. Das Strafrecht und sein Gegenstand. Insbes. Delikt und Ver-

brechen 5—8 II. Übersiclit über die Greschichte des deutschen Strafrechts.

§ 2. A. Hauptphasen der Strafrechtsentwicklung ü b e r h a u p t . . . 8 § 3. B. Die drei Elemente der deutschen Strafrechtsgeschichte .

und ihr Verháltnis zü einander • . . . . 8 C. Das Strafrecht der Justinianischen Eechtssammlung.

§ 4. 1. Einleitung 9--10 § 5. 2. Crimina legitima und extraordinaria . . . . . . . . 10 — 15 § 6. 3. Delicia privata und actiones populares . . . . . . . . 15—20 v5 7. 4. Die Auffassung des Verbrechens im Justinianischen

Rechte • • • • 20—22 § 8. 5. Das Strafensystem des Justinianischen Rechtes . . . 22—25 § 9. D. Das kanonische Strafrecht 25

E. Das germanisch-deutsche Strafrecht. § 10. 1. Das germanische Strafrecht bis zum Untergange der

Volksrechte - 25—26 § 11. 2. Das deutsche Strafrecht bis zur Bambergensis . . . . 26—30 § 12. 3. Johann zu Schwarzenberg. Die Bambergensis von 1507,

die Brandenburgica von 1516, die Peinliche Gerichts-ordnung Karls V. von 1532 30 —36

§ 13. 4. Das gemeine deutsche Strafrecht von der Karolina bis zu semem Ende 36—39

§ 14. 5. Geschichte der deutschen Landes-Strafgesetzgebung von 1813-1869. 3 9 - 4 3

§ 15. III. Das heutige gemeine deutsche Strafrecht und -seine Quellen 44—50 I 16. IV. Literatur des deutschen Strafrechts. (Anhang: Literatur des

franzos., belg., hollánd.,. daü., schwed., norweg., ital., engl. Strafrechts) 50—62

17. 18. 19.

§ 20. § 21.

S 22.

§ 23.

Állpraeíner Teíl. Erstes Buch. Das objektiye Strafrecht.

I. Die Normen und die Strafgesetze. A. Die Normen, Bedeutung, Inhalt und Arten 63—65 B. Die Strafgesetze, Bedeutung, Inhalt und Arten 65—66 C. Ihre Auslegung 66—67

II. Entstehung der Normen und der Strafgesetze. A. G-esetzosrecht 67—68 B. Ungesetztes Recht, insbes. s, Auffindung durch Analogie 68—71

[II. Das Geltungsgebiet der Normen und der Strafrechte. A. Ihr zeitliches Geltungsgebiet 71—73 B. Das Verháltnis koexistirender Normen und Strafgesetze

zu einander. 1. Gemeines und partikulares Recht 73—76

Page 12: BINDING (1913)- Deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil

§ 24. § 25.

§ 26.

§ 27. § 28. § 29.

XXII

Seite 2. Allgemeines und besoiideres Recht 76—77 3. Alternativitát und Subsidiaritát áer Strafgesetze . . 77—78 Das sachliche Geltungsgebiet der eiiizelnen Normen und der einzelneri Strafgesetze: das sog. ¡ntemationale Strafrecht _ . 78—80 1. Grundsatze desselben in Doktrin und Gesetzgebung

der Gegenwart 80 2. Principieller Umfang der Strafbarkeit des Inlánders 80 3. Prineipieller Umfang der Strafbarkeit des Ausliinders 80 4. Satzungen der gemeinen deutschen Strafgesetzbücher 80—85

Zweites Buch. Das subjektive Strafrecht und das Strafrechts-verháltnis.

§ 30. Das Strafrecht. Sein Inhaber. Sein Inhalt. Der Straf ling. Sein Unterschied \om Strafklagerecht 85—86

Erste Abteilung. Die Entstehung des Strafrechts. Vom Verbrechen insbesondere.

I. Das Verbrechen. § 31. A. Das Verbrechen iu seinen allgemein wesentlichen

Merkmalen 87 B. Die Verbrechensart.

§ 32. 1. Ihr Begriff und ihr Verliáltnis zum Delikte . . . . 87 § 33. 2. Ihre Norrawidrigkeits- oder Deiikts- und ihre Straf-

barkeitsmerkmale 87 § 34. 3. Einteilung der Verbrechensarten 87—91 § 35. C. Der Verbrechensfall ais Bedingung des Strafrechts . . 91 § 36. II . Die anderweiten Bedingungen des Straf- und des Straf klag-

rechts. Insbesondere der Strafantrag 91—95

Erste Unterabteilung. Die Voraussetzungen des Deiikts. I. Tauglichkeit des Subjekts.

§ 37. A. Begriff der Handlungs-, insbes. der Deliktsfáhigkeit und der Handlung. Deliktsfáhige Subjekte . . . . . . . . 95—99

B. Wegfall der Deliktsfíihigkeit. 99 § 38. 1. Wegen unentwickelter Schuldfahigkeit (Jugend und

Taubstummheit) 99—102 § 39. 2. Wegen vorübergehend aufgehobener Schuldfahigkeit 102—104 § 40. Vom Irrtume insbesondere 104—111 § 41. 3. Wegen dauernd aufgehobener Schuldfahigkeit . . . 1 1 1 § 42. 4. Wegen Zwang 111 § 43. C. Anderweite .subjektive Erfordernisse 111—112 § 4 4 . I I . Tauglichkeit des Angriffsobjektes 112—113 § 45. n i . Tauglichkeit des Angriffsmittéls 113—114

Zweite Unterabteilung. Die verbrecherische Handlung.

Ers tes Kap i t e l . Die Schuldsei te des Verbrechens . § 46. 1. Die Deliktschuld und ihre Arten 115—117 § 47. I I . Der Vorsatz bei Delikten 117—121 ^ 48. I I I . Die Fahrlassigkeit bei Delikten 121—124 § 49. IV. Die Schukl bei Verbrechen 125—127 § 50. V. Zusammentreffen vor.sátzlicher und fahriássiger Verbrechen 127

Zweites Kápi te l . ü i e Ta t se i t e des Te rb rechens . § 51. I. Die Tatseite bei fahrlássigen Verbrechen . . . . . . . . 128 „ ^ II- pie^ Tatseite bei vorsatzlichen Verbrechen. I v t 'o ' X ? " VolleuduTig und Versueh im allgemeinen . . . . 128 9 oes- U. Die Vollendung des Verbrechens und ilir Verháltnis zur

Vollendung des Deiikts . \9S

. A_.> ^ ^ ^ ^ ^ r . iBb iOT. i : : . ;A-= ;

C. Der Versueh. \ A / R 54. 1- Begriíf desselben - ^ _ i . ^ V á V 128—131 H 55. 2. Stufen desselben? . . ^ , . , - ^ ^ V y ^ . 132 H 56. 3. Strafbarkeit desselben v^< . . 132—139 A 57. D. Zusammentreffen von Versueh und Vollendung . . . . 139

Drlttes Kapitel . Die Zuredinung der Tat sur Schnld. 8 58. I. Die Lehre vom Kausalzusammenhange 141 I 59. I I . Insbesondere bei Unterlassungsverbrechen 141—142

Viertes Kapitel . Verbrechenseinheit und Verbrechensmehrheit. § 60. I. Die Verbrechenseinheit. Insbesondere vom fortgesetzten

Verbrechen 142—144 § 61. I I . Die Verbrechensmehrheit. Insbesondere von der Konkur-

renz der Verbrechen 144

Dritte Unterabteilung. Das wirkliche Subjekt des Verbrechens. § 62. Die moglichen Formen des verbrecherischen Subjektes. . 145—149

I . Der Tater . § 63. A. Seine wesentlichen Eigenschafteu 149—151

B. Die Mittater insbesondere 151—158 § 64. 1. Die gemeinsamen Merkmale der Mittáterschaft . . 153—154 § 65. 2. Mittelbarer und unmittelbarer Táter 154—159 8 66. 3. Die Mittater im engeren Sinne 159—160 § 67. I I . Der Urheber 161-162 I 68. [II. Der Gehülfe 162—166 § 69. Ergánzung zu I—^III. Anomale Erscheiuungen und ihre

Beurteilung de lege lata und de lege ferenda 166—167 § 70. IV. Die allgemeinen Satzungen des heutigen gemeinen Eechts

über die Teiluahme 167—176 § 71. V. Die Satzungen über die selbstándige Strafbarkeit sog. ver-

suchter und vollendeter Anstiftung, über gemeinsame Be-gehung ais Schárfungsgrund, über Komplott und Bande . 176—178

§ 72. Anhang I. Das Verbrechen der Begünstigung . . . . . . . . 178—181 § 73. Anhang II . Das Verbrechen der unterlassenen Anzeige. . . . 181—183

Zweite Abteilung. (rründe der Nichtentstehnng des Strafrechts. § 74. I. Fehlende Handlung 183

II. Reclitliche Irnílevanz der Handlung. § 75. A. Die Selbstvcrletzung .' 183—184

B. Untauglichkeit des ange^riffeuen Objektes. § 76. 1. Die irrtümlich deÜKtische Handlung. Insbesondere

das Wahnverbrechen 184 § 77. 2. Singuláre Rechtlosigkeit infolge Staatswillens . . . 184—185 § 78. 3. Untaugliclikeit durcli Einwill igung des Verletzten . 185—186

III. Erlaubtheit oder Unverbotensein der Handlung, also fehlen-des Delikt.

§ 79. A. Die Notwer und ihre Análoga 186—191 § 80. B. Der Notstand 191—197 § 81. C. Anderweite unverbotene Handlungen 197—199 § 82. D. Anderweite Ausübung eiues Spezialrechts 199—201 § 83. E. Rechtspflicht und bindender Befehl 201 § 84. IV. Privilegium der Straflosigkeit von Delikten (Privileg der

Fürsten, der Abgeordneteu und der Berichterstatter über Reichstags- und Landtagsverhandlungen) 202

l)ritte Abteilung. Das Strafrecht nach Grrund, Zweck, Inhalt, Umfang. Erstes Kapitel. Grund und Zweek des Strafrechts.

§ 85. I. Der Gegeusatz der Straftheorieen 203—210 II. Die wicTitigsten absoluten Theorieen.

^ 86. A. Die Heilungstheorie 210-213

Page 13: BINDING (1913)- Deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil

XXIV

§ 81

93.

94.

95.

96.

ni . IV.

§ 97.

§ 98.

99.

100.

101. 102.

103.

104.

105. 106.

Seite B. Die Vergeltungstheorieen.

1. Die Theorie der gottlichen Vergeltung 213 2. Die Theorie der sittlichen Vergeltung 214—215 3. Die Theorie der rechtlichen Vergeltung 215—219

Relative Theorieen 219—223 Vereinigun^stheorieen 223—226

V. Die Strafe, ihr Begriff, ihr Grund, ihr Zweok, ihre Grenze iiach positivem Eechte 226-236

Zweites Kapitel. Die grésetzlichen Strafmittel. I. Leitende Gedanken des heutigen Strafensystems . . . .

I I . Die Strafmittel des heutigen deutschen Strafreehts. Echte und unechte Strafen A. Echte Strafen.

1. Die Todesstrafe 2. Die Freiheitsstrafe

a. Ihre Arten im allgem. Strafgesetzbuch: 1. Zucht-haus. 2. Gefángnis. 3. Festungshaft. 4. Haft . .

b. Gemeinsame Bestimmungen über sie: 1. Berechnung der Zeitdauer. 2. Vorláufige Entlassung. 3. Voll-zug iu Einzelhaft. Tabelle der Freiheitsstrafen . .

c. Die „Freiheitsstrafe" des Militárstrafgesetzbuchs und ihre Arten

3. Die Ehrenstrafen. a. Die allgemeinen Ehrenstrafen: 1. Der Verweis. 2. Die

Nebenstrafen an der Ehre b. Die besonderen Ehrenstrafen wider Personen des

Soldatenstandes und Militárbeamte 4. Die Vermogcnsstrafen.

a. Die Geldstrafe b. Die Nebenstrafen am Vermogen

B. Unechte Strafen.

236-

238-

241 241-

-238

-241

-242

1. Einziehung und Unbrauchbarmachuug im objektiven S t r a f v e r f a h r e n . . . Polizeiaufsicht und Überweisung an die Landespolizei-behorde Das Eecht zur Verofifentlichung des Strafurteils . . . Das Recht auf Busse

243—245

245—248

248—249

250-255

255—256

257—258 258—262

263—264

264—265 266-267 267-270

Drittes Kapitel. Die fiestimmang des Strafaquivalentes fttr das einzelne Verbrechen.

§ 107. I. Das Strafgesetz und der Strafrichter 271 11. Die richterliehe Straffeststellung.

§ 108. A. Der Strafmassstab u. die richterliehe Strafzumessung. Insbesondere vnn den mildernden Umstánden . . . . 271

B. Die sogenanute Strafáuderung. AVesen und Art derselben 271 109.

110. 111.

112. 113. 114.

1. Die Strafmilderung 272 Unechte Milderungsgrüude: 1. Anrechnung der üntersuchungshaft. 2. Eetorsion 276 Die Strafschárfung. Insbesondere vom E.ückfall . 280 Die Strafverwandlung 284

-272 -276

-279 -284 -290

C. Die Strafanwendung bei Verbrechenskonkurrenz . . . 290—297

Vierte Abteilung. üntergang des Strafreehts. § 115. I. Übersicht über die Gründe 298 § 116. I I . Der Tod des Schuldigen 298—300

I I I . Die Verjáhrung. § 117. 1. Die Verjáhrung des Strafklagrechts 300—308 § 118. 2. Die Verjábrung des Strafreehts. Sog. Verjáhrung der

Strafvolistreckung 308—310 § 119. IV. Die Begnadigung 310—321

A f. Kr.Anthr. =

AOR -

B

Bdg, E

Bdg, Bdg,

H Kr

Bdg, L

Bdg, N

BGB Bohm Z

DJZ

E

EG Fi

G

Verzelchnis der Abkürzung-en. = Archiv des Krirainalrechts, herausgeg. von Klein und

Kleinschrod*, fortgesetzt von Konopak, Mittermaier und Anderen, Halle 1798—1857. Und zwar AA = Altes Archiv, 7 Bde. 1799—1807; NA = Neues Archiv, 14 Bde. 1817-1833; ANF = Archiv Neue Folge, 24 Bde. 1834-1857. Archiv für Kritninal-Anthropologie und Krímina-listik, herausgeg. von Gross. I ff. Leipzig 1899 íf.

= Archiv für OfFentliches Recht, herausgeg. von Laband und Stoerk. I ÍF. Freiburg i. Br. 1886 ff.

= Berner, Lehrbuch des deutschen Strafreehts. 18. Aufl. Leipzig 1898.

= Binding, Die gemeinen deutschen Strafgesetzbücher, 1. Einleitung. 2. Aufl. Leipzig 1877.

= Binding, Handbuch des Strafreehts I. Leipzig 1885. == Binding, (Kritik) über den Entwurf eines Straf-

gesetzbuchs für den Norddeutschen Bund. Leipzig 1869.

== Binding, Lehrbuch des gemeinen deutschen Straf-^^|fichts besonderer Teil. I. 2. Aufl. Leipzig 1902.

J | ( ^ i 1. 2. Aufl. Das. 1904. II 2. Das. 1905. = Binding, Die Normen und ihre Übertretung. I.

2. Aufl. Leipzig 1890 u. 11. 1. Aufl. Das. 1877. = Bürgerliches Gesetzbuch v. 18. August 1896. = Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht.

I ff.,, herausg. v. Bohm. Erlangen, dann Leipzig 1891 ff. = Deutsche Juristenzeitung, herausgeg. von Laband,

Stenglein u. Staub. I ff. 1896 ff. = Entscheidungen des Reichsgerichts.

den Mitgliedern des Gerichtshofes. 1880 ff.

= Einführungsgesetz. = Finger, Lehrbuch des deutschen

Berlín 1904. =^ Geib, Lehrbuch des deutschen Strafreehts I. (§ 1

bis 60): Geschichte; II (§ 61—123): System. Leipzig 1861 u. 1862. (Ohne Text. Reichhaltige Quellen-

Herausgeg. von I ff. Leipzig

Strafreehts I.

B i n d i n g , Strafrecht. Grundriss. 7. Aufl. 1

Page 14: BINDING (1913)- Deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil

GA

G B

Grünh.

GS

H

H H

H R L e x

K

K V K r V

L

Liepmann Li

M

MI

MdJV

und Li teraturnachweise . Der spezielle Teil fehlt leider.) Goltdanimer, Arcbiv für preussisches Strafrecht, seit Bd. X I X (1871) für gemeines deutsches und für preussisches Strafrecht. Berl in , seit 1853. Fort-gesetzt von Mager (1872), 1 8 7 3 - 1 8 7 9 von Hahn, dann anonym, seit 1887 von Meves, seit 1901 (XLVII ) von Kohler. (Rev.) Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 26. Februar 1876. Die Paragraphen bezeichnen zu-gleich die einschlagigen Stellen der Kommentare. Grünhut , Zeitschrift für das Privat- und ófFentliche Recht der Gegenwart . I ÍF. Wien 1874 ff. Gerichtssaal, Zeitschrift für volksthümh'ches Recht. Er langen 1849 ff.; seit 1864 Zeitschrift für Strafrecht und Strafprozess. Die neun ersten Jahrgánge záhlen je 2 Bande ; von da an jahrlich ein Band (bis 1888), Bd. X L I u. X L I I 1889. X L I I I 1890; von da an ausser 1894 und 1895 je 2 Bande im Jah r . Haischner , System des preussischen Strafrechts. I u, I I . Bonn 1858 u. 1868. (Der Schluss des speziellen Teils fehlt leider.) Haischner , Das gemeine deutsche Strafrecht. I. Bonn 1881. II, 1 u. 2. Das. 1884 u. 1887. V. Holtzendorff, Handbuch des deutschen Strafrechts. In Einzelbeitragen. L — I I I . Berlin 1871 — 1874. IV (Supplement). Das . 1877 V. Holtzendorff, Rechtslexikon. 3. Aufl. Leipzig 1880.^ 1881. Kostlin, System des deutschen Strafrechts. I. Tü-bingen 1885; im besonderen Teil aber Kostlin, Ab-handl. aus dem Strafrecht. 1858. (Torso des speziellen Teils des Systems.) Korperverletzung. Krit ische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, herausgeg. von Pozl und Anderen. München 1859 ff. Luden , Handbuch des deutschen gemeinen und part ikularen Strafrechts. 1. Jena 1842. (Mehr leider nicht erschienen.) Liepmann, Einleitung in das Strafrecht. Berlin 1900. von Liszt , Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 14. u. 15. Aufl. Berlin 1905. Meyer, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 5. Aufl. Erlangen 1895. Merkel, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. Stutt-gar t 1889. Mitteilungen des Internationalen krirainalistischen Vereinigung. 1 ff. Berlín u. Brüssel 1889 ff.

]VÍGB = Militar-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Vom 20. Jun i 1872.

Monatsschr. 1 íMonatsschrift für Kriminalpsychologie u. Strafrechts-f. Krim.- > = ireform, herausgeg. v. Aschaffenburg. I ff. Heidel-Psychol. J tt>erg 1905 ff.

Mot = Motive zum Strafgesetzbuch für den Nordd. Bund (citirt nach der Ausgabe bel Kortkampf. Berlin 1870).

NA = Neues Archiv. S. oben unter A. Olshausen =^ Olshausen, Kommentar z. Strafgesetzbuch f. d. Deut

sche Reich. I. I I . 7. Aufl. Unter Mitwirkung von Zweige r t Berlin 1904. 1906.

Oppenhoff = Oppenhoff, Das Strafgesetzbuch f. d. Deutsche Reich; eriáutert. Herausgeg. von Delius. 14, Ausg. Berlin 1901.

P = Reichs-Straf-Prozess-Ordnung vom 1. Febr . 1877. RG = Entscheidung des Reichsgerichts. Der entscheidende

Strafsenat ist mit rSmischef Ziffer bezeichnet: RG I. 11. I I I . l y .

Rüdorff =^ Rüdorff, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Mit Kommentar . 4. Aufl. von Stenglein. Berlin 1892.

Sav. Z = Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Band I ff. Weimar 1879 ff. R = Romanistische Ab-teilung. G == Germánistische Abteilung.

Sch = Schütze, Lehrbuch des deutschen Strafrechts auf Grund des Reichsstrafgesetzbuchs. 2. Aufl. Leipzig 1874.

Schrader, \ jSchrader, Reallexikon der indogermanischen Alter-RealL j ~~ \ tumskunde . Strassburg 1901.

Schwarze = v. Schwarze, Kommentar z. Strafgesetzbuch f. d. Deutsche Reich. 5. Aufl. Leipzig 1884.

S G Z = Allgemeine Gerichtszeitung für das Konigreich Sachsen. Herausgeg. von Schwarze. Leipzig 1857 bis 1881.

StRZ = Allgemeine deutsche Strafrechtszeitung, herausgeg. von V. Holtzendorff. Leipzig 1861 —1873 . Seit 1874 im Gerichtssaale aufgegangen.

W = Wach te r , Lehrbuch des rOmisch-teutschen Strafrechts. I u. H . Stut tgart 1825 u. 1826.

W B = Wachter, Beilagen zu Vorlesungea über das deutsche Strafrecht. Stut tgart 1877 (1. Lieferung).

W H = : Wachter, Handbuch des k. sachs. und des thür. Strafrechts. 3 Hefte. Stut tgart 1857. (Bricht in der Lehre vom dolus ab.)

W V = V. Wüchter , Deutsches Strafrecht. Vorlesungen. Herausgeg. von O. v. Wachter . Leipzig 1881.

Z = Zeitschrift. Z f. D R = Zeitschrift für deutsches Recht , herausgeg. von

Rey sch er und Wilda. Leipzig 1839 ff. 1*

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Z f. RG = Zeitschrift für Rechtsgeschicbte, herausgeg. von Rudorff, Bruna, Roth, Merkel und Anderen. 13 Bílnde. Weimar 1861—1878. Von Band XIV Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Bd. 1 ff. S. oben Sav. Z.

1 (Zeitschrift für Schweizer Strafrecht, herausgeg. v. 1 ~ l e . Stooss. I ff. Bern 1888 ff.

= Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Begründet von Dochow u. v. Liszt. I ff. Berlin u. Leipzig 1881 ff. Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft, herausgeg. von Bernhoft u. Cohn. I ff. Stuttgart 1878 ff.

Die beigesetzten arabischen Ziffern beziehen sich bei Lehr- und Handbüchern auf die §§ dieser Werke; nur HH sowie die Zeit-schriften müssen nach Seiten, WB nach der Ziffer der Beilage citirt werden.

Z f. Schweiz.l StrR

Z f. StrRW

Z f.vergl.RW = Einleitung.

§ 1. I. Das Strafreclit und sein Gegenstand. H^ 1. 9—16. 110. 111. 125. Bdg, H 1. B 1. 2. 35—37. Sch 1. M 1. 4. 6. MI 2. Li 1. 13. 26. 44. G 61. 71 a. E. 84. 88. L Einl 1. H 1-4. 19. 41. 53. 54. K 1—8. 18. 21. 35. 36. 60. 63. 80. HH (Scbaper) II 87-89. WB 1. 4. WV 1. Fi 1. 2,

I. Was zuerst in den zWanziger Jahren des 19. Jahrhunderts nach Vorgang der Gesetzgebung (s. Binding, E S. 4 ff.) und jetzt ganz all-gemein von der Doktrin S t r a f r e c h t genannt wird, hiess in den lateinischen Werken über Strafrecht j u s c r i m í n a l e und j u s p o e -n a l e (beides unromisch), und ais die deutschen Schriftsteller deutsch zu schreiben begannen, K r i m i n a l r e c h t und p e i n l i c h e s R e c h t (s. noch F e u e r b a c h , Lehrb. d. peinl. Rechts, 14. Aufl. von M i t t e r -m a i e r , Giessen 1847). — Über den beschrftnkten Begriff der pein-lichen Falle und peinlichen Strafen im früh. gem. Recht s. unten § 34. — Jus crimínale ist deshalb eine schlechte Bezeichnung, weil in den romischen Quellen die widerrechtliche Handlung delictum (die Ver-fehlung, Entgleisung: M o m m s e n , Rom. Strafrecht S. 1 1 ; auch H i t z i g in Paulys Real-Enzykl. s. v, delictum), auch wohl peccatum oder maleficium, das strafbare Unrecht aber facinus, scelus und nur seiten crimen heisst. Crimen ist regelmassig die Klage auf Offentliche Strafe, die accusatio (áusserst seiten steht dafür actio); z. B. perseverare in crimine, crimina audire et discutere, in crimen subscribere; dann die gerichtliche Verfolgung, der Prozess auf accusatio hin (z. B. aliquem in crimen vocare); in zwei Stellen des Paulus (1 5 D de his qui not. infamia 3, 2 und 1 16 D de dolo malo 4, 3) bedeutet es die Beschuldigung wegen eines Privatdeliktes, bei Ulpian (in 1 31 § 2 D de reb. auct. jud. 42, 5) umfasst crimen jedenfaíls die Privatdelikte mit. Vergl. bes. B i r n b a u m , NA VIII 366 ff. 643 ff. IX 339 ff.; P e r n i c e , Labeo II 2. Aufl. S. 11; M o m m s e n . R6m. Strafr. S. 9 ff.; V o c a b ü l a r i u m J u r i s p r u d . R o m a n a e I 1066 ff. s. v. crimen.

II. S t r a f r e c h t hat nicht weniger ais sechs verschiedene Be-deutungen: es bezeichnet 1. die Summe von Rechtssatzen, welche an einen Tatbestand eine (iffentliche oder Privatstrafe knüpfen (sog. m a -t e r i e l l e s S t r a f r e c h t ) u n d welche die Realisirung dieser Straf-gesetze regeln (sog. f o r m e l l e s S t r a f r e c h t , auch S t r a f p r o z e s s -r e c h t ) ; 2. diese Rechtssátze vermehrt um die Satze des sog. Disziplinar-

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strafrechts und des Diszipl. - Verfahrens: eine ganz unzulassige Er-weiterung; 3. das materielle Strafrecht allein; 4. den Inhalt der Straf-gesetze im e. S. im Gegensatze zu den Polizeistrafgesetzen; 5. das sirbjektive Recht des Staates auf Strafe; 6. die Theorie des Strafrechts im Sinne 1 oder 3 , welche übrigens ihren Gegenstand traditionell, aber ziemlich willkiirlich durch Ausstossung zahlreicher sog. Polizei-vergehen und durch Beiseitelassen zahlreicher delicta propria (der Seeleute, der Gewerbetreibenden, der Militarpersonen) beschrankt.

III. V e r b r e c h e n bedeutetí 1. jede strafbare Handlung (so regelmassig in diesem Grundrisse); 2. die strafbaren Handlungen rait Abzug der sog. Polizeivergehen 5 3. die schwerste Klasse der strafbaren Handlungen („Verbrechen"; s. GB § 1 und unten § 34).

IV. V e r b r e c h e n und G e d a n k e n . L 18 D 48, 19 de poenis: Cogitationis poenam nemo patitur ( U l p i a n ) . Vergl. 1. 225 D de V. S. ( T r y p h o n i n ) . . si modo (scil. quis) eius mentís sit, ut occasione data id (scil. furtura, adulteríum etc.) coramissurus sit, tamen oportere eadem haec crimina a s s u m t o a c t u intelligi. — Sehr treffend sagen deutáche Rechtssprüchworter: Gedanken sind zoUfrei, aber nichthollen-frei. — Fürs Denken tut man keinen hénken. — Ums Denken kann man keinén kranken. — Die Tat totet den Mann.

V. V e r b r e c h e n und Z u f a l l : B i n d i n g , N I S. 111 ÍF., II S. 35 ÍF. und die dort. Angeff. S. auch W i n d e l b a n d , Die Lehren vom Zufall, Berlin 1870; W a h í b e r g , Handlung und Zufall, Kleine Schriften III S. 230 íf.; R ü m e l i n , Reden u. Aufsatze. Dritte Folge. 1894 S. 278 ÍF.; M. R ü m e l i n , Der Zufall im Recht. Freib. u. Leipzig 1896. J o d i , GS LXIV 1904 S. 417 ff. (Nicht vom Begrift", sondern von der Herrschaft des Zufalls im Strafrecht handelt S c h o b e r -l e c h n e r , Allgem. osterreich. Gerichtszeitung 1887 Nr. 35—42.)

VI. U n t e r s c h i e d von V e r b r e c h e n und N i c h t v e r b r e c h e n .

S. bes. M e r k e l * , Krim. Abhandl. I. Giessen 1867. S. 1—75. — D e r s . , Enzyklopádie S. 83 ff., 105 ff., 288 ff", 308 ff. — D e r s . , Lehrbuch § 4—11. 67. — J h e r i n g * , Schuldmoment im rom. Privatrecht. Griessen 1867. — H á l s c h n e r , Lehre v. Unrecht inse inen verschiedenen Formen: GS 1869 S. 11—86, 81—114 (auch separat erschienen); nochmals GS 1876 S. 401 ff. — V. B a r , Grundlagen des Strafrechts. Leipzig 1869. — D e r s . , Handbuch I S. 388 ff. — v. L i s z t , Die Grenzgebiete zw. Privatrecht u. Strafrecht. Berl. u. Leipz. 1889 (aus Bekker u. Fischer, Beitráge zur . . . Beurt. d. Entw. e. bürg. Gesetzbuchs f. d. D. Reich). — W a h l b e r g , Prinzip der Individualisirung. Wien 1869 S. 108 f. — l í e y s s l e r , Das Civilunrecht und seine Formen. Wien 1870. — D e r s . bei Grünh. VI 1879 S. 357 ff; IX 1883 S. 14 ff'. — J e l l i n e k , Die sozíalethische Bedeutung von Rech t , Unrecht und Strafe. Wien 1878. — H e r t z , Das Unrecht und die allgemeinen Lehren des Strafrechts. I. Hamburg 1880 (verfehlt). — W a a g , Der innere Zusammenhang . . . des Civil- und des Strafrechts. Mannheim 1883 (unverstándlich). — V. W o r i n g e n , Uber die Grenzen des Einflusses des Sittengesetzes auf das Strafgesetz. Freiburg i. Br. 1864. — B i n d i n g , N I § 37—59; vgl. H e i n z e, GS 1861 S: 422 ff. — T h o n , Rechtsnorm und subj. Recht. Weimar 1878 S. 1 ff. (dazu M e r k e l bei Grünh. VI 1879 S. 367 ff. und B i j i d i n g , KrV XXI 1«79 S. 542 ff.). — L i e p m a n n S. 4—18. -B e r o l z h e i m e r , Entgeltung, bes. S. 159 ff. — B i e r l i n g , Prinzipien-lehre I I I bes. S. 215 ff.

7 § 1.

Den Ausgang für die so zahlreichen Untersuchungen über ver-schiedene Arten des Unrechts bildet die Wahrnehmung der Ver-schiedenheit ihrer Rechtsfolgen: besonders der Strafe und der Ersatz-verbindlichkeit,

A. Bis auf M e r k e l herrschte die Lehre, es gabe zwei Arten des Unrechtes: das V e r b r e c h e n und das b ü r g e r l i c h e U n r e c h t . Aus der qualitativen Verschiedenheit ihrer Tatbestande. sollte sich die ihrer Folgen logisch ergeben. Jene Verschiedenheit wurde gefunden entweder:

1. in der s u b j e k t i v e n , der S c h u l d - S e i t e . a, Die be-deutendste dieser Ansichten ist die H e g e l s . Er fasst das Civilunrecht ais „ u n b e f a n g e n es U n r e c h t " ; es enthált einen Konflikt des besonderen Willens mit dem Rechte überhaupt nicht. Beide Parteien im Civilprozesse wollten nur das Recht und stritten lediglich über die Subsumtion der Tatsachen unter dasselbe. Dagegen enthielte das Verbrechen e ine bewuss te V e r l e t z u n g des R e c h t e s ais Recht . Danach ware alies dolóse Unrecht Verbrechen und erzeugte die Not-wendigkeit der Bestrafung. Dagegen gehorte die gesamte culpa und alies schuldlose Unrecht zum Civilunrecht. Diese Theorie stimmt nicht zu den Tatsachen: es gibt kulpose Verbrechen und angeblich auch doloses Civilunrecht. b. Eine andere Ansicht macht den vergeb-lichen Versuch, den dolus wie die culpa in je eine kriminelle und eine civile Halfte zu spalten. — Oder

2. in d e r o b j e k t i v e n S e i t e , d. h. in d e m A n g r i f f s -o b j e k t o d e r d e r A r t d e s A n g r i f f s .

a. Eine Gruppe von Ansichten lasst das Verbrechen andern Normen ais das Civilunrecht zuwiderlaufen.

a. Fasst man jenes ais das po si t i v e , dieses ais das n e g a t i v e Unrecht, so steht jenes unter V e r b o t , dieses unter Gebot . Es gibt aber strafbare Unterlassüngen und kommissives Civilunrecht.

¡i. Fasst man jenes ais das a b s o l u t , dieses ais das r e l a t i v U n e r l a u b t e , so müsste jenes ausnahmelosen Normen widersprechen. Solche aber bestehen nicht.

y. Fasst man dieses ais Ü b e r t r e t u n g d e r N o r m e n zum S c h u t z d e s V e r m o g e n s r e c h t e s , jenes ais Ü b e r t r e t u n g d e s R e s t e s d e r N o r m e n , so schiede das Familienrecht aus dem Privatrechte und das VermOgensverbrechen aus dera Strafrechte aus.

b. Ganz andera eine früher vielfach vertretene Auffassung. Danach kehre sich das V e r b r e c h e n wider das o b j e k t i v e , das b ü r g e r l i c h e U n r e c h t nur wider das s u b j e k t i v e R e c h t . Allein das subjektive Recht fliesst nur aus dem Gesetz, und seine „Verletzung" ist notwendig zugleich „Gesetzes-Verletzung".

c. Nach der früheren Auffassung H a l s c h n e r s ist das Ver-brechen u n m i t t e l b a r e s , das bürgerliche Unrecht nur m i t t e l b a r e s , erst durch die Erklarung des Verletzten, er fühle sich verletzt, zu-stande kommendes Unrecht. Allein das Civilunrecht ist da vor dieser Erklarung, und auch für das Deliktsgebiet gilt in bestimmtem Umfange der Satz: nulla injuria est, quae in volentem fit.

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§§ 2. 3. 8

B. In klarer Erkenntnis der Verfehltheit dieser Scheidungsversuche langte M e r k e l an bei der Lehre v o n d e r E i n h e i t l i c h k e i t a l i e s U n r e c h t s a i s s c h u l d h a f t e r A u f l e h n u n g g e g e n d a s G e s e t z . Das sog. objektive Unrecht wird zur Seite geschoben, aus dem Unrecht der Moraent subjektiver Rechtsverletzung eliminirt. Abgesehen von dem letzten Fehler stand die erste Auflage der Normen ganz auf dem Boden dieser Ansichí. Alsbald aber entsteht eine neue Schwierigkeit. Wie stimmt der einheitliche Unrechtstatbestand mit der Verschiedenheit der Unrechtsfolgen? Zwei Erklarungen sind moglich:

1. Diese Verschiedenheit ist eine nur scheinbare: Ersatz und Strafe sind nicht wesentHch verschieden, denn der Ersatz ist Ar t der Strafe (so H e i n z e , M e r k e l ) , oder die Strafe Art des Ersatzes (so früher W e l c k e r und H e p p ) . — 2. Indessen sind beide in der Tat fundamental verschieden. So kSnnte man glauben, die einzige Un-rechtsfolge schlechthin sei die Strafe, die Ersatzverbindlichkeit sei aber Rechtsfolge des Unrechts überhaupt nicht. So die Normen in der 1. Auflage.

C. Bezüglich der m. E. richtigen Auffassung s. die Vorlesung.

I I . ÍJber8Ícht über die Geschichte des dentschcn Strafrechts. H e n k e , Grundriss einer Geschichte des deutschen peinl. Eechts und der peinl. Rechtswissenschaft. 2 Bde. Sulzbach 1809.— T i t t m a n n , Gesch. der deutschen Strafgesctze. Leipzig 1832. — R o f s h i r t , Gesch. und System des deutschen Strafrechts I—III. Stuttgart 1838. 1839. — S. auch G o n z e n b a e h , Z. f. DR XV S. 458 ff. (über Literatur). — Du B o y s , Histoire du droit criniinel des peuples anciens. Paris 1845.— Du Boys., Histoire du droit crim. des peuples modernes depuis la chute de l'empire roraain jusqu'au XIX» siécle. 6 tom. Paris 1854—1874. Erster Band. 2. Aufl. das. 1865. — T h o n i s s e n , Histoire du droit criminel des peuples anciens. Bruxelles 1869. — K o s t l i n , Geschichte des deutschen Strafrechts im Umriss. Herausgeg. von G e s s l e r . Tñbingen 1859. — G e i b , Lehrbuch I. Leipzig 1861. — T i s s o t , Le droit penal des divers peuples. Bd. I u. II. Trois. éd. Paris 1888. — v. B a r , Handbueh des deutschen Strafrechts I. S. 3—189. — Vergl. L u d e n , Handb. 1. Einleit. § 20—28. — S. auch S. M a y e r , Geschichte der Strafrechte. Trier 1876.

§ 2. A, Hanptphasen der Strafrechtsentwicklnng überhanpt. G 1 u. 2. M. 7, MI 11. Li 2. — Vergl.: Zum áltesten Strafrecht der Kulturvolker. Fragen, gestellt von Th. Mommsen. Beantwortet von B r u n n e r , F r e u d e n t h a l , G c l d z i h e r , H i t z i g , N o e l d e k e , O l d e n b e r ^ , E o e t h e , W e l l h a u s e n , v. W i l a m o w i t z - M o e l l e n d o r f f . Leipzig 1905. — Interessant auch S c h r a d e r , RealLex, bes. s. v. Blutrache S. 98 ff.; Familie S. 213 ff.; Strafe S. 831 ff. (zum Teil recht bedenklich)-Verbrechen S. 904 ff". — Für das Strafrecht bei den Israeliten wertvoll F o r s t e r , Das Mosaische Strafrecht in seiner geschichtl. Entwicklung. Diss. Leipzig 1900.

§ 8. B. Die drei Elemente der dentsclien Strafreclits^eschicbte und ihr Terbaitnis zu einander. G 3. Vgl. HH I S. 17.

C. Das Strafrecht der Jnstinianischen Bechtssammlnug. Sch. 5. M. 8. Li 3. G 4—21. L 4. HH I S. 21—38. WV 16. 17. — A n tó n Mat-t h a e u s , De criminibus ad lib. XLVII et XLVIII Di^. commentarius. Traiecti 1644 (zuletzt cum adnotationibus Nani. Ticmi 1803). •— De Bosch K e m p e r , Dissert. de índole iuris crim. apud Romanos. Lugd. Batav. 1830. — G e i b , Geschichte des romischen Kriminalprozesses. Leipzig 1842. — P l a t n e r , Quaestiones de iuré criminum Romano.

9 § 4.

Marhurgi 1842. — Rein (Philolog), Das Kriminalrecht der Romer. Leipzig 1844 („als Kompilation eines Nichtjuristen brauchbar": Boecking) . — P e r n i c e , Labeo IL 2. Aufl. Halle 1895. — Interessant auch P e r n i c e , Friede und Friedensbewahr. im rom.-griech. Rechte; Sav. Z XVII R 1896 S. 167 ff. — M a d w i g , Verfass. u. Verwaltung des rom. Staats. II. Leipzig 1882. S. 268-340. — S c h u l i n . Lehrbuch der Geschichte des romischen Rechts. Stuttgart 1889, bes. S. 130-156.— Vgl. auch M. Vo ig t , Die XII Tafeln. Leipzig 1883. I S. 374 ff. II S. 516 ff. — B r u n n e n m e i s t e r * , Das Totungsverbrechen im altrom. Recht. Leipzig 1887 (dazu L o e n i n g , Z f. StrW Vil S. 664 ff.). Vgl. auch H i t z i g , Z f. Schweiz. Strafr. IX S. 16 ff. — F e r r i n i , Diritto pénale romano teorie genérale. Milano 1899. — L a n d u c c i , Storia del diritto romano. Vol. I parte III: Storia del diritto pénale. Verona 1897.— Th. Mommsen, Der Religionsfrevel nach romiscEem Recht (aus v. Sybels histor. Zeitschr. LXlV S. 389 ff.). — Ders . , Zum rom. Grabrecht; Sav. Z XVI R S. 293 ff". — Ders., Abriss des rom. Staatsrechts. Leipzig 1893 (aus Binding, Syst. Handb. der Rechtswiss.), bes. S. 222 ff. 237 ff. 325 ff. 347 ff. (s. auch unten zu § 5). — Ders .* , Romisches Strafrecht. Leipzig 1899 (aus Binding, System. Handb. der Rechtswiss.). Dazu H i t z i g , Z f. Schweiz. StrR XIII 1900 S. 182 ff. — C o n r a t , Die Christenverfolgupgen im Rom. Reiche vom Standpunkt des Juristen, Leipzig 1897. — F e r r i n i in Pess i n a , Enciclopedia del diritto pénale italiano I. Milano 1905. S. 3-428. — T r i e b s , Studien zur Lex Dei. Heft I. Das romische Recht der Lex Dei über das 5. Gebot des De-kalogs. Freiburg i. Br. 1905. — Wertvoll auch die einschlagenden Artikel von H i t z i g in P a u l y , Real-Encyklopádie, herausg. v. W i s s o w a . Stuttgart 1894 ff.— S. auch K r ü g e r , Gesch. der Quellen u. Literatur des romischen Rechts. 2. Aufl. Leipzig 1912 (aus Binding, Syst, Handb. d. deutschen Rechtswissenschaft).

§ 4. 1. Einleitung. I. Die Geschichte des romischen Strafrechts bildet keinen Teil der

deutschen Strafrechtsgeschichte: denn in diese trat es in der scheinbar abgeschlossenen Forra der Justinianischen Rechtssammlung ein. Nur muss allerdings zum Verstandnisse des Justinianischen Rechts vielfach auf dessen Vorgeschichte zurückgegriífen werden.

I I . Die wichtigsten Teile des Corpus jur is civ. für das Strafrecht s ind: I n s t . lib. 4 t. 1—5 (Pr ivatdel ikte) ; t. 18 (de publicis judici is) ; D i g . lib. 47 u. 48 (von Just inian selbst in der Constit. Tanta ad 1 2 § 8 de vetere j u r e enucl. 1, 17 die d ú o t e r r i b i l e s l i b r i genannt ) ; lib. 9 t. 2 Ad legem Aqui l iam; lib. 43 t. 16 De vi et de vi a rma ta ; lib. 3 t. 6 De caíumniatoribus. Nicht hierher gehort lib. 3 t. 2 : De his, qui notantur infamia. — C o d e x lib. 9 (entspricht dem lib. 9 des Codex Theodos.) ; lib, 6 t. 2 De furtis et servo corrupto etc. — N o v . 12. 14. 77. 117. 124. 134. 141 u. 142 (beide nicht gloss.). 143. 150 (Nov. 153 De infantibus expositis, nicht glossirt, spricht nicht von einem besonderen Verbrechen der Kindesaussetzung). — Zur Vergleichung heranzuziehen sind bes. G a i u s , Inst, I I I § 182 ff. (über die obligationes, quae ex delicto nascuntur) ; P a u l u s , Sent, V t. 3. 4. 13 — 3 1 ; M o s a i c a r . e t R o m a n a r u m l e g u m c o l l a t i o t. I—VII I . X I — X V .

III . Die libri terribiles sind angeordnet scheinbar nach einer Vier-teilung der strafbaren Handlungen in 1. d e l i c t a p r i v a t a (T D 47, 1—10; nicht vollstandig: die so wichtige und interessante Sach-beschadigung wird z. B, T D 9, 2 behandel t ) ; 2. c r i m i n a e x t r a o r d i n a r i a (T D 47, 11—22); 3. a c t i o n e s p o p u l a r e s (T D 47,

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§ 5. 10

23) ; 4. j u d i c i a oder c r i m i n a p u b l i c a s e u l e g i t i m a ( T D 48, 1-, 4—16). Allein in Wahrhei t begegnet man hier einer prozessualen Zweiteilung der K l a g e n mit j e zwei Gl iedern: actio ist die vor dem Civilrichter anzustellende Klage, auch wenn sie auf poena geht, crimen die beim Kriminalgericht anzustellende Klage auf oíFentliche Strafe.

§ 5. 2. Criiniua legitima un<l extraorilinaria. S. darüber insbesondere de H a g e n , Quale sit discrimen ínter delicia publica, tam ordinai-ia quam extraordinaria, atque privata. Gottingen 1832; und darüber B i rnbau ín , ANF 1835 S. 321 íF. — P l a t n e r , a. a. O., bes. S. 107 íF. — Ge ib , Gesch. des romischen Kriminalprozesses. Leipzig 1842 S. 402 íf., 519 íF. — B i n d i n g , De natura inquis. procesa, crim. Eomanor. Gottingen 1863 S. 3 íF. — Zumpt , Das Rriminalrecht der romischen Repubiik I u. II. Berlín 1865—1869. — Moreau , Des jurisdictions criminelles jusqu'á l'extinction des quaestiones perpetuae, etde.la composition du jury. Paris 1876. — Har t m a n n - l J b be loh de , Über die rom. Gerichts-verfassung. Gottingen 1886. — Th. Mommsen, Rom. Staatsrecht, 8. Aufl. I. S. 162—169. II. 1. S. 222 íF. S. 582 íF. II. 2. S. 598—974. III. 2. S. 1065 ff. — Ders. , Abriss des romischen Staatsrechts, bes. S. 222 ft'. 237 ÍF. — Ders . Rom. Strafrecht, bes. S. 186 tf. 537 íF..— W á c h t e r , Beilagen I Beil. 19. — W l a s s a k , Rom. Prozessgesetze II. Leipzig 1891, bes. S. 87 íF.

Nun zerfallen die c r i m i n a

I. in c r i m i n a l e g i t i m a . Crimen legitimum oder publicura ist jede Anklage , welche durch eine lex publici judicii auf Grund be-stimmter Verbrechens-Tatbestande hauíig sehr verschiedener Natur , aber stets niit einer und derselben absolut bestimmten Strafe versehen, an ein standiges Sehwurgericht gewiesen ist. • Diese Schwurgerichte heissen an nur zwei Stellen ( C i c e r o , pro Caecina 10, 29 u. P c - m -p o n i u s l 2 § 3 2 D d e origine jur is 1, 2) q u a e s t i o n e s p e r p e t u a e , Die durch jene leges freigegebenen Anklagen standen durehaus nicht nur den durch das Verbrechen Verletzten, sondern cuivis ex populo z u : 1 43 § 10 D 23, 2 de ritu nupt iar . ; 1 30 § 1 D 48, 10 de lege Cornel. de fals. In diesen quaestiones sprach das Volk Recht, daher heissen sie quaestiones publicae, judicia publica, auch populi, die sie einführenden Gesetze leges judiciorum publ icorum, die durch eine solche lex gegebene Anklage crimen publici judicii, auch crimen legit imum. — In den Anklagevermerken, die regelmássig der Anklager selbst in das Gerichtsprotokoll eintragt (inscriptio) und unterschreibt (subscriptio), m u s s ^ i e Anklage ausdrücklich auf die betr. lex fundirt werden : 1 3 pr. l U f S , 2 (Paulus) de accus. et inscript.: Libellorum inscriptionis conceptio talis est: „Consul et dies. Apud illum prae-torem vél proconsulem Lucius Titius professus est se Maeviam lege Jul ia de adulteriis ream deferre, quod dicat eam cum Gaio Seio in civitate illa, domo illius, mense. illo, consulibus illis adulterium com-misisse." Über die Analogie der formula mit diesem libellus inscriptionis s. S a n i o , De lurisprudentia Roraanorum formularia in iure criminum haud negligenda specimen I. Regiomonti Prijssorum 1862; über die subscriptio B r u n s , Kleine Schriften I I S. 49 íf. Vgl. auch M o m m s e n , Rom. Strafr. S. 384 ff.

11 § 5.

1. D i e l e g e s a i s S t r a f g e s e t z e . Jene Gesetze nun stellten nicht etwa einen VerbrechensbegriíF nach seinen wesentlichen Merk-malen auf, um dem Richter die Subsumtion des einzelnen Falles unter diesen Begriff zu überlassen. Dazu ausser Stande und doch dem Bestreben entsprungen, den Richter moglichst genau an den Wortlaut des Gesetzes zu binden, mussten sie der Kasuistik verfallen, und so belegen sie mit einer und derselben poena legitima eine Reíhe einzelner genau spezialisirter Handlungen, die in unseren Augcn teils Voll-endungen eines Verbrechens, teils Versuche, teils Vorbereitungen zu demselben darstellen, vielleicht auch ganz verschiedenen Verbrechens-gattungen von hauíig sehr vager Verwandtschaft angehoren. Sehr lehrreich 1 1 — 4 D ad leg. Cornel. de sicariis et venef. 48, 8. Und wenn die Gesetze auch die verschiedenen Arten der Mitschuldigen bei einem und demselben Verbrechen auseinander halten und den Táter ais factor, malefactor, reus principalis unterscheiden von dem Anstifter ais auctor, mandator, is, cuius dolo malo, consilio, opera scelus com-missum est , und den Gehilfen ais den ministri , part icipes, satellites, so wird diese Unterscheidung für die Béstrafung nicht ausgenutzt : auf alie findet die eine poena legitima Anwendung.

So verschieden aber auch die Handlungen sein mochten, welche von derselben lex umfasst wurden — die lex Cornelia de sicariis begriff nicht nur Mord, Totschlag, Giftmord und Vorberei tungshandlungen dazu, sondern auch Brandstiftung, gewisse Falle des falschen Zeugnisses und der Bes techung—, in einem gleichen sie s ich: s i e e n t s p r i n g e n a l i e a u s d o l u s m a l u s . Und was P a u l u s (17 D h. t. 48, 8) von der lex Cornelia de sicariis sagt : ñ e q u e i n h a c l e g e c u l p a la t -a p r o d o l o a c c i p i t u r , gilt von alien diesen leges.

Ignoriren diese absolut bestimmten Strafgesetze die verschiedene Schwere der von ihnen verponten Handlungen vollig, so sind doch die von ihnen angedrohten Strafen verhaltnismássig sehr milde. So war die Strafe der lex Cornelia ursprünglich die aquae et ignis inter-dict io: Ulpian in der Mos. et Rom. leg. collatio X I I c. 5.

2. D i e l e g e s a i s P r o z e s s g e s e t z e . Jedes díeser Gesetze schuf nun für alie, auf Grund seiner erhobenen Anklagen einen be-sonderen standigen Gerichtshof, quaestio. Diesem prasidirte regelmássig der praetor, der, weil mit Ermit t lung der Sache betraut, auch quaesitor, j a judex quaestionis genannt wird ( M o m m s e n , Rom. Staatsrecht 3. Auíi. I I S. 224; etwas abweichend Rom. Strafr. S. 205 íf.), selten der Obmann der Geschworenen, der dann gleichfalls quaesitor genannt wird, aber auch bei-der Urteilsííndung mitstimmt (so trit t nach M o m m s e n a. a. O. I I S. 584 in den zwei wichtigen Quastionen de vi und sodaliciorum nie ein Beamter ais Leiter der Verhandlung auf). Die Stellung des Obmannes ist dann der des praetor analog (s. M o m m s e n a. a. O. I I S. 585—591). Diesem lediglich für ein J a h r bestellten Vorsitzenden standen die gleichfalls alljáhrlich neu zu wahlenden judices gegenüber, die ursprünglich für jede quaestio gesondert (nach der léx Servilia für das crimen repetundarum alljahrlich 450 Richter), spáter für alie zusammen bestellt wurden (zu Augusts Zeit etwa 4000 für jedes Jahr ) . D a diese judices vereidigt wurden , hat man diese

á.

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Gerichte S c h w u r g e r i c h t e genannt. Die Richter für den einzelnen Fall wurden meist durch Auslosung (sog. sortitio) bestimmt: ihre Zahl ist nach den verschiedenen quaestiones vei'schieden (erwahnt werden zwischen 32 und 75 judices in den einzelnen Prozessen). Bei diesen judices lag die ganze ungeteilte Urteilsgewalt. Der Vorsitzende ver-kündete nur das Resultat der Abstimmung mit fecisse videtur oder non fecisse videtur. Bei der absoluten Bestimmtheit der Strafgesetze ergab sich die juristische Konsequenz des Schuldspruehs ganz von selbst. Jene Gerichte sind also von unsern heutigen Schwurgerichten wesentlich verschieden, s ie s i n d n i c h t S c h w u r g e r i c h t e im t e c h n i s c h e n S i n n e , n i c h t G e r i c h t e m i t h a i b e r U r t e i l s g e w a l t .

3. Die P e r i o d e d e r l e g e s j u d i c i o r u m p u b l i c o r u m begann mit der lex Calpurnia de pecuniis repetundis 605 der Stadt (149 V. Chr.)^. Die bedeutendsten Gesetzgeber in ihr waren Sulla (leges Corneliae), Pompejus, Caesar und August (leges Juliae). Von hervorragendster Wichtigkeit sind: die l e x C o r n e l i a de s i c a r i i s et v e n e f i c i s , wesentlich bestimmt zum Schutze des Lebens (T D 48, 8; T C 9, 19; vgl. darüber die verdienstHche Schrift von S a n i o , Observat. ad leg. Cornel. de sicariis, Regiomont. 1827) *, spater erganzt durch die l e x P o m p é j a de p a r r i c i d i i s gegen Verwandtenmord (T D 48, 9; T C 9, Í7)-, die l e x C o r n e l i a t e s t a m e n t a r i a n u m m a r i a , spater d e f a l s i s genannt, gegen Falschung schrifílicher Testamente, der Mtinze, des Zeugnisses, Bestechung des judex (T D 48, 10; T C 9, 22); die l e x C o r n e l i a m a j e s t a t i s (673 der Stadt; Abschaffung der Todesstrafe für die politischen Verbrechen, die sie behandelt); von den l e g e s J u l i a e die lex repetundarum von Casar (695 der Stadt; 101 Kapitel) gegen Bestechungen und Erpressungen der Magistrate zum Schutze der Einzelnen gegen die Organe der Staatsgewalt (T D 48, 11; T C 9, 27); die l e x J u l i a m a j e s t a t i s von Caesar (708 der Stadt) gegen Hochverrat, Landesverrat und andere staatsgefahrliche Verbrechen zum Schutze des Lebeijs des Staates (T D 48, 4; T C 9, 8); die l e x J u l i a de v i von demselben (708 der Stadt; M o m m s e n , Rom. Strafr, S. 561, teilt sie dem Augustus zu) gegen bewaíFnete Gewalt, derogirt durch die l e x J u l i a de v i p u b l i c a et p r i v a t a wol von August (T D 48, 6 und 7; T C 9, 12; ob nur e in Gesetz erlassen wurde oder aber z w e i , das eine über vis publ., das andere über vis privata, ist zweifelhaft^); diese leges de vi sollten durchaus nicht lediglich die Freiheit des Einzelnen, sondern auch Leben und Korperintegritat desselben gegen unberechtigte Angriffe

^ 13 5.

1 In einer interessanten Stelle des L u c i l i u s , Satur. 1. 20 n. 7 (vgl. Mül l e r , Lucil. satur. reliquae. Leipzig 1872. S. 76), deren Nachweis ich Prof. O e t k e r danke, bezeichnet sie der Dichter ais Calpurni s a e v a lex. — Über den Ur-sprung der Quástioneu s. Lolise, De quaestion. perpetuar, origine, praesidibus, consiliis. Diss. Plaviae 1876.

2 Mommsen, Rom. Strafr. S. 344 spricht von eineni „cásarischen Doppel-gesetze" und identifizirt ausserdem die lex Julia judiciorum privatorum mit der lex Julia de vi publica, und die lex Julia judiciorum privatorum mit der lex Julia de vi privata. Alleiu soine Beweise haben mich nicht überzeugt. Ich teile die Bedenken H i t z i g s , Z f. Schweiz. StrR XIII S. 202 ff.

der OíFentlichen Gewalt, sowie Frieden und Sicherheit des Staatslebens schützen; die l e x J u l i a de a d u l t e r i i s (736 der Stadt) über Sitt-lichkeitsverbrechen (über ihr Strafsystem s, S e h l i n g , Sav. Z IV R S. 169 ff.).

4. E n d e d e r Q u á s t i o n e n . S c h i c k s a l e d e r l e g e s . Am Ende des 1. Jahrhunderts nach Chr. verlieren diese Schwurgerichte ihre Bedeutung; ihre Kompetenz wird durch die des Senats, des Kaisers und der kaiserlichen Beamten, bes. des praef. urbi eingeengt; vereinzelte Spuren reichen bis in die Zeit des Septimius Severus, also wol bis in den Anfang des 3. Jahrhunderts nach Chr. G e i b , Gesch. des rom. Kr.-Proz. S. 393 — 401; ders., Lehrb. I S. 77; D i r k s e n , Civil. Abhandl. I S. 173. 174; M e n n , De interitu quaestionum perpetuarum. 4. 1859 (Programm des Gymnas. zu Neuss); M o m m s e n , Rom. Strafr. S. 219 ff. Die magistratische Kriminaljuris-diktion, die Jurisdiktion des Einzelrichtérs tragt über die judicia populi, das ausserordentliche Verfahren über den solemnis ordo judiciorum den Sieg davon.

Dagegen bleiben die leges judicior. publicor. in ihren materiell-rechtlichen Bestandteilen und auch in ihren Satzungen über den Um-fang des Anklagerechts in Kraft. S. P a u l u s libro singul. de judiciis publicis (I 8 D 48, 1 h. t .) : Ordo exercendorum publicorum eapitalium in usu esse desiit, durante tamen poena legum, cum extra ordinem crimina probantur. Dieser strafrechtliche Teil wurde aber teiis weiter-, teils umgebildet. Trotz der Ausdrucksweise des Paulus wurden die poenae legitimae durch andere, meist viel scharfere und für die Volks-Idassen der honestiores und humiliores verschieden normirte Strafen (poenae extraordinariae) verdrangt. Die T a t b e s t a n d e d e r l e g e s aber wurden durch die spatere Gesetzgebung (Senatusconsulte, kaiserl. Reskripte) und vor allem durch die interpretatio prudentium ver-vollstandigt und modifizirt. Wesentlichen Einfluss auf dieselbe übte auch die Anderung der Staatsverfassung: infolge der Einführung der Monarchie erhielt z. B. das crimen majestatis ein neues Objekt, den imperator; infolge der Ernennung der Beamten durch den Kaiser verlor das crimen ambitus (Wahlstimmenerschleichung) den wesentlichsten Teil seiner Bedeutung.

ünter den Strafgesetzen der Kaiserzeit ragen hervor das SC Libonianum (16 n. Chr.), bestimmt die Satzungen der lex Cornelia de falsis zu ergíinzen (T D 48, 10; T C 9, 23), und das SC Turpilianum (61 n. Chr.) wider tergiversatio der Anklager im Schwurgerichtsprozess, dem prozessualischen Gegenstück „der Fahnenflucht" ( M o m m s e n , Rom. Strafrecht S. 498).

5. G e a n d e r t e B e d e u t u n g v o n j u d i c i u m p u b l i c u m . Mit dem Wegfalle der quaestiones publicae musste das Wort publicum judicium seine Bedeutung andern. Es bezeichnet nun

a. die durch die leges judiciorum publicorum eingeführten crimina, die crimina legitima, und die daraufhin geführten Prozesse;

b. da die Haupteigentümlichkeit dieser crimina legitima darin lag, dass jeder aus dem Volke sie anstellen konnte, so wurde nun jeder Stranall, aus welchem alie Anklagefahigen die Anklage erheben

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§ 0. 16

Über die P o p u l a r k l a g e n : B r u n s , Z. f. RG III S. 340—415; Maschke, Sav. Z VI E S. 226 ff.; v. K e l l e r , Der Rom. Civil-prozess (5. Ausg. v. Wach) § 92; auch Ge ib I S. 69 ff.; B r i n z , Pand. 2. Aufl. I S. 281; H o l d e r , HRLex s. Popularklagen III S. 90 ff.; P a a l z o w , Z. Lehre v. d. Popularklagen. Berlín 1889 (darüber K ipp , Sav. Z XI R S. 331 ff.); F a d d a , L'azione popolare. I. Parte storico. Diritto romano. Torino 1894; Th. Mommsen Sav. Z XXIV 1903 R S. 1 ff'.

Hochst interessant ist, zu sehen, in welchem Umfange die Romer die Verfolgung des Deliktes zwecks Bestrafung auf den Civilweg ver-wiesen haben und sich dann mit der Pr iva tk lage und meist auch mit der Privatstrafe jahrhunder te lang zu begnügen wussten. An prak-tischer Bpdeutung kann kein Deliktsbestand mit denen des furtum, der injuria, des damnum injuria datum wetteifern.

Im Gegensatze zu den crimina zerfallen nun die c i v i l e n P r i v a t -k l a g e n (actiones) auf Strafe in zwei Massen:

1. in d i e a c t i o n e s a u s d e n p r i v a t a d e l i c t a . Diese Klagen stehen nur dem bei der Klagerhebung Interessirten zu (s. bes. 1. 10 D 47, 2 de furtis), g e b e n s t e t s a u f e i n e B u s s e , d i e i n d i e T a s c h e d e s K l a g e r s f a l l t , also Privatstrafe ist, und werden bei dem Civilrichter erhoben. W a r aber der Verurteilte arm, wie der fur wol meistens, so konnte das Urteil nicht unverandert gegen ihn voU-streckt werden (1 1 § 3 D 48, 19 de poenis). Deshalb hatte schon zu Ulpians Zeit der Klagberechtigte (ausser bei der actio legis Aquiliae, die offenbar deshalb nicht im 47. Buch behandeit wird, und dem furtum domesticum) die Wahl zAvischen civiler und krimineller Ver-folgungj d. h. der Interessirte konnte z. B . die actio furti oder ein crimen extraordinarium aus dem furtum anstellen, das furtum war also nach Wahl des Klagers entweder mit der actio poenalis oder dem crimen extraordinarium verfolgbar; 1 93 D 47, 2 de furtis (Ulp.) : Meminisse oportebit nunc furti plerumque criminaliter agi et eum qui agit in crimen subscribere, non quasi publicum sit judicium, sed quia visum est, temeritatem agentium etiam extraordinaria animadversione coercendam: non ideo tamen minus, si qui velit, poterit civiliter agere ; I 3 D de priv. del. 47, 1 ; 1 45 D de injuriis 47, 10; 1 21 D de his, qui no t , infam. 3 , 2 (vgl. S a v i g n y , Oblig.-R. I I S. 300 ff.). Die offentliche Strafe schliesst also stets die Privatstrafe aus ; die einzige Ausnahme scheint 1 9 § 5 D 39, 4 de publicanis zu bilden: allein hier nehmen die Romer offenbar eine Konkurrenz strafbarer Handlungen a n . — Über die bei a l i e n P r i v a t d e l i k t e n zulassige Verwandlung der ausgesprochenen Privatstrafe des insolventen Verurteilten in eine offentliche (meist PrUgeI-)Strafe durch den kompetenten Strafrichter s. B i n d i n g , N I S. 154 Note 52, und B i n d i n g , Kulpose Ver-brechen im geni. rom. Rechte? Zweite Abhandl. Leipzig 1877. S. 5 ff.; P e r n i c e , Labeo I I (1 . Aufl.) S. 390 n. 47.

Die wichtigsten der actiones, mit denen ein crimen extraordinarium zur Wahl verstellt gewesen ist, sind

1. Die a c t i o f u r t i m a n i f e s t i auf das q u a d r u p l u m , die a c t i o f u r t i n e c m a n i f e s t i auf das d u p l u m des Werts der ent-wandten Sache (T D 47, 2 ; T C 6, 2). Der Tatbestand des furtum

17 § 6.

ist ausserordentlich weit und ermangelt an einigen Stellen der testen Begrenzung. Sehr wahrscheinlich war dem furtum ursprünglich und auf lange hinaus das Merkmal der Heimlichkeit wesentlich. Vgl, B i n d i n g , N 11 S. 455 n'. 52. P a u l u s definirt in 1 1 § 3 D 47, 2 so: Fur tum est contrectatio rei fraudolosa lucri faciendi gratia vel ipsius rei, vel etiam usus eius possessionisve (vgl. § 1 J de obl. quae ex del. 4, 1 u. P a u l u s , Sent. I I t. 31 § 1 : F u r est, qui dolo malo rem alienam contrectat). Schon daraus geht hervor, dass das furtum nicht nur un^ern Diebstahl, sondern auch die Unterschlagung begreift, dass es zwar nur an beweglichen (s. freil. I 25 pr. D 47, 2 ; S a b i n u s kennt noch ein furtum an Grunds tücken) , aber durchaus nicht ledig-lich an f r e m d e n Sachen begangen werden konn te^ , dass aber die eigne Sache um taugliches Objekt des furtum zu sein einer fremden bonae fidei possesio oder einem fremden Pfandrecht verstrickt sein musste, dass die Absicht gerichtet sein musste entweder auf Aneignung einer fremden Sache (furtum rei ipsius), oder auf Anmassung des Ge-brauches derselben (furtum usus), oder auf Entziehung der eignen Sache aus fremdem Rechte (furtum possessionis), dass die Handlung bestand in einem korperlichen Einwirken auf die Sache, welches nicht immer eine Ergreifung zu sein brauchte, jedenfalls aber jene Absicht realisiren musste Wenn aber Paulus in seine Definition das lucri faciendi gratia aufnimmt, woraus man vielfach abgeleitet hat, der fur müsse in der Absicht einen (rechtswidrigen) Gewinn zu machen behandeit haben, so trifft dies, falls man unrichtig den Gewinn okonomiáth und nicht rein juristisch fasst, nicht immer zu. Bei einer grosseren Anzahl zweifelloser furta fehlt diese Art Gewínnsucht ganz , j a es ist moglich, dass der fur sich durch das furtum bewusst schadigt. Vgl,. z. B. 1 20 § 1; 1 36 § 3 (2 Sklaven helfen einander zur F luch t ) ; 1 48 § 3 § 4 § 7 ; 1 54 § 4 ; 1 55 § 1 D . h. t. — Über diesen P u n k t s, schon W á c h t e r bei W e i s k e , RLex I I I S. 367. 368 ; dann H u b e r , Die Unterschlagung, S. 9ff.; R o s e n b e r g e r , a. a. O. S. 46 ff.; G e b a u e r , Der strafrtl. Schutz wertloser Gegenstande. Breslau 1804, S. 2 1 ; M o m m s e n , Rom. Strafr. S. 741. 742.

Eine scharfe Scheidung des furtum von der Sachbeschadigung fehlt. So geben die Romer z. B. im Falle des Durchstreichens einer Schu ldurkunde , um den Glaubiger um seine Forderung zu bringen, sowol die actio furti, ais die actio legis Aquiliae (1 27 § 3 , vgl, 1 31 § 1 D h. t. 47 , 2). Ebenso fallen einige Falle des furtum nach unserer. Auffassung unter den Betrug (s. 1 14 D de condict. c. data 12, 4 ; 1 18 D de cond. furt. 13, 1 ; vgl. ferner die fein unterscheidende 1 43 D 47, 2) oder unter nicht betrügerische und nicht furtive Ver-mogensbeschadigung (s. z. B. 1 67 § 2 D h. t. 47, 2).

Über den schon von den Zwolftafeln verwandten Unterschied zwischen furtum manifestum und nec manifestum s. bes. G a i u s I I I

^ Den Sachen stehen bezüglich der actio furti gleich freie Personen in potestate: Ga ius III 199; 1 38 D de furtis 47, 2. ^Der ursprüngliche Begrift' von furtum umfasst durchaus nur die Entwendung íremder Sachen." H i t z i g , Sav. Z XXIII R S. 319. Oh diese Behauptung zutrifft, ist mir sehr zweifelhaft.

Binding , Strafrecht. Grundriss. 7. Aufl. 2 «

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§ 6 . 18

esse

die

184. 185; P a a l u s , Sent. II t. 31 § 2: manifestus fur est, qui in faciendo deprehensus est et qui intra términos ejus loci, unde quid sustulerat, deprehensus est, vel antequam ad eum locum quo destina-verat pervenerit; 1 3—5 D 47, 2. — Die Busse des furtum manifestum war die hohere, weil sie die zur Rache geneigte Gereiztheit des Be-stohlenen, der den Táter auf handhafter Tat ergriíF, zu besanftigen bestiinmt war. - Über die actio furti concepti und oblati, die auf das triplum ging, und die actio furti prohibiti auf das Vierfache, welche alie nach Gaius' und Paulus' Zeit ausser Gebrauch kamen, s. G a i u s III 183—194; P a u l u s , Sent. II t. 31 § 3 ff. — Über die furta, welche schon früher mit einem crimen extraordinarium verfolgt werden konnten, s. oben § 5 a. E. Einige furta bildeten auch Falle der leges judiciorum publicorum; so stand das furtum mit WaíFen unter der lex Cornelia de sicariis: 1 1 pr. D ad leg. Cornel. 48, 8, das furtum an der pecunia sacra, religiosa, publica unter der lex Julia peculatus; 1 1 und 1 4 pr. D ad leg. Jul. pecul. 48, 13.

2. Die a c t i o vi b o n o r u m r a p t o r u r a auf das q u a d r u p l u m i n t r a a n n u m u t i l e m (T D 47, 8; T C 9, 32). Die Ausscheidung der rapiña aus dem furtum solí durch das pratorische Edikt um das Jahr 70 v. Chr. geschehen sein. S. 1 14 pr. D 47, 8: Praetor ait: „Si cui dolo malo, h o m i n i b u s c o a c t i s damni quid factura dicetur s i v e c u i u s b o n a r a p t a e s se d i c e n t u r , in eum judicium dabo." Diese Erfordernisse des Edikts beschrankte Kaiserzeit. Schon nach G a i u s ÍII 209 (vgl. 12 § 6 D 47, 8) genügt zur rapiña ein einziger Tater. Zu beachten ist übrigens, dass gar manche Raubfalle unter den leges de vi standen.— Vgl. M o m m s e n , Rom. Strafr. S. 660. 661. 737. 738.

3. Die a c t i o de i n c e n d i o , r u i n a , n a u f r a g i o , r a t e , n a v e e x p u g n a t a au f d a s s e l b e (T D 47, 9) gegen den, der be-stimmte Unglücksfalle zum Rauben benutzte.

4. E n d l i c h d i e a c t i o i n j u r i a r u m a e s t i m a t o r i a (T D 47, 10; T C 9, 35. 36) — nicht unwahrscheinlich dem griech. Rechte entnommen (óíif,r¡ ahtag). S. H i t z i g , Injuria S. 71. — Sie leistet gegen die mannigfachsten AngriíFe auf die P e r s o n , was die actio furti gegen die mannigfachsten Vermogensdelikte. Wenn wir ais Objekt der romischen injuria die E h r e bezeichnen, so ist dies irreführend; den Romern war unser subjektivistischer EhrbegriíF fremd, und nur wenn wir mit v. K e l l e r , Pandekten § 376, die romische Ehre bezeichnen ais alie Attribute des Menschen, welche nicht Vermogens-rechte sind und doch den Schutz des Staates geniessen, mag man die injuria mit Ehrverletzung identifiziren.

Injuria ist den Romern zunachst alies, quod non jure fit (alma); in engerer technischer Bedeutung die contumelia (Ulp. 1 1 pr. D 47, 10; contumelia autem a contemnendo). Ais Objekt des contemnere er-s^cheint die Personlichkeit, insbesondere ihr illaesae dignitatis status. So glaubt K o s t l i n , Abhandlungen S. 8, die rOmische injuria de-finiren zu dürfen ais „jede solche Storung der Person in" der un-gehinderten Bewegung in ihrem vom Staate anerkannten Rechtskreise", sofern die Absicht gegen die Person und nicht gegen das Vermogen

19 § 6.

gerichtet war; und v. K e l l e r , Institutionen S. 145, sagt richtig: „So begreift die Injuria eigentlich jede Verletzung teils des menschlichen Korpers, teils sonst der Würde, welche dem M e n s c h e n , dem F r e i e n , dem B ü r g e r zukommt." M o m m s e n , a.a. O. S. 785 definirt die injuria ais „die absichtliche und widerrechtliche Verletzung der'PersOnlichkeit eines Dritten" und führt S. 787 aus, die Personlichkeit konne in drei-facher Beziehung verletzt werden: „entweder an ihrem K5rper, oder in ihrer Rechtsstellung oder an ihrer Ehre."

So konnte mit der actio injuriarum verfolgt werden: a. j e d e v o r s a t z l i c h e G e s u n d h e i t s v e r l e t z u n g du rch

V e r w u n d u n g , S t o s s , S c h l a g , E r r e g e n e i n e r G e i s t e s -s t o r u n g (s. z. B. 1 1 § 1, 2 , 7; 1 3 § 1, 3, 4; 1 5 pr. § 1; 1 7 § 1, 2, 5, 8; 1 8, P a u l u s : Vulneris magnitudo atrocitatem facit et nonnumquam locus vulneris, veluti oculo percusso; 1 9 pr. § 1; I 15 pr. D 47, 10). Nur die TOtung solí mit der accus. ex lege Cornelia de sicariis eingeklagt werden: I 7 § 1 eod.;

b. j e d e v o r s a t z l i c h e B e s c h i m p f u n g und j e d e sons t ige de r s o c i a l e n S t e l l u n g o d e r der G e s c h l e c h t s e h r e der v e r -l e t z t e n P e r s o n zu n a h e t r e t e n d e B e h a n d l u n g . L a b e o teilt in 1 1 § 2 D 47, 10 die injuria in 3 Klassen: in corpus fit; ad digni-tatem pertinet; ad infamiam pertinet, eum pudicitia adtemptatur. Zu den beiden letzten Klassen gehort es: eum comes matronae abducitur; ferner wenn man Personen inunzüchtigeí Absicht anredet oder ihnen auffállig nachfolgt (adsectari); wenn man einen Nichtschuldner ais Schuldner oder einen zur Zahlung bereiten Schuldner ais renitent be-handelt; wenn man einen Freien in servitütem revocirt oder ais fugi-tivum ergreift; wenn man sich einen Eingriff in die patria potestas erlaubt. Besonders hervorgehoben untér den Beschimpfungen wird das Abfassen oder Ediren infamirender Bücher oder Epigramme. Vgl. 1 4 § 2, § 5, 1 9 § 4, 1 10, I 11, I 12, 1 15 § 16—23, § 81—33, 1 19, I 20, 1 22 D 47, 10;

c. j e d e r v o r s a t z l i c h e H a u s f r i e d e n s b r u c h : 15 pr. § 2 bis 5, 1 7 § 5, 1 23 D 47, 10; 1 54 pr. D de furtis 47, 2;

d. j e d e v o r s a t z l i c h e S t 5 r u n g d e r h a u s h e r r l i c h e n G e w a l t (s. oben s. b. a. E.) ;

e. d ie m u t w i l l i g e H i n d e r u n g des E i g e n t ü m e r s , sein E i g e n t u m zu g e b r a u c h e n , und d i e H i n d e r u n g i r g e n d j e m a n d e s an d e r o r d n u n g s m a s s i g e n B e n u t z u n g e i n e r r e s p u b l i c a : 1 25 D de action. empti venditi 19, 1; 1 13 § 7, 1 15 § 31, I 24, I 44 D 47, 10; 1 2 § 9 D ne quid in loco publ. 43, 8;

f. die u n g e h o r i g e V e r l e t z u n g a n v e r t r a u t e r G e h e i m -n i s s e : I 41 pr. D ad leg. Aq. 9, 2 ; I 1 § 38 D depositi 16, 3.

Die actio injuriarum war eine aestimatoria insofern, ais der Klager die ihm widerfahrene injuria in Geld ausschatzte, also auf eine von ihm bemessene Busse klagte, und dem Richter ein Ermassigungsrecht zustand.

Drei Falle der injuria (quod quis pulsatus verberatusve domusve ejus vi introita sit) hatte eine lex Cornelia de injuriis von Sulla unter eine gesetzliche Strafe gestellt. Diese solí eine lex publici jüdicii ge-

2* •

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§ 7. 20

wesen sein (arg. 1 22 D de accus. 48, 2): damit will allerdings nicht stimmen, dass die Klage aus dieser lex stets a c t i o und nicht accu-satio legis Corneliae genannt wird, dass lediglich der Verletzte, nicht einmal der Vater des injuriirten Haussohnes sie erheben kann, und dass der Klager dem Beklagten den Eid zuschieben kann: injuriam se non fecisse. Vgl. über die viel bestrittene lex Cornelia de injuriis 1 5, 1 37 § 1 D 47, 10; 1 12 § 4 D de accus. 48, 2; 1 41 § 1 D de procur. 3, 3 ; P a u l u s Sent. V t. 4 § 8. S, auch M o m m s e n a. a. O. S. 785 Note 2.

Man bezeichnet vielfach die romische actio injuriarum ais subsidiare Klage (z. B. W a l t e r , NA IV S. 251; K ' o s t l i n . Abhandl. S. 9) und stellt sie so in Parallele mit dem crimen stellionatus. Dies ist falsch; letzteres wurde ais subsidiare Klage eingeführt, bestimmt, eine empfindliche Lücke auszufüllen; die injuria dagegen war ein altes umfassendes romisches Delikt, dessen schwerste Falle durch die leges jud. publ, mit poenae legitimae ausgestattet worden waren (z. B. die Totung, die vis). Und mit Bezug auf diese Falle der injuria ent-scheidet ü l p i a n in 1 7 § 1 D 47, 10 allerdings, aus ihnen solle die actio injuriarum verweigert werden, damit sie an den Strafrichter ge-langten: von den zwei moglichen Klagen aus demselben Tatbestand solí die civile der kriminellen den Platz raumen. Diese Analogie ist für das crimen stellationatus ganz undenkbar,

II. D i e a c t i o n e s p o p u l a r e s . T I ) 47, 23. Es sind meist Strafklagen aus sog. Polizei-Gesetzwidrigkeiten. Im weiteren Sinne ist jede pénale Civilklage eine a. popul., die quilibet ex populo an-stellen kann. Im alteren und eigentlichen Sinne sind es solche im oíFentlichen Interesse gegebenen Klagen, die jeder erheben kann, die aber nach der Erhebung ais Privatklagen des Klágers zu seinem Nutzen und Vorteile behandelt werden. Es sind dies nur 1. die popularen Interdikte bei den res publicae und 2. die popularen p r a -t o r i s c h e n resp. a d i l i c i s c h e n Strafklagen (z. B. die actio sepulcri violati: s. T D 47, 12). — Daneben giebt es g e s e t z l i c h e Strafklagen, die quilibet ex populo anstellen kann, die jedoch nirgend Popular-klagen genannt werden, bei welchen die eingeklagte Geldbusse aber nicht dem Klager, sondern dem Staate oder der Gemeinde zu Gute kommt (populo oder in publicum oder municipibus daré damnas esto). Die Munizipai- und Koloniaiverhaltnisse scheinen ihr Hauptgebiet ge-bildet zu haben.

§ 7. 4. Die Áuffassung: des Verbrechens iin Jastinianischen Reclite. Wie weit das Verbrechen in der romischen Kaiserzeit ais im

oífentlichen Interesse zu verfolgende Verletzung des Gemeinwesens betrachtet wurde, zeigt sich am deutlichsten in den prozessualen Satzungen über Verbrechensverfolgung. Diese Satzungen bilden freilich im Justinianischen Rechte nicht ein abgeschlossenes Ganzes, sie be-weisen aber, wie sich die Verbrechensauffassung wahrend der ganzen Kaiserzeit in merkwürdigem Fortschreiten befunden hat. Die Ver-haltnisse drangen mit unwiderstehlicher Gewalt zur Anerkennung des Satzes, das Verbrechen m u s s e in moglichst umfassender Weise zu krimineller Verfolgung gelangen.

21 7.

Aus diesera Druck der Tatsachen erklart sich zunáchst, dass mit der civilen Ponalklage aus dem Privatdelikt das crimen extraordi-narium zur Wahl gestellt wurde (s. oben § 6), ferner dass bei manchen crimina legitima das Anklagerecht selbst Weibern und Sklaven frei-gegeben wurde (s. z. B. bez. des crimen majest. P a u l . V 13 § 3 ; 1 7 pr. § 1 u. 2, 1 8 D ad leg. Jul. maj. 48, 4; vgl. B i n d i n g , De nat. inquis. S. 4 u. 5), endlich dass die Kaiser so manche der durch sie eingefuhrten Anklagen für crimina publica erklart haben (s. oben § 5 s. I 5).

Allein die Wirkungen dieses Druckes gehen viel weiter und treiben zur Aufstellung weitgehender Ausnahmen von festgehalteñen Prozess-grundsatzen.

Bis zu Justinians Zeit wird — und zwar sowol für judicia publica wie für crimina extraordinaria — grundsatzlich am A c c u s a t i o n s -p r o z e s s und zwar an der f r e i w i l l i g e n P r i v a t a n k l a g e fest-gehalten. Freilich beweist bei den judicia publica das Klagerecht der Gemeinschaft und bei ihnen wie bei den crimina extraordinaria das Verbot für den Klager die begonnene Verfolgung willkürlich fallen zu lassen (tergiversátio) oder mit dem Beklagten unter einer Decke zu spielen (praevaricatio) das Interesse des Staates an der Verbrechensverfolgung. Aber dies Interesse führt in gewissen Fallen •

I. zu e i n e m s e i ' s i n d i r e k t e n s e i ' s d i r e k t e n Z w a n g z u r V e r b r e c h e n s v e r f o l g u n g .

1. So werden durch das SC. Silanianum die Erben des Er-mordeten durch Androhung pekuniarer Nachteile zur Folterung der Sklaven des Ermordeten gezwungen; P a u l u s , Sent. III . t. 5 § 1; vgl. 1 1 C 6, 35. L 2 C de calumniator. 9, 46 spricht geradezu von einer officii necessitas heredis im Gegensatze zur voluntaria accusatio. So müssen nach 1 1 C Th de famos. libell. 9, 35 (319 n. Chr.) die Urheber von famosi libelli ihre schriftlichen Verbrechensbeschuldi-gungen zu formlichen Anklagen umpragen. So muss, wer einen Frei-gesprochenen wieder verklagen will, den früheren Anklager erst wegen praevaricatio belangen: 1 3 § 2 D de praevar. 47, 15. Vgl. B i n d i n g a. a. O. S. 6—12.

2. Richtete sich bisher der Zwang gegen Prívate, so zeigen uns die Quellen eine Anzahl von U n t e r b e a m t e n (apparitores, irenarchae usw.) ais verpflichtet den Magistraten durch elogia oder notoria begangene Verbrechen zu melden, die Wahrheit ihrer Meldung aber zu beweisen: sie sind also eine Art O f f í z i a l k l a g e r . S. bes, 1 1 C de curiosis 12, 23 und B i n d i n g a. a. Ó. S. 21—23;

II. z u r p r a k t i s c h e n A n e r k e n n u n g d e s I n q u i s i t i o n s -p r o z e s s e s . Des Weiteren sollen andere Beamte, die praefecti vigilum, die civitatum und ecclesiae defensores in den Fallen, wo sie selbst keine Straf kompetenz haben, die Verbrecher ergreifen, den kompetenten Magistraten übergeben und diese sollen dann die Verhafteten inquiriren. S. B i n d i n g a. a. O. S. 23—24. — Endlich sind gewisse Magistrate befugt ex officio und inquisitorisch gewisse Verbrecher und Verbrechen zu verfolgen: so vor alien die praesides provinciarum, der praefectus urbi, der praefectus praetorii, der praefectus vigilum für die Falle

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§ 8 . 24

b. F r e i h e i t s s t r a f e n . Und zwar die damnatío in nietallum (próxima morti poena metall i : 1 28 pr. D de poen. 48, 19) mit ihren zwei Graden der poena metalli und der durch leichtere Fesselung gemilderten poena operis metalli : s. 1 8 § 4—(i, 3, 10; 1 3G D h. t. Vgl. M o m m s e n S. 949 ff. — Dagegen war die damnatio ad ludum venatorium und ad ludum gladiatorium, d. i. die Verurteilung zum Kampf mi t der Aussicht auf Ret tung (s. bes. Collatio leg. Mos. et Rom. X I c. 7), von Constantin aufgehoben worden.

2. S t r a f e n , d e r e n u r t e i l s m a s s i g e V e r h a n g u n g d e m V e r u r t e i l t e n z w a r n i c h t d e n s t a t u s d e r F r e i h e i t , w o l a b e r d i e c i v i t a s n a h m , ihm somit eine capitis deminutio media verursachte. Er verlor sein Vermogen und a l i e R e c h t e d e s j u s c i v i l e ; er behielt nur die Rechte des jus gentium. E r konnte zwar Vermogen wieder erwerben, allein auch dies verfiel bei seinem Tode dem Fiskus. Vgl. 1 17 § 1 D de poen. 48, 19 ; 1 1 pr. D de bonis damnator. 48, 20 ; 1 1 § 2 u. 3 D de leg. 1, 3 ; 1 8 pr. § 1 D 28, 1, qui testamenta faceré poss. Hierher gehoren: 1. d i e l e b e n s -l a n g l i c h e Z w a n g s a r b e i t s s t r a f e (opus püblicum perpetuum) und 2. d i e V e r b a n n u n g s s t r a f e der deportatio, d. h. die lebens-langliche Verstr ickung auf eine Insel mit Verlust des Veraiogens und aller j u r a civilia. Sie trat in der Kaiserzeit an Stelle der alten aquae et ignis interdictio. S. v. H o l t z e n d o r f f , Die Deportation ais Straf-mittel. Leipzig 1859. S. IfF.; H a r t m a n n , Sav. Z I X R S. 42 ff. Vgl. 1 17 § 1 D de poen. 48, 19 ; 1 2 § 1 D eod.; 1 1 § 2 u. 3 D de leg. 1, 3 ; 1 7 § 3 D de bon. damnat. 48, 20 und T D 48, 22 De interdictis et relegatis et deportatis.

B. N i c h t k a p i t a l s t r a f e n , Hierher gehoren 1. ais L e i b e s s t r a f e n a. die den klassischen Quellen

fremden v e r s t ü m m e l n d e n S t r a f e n , von denen Justinian in Nov. 134 c. 13 nur das Abhauen e i n e r Hand beibehielt, und b. die P r ü g e l s t r a f e in ihren zwei Gestalten der G e i s s e l u n g (flagellatio), ais Hauptstrafe nur gegen Sklaven verhangbar (qualifizirt war das supplicium plumbatarum, d. s. Geisseln, die an der Spitze mit Blei ausgefüllt waren: 1 40 C de decurión. 10, 32), und der S t o c k p r ü g e l (fustigatio) für Freie niedern Standes. Vgl. 1 10 pr,, 1 7, 1 28 § 1—5 D de poen. 48, 19;

2. a l s F r e i h e i t s s t r a f e n a. d i e Z w a n g s a r b e i t s s t r a f e a u f b e s t i m m t e Z e i t . L 8 § 7 u. 8, 1 23 u. 1 28 § tí D de. poen. 48, 19; über die damnatio in pistrinum 1 19 C de poenis 9, 4 7 ; vgl. 1 3, 5—7, 9 C Th de poen. 9, 4 0 ; b. die auf Lebenslang oder auf Zeit erkennbare r e l e g a t i o, die den Verurteilten entweder aus be-stimmten Orten verwies oder auf bestimmte Or te , in der Regel in insulam, verstrickte und Vermogenskonfiskation nicht ipso j u r e zur Folge ha t t e : 1 1. 4. 7. 14. 17. 18 D de interdictis et relegat". 48, 22 ; 1 8 0 9, 47 de poenis; c. das gegen Freie nur auf bestimmte Zeit e rkennbare einfache G e f a n g n i s (carcer , vincula, custodia) ohne Arbeitszwang. An seine Stelle setzte Justinian für F rauen die Ein-schliessung in ein Kloster (Nov. 134 c. 9 u. 10). Vgl. 1 1 § 4 D de aleator. 11, 5 ; 1 2 C de custodia reor. 9, 4 ; 1 35 u. 1 8 § 18 D de

25 5§ 9. 10.

II

poen. 48, 19; d. der H a u s a r r e s t ais mildeste Freiheitsstrafe: 1 9 D 48, 22 de interd. et releg.;

3. a i s V e r m o g e n s s t r a f e n a. die K o n f i s k a t i o n d e s g a n z e n o d e r e i n e s T e i l e s (regelmassig der Hálfte, zuweilen eines Drittels) d e s V e r m o g e n s . Die ungemein háufige Gesamtkonfiskation trat neben anderen Anwendungen ais Folge einer Kapitalstrafe von Rechts wegen ein: 1 1 pr. D de bonis damnator. 48, 20. Vgl. I 7 § 5 h. t. (Konfisk. neben relegatio). — Über die Konfiskation ais Hauptstrafe s. § 4 J 4, 18 de publicis jud ic i i s ; 1 1 pr. D 48, 7 ad leg. Ju l . de vi priv. u. s. w. Uber die Wirkungen der Konfiskation s. W a c h t . e r , Beil. I S. 74. 7 5 ; b . di-e K o n f i s k a t i o n e i n z e i n e r G e g e n s t a n d e , bes. der Werkzeuge zur Begehung von Verbrechen und der Früchte derselben: 1 11 § 2 u. 3 D de publican. 39, 4 ; 1 12 D 48, 10 de lege Cornel. ; 1 9 D 49, 14 de j u r e fisci; c. d i e G e l d -s t r a f e n , mulctae, poenae pecuniariae: 1 131 § 1, 1 244 D de V S ; T C de modo mulctar. 1, 54. Vgl. B r u n s , Zeitschr. f. Rechtsgesch. I I I S. 344ff.; H u s c h k e , Die muleta und das sacramentum. Leipzig 1874 (dazu bes. M. V o i g t , Kri t . Vierteljahrsschrift X I X S. 121 ff.). S. auch M o m m s e n S. 1004 ff.; 1012 ff.

4. a i s E h r e n s t r a f e n . Zu diesen gehort nicht die infamia, obgleich sie Folge der Verurtei lung wegen der meisten dolosen Verbrechen war , und die Strafe des opus püblicum temporarium sie zur Folge ha t te : denn die Infamie ist keine Strafe. Wol aber die Strafe der Intestabilitat ( = Unfahigkeit Solennitátszeuge zu sein, Strafe des Pasqui l ls : 1 18 § 1 D 28, 1, qui testam. fac. non poss. ; 1 5 § 2 D de injuriis 47, 10); ferner die Unfáhigkeit zu Ehrenstel len; Untersagung der Advoka tu r , des Notariates, des Gewerbebetriebes. S. auch M o m m s e n S. 986 ff.

§ 9. D. Das kanonische Strafrecht. Sch 7. G 22—28. L 5. HH I S. 39—51. M 9. — Literatur bei G S. 124. 125. — München , Das kanonische Gerichtsverfahren und Strafrecht. 2 Bde. Koln und Neuss. 2. Aufl. 1874. — K a t z , Ein Grundriss des kanonischen Strafrechts. Berlín 1881. — Eck , De natura poenarum sec. jus canon. Berol. 1860. — V. S c h u l t e , Über Kirchenstrafen. Berlín 1872. — L o e n i n g , Ge-schichte des deutschen Kirchenrechts II. Strassburg 1878 S. 4^-^539. — Hinsch ius* , Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland IV. Abt. 2. S. 691—877; V. VI. 1. — S c h i a p p o l i , Diritto pénale canónico in Pes!?ina, Enciclopedia I S. 613—967. — S c h i a p p o l i , Responsabilita pénale senza dolo e colpa nel diritto canónico. Memoria Prato 1904. — F r i e d b e r g , Kircheui'echt, 5. Aufl. § 102 ff. S. 276 ff.

Die wichtigstéin Teile des Corpus juris canonici für Strafrecht sind: das Decretum Gratiani an den verschiedensten Stellen; ferner Decretal. Gregor IX L. V.; Liber Sextus L. V.; Ciernent. L. V. S. auch Extra-vag. Johan. XXII, t. 8—13; Extravag. Comm. L. V. Genauere Auf-záhlung bei K l e n z e , Lehrbuch des gemeinen Strafrechts, Berlín 1833, S. 12 u. 13.

E. Das germanisch-deutsche Strafrecht.

§ 10. 1. Das germanische Strafrecht bis znm Untergange der Volks-rechte. B 10. G 29—34. Sch 6 HH 1 S. 51—57. M 9. Lí 4. WV 18. — Gr imm, Rechtsaltertümer. 4. Aufl. von Heusler und Hübner

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§ 1 1 . 26

I u. II . Bes. II S. 175 ñ'. — W i l d a * , Das Strafrecht der Germanen. Halle 1842. — B r u n n e r * , Deutsche Rechtsgeschielite(aus B i n d i n g , Syst. Handb. d. d. Rechtswiss.) I 2. Aufl., bes. S. 195 ff. II bes. S. 586 ff. — Dcrs .* , Sippe und 'Wergeld nach niederdeutschen Rechten. Sav. Z I I I (I S. 1 ff. — D e r s . * , Duodecimalsystem nnd Decimalsystem in den Busszahlen der fránkischen Volksrechte (aus Sitzungsber. der Kon. Preuss. Ak. der Wissensch., Bd. X L V I I 1889). — D e r s . * , Abspaltungen der Friedlosigkeit, Sav. Z XI Gr S. 62 tf. — D e r s . * , Über absichtslose Missctat im alten deutschen Straf-rechte (aus Sitzungsbei*. der Kon. Preuss. Ak. der Wissensch., Bd. XXXV 1890 S. 815 ff"). — Ders .* , Die Strafe des Pfáhlens; Sav. Z XXVI 1905 S. 258 ff'. — S c h r o e d e r , Lehrb. der deutsch. Rechtsgesch., 4. Aufl. Leipzig 1902. S. 73 ff., 339 ff. — v. A m i r a * im Grundriss der Germ. Philol., herausg. von P a u l , Abschn. X I : Recht. Bd. I I , 2 Abt.: Grundriss des germ. Rechts. 2. Aufl. Strassburg 1897. Bes. S. 141 ff. — W a i t z , Verfassungsgesch. I. 3. Aufl. S. 418 ff, IV, 2. Aufl. 8. 365 ff. — v. A m i r a * , Das alt-norwegische Vollstreckungsverfahren. München 1874. — D e r s . * , Nordgermanisches Obligationenrecht I. Leipzig 1882. II. 1. 1892. — D e r s . * , Thiérstrafen und Thierprozesse; Mittheil. des Inst. für osterreichische Geschichtsforsch., herausg. von M ü h l b a c h e r XI I (1891) S. 545 ff. — B r a n d t , Nordmaendenes gamle strafferet I. Kristiania 1876. — B r a n d t , Forelaesninger over den norske Rets-historie. I und II. Kristiania 1880 und 1883. — L e h m a n n , Der Konigsfriede der Nordgermanen. Berlin und Leipzig 1886. — B a u m s t a r k , Urdeutsche Staatsaltertümer. Berlin 1873. S. 421 ff. — V. W o r i n g e n , Beitráge zur Geschichte des deutschen Straf-rechts. Berlin 1836. — J a s t r o w , Zur strafrechtl. Stellung der Sklaven bei Deutschen u. Angelsachsen. Breslau 1878. — W a i t z , Das alte Recht der salischen Franken. Kiel 1846. 8. 185-202. — T h o n i s s e n , L'organisation judiciaire, le droit penal et la procé-dure pénale de la íoi salique. 2^ éd. Paris 1882. — S i c k e l , Zur Geschichte 'des Bannes. Marburg 1886. — O s e n b r ü g g e n , Das Strafrecht der Langobarden. Schaffhausen 1863. — v. R i c h t -h o f e n . Zur lex Saxonum. Berlin 1868; bes. S. 218 f. — D a h n , Westgothische Studien. Würzburg 1874. S. 141 ff. — H e c k , Alt-friesische Gerichtsverfassung. Weimar 1894. — P e r t i l e , Storia del diritto italiano V (diritto pénale); 2. ediz. Torino 1892. — L o e n i n g , Der Vertragsbruch I. Strassburg 1876 (handelt auch über das spatere M.-A.). — M a x F r a n k , Die kasuellen Totungen in den deutschen Volksrechten. Berlin 1890. — B e w e r . Die l o t -schlagssühne in der Lex Prisión.; Sav. Z XI I I G 1892 S. 95 ff". — S c h r e u e r , Die Behandl. d. Verbrechenskonkurrenz in den Volksrechten. Breslau 1896. — G ü n t h e r , Idee der Wiedervergeltung I S. 162 ff. — G e f f c k e n , Lex Sálica zum akadem. Gebrauche. Leipzig 1898. — H a I b a n , Das rom. Recht in den germ. Volks-staaten. Breslau 1899. — V i n s g r a d o f f , Sav. Z G XXI I I 1902. S. 123 ff. — D e l G i u d i c e , in P e s s i n a Enciclopaedia I S. 431 bis 609. — Vgl. auch v. B e t h m a n n - H o l l w e g , Der germanisch-roman. Civilprozess I. Bonn 1868. — Interessantes Material zu Rache und Wergeld enthált K o h l e r , Shakespeare vor dem Forum der deutschen Jurisprudenz. Würzburg 1883. S. 119 ff. — Siehe auch P a p p e n h e i m , Über Moorleichen, Sav. Z XXII 1901 (G) S. 354/5.

V? 11. 2 . Das deutsche Strafrecht bis zur Bambergeusis. B U—18, G 35—40. Sch 6. 8. HH I S. 57—66. M 9. Li 4. WV 19. — S c h r o e d e r , Rechtsgeschichte S. 755 ff". — W a i t z , Verfassungs-geschichte VI. 2. Aufl. S. 457 ff. — E r n s t M a y e r , Deutsche u. franzos. Verfassungsgeschichte vom 9. bis zum 14. Jahrhunder t . I u. IL Leipzig 1898. Bes. I S. 134 ff. — F r a u e n s t á d t * , Blut-

27 § 1 1 .

rache und Totschlagssühne im deutschen Mittelalter. Leipzig 1881. — D e r s . , Breslaus Strafreehtspflege im 14. bis 16. J ah rhunder t ; Z f. S t r R W X 1890 S. 1 ff"., 229 ff. — O s e n b r ü g g e n , Das ala-mannische Strafrecht im deutschen Mittelalter. Schaffhausen 1860. — D e r s . , . Studien zur deutschen und schweizer Rechtsgeschichte. Das. 1868. — D e r s., Das Strafrecht in Kaiser Ludwigs Landrechts-buch von 1346; KrV VIII 1866 S. 123 ff., 213 ff. - H i s * , Das Strafrecht der Friesen im Mittelalter. Leipzig 1901. — F r i e s e , Das Strafrecht des Sachsenspiegels. Breslau 1898. — P l a n c k , Waffenverbot und Reichsacht im Sachsenspiegel (Sitzungsberichte der . . . hist. Klasse der bayr. Akademie der Wissenschaften 1884, Heft I , S. 102-178) — B r o c k , Die Entstehung des Fehderechts im Deutschen Reiche des Mittelalters. Berlin 1887. — T r e u s c h V. B u t l a r , Der Kampf Joachims I. von Brandenburg gegen den Adel seines Landes. Diss. Dresden 1889 (interessant). — J o h n , Das Strafrecht in Norddeutscbland zur Zeit der Rechtsbücher I. Leipzig 1858. — v. F r e y m a n n , Das Strafrecht der livlándischen Ritterrechte. Dorpat 1889. — B i s c h o f f , Steiermárk, Landrecht. Graz 1875 (vgl. darüber v. A m i r a , KrV XVIII S. 140 ff.). — H á l s c h n e r * , Geschichte des brandenburg. - preuss. Strafrechts. Bonn 1855. § 1—8. S. 5—78. — Z o e p f l , Das alte Bamberger Recht ais Quelle der Carolina. Heidelberg 1839. S. 104—130. — B r u n n e n m e i s t e r * , DieQuellen der Bambergensis. Leipzig 1879. — v. W á c h t e r , Beitráge zur deutschen Geschichte, insbesondere zur Geschichte des deutschen Strafrechts. Tübingen 1845. — G o e c k e , Die Anfánge der Landfriedensaufrichtungen in Deutsch-land. Dusseldorf 1875. — E g g e r t , Studien zur Geschichte der Landfrieden. Gottingen 1875. — B o h l a u , Nove Constitutiones Domini Alb.erti, d. i. der Landfrieden v. J . 1235. Weimar 1858 (in Beil. V I : Über die Entwicklung der Strafrechtsidee bis z. Landfrieden V. J . 1235) — K l u c k h o n n , Geschichte des Gottesfriedens. Leipzig 1857. — N i t z s c h , Heinrich IV. und der G'ottes- und Landfrieden; Forschungen zur deutschen Geschichte X X I S. 226 ñ. — H e r z b e r g - F r á n k e l , Die áltesten Land- 'und Gottesfrieden in Deutschland. Das. XXII I . S. 117 ff. — H u b e r t i , Studien zur Rechtsgesch. der Gottesfrieden u. Landfrieden. I, Ansbach 1892. — Z a l l i n g e r * , Der Kampf um den Landfrieden in Deutschland wáhrend des M.-A.; Mühlbacher, Mitteil. IV. Ergánzungsband S. 443 ff. — B o r e t i u s , De jure bellorum privatorum ex legibus imperii Romano-Germanici. Halae 1858. — G a s p a r , Darstell. des strafrechtl. Inhaltes des Schwabenspiegels u. des AugsburgeT Stadt-rechts. Berlin 1892. — W i e g a n d , Das Femgericnt Westfalens. Hamm 1825. — D u n c k e r , Krit. Besprech. d. wicht. Quellen zur Gesch. der westfál. Femgeriehte; Z f. RG XVII I Germ. Abt. S. 116 ff. — L i n d n e r , Die Femé. Münster und Paderborn 1888. — T h u -d i c h u m , Femgericht u. Inquisition; histor. Zeitschr. N. F . X X X I I S. 1 ff. — S p e r l i n g , Zur Geschichte von Busse und Gewette . im Mittelalter. Strassburg i. E. 1874. — S o l d á n , Geschichte der Hexenprozesse. Stuttgart u. Tübingen 1843. Neu bearbeitet von H e p p e . 2 Bde. Stuttgart 1880. — L á n g i n , Religión ttnd Hexen-prozess. Leipz. 1888. — R i e z l e r , Geschichte der Hexenprozesse in Bayern. Stut tgar t 1896. — B a a d e r , Nürnberger Polizeiord-nungen aus dem XIII.—XV. Jahrh . ; Bibl. des litterar. Vereins in Stuttgart . Publ . L X I I I (1861). — Dazu A b e g g , Der strafrechtl. Inhalt der . . . Nürnberger Polizeiordnungen aus dem 13. bis 15. Jahrh . : Z f. R G IV S 446 ff, V S. 120 ff. — D e r s . , Z f. DR X V I I I 8. 389 ff'. — K n a p p , Das alte Nürnb. Kriminalverfahren bis zur Einführung der Karol ina; Z f. S t rRW XI I S. 200 ff. — D e r s . , Das alte Nürnb. Kriminalrecht. Berlin 1896. — M e r k e l , Quellen des Nürnberger Stadtrechts (Gott. Festgaben f. Regels-berger. Leipzig 1901. S. 59 ff".: über die Nürnb. Reform v. 1479).

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§ 11. 28

— G a h n , Beitr. z. Quellengesch. des Bamberger Zivil- u. Kriminal-rechts. Diss. Bamberg 1893. — Sebe e l , Das alte Bamberger Straf-recht vor der Bambergensis. Berlín 1903. — Buff, Verbrechen und Verbrecher zu Augsburg in der 2. ílálfte des 14. Jahrh.; Ge-schichte des histor. Veieins für Schwaben und Neuburg III 1877 S. 160 fF. — H a r s t e r , Das Strafrecht der freíen Reichsstadt Speier. Breslau 1900. — G r e i n e r , Das altere Recht der Eeichsstadt Rott-weil. Stuttgart 1900. — K o h n e , Die Reformation des Wormser Stadtrechts vom Jahre 1499. I. Berlín 1897. — Magdeburger Schoflfensprüehe, herausg. von F r i e s e und L í e s e g a n g . I. Berlin 1901. — S to l ze l , Die Entwicklung der gelehrten Rechtsprechung . . auf Grund der Akten des Brandenburger SchofFenstuhls. Bd. L Berlín 1901. Dazu Urkunden Bd, I—IV. Berlin 1901. (Zu den zwei letzten Werken . . die wertvoUe Anzeige von v. A m i r a , Sav. Z XXIII 1902 G S. 271 ff.). — W a h l b e r g , Die Maximilíaneischen Halsgerichtsordnungen. Wien 1859 (auch Gesammelte Schriften II S. 86 ff".). — Ders., Über die Maxímilianeische Malifizordnun^ für die Landeshauptstadt Laibach (gedruckt Diplomatarium Carolinicum I. Laibach 1855) vom 20. August 1514; Z f. RG I S. 460 ff. (stimmt fast wortlich mit der Tirolensís von 1499 überein). — Mi t i e r ra ai er, Über die . . Halsgeríchtsordnung von 1506 für die Stadt Ratolphzell: NA IV S. 44 ff. — B i r n b a u r a , Über einige noch unbenutzte Hilfsmittel zur Auslegung der Carolina: das. XII S. 390 ff. — Dagegen W á c h t e r , Beitrag zur Lehre von den Quellen der Carolina: ANF 1834 S. 82 ff. — G ü n t h e r , Idee der Wiedervergeltung I S. 201 ff. — Für die Verbrechensauffassung bedeutsam Z a l l i n g e r , Das Verfabren gegen die landschádl. Leute in Süddeutscbland. Innsbfuck 1895. — Vgl. auch G r o s s m a n n , Das Rigische Strafrecht bis zum Jahre 1673; Dorpater Zeitschr. f Rechtswíss. X S. 218 ff.; de Qroos , Hist. du droit crim. et penal en Flandre. 1878; C a t t i e r , Evolution du droit penal germanique en Hainault au XVe siécle. Mons 1894; K o h l e r , Studien II—V Mannheim 1895—1897: Das Strafrecht der Ital. Statuten vom 12. bis 16. Jahrh. (wesentlich eine Zusammenstellung von Quellen-Ex-cerpten); R i c k e n b a c h e r , Das Strafrecht des alten Laudes Schwjz. Diss. Boma-Leipzig 1902; Pe re ís , Die Justizverweígerung im alten Reíche seit 1495; Sav. XXV 1904 G S. 1 ff.; U t s c h , Peínl. Urfehde. Diss. Erlangen 1903; v. B e l o w , Die ürsachen der Rezeption des Rom. Rechts in Deutschland. München und Berlin 1905. — S. auch die Literatür vor § 13.

I. Das deutsche Strafrecht blieb ein ungelehrtes Recht, d. h. ein Recht ohne selbstandige wissenschaftliche Bearbei tung, bis wir durch die Rezeption des romischen Rechts und der italienischen Jur isprudenz diesen Mangel einbrachten. Eine deutsche Rechtswissenschaft von einiger Selbstandigkeit datirt in Deutschland erst von B e r l i c h und C a r p z o v , s. § 13. Über die italienische Li teratür und die sich darán anlehnende deutsche s. v. S a v i g n j , Gesch. des rom. Rechts im Mittelalter, 2. Aufl., Bd. I I I bis VII , Heidelberg 1834—1851; B i e n e r , Bei trage zur Geschichte des Inquis.-Prozesses, Leipzig 1827, S. 78 ÍF.; V. B e t h m a n n - H o l l w e g , Civilprozess des gem. Rechts VI. 1, Bonn 1874, S. 197 íf.; S t i n t z i n g * , Die populare Li t tera tur des romisch-kanon. Rechts in Deutschland am Ende des 15. und ara Anfang des 16. J ah rhunder t s , Leipzig 18()7; d e r s e l b e * , Gesch. der deutschen Rechtswissenschaft I, München u. Leipzig 1880, bes. S. 37íF.; A U a r d , Hist. de la justice criminelle au X V l e siécle, G a n d , Pa r i s , Leipzig 1868, S. 390 ff.; S e e g e r , GS 1872 S. 207 ff

29 11.

Die wichtigsten Werke der fremden kriminalistischen Literatür, sofern sie auf Deutschland grOsseren Einfluss übte, s ind:

1. I t a l i e n i s c h e v o m 14 .—17 . J a h r h u n d e r t . A l b e r t u s d e G a n d í n o (f um 1300), Tractatus de maleficüs. Zweite Ausgabe 1299 zu Siena veranstallet ; zuerst gedruckt 1491 in Venedig. — G u i l i e l m u s D u r a n t i s ( 1 2 3 7 - 1 2 9 6 1. Nov.) , Speculum judiciale. Buch I I I behandelt sehr kurz den Kriminalprozess. 1. Ausg. 1272? 2. Ausg. 1286. 1. Druck 1473, 22. Nov. Argent. — J a c o b u s d e B e l v i s i o (etwa 1270—1335), Practica criminalis. 1. Druck Lugd. 1515. — Á n g e l u s A r e t i n u s d e G a m b i l i o n i b u s (f nach 1451), Tractatus de maleficüs; zuerst gedruckt Lugd. 1472. — B o n i f a c i u s d e V i t a l i n i s (der bald nach Ángelus Aretinus schrieb), Tractatus super maleficüs. Mediol. 1514. — H i p p o l y t u s d e M a r s i l i i s ( t um 1525), Practica causarum criminalium. Lugd. 1538. — A e g i d i u s B os s i US (f 1546), Tracta tus varü qui omnem fere criminalem mate-riam complectuntur. Ed. rec. Venetiis 1570. — T i r a q u e l l u s (geb. wol gegen 1480, f 1558), De poenis legum. Seine W e r k e erschienen in 5 Banden. Paris 1574. — J u l i u s C l a r u s (1525—1575), Practica criminalis, s. Sententiarum recept. Ubr. V. Francof, 1560 und ofter. Ed. accur. Genevae 1739. — T i b . D e c i a n u s (1508 — 1571), Tractatus criminalis. Mehrfach gedruckt. — P r o s p e r F a r i n a c i u s (1544 bis 1618), Opera omnia criminalia, zu verschiedenen Malen in 9, 10 oder 13 Banden gedruckt .

2. N i e d e r l a n d i s c h e d e s 16 . u n d 17 . J a h r h u n d e r t s . J o d o c u s D a m h o u d e r , Praxis (auch E n c h i r i d i o n ) rerum criminalium. Antw. 1554 und Lovanii 1554. Vielfach gedruckt . Deutsch durch Michael Beuther von Carlstatt. Frankf. 1571. — A n t ó n M a t t h a e u s (1601—1654), De criminibus ad lib. X L V I I et X L V I I L Dig. commentarius. Tra j . 1644, zuletzt cum adnotationibus Nani. Ticini 1805.

II . Die beiden wichtigsten Werke der deutschen juristischen Literatür des 15. und 16. Jahrhunder ts waren :

1. Der falschlich vielfach dem S e b a s t i a n B r a n t zuge-schriebene, wohl aber 1516 von ihm neu aufgelegte und getaufte „ R i c h t e r l i c h C l a g s p i e g e l " — das alteste und umfassendste Kompendium des romischen Rechts in deutscher Sprache — , ent-standen im nordl. Schwaben (wahrscheinlich zu Schwabisch-Hall) im 1. Viertel des 15. Jah rhunder t s , zuerst gedruckt in den 70er Jahren dess. — Das Werk besteht aus zwei Trak ta t en : der 2. enthalt Kriminalrecht und Prozess , letzterer dargestellt nach Roffredi iibelli de ju re pontificio, pars VIL ; dann folgen die einzelnen Verbrechen nach der Reihenfolge des Cod. J . I X , 4 — 5 1 , wesentlich nach der Summe des Azo. S. S t i n t z i n g a. a. O, -S . 335—407.

2. Der L a y e n s p i e g e l von U l r i c h T e n n g l e r (f 1510 oder 1511; stand nicht unwahrscbeinlich mit S c h w a r z e n b e r g in personlicher Verbindung), wahrscheinlich 1509 zuerst edirt, wichtigste Ausgabe Augsburg 1511. E r benutzte den Clagspiegel und wus.ste überhaupt die wichtigsten Hülfsbücher für die Praxis sich einzuver-leiben. T e n n g l e r woUte aus dem deutschen Rechtsleben schopfen,

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§ 12. 30

hat aber sehr stark das kanonische und romische Recht sowie die gelehrte Li teratur benutzt . Der drittc Teil handelt von peinlichen Sachen, gibt teils den 2. T rak t a t des Ciagspiegels, teils die Bam-bergensis nach ihrem Inhalte wieder, deren Grundsátze er so über einen grossen Teil Deutschlands verbrei tete , schopft aber bezüglich Ketzerei und Hexerei aus dem beriichtigten Malleus maleficarum (1 . Ausg. 1489).

I I I : Die wichtigsten Gesetzeswerke des endenden 15. und be-ginnenden 16. Jahrhunder t s — abgesehen von der Bambergensis — sind

1. d i e N e u e R e f o r r a a t i o n d e r S t a d t N ü r n b e r g 1 4 7 9 und d e r S t a d t W o r m s R e f o r m a t i o n von 1 4 9 8 (von ini r5mi-schen Recht gebildeten Juris ten beeinflusst);

2. die Maximilianischen Halsgerichtsordnungen, und zwar a. G e s a t z u n d o r d n u n g e n d e r y n z i c h t e n M a l e f i t z

R e c h t e n u n d a n n d e r e r n o t t i r f t i g e n h e n d e l n d e s L a n d s d e r G r a v e s c h a f t T y r o l l v. 30. Nov. 1499 die sog. T i r o l e n s i s ) . Text unter anderen bei W e i s k e , Abhandl . aus d. Gebiete des deut-schen Rechts. S. 187—198. — Mit der Tirolensis stimmt fast w5rtlich überein d i e H a l s g e r i c h t s o r d n u n g fü r R a d o l f z e l l am Untersee, V. 20. Dez. 1506, und die M a x i m i l . H a l s g e r i c h t s o r d n u n g f. d. L a n d e s h a u p t s t a d t L a i b a c h vom 20. Aug. 1514;

b. L a n d g e r i c h t s o r d n u n g f ü r d a s E r z h e r z o g t u m O s t e r r e i c h u n t e r d e r E n n s vom 21 . August 1514, abgedruckt bei H y e , Beitr. zur osterreichichen Rechtsgeschichte. Wien 1884. S. 20 íf. Sie bildet die Grundiage für die Landgerichtsordnungen für O b e r O s t e r r e i c h 1559, K r a i n 1539, K a r n t h e n 1577.

12. 3 . Johann zu Schwarzenberg. Die Bambergensis ron ISO?» die Brandenburgica ron 1516, die Peinliche Gerichtsordnnng Karls V. ron 1532. H^ 16-18. B 14-16. M 10. Li 5. G. 45—49. Sch 9. L 9. HH I S 67—71. WV 20. Fi 9.

S c h r o e d e r , Rechtsgeschichte S. 906. 907. — M a l b l a n k , Geschichte der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. Nürnberg 1783. — Her rmann* , Johann Freiherr zu Schwarzen-berg. Leipzig 1841. — R o s s h i r t , Johann zu Schwarzenberg in seinen Beziehungen z. Bamberg. und Carolina: NA IX S. 284 fí. — G e r v i n u s , Geschichte der deutschen Dichtung, 4. Ausg. II S. 418. — E a n k e , Deutsche Geschichte im Zeit-alter der Reformation II S. 39 ff. (der Sámmtl. Werke). — W e i s s e l , Hanns Freiherr v. Schwarzenberg. Grünberg 1878. — S che el, Johann Freiherr zu Schwarzenberg. Berlín 1905. (Durch grossere Ausnutzung der archival. Materialien ver-dienstlich.) -- W a c h t e r , Ad historiam constitutionis crimi-nalis Carolinae symbolarum pars I. Lipsiae 1835. — Ders . , Beil. I Bell. 27 und 29 S. 100—120. 122—126. — H o h b a c h , Beitrag zur Geschichte des deutschen Strafrechts: ANF 1844 5. 238 ff. — G e i b , Beitrag zur Geschichte der Quellen des deutschen Strafrechts; das. 1845 S. 105 fi", 178 ff. (H und G handeln besonders über das Korrektorium zur Bamberger Halsgerichtsordnung, entstanden 1507—1515). — A b e g g , ANF 1854 S. 439 ff. — H á l s c h n e r a. a. O. S. 78-96. - S t o b b e , Rechtsquellen II S. 241 ff. — Dazu kommen die trefflichen einander ergánzenden Werke von G ü t e r b o e k , Die Ent-stehungsgeschichte der Carolina, Würzburg 1876, und von

31 § 12.

J

B r u i i n e n m e i s t e r , Die Quellen der Bambergensis. Leipzig 1879. — Se i t z , Das Bamberger Hofgerichtsbuch mit den Ur-teilen Schwarzenbergs; Z f. RG II S. 435 ft'. — G a h n , Bei-tráge zur Quellengeschichte des Bamberger Zivil- und Kriminal-rechts. Diss. Bamb. 1893. - L e i t s c h u h , Die Bamberg. Ge-richtsordnung. Ein Beitrag zur Gesch. der Bücherillustration (Repertor. f. Kunstwiss. IX. Stuttg. 1886. S. 1 ff.). — S t i n t z i n g, Gesch. der Rechtsw. I S. 608 ff. — S. auch A b e g g , Über das religiose Element in der Peinl. Gerichtsordnung; ANF 1852 Beilageheft. — Ders . , Symbolae ad histor. jur. crim. literariam. 1843. 4. — K l e e , Die Strafrechtstheorie der Carolina u. des Carpzov; Z f. vergl. RW XVI 1901 S. 220 ff. — G ú n t h e r , Idee der Wiedervergeltung I S. 285 fi". — O p p e r m a n n , Die Schuldlehre der Carolina. Diss. Leipzig 1904. — Interessant D a r g u n , Die Reception der peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. in Polen, Sav. Z X G S. 168 ff.; über ihr Schicksal in der Schweiz L a u t e r b u r g , Eidesdelikte S. 71; über „die Bambergensis in der Mark" H o l t z e , Forsch. zur brandenburg. und preuss. Geschichte III S. 59 ft".

1. A u s g a b e n : 1. D i e B a m b e r g e n s i s (286, nicht nur 278 A r t . ) ^ : s. darüber

S p a n g e n b e r g , NA VII S. 452 íF.; R o s s h i r t , das. I X S. 224 ff. S. auch S t o b b e , R.-Quellen I I S. 241 Nr. 22. — Die editio princeps ist die V. 1507 „Bamberg Sambstag nach sanct Veyt, durch Hanfsen Pfeyll" 85 Bl. fol. mit 19 Holzschnitten; 1508 veranataltete J . Schdffer in Mainz 3 Ausgaben und von jeder mehrere Titelausgaben. — Zu Mainz und Bamberg wurde sie spater noch mehrfach herausgegeben. Vgl. K o h l e r u. S c h e e l , das. S. VI I I ff. Im Jah re 1510 erschien in Rostock eine Über t ragung ins Niederdeutsche. Vgl. K o h l e r u. S c h e e l S. X X V . X X V I u. S. 169—209. V o r l e t z t e A u s g a b e : Z o p f l , Die Peinl . Gerichtsordnung Karls V. nebst der Bamberger und der Brandenburger Halsgerichtsordnung. Heidelberg 1842. Zweite (synopt.) Ausgabe Leipzig und Heidelberg 1876. Drit te unverSnd. Aufl. Leipzig 1883. L e t z t e A u s g a b e : Die Bambergische Halsgerichtsordnung unter Heranziehung der revidierten Fassung von 1580 und der Brandenburg. Halsgerichtsordnung zusammen mit dem sog. Correctorium, einer romanistischen Glosse und einer Probé der Nieder-deutschen Übersetzung. Herausgegeben von K o h l e r und S c h e e l . Halle a. S. 1902. — Die Ausgabe hat nicht die Absicht, die Editio princeps genau abzudrucken, sondern „unter Heranziehung samtlicher Nachdrucke, der zweiten Redaktion von 1580, die ein erweiterter Ab-druck der Princeps ist , und der Brandenburg. H G O . . . den Tex t des Originaldrucks zu reinigen, ohne in den Fehler zu verfallen, sekundare Lesarten einzuführen. Haben wir mit vorsichtiger Ver-

^ Die Záhlung der Artikel in der Editio princeps ist sehr ungenau. Der letzte Artikel trágt..die Ziffer CCLXXVIII. Aber die Ziffern laufen nicht genau durch. Die zwei Uberschriften sind ais zwei Artikel gezáhlt, so dass der erste Artikel mit III (im Text fálschlich mit II bezeichnet) einsetzt. Zwei Artikel sind mit der Ziffer 72 bezeichnet (72 und 72»), zwei mit 76, drei mit 221, zwei mit 258, bei drei Artikeln fehlt die Ziffer, wáhrend die náchste doch nur um eine Ziffer weiter rückt (hinter Artikel 110. 124. 264); 278 Artikel + 8 Artikel = 286 Artikel.

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§ 12. 32

wendung dieser Hilfsmittel den von Schwarzenberg gewollten Text der Princeps rekonstruier t , so ist unsere Aufgabe gelost" (das. S. VIII ) . Eine Handschrift der Bamb. haben die Herausgeber trotz ihrer Miihe-waltung nicht entdecken konnen. — Die Ausgabe ist viel korrekter wíe die K o h l e r - S c h e e l ' c h e der Carolina.

2. D i e B r a n d e n b u r g e n s i s : s. darüber R o s s h i r t , NA I X S. 245. 246 ; K o h l e r - S c h e e l , S. X X V I ff. Ed. p r i n c : 1516 Nürnberg durch Jobst Gu tknech t ; 1582 bei Pfeilschmidt in Hof; zu-letzt bei Z o p f l a a. O. K o h l e r - S c h e e l drucken ebenso wie Z O p f l die Brandenb. nicht besonders a b , sondern geben nur unter dem Texte ihre Abweichungen von der Bambergensis an.

3. D i e C a r o l i n a : s. darüber G. W. B o h m e r , Über die authent. Ausgaben der Carolina. 2. Aufl. Gottingen 1837 — G ü t e r -b o c k a. a. O. S. 193 íí. — W a c h t e r , Beil. I Beil. 28 S. 120 ff. — Ed. pr inc . : „Gedruckt zu Meyntz bei Jvo Schoffer j ais man zalt nach der geburt Christi unsers Herrn M D X X X I I Í j a r ¡ im raonat Hornung." 48 Bl. fol. — A u s s e r d e m etwa 38 Ausgaben im 16., 53 im 17. Jah rh . (diese Angabe aus W a c h , Grundriss zu Vorlesungen über deutsches Strafrecht S. 14. Vgl. auch K o h l e r - S c h e e l a. a. O. S. X I X ff.). Eine neuere Ausgabe mit den Projekten von 1521 und 1529 bei Z o p f l a. a. O.

Die neueste Ausgabe geben J, K o h l e r u. W. S c h e e l in dem W e r k e ; Die Carolina und ihre Vorgangerinnen. Tex t , Erlauterung, Geschichte : Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. Halle a. S. 1900. Dem Texte dieser Ausgabe wird aber nicht die Editio princeps zu Grunde gelegt , sondern eine Kolner Handschrif t , die „eine Handschrift ersten Ranges ist" und „weit über derjenigen s teht , die dem D r u c k e zu Grunde liegt" (S. X L V I I I das.). Die Berechtigung dieses Urteils war mir bei náherer Vergleichung mehr ais zweifelhaft ge-worden. Seine Unrichtigkeit ist je tz t vollig erwiesen durch die sehr verdienstliche Arbeit von H e r i n g , Die im histor. Archive der Stadt Coln aufgefundene Carolina-Handschrift R. 1. Diss. Leipzig 1904 (s. dazu S c h r e u e r , Sav. Z X X V I 1905 S. 341/2 und E n g e l m a n n , GS L X V I I I 1906 S. 76 ; dagegen S c h e e l , Deutsche Literatur-Zeit . 1905 S. 494 ff. und kaum würdig, K o h l e r , GA L 1903 S. 59 ff.; L I 1904 S. 152 ff.; 380 ff; L H Í 1906 S. 121 ff

Aber ganz abgesehen davon: ich halte es bei der Herausgabe von Quellen, die in bestimmter Form in die Welt getreten sind und sie in dieser Form beherrscht haben , für kritisch ganz uner laubt , an dieser Form zu rütteln und eine H a n d s c h r i f t an Stelle einer Publikation zu setzen, welch letztere nach damaliger Auffassung e i n e o f f i c i e l l e war^. Sehr seltsam ist auch, dass auf S. 1 das Bild der Editio princeps gegeben wird , welches in der Kíilner Handschrift

^ Die Analogie mit dem Zurückgelien auf die Florentina (a. a. O. S. LXXXIV) wird m. E. ganz zu Uurecht gezogen. Dass es damals und noch auf lange Zeit hiuaus keine tvirklich amtliche Publikationen der Gesetze gegeben hat, ist ja allbekannt. Wenn aber der Kaiser ais Haupt des Keiches allein dem Schoffer das Privileg des Druckes gab, so war doch der Wille darauf gerichtet, dass Schoffers Druek ais authentisch angesehen werde.

3¿ § 12.

natürlich fehlt. V o n d i p l o m a t i s c h g e n a u e r W i e d e r g a b e d e r K o l n e r H a n d s c h r i f t , die ich genau eingesehen habe , w i e d e r E d i t i o p r i n c e p s i s t k e i n e R e d e ! Abgedruckt wird áusserlich letztere, dem Wortlaute nach wol erstere. Auch dies muss ich für kritisch unerlaubt halten, A u s s e r d e m i s t d i e K o l l a t i o n d e r K o l n e r H a n d s c h r i f t n i c h t e i n m a l g e n a u , w a s d e n g a n z e n V a r i a n t o n - A p p a r a t d e r A u s g a b e v e r d á c h t i g m a c h t . So bleibt der Ausgabe von Z o e p f l trotz mancher Mángel leider noch immer der Vorzug.

II . Z a r Auslegung der CCC dienen, von den deutschen Worter-büchern von G r i m m , M ü l l e r , L e x e r , W e y g a n d abgesehen, H a l t a u s , Glossarium Germanicum medü aevi. Lipsiae 1758 fol.; W a l c h , Glossarium Germán, interpretationi CCC inserviens. Jenae 1790; des weiteren das „Wortverzeichniss" der Ausgabe von K o h l e r u. S c h e e l , das leider an H o m e y e r s treffliches Register z. Sachsen-spiegel nicht heran reicht. — Ferner die lateinische Übersetzung der CCC von G o b l e r (erschienen Basiloae 1543) und die lateinische Paraphrase von R e m u s (Herborn 1594, 2. Ausg. das. 1600), beide neu herausgegeben von A b e g g , Heidelberg 1837. Vgl, dazu W a c h t e r , NA X I I 1832 S. 82 ff. — F ü r die Textkr i t ik wichtig S c h l e t t e r , Zur Textkr i t ik der Carolina, Leipzig 1854, bes. aber G ü t e r b o c k a. a. O. S. 216—254. — Unter den Kommentaren der CCC sind hervorzuheben: F r o h l i c h v. F r o h l i c h s b u r g , Commen-tarius in Kayser Cari V. . . . Peinl. Hals-Gerichís-Ordnung, Ulm 1709. Letzte Ausgabe von S c o p p , Frankfur t und Leipzig 1759. — K r e s s , Comnientatio succincta in const, crim. Car. V s. w. Hannover 1721. Letzte Ausgabe das, 1780. — Der beste ist der von J . S. F r . B o h m e r , Meditationes in CCC. Halae Magdeb. 1770. — (Vgl. auch B o h m e r , Handbuch der Li teratur S. 62 ff.)

I I I . Das sog. C o r r e c t o r i u m z u r B a m b e r g e n s i s war eine dieser spater ein- oder angefügte Sammlung von Bamberg. Verord-nungen und Rechtssprüchen aus den Jahren 1507—1530, welche die Bamb. in einzelnen Punk ten erganzten, erláuterten und abanderten. Einen Abdruck seiner Bestandteile giebt die K o h l e r - S c h e e l sche Bambergensis-Ausgabe S. 121—165. Vgl. auch das. S. L X I X — L X X X I .

IV. F ü r die E n t s t e h u n g s g e s - c h i c h t e der CCC ist zu be-m e r k e n :

Abschied des Reichs-Tags zu F reyburg im Brissgaw Anno 1498 § 34 : Auf die Vorstellung des Kammerger ichts : „So teglich wider Fürsten, Reichsteet und ander Oberkeyt in Klagsweyse einem Gericht anbraclit wirdet , dass Sy Leut unverschuld on Recht und redlich Ursach zum Tode verurteylen und richten lassen haben sellen," be-schloss der Reichstag: . .Wirdet not sein, deshalb ein gemein Reformation und Ordnung in dem Reich fürzunemen, wie man in Criminalibus proeediren solí" (Neue Sammlung der Reichs-Abschiede I I S. 46).

1. W o r m s e r E n t w u r f v. 1521. Gearbeitet auf Grundlage der Bamberg, (seltsamer Weise einer sehr inkorrekten Ausgabe ders. von J . S c h o f f e r zu Mainz 1508 oder 1510, was G ü t e r b o c k a, a. O. S. 65 ff. gegen die Teilnahme Schwarzenbergs an dem 1. Entwurfe

Binding, Strafrecht. Grundriss. 7. Aufl. 3

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§ 12. 34

ins Feld führt. Dagegen Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe l í 1896 S. 241; S c h e e l , Schwarzenberg S. 70 ff.) und des Bamberger Correctorium, von einer ad lioc bestellten Kommission des Reichstags zu Worms 1521, und im April 1521 dem Reichstage vorgelegt. — 236 Art. — G ü t e r b o c k glaubt ein erstes Konzept zu diesem Ent-wurfe, ofFenbar die Arbeit e in es Mannes, in 247 Art. gefunden zu haben: a. a. O. S. 52 íF.

2. I S l ü r n b e r g e r E n t w u r f v. 1523. Der Wormser R.-A. v. 1521 § 18 (Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe II S. 735) über-trug dem Reichsregiment die Revisión und Feststellung des Entwurfs sowie seíne Publikation ais Gesetz. — Dasselbe stellte unter Assistenz i S c h w a r z e n b e r g s und mit Zurückgreifen auf die erste Ausgabe der Bamberg. in der ersten Halfte des Jahres 1523 den zweiten, relativ stark veranderten Entwurf fest, publizirte denselben aber nicht, sondern legte ihn alsbald dem am 14. Januar 1524 eroíFneten Reichstage zu Nürnberg vor. Dieser E. kam nicht zur Verhandlung, und der Abschied des am 18. April 1524 geschlossenen Reichstags erwahnt die Halsgerichtsordnung mit keiner Silbe. — 227 Art.

3. S p e y e r e r E n t w u r f y. 1529. Ausgearbeitet vom Reichsregiment unH eine Revisión des Entwurfs von 1523. Im grossen Ausschuss des Reichstags von 1529 nahm zum ersten Male der Partiku-larismus eine gegnerische Stellung zum Éntwurfe ein. Auf dem Reichstage selbst wurde der í^ntwurf n i c h t beraten. vielmehr ver-wies ihn der R. A. vom 22. April 1529 § 32 an eine (nie zusammen-getretene) Kommission von zwei Sachverstandigen aus jedem der sechs Reichskreise. — 226 Art.

4. A u g s b u r g e r E n t w u r f v. 1530. Der am 20. Juni 1530 zusammengetretene Reichstag von Augsburg überwies die Frage der Halsgerichtsordnung neben anderen Fragen einem aus der Mitte der Stande ernannten Ausschuss, der sich sehr eifrig mit der Revisión des Speyerer Entwurfs bescháftigte und schon Ende Juli den 4. Entwurf den Standen voriegen konnte. Nur die Fassung der Vorrede, welche insbesondere das Verhaltnis des gemeinen zum Partikularrecht fest-stellen sollte, war gegenüber der sachs. Protestation (wonach dieH.-G.-O. „jm heil. Reiche auffzurichten salvo jure Saxonum"), der sich u. A. auch Brandenburg anschloss, dem Ausschuss ebensowenig ais den Stánden gelungen: man kam zu keiner Ausgleichsformel:

5. Auf dem R e i c h s t a g e zu R e g e n s b u r g wurde ein neuer Entwurf nicht aufgestellt, wol aber ward diese Vorrede vereinbart und kamen einige Inkorrektheiten des Augsburger Entwurfs zur Ver-besserung. Ara 22. Juni 1532 wandten sich nun die Stáigde an den Kaiser mit der Bitte, die Publikation und den Druck des Gesetzes zu veranlassen. Dieser Bitté wurde durch EroíFnung an die Stande ara 5. Juli 1532 die Erfüllung zugesagt.

6. D e r o f f i z i e l l e T i t e l d e s G e s e t z e s lautet: „SDeé aller-burd^Ieuc^ttgften groBme(íiíígftenunübern)inbIíd)ften^Qi)íer^aríé beé fünfften: unb beá ^et)ííd^en Síomífíen 3íetd^§ peinítd^ gcrí(^í§ orbnung i auf bett Síeid^Btageu ju 2lugfpurgf unb 9íegenfpurgf | in jaren bret)§ig | un jroet) unb brepfeig geíiaííen auffgerid t unb befd íoffen." Die berühmte sog.

21 12.

„áalvatorische Klausel'' lautet: „2)oc^ rooílen rair burd^ bife gnebigc érínnerung (Sí)urfürften 'Jürflcn unb ©tenben | an i^rcn alten TDol)lí)er= braí^íen récí)tmeffigen unnb billíc^en gebreud)en | nic^té benommen í)abín."

V. A n o r d n u n g d e r C a r o l i n a . Die CCC ist eine Ordnung des peinlichen Gerichts und ais solche, d. h. ais Strafprozessordnung, angelegt. Nacli dem Publikationspatent werden abgehandelt Gerichts-verfassung und lílide der Gerichtspersonen (Art. 1 - 5). Dann wird besprochen die verschiedene Eroíínung des Prozesses: das Annehmen des Übeltaters von Amts wegen (Inquisitionsprozess: Art. 6—10) und das Annehmen desselben auf Begehren des KUigers (Art. 11 ~ 15). Art. 16 handelt vom Verfahren bei unzweiffenlichen missthaten, und nachdem Art. 17 noch bestimmte Weisungen für den Anklager, falls er sich vom Gerichtsort entíernt, aufgestellt hat, beginnt die ungemein sorgfaltige Darstellung des Beweisverfahrens und der Beweismittel. Diese ist so disponirt, dass von den beiden Beweismitteln der CCC, Gestándnis und Bevveisungj zunachst das erste behandelt wird. Da es zum Gestándnis regelmassig nur auf Grund der peinlichen Frage und zu dieser regelmassig auf Grund vorhandener Indicien kommt, so wird der Indicienbeweis Art. 18—44, die peinliche Frage Art. 45, 46 und das Beweisverfahren mittels derselben Art. 47—61 dargestellt. Dann folgt die Beweisung Art. 62—76. An das Beweisverfahren schliesst sich die Regelung des Ijrteils, des sog. endlichen Rechtstages, und der Exekution: Art. 77—103. D a n u n r i c h t i g n u r u r t e i l e n k a n n , w e r d a s m a t e r i e l l e S t r a f r e c h t k e n n t , i s t h i e r e i n -g e s c h o b e n : „Ey,n v o r r e d e wie man raissthatt p e i n l i c h s t r a f f e n sol í" , Art. 104—180. Von diesen Artikeln widmen sich den Fragen des allgemeinen Teils die folgenden: Art. 104. 105. 139—145 (Notwehr). 150. 164. 166. 177 (Gehilfschaft). 178 (Versuch). 179 (Zurechnungáunfahigkeit). — Verhaltnismassig ausführlich sind die Fálschungsfalle (Art. 111—114), die Unzuchtsverbrechen (Art. 116 bis 123), vor alien Dingen aber die Totung (Art. 130—156) und der Dieb-stahl (Art. 157—175) behandelt. — Nach diesem Einschiebsel handeln Art. 181—203 vom Protokoll, insbesondere von der Urteilsformelung, Art. 204 von den Kosten (vgl. Art. 205 u. 206), die Art. 207—214 „von gestolner oder geraubter hab, so inn die gericht kompt", Art. 215 bis 217 von der Besserung der Galgen, Art. 218 -tritt allerlei Miss-brauchen bezüglich des Straíverfahrens in Deutschland entgegen, und Art. 219 regelt das Ratsuchen und die Aktenversendung.

VI. S t r a f e n s y s t e m der CCC. Vgl. bes. W a c h t e r , Beil. I S. 122 íF. Die Strafgesetze sind vielfach absolut bestimmt oder absolut unbestimmt; die relativ unbestimmte Strafe wird nur sehr unvoU-kommen gehandhabt. Zu beachten ist, dass das Strafensystem des gemeinen romischen Rechts dem der Gerichtsordnung ihren eigenen Intentionen gemass subsidiar ist S. bes. CCC A. 104. 105.

Die Strafen sind nun 1. p e i n l i c h e , d. s. Strafen an L e b e n , L e ib (incl. Freiheit), E h r e und die V e r m o g e n s k o n f i s k a t i o n (CCC A. 104. 110. 113. 135.142 a E. 145. 152); oder 2. b ü r g e r l i c h e , d. i. die Einziehung von Vermogensquoten, von einzelnen Gegen-standen, und die Geldbussen (CCC A. 138. 157. 158. 167 a. E. — Vgl.

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§ 13. 36

7; T. 17 § 8). - Die p e i n -Reichspol.-Ordnung von 1577 T. 14 I i c h e n Strafen sind :

1. T o d e s s t r a f e n , und zwar a. q u a l i f i z i r t e : das V i e r -t e i l e n (A. 192. 124); das L e b e n d i g b e g r a b e n und P f á h l e n (A. 192. 131); das V e r b r e n n e n (A. 192. 109. 111. 116. 125. 172); d a s R a d e r n (A. 192. 130. 137); b. e i n f a c h e : E n t h a u p t e n mit dem S c h w e r t (A. 192. 119. 126. 127. 128. 129. 133. 137), die alte ehrliche Todesstrafe; E r h a n g e n am G a l g e n (A. 192. 159. 162), die alte unehrliche Todesstrafe; E r t r a n k e n (A. 192. 131), besonders für Weiber angedroht, für sie bald an Stelle einer qualifizirten (A. 124. 130), bald an Stelle einer einfachen Strafe (A. 133. 158, 162). — Die Todesstrafen, und zwar einfache und qualifizirte, konnen aber noch gescharft werden durch R e i s s e n m i t g l ü h e n d e n Z a n g e n oder S c h l e i f e n z u r R i c h t s t a t t e (A. 193. 194. 124. 130. 131. 137), oder durch Exekutionen gegen den Leichnam des Hingerichteten (A. 124).

2. L e í b e s s t r a f e n und zwar a. v e r s t ü m m e l n de S t r a fen : A b s c h l a g e n der F i n g e r , der H a n d , A b s c h n e i d e n der O h r e n und A u s s t e c h e n der A u g e n (Art. 68. 107. 110. 123.159.180).— Diese Strafen waren imfamirend, da sie durch den Henker vollzogen wurden, dabei gewohnlich mit Landesverweisung verknüpft. Vgl. Art. 198; b. k O r p e r l i c h e Z ü c h t i g u n g e n (A. 115. 123. 127. 158. 198). Ebenso wie die vorigen mit Ausstellun_g am Pranger verbunden.

3. F r e i h e i t s s t r a f e n : a. L a n d e s v e r w e i s u n g e n (A. 113. 115. 123. 127. 161); O r t s v e r w e i s u n g e n (A. 127); V e r s t r i c k u n g an e i n e n e i n z e l n e n O r t (A. 161); b. G e f a n g n i s und zwar e w i g e s G e f a n g n i s und a u f Z e i t (A. 10. 101. 157. 161. 176. 216).

4. E h r e n s t r a f e n : E h r l o s i g k e i t (A. 107. 122); A u s -s t e l l u n g am P r a n g e r oder im H a l s e i s e n (A. 115. 123. 158. 160).

5. V e r m o g e n s s t r a fen : V e r m o g e n s k o nf i s k a t i o n e n , jedoch nur für die in dem Gesetz ausdrücklich bestimmten Falle (A. 135. 218).

§ 13. 4. Das gemeine deutsche Strafrecht von der Karolina bis zn seinem Ende. H^ 19—21. 24. B 17—21. G 50—58. 60. Sch 10 und 11. HH I S. 71—84. M 10. Li 6. 7. W V 21. 22. Fi 9 und 10. — v . B a r I S. 131 íF. — Ein Teil der Li tera tur vor § 11 schiágt auch hier ein. S. auaserdem:

W á c h t e r * , Gremeines Recht Deutschlands, ¡nsbes. gemeines deutsches Strafrecht. Leipzig 1844. S. 32—168; d e r s . , Über die E,e-zeption der Carolina, bes. in Sachsen: A N F 1837 S. 59 ff.: d e r s . , Über die deutsche kriminelle Literatur des XVI. Jahrh . : A N F 1836 S. 115 ff.; d e r s . , Beil. I Beil. 30 S. 127 ff. — H á l s c h n e r * a. a. O. § 10—21 S. 96—189. — O r t o l a n , Cours de législation pénale com-parée. Introd. histor. Histoire du droit crimine! en Europe depuis le XVIII . siécle jusqu 'á ce jour. Faris 1841. — L e v i t a , Von der CCC bis zur Gegenwart : GS 1860 S. 437 ff. — S t i n t z i n g a. a. O. I S. 630 ff. 672 ff. I I S. 1 ff.; bes. S 55 ff. (über Carpzov). — L a n d s -b e r g , Gesch. der deutschen Rechtswiss. I I I , bes. S. 71 ff. 214 ff. 301 ff. 385 ff. 461 ff. — K a n t o r o w i c z , Goblers Carolinenkommentar und seine Nachfolger. Berlín 1904. — A b e g g , Geschichte des Strafrechts der brandenburg.-preuss. Lande . Berlin 1835; d e r s . , Beitráge zur Geschichte der Strafrechtspflege in Schlesien, insbes. im 15. und 16. Jahrh . : Zeitschrift für deutsches Recht XVII I S. 389 ff.; d e r s . ,

37 13.

Beitrag zur Geschichte der áltesten einheimischen Sti-afrechtspflege, mit Rücksicht auf die sog. Malefizbücher: Z f. RG III S. 90—124. — S e l l o , Die Gerichtsverfassung und das Schoffengericht Berlins, in den Márkischen Forschungen (Berlin 1881) S. 1—128. — K a r l O p p e n h o f f , Die Strafrechtspflege des Schoffenstuhls zu Aachen (aus der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins Bd. VI. Aachen 1884). — No I d e e k e , Die Criminalrechtspflege in Celle, insbes. im 16. und 17. Jahrh . Celle (1886). — v. M a a s b u r g , Die. Galeeren-strafe in den deutschen und bohmischen Erblándern Osterreichs. Wien 1385. — S c h l e t t e r , Die Konstitutionen Kurfürst Augusts von Sachsen von 1572. Leipzig 1857. — D i s t e l , Einige altere Leipziger Schoppensprüche in Strafsachen, Z f. S t rW VIII S. 589 ff.; IX S. 206 ff.; d e r s . , Strafrechtsgesch. Findlinge, Z f. S t rRW X 1889 S. 421 ff.; d e r s , Sav. Z III Germán. Abt. S. 184ff._— L o b e , Die allgem. strafrechtlichen Begriffe nach Carpzov. Leipzig 1894. — F r a u e n s t ' á d t , Drei (Breslauer) Malefizbücher: Z f. StrR XXI I I 1903 S. 269 ff. Vgl. d e n s . , das. X X V I 1906 S. 50 ff. — L i p o w s k y , Geschichte des bayr. Kriminalrechts. München 1803. — G e s s l e r , Der Entwurf einer Kriminalordnung für Würt temberg von 1609: Zeitschrift für deutsches Recht X X S. 223 ff. — B i n z , Dr. Johann Weyer . . . , der erste Bekámpfer des Hexenwahns. Bonn 1885 (dazu B i r k m e y e r , KrV XXX 1888 S. 304 ft".). 2. Aufl. Berlin 1896. — H a n s e n , ' Zaubevwahn, Inquisition und Hexenprozess im M. - A. München 1900. — H a n s e n , Quellen und Untei-suchungen zur Geschichte des Hexenwahns und der Hexenverfolg. im M.-A. Berlin 1901. — B u x h o e v e d e n und v. B l a n k e n h a g e n , Dorpater Jurist . Studien I. 1893 S. 1 ff. : S. 247 ff". — S t i l i m a r k , Beitráge zur Kenntnis der altlivlánd. Bauernrechte I I . 1. Dorpat 1893 S. 1 ft". — H e r t z , Voltaire und die franzosische Strafrechtspflege im 18. Jahrh . Stuttgart 1887. — M a s m o n t e i l , La législation criminelle dans l'oeuvre de Voltaire. Thése. París 1901. — V. O v e r b e c k , Das Strafrecht der franzosischen Enzyklopádie. Karlsruhe 1902. — W i l l e n b ü c h e r , Die strafrechtsphílos. An-schauungen Friedrichs des Gr. Breslau 1904. — H o l t z e , Geschichte des Kammergerichts in Brandenburg-Preussen. I—IV. Berlin 1890 bis 1904. — F r a n k , Die Wolffsche Strafrechtsphilosophie und íhr Verháltnis zur criminalpolitíschen Auf klárung im XVII I . Jahi'h. Gott. 1887. — S t o l z e l , Karl Gottlieb Suarez. Berlin 1885. — D e r s . , Brandenburg-Preussens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung. 2 Bánde. Berlín 1888. — H o l t z e , Strafrechtspflege unter Konig Friedrich Wilhelm I. Berlin 1894. — G ü n t h e r , Idee der Wieder-vergeltung II . Erlangen 1891. — D e r s . , Thomaso Nata le ; G A XLVII I 1901 S. 1 ff. — D e r s . , Über Marat ais Crimínalisten; GS L X I 1902 S. 161 ff. — S e e g e r , Die strafrechtlichen Consilia Tubíngensía. Tübíngen 1897. — H e g l e r , Die prakt. Tátigkeít der Juristenfakultáten des 17. und 18. Jahrh. ' Freibnrg i. Br. 1899. — H o g e l , Geschichte des osterr. Strafrechts I und II . Wien 1904. — S. avich D o p l e r , Schauplatz Derer Leibes- und Lebensstrafen. Sondershaüsen 1693.

I. G e s e t z g e b u n g . A. Die R e i c h s g e s e t z g e b u n g unter-liess ganzlich das Werk der CCC weiterzuführen. Im Anschluss an „Romisch Kayserlicher Majestat Ordnung und Reformation guter Policey, im Heiligen Romischen Reich zu Augspurg Anno 1530, upgericht" erschienen die „Ordnung und Reformation guter Policey" von 1548 und die „reformirte und gebesserte Policey-Ordnung" von 1577.

B. Die L a n d e s g e s e t z g e b u n g ist 1. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts der CCC nicht feindlich, ignorirt sie selten voll-stándig, nimmt sie vielfach ganz oder grosstenteils in sich auf, sucht

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18. 38

sie in einzelnen Bestimmungen zu bessern, erkennt sie fast durchweg an. S. W a c h t e r A N F 1837 S. 59íF.; d e r s . , Gemein. Recht S. 32 ÍF.; S t o b b e , Rechtsquellen I I S. 253 íF.

Zu einer bedeutenderen Fortbildung der CCC durch die Landes-gesetzgebung kam es aber nur in S a c h s e n . Behufs Beseitigung ent-standener Rechtsunsicherheit beauftragte der K u r f ü r s t A u g u s t auf Anregung der Stande im Jahre 1565 bald danach die Juristen-fakultaten und Schoppenstühle zu Leipzig und Wit tenberg , über die Entscheidung ihnen gestellter wichtiger Rechtsfragen ihre Gutachten zu geben. Diese wurden 1571 und 1572 weiter beraten, und jene Gutachten und diese Beratungen zusammen heissen die C o n á u l t a t i o n e s S a x o n i c a e . Resultat derselben waren die am 21. April 1572 er-lassenen und noch in demselben Jah re durch den Druck publizirten „ K o n s t i t u t i o n e n K u r f ü r s t A u g u s t s v o n S a c h s e n " , deren 4. Teil in 48 Konstitutionen von „Peinlichen Fallen" handeit, ü iese enthalten eine Reihe sehr wertvoller Entscheidungen zweifelhafter Punk te und Erganzungen des geltenden Rechts (vgl. bes. S c h l e t t e r a. a. O. S. 312 íF.)« Dadurch wurde eine gesunde und konstante Straf-rechts-Praxis ermdglicht.

2. Mit dem Jah re 1751 beginnt aber diejenige Landesgesetzgebung, deren Erzeugnisse das gemeine Strafrecht von ihrem Geltungsgebiete vollstándig ausschliessen, ihm nicht einmal eine subsidiare Geltung gestattend. Und zwar schreiten gerade die grosseren deutschen Staaten voran.

So ents tanden:

a. in B a y e r n der Codex jur is Bavarici criminalis de anno MDCCLI . Erlassen von dem Kurfürsten Maximilian Josef. „Gegeben . . . den 7. Okt. 1751." In der Hauptsache verfasst vori dem Staats-kanzler v. K r e i t t m a y í ;

b. in O s t e r r e i c h „Constitutio Criminalis Theresiana oder . . . Mariae Theresíae . . . peinliche Gerichtsordnung". Gegeben Wien 31 . Dez. 1768. (S. dazu W a h l b e r g , Kleinere Schriften II S. 115 ff.; v o n M a a s b u g , Zur Entstehungsgeschichte der Theres. Halsgerichts-ordnung. Wien 1880; v. K w i a t o w s k i , Die Constitutio Criminalis Theresiana. Innsbruck 1904.) — Ihr ist grosstenteils derogirt durch J o s e f s I I . „ A I l g e m e i n e s G e s e t z ü b e r V e r b r e c h e n u n d d e r e n B e s t r a f u n g " . Wien , 13. J anua r 1787. (S. dazu W a h l -b e r g , Kleinere Schriften I I I S. 1 íf.) —• An Stelle dieses Gesetzes ist dann F r a n z ' I I . verdienstvolles „ G e 8 e t z b u c h ü b e r V e r b r e c h e n u n d s c h w e r e P o l i z e j - ü e b e r t r e t u n g e n " v o m 3. S e p t . 1803, in Kraft vom 1. Jan . 1804, getreten;

c. in P r e u s s e n das „ A I l g e m e i n e L a n d r e c h t f ü r d i e p r e u s s i s c h e n S t a a t e n " , publizirt am 20. Marz 1791; suspendirt durch Kabinetsordre vom 18. April 1792; wieder publizirt am 5. Februar 1794. In Kraft vom 1. Juni 1794. Das Strafrecht steht in Teil 11 Titel X X .

I I . D o k t r i n . Die strafrechtliche Literatur Deutschlands im 16. und 17. Jah rh . ist von zwei Ausnahmen ohne jeden wissenschaft-lichen W e r t : A n d r e a s P e r n e d e r (f um 1540), Von Straff und

i 39 ^ 14.

Peen aller und Jeder Maleñzhandlvmgen, oder Halsgericiitsordnung. Zuerst Ingolstadt 1545. — J u s t i n G o b l e r (1503—1567), Der Kechten Spiegel. Frankf. 1550. — C h i l i a n K o n i g (f 1526), Practica. Zuerst 1541. — H e i n r , R a u c h d o r n , Pract ica vnd Process pcinlieher Hals-gerichtsordnung. Budissin 1564. — v. D o r n e c k , Practica und Process Peinlicher Gerichtshandlung. Frankf. 1576. — A b r a h a m S a w r , Straff-buch. 1. Ausg. 1577 fo l .— N i c o l a u s V i g e l i u s , Consíitntionis Caro-linae public. judicior. etc. 1. Ausg. 1583? 3. Ausg. 1603. — J o h a n n e s H a r p p r e c h t , Tractatus criminalis aliquot titulorum libri IV 1(503. 1()04.— L u d o v i c u s G i l h a u s e n , Arbor judiciaria criminalis. lt)06 fol. — Weit bedeutender ais die samtlichen bisher genannten sind die beiden sachsischen Ju r i s t en : M a t t h i a s B e r l i c h (1586—1638, Advokat, spater Professor in Leipzig), Conclusiones practicabiles secund. ordinem constitutionum D. Augusti electoris Saxoniae discussae V part. Lips. 1614—1618 (dem Strafrecht gewidmet T . 4 und 5) , und B e n e d i c t C a r p z o v (1595—1()66: von 1620 an Mitglied, von 1(332 Sénior des Leipziger Schoppenstuhls, seit 1645 auch noch Ordinarius der Leipziger J u r i s t e n - F a k u l t a t , 1653—1661 in Dresden ais Geh. Rat , seit 1661 wieder am Leipziger Schoppenstuhl), Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium I I I part . (in 150 (^uaestion. geteilt). Lipsiae 1635. Erlebte 14 Auflagen. — Nisi Berlichius berlichiasset, Carpzovius von

carpzoviaáset. Mit dem 18. Jah rh . beginnt , getragen durch bessere Erkenntn is

des romischen Rechts (bes. Verdienst von Antón Matthaeus; s. zu § 11 s. I 2) und durch den Geist der Aufklarung in Gestalt des Natur rechts , die Reaktion gegen C a r p z o v und gegen das gemeine Recht überhaupt , bes. sein Strafensystem. Besondere Verdienste er-warb sich C h r i s t i a n T h o m a s i u s (1655—1728) durch eine grosse Zahl das Strafrecht betr. Dissertationen. — Gegen C a r p z o v richteten sich vor alien J . O l d e k o p , Observationes criminales pract icae, ed. nov. 1698, und viel hervorragender J . S. F . B o h m e r , Observationes selecta ad B. Carpzovii practicam u. s. w. Francof. 1759 fol.

Gleichzeitig beginnen auf den Universitaten besondere Lehrvor t rage über das Strafrecht und damit auch die Lehrbücher : J . G. G a r t n e r , Inst. j . crim. in usum lection. acad. Lips. 1729, — K e m m e r i c h , Synopis jur is criminalis. Jen . et Lips. 1731. — J. S. F . de B o h m e r * ( t 1772), Elementa jur i s pr. crim. Hal . 1736. 6. Ausg. 1774. — Chi- . F r . G. M e i s t e r (der altere), Principia jur . crim. Goett. 1755. 6. Ausg. 1781. — P ü t t m a n n , Elem. jur . crim. Lips. 1779. 2. Ausg. von C h . G. B i e n e r , das. 1802. — G. J . F r . M e i s t e r (der jüngere) , Principia ju r . crim. Goett. 1789. 7. Ausg. 1828. — K l e i n , Grund-satze des geineinen deutschen u. preuss. peinl. Rechts. Halle 1796. 2. Ausg. 1799.

§ 14. 5. Geschichte der dentscheu Landes-Strafgesetzgebnng von 1813 bis 1869. H2 21—23. Bdg. H 8. B 22. 24. M 11. Li 8. G .57. .59. 60. L 7. H 22—27. WH 1-12. WB* 31. .38. WV 23. Sch 12. HH 1 S. 87-126. Fi 11. 12. v. Bar I S. 174 fi'.

Ausser den Einleitungen in die Kommentare zi> den neueren Strafgesetzbüchern (s. § 16 sub IV) sind besonders zu vergleichen:

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§ 14. 4 0

M i t t e r r n a i e r , l íber den neuesten Zustand der Kriminalgesetz-gebung in Deutschland. Heidelberg 1825. — D e r s . , Die Strafgesetz-gebung in ihrer Fortbildung. 1. und 2. Beitrag. Heidelberg 1841 und 1848. — W á c h t e r , Über deutsche partikularr. Strafgesetz-gebung: NA 1834 S. 306 íF. — B e r n e r , Die Strafgesetzgebung in Deutschland vom Jahre 1761 bis zur Gegenwart. Leipzig 1867 (schopft wesentlich aus den historischen Einleitungen der Kommen-tare). — G ü n t h e r , Idee der Wiedervergeltung I I I , 1. Erlangen 1895. — S. auch Z a c b a r i a , GS 1868 S. 198 íF., und S t o l z e l , Brandenburg-Preussens Rechtsverwaltung Bd. I I . — Eine Zusammen-stellung aÜer offiziellen Straf'gesetzbücher und Strafgesetzentwürfe von 1751—1874 giebt B i n d i n g , E S. 3 - 1 3 .

Von A n s e l m F e u e r b a c h (geboren zu Hainichen am 14. No-vember 1775, gestorben zu Frankfurt a. M. am 29. Mai 1833) kommen hier i n B e t r a c h t : 1. Revisión der Grundsátze und GrundbegriíFe des positiven peinlichen Rechts. L Erfurt 1799. II. Chemnitz 1800. 2. Lehrbuch des gemeinen, in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts. Giessen 1801. 3. Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs zu einem peinlichen Gesetzbuche für die Churpfalz-Bayrischen Staaten. I—III. Giessen 1804. 4. „Entwurf des Gesetz-Buchs über Ver-brechen und Vergehen für das Konigreich Bayern". Beendet 1807. Gedruckt Miinchen 1810. — Über F e u e r b a c h s. bes. A. v. F e u e r -b a c h s Leben und Wirken aus seinen ungedruckten Briefen u. s. w. veroffentlicht von Ludwig Feuerbach. I und II . Leipzig 1852. Vgl. auch G l a s e r , Kleine Schriften. I S. 17 ft'.; M a r q u a r d s e n , All-gemeine Deutsche Biographie VI S. 781 fF.; B i n d i n g , Augsburger Allgemeine Zeitung, Beilage vom 15. Nov. 1875; G e y e r , Festrede zu Feuerbacbs nundertjáhrigem Geburtstage. München 1875; D e r s . , Deutsche Rundschau 1875 S. 465 ff.; H o l d e r , Savigny und Feuerbach, Berlín 1881; B e c h m a n n , Feuerbach und Savigny. München 1894; B r e u e r , Die polit. Gesinn. u. Wirksamk. des Krimi-nalisten Anselm v.Feuerbach. Diss. Strassbui-g 1905; F l e i s c h m a n n , Anselm v. Feuerbach, der Jur is t ais Philosoph. München 1906.

I. Feuerbach und das Bayrische Strafgesetzbuch Ton 1813 (s. die Vor-lesung).

II . Chronologische Übersicht der deutschen Strafgesetzbücher von 1813 Ms 18691.

1. I. Bayern. A l l g e m e i n e s S t r a f g e s e t z b u c h für d a s K o n i g r e i c h B a y e r n . V o m 16. Mai 1813 . In Kraft vom 1. Oktober 1813. 459 A r t t , wovon 141 auf den allgemeinen Teil. Mit einem Verkündigungspateut in 4 Art t . vom 16. Mai 1818.

2. X. Oldenburg. S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d i e H e r z o g l . H o l s t e i n -O l d e n b u r g i s c h en L a n d e G e g e b e n 10. S e p t e m b e r 1814. In Kraft vom 1. Oktober desselben Jahres . 488 Art t . , wovon 146 auf den allgem. Teil. Mit einem Verkündigungspatent von I I I Artt . vom 10. Sept. 1814. Wesentlich das Bayrische Gesetzbuch von 1813.

3. V. Konigreich Sachsen. K r i m i n a l g e s e t z b u c h f ü r d a s K o n i g r e i c h S a c h s e n . V o m 30. M a r z 1838. In Kraft vom 5. Mai 1838. 326 A r t t , wovon 80 auf den allgem. Teil. Mit einer Publikationsverordnung von VI Artt . vom 30. Márz 1838.

4. IV. "Württemberg. S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d a s K o n i g r e i c h W ü r t t e m b e r g . Vom 1. M á r z 1839. In Kraft vom 15. Mai dess. Jahres . 462 Artt., wovon 133 auf den allgem. Teil. Artt . 184—139 leiten den speziellen Teil ein. Mit einer Einführungsverordnung von- 8 Artt . vom 1. Márz 1839.

5. VI. Orossherzoglum Hachsen-TVeimar. S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d a s G r o s s h . S a c h s e n - W e i m a r - E i s e n a c h . Vom 5. A p r i l 1839. In Kraft

1 I. ist Bayern, II. Preussen, III . Ósterreich, IV. Würt temberg, V. Sachsen, VI. Thüringen, Vil . Hannover, VIH. Badén, IX. Grossherzogtum Hessen. Nassau, Frankfurt a. M., X. Oldenburg, XI . Braunschweig und Lippe-Detmold, XII . Ham-burg, XII I . Lübeck.

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H

11

m

41 § 14.

vom 1. August 1839. Mit Publikationspatent in VI Artt . von demselben Tage . Mit Avenigen Abweichungen d. Kr.-G.-B. f. d. K. Sachsen (s. 1838). 326 Artt., wovon 80 auf den allgem. Teil.

6. Vil . Hannover. A l l g e m . K r i m i n a l g e s e t z b u c h f ü r d a s K o n i g r e i c h H a n n o v e r . V o m 8. A u g u s t 1840. In Kraft vom 1. November 1840. Mit Einíührungspatent von 10 >?;; von demselben Tage. 373 Ar t t . , wovon 117 auf den allgem. Teil

7. XI. Braunschweig. K r i m i n a l g e s e t z b u c h f ü r d a s H e r z o g t u m B r a u n s c h w e i g . V o m 10. J u l i 1840. 287 §§, wovon 72 auf den allgem. Teil und §§ 73—80 auf Worterkliirungen. Mit Einführungspatent von 11 §§ von demselben Tage.

8. VI. Sachsen-Altenburg. K r i m i n a l g e s e t z b u c h f ü r d a s H e r z o g t u m S a c h s e n - A l t e n b u r g . V o m 3. M a i 1841 . Jn Kraft vom 1. Okt. 1841. Mit wenigen Abánderungen das Kriminalgesetzbuch für das Konigreich Sachsen. 826 Artt., wovon 80 auf den allgem. Teil. Mit Publikationspatent von VI Artt. von demselben Tage.

9. IX. Grrossherzogtun» Hessen. S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d a s G r o s s h e r z o g t u m H e s s e n . V o m 18. O k t o b e r 1841. In Kraft vom 1. April 1842. 484 Art t . , wovon 128 auf den allgem. Teil. Mit einem Einführungsgesetz von 35 Artt . vom 17. Sept. 1841.

10. XI . Lippe-üetniold. K r i m i n a l g e s e t z b u c h d e s F ü r s t e n t u m s L i p p e - D e t m o l d . V o m 18. J u n i 1843 . Mit Einführungsjjatent in 9 §§ von demselben Tage. In Kraft vom 1. Oktober 1848.

11. VI. Sachsen-Meiningen. S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d a s H e r z o g -t u m S a c h s e n - M e i i T Í n g e n . V o m 1. A u g u s t 1844. Mit Einführungsgesetz von dems. Tage . In Kraft vom Tage der Publikat ion, 7. Sept. 1844. Mit ge-ringen Abweichungen das Konigl. Sachs. Kriminalgesetzbuch von 1838.

12. AT. Schwarzburg-Sondershauseu. K r i m i n a l g e s e t z b u c h f ü r d a s F ü r s t e n t u m S c h w a r z b u r g - S o n d e r s h a u s e n . V o m 10. M a i 1845 Mit Publikationsverordnung in XV Artt . von dems. Tage. In Kraft vom 24. Jul i 1845. 326 Artt., wovon 80 auf,den allgem. Teil. Wesentlich das Konigl. Sachs. Krim.-G.-B. von 1888.

18. VIII . Badén. S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d a s G r o s s h e r z o g t u m B a d é n . V o m 6. M á r z 1845. Mit Einführungsedikt in 8 §§ von dems. Tage und einem Einführungsgesetz von 178 §§ vom 5. Febr. 1851. In Kraft vom 1. Márz 1851* 714 §§, wovon 202 auf den allgem. Teil.

14. IX. Nassau. S t r a f g e s e t z b u c h fü r d a s H e r z o g t u m N a s s a u . V o m 14. A p r i l ' 1849. In Kraft vom 1. Jul i 1849. 460 A r t t , wovon 127 auf den allgem. Teil. Mit einem Einführungsgesetz vom 17. Mai 1849 in 3 §§. Wesentlich übereinstimmend mit dem Hess. Str.G.-H. von 1841.

15—20. VI. Thüringen. Das sog. T h ü r i n g i s c h e S t r a f g e s e t z b u c h (322 Artt., wovon 76 auf den allgem. Teil) wurde publizirt ais

1. S t r a f g e s e t z b u c h fü r d a s G r o s s h e r z o g t u m Saclisen-Weimar-Eisenach. Mit einem Einführungsgesetz vom 20. Márz 1850 in 12 Artt . Publizirt 20. April 1850. Gesetzeskraft vom Tage der Verkündigung an.

2. S t r a f g e s e t z b u c h fü r d a s F ü r s t e n t u m Schwarzburg-Sondershausen. Mit Einführungsgesetz in 12 Artt . v o m 2 5. M á r z 185 0. In Kraft vom Tage der Verkündigung.

3. S t r a f g e s e t z b u c h fü r d a s F ü r s t e n t u m Schwarzburg-Budol-stadt. Mit Einführungsgesetz in 18 Artt . v o m 26. A p r i l 1850. In Kraft vom Tage der Verkündigung.

4. S t r a f g e s e t z b u c h f ü r Ánhalt-Dessau u n d für Anhalt-Eothen. Mit Einführungsgesetz in 6 §§ v o m 28. M a i 18 50. Publizirt am 24. Jul i 1850. In Kraft vom 1. Oktober 1850.

5. S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d a s H e r z o g t u m Sachsen-Meiningen. Mit Einführungsgesetz in 8 Artt . v o m 21. J u n i 1850. In Kraft vom Tage der Verkündigung án.

6. S t r a f g e s e t z b u c h fü r d a s H e r z o g t u m Ootha . V o m 12. J u l i 1850. Mit Einführungsgesetz in 8 Artt . vom 23. Dezember 1851. In Kraft vom 1. Juni 1852.

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§ 14. 42

21. I I . P reñasen . S t r a f g e s e t z b u c h fü r d i e p r e u s s i s c h e n S t a a t e n . V o m 14. A p r i l 1851 . 349 §§, wovon 60 auf den allgem Teil. Mit einem E i n -f ü h r u n g s g e s e t z in 27 Artt . von dems. Tage. In Kraft vom 1. Jul i 1851; in Hohenzoüern vom 1. Januar 1852.

22. VI ThQríngen. Thüringisches Strafgesetzbuch (s. oben zu 1850): 7. S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d a s H e r z o g t u m Sachsen*Kobnrg.

Publizirt 25. Januar 1851. Mit Einführungsgesetz in 8 Artt . v o m 29. N o v e m b e r 1850 . . in Kraft vom 28. Januar 1851.

.23. I IÍ . d s t e r r e i e h . S t r a f g e s e t z ü b e r V e r b r e c h e n , V e r g e h e n u n d Ü b e r t r e t u n g e n f ü r d e n g a n z e n U m f a n g d e s R e i c h s m i t A u a -n a h m e d e r M i l i t á r g r e n z e . Kundgemacht durcli ein Kaiserl. Patent v o m 27. M a i 1 8 5 2 in 9 Artt . In Kraft seit dem 1. Sept. 1852. Besteht aus 532 §§, wovon §§ 1—65 und §§ 527—532 auf den allgem. Teil. Officiell ais „neue . . . ergánzté Ausgabe des Strafgesetzbuchs für Verbrechen und schwere Polizei-übertretungen vom 3. Sept. 1803" bezeichnet. — Es war Aussicht vorhanden, dass das 'von G l á s e r begonneno Werk eines neuer osterreich. Strafgesetzbuchs endlich zum Abschluss gelangen würde. Allein nachdem auf der Grundlage des Glaserischen Ent.wurfes eine Anzahl weiterer Entwürfe zu„Stande gekommen war , ist dieser Versuch aufgegeben, und scheint ein ganz neuer unternommen werden zu sollen.

24. VI. A n h a l t - B e r n b n r g . S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d a s H e r z o g t u m A n h a l t - B e r n b u r g . Mit einem Einführungsgesetz v o m 5. F e b r u a r 1852 in X X I Artt . In Kraft vom 31. Márz 1852. Wesentlich das Preuss. Strafgesetzbuch von 1851.

25. VI. ThUringen. Thüringisches Strafgesetzbuch (s. oben zu 1851): 8. S t r a f g e s e t z b u c h für d a s F ü r s t e n t u m Beuss j . L. Mit Ein

führungsgesetz v o m 14. A p r i l 1852 in 7 Artt . Publizirt und in Kraft seit dem 15. Mai 1852.

26. I I . Waldech nnd P y r m o n t . S t r a f g e s e t z b u c h fü r d i e F ü r s t e n -t ü m e r W a l d e c k u n d P y r m o n t . 318 §§, wovon 66 auf den allgem. Teil. Mit einem Einführungsgesetz in XXII I Artt . v o m 25. Ma i 1855. In Ki*aft vom. 1. Oktober 1865. Es ist eine Umarbeitung des Preuss. Strafgesetzbuchs von 1851.

27. V. ESnigre ich Sachsen . S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d a s K o n i g r e i c h S a c h s e n . Mit Publikationsordnung in 8 §§ v o m 13. A u g u s t 1855. In Kraft seit dem 1. Oktober 1856. 375 Artt., wovon 115 auf den allgem. Teil.

28. IX, F r a n k f n r t ani Main. Dort wurde durch Gesetz v o m 16. S e p t . 1 8 6 6 (publizirt 28. Oktober 1856) d a s S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d a s G r o s s -h e r z o g t u m H e s s e n (selbstverstándlich mit den notigen Modifikationen) vom 1. J anua r 1857 mit Gesetzeskraft für den Staat Frankfurt ausgestattet.

29. XI. Oldenbnrg . S t r a f g e s e t z b u c h fü r d a s G r o s s h e r z o g t u m O l d e n b u r g . V o m 3. J u l i 1858. 327 Artt . (wovon 57 auf den allgem. Teil) mit zwei Schlussbestimmungen A. 328 u. 329. Publizirt für Oldenburg 20. Ju l i 1858, für das Fürstentum Lübeck 14. August 1858, für das Fürstentum Birken-feld ani 18. August 1858. In Kraft in Oldenburg seit 1. Nov. 1858, in den beiden Fürs tentümern seit 1. Nov. 1861. — Es ist eine Umarbei tung des Preuss. Strafgesetzbuchs in der zweiten amtlichen Ausgabe vom 21. April 1856.

30. IX. Hes$en>Honibnrg.- Durch landesherrlithes Gesetz v o m 22. M á r z 1859 wurde das G r o s s h e r z o g l . H e s s i s c h e S t r a f g e s e t z b u c h vom 17'o Sept. 1841 nebst dem modiíizirenden Grossh. Hessischen Gesetze vom 23. Febr. 1849 eingeführt. In Kraft seit dem 1. Jul i 1859.

31. I. B a y e m . S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d a s K o n i g r e i c h B a y e r n . Vom 10. N o v . 1 8 6 1 . 398 Artt . , wovon 100 auf den allgem. Teil. Mit einem Einführungsgesetz („die Einführung des Strafgesetzbuchs und des Polizeistraf-

f esetzbuchs für das Konigreich Bayern betr.") in 148 Artt . vom 10. Nov. 1861. n Kraft seit dem 1. Jul i 1862. Unter besonderer Berücksichtigung des Preuss.

Strafgesetzbuchs abgefasst. 32. VI. Benss S l t e re r Linip. S t r a f g e s e t z b u c h . V o m 27. N o v . 1861 .

In Kraft vom 1. Januar 1862. Im Anschluss an das Sáchsische Strafgesetzbuch von 1855 gearbeitet .

33. XI I I . Lt tbeck. S t r a f g e s e t z b u c h f ü r d i e f r e i e H a n s e s t a d t L ü b e c k . V o m 20. J u l i 1863. Verkündet am 24. August 1863. In Kraft

43 § 14.

vom 1. Márz 1864. 277 §§, wovon 59 auf den allgem. Teil. Schliesst sich.aufs engste an das Preuss. Gesetzbuch an, lásst aber dessen 3. Teil „Von den Übertretungen" weg.

34. VI. Thü r ingeu . Das Thüringische Strafgesetzbuch wird rezipirt in: 9. A n h a l t . B e r n b u r g (s. oben 1852). Publ iz i r t 1. J u l i 1864 In Kraft

seit dem 31. Oktober 1864. 35. V. Konigre ich Sachsen. R e v i d i r t e s S t r a f g e s e t z b u c h . V o m

1. O k t o b e r 1868 . 375 Art t . , wovon 115 auf den allgem. Teil. Mit einer Publikationsverordnung in XIX Artt . vom 1. Oktober 1868. In Kraft von dem-selben Tage.

36. VI. Thür ingen . Das Thüringische Strafgesetzbuch wird rezipirt in 10. Benss a l t e r e r Linie (vgl. 1861). Publizir t 5. S e p t . 1868. In

Kraft vom 1. Oktober 1868. 37. XII . Hambnrg . K r i m i n a l g e s e t z b u c h . V o m 30. A p r i l 1869.

223 Artt., wovon 71 auf den allgem. Teil. Mit einem Einführungsgesetz zu den Getetzen betr. Reform des Strafverfahrens. Von dems. Tage. In Kraft vom 1. Sept. 1869.

I I I . Das S t ra f rech t im Norddentschen Bunde vor E r l a s s des Nord* deutschen Strafsresetzbnchs.

Fasst man das Resultat dieser überreiehen gesetzgeberischen Tát igkei t für Norddeutschland und zwar für das Jahr 1869 ins Auge , so ist es einfacher, ais man erwarten sollte. Zwei Tatsachen bewirkten diese Koncentrat ion: einmal die Vergrosserung Preussens durch die Eroberungen von 1866. Durch Konigliche Verordnung vom 25. Juni 1867 wurde das Pr. StrGB für alie 1866 mit der Mon-archie vereinigten Landeste i le ' eingeführt^ und t rat dort am 1. September 1867 in Kraft . Dadurch fielen weg die StrGB von Hannover, Nassau, Frankfurt a. M.; das Hessische StrGB verlor einen Teil seines bisherigen Geltungsgebietes, und endlich trat das gemeine Strafrecht in Schleswig-Holstein und Kurhessen ausser Kraft. Ausserdem aber kámpfte in Norddeutschland mit dem Triebe der Be-sonderung das Bedürfnis nach Schaflfung grosserer Gebiete materiell gemeinen Rechtes. So adoptirten einige Staaten die StrGB von anderen, und eine Gruppe kleinerer Staaten im mittleren und nordlichen Deutschland tat sich zur Auf-stellung eines gemeinsamen StrGBs zusammen.

So kam es, dass Norddeutschland im Jahre 1869 strafrechtlich im Wesent-lichen in acht Gebiete zerfállt, deren Strafrecht dann allerdings sehr verschiedene Entwicklungsstufen reprásentirt.

a. Das g e m e i n e S t r a f r e c h t hatte sich erhalten: 1. in M e c k l e n -b u r g - S c h w e r i n ; 2. M e c k l e n b u r g - S t r e l i t z ; 3. S c h a u m b u r g - L i p p e ; 4. B r e m e n .

b. Daneben galten die Strafgesetzbücher A. von B r a u n s c h w e i g vom Jah re 1840: in 1. B r a u n s c h w e i g

(s. oben Nr. 7) und 2. L i p p e - D e t m o l d (Nr. 10). B. von A l t e n b u r g vom Jah re 1841 daselbst (8). C. von H e s s e n vom Jahre 1841 daselbst (9). D. d a s T h ü r i n g i s c h e S t r a f g e s e t z b u c h in 1. S a c h s e n -

W e i m a r ; 2. M e i n i n g e n ; 3. K o b u r g - G o t h a ; 4. A n h a l t ; 5. S c h w a r z b u r g - R u d o l s t a d t ; 6. S c h w a r z b u r g - S o n d e r s -h a u s e n ; 7. R e u s s j . L . ; 8. R e u s s á. L. (s. Nr. 15—20-, 22; 25; 34; 36).

E. das Strafgesetzbuch von P r e u s s e n vom Jahre 1851; 1. in P r e u s s e n (21); 2. in W a l d e c k und P y r m o n t (26); 3. mit starken Abánderungen in O l d e n b u r g (29); 4. erheblich verándert-, insbes. verkürzt, in L ü b e c k (33)

F . von S a c h s e n vom Jahre 1868 (35) daselbst. G. von H a m b u r g vom Jah re 1869 (37) daselbst.

^ Mit Ausnahme des vormaligen Oberamtsbezirks Meisenheim und der Enklave Kaalsdorf.

2 Eine Verordnung vom 12. Dezember 1866 hatte seine beiden ersten Teile schon für Frankfurt publizirt.

8 In Frankfurt am 1. Januar 1867.

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§ 15.

§ 15 44

I. I I I . Das heutig-e g-emeine deutsche Strafrecht nnd seine Qnellen. H^ 26-30. Bdg, H 9-26. B 25. M 12. Sch 3. 13. HH I S. 127—137. Li 11. 12. 17. WB* 35-39. WV 25-27. Fí 13. 14. - E u b o , Komm. S. 1—78. — Rüdorf f , Kommentar 1. Aufl. S. 1—72; 4. Aufl. S 9—.50. — B i n d i n g , Einleitung 2. Aufl. 8. .14—139. — Seuffer t in der Strafgesetzgebung der Gegenwart I. B^rlin 1896 (berausg. von v. Liszt) S. 1—112. — W e i s m a n n , Ein Vierteljahrhundert deutscher Strafgesetzgebung. Rektoratsrede. Greifswald 1898.

Der Norddeutsche Bund und seine Erweí te rung, das Deutsche Reich, haben dem Part ikular ismus des deutschen Strafrechts in der Hauptsache ein Ende bereitet.

Die Verfassung des Nordd. Bundes A. 4. überwies „der Beauf-sichtigung des Bundes und der Gesetzgebung desselben . . . . 13. die gemeinsame Gesetzgebung über das , . . S t r a f r e c h t " . Infolge davon ist gemeines Strafrecht im grossen ümfange zur Entstehung gekommen. Seine Quellen zerfallen in drei grosse Massen; das a l l g e m e i n e S t r a f g e s e t z b u c h , das M i l i t f t r s t r a f g e s e t z b u c h und die S o n d e r s t r a f g e s e t z e d e s D e u t s c h e n R e i c h e s .

I. Das a l l g e m e i n e S t r a f g e s e t z b u c h gilt heute schon in der 3. Redaktion. Es sind zu unterscheiden

A. Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund v. 3 1 . M a i 1870 (RGBl. 1870 S. 195—273). Auf Grund der BV. A. 4 Nr. 13 beschloss am 18. April 1868 der Reichstag: „den Bundeskanzler aufzufordern, Entwürfe eines gemeinsamen Strafrechtes und eines gemeinsamen Strafprozessps . . . baldtunlichst vorbereiten und dem Reichstage vorlegen zu lassen", Dieser Antrag fand die Billigung des Bundesrates , und der Bundeskanzler ersuchte nun den preuss, Justizminister Dr . Leonhardt durch Schreiben vom 17. Juni 1868: „die Ausarbeitung des Entwurfes eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund veranlassen . . und den Entwurf demnachst ihm zugehen lassen zu wollen". Von dem Minister ward der damalige Geh. Oberjustizrat Dr . F r i e d b e r g mit der Ausarbei tung beauftragt. Ihm assistirten Kreisrichter R ü d o r f f und Assessor Dr. R u b o .

1. Der E n t w u r f F r i e d b e r g (I). In denkbar kürzester Zeit eriedigte F r i e d b e r g seine umfangreiche Auígabe. Schon am 31 . Jul i 1869 konnte der „Entwurf eines Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund" (356 § § , wovon §§ 1—66 und 337—347 auf den aligera. Teil kommen) , mit dem Entwürfe eines Einführungs-Gesetzes von VI Artikeln dem Bundeskanzler gedruckt überreicht und gleichzeitig verüíFentlicht werden ^ Den Entwurf begleiteten Motive (200 S. fol.). Den guten Motiven waren 4 sehr wertvolle An-lagen beigegeben: 1. „Vergleich. Zusammenstellung strafrechtlicher Bestimmungen aus deutschen und ausserdéutschen Gesetzgebungen" (264 S. fol.). 2. „Über die Todesstrafe" (115 S. fol.). 3. „Erorte-rungen strafrechtlicher Fragen aus dem Gebiete der gerichtlichen Medizin" (36 S. fol.). 4. „Über die hochste Dauer zeítiger Zuchthaus-strafe" (71 S. fol.).

' 112 S. fol. Berlín, Verlag der Konigl. Geh. Ober-Hofbuchdruckerei (R. V. Decker).

45 1

Der Entwurf ist eine Nachbildung des Preuss. Strafgesetzbuchs, die dasselbe ganz wesentlich verbessert , seine Strafdrohungen ge-raildert, sích aber doch in zu grosser Abhangigkeit von ihm er-halten hat.

In der Vorbemerkung zum Entwurf war gesagt : „Derselbe wird alsbald der Vorberatung einer von dem Bundesrate zu diesem Ende erwáhlten, aus sieben Juris ten Norddeutschlands zusammengesetzten Komraission unterbreitet werden.

Zur Forderung der dieser Kommission gestellten Aufgabe wird es wesentlich bei tragen, wenn schon vor ihrem Zusammentri t t alien denen, welche die Aufforderung und den Beruf in sich empíinden, an dem nationalen Werke mitzuarbeiten, die Moglichkeit und der Anlass geboten wird , sich über den aufgestellten Entwurf vernehmen zu lassen und zu seiner Verbesserung raitzuwirken."

Obgleich nun die Kommission der sieben Jur is ten schon am 1. Oktober zusammentreten sollte und die Zeit für eine Krit ik des Entwurfs so wol absichtlich auf ein Mínimum zusammengedrangt war, ist j ener Aufforderung doch eine ganze Anzahl von Mannern nach-gekommen .

2. D e r E n t w u r f d e r B u n d e s k o m m i s s i o n (II). In einer Sitzung vom 3. Jul i 1869 beschloss der Bundesra t , diesen Entwurf einer Kommission von sieben angesehenen Juris ten Norddeutschlands zu unterbreitén ^. Dieselbe trat am 1. Oktober 1869 in Berlin zusammen und hat , wie ihr vom Bundesrat aufgetragen, ihre

^ Diese Áusserungen sind zusammengestellt in den Motiven des dritten Entwurfs in der Ausgabe bei Kortkampf S. 28 und 29; die gedruckten Kritiken bei v. W á c h t e r , Beitrag zur Geschichte und Kritik S. 18—20 (nach der Reihenfolge ihres Erscheinens) und bei v. S c h w a r z e , GS 1870 S. 146 ff.; vgl. S. 149—160 und S. 220 (alphabetiseh); vgl. aucli die Ubersichten von S. in Hol tz endor f f s Strafrechtszeitüpg 1870 Heft3: „Superrevision der über den ersten Entwurf des Norddeutschen Strafgesetzbuches erschienenen Kritiken." Die umfassendsten über den Entwurf I sind folgende:

1. B e r n e r , Kr. d. E. e. Strafgesetzbuchs f. d. Norddeutschen Bund. Leipzig 1869. 74 SS. — 2. B i n d i n g , Der E. e. Strafgesetzbuchs f. d. Norddeutschen Bund in s. Grundsátzen. Leipzig 1869. 136 SS. — 3. G e y e r , Bemerkungen z. d. E. e. StrGBs f. d. Nd. Bund; KrV 1870 Bd. XII S. 161-227. - 4. H á b e r l i n , Krit. Bem. z d. E. e. StrGBs f. d. Nd. Bund. Erlangen 1869. 103 SS. — 5. H á l s c h n e r , Beitráge z. Beurt. des StrGBs f. d. Nd. Bund. Bonn 1870. 76 SS. — 6. H e i n z e * , Staatsrechtl. und strafrechtl. Erorterungen zu dem amtl. Entwurf e. StrGB f. d. Nd. Bund. Leipzig 1870. 273 SS. — 7. H e l d , Bemerkungen z. d. E. e StGBs f. d. Nd. Bund. Dresden 1870. 76 SS. — 8. J o h n , Das Strafrecht in Norddeutschland (in Form eines revid. Entwurfs). Gottingen 1870. — 9 H u g o Meyer , Das Norddeutsche Strafrecht. Eine Beurt d. E. e StrGBs f. d. Nd. Bund. Halle 1869. 89 SS. — 10. VolTlsrt, D. E. e. StrGBs f d. Nd. Bund. In den Bláttern f. Rechtspflege in Thüringen und Anhalt XVII 1870 S. 1—-68 (auch im Separatabdruck erschienen). — 11. Verhandlungen des neunten deutschen Juristentages. Bd. I. Berlin 1870. 97 SS. Enthált vier Gutachten von V. S t e n g 1 e i n (S. 3—15), M e r k e 1 (S. 16—60), v. G e s s 1 e r (S. 61—73), S e e g e r (S. 74—97).

'^ Bei der Auswahl ward die deutsche Wissenschaft unerhorter Weise über-gangen. Die Komraission bestand aus dem preuss. JM. Dr. L e o n h a r d t , Dr. F r i e d b e r g , Dr. S c h w a r z e aus Dresden, Dr. D o n a n d t aus Bremen, Justiz-rat Dorn aus Berlin, OAG. B ü r g e r s aus Koln, OAG. Dr. B u d d e aus Rostock.

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§ 15. 46

mühe- und hochst verdienstvolle Tátígkeit bis zura 31. Dezember 1869 erledígt. An demselben Tage wurde der zweite Entwurf (366 §§, wovon 77 auf den allgemeinen Teil fallen) ohne weitere Beilagen publizirt (104 S. fol.). Fast kein § des Entwurfs I ist unverandert geblieben, die Redaktíon ist durchweg klarer und gleichmassiger ge-worden, aber auch an dem Inhalte ward wesentlich gebessert.

3. D e r E n t w u r f d e s B u n d e s r a t e s (111). Dieser Entwurf ging nun an den Bundesrat, wurde dort in 4 §§ (EG § 1 u. 2; GB § 31 u. 209) geandert und in dieser Gestalt vom Bundesrat unter dem 11. Februar 1870 angenommen. Im Januar waren die Motive des ersten Entwurfs entspreehend umgearbeitet worden, und diese samt den vier Anlagen der ersten Motive (s. oben S. 44) begleiteten den Entwurf vor den Reichstag .

4. D e r E n t w u r f des R e i c h s t a g s (IV). Der Reichstag las den Entwurf dreimal vom 22. Februar bis zum 25. Mai 1870 und amendirte ihn in zahlreichen Stellen. Fast ware an der Frage der Todesstrafe, welche der Reichstag in erster und zweiter Lesung ver-worfen hatte, das ganze Gesetzgebungsw^rk gescheitert.

5. An demselben 25. Mai, an welchem der Reichstag mit sehr grosser Majoritat den Entwurf in dritter Lesung annahm, sank-tionirte den dergestalt festgestellten Entwurf der Bundesrat. Am 3 1 . Mai 1870 vollzogen, sind GB und EG am 8. J u n i 1870 publizirt worden und am 1. J a n u a r 1871 für den Norddeutschen Bund in Kraft getreten. Das GB zahlte 370 §§, wovon 79 auf den allgemeinen Teil kamen; das EG bestand aus 8 §§.

B. Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich v, 15. Mai 187 1. Infolge der Ende 1870 abgeschlossenen sog. Verfassungsvertrage des Norddeutschen Bundes mit H e s s en bezüglich Südhessens, B a d é n , B a y e r n und W ü r t t e m b e r g wurde das Norddeutsche Strafgesetzbuch samt EG zum „Gesetz des Deutschen Bundes" erhoben und ist ais solches in Südhessen am 1. Januar 1871., in den übrigen süd-deutschen Staaten am 1. Januar 1872 in Kraft getreten.

Durch Reichsgesetz vom 15. Mai 1871 hat es die für ein Reichs-gesetz passende Fassung erhalten u n d t r a t in d i e s e r -mit dem 1. J a n u a r l 8 7 2 in K r a f t : d a s E G a b e r i s t b i s h e u t e un v e r a n d e r t g e b l i e b e n (RGBl 1871 S. 127 ff.).

In Elsass-Lothringen ist es am 1. Oktober 1871 in Kraft getreten. Wahrend seiner Geltungszeit hat es d r e i A b a n d e r u n g e n er-

fahren :

1. durch Reichsgesetz v. 10, Dez. 1871 ward es durch § 130a, den sog. Kanzelparagraphen, ve.rmehrt. — Es wurden aufgehoben durch die Gesetze

2. v. 30. Nov. 1874 (§ 14. 18 u. 20) über den Markenschutz: OB § 287;

1 Auf diese revidirten Entwürfe beziehen sich 1. Heinze, Z. rev. E. e. StrGBs f. d. Nd. Bund. Leipzig 1870. 31 SS. 2. Vollert, Der rev. E. e. StrGBs f. d. Nd. Bund. Blátter für Kechtspflege in Thüringen XVII S. 74—152. 3. V. Wáchter*, Beitrag zur Gesch. u. Kritik des Entw. e. StrGBs f. d. Nd. Bund- Leipzig 1870. 140 SS.

47 § Í5.

3. V. 6. Febr 1875 § 67 über d. Beurk. des Personenstandes: GB § 337.

Das GB bestand somit schliesslich aus 369 §§, C. Das revidirte Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich

V. 2 6. F e b r u a r 187 6. Auf Antrag Preussens im Bundesrate am 31. Januar 1874 begann die Reichsregierung eine Revisión des StrGBs vorzubereiten. Sie war in der Tat erfordei'lich, um eine grossere Anzalil hervorgetretener Redaktionsfehler zu beseitigen (was schliesslich nur ganz ungenügend geschah), ferner um die unhaltbaren Be-stimmungen über Antragsverbrechen, bes. über die Rücknehmbarkeit des Antrags. abzuandern, endlich um die Geldstrafen der neuen Mark-wahrung anzupassen. Der wenig glückliche Revisionsentwurf aber, dessen Verfasser nicht bekannt geworden ist, fand, da er sich auf diese Aufgaben nicht beschrankte, soiidern die Repressivkraft des GBs überhaupt zu scharfen beabsichtigte, 53 §§ abgeandert und 6 neue §§ (darunter den § 49a, § Duchesne genannt, und den § 353a, den § Arnim) aufgenommen haben woUte, beim Reichstag sehr wenig Anklang. Doch kam ein „Gesetz, betr. die Abánderung von Be-stimmungen des StrGBs für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 und die Ergánzung desselben zu stande" und ward am 26. F e b r u a r 1876 vom Kaiser vollzogen (RGBl. 1876 S. 25 ff.). Es anderte 44 §§ des RStrGBs ab und führte ihm 6 neue §§ und dem § 361 eine weitere Ziffer zu. Kraft gesetzlicher Ermachtigung publizirte der Reichs-kanzler durch Bekauntmachung vom 26. Febr. den neuredigirten Text des StrGBs (RGBl. 1876 S. 39 ff.). I n s e i n e r n e u e n F o r m t r a t d a s G e s e t z am 20. M a r z 1876 in K r a f t .

Sein Geltungsgebiet hat sich inzwischen erweitert: es ist in den Jahren seit 1886 successive in alien unseren Kolonieen und durch Ver-ordnung v. 22. Marz 1891 mit dem 1. April 1891 in Helgoland in Kraft gestellt worden. Dadurch hat sich der s t r a f r e c h t l i c h e Begriff des Inlandes bedeutend erweitert.

Auch das GB v. 26. E^ebruar 1876 ist aber inzwischen 13 Male abgeandert worden:

1. Durch die K O v. l o . F e b r . 1877 §§209—214 (in Kraft V. 1. Okt. 1879) ist leider der ganze 24. Abschnitt des GBs (§§ 281 bis 283) beseitigt.

2. Durch das G e s e t z , be t r . den W u c h e r , v. 23. Mai 1880 (in Kraft v. 14. Juni 1880) sind in das GB die §§ 302 a—d eingestellt und ist GB § 360 n. 12 erweitert worden.

3. Durch das G e s e t z , betr . die un t e r A u s s c h l u s s de r Ó f f e n t l i c h k e i t s t a t t f i n d e n d e n G e r i c h t s v e r h a n d l u n g e n V. 5. April 1888 (in Kraft v. 24. April 1888) hat § 184 einen zweiten Absatz erhalten.

4. Durch G e s e t z , b e t r . d i e A b a n d e r u n g e n von B e -s t i m m u n g e n d e s S t r G B s v. 13. Mai 1891 (in Kraft v. 5. Juni 1891) haben

a. die §§ 276 u. 364 einen 2. Absatz, § 367 eine neue Nummer 5 a erhalten ;

i.

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§ 15. 48

b. sind díe §§ 317 u. 318 durch eine neue Fassung ersetzt worden;

c. íst hinter § 318 eiii § 318 a eingeschaltet; d. ist díe Fassung von § 360 n, 4 geandert worden.

5. Durch G e s e t z , b e t r . d í e A b a n d e r u n g d e s § 6 9 d e s S t r G B s f ü r d a s D e u t s c h e R e i c h , v. 26. Marz 1893 (in Kraft V, 12. April 1893) ist § 69 abgeandert worden.

6. Durch G e s e t z , b e t r . E r g a n z u n g d e r B e s t i m -m u n g e n ü b e r d e n W u c h e r , v. 19. Juni 1893 (in Kraft v. 8. Jul i 1893) sínd

a. die §§ 302 a u. 302 d abgeandert, b. ist eín § 302 e eingeschoben und c. § 367 um eine Nummer 15 vermehrt worden,

7. Durch G e s e t z g e g e n d e n V e r r a t m i l i t a r i s c h e r G e h e i m n i s s e v. 3. Jul i 1893 (in Kraft v. 28. Julí 1893) haben díe §§ 89 u. 90 eine neue Redaktíon erhalten,

8. Durch G e s e t z , b e t r . d i e A e n d e r u n g des Ges . ü b e r d e n ( J n t e r s t ü t z u n g s w o h n s i t z u n d d i e E r g a n z u n g d e s S t r a f g e s e t z b u c h s v. 12. Marz 1894 (in Kraft v. 1. April 1894) Art. 2 ist § 361 n. 10 neu eingestellt u. atn Schlusse des § eingefügt: 9 u n d 10.

9. Durch EG B G B v. 18. August 1896 (in Kraft v. 1. Jan . 1900) sind geandert die §§ 34 N. 6. 55. 65. 171. 195. 235. 237. 238. Eingefügt ist Art, 145 a.

10. Durch G e s e t z , b e t r , d i e A b a n d e r u n g d e s § 316 d e s S t r a f g e s e t z b u c h s v, 27. Dezember 1899 (in Kraft v. 13. Jan . 1900) ist in § 316 Abs. 1 hinter „mit Gef. bis zu Einem Jahre'" eingeschoben „oder mit Geldstrafe bis zu neunhundert Mark".

11. Durch G e s e t z , b e t r . A e n d e r u n g e n u n d E r g a n -z u n g e n d e s S t r a f g e s e t z b u c h s v. 25. Juní 1900 (in Kraft v, 14. Jul i 1900) werden die §§ 180. 181. 184, u. 362 durch anders ge-fasste §§ ersetzt und die §§ 181a, 184a und 184b neu eingefügt.

12. Durch G e s e t z ü b e r d i e p r i v a t e n V e r s i c h e r u n g s -u n t e r n e h r a u n g e n v. 12. Mai 1901 (in Kraft v, 1, Jan . 1902) § 108,3 wird S t rGB § 360 n. 9 aufgehoben, soweit sich die Bestímmung auf Versicherungsunternehraungen ira Sinne dieses Gesetzes bezieht.

13. Durch die S e e m O v. 2. Juni 1902 § 93 Abs. 3 wird § 298 des GB insoweit abgeandert, ais bei MU Geld v, 3 M. — 300 M, eintreíen kann.

So besteht das Gesetz heute nominell aus 370, tatsachlich aus 381 § § ^

' Die einzige authentische Ausgabe des rev. StrGBs ist die im EGBl. 1876 S. 39 ff. — Gute Ausgabe des preuss. Justizministeriüms Berlin 1876 (bei Nauck u. Co.)- — Von Privatausgaben, deren Zahl überaus gross ist, sind zu nennen die von Rüdor f f* , 22. Auíi., von Appelius, Berlin 1907, von OIshausen* , 8. Aufl. Berlin 1905, von Daude , 10. Aufl. Berlin 1907, von S t a u d i n g e r * , 9. Aufl. München 1907, von H e n l e u. S c h i e r l i n g e r , 2. Aufl. München 1903, von M a u c k i s c h (unter bes. Berücks. d. K. Sachs. Landesgesetzgebung u. Praxis). Leipzig 1898, von B i n d i n g u. N a g l e r , Leipzig 1905, die einzige Ausgabe mit einem genauen Worterverzeichniss. Vgl. unten § 16 sub V E.

49 § 15.

II. Das Militar - Strafgesetzbiich v. 20. J u n i 1872 (166 §§, wovon 55 auf den allgem. Teil). mit EG von demselben Tage in 3 §§. KGBl. 1872 S. 173 ff. Nach der Gründung des Deutschen Reichs beherrschten dasselbe trotz der Einheit des Heeres vier verschiedene Militar-Strafgesetzbücher: 1. das F r e u s s i s c h e vom 3. April 1845, das auf Grund der NBV A. 61 durch Verordnung vom 29. Dezember 1867 zum gemeínen norddeutschen Gesetzbuch erhoben worden war ; 2. das S a c h s i s c h e vom 4. November 1867, dem Preussischen sehr eng angeschlossen ; 3. das W ü r t t era b e r g i s c h e vom 20. Jul i 1868; 4. das B a y e r i s c h e vom 29. April 1869. Diesem Zustande raachte das M í l i t á r - S t r a f g e s e t z b u c h vom 20. Jun i 1872 (in Kraft v. 1. Okt . 1872) ein Ende. Demselben sind 3 Entwürfe vorangegangen, wovon der dritte, aus dem Bundesrate stammende, in 170 §§ bestehend, mit guten Motiven versehen, dem Reichstag vorgelegt worden ist. Das Xáhere s. bei B i n d i n g , Einl. S. 89 ff. • Handb. 1 S. 100 ff. Das Gesetzbuch schlíesst sich aufs engste dem ailgemeinen Reichsstraf-gesetzbuche an . Durch Kais. Verordnung v. 26. Julí 1896 (RGBl, 1896 S. 669) ist dasselbe in den afrikanischen Schutzgebieten mit der Maassgabe eingeführt, „dass im Sinne des Mílitár-Strafgesetzbuchs v. 26. (lies 20.) Jun i 1872 unter Heer auch díe Kaiserlichen Sehutz-truppen zu verstehen sind".

III. Neben diesen beiden Strafgesetzbüchern steht nun noeh eine grosse Anzahl von Sonder-Strafgesetzen des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches. Ein genaues Verzeichnis (freilich nur bis zum 18. Julí 1884) bei B i n d i n g , Handbuch I S. 126—144. In gleicher Weise weiter gez^hlt erreicht die Zahl mit der Bekannt-machung, betr. die Fassung des Reichstempelgesetzes, v. 7. Juni 190() die Hohe von 2 8 1 N u m m e r n ! S. auch v. L i s z t , Lehrbuch S. 59 ff.; F i n g e r , Lehrbuch S. 73 ff. Eine sehr brauchbare Zusaramenstellung bei O I s h a u s e n , Die Strafgesetzgebung des Deutschen Reichs. Textausgabe mit Anmerkungen. I — IX. Berlín 1901 — 1 9 0 3 , und bei H e 11 w e g und A r n d t , Die deútsche Strafgesetzgebung, Berlín u. Leipzig 1883. Erganzungsheft das. 1886, sowíe bei A l l -f e l d , Die Strafgesetzgebung des Deutschen Reichs. München 1900. Nachtrg. das. 1903. S. auch B a r c h e r t , C ó d e x d e s d e u t s c h -p r e u s s i s c h e n S t r a f r e c h t s u n d S t r a f p r o z e s s e s l u . I I , Berlín 1883, erster Nachtrag Berlin 1887, zweíter Nachtrag 1893, und D i e G e s e t z g e b u n g d e s D e u t s c h e n R e i c h s v o n d e r G r ü n d u n g d e s N o r d d . B u n d e s b i s a u f d i e G e g e n w a r t . Mit Er lauterungen und Registern. Herausgeg. von G a u p p , H e l l w e g und A n d e r s I — V , Berlin u. Leipzig 1883—86. o

Lasst man díe Staatsvertrage bei Sei te , so nehmen den relativ breitesten Raum die Z o l l - , S t e u e r - , und S t e m p e l g e s e t z e ein, Avelche die Zahl 30 übersteígen. Eine sehr wertvolle festgeschlossene

' Die einzige authentische Ausgabe des MGBs ist di£ im RGBl. 1872 S. 173 fi^. — Empfehlenswerte Handausgaben sind die von O I s h a u s e n , Reichs-militárstrafgesetzgebung. Berlin 1902. S. 1 ff., und von v. H e r z - E r n s t , Militár-strafgesetzbuch f. d. Deutsche Réich. Berlin 1903.

Bind ing , Strafrecht. Grundriss. 7. Aufl. 4

Page 37: BINDING (1913)- Deutschen Strafrechts, Allgemeiner Teil

§ 10. 50

Gruppe bilden d i e . G e s e t z e z u m S c h u t z e d e r U r b e b e r - u n d E r f i n d e r r e c h t e V. 11. Juni 1870, 9. 10. u. 11. J anua r 1876, 19. Jun i 1901 und das Patentgesetz v. 22, Mai 1877, in neuer Fassung v. 7. April 1891. Darán schh'essen sioh — einen ahnÜchen Zweck mit andern Mitteln verfolgend — das G e s e t z ü b e r M a r k e n s c h u t z v. 30. Nov. 1874, das G e s e t z , b e t r . d e n S c h u t z v o n G e b r a u c h s m u s t e r n , v. 1. Juni 1891 und das G e s e t z z u m S c h u t z d e r W a r e n b e z e i c h -n u n g e n v. 12. Mai 1894. — Besonders wichtig zur Erganzung des GBs sind das G e s e t z , b e t r . d e n V e r k e h r m i t N a h r u n g s -m i . t t e l n , G e n u s s m i t t e l n u n d G e b r a u c h s g e g e n s t a n d e n , v. 14. Mai 1879, das G e s e t z , b e t r , d i e A b w e h r v o n V i e h s e u c h e n , V. 23. Juni 1880 mit dem Abanderungsgesetz v, 1, Mai 1894, das G e s e t z g e g e n d e n v e r b r e c h , u n d g e m e i n g e f a h r l . G e -b r a u c h von S p r e n g s t o f f e n v. 9. Jun i 1884, das G e s e t z g e g e n d e n . V e r r a t m i l i t á r i s c h e r G e h e i m n i s s e v. 3, Jul i 1893, das G e s e t z , b e t r . d i e B e s t r a f u n g d e s S k l a v e n r a u b e s u n d d e s S k l a v e n h a n d e l s , v. 28. Juli 1895, das G e s e t z z u r B e k a m p f u n g d e s u i i l a u t e r e n W e t t b e w e r b s v, 27. Mai 1896, das G e s e t z , b e t r . d i e P f l i c h t e n d e i ' K a u f l e u t e b e i A u f b e w a h r u n g f r e m d e r W e r t p a p i e r e , v, 5, Jul i 1896, das G e s e t z ü b e r d a s A u s w a n d e r u n g s w e s e n v. 9. Jun i 1897, das s o g . M a r g a r i n e -g e s e t z V. 15. Jun i 1897, das G e s e t z , b e t r . d i e B e s t r a f u n g d e r E n t z i e h u n g e l e k t r i s c h e r A r b e i t , v. 9. April 1900.

Einíge dieser Sondergesetze verfolgen das gleiche Ziel wie dér Abschnitt 28 des St rGBs und das ganze M G B : das namlich, e i n S t r a f r e c h t f ü r b e s t i m m t e B e r u f s s t á n d e aufzustellen. So die G e w e r b e o r d n u n g v. 21 . Juni 1869, mit ihren vielen Nachtrágen, in neuer Fassung v. 26. Jul i 1900, für die G e w e r b e t r e i b e n d e n , die S e e m a n n s o r d n u n g vom 27, Dez, 1872 und in neuer Fassung v. 2, Juni 1902 für die S e e l e u t e , das P r e s s g e s e t z v. 7, Mai 1874 für den S t a n d d e r P r e s s e .

Einen Kommentar zu diesen Nebengesetzen hat in Verbindung mit A p p e l i u s und K l e i n fe 11er S t e n g l e i n herausgegeben: Die strafrechtHchen Nebengesetze des Deutschen Reiches. Berlín 1893, Zweite Aufl. von S t e n g l e i n allein das, 1895. Drit te Aufl. das, 1903,

§ 16. IV. Literatur des deutschen Strafrechts. (Anhang: Literatur des franzos., bel^., hollánd., dan., schwed., norweg., ital., engl. Strafrechts'.) H^ 30. 31. Bdg, H 27. 28. B .30 bis 33. Sch 4. G 64. L 10. HH I S. 84-86. M 18. Li 18. WB* 34, 29. VVV 24. 27. Bdg, E 22. Fi 15. 16. — S. auch R. L o e n i n g , Über geschichtl. und ungeschichtl. Behandl. des deutschen Strafrechts: Z f. StrRW III S. 219 íf., und die Literatur-Nach-weise in: Das Strafrecht der Staaten Europas. Herausg. von V. L i s z t . Berlin 1894.

I. Repertorien. Bohmer, Handbuch derLiter. desKriminalrechts. Gottingen 1816. — K a p p l e r , Handbuch der Lit. des Kriminalrechts. Stuttgart 1838 fl214 S. Lex.-Format) — N y p e l s , Bibliothéque choisie du droit criminel. Bruxelles 1864. — W. E n g e l m a n n , Bibliotheca juridica (bes. von 1750 bis Mitte 1839). Leipzig 1840. Dazu Supplementheft (bes. vom Jahre 1750 bis Mitte 1848). Leipzig 1849. — W u t t i g , Bibliotheca juridica (seit 1749 bis Mitte 1867). Leipzig 1867. — R o s s b e r g , Bibliotheca juridica (seit 1867 bis Mitte 1876). Leipzig 1877. —

CBIBLIOTECA=-

51 y.c> j § 16.

linalpolitik V. K i r c h e n h e i m , Die Litteratur de.s Strafrechts "^HinJJljiimr^^jíhiiE 1884—1894. Leipzig 1896. "^ - ^

n . Lexikon: v. J a g e m a n n und.Brauer, Kriminallexikon. Erlangen 1864. III. Die hanptsachlichsten Werke der gemeinrechtlichen Literatur. A. H a n d b ü c h e r . Q u i s t o r p , Grundsátze des teutschen peinl Rechts.

2 Teile. Leipzig 1770. 6. Aufl. 3 Bánde und zwar 1. Band 1810 von K l e i n ; 2. Band 1812 von Konopak ; 3 . Band (Prozess) 1821 vonRoss .*—Kleinschrod, System. Entwicklung der Grundbegriffe und Grundwahrheiten des peinl. Rechts. 3 Teile. Erlangen 1794—1796. 8. Ausgabe 180.5. — F e u e r b a c h , Revisión der Grundsátze und Grundbegriffe des ges.peinl. Rechts. 2 Bánde. Erfurt und Chemnitz 1799. 1800. — Ti t t r aann , Handbuch der Strafrechtswissenschaft und der deutschen Strafgesetzkiinde. 4 Teile. Halle 1806—1810. 2. Aufl. 3 Bánde. Halle 1822—1824. ^ W i r t h , Handbuch der Strafrechtswissenschaft und Strafgesetzgebung. 3 Bánue. Breslau 1822 funvollendet). — H e n k e * , Handbuch des Kriminah'echts und der Kriminalpolitik. Berlin und Stettiu. 3 Teile. 1823, 1826 und 1830.— J a r c k e , Handbucn des gemeinen deutschen Strafrechts 3 Bánde. Berlin 1827—1830. — Luden*, Handbuch des teutschen gemeinen und partikularen Strafrechts. 1. Band. Jena 1842 (unvollendet). — K o s t l i n * , Neue Revisión der Grundbegrifte des Kriminalrechts. Tübingen 1845.— Kost l in*, System des deutschen Strafrechts. 1. Abteilung. Tübingen 1855. — Dazu Kost l in* , Abhandlungen aus dem Straf-rechte. Herausgeg. v. Gess ler . Tübingen 1858 — Bekker , Theorie des heutigen deutschen Strafrechts. I. Leipzig 1859 (unvollendet).

B. L e h r b ü c h e r . J. S. F. Bohmer , Elementa jurisprudentiae criminalis. Halae 1733. Ed. VI. Halae 1774. — 6. J Fr. M e i s t e r , Principia jur. crim. german. commun. Goett. 1789. Ed. Vil. Goett. 1828. — S t ü b e l , System des allgem. peinl. Rechts. I u, II. Leipzig 1795. — K l e i n , Grundsátze des gemeinen deutschen und preussischen peinl. Rechts. Halle 1796. 2. Aufl. das. 1799. — G r o l m a n * , Grundsátze der Kriminalrechtswissenschaft. Giessen 1798. 4. Aufl. 1825. — F e u e r b a c h * , Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinl. Rechts. Giessen 1801. 14. Aufl. von M i t t e r m a i e r . Giessen 1847. Die besten Ausgaben sind die von F e u e r b a c h selbst noch besorgten 9. —11. Giessen 1826. 1828. 1832 — Mit „Ausführlichem kritisehem Kommentar" ist dies Lehrbuch von M o r s t a d t und Osenb rüggen versehen worden: 2. Abt. Schaff'hausen 1852 und 1855.— Mar t in , Lehrbuch des deutschen gemeinen Kriminalrechts. Heidel-berg 1825. 2. Aufl. das. 1829. — W á c h t e r * , Lehrbuch des romisch-teutschen Strafrechts. 2 Teile. Stuttgart 1825. 1826. (ühne Text. Grundriss mit sehr wertvollen Ausführungen.) — Bauer , Lehrbuch des Strafrechts. Gottingen 1827. 2. Aufl. das. 1833. — H e f f t e r , Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts. Braunschweig 1833. 6. Ausg. 1857. — K l e n z e , Lehrbuch des gemeinen Strafrechts. Berlin 1833 (Grundriss mit reichen Quellenangaben). — A b e g g , Lehrbuch der Strafrechtswissenschaft. Neustadt an der Orla 1836. — MarezoU, Das gemeine deutsche Kriminalrecht. Leipzig 1841. 3. Aufl. das. 1856. — G eib *, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. Bd. I. Geschichte. Bd. II. Allgem. Lehren. Leipzig 1861 u. 1862 (Grundriss mit reichen Literatur- und QueTlen-nachweisen, leider unvollendet).— Berner , Lehrbuch des deutschen Strafrechts. Leipzig 1857. S. unten sub V. — T e m m e , Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts. Stuttgart 18V6 (wertlos). — Vgl. unten sub V B.

IV. Die Iiauptsachlichsten Werlie über das Strafrecht der einzelnen deutschen Staaten^ H á b e r l i n , Grundsátze des Kriminalrechts nach den neuen deutschen Strafgesetzbüchern. 4 Bde. Leipzig 1845—1849.

1. B a y e r n . Zum Strafgesetzbuch vom 16. Mai 1816 erschienen offizielle „Anmerkungen zum Strafgesetzbuche für das Konigreich Bayern. Nach den Frotokollen des konigl. geh. Rats". 3 Bde. München 1813 und 1814. — Vgl. R o t t m a n n , Das Bayerische Strafrecht. Erlangen 1851. — Zum Strafgesetzbuch

1 Hier sind auch die Zeitschriften und Prájudiziensammlungen der einzelnen deutschen Staaten angeführt, welche spáter ausser dem partikularen auch dem neuen gemeinen Recht gewidmet sind. Ebenso die wichtigsten Sammlungeri der Landesstrafgesetze.

4*

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§ 16 . 52 § 16 .

vom 10. Nov. 1861 erschienen nicht weniger ais 5 umfassendere Kommeutare: 1. von D o l l m a n n und nach dessen Tod fortgesetzt von R i s e h . Erlangeii seit 1862 (unvollendet); 2. von W e i s . 2 Bde. Nordlingen 1861 und 18G2; 3. von S t e n g l e i n . 2 Bde. München 1861 und 1862; 4. von H o c h e d e r . Bd. I. München 1862 (unvollendet); 5. von S t e n g l e i n , Das Straf'gesetzbuch für das Kónigreich Bayern vom 10. Nov. 1861, erláutert aus den Materialien der Reclits-lehre und den Entschcidungen der Gerichte. 6 Hefte. München 1870. 1871. — Vgl. ferner E d e l , Das,Polizeistrafgesetzbuch für das Kónigreich Bayern vom 26. Dez. 1871. Erlangen 1872. — R i e d e l , Das bayerische Polizeistrafgesetzbuch erlíiutert. 5. Aufl. von P r o b s t . Nordlingen 1894. — R e g e r , Die in Bayern geltende allgemeine Polizeistra^'gesetzgebung. Ansbach 1880. 2. Aufl. von R e u s s . Das. 1895. — S t a u d i n g e r , Das Polizeistrafgesetzbuch f. d. Kónigreich Bayern . . . mit den . . . Abanderungen durch die neuere Gesetzgebung. 2. Aufl. Nordlingen 1885. — A U f e l d , Samnilung der neben dem StrGB und dem M8trGB f. d. Deutsche Reich in Bayern geltenden Reichs- und Landesgcsetze strafrechtl. Inhalts. Mit Anmerkungcn. 2. Aufl. Hildburghausen 1887. — V V i c h t i g e Z e i t -s c h r i f f e n : B l i i t t e r f ü r R e c h t s a n w e n d un g z u n á c h s t i n B a y e r n , von S e u f f e r t , spáter von S t e p p e s . Erlangen 1886 ff. (erscheinen \veiterj. — S i t z u n g s b e r i c h t e d e r b a y e r i s c h e n S t r a f g e r i c h t e . 5 Bde. Erlangen 1850—1853. Fortgesetzt ais Z e i t s c h r i f t fü r G e s e t z g e b u n g u n d R e c h t s -p f l e g e im Konigrííich B a y e r n . Erlangen 1854—1867. — S t e n g l e i n , Zeitschrift für'Gerichtspraxis und Rechtswissenschaft in Bayern. I—XVIII. München 1862 fl'. In neuer Folge von 1871 an. Beendei 1879. — S a m n i l u n g v o n E n t s c h c i d u n g e n d e s o b e r s t e n G e r i ch t s h o f e s f ü r B a y e r n in G e g e n -s t á n d e n d e s S t r a í r e c li í s u n d S t r a f p r o z e s s e s. I - IX. Erlangen 1872 bis 18b0. — S a m m l n n g d e r E n t s c h c i d u n g e n d e s OLG. M ü n c h e n i n G e g e n s t á n d e n d e s S t r a l ' r e c h t s u n d S t r a f p r o z e s s e s . 1 fl'. Erlangen 1881 fl". Erscheint weiter. — S. auch bezügl. der jetzt neben dem GB in Bayern geltenden Strafgesetze die Ausgabcn des RStrGBs von S t a u d i n g e r (bes. Er-gánzungsband) und von H e n l e u S c h i e r l i n g e r oben S. 48 Note 1.

2. P r e u s s e n . 1. K o n i m e n t a r e : G o l t d a m m e r * , Materialien zum Straf-o-esetzbuche für die prcuss. Staaten. 2 Bde. Berlin .1851. 1852. — B e s e l e r , Kommentar. Leipzig 1861. — O p p e n h o f f , Das Strafgesetzbuch . . . erláutert aus den Materialien, der Reclítslehre und den Entschcidungen des konigl. Ober-tribunals. Berlin Í856. 6. Aufl. das. 1869. — H a h n , Das Strafgesetzbuch . . . mit den neneren Bestimmungen und den Entschcidungen des Obertribunals. 6. Aufl. 1869. — W a l l m a n n , Das preuss. Strafgesetzbuch in seiner praktischen Anwendung. Berlin 1866. 2. Aufl. das. 1869. — 2. í ' r e i e w i s s e n s c h a f t l i c h e B e a r b e i t u n g e n : T e m m e , Lehrbuch des preussischen Strafrechts. Berlin 1853. — H á l s c h n e r * , System des preussischen Strafrechts. 1. Teil Bonn 1855 (Ailgem. Teil) 2. 'J'eil (Die Verbrechen gegen das Recht der Privatpersonen) Bonn 1868 (leider unvollendet). — B e r n e r , Grundsiitze des preussischen Strafrechts. Leipzig 1861. — 3. W i c h t i g e Z é i t s c h r i f t e n : A r c h i v für d a s C i v i l - u n d K r i m i n a i r e e l i t d e r k o n i g l i c h p r e u s s i s c h e n R h e i n -p r o v i n z e n . Bd. 1—7. Koln 1811—1825. Neue Folge das. 1826 ff. (erscheint weiter). — H i t z i g , Zeitschrift für- die Kriminalrechts])flege in den preussischen Staaten. Bd. 1—24. Berlin 1826—1833. — E n t s c h c i d u n g e n d e s k o n i g l . G e h . O b e r t r i b u n a l s . Berlin 1837 fl'. Die Publikation endet mit Bd. 83. Berlin 1879. — G o l t d a m m e r , Archiv des preussischen Strafrechts. Berlin 1853 ff. (erscheint weitei') — O p p e n h o f f , Die Rechtssprechung des koniglichen Obertribunals in Strafsachen. L - X X . Berlin 1861 — 1879. — Jahrbuch der Entschcidungen des Kammergerichts in Strafsachen, von J o ii o w und K ü n t z e l . 1 ff. Berlin 1881 ff. Erscheint weiter. — S. auch Ü a l c k e , Straf-recht und Strafpi-ozess. 9. Aufl. Berlin 1905; G r o s c h u f f , E i c h h o r n und D e l i u s , Die preuss. Strafgesetze. 2. Aufl. Berlin 1904.

3. O s t e r r e i c h . 1. Für das Strafrecht des Gesetzbuches vom Jahre 1803 kommen in Bctracht: J e n u l l , Das osten-eichische Kriminalrecht nach seinen Gründen und seinem Geiste daigestellt . 4 Teile. 3. resp. 2. Aufl. Wien 1837. — M a u c h e r , Systematisches Handbuch des osterreichischen Strafgesetzes über Verbrechen. 3 Teile. Wien 1844. — M a u c h e r , Darstellung der Quellen und der Li teratur der osterreichischen Strafgesetzgebung über verbrechen. Wien

1849. - 2. Für das Strafrecht des Gesetzes vom .Tabre 18-52 kommen in Betracht a. ais K o m m e n t a r e : H y e . y o n G l u n e k . Das osterreichische Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Ubertretungen und die Prozessovdnung vom 27. Mai 1852. Bd. I. Wien 1855 (mehr nicht erschienen). — H e r b s t , Handbuch des allgemeinen osterreichischen Strafrechts. 2 Bde. 7. Aufl. Wien 1882. 1883. — F r ü h w a l d , Handbuch des osterreichischen Strafgesetzes über Verbrechen, Vei*-gehen und Ubertretungen. 4. Aufl. Wien 1867. — Vgl. F r ü h w a l d , Die Fort-bildung des osterreichischen Strafrechts. Wien 1865. — b. a i s f r e i e w i s s e n -s c h a f t l i c h e B e a r b e i t u n g e n : G e y e r , Erorterungen über den allgemeinen Tatbestand der Verbrechen nach osterreichischem Recht, Innsbruck 1862. — J a n k a , Das osterreichische Strafrecht. 4 Aufl. Herausgeg. von v. K a l l i n a . Wien. Prag. Leipzig 1902. — F i n g e r , Das osterreich. Strafrecht. Der besondei'e Teil des Systemes I. 1. Prag 1891. — D e r s . , Das (osterreich.) Strafrecht I und 11. Berlin 1894/95. I 2. Aufl. Berlin 1902. — L a m m a s c h , Grundriss des (osterreich.) Strafrechts. 2. Aufl. Leipzig 1903. — H o e g e l , Goschichte des osterreich. Strafrechts in Verbind. mit e. Erláut. seiner grundsatzl. Bestimm. I und II. Wien 1904 .—3 W i c h t i g e Z e i t s c h r i f t e n : Allgemeine osterreichische Gerichtszeitung von R i z i , S t u b e n r a u c h , G l a s e r , N o w a c k . Wien 18-50 ff. Erscheint weiter. — H a i m e r l , Magazin für Rechts- und Staatswissenschatt. Wien 1850 ft". — H a i m e r l , Osterreichische Vierteljahrsschrift für Rechts- und Staatswissenschaft. Wien 1858 ff. — Vgl. noch H e r b s t , Die grundsátzlichen Entschcidungen des k. k. Kassationshofes über zweifelhafte Fragen des aligera, osterreichischen Strafrechts. 3. Aufl. Wien 1858. Nachtragsheft das. 1860. — S a m m l u n g s t r a f r e c h t l i c h e r E n t s c h c i d u n g e n d e s k. k. o b e r s t e n G e r i c h t s - u n d K a s s a t i o n s h o f e s , herausgeg. von A d l e r , K r a l l und von W a l t h e r . Bd. 1—3. Wien 1874- — R e c h t s s p r e c h u n g d e s k. k o s t e r r e i c h i s c h e n o b e r s t e n G e r i c h t s h o f e s in alien Zweigen der Civil- und Strafgesetz'gebung. Herausgeg. von S c h i r a k o w s k i , fortgesetzt von B e r g und K r i s . Bd. I - I V . Wien 1869—1872. — P 1 e n a r b e s c h 1 ü s s e u n d E n t s c h c i d u n g e n d e s k. k. K a s s a t i o n s h o f e s . I ff'. Wien 1879 ff. Erscheinen weiter.

4. W ü r t t e m b e r g . D a s S t r a f r e c h t v o r d e m S t r a f g e s e t z b u c h vom 1. Márz 1839 stellt dar: K n a p p , Das württembergisehe Kriminalrecht. 2. Abteilung. Stut tgart 1828. 1829. — D e m S t r a f r e c h t e d e s G e s e t z e s s e l b s t s i n d g e w i d m e t : H e p p , Kommentar über das neue württembergische Strafgesetzbuch, nach seinen authentischen Quellen u. s. w. 3 Bde. Tübingen 1839—1842 — H u f n a g e l * , Das Strafgesetzbuch für das Kónigreich Württemberg. 2 Bde. Stuttgart 1840 und 1842; dazu erschien 1845 ais dritter Band ein Band: Neue Prajudicien der württembergischen hoheren Gerichte, Berichtigungen und Zusátze zu dem Kommentar . . . — H u f n a g e l , Das Strafgesetzbuch für das Kónigreich Würt temberg mit erláuternden Anmerkungen vornehmlich aus der Praxis der Gerichte. Tübingen 1845. — B i t z e r , Das württembergische Polizeistrafrecht. Stut tgart 1872. — L e b r e t , Strafrechtspflege der Gerichte des Konigreichs Württemberg. 2 Bde. Stut tgart 1854 und 1857. — S c h i c k e r , Das Polizeistrafrecht und Polizeistrafverfahren im K. Würt temberg. 2. Aufl. Stuttgar t 1888. — W i c h t i g e Z e i t s c h r i f t e n : S a r w e y , Monatsschrift für württembergische Justizpflege. 20 Bde. 1837—1856; fortgesetzt in K ü b e I und S a r w e y , Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung. 23 Bde. Stuttgart 1857—1"84. — W ü r t t e m b e r g i s c h e s G e r i c h t s b l a t t , herausgegeben von K ü b e l 21 Bde. Stuttgart 1857—1882. — Jahrbücher der württembergischen Rechtspflege I ñ" Tübingen 1887 ff. Erscheinen weiter. — S. auch F r i s c h , Die Straf-Gesetze des K. Württemberg. 2. Aufl. Ohne Druckort. 1878; B e l i n g , Würt temberg. Strafgesetzgebung. Tüb. und Leipzig 1903.

5. K ó n i g r e i c h S a c h s e n . 1. K o m m e n t a r e z u m K r i m i n a l g e s e t z -b u c h e v o m 30. M á r z 1 8 3 8 : G r o s s , Kriminalgesetzbuch für das Kónigreich Sachsen . . . mit Anmerkungen zum praktischen Gebrauche. 2 Abteilungen. Dresden 1838. — H a r t i t z s c h , Das Kriminalgesetzbuch für das Kónigreich Sachsen . . . . , aus den Landtagsverhandlungen erláutert und mit Anmerkungen versehen. Leipzig 1841. — S c h a ^ í f r a t h , Kommentar zum allgemeinen Teile des sáchsischen Kriminalgesetz'buchs. Leipzig 1842. Bildet das dritte Heft der „Grundwissenschaften des Rechts und insbesondere des Strafrechts". — W e i s s ,

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§ 16. 54

Kriminalgesetzbuch für das Konigreich Sachsen mit erláuternden Bemerkungen . . . 8 Bde, Leipzig und Dresden 1841—1843.'2. Aufl. 1848. — H e l d und S i e b d r a t , Kriminalgesetzbuch und forststraft-echtliche Bestimmungen für das Konigreich Sachsen, das Grossherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach u. s. w. . . . nebst einem durchlaufendeu Kommentar zum Handgebrauch. Leipzig 1848. — 2. S t r a f -

f e s e t z b u c h v o m 11. A u g . 1855. a. K o m m e n t a r e : K r u g , Kommentar zu em Strafgesetzbuche für das Konigreich Sachsen vom 11. August 1855. 4 Ab-

teilungen. Leipzig 1855. 2. Aufl. 2 Abteilungen, das. 1861 (die 4. Abteilung der I. Aun. — Abhandlungen — ist in die 2. nicht mit aufgenommen). — K r u g , Das Strafgesetzbuch für das Konigreich Sachsen mit Erláuterungen. Leipzig 1855. — S i e b d r a t , Das Strafgesetzbuch für das Konigreich Sachsen vom I I . Aug. 1855 mit einem durchlaufenden Kommentar zum Handgebrauch. Leipzig 1862. — b. V. W á c h t e r * , Das koniglich sáchsische und das thüringische S t r a í recht. Stut tgart 1857. 3 Hefte (geht leider nur bis zum Anfang der Schuld-lehre). — 3. R e v i d i r t e s S t r a f g e s e t z b u c h vom 1. Okt. 1868: S c h w a r z e , Das revidirte Strafgesetzbuch vom 1. Okt. 1868. — 4. Z e i t s c h r i f t e n : K r i m i -n a l i s t i s c h e J a h r b ü c h e r f ü r d a s K o n i g r e i c h S a c h s e n . Herausgegeben von V. W a t z d o r f und S i e b d r a t . 2 Bde. Zwickau 1837. 1838. — J a h r b ü c h e r fü r s á c h s i s c h e s S t r a f r e c h t . Herausgegeben von denselben. Zwickau 1839. — N e u e J a h r b ü c h e r fü r s á c h s i s c h e s S t r a f r e c h t . Herausgegeben Bd. I von dens.; Bd. JI ff. von H e l d , S i e b d r a t und S c h w a r z e . Dresden und Leipzig 1841 ff.; vom 6. Bd. an Leipzig; 9 Bde. bis 1856. ~ S c h w a r z e , Allgemeine Gerichtszeitung für das Konigreich Sachsen. I—XXV. Leipzig 1857—1881. — A n n a l e n d e s k o n i g l i c h s á c h s i s c h e n O b e r -a p p e l l a t i o n s g e r i c h t s zu D r e s d e n . Leipzig 1860 ff. 8 Bde. Neue Folge 1866—1873. 10 Bde. Eine zweite Folge begann mit 1874. Die Zeitschrift endete mit Folge I I Bd. 6. Leipzig 1879. — An sie schliessen sich: A n n a l e n d e s k g l . s á c h s i s c h e n O b e r - L a n d e s - G e r i c h f s z u D r e s d e n . Bd. 1 ff. Leipzig 1880 ff. Erscheinen weiter. — Z e i t s c h r i f t f ü r R e c h t s p f l e g e u n d V e r -w a l t u n g z u n á c h s t f ü r d a s K o n i g r e i c h S a c h s e n . Leipzig 1838 ff. 3 Bde. Neue Folge das. 1841—1873. Erscheint weiter. — S. auch M a n g o l d t , Das im K. Sachsen neben den Strafgesetzbüchern gelt. Reichs- und Landesstrafrecht. I u. II. Leipzig 1886. — v. F e i l i t z s c h , Das K. Sachs. Landesstrafrecht. 1 u. 2. Leipzig 1899 und 1902.

6. T h ü r i n g e n . S. v. W á c h t e r unter 5 2 b. — W o c h e n b l a t t fü r S t r a f r e c h t s p f l e g e in T h ü r i n g e n , herausgegeben von R. S c h m id. 2. Jahrg . Weimar 1851. 1B52. — B l á t t e r f ü r R e c h t s p f l e g e i n T h ü r i n g e n u n d A n -h a l t , spater herausgegeben von V o l l e r t , zuletzt von B r e t s c h n e i d e r . Jena 1854 ff, Erscheinen weiter. — v. G r o s s , Die Strafrechtspflege in Deutschland. Weimar 1857—1861. — A n d r e a , Rechtssprechung des Gesamt Oberappellations-gerichts zu Jena in Strafsachen. 2 Hefte. Weimar 1864. 1865.

7. H a n n o v e r . L e o n h a r d t , . Kommentar über das Kriminalgesetzbuch für das Konigreich Hannover. 2 Bde. Hannover 1846 und 1851. — D e r s . , Das Kriminalgesetzbuch (für Hannover) und seine Nebengesetze. 3. Aufl. Hannover 1860. — P e t e r s s e n , Polizeistrafgesetzbuch für das Konigreich Hannover vom 25. Mai 1847. 2. Aufl. Hannover 1865. — v. B o t h m e r , Erorterungen und Abhandlungen aus dem Gebiete des hannoverschen Kriminalrechts und Kriminal-prozesses. 3 Bde. 1843. 1846. 1847. — M a g a z i n f ü r h a n n o v e r s c h e s R e c h t . Seit 1851. Gottingen, Hannover 1853—1859. — N e u e s M a g a z i n í ü r h a n n o v . R e c h t . 9 Bde. Hannover 1860—1869. — Z e i t s c h r i f t fü r h a n n . R e c h t . 10 Bde. Hannover 1865—1879. — Vgl. G o l t d a m m e r , Archiv XIV S. 65 ff.

8. B a d é n , T h i l o , Das Strafgesetzbuch für das Grossherzogtum Badén mit den Motiven der Regierung. Karlsruhe 1845. — P u c h e l t , Das Strafgesetzbuch für das Grossherzogtum Badén , nebst Abánderungen und Ergánzungen. Mannheim 1866—1868. — J o l l y und E i s e n l o h r , Polizeistrafgesetzbuch . . für das Grossherzogtum Badén. Heidelberg 1864—1867. — H o h n h o r s t , Jahrbücher des Oberhofgerichts zu Mannheim. Das. 1831 ff. — A n n a l e n d e r g r o s s -h e r z o g l i c h b a d i s c h e n G e r i c h t e . Karlsruhe, spáter Mannheim 1833 ff. S t e h e n 1906 in B a n d L X X I . — S. auch B i n g n e r u. E i s e n l o h r , Badisches Strafrecht. Heidelberg 1872; S c h l u s s e r , Das Bad. Polizeistrafrecht. 2. Aufl. Karlsruhe 1897.

•55 § 16 .

9. K u r h e s s e n . H e u s e r , Systematisches Handbuch des kurhessischen Straf- und Polizeirechts. Kassel 1853. — K e r s t i n g , Das Strafrecht in Kurhessen. 2 Bde. Rinte 'n 1853—1855. — S t r i p p e l m a n n , Neue Sammlung be-merkenswerter Entscheidungén des Oberappellationsgerichts zu Kassel. Teil 1 bis 8. Kassel 1842—1852. — H e u s e r , Bemerkenswerte Entscheidungén des Kriminalsenates des Oberappellationsgei-ichts zu Kassel. 6 Bde. Kassel 1845 bis 1852, — H e u s e r , Annalen der Justizpflege und Verwaltung. Kassel 1854 ff. Bis Bd, 28, 1885. — Vgl. G o l t d a m m e r , Archiv XIV S. 668 ff'.

10. G r o s s h e r z o g t u m H e s s e n ( N a s s a u , F r a n k f u r t a m M a i n ) . B r e i d e n b a c h , Kommentar über das grossherzoglich hessische Strafgesetzbuch. Bd. I in 2 Abteil. Darmstadt 1842—1845. — B o p p , -Handbuch der Kriminal-gesetzgebung für das Grossherzogtum Hessen. 2. Ausg Giessen 1854 ~ S a m m l u n g d e r E n t s c h e i d . u n g e n d e s K a s s a t i o n s h o f e s zu D a r m s t a d t , her'-ausgegeben von E m m e r l i n g , spáter von D e r n b u r g u. a. Darmstadt 1853 ff. Gediehen bis zu den Entscheid. des Jahres 1876. Darmstadt 1878. — G l a u b r e c h und D e r n b u r g , Archiv für das Strafrecht . . . in dem Grossherzogtum Hessen. Bd. I und II Heft 1 und 2. Mainz 1850—1853. — A r c h i v f ü r d i e P r a x i s d e s in H e s s e n - N a s s a u g e l t e n d e n R e c h t s . 11 Bde. Rüdesheim, spáter Wiesbaden 1859—1872.

11. O l d e n b u r g . ( R u n d e ) Das Strafgesetzbuch und die Strafprozess-ordnung für das Grossherzogtum Oldenburg, mit Noten und alphabetischen Sach-registern. 2. Aufl. Oldenburg 1864. — W e d d e r k o p p und H e m k e n , Handbuch für die Strafrechtspflege, insbesondere die polizeiliche, im Herzogtum Oldenburg. Oldenburg 1867. — A r c h i v f ü r d i e P r a x i s d e s g e s a m t e n im G r o s s h e r z o g t u m O l d e n b u r g g e l t e n d e n R e c h t s . 10 Bde. Oldenburg 1844 bis 1869. — Z e i t s c h r i f t f ü r V e r w a l t u n g u n d R e c h t s p f l e g e im G r o s s h e r z o g t u m O l d e n b u r g . I ff. Oldenburg 1870 ff. Erscheint weiter.

12. M e c k l e n b u r g . G o e s c h und v. D ü r i n g , Mecklenburg Landesstrafrecht. Ausgabe f. Mecklenburg-Schwerin und. Ausg. f. Mecklenburg-Strelitz. Schwerin 1886 und Neustrelitz 1887. — Z e i t s c h r i f t fü r R e c h t s p f l e g e u n d R e c h t s w i s s e n s e h a f t , herausgeg. von B u d d e , M o l l e r , B i r k m e y e r . I ff. VVismar 1881 ff. Erscheint weiter.

13. B r a u n s c h w e i g ( L i p p e - D e t m o l d ) . ( B r e y i ann , ) Das Kriminalgesetzbuch für das Herzogtum Braunschweig. Nebst den Motiven. Braunschweig 1840. — G o t t h a r d und K o c h , spáter D e d e k i n d , Zeitschrift für Rechtspflege im Herzogtum Braunschweig. 1854 ff". Erscheint weiter. — S a m m l u n g d e r v o m K a s s a t i o n s h o f e des Herzogtums B r a u n s c h w e i g e n t -s c h i e d e n e n S t r a f r e c h t s f á l l e von W. G o r z . Bd. I — V. Wolfenbüttel 1853—1866.

14. S c h l e s w i g - H o l s t e i n . v. S c h i r a c h , Handbuch des schleswig-holsteinischen Kriminalrechts und -Prozesses. 2 Bde. Altona 1828 und 1829. ~ S c h ü t z e , Samling af de Slevigshe straftelove. Kopenhagen 1856. —• S c h l e s -w i g - H o l s t e i n i s c h e A n z e i g e n . NF. I ff. Glückstadt 1867 ff. Erscheinen weiter. — Vgl. G o l t d a m m e r , Archiv XIV S. 679 ff.

15. B r e m e n . P a u l i , Das bremische Strafrecht. Ein Handbuch für Ge-schAvorene. Bremen 1863. — Für H a m b u r g , L ü b e c k und B r e m e n w i c h t i g ist die S a m m l u n g d e r E n t s c h e i d u n g é n d e s O b e r a p p e U a t i o n s -g e r i c h t s z u L ü b e c k , herausgeg. von K i e r u l f f . Hamburg, spáter Lübeck 1866-1874. S. auch unten sub VIL B. S. 58.

16. E l s a s s - L o t h r i n g e n . Sammlung der in Elsass-Lothringen geltenden Gesetze. Herausgeg. von Á l t h o f f u. A. I—IV. Strassburg 1880—1886. — F o r t s c h und L e o n i , Sammlung der in Elsass-Lothringen in Geltung ge-bliebenen franzosischen Strafgesetze. I u. II . 1875. 1876. — J u r i s t i s c h e Z e i t s c h r i f t für d a s R e i c n s l a n d E l s a s s - L o t h r i n g e n . Herausgeg. von P u c h e l t u. M e u r e r . I tt'. Mannheim 1876 ff. Erscheint Aveiter. - K a y s e r , Übersicht des Sonderstrafrechts von Elsass-Lothringen. Bei HH IV S. 639—744. — C o e r m a n n , Die Strafgesetze Elsass-Lothringens. Berlin 1897.

V. Literatur des heutigen Strafrechts. S. B ind ing , E § 22 (S. 140 ÍF.).

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§ 16. 56

A. W e r k e a 11 g e ra e i n e r e n C li a r a k t e r s. B i u d i n g , Die Normen nnd ihre Übertretung, 1. 2. Aufl. Leipzig 1800. í í . das, 1877. — T h o n , Rechtsnorm und subjektives Recht. Weimar 1878 (dazu B i n d i n g , K r V X X I . 1879. S. 541 ff.). — H e r t z , Das Un-recht und die allgemeinen Labren des Strafrechts, I. Hamburg 1880. — B i e r l i n g , Juristische Principienlehre. I. F re iburg u. Leipzig 1894. I I das. 1898. I I I 1905. — L i e p m a n n , Einleitung ín da§ Strafrecht. Berlin 1900. — B e r o l z h e i m e r , Die Entgeltung im Strafrecht. München 1903 (dazu B i r k r a e y e r , KrVJSch r X L V L 1905. S. 76 ff.). — B e l i n g , Die Lehre vom Verbrechen. Tübingen 1906. — v. B a r , Gesetz u. Schuld im Strafrecht. I — I I I . Berlin 1906 — 1909. — Vgl. auch i J V l a k a r e w i c z , Einführ. in die Philosophie des Strafrechts auf entwicklungsgeschichtlicher Grundlage. Stuttgart 1906.

B. H a n d b ü c h e r . Handbuch des deutschen Strafrechts. In Einzelbeitrágen. Herausgeg. von v. H o l t z e n d o r f f . I—III . Berlin 1871 bis 1874. IV. Erganzungen. Berlin 1877. — H a l s c h n e r * , Das gemeine deutsche Strafrecht. I. I I . Bonn 1881 —1887 (dazu M e r k e l , Z. f. S t r R W I S. .553 ff.). — v. B a r , Handbuch des deutschen Strafrechts. Berlin 1882 (enthalt. die Geschichte des Strafrechts und der Strafrechtstheorieen). — B i n d i n g , Handbuch des Strafrechts. I. Leipzig 1885.

C. L e h r b ü c h e r . B e r n e r , Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 18, Aufl. Leipzig 1898. — S c h ü t z e , Lehrbuch des deutschen Strafrechts auf Grund des Reiehsstrafgesetzbuches. 2. Aufl. Leipzig 1874. — M e y e r , Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 7. Aufl. von A l i f e l d . Leipzig 1912.— v. L i s z t , Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 19. Aufl. Berlin 1912. — M e r k e l * , Lehrbuch des deutschen Strafrechts, Stut tgart 1889. — v, W a c h t e r , Deutsches Strafrecht. Vorlesungen. Herausgegeben von O. v, W a c h t e r , Leipzig 1881. — F i n g e r , Lehrbuch des deutschen Strafrechts. I. Berlin 1904. — B i n d i n g , Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts Besonderer Teil. L 2. Aufl. Leipzig 1902. I I 1. 2. Aufl. das. 1904. I I 2. das. 1905. — T h o m s e n , Das deutsche Strafrecht. Aligera. Teil (Vorlesungen). Berlin 1906. — S. auch den Abriss von G e y e r - M e r k e l in V. H o l t z e n . d o r f f s Encykl . 5. Aufl. Leipzig 1890. S. 909 ff,, den von W a c h e n f e l d in der gleichen Encykl . 6. Aufl. I I S. 239 ff. und den von B i r k r a e y e r in dessen Encyklopadie. 2. Aufl. Berlin 1904. S. 1095 ff. — B r a u e r , Handbuch des deutschen Militárstrafrechts. Er -langen 1872. — H e c k e r , Lehrbuch des deutschen Militárstrafrechts. Stut tgar t 1887. — B i r k m e y e r , Das Miiitarstrafrecht, in seiner Encykl .

2, Aufl, S. 1203 ff. D . G r u n d r i s s e . G e y e r , Gr. zu Vori, über gemeines deut

sches Strafrecht. L I I . München 1884. 1885 (wertvoll durch reiche Li teraturangaben u. sorgfaltige Ausführungen). — R. L o e n i n g , Gr. zu Vori, über deutsches Strafrecht. Frankfur t a. M. 1885. — B e l i n g , Grundzüge des Strafrechts bei Verles. 3. Aufl. Tüb. 1905. — V, L i l i e n t h a l , Grundriss z. Verles, über deutsches Strafrecht. 2. Aufl. Marburg 1900. — B i r k m e y e r , Gr. z. Verles, über d. deutsche Strafrecht. 6. Aufl. München 1905. — T h o m s e n , Grundriss des deutschen

57 i< 16.

Verbrechensbekampfiingsrechtes. (!) Berlin 1905. Besonderer Teil. Berlin 1906.

E. K o m m e n t a r e n Aus der grossen Zahl von Kommentaren zuní Reichsstrafgesetzbuch sind hervorzuheben: R i i d o r f f * , Straf-gesetzbuch für das Deutsche Reich. 4. Aufl. von S t e n g l e i n . Berlin 1892. — 0 1 s h a US e n * , Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. I und II. Berlin 1880 und 1883 (der wissenschaftlichste der Kommentare). 9. Auflage. Unter Mitwirkung von Z w e i g e r t . Berlín 1912. — . O p p e n h o f f , ' Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. . . . erlautert. 14, Aufl., besorgt von D e l i u s . Berlin 1901. — V. S c h w a r z e , Kommentar zura Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. 5. Aufl. Leipzig 1884. — H a h n , Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. 3. Aufl. Breslau 1877. — M e v e s , Die Strafgesetznovelle vom 26. Februar 187(). Erlangen 1876. — O t t o , Aphorismen zu dem allgemeinen Theile des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich. Leipzig 1877. — R u b o , Kommentar über das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Berlin 1879. — F r a n k * , Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. 8. — 10. Aufl. Leipzig 1911 (sehr brauchbarer kürzerer Koraraentar). — K a h , Die Polizeivergehen des deutschen Strafgesetzbuchs. Stuttgart 1879. — R o t e r i n g , Polizei-Ubertretungen und Polizei-Verordnungsrecht. Berlín 1888. — Der beste der Kommentare zura Militarstrafgesetzbuche ist der von K o p p -m a n n , 3. Aufl. von W e i g e l , München 1903. Vgl. auch H e r z u. P l r n s t , Strafrecht der Militarpersonen, Berlin 1905.

Die flichtigsten kriminalistischen Zeitschriften . B i b l i o t b e k für pe in l iche R e c h t s w i s s e n s c h a f t . Bd. 1. Her-

bom und Hadarnar. 1798. 1799. Bd. 2 Stück 1. 1800. Stück 2. 1804. (ürgan von Grolman und Feuerbach.) — 2. A r c h i v des K r i m i n a l r e c h t s : Altes Archiv (AA) 7 Bde. Halle 1799-1807; herausgeg. von Klein und K le in sch rod , spater auch von K o n o p a k ; Neues Archiv (NA) 14 Bde. Halle 1816—1883, und Archiv Neue Folge (ANF) 24 Bde. Halle 1834-—1857; herausgeg, von K l e i n s c h r o d , K o n o p a k , Mi t t e rma ie r , Abegg , B i rnbaum, Hef í ' t e r , W a c h t e r , Z a c h a r i a , Her rmann . — 3." HudtAvalker und T r u m m e r , Kr imina-l i s t i s c h e B e i t r á g e . 3 Bde. Hamburg 1824—1827. — 4. H i t z i g , Annaleu der deutschen und auslandischen Kriminalrechtspflege. Bd. 1—17. Berlín 1828- -1835; fortgesetzt von Demme und K.lunge, Bd. 1—30, Altenburg 1837 — 1844; Neue Folge, herausgeg. von S c h l e t t e r , Bd. 1—42, das. 1845 ff.: von Bd. 16 (1849) in Leipzig. 5. Der G e r i c h t s s a a l . Erlangen seit 1849. Erscheint weiter. Im Jahre 1872 beginnt „dcr neuen Folge erster Jahrgang". Jetzt redigirt von O e t k e r und F i n g e r . — 6. A r c h i v für p r a k t i s c l i e R e c h t s w i s s e n s c h a f t aus dem G e b i e t e des C i v i l r e c h t s , des C iv i lp rozesses und des K r i m i n a l r e c h t s . I fF. Regensburg 18- 2 ft'., spater Marburg und Leipzig, dann Darmstadt und Leipzig. Seit 1897 (N. F. Bd. XVÍII) nicht weiter er-schienen. — 7. v. Hol tz endorf f , A l lgemeine deu t sche S t r a f r ' e e h t s -z e i t u n g . Leipzig 1861 ff. 10 Bde. Neue Folge 1871 fí. Ist seit 1874 mit dem Gerichtssaal verschmolzen. — 8. G o l t d a m m e r , A r c h i v des p r e u s s i -s c h e n S t r a f r e c h t s . Beilin seit 1853. Nach G o l t d a m m e r s Tod fort-gesetzt erst von M a g e r , dann von H a h n , dann anonym, dann von Me v e s u. A., von Band XLVII von Kohle r u. A. Von Bd. 19 (1871) A r c h i v für

' S._ oben § 15 S. 47 tt - Die auf Grund des Partíkuharrechts entstandenen Zeitschriften s. oben

unter IV, wo auch angegeben ist, ob dieselben noch weiter erscheinen, also auch für das heutige gemeine Strafrecht Bedeutung gewonnen habeii.

VI. 1.

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§ 10. 58

g e m e í n e s d e u t s c h e s u n d für p r e u s s i s c h e s S t r a f r e c h t . Erscheint weiter. — 9. Z e í t s c h r í f t f ü r d i e g e s a m t e S t r a f r e c h t s w i s s e n s c h a f t , begründet von D o c h o v / und V. L i s z t . I ft'. Berlín und Leipzig 1881 ff. Erscheint weiter. — 10. M a g a z í n f ü r d e u t s c h e s R e c h t d e r ó r e g e n w a r t , herausgeg. von B o d i k e r . I—VII. Hannover 1881-1887. — 11. Z e í t s c h r í f t f ü r í n t e r n a t í o n a l e s P r i v a t - u n d S t r a f r e c h t , herausgeg. v. B o h m . I ff. Erlangen 1891 íF. Erscheint weiter. — 12. A r c h í v f ü r K r i m i n a l a n t h r o p o -l o g í e u. K r í m í n a l í s t i k . Herausg. von G r o s s . I ff. Leipzig 1899 ff. Erscheint weiter. — 13. B l á t t e r f ü r G e f á n g n i s k u n d e . I ff. Heídelberg 1865 ff. Von B a n d X X X V 1901 an in Cassel. Jetzt redígirt v. von E n g e l b e r g . Erscheinen weiter. — 14. M o n a t s s c h r í f t f ü r K r i m i n a l p s y c h o l o g i e u n d S t r a f r e c h t s r e f o r m . I ff". Herausg. von A s c h a f f en b u r g . Ileideiberg 1904 ff. Erscheint Aveiter.

VII. Easn i s t ik .

A. I m A l l g e m e í n e n . Sehr reíche Kasuistik bieten H i t z i g s A n -n a l e n und G o l t d a i n m e r s A r c h í v ; manches Interessante im A r c h í v d e s K r i m í n a l r e c h t s , im G e r i c h t s s a a l und in v. H o l t z e n d o r f f s S t r a f -r e c h t s z e í t u n g . Ausschliesslich Kasuistik euthalten díe Sammlungen von Ur-teilen der obd-sten Geríchte einzelner Lánder (s. oben unter IV). Ausserdem kommen in Betracht : M e i s t e r , Erkenntnisse und Giitachten in peinlichen Fallen. 5 Bde. 1771 —1785. — K l e i n , Merkwürdige Reclitssprüche der hallisclien Jurístenfakultát . 5 Bde. Berlín und Stettin 1796—1802. — M e i s t e r , Urteile und Gútachten in peinlichen und anderen Straffállen. íYankfurt a. d. O. 1808. — V. F e u e r b a c h , Merkwürdige Krimínalfálle. 2 Bde. Giessen 1808 u. 1811. — V. F e u e r b a c h , Alitenmássige Darstellung merkwürdiger Verbrechen. 2 Bde. Giessen 1828 und 1829. — v. S c h í r a c h , KrimínalrechtsfáUe. . Altona 1813. — T i t t m a n n , Vortráge und Urteile über merkwürdige Straffálle aus Akten. Leipzig 1815. — P f í s t e r , Merkwürdige KrimínalrechtsfáUe. 5 Bde. Heídelberg, spáter Frankfurt 1814—1820. — B i s c h o f f , Merkwürdige KrimínalrechtsfáUe. 4 Bde. Hannover 1822—1840. — B o p p , Hibliothek gewáhlter Strafrechtsfálle. Stut tgar t 1834. — B a u e r , Strafrechtsfálle. 4 Bde. Gottingen 1835—1839. — Z a c h a r í á , GeschiehtseríSáhlungen aus Kriminalakten. Gottingen 1835. — W e n d t , Die deutsche Fakultátspraxis in Strafrechtsfállen. Neustadt a. d. Orla 1836. — G r a b a , Theorie und Praxis des gemeinen deutschen Krimínalrechts im 19. Jahrhunder t , in merkwürdígen Strafrechtsfállen dargestellt. Hamburg 1838. — S c h o l z I I I , Merkwürdige Strafrechtsfálle. 2 Bde. Braunschweíg 1840 und 1841. — T e m m e , Archív für die strafrechtlichen Entscheídungen der obersten Geríchtshofe Deutschlands. 5 Bde. Erlangen 1854 bis 1858.— O s e n b r ü g g e n * , Kasuist ik des Krimínalrechts. Schaffhausen 1854. — Rul f , Strafrechtsfálle ohne Entscheidung. Wien 1874. — v. L i s z t , Strafrechtsfálle. 8. Aufl. Jena 1906.— V. B a r * , Strafrechtsfálle. Berlín 1875. — H a r b u r g e r , Strafrechtspraktíkum. Stuttgart 1892. — F r a n k , Strafrechtl. Fal le z. akadem. Gebrauch. 3. Aufl. Giessen 1901. S t e l l i n g , Prakt ísche Strafanzeigen (Strafrechtsfálle). Hannover 1902. — V. R o h l a n d , Strafrechtsfálle. Leipzig 1902. — Vgl. J o h n , Krit íken strafrechtlicher Entscheídungen des preussischen Obertribunals. Berlín 1866.

B. K a s u i s t i k d e s h e u t í g e n g e m e i n e n R e c h t s . D i e d e u t s c h e S t r a f r e c h t s p r a x i s . I (v. P e z o l d , S t i e g e l e und K o h n ) . Stuttgart 1877. I I (v. Z í m m e r l e ) . Das. 1880. — E n t s c h e í d u n g e n d e s R e í c h s o b e r -h a n d e l s g e r i c h t s . VI ff. Erlangen 1872 ff. — E n t s c b e i d u n g e n d e s R e í c h s g e r i c h t s in S t r a f s a c h e n . I ff. Leipzig 1880 ff. Erscheinen weiter. — R e c h t s s p r e c h u n g d e s d e u t s c h e n R e i c h s g e r i c h t s in S t r a f s a c h e n . Herausgegeben von der Reichsanwaltschaft. I—X. München und Leipzig 1879 bis 1888. Von da ab mit den Entscheídungen vereinigt. — S c h u l t z e , Rechts-fálle aus der Praxis der Strafsenate des Reichsgerichts ais Strafrechísaufgaben mitgeteilt. Leipzig 1891. — Fas t ausschliesslich der Kasuistik des neuen gemeinen Rechts war gewídmet: S t e n g l e i n , Zeítschríft für Geríchtspraxis und Rechts-wissenschaft. 8 Bde. München 1872—1879.— O r t l o f f , Gerichtlich-medizinische Falle und Abhandlungen. Heft I—IV. Berlín 1887-1888 . — S t e n g l e i n , Lexikon des Deutschen Strafrechts nach den Entscheídungen des Reichsgerichts zum Strafgesetzbuch. I u. I I . Berlín 1900. — Entscheídungen des Hanseatischen Oberlandesgeríchtes in Strafsachen aus den Jahren 1879—1897. Herausg. v. P a u l

5 9 § 1(>-

V o g t . Hamburg 1899.— A p t u n d B e l i n g , Die grundlegenden Entscheídungen des Reichsgerichts und des Reichsmílitárgerichts auf dem Gebiete des Strafrechts. 3. Aufl. Berlín 1908 — Im übrígen bieten die Zeitschviften, díe unter IV aufgeführt sind und weiter erscheinen, meist reíche Kasuistik. Bedauerlich ist der Mangel einer auserlesenen Sammlung von gemeinrechtlíchen Fallen aus der Praxis erster Instanz.

Vgl. auch Entscheídungen der Geríchte und Verwaltungsbehorden aus dem Gebiet des (gemeinrechtlíchen) Verwaltungs- und Polízeístrafrechts. Heraus gegeben von R e g e r . Bd. I ft". Nordlíngen 1881 ff. Erscheinen weiter.

Anhang. Ausgewáhlte Literatur über auslándisches Strafrecht. Aussej- den fortlaufenden „Uebersí6hten der gesamten staats- und rechts-

wíssenschaftlichen Literatur", die M ü h l b r e c h t beí Put tkammer & Mühlbrecht in Berlín herausgiebt, s. auch M ü h l b r e c h t ^ Wegweiser durch die neuere Li t teratur der Rechts- und Staatswissenschaften. I. 2. Aufl. Berlín 1893. I I . Berlín 1901.

I. F r a n k r e i c h . S. Europ. Strafrecht S. 433 ff. (R i v i e re ) . — L o c r é , La légíslation cívile, commerciale et críminelle de la France. Tome X X I X — X X X I :

la France. 3 vol. Par ís ISU. — M o r i n , Díctíonnaire du droit crímínel. Paris 1842. — M o r i n , Répertoire general et raisonné du droit criminel. 2 vol. Paris 1850. 1851.— C h a b r o l - C h a m é a n e , Díctíonnaire des lois ciñminelles et pénales. 2 vol.^_ Paris 1851.

S i r e y e t D u v e . r g i e r , Recueíl general des arréts en matiére civile , críminelle etc ; fortgesetzt von D e v i l l e n e u v e , C a r e t t e , G i l b e r t . Seit 1791. Erscheint weiter. — D a H o z , Jurísprud. genérale ou répertoire méthodique et alphabétíque de légíslation, de doctrine et de iurisprudence. Nouv. édítion. 44 vol. París 1845 ff. — J o u r n a l d u P a l a i s , Répertoire general contenant la juris-prudence de 1791 á 1857. Paris 1858. Mit Supplementen fortgesetzt bis zur Gegénwart .

C h a x i v e a u , Code penal progressif. Paris 1832. — N y p e l s , Le droit penal francais progressif et comparé. París 1864. — L e G r a v e r e n d , Tra i te de la légíslation críminelle en France. 3« éd. 2 vol. 1830. — C a r n o t , Commentaire sur le code penal. 2^ éd. 2 vol. Paris 1836. — R o s s í . Tra i te de droit penal 4e éd. 2 vol. 1872. -^ R a u t e r , Trai te théorique et pratique du droit criminel. 2 vol. Par ís 1836.— L e S e l l y e r , Trai te du droit criminel. 6 vol. Paris 1844. — L e S e l l y e r , Eludes historiques, théoriques et pratíques sur le droit criminel. 2« éd. 6 vol. Par ís 1874. 1875. — M o l i n i e r , Progi-amme du cours de droit criminel. Toulouse 1851. — M o l i n i e r , Trai te théorique et pratique de droit penal. Pa r Vidal. I u. I I . París 1893 u. 1894. — T r é b u t i e n , Cours élémentaíre du droit criminel. 2 vol. 2» éd. Paris 1878. 18-^4. — O r t o l a n , Eiéments de droit penal. 5« éd. par Desjardins. 2 vol. París 1886. (Dazu B i r k m e y e r , KrV X X X I S. 535 ft".) — O r t o l a n , Resume des éléments de droit penal. Paris 1874. — B e r r i a t - S a i n t - P r i x , Cours de droit criminel. 5^ éd. París 1885. — B o í t a r d e t F a u s t i n - H é l i e , Le^ons 'de droit crímínel. 13e éd. par Vílley. Paris 1890. — H é l i e , Prat ique críminelle. 2 vol. París 1877. ^ L e f o r t , Cours élémentaíre de droit criminel. 2e éd. Par ís , 1879. — B e r t a u l d , Cours de code penal et leQons de légíslation críminelle. 4^ éd. París 1873 — G a r r a n d, Précis du droit criminel. 8© éd. Paris 1903. — G a r r a u d , Trai te théorique et pratique du droit penal franjáis. I—VI. París 1888—1894. Supplem. das. 1896. 2. Aufl. im Erscheinen Bd. IV u. V. París 1900. VI das. 1902. -V i l l e y , Précis d'un cours de droit criminel. 5^ éd. Paris 1890. — T r i p i e r -M o n n i e r , Les codes franjáis coUationnés sur les textes officiéis. 53« éd. Paris 1903. — R o g r o n , Les codes franjáis expliques. 5® éd. 1863. Insbes. Code

1 Es ist schwer, ín Deutschland die neuesten Ausgaben der Codes festzu-stelleú. Fast jáhrlich erscheinen die gangbaren Ausgaben in neuer Auflage.

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§ 16. 60

penal. 7e éd. París 1865. — S i r e y - G i Ib e r t , Code péríal annoté. París 1868. — M o n t ó n , Les lois pénales de la France. 2 vol. París 1868. — R o l l a n d d e V i l l a r g u e s , Les codes criminéis interpretes par la jurisprudence et la doctrine. 2 vol. 5e éd. Par is 1877. — D a l l o z e t V e r g é , Code d'instruction críminelle et Code penal. 8^ éd. Paris 1906. — R i v i é r e , H é l i e e t P o n t , Les codes franjáis . . . Publ. continuée par Weiss. Erscheint jalirlich neu vermehrt zu Paris. — C h a u v e a u . A d o l p h e e t F a u s t i n - H é l i e , Théorie du code penal. 6e éd. par Villey. 6 vol. Paris 1887. 1888. — B l a n c h e , Etudes pratiques sur le code penal. 2*- éd. Bd. 1—7. Paris 1888—1890. — L a b o r d e , Cours élémen-taire de droit crimínel. 2« éd. Paris 1898. — M a r i e , Elémeuts de droit penal et d'instruction crim. París 1896. — V i d a l , Cours de droit criminel et de science pénitentiaire. íi© éditíon. Paris 1906. — S. auch B u l l e t i n d e s a r r é t s d e l a c o u r d e c a s s a t i o n r e n d u s - en m a t i e r e c r í m i n e l l e . París. Erscheint weiter. Steht 1906 in Band CXI. — Dem Strafrecht ausschliesslích ist gewidraet das J o u r n a l d u d r o i t c r i m i n e l , rédígé par A c h i l l e M o r i n et par C h a u v e a u A d o l p h e , Paris seit 1829; seít 1847 ven M o r i n allein redigirt; seit 1890 (Tome 83) Journal du ministére public et du droit criminel; erscheint weiter. Auch für das Strafrecht von grossem Interesse die Zeitschriften: G a z e t t e d e s t r i b u n a u x . seit 1826, und L e d r o i t , seít 1836.

II. Bel^ieii. S. Europ. Strafrecht S. 461 ff. (P r ins ) . I n B e l g i e n g i l t j e t z t d e r C o d e p e n a l r e c t i f í é du 8 j u i n 1867. — H a u s , Principes géné-raux du droit penal belge. Gand, París 1869. 3e éd. 2 vol. Gand 1881. — N y p e l s , Le droit penal. 3 vol. Bruxelles 1873. — N y p e l s , Législation críminelle de la Belgique I—IV. Bruxelles 1870 — 1872. — N y p e l s , Le code penal belge, interoi'été principalement au point de vue de la pratique par ses motifs. Brux. I - I I Í 1867—1884. Nouv. éd. par S e r v á i s . T. I, II , III , IV2. Brux. 1896—1899. lüOO. — L i m e l e t t e , Le code penal belge. Bruxelles 1881. — V a n d e r H o f s t a d t , Code penal suivi des lois pénales speciales. Liége 1891. — ' T h i r y , Cours de droit criminel. I. Lüttich 1892. — Zeitschriften: l í e l g i q u e j u d i c i a i r e , Gazette des tribunaux belges et étrangers, seít 1843. — L i m í l e t t e , Revue critique de droit criminel. Liege 1882 ff.

I I Í Holland. S. Europ. Strafrecht S. 187 íF. ( v a n H a m e l ) . D a s n e u e n í e d e r l á n d i s c h e S t r a f g e s e t z b u c h v o m 3. M á r z 1 8 8 1 i s t a m 1. S e p t . 1886 in K r a f t g e t r e t e n . — R. v a n R o i j e n en H. A. v a n R o i j e n , De strafwetgewing met betrekkíng to de kantongerechfen. Groningen 1889. — H a z e l h o f , H e e i n s k e r k en P o l e n a a r , Het wetboek van strafrecht in door-loopende aantekníngen verkiaard. I u. II. Amsterdam 1885 — 90. — v a n H a m e l , Inleidning to de studie van het Nederlandsche strafrecht. Deel I. Haariem und 'sGravenhage 1889 - 1895. — v a n S w i n d e r e n , Het hedendaagsche Strafrecht in Nederlandfi en het buitenland. 2 Bánde." Groningen 1889. — v a n S w i n d e r e n , Esquisse du droit penal actuel dans les Pays-Has et á létranger. I—IV. Groningen 1891—1898. — N oy o n , Het wetboek van strafrecht verkiaard. 2e druk. Groningen 1904. — H e t w e t b o e k v a n s t r a f r e c h t . Rechtspraak en Nederlandsche litte-ratur . . door van der Hoeven, van Hamel u. A. Leíden 1900. — H e r z i e n í n g , Het wetboek van strafrecht. Deel I. 's Gravenhage 1900. — S i m o n s , Leer-boek van het Nederlandsche strafrecht. I. Groningen 1904. II1907. — R o i j e n , De strafwetgeving met betrekking tot de kantongerechten. 2edruk. Groningen 1905.— Tijdschríft voor Strafrecht onder redactie van Pols, van der Hoeven, van Hamel en Dómela Nieuwenhuis. Leíden 1886 íF. Erscheint weiter.

IV. Schweiz. S. Europ. Strafrecht S. 359 íF. ( T e i c h m a n n ) . T e m m e , Lebrbnch des schweizer. Strafrechts nach den Strafgesetzbüchern der Schweiz. Aarau 1855. — Zeitschrift für Schweizer Strafrecht, berausgeg. von S t o o s s . I ff. Bern 1888 ff. — P f e n n i n g e r , Das Strafrecht der Schweiz. Berlin 1890. — S t o o s s , Die Schweizerischen Strafgesetzbücher zur Vergleichung zusammen-gestellt. Basel und Genf 1892. 1893. — Die jetzt geltenden Strafgesetzbücher sínd verzeichnet in der Zeitschrift von S t o o s s Bd. II a. A.

V. Danemark. S, Europ. Strafrecht S. 207 ff. ( O l r i k ) . Dort gilt zur Zeit d a s S t r a f f e l o v af 10. F e b r . 1866. Bedeutend: G o o s, Den danske Strafferet. Kopenhagen I. Inledning. 1875. II. Almindelíge del 1878 (unvoUstándig). IV—VI. Spezieller Teil. Das. 1895 und 1896. — Sehr beachtlich auch G o o s , Den nordiske Strafferet. Almíndelig del. Kj0benhavn 1882. Speciel del. Das. 1899.

61 § 16

Dazu D a h l , Z f. StrRw XXII S. 441 ff. — O l r i k , Almíndelig borgerlich Straffelov af 10. Febr. 1866. Kopenhagen 1903. — T o r p , Den danske strafferets alminde-lige del. Kopeiiliagen 1905. — D a h l , Almíndelig borgerlich Straffelov ai 10. Fe-briiar-1906. 3. Udgave. Kopenhagen 1902.

VI. Schweden. S. Europ. Strafrecht S. 244 ff'. ( U p p s t r o m ) . Dort gilt zur Zeit das Strafflag vom 16. Febr 1864. A n t e 11, hveriges rikes straft'lagav. Lund (1892) - H a g s t r o m e r , Svensk straftVátt. Upsala 1901—1910.

VIL Korwepen. S. Europ. Strafrecht S. 227 ff'. (Getz) . Dort gilt jelzt das Almíndelig borgerlig straffelov vom 22. Mai 1902 (deutsch in den MdJKrV XII Berlín 1904).- G e t z , Juridiske Afhandlinger, utgivne af H a g e r u p . Krístiania 1903. — H a g e r u p , Almíndelig borgerlig straffelov af 22. Mai 1902. Krist iania 1903.

V l l l . I tal ien. S. Europ. Strafrecht S. 579 ff'. ( A l i m e n a ; . Für die Ge-schichte des ital. Strafrechts s. bes. P e r t i l e , Storia del diritto Italiano V, 2. edíz. Torino 1892, und K o h l e r : Studíen II—V: Das Strafr. der italien. Statuten vom 12.—16. Jahrh . Mannheim 1895—1897. — B r u s a , Bibliographíe pénitentiaire et pénale en Italie. Rome 1888. — P e s s i n a , Dei progressi del diritto pénale in Italia nel secólo XIX. Firenze 1868. — C a r r a r a , Programma del corso di diritto crimínale. Par te genérale. Lucca 1863 (1 u. II. 5. Auíi. 1877). Par te spcciale vol. I—VII 1864—1870 (V—Vil jetzt in 4., I - I V Lucca 1882—1889 in 5. Aufl., I und I I in 6. Aufl. Lucca 1886. 1888). Die 9. Aufl. ist im Erscheiuen: Bd. II davoñ Firenze 1902. — C a r r a r a , Opuscolí di diritto crimínale. Vol. 1 bis VII terza editione. Prato 1878—1887. Die 4. Aufl. ist im Erscheinen: Bd. IV. Firenze 1899. — C a s a l i s , Commentario sul códice pénale italiano. Torino 1860. — T o l o m e i , Diritto e procedura pénale. 3. edíz. Padova 1875. — P i e t r o E U e r o , Trat ta t i críminali. Bplogna 1875 . - M a n g a n o , Diritto pénale secondo il códice pénale italiano. 3 vol. Catania 1862—1864. — B u c c e l l a t í , Sommi principíi del diritto pénale Milano 1865. — B u c c e l l a t í , Instituzioní di diritto . . . pénale Milano 1884. — T a n e r e d i C a n ó n i c o , íntroduzione alio studio del diritto pénale : Del reato e della pena in genere. Torino 1866; secondo edíz. Torino 1872. — S p e c i a l e C o s t a r e l l i , Repertorio genérale alfabetico-analitico del códice pénale del regno d'Italía compilato. Catania 1869 ff. — P e s s i n a , Elementi di diritto pénale. Vol. I—III. 5. edíz. Napoli 1885—1887. — B a l d a s s a r e P a o l i , Nozioni elementari di diritto pénale. Genova 1871. — Z u p p e t t a , Corso completo di diritto pénale. 2 vol. Napoli 1869—1870. Ottava cdizione. — Legis^lazioni compárate al códice pénale italiano in ordine alfabético . . . col códice Toscano, Parmense. delle Sicilíe etc. . . . compilato per M. S. C o s t a r e l l i . Sec. edíz. Catania, Firenze é Torino 1868. — B r u s a , Apunti perema íntroduzione al corso di diritto e procedura pénale. Torino 1880. — B r u s a . Saggio di una dottrina genérale del diritto pénale. Torino 1884. — C r i v e l l a r i , Concetti fondamontali di diritto pénale. Torino 1888. — M a r c h e t t i , Compendio di diritto pénale. Firenze 1895. — C a l i s s e , Storia del diritto pénale italiano del secólo VI al XIX. Firenze 1895. — A l i m e n a , Diritto pénale. Modena 1900. — C i v o l i , Lezioni di diritto pénale. Genua 1895 ff". — L a n z a , Tra t ta to teórico jtratico di diritto pénale. I. Pisa 1895. — P u g l i a , Manuale teorico-pratico di diri"tto pénale. 2 vol. Napoli 1895. — M a s u c c i , U códice pénale italiano. I und II. Napoli 1891. 1905. — T u o z z i , Corso di diritto pénale. I. Sec. ediz. Napoli 1899. — O. S e r a f i n i e A. P o z z o l i n i , II Códice pénale. I. Firenze 1899. — R i v i s t a p é n a l e , d a L. L u c c h i n i I ff. an verschiedenen Orten erschienen.— I n I t a l i e n i s t u n t e r d e m 26. N o v e m b e r 1888 ein neuer Códice pénale publizirt. Dazu sínd u. A. erschienen: C r i v e l l a r i , J l nuovo códice pénale italiano interpretato . . . Tom I—VIII. Tovíno 1888—1898. — C o e n , Manuale . . . sul códice pénale Italiano. Milano 1894. - T r a v a g l i a , II nuovo códice pénale italiano. Par te genérale. 2 vol. Roma 1889. — P e s s i n a , II nuovo códice italiano. 1. Milano 1890. — P e s s i n a , Manuale del diritto pénale I—III. Napoli 1895 I und 11 terza ed. Napoli 1906. — Tratío completo, teórico e pratico di diritto pénale secondo il códice único del regno d'Italia, |)ublicato da C o g l i o l o (Saminel-werk). I. II. Beide in mehreren Bánden. Milano 1888—1895. — I m p a l l o m e n i . II códice italiano illustrato Flor. 1890. Par te genérale. Vol. I. Sec. ediz. Das. 1904. — S j i e c i a l e , II códice pénale per il Regno d l ta l i a . Rom 1889. 1890. Terza ediz. Napoli 1906. — M e c a c c i , Trat tato di diritto pénale. I und II

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§ 16. 62

Torino 1901. 1902. — Z e r b o g l i o , F l o r i a n , P o z z o l i n i , V i a z z i , Trattato di diritto pénale. 11 1. II 2. VII Milano 1903. . IV. V Mil. 1904. VI 1905. — Enciclopedia del diritto pénale italiano: raccoltá di monqgrafie a cura del E. P e s s i n a . Bisher I. III. V. XII Milano 1904—1906. — T u o z z i , Corso di diritto pénale I—IV Napoli 1890—1897. — P i n t o , Manuale di diritto pénale. Sec. ediz. Citta di Castello 1905. — Die nach 1888 erschienene Literatur nimmt natürlich Bezug auf das neue Recht.

IX. Engiand. S. Éurop. Straírecbt S. 611 íf. (Schuster) . Infolge der v/ichtigen Konsolidationsakte von 1861 (vgl. Da v i s , The criminal law consoli-dation statutes of the 24 and 25 Victoria chapters 94—100. London 1861. — G r e a v e e s , Criminal law consolidation and amendment acts of the 24 and 25 Victoria. 2nd edit. 1862. — B i g g , The public general statutes consolidating the criminal law of England and Ireland. 2iid ed. 1868. — Cox and S a u n d e r s , The criminal law consolidation acts. 8d edition. 1870) ist die Literatur vor 1861, was materielles Strafrecht anlangt, in vielen Stücken veraltet. ^- T o r a l i n s , A digest of the criminal statute law of England. 2 vol. London 1819. — H a w k i n s , A treatise of the pleas of the crown. 8th ed. 2 vol. London 1824. — D e a c o n , A digest of the criminal law of England. 2 vol. London 1836. — W o o l r i c h , The criminal law as amended by the statutes of 1861. London 1862. — J. S t e p h e n , A general view of the criminal law of England. 2. Aufi. London and Cambridge 1890. — J a m e s S t e p h e n , New commentaries on the law of England. Band IV. 14th ed. by Brown. London 1903. — J. S t e p h e n , A digest of the criminal law. 6th ed. London 1904. — S t e p h e n , History of the criminal law of England. 3 vol. London 1883. — P ike , History ofCrime in England. 2 vol. London 1875. 1876. — R u s s e l l , Treatise on crimes and misdemeanors. 6th ed. By Smith and Keep. 3 vol. London 1896. — Ph. A. S m i t h , Principies and rules of the criminal law. 2 vol. 1871. — A r c h b o l d s Criminal law. 17th edit. London 1871. — S h i r l e y and A t k i n s o n , A sketch of the criminal law. 2nd ed. London 1889. — H a r r i s , Principies of the criminal law. lOth edit., by Alten-borough. London 1904. — C l a r k , An analysis of criminal liabilitv nor i—"-i — 1880. - D i s n y and ftnr^rlv.. rvu. . . . . .

-. ^. 1.a n . a sKeicn of its principies ano practice. ivonaon 1895. — K^enny, A selection of cases illustrative of English criminal law. London 1901. — K e n n y , Outiines of Criminal Law. London 1902. — W i 1 s h e r e , The elements of criminal law and procedure for the use of students. London 1906.

Hume, Commentaries on the law of Scotland respecting crimes. 2 vol. Edinburgh 1819. — A I ¡son, Principies of the criminal law of Scotland. Edin-burgh and London 1832. — Macd onald , A practica] treatise on the criminal law of Scotland. 2nd edit. Edinburgh 1877. — Grabbet t , A treatise of the criminal law. 2 vol. Dublin 1835 und 1843. — A n d e r s o n , The criminal law of Scotland. Edinburgh 1892. — L e f r o y s , Analysis of the criminal law of Ireland. 3d ed. by L H. Barton 1865.

Bezüglich der case law s, Cox, Criminal law cases, 1843 to 1880. 14 vol. In progress. ~ Cox, Digests of criminal law cases from 1856 to 1867. — M e w s , Criminal Digest. London 1884.

Über den Zustand des englischen Strafrechts im Jahre 1881 s. S t e p h e n , Z. f. StrRW I S. 439 ÍF.

Historisch bedeutend P o l i o c k und M ai t i and , The history of the English Law before the time of Edward I. 2nd. ed. London 1898. S. bes. II S. 448—557.

Für A m e r i k a seien an^eführt W h a r t o n , A treatise on criminal iaw. lOth. ed. by Lewis. Philadeíphia 1896. — Me C l a i n , A treatise on the criminal law as now administred in the United states. 2 vol. Chicago 1897.

Allgemeiner Teil. Erstes Buch. Das objektive Strafrecht.

I. Die Normen und die Strafgesetze. § 17. A. Die Normen, Bedeutung, Inlialt und Arten. H^ 36. M 14. Li 13. 32.

WV 30. Fi 18-.20. Bdg, H 30—34. B i n d i n g , Die Normen I §§ 5-20 (dazu O e t k e r , Z f. vergl. RW XII S. 141 ff). — T h o n , Rechtsnorm und subj. Recht §§ 1 íí — B i e r l i n g , Z. Kritik der jurist. Grundbegrift'e I S. 146 ff.; II. — S t o o s s , Z f. d. Schweiz. Strafr. X 1897 S. 351 ff. — K i t z i n g e r , Z. Lehre v. d. Rechtswidr. im Strafrecht, GS LV 1898 S. 1 tf. — VVeinrich, Z f. StrRw XVII 1897 S. 779 ff. — Hijpfner , Z f. StrRW XXIÍI 1903 S. 643 ff. — M E. M a y e r , Rechtsnormen und Kulturnormen. Breslau 1903 (dazu die stark lobende Anzeige v. K o h l r a u s c h , Z f. StrRW XXIV 1904 S. 737 ff". und die mit gutem Grunde stark tadelnde v. G e r l a n d , KrVJSchr XLVI 1905 S. 415 ff. S. darüber auch H a f f t e r , Z f. Schweiz. StrR XVIII 1905 S. 109 ff.). — Vgi. dazu auch H e g l e r , Principien des internationalen Strafrechts S. 178 ff. 193.— S. í'erner Ros in* , Das Polizeiverordnungsrecht in Preussen. 2. Aufl. Berlin 1895, und dessen Art. „Poiizeistrafrecht" bei V. S t e n g e l , Handworterbuch II S. 273.

1. Ein Hinweis auf die Straffolgen der Normübertretung (des „Delikts") ist den Normen unwesentlich, wie die ganze Rechtsgeschichte beweist. Man denke an den Dekalog. Reiche Belege aus den ver-schiedensten Zeiten des romischen und deutschen Rechts bei B i n d i n g , N I S. 63 ÍF., 144—153. Vgl. auch D e r n b u r g , Über das Alter der einzelnen Satzungen des priitor. Ed ik t s , in : Festgaben für A. W. H e f f t e r . Berlin 1873. S. 103 íf. — Aus den Reichsgesetzen genüge ein Beispiel: s. RA zu Speier v. 22. April 1529 § 2 : „so solch Gebot überfahren". — Im geltenden Rechte sind diese einfachen Verbote oder Gebote über das ganze Rechtsgebiet hin zers t reut : s. z. B. Reichsverfassung A. 3 Abs. 2 ; A. 3 1 ; A. 32 : „Die Mitglieder des Reichstags dürfen ais solche keine Besoldung (oder Entschadigung ^) beziehen"; A. 41 Abs. 2 ; A. 44 ; 46; 47; 57; 64 Abs. 1. Ausserordent-lich reich an ihnen sind das Handelsgesetzbuch, die Seemannsordnung, das Gesetz über das Urheberrecht an Schriftwerken vom 11. Jun i 18YO

' Die eingeklammerten Worte gestrichen durch das Gesetz v. 31. Mai 1906.

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§ 17. 64 bo § 18-

wie das v. 19. Juni 1901 u. s, w. Die Form ist überall die des eín-fachen Imperativs. S. Ges. v. 11. Jun i 1870 § 4 : „Jede mechanische Vervielíalt igung eines Schriftwerkes, welclie ohne Genehmigung des Berechtigten hergestellt wi rd , heisst Nachdruck und ist verboten". Gesetz, betr. das Urlieberrecht . . . v. 19. Jun i 1901 § 25 : „Wer ein fremdes Werk nach Massgabe der §§ 19 bis 23 benutzt, hat die Quelle deutlich anzugeben."

II . A r t e n d e r N o r m e n . 1. Über den Gegensatz von , , V e r -b o t e n und G e b o t e n " s. B i n d i n g , N I S. 108 ÍF. 250 ÍF. 312 ff. I I S. 447 ff. 2. Über die Einteibmg der Verbote in V e r l e t z u n g s -v e r b o t e , G e f á h r d u n g s v e r b o t e und V e r b o t e s c h l e c h t h i n s. das. 1 S. 111 ff. 312—412. II S. 454 ff. 3. Über die analoge Ein-teilung der Gebote s. v. R o b l a n d , Internat . Strafrecht I S. 50. 5 1 ; B i n d i n g , N I S. 123. 124.

I I I . Schon diese Einteilung der Normen zeigt, dass nur die Über t re tung der Gebote und der Verbote schlechthin sich im Unge-horsam erschopft, wahrend die Übert re tung der Verletzungs- und der Gefáhrdungsverbote in dem verletzten oder gefahrdeten' Rechte oder Rechtsgute ein zweites Angriffsobjekt von materieller Bedeatung íindet. S. darüber unten § 44.

IV. Der angebliche „Fprmalismus" der Leh re , alies Delikt sei Normwidrigkeit und deshalb Unbotmassigkeit , Ungehorsam, besteht in der genauen juristischen Bezeichnung der einzigen Quelle, die eine Handlung zur rechtswidrigen stempehí kann. Nicht ihre gemein-schadliche, im Modejargon „antisoziale" Natur macht sie rechtswidrig, sondern allein d a s G e s e t z erklárt sie dazu. Wie klar zieigt sich dies neuerdings gerade beim Nachdruck! Vor Anerkennung der ü rhebe r rech te mochte er ais wirtschaftliche Ausbeutung fremder Arbeit empfunden und sittlich verurteilt werden. Von Rechtswidrigkeit konnte gar keine Rede seín. Die oí't schwere Unbilligkeit des Nachdrucks gegen den Autor wirkte dann ais Motiv für den Geseízgeber, Ürheberrechte anzuerkennen und ihre Verletzung zu verbieten. Dadurch allein wurde der Nachdruck r e c h t s w i d r i g . Die Unbotmassigkeit gegen das Verbot enthált dann die materielle Verletzung in der Schaale des Ungehorsams. Keine Lehre hat dies schárfer betont ais die Normen-lehre. Der „Soziologe" mag versuchen, das Delikt anders ais mit Hülfe des G e s e t z e s zu bestimmen: er wird juristisch stets unsaubere Arbeit machen. Ein Vorgang auf dem Rechtsgebiete und der ausser-lich gleiche ausserhalb des Rechtsgebietes unterscheiden sich wie Tag und Nacht.

Desshalb ist auch die neuerdings dfter auftauchende Lehre , das Verbrechen existiré von seiner rechtlichen Anerkennung , ein unbe-greifliches tazegov ngóregov. Überhaupt kann keine rechtlich be-deutsame Erscheinung irgend wo anders her ais aus der r e c h t l i c h e n R e g e l u n g des Gemeinlebens begriffen w^erden: nicht aus der „Kultur", nicht aus der „Sittlichkeit ' ' , nicht aus „sozialen" im Gegensatz zu rechtlichen Maximen. Leider ist die schwachliche Nachgiebigkeit gegen rechtsfremde Anschauungen und — noch unbegreiflicher — gegen rechtsfeindliche Zumutungen anderer Lebenskreise seit lange

ein unrühmlicher Zug deutscher Rechtswissenschaft. Hat diese doch wahrlich Grund genug zum Stolz grade auf die r e c h t l i c h e n Anschauungen ! Sie soUte für ihr Gebiet diese Betrachtungsweisen nicht leichtfertig opfern !

S 18. B. Pie Strafgesetze, Bedeutiinír, Inhalt und Arton. StrGB S 1. MGB i; 1. H2 82. 2.55. IMÍÍ, H 85. Bdg, N 2 -4 . ti 121. Sch 16. M 14. • Li 17. G fi7. H 8. 140. 142—144. K. 188 134. 141. WH 41 WV 30. 47. Fi 21. — F e u c r b a c h , Kcvision I S. 109 ff.; Lehrb. § 73-78. — B a u e r , Abhandl. I S. 119 ff, — B e r n e r . Wirkungs-kreis S. 1 ff. ~ B a u m e i s t e r , Bemerkungen S. 7 ff. — B i n d i n g , Z f. StrRW.l S. 4ft". — R o t e r i n g , Über Pplizeiverordn. u. ihre

muí

1903 (dazu K1 e i n f e 11 c r, Kr V JSchr. XLVI 1905 S. 585 ff'.)- " v. B a r , Das Stráfgesetz. I. Berlín 1906. S. 1 — 13, — S. auch Le l imann, Z. Lehre v. d. autonomen Strafrecht oft'entlichrechtl. Verbande-, Z f. StrKW XXII S. 218ff". — Vgl. temer K o n i g s w a r t e r , Nullum delictum, nuUa poena sine praevia lege poenali. Amstelodami 18.!5. — Über die Entwicklung des Satzes NuUa poena sine legc s. Bdg, H I S. 17 ff. Dazu auch G u g g e n h e i m , Der Grundsatz: „Nulla poena sine lege" im aargauischen Strafrecht, Z f. Schweiz. StrR 1 S. 806 ff.

I. Von den beiden Teilen der Strafgesetze nennt man den ersten zweckmassig T a t b e s t a n d , obgleich das lateinische Wort dafür (corpus delicti) in der Literatur des Mittelalters ursprünglich eine prozessuale Bedeutung hatte und im Gegensatz zu animus delicti alies das bezeichnete, worin sich das Verbrechen verkorperte . 8. bes. W a c h t e r , Lehrbuch § 4 0 , L u d e n , Abhandlungen aus dem gemeinen deutschen Strafrechte II S. 5 ff.; B i r n b a u m , A N F 1845 S. 493 ff.; G e y e r , HRLex . s. v. Tatbestand I I I S. 875 ff. — Heftig polemisirt gegen die Verwcndr.ng des Wortes Tatbestand S c h ü t z e , Notwendige Theilnahme S. 10 ff". Dagegen bezeichnete T h o l , Einleitung in das deutsche Privatrecht, Gottingen 1851, den ersten Teil aller zweiteiligen Rechtssátzc. ais Tatbestand.

I I . B l a n k e t t s t r a f g e s e t z e (s. Bdg, N I 8. 158 ff. 185 ff.) s. z. B. in GB § 327. 328. 357. 300, 2, 9, 12. 361, 1, 2, (> u. s. ^v. Ein Blankettstrafgesetz, zu welchem die Normen durch kaiserliche Ver-ordnung festgestellt sind, ist GB § 145. S. dazu jetzt die „!Seestrassen-ordnung" v. 5. Februa r 1900. Ein weiteres: Gesetz, betr. das Flaggen-recht der Kauffahrteischiffe v 22. Juni 1899 § 22. — Interessant die Strafen für Über t re tung o s t e r r e i c h i s c h e r Ein-, Aus- oder Durch-fuhr-Verbote und die Hinterziehung o s t e r r e i c h i s c h e r Ein- oder Ausgangsabgaben in dem deutschen Reichsgesetze, betr. die Bestraf. etc. V. 17. Juli 1881 § 2. 3.

I I I . Zur E i n t e i l u n g der S t r a f g e s e t z e in a b s o l u t und r e l a t i v b e s t i m m t e sowie in a b s o l u t u n b e s t i m m t e .

1. K e i n e S t r a f a r t d e s h e u t i g e n g e m e i n e n S t r a f -r e c h t s w i r d a u s s c h l i e s s l i c h in a b s o l u t b e s t i m m t e n S t r a f -g e s e t z e n v e r w e n d e t : nicht einmal die Todesstrafe. Das MGB droht dieselbe für acht Falle auch in relativ bestimmten Strafgesetzen (s. B d g , E S. 107). In den wenigen absolut bestimmten Reichs-

B i n d i n g , Strafrecht. Grundriss. 7. Aufl. 5

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strafgesetzen, die lieute bei uns gelten, kommt nur die Todesstrafe und die Geldstrafe ais duplum, quadruplum u. s. w, zur Verwendung, iiicht einmal die lebenslangliche Zuchthausstrafe.

Genauere Beobachtung zeigt zwei AVten absoluter Bestimmtheit der Strafgesetze: bald gilt die absoiut bestimmte Strafe der V e r -b r e c h e n s a r t , bald wie das duplum, das quadruplum dem V e r -b r e c h e n s f a l l . Imraer schliesst sie die richterlicho S t r a f z u m e s s u n g , nicht imnier die richterliche S t r a f b e r e c h n u n g aus.

2. D i e v e r s c h i e d e n e n A n w e n d u n g s f a l l e d e r r e l a t i v b e s t i m m t e n S t r a f g e s e t z e .

a, D i e s e l b e S t r a f a r t i n v e r s c h i e d e n e r A b s t u f u n g . Grüsses Schwanken in der Zahl der Stufen: in GB § 138 stehen dem Richter 01 Strafgrossen zur Wahl , in § 242 deren 1826 oder 1827, in § 206 deren 4748. In der Form s. c unten steigen diese Ziífern in manchen Fallen des MGB über 10 000, z. B. MGB § 93.

b, V e r s c h i e d e n e S t r a f a r t e n o h n e A b s t u f u n g d e r -s e l b e n : der erste Fal l sog. a l t e r n a t i v e r S t r a f d r o h u n g e n . Diese Form kennt das heutige Recht selten. Tod und lebenslangliches Zuchthaus droht alternativ MGB § 133.

c, V e r s c h i e d e n e S t r a f a r t e n i n v e r s c h i e d e n e r A b s t u f u n g : der andere Fall a l t e r n a t i v e r S t r a f d r o h u n g e n . In unseren Strafgesetzen sehr háuHg. Umfassendster Fall MGB § 9 3 : Gefángnis oder Festung von 1—15 Jahren oder auf Lebenszeit. Eine Spielart zwischen b u. c s. z. B. im MGB § 58 u. 6 0 : Tod oder Zuchthaus von 10—15 Jahren oder auf lebenslang. Zugleich relativ unbestimmt und individualisirend s, SeemO § 96. 9 7 : Geldstrafe bis zura Betrage einer Monatsheuer.

3. A b s o i u t u n b e s t i m m t e S t r a f g e s e t z e stehen mit GB § 2 in Widerspruch. S. unten § 20.

S 19. C. Hire Auslegungr- Bdg, H 95-100. B 186. Sch 17. G 68. L 10. M 14. Li 17. H- 17. 18. WH * 18. 19. WV 31a. K 25. Fi 33. Merkel bei HH II S. 65-75. IV S. 73—82. — v. B a r , Strafgesetz S. 14 ff.

G r o l m a n , Bibl. f peinl. Rechtswissenschaft I. 1 St. S. 51—80 . — J o r d á n , Über die Auslegung der Strafgesetze. Landshut 1818.

— E l o u t , De interpretatione in jure criminaii. Lugd. Bat. 1822. — Scha f f r a th* , Theorie der Auslegung konstitutioneller Gesetze. Leipzig 1842. — K r u g , Giundsátze der Gesetzesausiegung und ihre Anwendung auf die neuen deutsclien Strafgesetzbücher. Leipzig 1848. — Thol* , Einleitung in das deutsche Frivatrecht. Gottingen 1847. § 58-63. — E. V. Mohl , Staatsrecht, Volkerrecht und Politik L Tübingen 1860. S. 96—143. — Interesa. CivE des RG II vom 8. Juni 1883 (CivE IX S. 100 íF.). — G o l d s c h m i d t , Zeitschr. für Handels-recht X S. 40 ff. — D e r s , Handbuch des Handelsrechts I. 2. Aufl. S. 301 ff. - S c h i e s i n g e r * , Gott. gel. Anzeigen 1864 S. 1968 bis 1979. — V. S e h w a r z e , Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Excurs V. — S c h ü t z e , Studien zu dem deutschen Strafgesetzbuche; in GA XX 1872 S. 351 ff*. „Die sog. Redaktions-versenen". — S o n t a g , Die Redaktionsversehen des Gesetzgebers. Freiburg i. Br. 1874. — v. W á c h t e r , Strafrechtliche Fragen III, Leijizig 1877. Auch GS 1878 I 8. 321 ff. — T r e n d e l e n b u r g , Naturrecht § 70 ff. — Wac h*, Handbuch des Civilprozesses I 6. 254 ff.

67 20.

— K o h l e r , Grünh. XIII 1886 S. 1 ff. - - P e t e r s o n , GA XXXIV 1886 S. 90 ff". — M i t t e l s t á d t , GS XLIII 1890 S. 1 ff. — P e t e r s e n , Die Benutz. der Materialien; Z. f. Reichs- und Landesrecht V S. 337 ff. — Danz , Der Richter u. die Ausleg.; Blátter f. Rechtspflege. N. F. XXI S. 97 ff. — R e u t e r s k i o l d , Über Rechtsauslegung. Leipzig 1899. — L i n d e m a n n , (Berichtig. von Redaktionsversehen), AÓR XIV 1899 S. 145 ff. (sehr bedenklich!). — Nord, Über Ausleg. der Gesetze u. über Analogie. Diss. Rostock 1902. — K r a u s , Grünhut XXXII 1905 S. 613 ff. — V. Bar , Das Strafgesetz I S. 14ff". — Vgl. B i e r l i n g , Zeitschrift für Kirchenrecht X 1871 S. 141—212.

I. Gut über Auslegung RG I v. 17. Sept. u. IV v. 11. Dez. 1885 (E XII . S. 372/3, X I I I S. 171). Beachtlich auch II u. I I I v. 16. Dez. 1893 (E X X V S. 47).

I I . Interessant für den Unterschied von R e d a k t i o n s v e r s e h e n und D r u c k f e h l e r n sind die folgenden beiden Fa l l e :

1. Im MGB § 95 (Qualifizirte Verweigerung des' Gehorsams) lautet die Strafdrohung j e t z t : „Gefangnis oder Festung nicht unter einem Jah re" . Im Entwurfe der Reichstagskommission soUte die Straf-satzung lauten: „Gefangnis oder Festung bis zu 5 J a h r e n , im Felde Gefángnis oder Festung nicht unter einem Jah re" . AUein durch ein Versehen fielen in 3. Lésung die Worte „Gefángnis — im Felde" aus, und in dieser verstümmelten Form ist der Paragraph angenommen und zum Gesetz erhoben worden. Es lag also ein R e d a k t i o n s v e r s e h e n vor. Im RGBl 1873 S. 138 erschien nun eine anonyme Berichtigung, welche fálschlich besagte : „infolge eines Druckereiver-sehens" seien jene Worte ausgelassen worden. Diese Berichtigung ist natürlich ganz bedeutungslos, und es ist unbegreiflich, w i e H e c k e r , Das Militárstrafgesetzbuch S. 158, S o l m s , Militarstrafgesetzbuch S. 104, O l s h a u s e n , Reichs-Militárstrafgesetzgebung S. 145 u. H e r z u. E r n s t , Strafrecht der Militarpersonen S. 127, jene Worte eigenmachtig in den Gesetzestext aufnehmen konnen.

2. Im MGB § 141 (RGBl 1872 S. 200 Z. 1) ist „Festungsstrafe" für das allseitig angenommene „Freiheitsstrafe" gedruckt . Auch ohne die Berichtigung im RGBl 1873 S. 288, die auch wieder anonyra ist, ware Freiheitsstrafe zu lesen. Aber al lerdings: der wirklich erklarte Rechtssatz stelit dann nicht in dem Gesetz, sondern neben demselben: er gehort dem ungesetzten Rechte an.

Bei „Gesetzen" ist gegenüber solchen Berichtigungen eine Kontrole mit Hülfe der Parlamentsverhandlungen moglich, bei „Verordnungen" leider nicht. Charakteristisch für die Genauigkeit unserer Publikationen ist die dreifache Berichtigung der Kais. V. v. 9. Mai 1897 im RGBl 1897 S. 462.

I I . Entsteliung der Normen und der Strafgesetze, § 20. A. Gesetzesrecht. H' 32. Bdg, H 40. 43. B 121. M 14. Li 17. Sch 2.

G 63. H 5-7 . WH 15. WV 31. K 12. v. B a r , Strafgesetz S. 1 ff. I. Alies objektive Recht ist erklarter Gemeinwille, dass ein be-

stimmter Gedanke zweckmassiger Lebensregelung bindende Lebens-regel sein solle. Jeder Rechtssatz besteht aus zwei ganz verschiedenen Sátzen: d e m A u s d r u c k d e s R e c h t s g e d a n k e n s und d e m d e s

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§ 21. 68 69 § 21 .

R e c h t s w i l l e n s . F ü r Gedanken wie für Entschlüsse gíebt es zwei vcrschiedene Mittel der E r k l a r u n g : d i e S p r a c h e ( S a t z u n g ) und d i e d e n R u c k s c h l u s s g e s t a t t e n d e ( k o n k l u d e n t e ) H a n d -l u n g . Sind jene beideh Satze a u s g e s p r o c h e n , so liegt e¡n G e s e t z v e r , d. i. d e r d u r c h a u s d r ü c k l i c h e S a t z u n g e r -k l a r t e R e c h t s g e d a n k e u n d R e c h t s w i l l e d e r R e c h t s q u e l l e . In diesem Sinne kann nicht nur der Staat, sondern jede Rechtsquelle Gesetze erlassen, und „ Gesetz" umfasst sowol das S t a a t s g e s e t z im k o n s t i t u t i o n e l l e n S i n n e , ais d i e R e c h t s v e r o r d n u n g d e s S t a a t e s oder e i n e s S u b j e k t e s d e r A u t o n o m i e oder d e r a b g e l e i t e t e n G e s e t z g e b u n g s g e w a l t . F ü r das konstitutionelle Gesetz ist zu bemerken, dass der Mangel auch nur eines der gesetzlich wesen^ichen Formalien seine Aufrechterhaltung wie ais Gesetz so ais Verordnung unmoglich macht.

I I . Sagt GB § 2 Al. 1: „Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn diese Strafe g e s e t z l i c h bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde", so ist in dieser Forde rung : n u l l a p o e n a s i n e l e g e die lex in weitester Bedeutung zu nehmen. Za den „Gesetzen" rechnet § 2 durchaus nicht nur alie Strafgesetze im Sinne des konstitutionellen Staatsrechts , sondern auch alie aus-drücklichen Strafdrohungen in geschriebener Form, welche auf Grund einer gesetzlichen Ermachtigurig von den zustandigen Behorden, z. B. den Polizeibehorden, den Stadtraagistraten ordnungsmassig erlassen, auch insbesondere gehOrig verkündet sind. Vgl. bes. B i n d i n g , Hand-buch I S. 204—208.

I I I . Ist nach GB § 2 der Strafdrohung die gesetzliche Form wesent-lich, so konnen die N o r m e n ebensogut dem u n g e s c h r i e b e n e n R e c h t angehdrén , ais V e r o r d n u n g e n oder G e s e t z e im konstitutionellen Sinne sein. Genau das Gleiche gilt von den v e r -n e i n e n d e n S t r a f r e c h t s s a t z e n . Die Lehre , alien Strafrechts-satzen sei heute die gesetzliche Form wesentlich, erklart sich nur aus ganz unvollstandiger Beobachtung des Rechtes und des Rechtslebens. Wo fánde sich das Gesetz, das die Grenzen des elterlichen Züchtigungs-rechts oder den Umfang des erlaubten arztlichen EingriíFs bestimmte? Ein nicht kleiner Teil der Schuldausschliessungsgründe ist bisher noch nicht gesetzlich gefasst: vielfach ist dies namlich ungewohnlich schwierig und der Gesetzgeber lasst diskret seine Hand davon.

§ 21. B. IJngf'setztes Recht. insbes. seine Auffindnng durch Analogie. H2 38—35. Bdg, H 41—47. Bdg, N 28. M 14. Sch 2. 17. G 63. 68. L 8. 11. H 6. 18. WH 15. 17 WV 32. K 12. 24. Fi 33. M e r k e l bei HH II S. 76—84. IV 88-86. v. B a r , Strafgesetz S. 14 ÍF.

Gr r o 1 m a n n, Uber Gewohnheitsrecht und Gerichtsgebi'auch: Mag. für Philos. des Rechts und der Gesetzgebung I St. II S. 151 íí.; s. dessen Lehrbuch § 128. 129. — W e i s s e , De vi consuetudinis in causis criminalibus commentatio. Lipsiae 1813. (Opuscula. Lips. 1829. T. I n. 3). — P u c h t a , Gewohnheitsrecht II. Erlangen 1837. S. 240 íF. — Z i t e l m a n n , Civ. Arch. LXVI (1883) S 446 lí'.. — R ü m e l i n , Jherings Jahrb. XXVII S. 1.53 ff. — S c h u p p e , Das Gewohnheitsrecht. Breslau 1890. — W á c h t e r , Gemeines Recht S. 111 ÍF. — H e p p , ANF 1846 S. 100 ff. 161 ff. - W á c h t e r , Über

Gesetzes- und Rechtsanalogie im Stvafrecht: ANF 1844 S. 413 ff. 535 ff. — T h ü l , Einleitung § 64. — v. J h e r i n g , Geist des romi-schen Rechts. 4. Auü. I S. 28—33. — Abr. A. van Oven , Bindings Leer von het Analogie in het Sti-afrecht. Dordrecht 1892. — Nculi a mp. Das Gewohnheitsrecht in Theorie und Praxis des gemein. Rechts; Arch. f. bürg. Recht XII S 89 ff. — K n i t s c h k y , Gewohnheitsrecht und Gerichtsgebrauch; AÓR XIII 1898 S. 161 ff. — Z i t e l mann*, Lücken im Recht. Leipzig 1903. — 8. auch B r i e , Die Lehre vom Gewohnheitsrecht. I. Breslau 1899.

I. U n g e s e t z t e s R e c h t k o m m t z u s t a n d e , w e n n d e r R e c h t s g e d a n k e o d e r d e r R e c h t s w i l l e o d e r b e i d e n i c h t d u r c h a u . s d r ü c k l i c h e S a t z u n g , s o n d e r n d u r c h k o n k l u d e n t e H a n d 1 u n g e n z u r E r k l a r u n g g e b r a c h t s i n d . Es ist also in drei Formen moglich, Über die B e d e u t u n g d e s G e g e n s a t z e s zwischen gesetztem und ungesetztera Recht s. bes. J ul i a n in 1 32 § 1 D 1, 3 De legibus . . . naui cum ipsae leges nulla alia ex causa nos teneant, quam quod judicio populi receptae sunt , mérito et ea , quae sine uUo scripto populus probavi t , tenebunt omnes : n a m q u i d i n t e r e s t s u f f r a g i o p o p u l u s v o l u n t a t e m s u a m d e c l a r e t a n r e b u s i p s i s e t f a c t i s ?

II . Ungesetztes Strafrecht hat es massenhaft gegeben: j a fast die ganze Entwicklung des gemeinen Strafrechts nach der CCC voUzog sich in Gestalt des sog. Gewohnheitsrechts. Die geschriebenen Quellen des früheren gemeinen Rechts erkennen denn auch ungesetztes Strafrecht ausdrücklich a n : 138 D de legibus 1, 3 , 1 11 i. f. C de injuriis 9, 35 (man denke auch an den Ursprung der crimina extraordinaria und an die poenae extraordinariae) ; CCC salvator. Klausel (s. oben S. 35). A. 104. 107. 124. 126 ( f ü r rechtmassige und billige Gebrauche unter ganz richtiger Verwerfung gewohnter Missbrauche: A. 156. 205. 207. 218). Beachte aber CCC A. 104: „. . . inn tüaé jadeen ober ber^ felbeu gleicí en uufer ^eijferlic^ red t fetinerleí) peinlií^er ftraff. . . fe^en . . . ba§ Síid^ter unb urf^epíer bartoiber auáj niemant jum tobt ober funft peín-íiá) ftraff en." Das ungesetzte Recht entsteht entweder

A. dadurch, dass d u r c h einen Rechtssatz, aber nicht i n dem-selben, wenn er also Gesetz ist , nicht in gesetzlicher Form andere Rechtssatze ais solche mit Anerkennung finden. So

1. w e n n e in G e s e t z b e r i c h t i g e n d a u s g e l e g t w e r d e n m u s s. Der Satz, der Rechtens ist, steht dann nicht in, sondern neben dem Gesetze;

2. w e n n G e s e t z e a n d e r e R e c h t s s a t z e z u r n o t -w e n d i g e n V o r a u s s e t z u n g o d e r z u r n o t w e n d i g e n F o l g e h a b e n , o h n e d a s s d i e s e g e s e t z l i c h f o r m u l i r t w ü r d e n . So sind ungesetzte Normen die notwendigen Voraussetzungen vieler Strafgesetze. S. oben § 17;

3. wenn von einem Rechtssatze aus p e r a n a l o g i a m Bruder-und Schwesterrechtssatze zu diesem gefunden werden. Dies ist zu-lassig, wenn jener Rechtssatz einzelne Anwendung eines hoheren Prin-zipes ist, der Gesetzgeber aber nicht lediglich die einzelne Konsequenz, sondern das ganze Prinzip hat anerkennen wollen. Die Analogie ist nicht Auslegung, sondern Entdeckung latenten Rechts.

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21. 70 71 § 22

Wahrend sowol das romische. Recht ais die CCC selbst die Be-strafung einer im Gesetze übergangenen Handlung per analogiam zulassen (1 12. 13. 27. 32 pr .^D de leg. 1. 3 ; I 2 § 18 C de vet. j u r e enucleando 1, 17 ; CCC A. 104. 105), und von den neueren deutschen Strafgesetzbüchern einige (Sachs. Krim.Ges.-Buch Art. 1 ; Sachs. S t rGB V, 1855 A. 5 = 1868 A 1 ; Würt temb. A. 1; Sachs.-Altenb. A. 1 : Thür . A. 1) die Anwendbarkei t des Strafgesetzbuches auf solche Handlungen statuiren, „welche in den Bestimmungen desselben den Worten oder d e m S i n n e n a c h (Braunschweig § 4 fügt noch zu: ,,oder nach dem Grunde der einzelnen Bestimmungen") mit Strafe bedroht sind" (Zulassigkeit der sog. G e s e t z e s a n a l o g i e ) , huldigen die tibrigen Gesetzbücher, so auch GB § 2 . dem Satze : nulla poena sine lege poenali. A l s o n u r d i e P o e n a l i s i r u n g e i n e r i m G e s e t z n i c h t a u s d r ü c k l i c h u n t e r S t r a f e g e s t e l l t e n H a n d l u n g d u r c h A n a l o g i e i s t (hochst unzweckmassiger Weise ) u n t e r -s a g t . Z u a l i e n a n d e r e n Z w e c k e n i s t d i e A n a l o g i e a u f d e m G e b i e t e d e s S t r a f r e c h t s e b e n s o u n e n t b e h r l i c h a i s n a c h G B § 2 s t a t t h a f t . Man denke an die Anwendung des § 40 auf den Gehülfen; an die des § 247 Abs. 3 auf den Betrug des § 263 u. s. w. Ganz z-u Unrecht und in hSchst formalistischer Begründung ist die analoge Anwendung des GB § 247, 1 u. 3 auf § 370 n. 5 abgelehnt durch R G IV v. 28. April 1896 (E X X V I I I S. 324 ff.).

B. O d e r d u r c h s t i l l s c h w e i g e n d e A p p r o b a t i o n e i n e r Ú b u n g d u r c h d e n G e s e t z g e b e r . Schlecht sog. G e w o h n h e i t s -r e c h t. Trager dieser Übung konnten zur Zeit des Inquisitionsprozesses nur die Gerichte sein ( G e r i c h t s g e b r a u c h ) , wahrend heute zur gewohnheitsmássigen Poenalisirung oder Strafloserklarung einer Handlung Staatsanwálte und Gerichte zusammenwirken müssten. In An-betracht der Gefáhrdung hochster Güter des Beschuldigten durch falsche Anwendung der richterlichen Gewalt untersagte aber sclion die CCC A. 104 die Poenalisirung einer Handlung lediglich durch den sog. Gerichtsgebrauch (also ohne dass Analogie zur Bestrafung be-rechtigte), GB § 2 aber untersagt sowol Analogie ais Gerichtsgebrauch, a b e r n u r b e h u f s P o e n a l i s i r u n g . Im Ubrigen ist die Bildung ungesetzten Strafrechts durch GB § 2 nicht ausgeschlossen.

I I I . Besitzen auch gesetztes und ungesetztes Recht derselben Quelle genau die gleiche Autori tat , so ist doch das Gesetz technisch viei vollkommener und geeigneter Rechtsgewissheit zu begrUnden ais das ungesetzte Recht. Im Interresse der Rechtssicherheit kann deshalb der Gesetzgeber zweifellos

1. der Analogie bestimmte Schranken setzen. Indem er sagt, es dürfte insoweit aus der Anerkennung einer Konsequenz auf Sank-tionirung des Prinzipes nicht geschlossen werden, stellt er eine authen-tische Auslegungsregel auf, was ihm jedenfalls freisteht;

' S. B i n d i n g , Lehrbuch I 2. Aufl. S. 20 ff. Amüsant die Ausführungen D u p i n s (Réquisitions Tom. II Nr. 98) gegen die Analogie bei E s c h e r , Betrug S. 18. 19. Ebenso die Schrift von v a n Oven (s. die Lit. zu § 21). Gegen die Analogie in dieser Anwendung auch Z i t e l m a n n , Lücken im Recht S. 17; V. Ba r , Strafgesetz I S. 9 ff.

2. der Praxis die das Gesetz zu erganzen wie ihm zu derogiren bestimmte Übung und sich selbst deren stillschweigende Approbation untersagen (Verbot des Gewohnheitsrechts).

IV. Es erhellt, dass der Gesetzgeber mit diesen Verboten zugleich Selbstbeschránkungen bezüglich der Art der Rechtswillenserklárung aufstellt und verspricht , die Bedürfnisse der Rechtsweiterbildung auf dem Wege der Gesetzgebung zu befriedigen. S o l a n g e e r d i e s V e r s p r e c h e n h a l t , so l a n g e d a u e r n n a c h s e i n e m W i l l e n a u c h j e n e B e s e h r a n k u n g e n . Überlebt sich aber ein Gesetz, ohne dass es beseitigt, ergiebt sich in ihm eine Lücke, ohne dass sie ausgefüllt wi rd , und beruht die Untatigkeit des Gesetzgebers auf Impotenz, nicht auf dem Willen jenes Gesetz noch zu hal ten, so ist anzunehmen, dass er jene Beschrankungen nicht ferner respektiren, jene Verbote nicht ferner aufrechterhalten, vielmehr auf dem unvoll-kommeneren Wege der Bildung ungesetzten Rechts die Bedürfnisse der Rechtsweiterbildung befriedigen will.

I I I . Das Geltungsgebiet der Normen und der Strafgesetze. § 22. A. Ihr zeitliches (ieltungsgebiet. EG § 1 und 2. Gesetz, betr. die

Abáiiderung von Bestimmungen des SttGBs, vom 26. Februar 1876 (in Kraft vom 20. Márz 1876) A. III. GB § 2. EG zum MGB ^ 1 und 2. MGB § 9. Bdg, H 49—58. Bdg, N 25. 26. H^ 46—50. R 122-124. Sch 18. M 15. MI 101. Li 19. G 69. H 14. WH 22. WV 3.8. K 24. Fi 27. 28. Schwarze bei HH II S. 25-30. — V. B a r . Strafgesetz I S. 59 ff.

W e b e r, Uber die Rückanwendung positiver Gesetze. Hannover 1811 S. 125 ff. — A b e g g , NA XIII S. 467 ff. — Z a c h a r i á , Über die rückwirkende Kraft neuer Strafgesetze. Gottingen 1834. — B a u e r , Abhandl. aus d. Strafrecht I S. 168 ff. — B e r n e r , Wirkungskreis des Strafgesetzes nach Zeit, Raum und Personen. Berlín 1853. S. 20—79. — v. W á c h t e r , Über die Konkurrenz ver-schiedener Strafgesetze wahrend des Laufes fortgesetzter und fort-dauernder Verbrechen: GA VIII 1860 S 1 ff". — H á l s c h n e r über dieselbe Frage das. S. 441 ff. - J o h n über dieselbe Frage das. IX S. 297 ff". 361 ff. 505 ff. — L a s s a l l e , Systen. der erworbenen Rechte I. 2. Aufl. Leipzig 1880. S. 45 ff. 292 ff. - S e e g e r , Über die rückwirkende Kraft neuer Strafgesetze. Tübingen 1862. — R S c h mi d, Die Herrschaft der Gesetze nach ihren ráumlichen und zeitlichen Grenzen. Jena 1863. — M e y n n e , Essai sur la rétroactivité des lois répressives. Mém. couronné. Bruxelles 1863. — G a b b a . Della retroattivitá in materia pénale. Pisa 1869. — Der s . , Retroattivitá delle leggi. Terz. ediz. I—IV Torino 1891—1899. Bes. Bd. II. — P u l v e r m a e h e r , GA XIX 1871 S. 5 ff. - v. Bar , das. 72 ff. -F r a n c k e , GA XX 1872 S. 14 ff. - G o e p p e r t in Jherings Jahr-büchern XXII S. 1—206. — R e g e l s b e r g e r , HRLex. s. v. Rück-wirkung der Gesetze III S. 496 ff. — L e l i m a n n , Das zeitl. Herr-schaftsgebiet der Strafrechtssátze, nam. mit Rücks. auf d. schweiz. Strafrecht. Diss. Luzern 1896. — G o h r s , Das „mildeste"" Gesetz i... S. des § 2 Abs. 2 des RStrGB. Strassburg 1897. — V o s b e r g , Übér d. Rückwirk. des Strafgesetzes. Diss. Breslau 1898. — K o h l -r a u s c h , Die strafrechtl. Rückwirk. e. ausserstrafrechtl. Gesetzes-ánderung; Z f. StrRw XXIII 1903 S. 41 ft". — Wie, wenn das neue Strafgesetz ein bisheriges Official-Verbrechen in ein Antragsver-brechen verwandelt? S. darüber v. B a r , in GA XIX 1871 S. 73 ff. 641 ff 713 ff.; F u c h s , das. S. 82 ff.; K o c h , das. S. 161 ff". 728 bis 731; V. S p e c h t , das. S. 235 ff.; H á l s c h n e r , das. S. 366 ff.; S p i n o l a , das. S. 373; v. R o n n e , das. S. 435 ft".: F r a n c k e , GA

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§ 22. 72

XX S. 58 ft'.; B e b e r , Antragsdeükte S. 98 ff.; F u c h s . Anklage und Antragsdelikte, Breslau 1873, S. 14 ff.; B i n d i n g , N (1. Aufl.) 1 S. 89 ff. — Vgl. auch das Keichsgesetz, betr. die Abánderungen des Strafgesetzbuchs, v. 26. Februar 1876 A III.

Zu GB § 2 s. auch v. B u r i , GS 1871 S. 161 ff.: zu § 2 Abs. 2 S i l b e r s c h m i d t , Z f. StrRW XXII 1902 S. 58 ff.

I. Bezüglich der N o r m e n sind zu vergleichen 1 7 C 1, 4 de legibus: Leges et constitutiones futuris certum est daré formara negotiis, non ad facta praeterita revocari. Nov. XXI I c. 1 und 2. Cap. 13 X de constit. 1 , 2 . — Gar nicht hierher gehort 1 1 pr. D 4 8 , 19 de poenis.

I I . Wenn nun aber , wahrend die Norm unverandert fortdauert, d a s S t r a f g e s e t z nach Begehung der verbotenen Handlung , aber vor ihrer Aburtei lung geándert wird, so streitet m a n :

1. ob das alte Strafgesetz, zu dessen Geltungszeit die Handlung begangen worden ist, immer auf diese Anwendung finden müsse : so H I S. 35 ff. und B e k k e r , Theorie I S. 214 ff.;

2. ob das alte Gesetz auf sie Anwendung finden solle, ausge-nommen wenn das neue das mildere sei : so B e r n e r , Wirkungskreis S. 50. 5 1 ; Lehrbuch § 123; W H S. 117 ff.: L a s s a l l e a. a. O . ; V. L i s z t , Lehrbuch S. 94 (diese Milde sei juristisch nicht zu be-g ründen , abér doch zu bil l igen!); G o e p p e r t a. a. O. S. 127; so auch z. B. C o d e p e n a l A. 4 ; Bad. E G vom 5. Februar 1851 § 7 ; Preuss . EG vom 14. April 1851 A. I V ; Einf.-Verord. vom 25, Jun i 18(37 A. X V I I I (für die neuen Landesteile); GB § 2. Vgl. Bdg, N I S. 171 s. I I un ten j ;

3. ob das neue Gesetz auf sie Anwendung finde, ausgenommen wenn es das lúirtere sei : so K S. 48 ff.; S e e g e r a. a. O. S. 82 ff.; G a b b a a. a. O. ; v. B a r , Strafgesetz S. 71 ff., und 20 deutsche Einf-Gesetze s. Bdg. N I S. 170. 171 s. I. — Ansicht 2 und 3 führen praktisch zum gleichen Resultate; nur bei gleicher Harte der Gesetze ist nach der Ansicht s. 2 das a l te , nach der s. 3 das neue Gesetz anzuwenden.

Eine ganz prinziplose Zusammenfassung der Ansichten s. 2 u. 3 lehrt, es habe jedesmal das mildere Strafgesetz Anwendung zu finden. So M e y e r 5. Aufl. S. 110 (der S. 109 n. 3 meine Ansicht ganz falsch wiedergiebt. Vgl. 6. Aufl. S. 94) und M e r k e l S. 273. 274.

4. Ob das neue Gesetz durchweg auf sie Anwendung finden müsse : so das klassische romische Recht, s. S e e g e r , a. a. O. S. 1 ff.; (vgl. auch M o m m s e n , Rom. Strafr. S. 196 ff.) ebenso Bdg, N I (1 . Aufl.) § 13. Dieser Ansicht sind spater beigetreten H a l s c h n e r , Deutsches Strafrecht I S. 116 ff.; G e y e r , Grundriss I S. 89 ; F i n g e r , Strafrecht I S. 138; B i r k m e y e r , Encykl . S. 1074.'

Bei dieser Kontroverse spielen zwei falsche Auffassungen des Strafgesetzes eine grosse Rolle. Ist das Strafgesetz der Rechtssatz, den der Verbrecher übertri t t (Verwechslung mit der Norm) , so muss natürlich das übertretene Strafgesetz, also das der Begangenschaft, ist es wesentlich Instruktion an den Richter, so muss natürlich prinzipiell das der Urteilszeit Anwendung finden.

73 § 23.

I I I . Bezüglich des milderen Gesetzes, besser des milderen Rechts-systems s. die Vorlesung. Unzweifelhaft kann eine Milderung des Strafgesetzes mittelbar durch Rechtssatze herbeigeführt werden, die ausserhalb des Strafrechts liegen. Der Tatbestand eines Vermogens-verbrechens kann etwa durch civilrechtliche Satzung verengt werden. Hier ist sorgfáltige Beurteilung des Einzelfalls dringend geboten, dabei

aber zu beachten, dass 1. die Aufhebung lediglich der N o r m nach Begehung, aber

vor der Aburteilung eines Deliktes dieses durchaus nicht straflos werden lasst (Aufhebung eines Pferdeausfuhrverbotes), dass aber

2. die Aufhebung des S t r a f g e s e t z e s diese Folge immer hat. So die Aufhebung des Sozialistengesetzes v. 28. Oktober 1878 mit seinen Normen wie Strafgesetzen. Verkannt von R G I I I v. 15. Jan . 1891 (E XXI S. 294 ff.). Nach der anderen Seite m. E. fehlgehend

16 Fobr RG V. - ~ ~ - 1 9 0 0 , womit I v. 8. Márz 1900 u. II v. 7. Dez. 1900 1. Marz

übereinstimmen. S. E . X X X I U S. 185 ff'. 189 u. X X X I V S. 37 ff. Ob nur die Norm oder zugleich die Strafbarkei t der bisherigen

Übert re tung beseitigt werden solí, kann im Einzelfalle sehr zweifelhaft sein. Die Straflos-Erklarung braucht namlich durchaus nicht immer expressis verbis zu geschehen. — Vgl. über diese Frage bes. K o h l -r a u s c h , Z f. StrRW" X X I I I S. 41 ff.; F i n g e r , Lehrb. I S. 143 ff.; V. B a r , Strafges. I S. 79 ff.

B. Das Verhaltnis koexistirender líormen und Strafgesetze zu eiuander.

§ 23. 1. Gemeines und partikulares Recht. GB Einfülirungsgesetz §§ 2 - 8 . MGB Einführungsgesetz § 2. H- 37—45. Bdg, H 60-70. Bdg, N 24. B 25. Sch B. 13. M 12. 13. MI 3. Li 20. G 59. 62. L 1—3. K Vorrede. Fi 29. H e i n z e bei HH II S. 1-22. K a y s e r bei HH IV S. 1—65. WV 3. 28. — v. Bar , Strafgesetz I S_. 29—58.

V. W a c l i t e r * , Gemeines Recht Deutschlaiids, insbes. gemeines deutsches Strafrecht. Leipzig 1844. S. 4—17. 247 ff. — He inze* , Staatsrechtliche und strafrechtliche Erorterutigen zu dem Entwurfe eines norddeutschen Strafgesetzbuchs. Leipzig 1870. Ahandlung I. IL VI. — S c h w a r z e , GS 1870 S. 381-400. - v. H o l t z e n d o r f f in seiner StrRZ 1871 S. 19-39. — J o h n , das. S. 240 ff. 337 ff. — Meves , das. S. 545 ft. — Ders., GA XXIII 1875 S. 1 ff. — H e i n z e f , Das Verhaltnis des Reichsstrafrechts zu dem Landesstrafrecht. Leipzig 1871. — O t t o , Annalen des K. S. OAG Dresden NF VII 1871. S. 494—544. — H a l l e r , Das Verhaltnis des deutschen Strafgesetzbuchs zu den landesgesetzl. Strafbestimmungen über den Konkurs. Hambui'g 1871. — B i n d i n g , Der Antagouismus zwischen dem deutschen Strafoesetzbuche und dem Entwurfe des badischen Einführungs-gesetzes. Freiburg i. Br. 1871. — v. B a r , KrVJSehr XIV 1872 S. 254 ft". 429 ff. — S c h e r e r , GS 1887 S. 614 ft". — M a t t h i e s s e n , In welchem Umfange sind die Vorschriften im allgemeinen Teil des StrGBs für die. Landesgesetze bindend? Diss. Kiel 1894. — S e u f f e r t , Strafgesetzgebung der Gegenwart T S. 84 ff. — Posener , Das deutsche Reichsrecht im Verliáltn. zum Landesrecht. Breslau 1900. — K o h l e r , Verhaltnis des Landesstrafrechts zum Allgem. Theile des RStrGB, insbes. zu dessen Bestimmungen über internat. Strafrecht; in Seufferts Blátter f. Rechtsanwendung, Jahrg. 68 S. 69 ft", 89 ff. — Vgl. auch Z i e g n e r - G n ü c h t e l , Der Forstdieb-stahl, Z f. StrRW VIII 1888 S. 222 ff. — L a b a n d , Reichsstaats-

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§ 23. 74

recht 4. Aufl. II S. 62 ft'. — H a e n e l , Staatsrecht I S. 248 ff. — Dazu dié Kommentare zum Einführungsgesetze. — Zu § 6 dess. s. auch V. B u r i , GS 1871 S. 161 ff. — Gut RG I v. 27. Marz 1884 (E X S. 220 ff.)-

1. 1. K e i c h s v e r f a s s u n g vom Ití. April 1871 A, 4 : „Der Beauf-sichtigung seitens des Reichs und der Gesetzgebung desselben unter-liegen dié nachstehenden Angelegenheiten: 13. die gemeinsame Gesetzgebung über das . . . Strafrecht . . . und das gerichtliche Verfahren." — A. 2 : „Innerhalb dieses Bundesgebietes übt das Reich das Recht der Gesetzgebung nach Massgabe des Inhaltes dieser Verfassung und mit der Wi rkung aus , d a s s d i e R e i c h s g e s e t z e d e n L a n d e s -g e s e t z e n v o r g e h e n . . . Sofern nicht in dem pubb'zirten (Reichs-) Gesetze ein anderer Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt ist, beginnt die letztere mit dem 14. Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages , an welchem das betr. Stück des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist."

2. G e s e t z ü b e r d i e K o n s u l a r g e r i c h t s b a r k e i t , vom 7. April 1900 § 30 : „Neue Gesetze erlangen in den Konsulargerichtsbez i rken , die in Europa , in Egypten oder an der asiatischen Küste des Schwarzen oder des Mittellandischen Meeres Hegen, mit dem Ablauf von zwei Monaten, in den übrigen Konsulargerichtsbezirken mit dem Ablaufe von vier Monaten nach dem Tage, an dem das betreffende Stück des Reichs-Gesetzblatts oder der Preussischen Gesetz-Sammlung in Berlin ausgegeben worden ist, verbindliche Kraft, soweit nicht für das Inkrafttreten ein spaterer Zeitpunkt festgesetzt ist oder für die Konsulargerichtsbezirke reichsgesetzlich ein Anderes vorgeschrieben wird."

3. Das S c h u t z g e b i e t g e s e t z , Fass. v. 10. Sept. 1900 § 3, bestimmt, der § 30 des Gesetzes v. 7. April 1900 (s. oben s. 2) finde „entsprechende Anwendung" auf die Schutzgebiete.

I I . Die Zustandigkeit des Reiches zur Strafgesetzgebung ist un-beschrankt und schliesst zweifellos auch die P o l i z e i s t r a f g e s e t z -g e b u n g in sich. S. B i n d i n g , Handbuch I S. 276 \ a. A. nur H e 1 d , Bemerk. z. d. E e. StrGBs f. d. NDBund, Dresden 1870, S. 74. 75.

I I I . M O g l i c h e G e s t a l t u n g e n d e s G e g e n s a t z e s . Sowol auf die Normen ais auf die Strafgesetze findet der Gegensatz von ge-meinem und part ikularem Rechte Anwendung. Es konnen nun sein:

1. N o r m u n d S t r a f g e s e t z g e m e i n r e c h t l i c h . So liegen den Reichsstrafgesetzen regelmSssig auch gemeine Normen zum Grunde.

2. N o r m u n d S t r a f g e s e t z p a r t i k u l a r . S. die Vorlesung und unten s. IV.

3. D i e N o r m g e m e i n r e c h t l i c h , d a s S t r a f g e s e t z p a r t i k u l a r . So ist der Diebstahl gemeinrechtlich verboten, nach E G § 2 Al. 2 bleiben aber die besonderen Landesstrafgesetze über Holzdiebstahl in Kraft. S. wider die früher gegenteilige Ansicht von B i n d i n g , N I (1 . Aufl.) S. 73 Nr. 145, d e n s . , Handbuch I S. 334 ff. Vgl. unten s. IV.

4. D i e N o r m p a r t i k u l a r , d a s S t r a f g e s e t z g e m e i n r e c h t l i c h . Durch solche Strafgesetze überschreitet zwar das Reich

75 23.

seine Kompetenz nicht, wol aber immer (ausgenommen sind die §§ 327 und 328) die Grenzen seines Berufes zur Strafgesetzgebung. Solche

u. 2 (!), 8. IV. Nach E G § 2 Al. 1 solí durch das S t rGB „das Bundes- und

Landesstrafreeht, insoweit dasselbe Materien betrifft, welche Gegenstand des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund sind", ausser Kraft treten. Al. 2 : „In Kraft bleiben (richtiger: Nicht ausser Kraft treten) die b e s o n d e r e n Vorschriften des Bundes- und Landcsstrafrechts, namentlich über strafbare Verletzungen der PresspoHzei-u.s.w.-Gesetze, über Missbrauch des Vereins- und Versammlungsrechts und über den Holz-(Forst-)Diebstahl."

Der erste Satz und die erste Halfte des zweiten sind überflüssig: denn sie wiederholen nur in anderer Form den Art . 2 der Reichs-verfassung und die Regel lex posterior derogat priori. Die Worte „besondere Vorschriften" sind schlecht gewahlt. Sie erklaren sicli aus der Redaktionsgeschichte. Der erste und der zweite Entwurf des E G wollten die deutschen StrafgesetzbUcher in complexu ausser Kraft setzen. Dagegen sollten die „besonderen" Bundes- und Landesstrafgesetze, sofern sie nicht mit dem Bundesstrafgesetzbuch gegenstandlich zusammenfielen, in Kraft verbleiben. Damit war der Gegensatz ganz klar bezeichnet: das Reichsstrafgesetzbuch einerseits, — die auf andere Gegenstánde bezüglichen Reichs- und Landes-Sonderstrafgesetze ander-seits. Das zur Zeit bestehende EG aber setzt die deutschen StrafgesetzbUcher nicht mehr in complexu ausser Kraft und behalt dennoelí die Wor te „besondere Bestimmungen", die ursprünglich den Gegensatz zu ihnen gebildet hat ten, bei. Wie sie jetzt s tehen, lassen sie eine doppelte sprachliche Auslegung zu. Ais „allgemeine Strafgesetze" werden entweder die gedacht, welche bestimmt sind, den grossen Stoíf der Strafgesetzgebung, wie er auf Grund inneren Zusammenhanges und historischer Überlieferung ais Aufgabe der Strafgesetzbücher er-scheint, zu erledigen. Den Gegensatz bilden dann die Reichs- und Landesgesetze, welche mit den Gegenstanden des Reichsstrafgesetz-buches nichts zu thun haben. Oder man sagt : Besondere Strafgesetze sind solche, welche mit den Gegenstanden des StrGBs sich spezieller ais dieses beschaftigen,

Von diesen sprachlichen Auslegungen würde die zweite durch die logische Auslegung bestatigt , falls § 2 Al. 2 nur von Bundes-strafgesetzen sprache: das Gesetz enthid te dann die selbstverstandliche Regel, die ausserdem das G B "§ 10 nochmals in wichtiger Anwendung wiederholt, lex specialis derogat legi generali. Da aber E G § 2 Al. 2 auch von Landesstrafgesetzen spricht , ist diese Auslegung ganz un-hal tbar ; denn es stünde j a dann vollstandig in der Macht der Landes-gesetzgebung, durch Spezialisirung ihrer Strafgesetze das ganze Reichsstrafgesetzbuch ausser Kraft zu setzen.

D i e „ b e s o n d e r e n V o r s c h r i f t e n " s i n d a l s o n u r d i e g e g e n s t a n d l i c h m i t d e n e n d e s G B s n i c h t z u s a m m e n -

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§ 24. 76

f a l l e n d e n , mogen sie nun in den ft'üheren deutschen Landesstraf-gesetzbüchern oder in Spezialstrafgesetzen enthalten sein. Prinzipiell ders. Ans. H e i n z e , Das Verhaltnis u. s. w. S. 74 íF. und bei H H I I S. I I ; S c h ü t z e S. 12; v. W a c h t e r , Beilagen S. 234; v, L i s z t S. 98/9; O p p e n h o f f zu E G § 2 Nr. 6 ; R ü d o r f f - S t e n g l e i n S. 55. 56 ; R u b o S. 120; O l s h a u s e n zu EG § 2 Nr. 8 ; B e l i n g , Grundzüge S. 17; F i n g e r I S. 1 5 1 ; falsch M e v e s , Strafrechtszeitung 1871 S. 545 ÍF.; S c h w a r z e , Kommentar S. 167. 168; M e y e r , Lehr-buch S. 80 (1. Aufl.), welche an a l i e leges speciales denken.

Die richtige Auslegung ware gar nicht gefahrdet, wenn der mit „namentlich" beginnende Nachsatz fehlte. In ihm M l t zunachst auf, dass auch die part ikularen Bestimmungen über den Holzdiebstahl für unberühr t erklar t werden, also scheinbar echte part ikulare legcs speciales über eine „Materie" des gemeinen Rechts, Ich selbst habe früher (Normen I S. 73 Anm. 145, Grundriss 2. Aufl. S. 46) wider-strebend angenommen, man müsse diesen Holzdiebstahl berichtjgend in solche Forstfrevel umdeuten, die keine echten Diebstahle seien. Náhere Prüfung des einschlagenden partikularrechtlichen Materials, das dem Reichsgesetzgeber bei Erlass des E G z. S t rGB alies vor-lag, zeigt die Unzulassigkeit einer solchen Auslegung. Und so bleibt nichts anderes übrig, ais die mit „namentlich" eingeleitete Aufzahlung ais eine teilweise authentische Auslegung des Ausdrúcks „besondere Vorschriften" zu betrachten und anzunehmen, dass die „strafbaren Verletzungen der Steuer-, Zoll-, Fischerei-, Jagd- , Forst- und Feld-polizeigesetze" u. s. w, ais b e s o n d e r e V o r s c h r i f t e n auch dann aufzufassen seien, wenn sie gegenstándlich in Aufstellung der Tat-bestande der strafbaren Handlungen samt gemeinrechtlich zulassígen Strafdrohungen mit dero gemeinen Rechte zusammenfallen. So v. W a c h t e r , Beilagen S. 234.

Doch ist zu beachten, dass diese Landesgesetze von den absoluto Gültigkeit heischenden Grundsatzen des allgemeinen Teils in keinem Punk te abweichen dürfen: die zahlreichen Versuche, dies zu tun, sind nichtig. Vgl. über die ganze Frage O l s h a u s e n zu E G § 2 Nr. 9—13. Ausführlich ist sie Handbuch I S. 334 ff. 344 £F. behandelt. S. jetzt auch M a t t h i e s s e n a. a. O. Sehr bedenklich RG I v. 4. Jan . 1894 (E X X V S. 55 ff.).

V. Da das GB §§ 281—-283 den strafbaren Bankerut t der Kauf-leute normirt, so ist E G § 2 Al. 1 nur auf den Bankeru t t von Nicht-kaufleuten zu beziehen. Den besten Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung liefert die K O v. 10. Februar 1877 §§ 209—214, welche zweifellos alie Landesstrafgesetze über Konkurs ausser Kraft gestellt hat. GB §§ 281—283 unterscheiden sich von K O §§ 209. 210. 212 wesentlich nur dadurch , dass letztere unter Beibehaltung des sonstigen Wortlautes an Stelle des „Kaufraanns" den „Schuldner" hat treten lassen. Durch die K O ist E G § 2 Al. 3 gegenstandslos geworden. Vgl. B i n d i n g , Lehrbuch I. 2. Aufl. S. 424/5.

§ 24. 2. Allgemeines und besonderes Reclit. GB § 10. MGB §§ 3 -6 . Bdg, H 71—76. Bdg, N I 19. — H e c k e r , Über das Verhaltnis des

77 25.

Civilstrafrechts z. Militarstrafrecht. Berlin 1885. — N a g l e r * , Die Teilnahme am Sonderverbrechen. Leipzig 1900.

Diese P^intcilung basirt nicht auf der verschiedenen Autoritat der Rechtssatze, sondern auf der Verschiedenheit ihrer Bestimmung, ent-wcder für die grosse Masse der Deliktsfahigen oder nur für einzelne Klassen derselben oder ihrer Delikte gelten zu sollen. Der Gegensatz von R e g e l - und A u s n a h m e r e c h t ergreift fast immer nur das Rccht derselben Quelle. Doch giebt es nach E G § 2 Al. 2 part iku-lares Ausnahmerecht gegenüber gemeinem Reichsrecht (s. § 23 s. IV). Jene Eintcilung wird, ohne dass man sich dessen stets bewusst ware, in doppcltem Sinne gebraucht.

1. A l l g e m e i n e N o r m e n sind solche, die sich an Alie wenden, die deutschen Gesetzen Gehorsam schulden, b e s o n d e r e N o r m e n , welche direkt nur an bestimmte Kreise derselben (Beamte, Gewerbetreibende, Seeleute, Militar-Personen und -Beamte, s. Anhang zum MGB) adressirt werden. So z. B. die Normen der SeemannsO, der GewO u. s. w. Diese Einteilung der Normen ergiebt eine analoge der Del ik te : die a l l g e m e i n e n D e l i k t e (delicta communia) sind die Übertre tungen der allgemeinen, die S o n d e r d e l i k t e (delicta propria bestimmter Personenklasse) die der besonderen Normen. Bei den letzteren ist aber wieder zu scheiden. Das Sonderdelikt kann a i s T a t e r nur der Angehorige des Kreises begehen, an den sich die Norm ausdrücklich adressir t ; regelmassig aber sind alie Gesetzesuntertanen fáhig ais Anstifter oder Gehülfen an jenem Delikte te i lzunehmen; der Nichtdeutsche aber dürfte unfahig sein, am Landesverrat eines Deutschen sich strafbar zu beteiligen.

2. A l l g e m e i n e S t r a f g e s e t z e sind Strafgesetze, welche, sei es für ein allgemeines, sei es für ein Sonderdelikt, die regelmassige kriminelle Behandlung vorschreiben, S o n d e r s t r a f g e s e t z e solche, die von jener Regel die Ausnahme vorbehalten, sei es zu Gunsten, sei es zu Ungunsten eines bestimmten Deliktsausschnittes, oder einer bestimmten Personenklasse (Jugendl iche; Beamten; Militarpersonen). Besteht die Ausnahme in einer Schíirfung der Behandlung, so spricht man von einem q u a l i f i z i r e n d e n , besteht sie in einer Milderung, so spricht man von einem p r i v i l e g i r e n d e n S t r a f g e s e t z e . Es versteht sich, dass das Ausnahme- dem Regel-Recht vorgeht (ausdrücklich für einen wichtigén Fall durch GB § 10 anerkannt) . Selbst auf dem Gebiete des heutigen gemeinen Rechts giebt es viel mehr Sonderstrafrecht, ais notig und gut ist.

Der 23. Abschnitt des GBs, „Verbrechen und Vergehen im Amte", und das M G B enthalten sowol besondere Amts- und Militar-Verbrechen, ais besondere Strafdrohungen für gemeine Verbrechen, begangen von Beamten und Soldaten. § 2-5. 3. Alternativitíit und Subsidiaritát der Strafgesetze. Beide Ver-

haltnisse sind zuerst im Handbuch I S. 349—368 untersucht. S. auch Normen I § 30. 35. Vgl. darüber jetzt auch O l s h a u s e n zu § 73 n. 13 u. 15; Meyer , Lehrbuch S. 432. 433..(6. Aufl. S. 351. 352) u. F r a n k zu S73 VIL — S. fernerPfl aum, Über Gesetzeskonkurrenz auf dem Gebiete des Strafrechts. Müuchen 1898; Kohler* , Die Grenz-linion zw. Idealkonkurrenz und Gesetzeskonkurrenz. München 1900.

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§ 25. 78

I. Der Tatbestand zweier Strafgesetze kann ganz (tatsachlich sehr selten!) oder teilweise identisch sein, ohne dass in letzterem Falle eines der beiden Gesetze Regel-, das andere Ausnahme-Recht sein wollte. Im Falle teilweiser Identi tat verhalten sich die Tatbestande wie zwei einander schneidende Kre ise , und für das beiden Kreisen angehorige Tats tück bestehen dann mehrere d a s s e l b e a l t e r n a t i v b e d r o h e n d e S t r a f g e s e t z e . Sind beider Strafen gleich schwer, 80 ist einerlei , welches von beiden Gesetzen angewandt wird. I n a l i e n a n d e r e n F a l l e n h a t d e r R i c h t e r s t e t s d a s i n c o n c r e t o h a r t e r e s e i n e r a U r t e i l z u G r u n d e z u l e g a n (vgl. GB §§ 265 u. §§ 3 0 6 — 3 0 8 ; §§ 80—100 u. §§ 185 ÍF., 211 ff., 223 ff., 224 ÍF.; GB 306 ff. einerseits u. SprengstofFgesetz v. 9. Jun i 1884 andrerseits). Ygl . B i n d i n g , Lehrbuch I. 2. Aufl. S. 169 ff. 369. I I 1. S. 22 ff.

I I . Z w e i S t r a f g e s e t z e s i n d e i n a n d e r s u b s i d i a r , wenn das eine nur Anwendung finden will,

1. f a l l s n i c h t d i e H a n d l u n g , d i e e s s e l b s t d e f i n i r t , n a c h M a s s g a b e e i n e s a n d e r e n S t r a f g e s e t z e s h a r t e r b e -s t r a f t w e r d e n s o l í . So will z. B. G B § 4 9 a nur gelten, „soweit nicht das Gesetz eine andere Strafe androht" . Vgl. auch die Kaiser-liche Bergverordnung v. 8. August 1905 § 90 ;

2. f a l l s n i c h t e i n e a n d e r e a i s d i e v o n i h m d e f i n i r t e H a n d l u n g e i n e n w e i t e r g e h e n d e n S t r a f a n s p r u c h e r z e u g t . Weil die Gefahrdungs- den Verletzungs-Verboten subsidiar sind, will der § 221 bezüglich der Aussetzung nur gelten, falls nicht die § 211 ff. über Totung Platz greifen. Ferner ist das regelmassige Strafgesetz gemünzt auf den Tater des vollendeten Verbrechens. Ihm subsidiar sind die Strafgesetze für Versuch, Anstiftung, Beihülfe; alie Strafgesetze für Vorbereitungshandlungen sind den en für das ausgeführte Verbrechen-subsidiar ; das komplizirtere und jüngere Verbrechen des Betrugs beginnt d a , wo Unterschlagung resp. Diebstahl aufhoren; „Untreue" (GB § 266) ist nur anzunehmen, wo Veruntreuung (§246) nicht vorliegt. Vgl. auch Brausteuergesetz v. 7. Jun i 1906 § 37. S. B i n d i n g , Lehrbuch I S. 395 ff.

Zu I u. 11. Interessant R G I I v. 21 . J a n u a r 1888 (E X V I I 62 ff.).

C. Das sacliliche Geltungsgebiet der einzelnen Normen und der einzelnen Strafgesetze: das sog. ¡nternationale Strafrecht. H^ 51—74. Bdg, H 78-94. B 125—127. Sch 19. 20. G 69. H 15. WH* 23-29. WV 35—38. K 23. M 16. MI 102—105. Li 21. 22. 23. 31. Fi 30. 31. 32. 65. S c h w a r z e bei HH II S. 30-64. IV S. 67—72. V. Ba r , Strafgesetz I S. 99—235. Mommsen, Rom. Strafr. S. 104 ff'. 113 ff".

T i t t m a n n , Die Strafrechtspflege in volkerrechtlicher Hinsicht. Dresden 1817. — O e r s t e d , Grundregeln S. 137 ff". — A b e g g , Über die Bestrafung der im Auslande begangenen Verbrechen. Erlangen 1819. — E s c h e r , Vier Abhandlungen. Zürich 1822. S. 124 ff". — Cosman, De delictis extra civitatis fines commissis. Amstelodami 1829. — Hef f t e r , NA XIV 1834. S. 546 ff". — W i t t e , Meditationes de jure crim. internationali. Dorpat 1843. — B é r n e r , Wirkungs-kreis S. 80—216. — Z a c h a r i á , ANF 1852 S. 35 ff". — G r o s s , das. 1853. Ergánzungsheft S. 56 ff. — R. v. M o h 1, Die volkerrechtliche

79 § 25.

Lehre voni Asyle, in s. W. Staatsrecht, Volkerrecht und Politik I S. 637—764. — K r u g , Über die Bestrafung drr von Auslandern im Auslande begangenen Verbreclien, in seinem Kommentar zum sáchs. Strafgesetzbuch, 4. Abteilung S. 1—20. — v. Bar , Das intcrnationale Privat- und Stvafreclit. Hannover 1862. S. 504—576. - Ders . , GA XVíIl 1870 S. 87 ff". 449 ff".; KrVJSchr XV 1873 S. 41 ti.; GS 1876 S. 441-ff. 481 ff.; 1883 II S. 561 ff. — Ders., Lehrbuch dos internat. Privat- und Strafrechts. Stuttgart 1892 - Arno ld , GS 1857 I S. 321 ti\ — R. Sch mid, Die Herrschaft der Gesetze nach ihren ráumlichen und zeitlichen Grenzen. Jena 1863. S. 149 ff". — Schau-b e r g , Z. f. schwciz. Recht XVI 1869 S. 107 ff". — B r e m e r , Die strafrechtliche Behandlung der im Auslande begangenen Delikte: GS XVII 1865 S. 418 ff. — H e inz e, Über Verbrechen gegen fremde Gemeinwesen, deren Güter und Angehorige; GA XVII 1869 S. 559 ft". 609 ff. 673 ff 737 ff". — Ders . , Staatsrechtliche und strafrechtliche Erorterungen zu dem Entwurfe eines norddeutschen Strafgesetzbuchs. Leipzig 1870. S. 115—136. 137—153. — Ders . , Universeüe u. parti-kulíire Strafrechtspflege. Heidelberg 1896 (dazu U l l m a n n , KrVSchr. XXXIX S. 460 ft.). — B i n d i n g , Der Entwurf eines Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund. S. 116—136. — v. W á c h t e r , Beitrag zur Geschichte und Kritik der Entwurfe des norddeutschen. StrGBs. Leipzig 1870. S. 74-89. — v. R o h l a n d * , Das inter-, nationale Strafrecht. Erste Abteilung: Kritik. Leipzig 1877. — S c h u 11 z , Der Widerstand gegen die auswártige Staatpgewalt. Magdeburg 1881. — v. L i s t , Z f. StrRW II S. 50 ff. Dagegen V. Bar , GS 1883 U S . 481 ft". — F u l d , GS XLV 1891 S. 24L -N e g r o p o n t e s , Zustánd. der Staaten für die,auf dem Meere begangenen Delikte. Berlin 1894. — Kohle r , Über Immaterialgüter im internat. Recht, bei Bohm Z VI S. 236 ff. — H e i l b o r n , Kauf-fahrteischiffe in fremden Gewassern; Jahrb. d. intern. Verein. II 1896 S. 1 ff. - B e l i n g , Z f. StrRW XVII 1897 S. 303 ff. — H a r - , b u r g e r , Zwei Grundfragen des sog. internat. Strafrechts; das. XX 1900 S. 588 ff. — H e g i e r , Principien des internationalen Strafrechts. Breslau 1906. — Beitráge zur Geschichte des internat. Strafrechts haben gegeben K o h l e r bei Bohm Z IV S. 225,ff.; V S. 232 ff.; M e i 1 i , das. V S. 363 ff". 452 ff". 554 ff". (über Argentraeus und Molinaeus); D e r s . , Die theoret. Abhandl. von Bartolus und Baldus über das intern Privat- und Strafrecht.. (vermehrter Abdruck aus Bohm Z IV). Leipzig 1894; D e r s . , Über das hist. Debut der Doktrin des intern. Privat- und Strafrechts. Leipzig 1899; N e u -meye r , Die gemeinrechtl. Entwicklung des internationalen Privat-und Strafrechts bis Bartolus. 1. Stück: Die Geltung der Stammes-rechte in Italien. München 1901. (Dazu M e n d e l s s o h n - B a r t h o l d y , Sav Z XXIII R S. 500); Ders . , Z f. StrRV^ XXIII 1903 S. 436 ff". — S. auch M a r q u a r d s e n in Bluntschlis Staatsworterbuch I 3. Aufl., s. V. Asylrecht; S c h a p e r , G e y e r , Meves , HRLex s. v. Ausland und Auslánder I S. 187 ff".; L a m m a s c h , Z f. StrRW III S. 316 ft".; D e r s , Das Recht der Auslieferung. Wien 1884 S. 20 ff.; y. M a r t i t z *, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen I. Leipzig 1888, bes. S.,36 ff. und n . 1897; v. K r i e s , AOR V S. 338 ff.: Z i t e l m a n n * , Internationales Privatrecht Leipzig I 1897. II 1 und II 1903. — Für diese Materie kommen bes. die beiden.Zeitschriften: Bohm, spáter N i e m e y e r , Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht 1 ff., erst Erlangen, dann Leipzig, und D a r r a s , Revue de droit International privé et de droit penal international I ff. Paris 1905 ft". in Betracht.

Aus de ^ „^. auswártigen Literatur seien hervorgehoben: Vi l i e -fo r t * . Des crimes et des délits commis á Tétranger. Pai-is 1855. L't*, Des crimes et des aeius comuns a i c.i<»..g,v.». .

F o e l i x , Droit international privé. 4. éd. par Demangeat. Paris 1866. II p. 256 ft". — B e r t h a u l d * , Cours de droit penal. 4. éd. Paris 1873. p. 144 ff. — H é l i e , Traite de l'instruction criminelle.

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§§ 26—29. 80

2. éd. París 1866. II p. 133 íF. — M a n g i n , Tra i te de 1 action publique et de l'aetion civile en inatiére criminelle. 3. éd. par Sorel. Paris 1876. I p. 70—100. — D e l o u m e , Principes généraux du droit international en matiére criminelle. Par is 1882. — 0 1 i n , Du droit répressif dans ses rapports avec le térritoire. Bruxelles 1864. — B a r d , Précis de droit international. Paris 1883. — R o u g e l o t d e L i a n c o u r , Du conflit des lois personelles frangaises et étrangéres. Paris 1884. — L e b l o n d , Des délits extraterritoriaux. Paris 1898. — G o d d y n e t M a h i e l s , Le droit criminel Belge au point de vue international. Bruxelles et Paris 1880. — L e w i s (Sir 6 . Cornewall), On foreign jurisdiction and the extradition oí" crimináis. London 1859. — S t o r v , Commentaries on the conflict of laws. 8. ed. by Melville. M. Bigelow. Boston 1884. §§ 620 f. — W h a r t o n * , A treatise on the conflict of laws. 2. ed. Philadeiphia 1881. S. 694 tf.

C a r r a r a , Programma del corso di diritto criminale. Par te „..„!_ . - j Lucca 1871. p. 731—768. — D e r s . , Opuscoli di

p. 251—264. 389—424. — F i o r e * , EíFetti inter-sentenze. Roma 1877. II p. 7—144. Vgl auch

genérale. 4. ed diritto crim. 11 nazionali delle Trai te de droit q u a l e F i o r e . I I . Paris 1880. Napoli 1885. p

penal international et de l 'extradition, par P a s -Traduit , annoté etc. par C h a r l e s A n t o i n e . I u. — P e s s i n a * , Elementi di diritto pénale I. 5 ed.

89—101. — S o l é , La legge pénale nello spazio. Práto 1870. — P a r e t t i , Dei reati extraterritoriali. Torino 1875.— B r u s a . Del reato commesso alT estero. 71 SS. Aus der Rivista pénale , Vol. XXII I . XXIV. Am Schlusse reiche Literaturangaben. — G o o s , Den,danske strafFeret. I S. 207—239. — v P ü t t l i n g e n , Handb. des in Ósterreich-Ungarn gelt. internat. Privatrechts . 2. Aufl. Wien 1878. — J e t t e l , Handbuch des internat. Privat- und Straf-rechts Mit Rücksicht auf die Gesetzgebungen Osterreichs, Ungarns, Kroatiens und Bosniens. Wien u. Leipzig 1693. — F e r v e r s , Das sog internat, Strafrecht i. d. Schweiz; Z f. Schweiz. StrR IV S. 271 ÍF. — F i o r e , Über íremde Strafurteile u. deren exterritoriale Geltung, bei Bohm, Z VI S. 25 ff. 141 ti". 210 íF. — H i n t r á g e r , Die Be-handlg. der im Auslande begang. Delikte nach dem Rechte Gross-bri taaniens: Bohm Z IX 1899 S, 61 íF. — M. B e r n a r d , Des conflits de souverainetés en matiére pénale. Thése. Paris 1901. — K u b l i , Die ráumliche Kompetenzabgrenzung staatl . Strafgewalt. Glarus 1902. — S. auch die Li teratur zu § 29.

§ 26. 1. Grrnndsatze desselben in Dokt r in und Gesetzgebung der Geg-en-w a r t .

§ 27. 2 . F r ine ip i e l l e r Umfang de r S t ra fba rke i t des I n l a n d e r s .

§ 28. 3 . P r i nc ip i e l l e r IJmfang der S t r a fba rke i t des Áns landers .

§ 29. 4 . Satzungen der gemeinen deutschen S t ra fgese tzbücher . GB §§ 3 bis 9. 37. MGB §§ 7. 160. 161. SeemO 121. — Sprengstoffgesetz v. 9. Juni 1884 § 12. — Gesetz gegen den Verrat militar. Geheimnisse V. 3. Jul i 1893 § 10. — Ges., betr. die Bestraf. des Sklavenraubes, V. 28. Jul i 1895 § 5. — Gesetz über das Auswanderungswesen vom 9. Juni 1897 § 43. — Ges., betr. das Flaggenrecht der Kauffahrtei-schifiFe V. 22. Jun i 1899 § 24. — Ges. über die Konsulargerichtsbar-keit V. 9. April 1900 § 77. — Ges , betr. die Verpflichtung der Kauf-fahrteischiíFe etc., v. 2. Juni 1902. § 8.

Ausser den einschlagenden Stellen der Kommentare sind zu vergleichen: S c h w a r z e , Die W^iederaufnahme im Inlande gegen ein im Auslande gesprochenes und vollzogenes Straferkenntnis; GS 1860 S. 177 íf. — D e r s . , Über die Bedeutung der Definition „Aus-land" in § 8; GA X X I 1873 S. 64 ff. — S p i n ó l a , Zum Begriffe des Inlandes im Sinne des deutschen St rGB's : GA X X 1872 S. 321 ff. — Me v e 8, Das deutsche Strafgesetzbuch und die Schiffahrt, StrRZ 1873

81 § 29.

S. 369 ff. — H e i n s e n , GS 1876 S. 527 ft'. — L o d e m a n n , GS 1877 S. 143 ff. — H a r b u r g e r , Der strafrechtliche Begrift" Inland. Nord-li " " ' " 9 - . - , . . . .

stri Wer ist im Sinne aes ^ t i>r. u . . . v.^. *-v.v.v. . — — Dagegen H a m m , GA X X V I 1878 S. 422 ff. — P e r e l s , Das Internationale offentliche Seerecht, Berlin 1882, bes. S. 14—132. — D e r s . , AÓR I S. 461 ff". 677 ff. — v. L i l i e n t h a l , Der Ort der be-gangenen Handlung im Strafrechte. Marb. Festgaben f ü r W e t z e l l . Marburg 1890 S. 253 ff". — F r a n k , DJZ 1 1896 S. 128 ff". — V. H i p p e l (zu GB § 4 Nr. 3) das. I I 1897 S. 213 ff". — K i t z i n g e r , Ort u. Zeit der Handlung im Strafrecht. München 1902. — M e y e r o -w i t z , Staatsangehor. u. Strafrecht nach d. deutsch. RStrGB.; B o h m , Z IX 1899 S. 273 ff. — T a f e l , Die Geltung des Territorialprincips im RStrGB. Diss. Stut tgar t 1902. — B a u e r , Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen der deutschen Schutzgebiete; AOR XIX 1905 S 82 ft". 433 ff. — J u n g m a n n , Das deutsche Kauffahrteischiff ais Begehungsart strafbarer Handlungen. Diss. Borna-Leipzig 1905. — Vgl. auch S e y f f e r t h , Inwiefern sind die Strafgesetze e. deutschen Einzelstaates ausserh. dess. anwendbar? bei B o h m X 1900 S. 177 ff.; K o h l e r in der oben zu § 23 citirten Abhandlung; R e t t i c h , Die volker- und staatsrechtlichen Verháltnisse des Bodensees. Tübingen 1884.

Den Satzungen des heutigen gemeinen Rechts über internationales Strafrecht liegt der Gegensatz des i n l a n d i s c h e n und des a u s -l a n d i s c h e n B e g e h u n g s o r t e s zu Grunde, nicht in dem Sinne des Territorialprinzips, wonach nur der unseren Gesetzen Gehorsam schuldet, der zur Zeit der Tat im Inlande weilt, vielmehr nur ín symptomatischer Bedeutung, wonach durch die im Inlande begangene Handlung die inlfindische Rechtsordnung stets, durch die auswárts begangene aber regelmassig nicht getroffen wird. S. a u c h H e g l e r , Principien S. 50; 140. Die materiellen Grundgedanken, die das heutige gemeine internationale Strafrecht bestimmen, sind das S u b -j e k t i o n s - und das R e a l p r i n z i p ^ .

I. Ais Regel stellt GB § 3 den Satz auf: „Die Strafgesetze des Deutschen Reiches finden Anwendung auf alie im Gebiete desselben begangenen straf baren Handlungen, auch wenn der Thater ein Auslánder ist." Die Verfolgung aller "dieser Delikte, sofern sie nicht Antrags-delikte sind, ist vom Offizialprinzip beherrscht.

1. G e b i e t Í8t nicht das Staatslandgebiet, sondern das S t a a t s -g e w a l t g e b i e t . Dazu gehoren d ie d e u t s c h e n K ü s t e n g e w a s s e r auf Kanonenschussweite, a l i e u n t e r d e u t s c h e r F l a g g e f a h r e n -den H a n d e l s s c h i f f e auf offenem Meere, ja selbst in fremden Küstengewassern (letzteres meist geleugnet), a l i e d e u t s c h e n K r i e g s -s c h i f f e , einerlei, wo sie sich befinden, d ie d e u t s c h e n K o n s u l a r -g e r i c h t s b e z i r k e , freilich nur für die innerhalb derselben oder in staatlosem Gebiete von Deutschen und Schutzbefohlenen deutscher Konsuln verübten Verbrechen^, endlich die d e u t s c h e n K o l o n i e e n ,

1 Ich halte diesen Satz auch neueren Anfecbtungen gegenüber (s. bes. T a f e l S. 81 ff.; v. B a r , Strafgesetz I S. 131 ft".) vollstándig aufrecht. Das sog. Territorial-Princip des § 3 ist so unterritorial wie moglich.

2 Das Konsulargerichts-Gesetz v. 7. April 1900 bestimmt in Art. 77 Abs. 2, dass durcb Kaiserliche Vérordnung das in den Konsulargerichtsbezirken geltende

Binding , Strafrecht. Grundriss. 7. Aufl. 6

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§ 29. 82

freilich ers t , seitdem dort das G B in Kraft gestellt ist , und nur für dje Verbrechen der Personen , die der Gerichtsbarkeit der dortigen Kolonialgerichte unterworfen sind. N e u t r a l - M o r e s n e t kann ais Inland nicht betrachtet werden. M. E, unriehtig RG Feriensenat v 10. Aug. 1898 (E X X X I S. 259 fF.).

2. „ Im I n l a n d b e g a n g e n " sind alie Del ik te , welche ira In land begonnen und dort oder im Auslande abgeschlossen wurden wie umgekehr t diejenigen, die im Auslande begannen, im Inlande zum Abschluss kamen. So auch das Reichsgericht. So z. B. RG I I u I I I V. 12./19. Mai 1884 (E X S. 420 ff). Nicht glücklich RG I v. 6. Mai 1897 (E XXX S. 98 ff.). Vgl. genauer B i n d i n g , Handbuch I I S. 414—423. Und zwar gelten die teilweise im Auslande verübten ais ganz inlandische. Lasst sich aber , wie bei der gewerbsmassigen Wilderei, der auslandische von dem inlandisehen Verbrechensteile un-beschadet der Einheit des Verbrechens t rennen , so gilt der auswarts verübte Teil nicht ais im Inlande begangen.

I I . „Wegen der im Auslande begangenen Verbrechen und Ver-gehen findet in der Regel keine Verfolgung statt". GB § 4 Abs. 1. Diese Regel ist aber sehr durchlochert, und zwar m ü s s e n entweder oder es k o n n e n nur strafbare Hand lungen , die wqder ganz noch teilweise im Inlande verübt sind, nach deutschen Gesetzen vei-folgt und gestraft werden. Die Auswahl zwischen „muss" ( o b l i g a t . ) und „kann" ( f a k . ) ist ganz willkürlich. — Nach dem GB, seinen Erganzungsgesetzen im e. S. u. nach dem MGB unterliegen den ínlandischen Sti-afgesetzen für folgende im Ansiando verübten strafbaren Handlungen:

A. I n l a n d e r w i e A u s l a n d e r f ü r 1. h o c h v e r r a t e r i s c h e H a n d l u n g e n g e g e n d a s

D e u t s c h e R e i c h o d e r e i n e n B u n d e s s t a a t (fak.). GB § 4 n. 1. Vgl. GB §§ 80—86-,

2. M ü n z - „ V e r b r e c h e n " (fak.). GB §§ 146. 147. In den Fallen s. 2 und 3 ist eine Richtung der Straftat gegen spezifisch inlandische Rechtsgüter nicht erforderlich;

3. s t r a f b a r e H a n d l u n g e n n a c h d e n §§ 5—8 u n d 10 d e s S p r e n g s t o f f g e s e t z e s v. 9. Jun i 1884 § 12 (fak.);

4. s t r a f b a r e H a n d l u n g e n n a c h d e n § § 1—4 d e s G e s e t z e s , b e t r . d i e B e s t r a f . d e s S k l a v e n r a u b e s , v. 28. Jul i 1895. S. § 5 dieses Gesetzes (fak.);

5. K r i e g s v e r r a t g e g e n d a s D e u t s c h e R e i c h , b e g a n g e n a u f d e m K r i e g s s c h a u p l a t z (MGB §§ 160. 57—59. O b l i g . ) ;

6. L e i c h e n r a u b a n e i n e m a u f d e m K a m p f p l a t z e g e b l i e b e n e n A n g e h o r i g e n d e r d e u t s c h e n o d é ' r v e r b ü n -d e t e n T r u p p e n (MGB §§ 160. 134. O b l i g . ) ;

7. D i e b s t a h l u n d R a u b a n d e u t s c h e n o d e r a u s -l a n d i s c h e n V e r w u n d e t e n a u f d e m K a m p f p l a t z e , d e m

Strafrecht für staatlose Gebiete (gedacht ist besonders an die Interessen-Spháren) ganz oder teilweise für die im Texte genannten Personen in Kraft gestellt werden kann.

83 § 29.

M a r s c h , d e m T r a n s p o r t , d e m L a z a r e t t o d e r a n a n v e r -t r a u t e n K r i e g s g e f a n g e n e n (MGB §§ 160. 134. O b l i g . ) ;

8. i n l a n d i s c h e w i e a u s l a n d i s c h e S c h i f f s f ü h r e r , w e l c h e A u s w a n d e r e r v o n D e u t s c h l a n d n a c h a u s s e r d e u t -s c h e n L a n d e r n b e f o r d e r n , w e n n s i e d e n i h n e n d u r c h d a s G e s . ü b e r d a s A u s w a n d e r u n g s w e s e n v. 9. J u n i 1 8 9 7 § 3 3 A b s . 2 , § 4 1 A b s . 3 u. § 3 6 a u f e r l e g t e n V e r p f l i c h t u n g e n e n t g e g e n h a n d e l n . (Das. § 43 Abs. 3. O b l i g . ) ;

9. I n - wie A u s l a n d e r , wenn sie eine der im G e s . , betr. d a s F l a g g e n r e c h t d e r K a u f f a h r t e i s c h i f f e , v. 22. Jun i 1899 §§ 18. 19. 21 . 22 bedrohten strafbaren Handlungen „im Ausland oder auf offener See" verübt haben. Endlich

10. I n - w i e A u s l a n d e r für j e d e V e r l e t z u n g d e s U r h é b e r r e c h t s a l l e r d e u t s c h e n U r h e b e r u n d a l l e r i n D e u t s c h l a n d d o m i z i l i r t e n V e r l e g e r . O b l i g . S. Urheber-gesetz vom 11. Jun i 1870 §§ 4. 18. 22. 6 1 ; v. 19. Jun i 1901 § 54. Über-wiegend ve rkann t , weil nicht ausdrücklich eine Ausnahme von § 3 statuirt sei. S. z. B. die Ausführung bei H e g l e r , Prinzipien S. 55/6. Dies ist aber schlechterdings nicht notwendig, wenn nur das Real-Prinzip gesetzlich anerkannt ist. Alie spateren Gesetze stehen doch den allgemeinen Satzungen des St rGBs ganz frei gegenüber. Auch d ie-Durchbrechung des Grundsatzes , der auswarts delinquirende In-lander solle im Inland nur bestraft werden, wenn die Handlung auch nach dem Gesetze des Begehungsortes strafbar sei, geschieht durchaus nicht immer ausdrücklich. Vgl. B i n d i n g , Lehrbuch I. 2. Aufl. S. 467 ff. 480. 481. — Diese Bestimmung gilt analog zu Gunsten der Ínlandischen Urheber eines Werkes der bildenden K u n s t , der Ínlandischen Verfertiger photographischer Aufnahmen, der ínlandischen und der im Inland gewerblích domizilirten auslandíschen Urheber neuer gewerblicher Muster und Modelle. S. die Ges. v. 9. , 10. u. 11 . J an . 1876 u. B i n d i n g , Lehrbuch I S. 283 ff.:

B. I n l a n d e r u n d i h r e s g l e í c h e n (das sind Auslander im deutschen Staats- oder Militardíenste, für die Seemannsordnung wol auch auslandische Matrosen auf deutschen Schíffen, im Sinne des Gesetzes V. 25. Marz 1880 die Führe r eines deutschen Kauffahrteischiffes, die Auslander s ind) :

1. o b l i g a t o r í s c h , wenn sie a. ais deutsche Milítarpersonen in dienstlicher Stellung im

Auslande írgend eín Delikt (MGB § 7) oder ais Mítglieder der Mann-schaft deutscher Schíffe eines der Sonderdelikte der Seemannsordnung begangen haben. SeemO. § 121 ^;

b. ais Führe r eines deutschen Kauffahrteischiffes die vom Ges. V. 25. Marz 1880 ihm auferlegte Meldung der Ankunft oder Ab-fahrt an den deutschen Konsul des Hafen-Bezirks unterlassen haben;

1 Der § lautet: „Die Verfolgung der in den §§ 93 bis 119 bezeichneten strafbaren Handlungen findet auch dann statt, wenn die strafbaren Handlungen ausserhalb des Reichsgebiets begangen sind.

(Abs. 3.) Die Verfolgung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Tháter ein Auslander ist."

6*

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§ 29. 84

2. f a k u l t a t i v (!), wenn sie ais Beamte-des Reiclis oder eines Bundesstaates im Auslaride eine Handlung begangen haben, die nach den Gesetzen des Reiebs ais V e r b r e c h e n oder V e r g e h e n i m A m t e zu betrachten ist (GB § 4 Abs. 2 n . 1. F a l l A r n i m ) ;

C. I n l a n d e r : 1. o b l i g a t o r i s c h

a. f ü r j e d e n n a c h G B § 102 z u s t r a f e n d e n A i i -g r i f f a u f b e f r e u n d e t e S t a a t e n s. a u c h G B § 289;

b. f ü r j e d e n d e n § § 1 1 8 u, 1 1 4 d e s G B s e n t -s p r e c h e n d e n A n g r i f f a u f e i n e n d e r i n A r t . 10 d e s V c r t r a g s z u m S c h u t z e d e r u n t e r s e e i s c h e n T e l e g r a p h e n k a b e l b e -z e i c h n e t e n S c h i f f s b e f e h l h a b e r . Ausführungsgesetz zu diesein Ver t rage v. 21. Nov. 1887 § 3 ^ ;

2, f a k u l t a t i v a. für a l i e V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e n , die nach

der lex loci nicht mit Strafe verschont sind. GB § 4 Abs, 2 n. 8 ist berichtigend auszulegen; beachte auch den Schlusssatz der n. 3 ; da-für, dass die Existenz eines Strafgesetzes am Begehungsort ganz gleich-gültig ist, beweist auch das G e s . ü b e r d i e K o n s u l a r g e r i c h t s -b a r k e i t v. 7. April 1900 § 77. Danach kOnnen die der Konsular-gerichtsbarkeit unterliegenden Personen aueh dann wegen Verbrechens oder Vergehens verfolgt werden, „wenn sie die Handlung in einem Gebiete begangen haben, das keiner Staatsgewalt unterworfen ist". Damit sollte der Streit über die Auslegung des § 4 deíinitiv erledigt sein. Seltsaraer Weise grade umgekehrt F r a n k zu § 5 s. I I I 3 b ; F i n g e r I S. 1 7 1 ; H e g l e r , Principien S. 130 Note. Richtig v. L i s z t S. 108 N. 9 ;

b. für L a n d e s v e r r a t g e g e n d a s R e i c h o d e r e i n e n G l i e d s t a a t , für B e l e i d i g u n g v o n B u n d e s f t i r s t e n und für die Verbrechen und Vergehen in den §§ 1, 3 u. 5 des Gesetzes geg. d. Verrat militar. Geheimnisse v. 3. Jul i 1893 § 10, — in alien diesen Fa l len , auch wenn die Handlung nach der lex loci straflos war. GB § 4 n. 2.

I I I . Erwachst aus diesen auslandischen Straftaten auch dem Aus-land ein Strafrecht, so k o n k u r r i r t

A. d a s a u s l a n d í s c h e m i t d e m i n l a n d i s c h e n a l t e r -n a t i v nur wegen der in GB § 4 n. 3 namhaft gemachten gewohn-lichen Verbrechen und Vergehen der Deutschen im Auslande. Hier erlischt nach GB § 5 das inlandische Strafrecht

1. durch r e c h t s k r a f t i g e F r e i s p r e c h u n g auch vor dem auslandischen Gerichte;

2. durch V e r j a h r u n g von Strafklage oder Strafvollstreckung auch nach auslandischem Rechte. Vgl. dazu L i p p m a n n bei B o h m , Z I I S. 447 íF.;

3. durch B e g n a d i g u n g auch seitens der auswartigen Regierung;

^ Die Tragweite dieser Satzung ist sehr schwer genau zu bestimmen.

85 § 30.

4. durch V o l l s t r e c k u n g d e r S t r a f e auch im Auslande. Beachte aber GB § 37. — Gar nicht zur Ents tehung kommt das inlandische Strafklagrecht, wenn der nach den Gesetzen des Auslandes zur Verfolgung der Handlung notige Antrag des Verletzten nicht ge-stellt ist. GB § 5 n. 3.

B. I n a l i e n a n d e r e n F a l l e n k o n k u r r i r e n b e i d e S t r a f a n s p r ü c h e k u m u l a t i v ! Doch solí dann j ede wegen solchen Delikts im Auslande voUzogene Strafe nach richterlichera Ermessen auf die durch Urteil des deutschen Gerichts darüber verhángte Strafe angerechnet werden. GB § 7. Interessant RG IV v. 17. Dez. 1901 (E X X X V S. 41 ff.).

IV. I m A u s l a n d b e g a n g e n e U b e r t r e t u n g e n sind nur dann im Inland zu strafen, wenn dies durch besondere Gesetze oder Vertrage angeordnet ist. GB § 6. Beachte SeemO § 121 (oben S. 83 Note 1).

Zweites Buch. Das subjektive Strafrecht und das Strafrecitsverhaltnis.

§ 30. Das Strafrecht. Sein Inhaber. Sein Inhalt. Der Str&fling. Sein Unterschied vom Strafklagerecht. Bdg, H 39. 101—108. MI 64. Fi 34.

Die Lehre vom subjektiven Strafrechte ist zu Unrecht vernach-lássigt. Vgl. M.erkel, Encykl. § 187 ÍF. 206 ff. — L o e n i n g , Grund-riss §§ 16 tf. — L u d e n , Handb. I S. 12 ff. — G l a s e r , Strafprozess I S. 12ff. — J e l l i n e k , System der subjektiven off. Rechte. 2. Aufl. Frei-burg 1905. — Der Unterschied von Strafrecht und Strafklagrecht zuerst scharf betont in B i n d i n g , H I S. 192—196. — Vgl. auch B i e r l i n g , Straf- und Strafprozess-Rechtsverháltnis; Z f. StrRW X 1890 S. 251 ff.

Erste Abteilung. Die Entstehuiig des Strafrechts. Vom Verbrechen insbesondere.

Zum ganzen Abschnitt s. die kurze Lehre vom Verbrechen bei H r e h o r o w i c z , Grundlagen und Grundbegriffe des Strafrechts S. 145 íf.

u. L i e p m a n n , Einleit. in d. Strafrecht. Berlín 1900.

I, Das Yerbreelien. S. H2 179-186. Bdg, H 110—114. B 35—37. Sch 28—30. M 20.

MI 12. Li 26. G 84. L 14. 15. 22. 30—32. H 19. 113. 114. W 43. WV 48. 51. 52. K 4. 5. 38. 111. 112. Schapet bei HH II S. 108-111, Geyer bei HH IV S. 89. 90.

S t ü b e l , Über den Thatbestand der Verbrechen. Wittenberg 1805. — B i r n b a u m , Über das Erfordernis einer Rechtsverletzung zum Be-griffe des Verbrechens: ANF 1834 S. 149 ff. — L u d e n , Über den Thatbestand des Verbrechens nach gemeinem teutschen Rechte (der Abhand-lungen Bd. II). Gottingen 1840 S. 1—112. — B e r n e r , Über den Begrift" des Verbrechens; ANF 1849 S. 442 ff. — Ge ver , unter demselben Titel in H a i m e r l s Ósterreich. VJSchr IX 1862'S. 215 ff. Auch „Kle¡nere Schriften" S. 65 ff. — H e r t z , Das Unrecht und die allgemeinen Lehren des Strafrechts. I. Hamburg 1880. — Oppenheim, Die Objekte des Verbrechens. Basel 1894. — Hold v. F e r n e c k , Die Rechtswidrigkeit. I. II 2. Jena 1903. 1906. (Dazu G r a f z u Dohna, Z f. StrRW XXIV 1904 S. 53 ff.). — T o r p , Die Lehre v. d. rechtswidr. Handl. in der nord.

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3 0 . 86

Rechtswissensch.; Z f. StrR XXIII 1903 S. 84 ff. — S t o o s s , Die Straf-rechtswidrigkeit {!); Z f. S t rRW XXIV 1904 S. 319 tf. — D e r s . , That-bestand u. Verbrechen; Z f. Schweiz. StrR XVII 1904 S. 1 ff. — G r a f zu D o h n a , Die Rechtswidr. ais allgemeingült. Merkmal im That-bestande strafb. Handlungen. Halle 1905. Dazu K o h l r a u s c h , Z f. S t rRW XXV 1905 S. 656 ff. — B i e r l i n g , Juristische Principieiilehre III . Tübingen 1905. — B e l i n g , Die Lehre vom Verbrechen. Tübingen 1906'. — l 'ber die Erscheinung des bedingten Verbrechens s. B i n d i n g , GS LXVIII 1906 S. 1 ff.; L a u e , Das bedingte Verbrechen. Diss. Leipzig 1906. S o m m e r , Das bedingte Verbrechen. S. 19.

' Dieses Buch will eine durchaus neu fundamentirte Lehre vom Verbrecljen geben. Das neue Fundament solí ein bisher zu wenig erkanntes Merkmal des Verbrechens sein: seine „ T a t b e s t a n d s m á s s i g k e i t " oder wie auch — nicht gerade schon — gesagt wird seine „ T y p i z i t a t " . Was der Verfasser darunter verstanden haben will, sagt er uns nicht deutlich, und alie meine Versuche, den Begriff aufs Reine zu bringen, sind gescheitert. So m u s s i c h zu m e i n e m B e d a u e r n d i e n e u e B a s i s s a m t a l i e n d e n z a h l r e i c h e n , a u s d e m B e -g r i f f e a n g e b l i c h g e z o g e n e n K o n s e q u e n z e n , d i e z u m T e i l s e h r g r o s s e s B e f r e m d e n e r z e u g e n , a b l e h n e n . 1. Dass das konkrete Delikt gegen-über der Norm, das konkrete Verbrechen gegenüber dem Strafgesetz „tatbestauds-mássig" sein, d. h. alie die Merkmale tragen muss, mit denen die Norm die ver-botene, das Strafgesetz die strafbare Handlung charakterisirt, ist selbsiverstándlich. Verfasser muss aber darunter Anderes verstehen, wie sich aus seiner — aüch nicht durch Einfachheit ausgezeichneten — Definitíon ergiebt: „ Verbrechen ist die tat-bestandsmássige (es sei direkt oder modifiziert (Erscheinungsform!) tatbestands-mássige), rechtswidrige, schuldhafte, einer auf sie passenden Strafdrohung unter-stellbare und den Strafdrohungsbedingungen genügende Handlung" (S. 7). — Der „nackte Tatbestand" schliesst nach B. nicht emmal das Moment der Handlung in sich. „Wer woUte z. B. bezweifeln, dass ,T6dtung eines Menschen' auch vorliegt, wenn etwa ein Stier einen Menschen aufgespiesst ha t?" (S. 145). Danach wáre der „Tatbestand" eine I^ebenserscheinung onne alie rechtiichen Merkmale. In demselben Augenblick sehen wir die alte Verwirrung von Tat- und Rechtsfrage, die wir begraben geglaubt, ihr hassliches Haupt wieder erhebenj und es leuchtet ein, d a s s d i e F o r m u l i r u n g d i e s e r T a t b e s t á n d e n u r m i t g r i j s s t e r W i l l k ü r s t a t t f i n d e n k a n n . Wenn B e l i n g bei der Totung den Menschen ais Tá te r ausschaltet, warum halt er an ihm ais Objekt fest? Auch der Ochse, jedes Thier, jede Pflanze kann „getotet" werden. Warum wird der „Taíbestand" nicht auf alies Sterben erweitert? Auf S. 154 werden wir belehrt, der Tatbestand, „dass Jemand e i n e n A n d e r n korperlich misshandelt, ist nicht gegeben, wenn etwa nur der Fuss oder der Arm" (scii. eines Anderen) misshandelt wird (!j. Wi r lesen auf S. 225: „Es stehen sich eben tatbestandlich das Verursachen von Erfolgen u. das Nichtverursachen ihres Gegenteils (Note: Toten und Nichtretten) vollig gleich." Ein „Tatbestand" aber, der solche Ungeheuerlichkeiten einschliesst, ist für dieWissenschaft von rein negativem Wer te! S. 186 begegnet gar e i n „ T y p e n -v o r s a t z " und eine (Typen-)„Fahr l a s s i g k e i t " ! Beziehen sie sich auch auf den „nackten Tatbestand"': ' Dann sind sie m i r wenigstens ganz unfassbar! 2. Des Weiteren ist doch klar , d a s s d a s S t r a f r e c h t a. w e n n es L e b e n s -e r s c h e i n u n g e n r e g e l t , d i e a u s s e r h a l b d e s R e c h t s d e n k b a r s i n d , wie Totung oder K V , e s d i e s e E r s c h e i n u n g e n g e n a u r e c h t l i c h w e r t e t , d u r c h l a u t e r j u r i s t i s c h e M e r k m a l e v o m „ n a c k t e n T a t b e s t a n d " a b s c h e i d e t , dass dieser also für es gar nicht mehr ins Gewicht fállt; b. d a s s a l i e V e r b r e c h e n s t a t b e s t á n d e , a b e r a u c h w e i t a u s d i e m e i s t e n H a n d l u n g e n , a u s d e n e n s i e a u f g e b a u t w e r d e n , n u r u n t e r d e r V o r a u s s e t z u n g d e r R e c h t s o r d n u n g d e n k b a r s i n d ! Oder wie sieht der „nackte Tatbestand" eines Aneignungsverorechens, eines Hochverrat*, einer Münzfálschung, eines WiderstandsgegendieStaatsgewalt , einer Rechtsbeugungaus?

So wird in diesem Werke leider eine grosse Gedankenarbeit und ein erstaun-licher Mut, die angeblichen Konsequenzen der Tatbestandslehre zu ziehen wie zu ver t re ten , an eine Aufgabe gesetzt, die es für den Juristen gar nicht giebt!

87 5§ 3 1 - 3 4 .

§ 31. A. Das yerbrechen in seinen allgemein wesentl ichen Merkinalen.

B . Die Verbrechensart.

§ 32. 1. Ihr Begriff und ihr Yerhaitnis zum Delikte. Den scharfen Gegen-satz zwisclien dem D e l i k t ais Gat tung (Delikt = schuldhafte Norm-übertretung) und dem V e r b r e c h e n ais Ar t (Verbrechen = straf-bares Delikt) hat Binding, N I §§ 27—36 (vgl. I I §§ 30 ff.) zu statuiren gesucht. Vgl. Fi 22.

§ 33. 2 , Ihre Kormwidrigkeits- oder Delikts- und ihre Strafbarkeits-merkmale. B d g , N I 29. Bdg , H 113. W H * 44. Vgl. K 111. Fi 22.

§34. 3 . Einteilung der Terbrechensarten. GB § 1. MGB § 1. H» 185. 186. Bdg, H 114. B 38. 39. Sch 29. M 4. MI 13—15. 17. Li 26. L 16—21. 24—29. G 85. H 123. W H * 45. 46. W * , Vorrede zu Bd. 11. W V 49. 50. K 112. Fi 24. 25. Schaper bei HH II S. 98 bis 107. Geyer bei HH IV S. 9 0 - 9 1 . Vgl. auch Grolman §§ 27 ff.

L u d e n , Abhandlungen I I S. 138—186. — C u c u m u s , A N F 1829 S. 45 ft. 205 ff. — O s e a r M e y e r , Bedeut. u. W e r t der Drei-teilung der strafb. Handlungen für das deutsche Reichsrecht. Diss. Berlin 1891. — G u d e r i a n , Krim. u. polizeil. Unrecht ; Z f. StrRw XXI 1901 S. 828 ff. — R o s e n b e r g , Beitr. z. Bestr. der Über t re tungen; Z f. StrRw X X I I 1902 S. 31 ff. — D e r s . , Die Dreiteilung der straf-baren Handlungen; Z f. StrRw XXIV 1904 S. 1 ff. — J . G o í d -s c h m i d t , Das Verwaltungsstrafrecht. Berlin 1902 (im Grundgedanken ganz verfehlt). Vgl. d e s s e n Begriff und Aufgabe eines Verwaliungs-strafrechts, in GA XLIX 1903 S. 71 ff. — D e r s . , Die Delikts-obligationen des Verwaltungsrechts. Berlin 1905. — R o t e r i n g , P-oli-zeil. Unrecht. Potizeigefahr; Z f. S t rRw XXIII 1903 S. 352 ff. — D e r s . . Die Gruppenbiidung der Polizeiübertretungen; Z f. S t rRW XXVI S. 719 ff. — D e r s . , A f. kr. Anthr. XXV 1906 S. 111 ff. — U m h a u e r , Beitr. z. Lehre vom . . . Polizeidelikte. Diss. Bühl (1904).

S. auch D o r a d o und H i l l e r , MdJV VI S. 263 ff. 354 ff".; F r a n k, das. VII S. 196ft'.; P o u s t o r o s l e w , R e i c h a r d und K a h n , das. VI I I S. 77 ff. 92 ff. 131 ff.; F r a n k u. J . G o l d s c h m i d t , das. XI I 1905 S. 200 ff.

I. Unrichtig und veraltet sind die Einteilungen der Verbrechen: 1. je naehdem sie unmittelbar die Rechte des Staats oder der Privaten verletzen, in S t a a t s - und P r i v a t v e r b r e c h e n (s. z. B. F e u e r -b a c h , Lehrbuch § 23), denen M a r t i n , Lehrbuch § 290, noch die g e m i s c h t e n S t a a t s - und P r i v a t v e r b r e c h e n gesellt; 2. je naehdem sie exklusiv die Verletzungen nur eines bestimmten „Rechts" zum Inhalt haben (Totung, Hochverrat), oder bald das eine, bald das andere Recht verletzen konnen (Gewalttatigkeit, Kindesaussetzung), in d e t e r m i n i r t e (bes t immte , auch einfache) und i n d e t e r m i n i r t e (auch a l t e r n a t i v e , v a g e , v i e l f a c h e ) V e r b r e c h e n (s. z. B. F e u e r b a c h , Lehrbuch, bes. § 388; M a r t i n , Lehrbuch, bes. § 180). — Gegen beide Einteilungen s. bes. W, Vorrede zu Bd. I I , und L u d e n a. a. O. S. 156 fF.

II. Die in den Quellen des heutigen gemeinen Rechtes, besonders in den Auslieferungsvertragen des Deutschen Reiches, aber auch ausser denselben (s. Ges., betr. die Organis. der Bundeskonsulate, v. 8. Nov. 1867 § 22; Wahlgesetz f. d. Reichstag v. 31. Mai 1869 § 4; Rechts-hülfegesetz v. 21. Juni 1869 § 25) ofter vorkommende Einteilung der Verbrechen in p o l i ti s ch e und n i c h t - p o l i t i s c h e wird nicht immer in demselben Sinne genommen und hat — bei der grossen Unsicher-

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§ 34. 88

heit der Eintei lung ist dies ein Glück zu nennen! — seit dem Inkmt't-treten des norddeutsclien Strafgesetzbuchs nach richtiger A^fta8^iu^)g alie Bedeutung für das materielle Strafrecht verloren. So muss sie hier unerürtert bleiben. Vgl. indessen L a b a n d , Staatsrecht I 4. Aufl S. 289 fF.; J o h n , H R L e x . s. v, Politische Verbrechen I I I S. (>;iff.-K n i t s c h k y , Die Auslieferungsvertrage des Deutschen Reiches: in V. Holtzendorffs Jahrbuch N F I 1877 Heft 4 S. 10 fF.; F i n g e r J S. 128 íF.; bes. aber L a m m a s c h , Das Recht der Auslieferung wogeii politischer Verbrechen, Wien 1884; D e r s . , Auslieterungspflicht und Asylrecht, Wien 1887 S. 203—346, u. v. M a r t i z II, bes. 8. 130 ff.— Die Einteilung lediglich auf das politische oder nicht-politische Motiv der Handlung gründen und das geltende Recht in diesem Sinne aus-legen zu wollen ist durchaus unstatthaft.

I I I . ü b e r den Unterschied von B e g e h u n g s v e r b r e c h e n ( d e l i c t a c o m m i s s i o n i s ) und U n t e r l a s s u n g s v e r b r e c h e n ( d e l i c t a o m i s s i o n i s ) s. bes. Bdg, H § 3 2 ; N I §§ 16. 5 4 ; I I § 59. Über die echten Unterlassungsdelikte M e r k e l , Abhandl. I S. 90ÍF.; D e r s . , Strafrecht § 14; S c h w a l b a c h , GS 1879 S. 539 ff., 602 ff., 1881 S. 396ff.; O r t m a n n , das. 1870 S. 173ff.; S e l i g s o h n , GA X X V i n 1880 S. 210 ff. S. auch F i n g e r I S. 272 ff., 293'4. — Schwere Unterlassungsvergehen in GB § 139 und SeemO § 112, welch letzteres auch fahrlassig verübt werden kann. — Vgl. die Li te ra tur unten vor § 58.

IV. Über die Einteilung der B e g e h u n g s v e r b r e c h e n in Verletzungsverbrechen, Gefahrdungsverbrechen und reinen Ungehorsam s. bes. Normen I § 52—54, unten § 45 und M e r k e l , Lehrbuch § 15. Beachtlich RG I I v. 4. Mai 1897 (E XXX S. 108 ff).

V. Zam Gegensatz von g e m e i n e n und b e s o n d e r e n . Ver-brechen vgl. auch oben § 24 u. A r r i u s M e n a n d e r in 1 2 pr. D de re militari 49, 16: Militum delicta sive admissa aut propria sunt aut cum ceteris communia . . . Propr ium militare est delictum, quod quis uti miles admittit.

VI. Über den auf die Verschiedenheit der S t r a f a r t und die Verschiedenheit der kompetenten G e r i c h t e (peinliche und bürgerliche Strafen und Gerichte) gegründeten Unterschied der peinlichen und der biirgerlichen Straffalle in der CCC s. oben § 12 und W B S. 126.

VII . Davon wesentlich verschieden ist die Einteilung der strafbaren Handlungen in V e r b r e c h e n , V e r g e h e n und Ü b e r t r e t u n g e n . Sie staramt aus den Dispositions préliminaires des C o d e p e n a l A. 1, ist dort ais Einteilung auf Grund verschiedener Strafaríen ge-dach t , wenn auch nicht strenge durchgeführt , und wesentlich mit aus prozessualischen Rücksichten aufgestellt. Das B a y r . S t r G B v o n 1 8 1 3 A. 2 hat sie nachgeahmt, und seitdem ist sie in Deutsch-land Gegenstand lebhaften Streites geworden. S. schon die witzige Kri t ik in (v. L a n g , ) Birman. Strafgesetzbuch, 1822, S. 12 ff.; ferner C u c u m US, Über die Einteilung der Verbrechen, Vergehen und Übert re tungen in den Strafgesetzbüchern, Würzburg 1827; G o l t -d a m m e r , Materialien zum St rGB für die preussischen Staaten I S. 47 ff. — Von den Krit iken der Entwürfe des nordd. StrGBs (s. B i n -

89 § 34.

d i n g , E S. 26. 30. 31) haben sich mit diesem Gegenstande besonders beschaftigt die von B i n d i n g , Kr . S. 44 ff.; G e y e r , KrV X I I 1870 S. 164 ff.; H e i n z e , Eror terungen S. 182 ff.; H e I d S. 10 ff.; M e r k e l S. 17 ff.; W a c h t e r S. 44 ff. — Vgl. auch S c h w a r z e , GS 1870 S. 161 ff.; S c h ü t z e , GA X X S. 362.

Von den deutschen Strafgesetzbüchern haben die Einteilung adoptirt die beiden b a y r i s c h e n von 1813 und 1861 (bes. interessant GB von 1861 A. 2) , die beiden o l d e n b u r g i s c h e n von 1814 und 1858 und das p r e u s s i s c h e von 1851, dem dann das norddeutsche St rGB gefolgt ist.

Was nun das h e u t i g e g e m e i n e R e c h t anlangt , so ist diese Einteilung absolut gemeines Recht.

1. B e d e u t u n g - d e r E i n t e i l u n g . Die Teilung des GB § 1 ist k e i n e Einteilung

a. d e r T a t b e s t a n d e s t r a f b a r e r H a n d l u n g e n . Der Tatbestand eines Deliktes ais solcher, abgesehen von der ihm gedrohten Strafe, heisst nach § 1 weder Verbrechen noch Vergehen noch Über-tretung. Sofern aber die an einen Tatbestand geknüpfte Strafe mit ihrem Máximum in das Reich der Verbrechensstrafen, mit ihrem Mínimum in den Bereich der Vergehensstrafen fallt (so z. B. §§ 86. 88 Al. 3. 89. 96. 98. 100, 102. 106. 208), oder wo jenes zu den Ver-gehens-, dieses zu den Übertretungsstrafen gehort (so z. B. §§ 110. 111 Al. 2. 113 Al. 1 und 2. 116 Al. 1. 121 Al. 2. 130. 131. 132. 134. 135. 145. 148. 184. 185. 186. 223. 230. 240. 241. 271. 276. 285. 286. 289. 291—293. 296. 297. 299. 300. 304. 309. 318. 320. 330. 331. 337. 342. 345. 347. 352) , dann ist die bedrohte Handlung zugleich Ver-brechen u n d Vergehen, oder Vergehen u n d Übert re tung. Ob die konkrete Species eines solchen Tatbestandes Verbrechen oder Vergehen sei, entscheidet erst das Urtei l ;

b . d e r D e l i k t e n a c h d e r A r t i h r e r S t r a f f o l g e n . Sonst dürften nicht dieselben Strafarten sowol für Verbrechen ais für Vergehen (Festung), sowol für Vergehen ais für Übertretungen (Geld, selten sogar die Haft) verwandt werden;

c. d e r D e l i k t e n a c h d e r S c h w e r e i h r e r S t r a f f o l g e n . Sonst müsste die Strafe des Vergehens resp. der Übertretung immer eine andere und zwar mildere sein ais die des Ver-brechens resp. des Vergehens. Dies ist aber nicht der Fall . Nach § 21 sind 8 Monate Zuchthaus = 12 Monaten Gefangnis = 1 8 Monaten Festungshaft. Nun wird die Grenze zwischen Verbrechen und Vergehen gebildet zugleich

durch 5 Jah re Gefangnis = 60 Monate Gefangnis =^ 90 Monate Festung = 40 Monate Zuchthaus ;

durch 5 Jah re Fes tung = 60 Monate Festung = 40 Monate Gefangnis = 26^/8 Monate Zuchthaus ;

durch 12 Monate Zuchthaus = 18 Monate Gefangnis. Ferner begegnen in § 57 Nr. 4 Vergehen und Über t re tungen rait

derselben Verweisstrafe, in § 28 Al. 2 (vgl. § 140 n. 2. 185) Vergehen mit Haftstrafe.

d. V i e l m e h r i s t s i e e i n e E i n t e i l u n g d e r D e l i k t e

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§ 34. 90

m a t e r i e l l e n 29. Abschni t t :

z u g l e i c h n a c h A r t u n d H o h e d e r a n g e d r o h t e n H a u p t s t r a f e .

2. P r a k t i s c h e B e d e u t u n g ü b t s i e i m S t r a f r e c h t auf die Anlage des GBs (vgl. den Uber t re tungen) ; ferner

a. beim i n t e r n a t i o n a l e n S t r a f r e c h t . Im Auslande begangene U b e r t r e t u n g e n konnen nach deutschen Gesetzen nur da bestraft werden , wo dies durch besondere Gesetze oder Vertrage an-g e o r d n e t i s t ; V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e n auch ohne diese Voraus-setzung nach Massgabe der §§ 4 und 5. Ferner verlangt § 4 Nr. 1 und 2 ein M ü n z v e r b r e c h e n ; vgl. auch § 37 ;

b . die E i n z i e h u n g einzelner Gegenstande des § 40 ist nur bei vorsatzlichen V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e n moglich. Aus-nahmen vgl. unten § 102;

c. V e r s u c h der V e r b r e c h e n ist durchweg strafbar, V e r -s u c h der V e r g e h e n nur, wo das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt, V e r s u c h der U b e r t r e t u n g e n n ie : § 4 3 ;

d. nur die Aufforderung und die Annahme der Aufforderung zur Begehung von V e r b r e c h e n ist s t rafbar : § 49 a;

e. G e h ü l f s c h a f t zu U b e r t r e t u n g e n und B e g ü n s t i -g u n g von Ü b e r t r e t e r n sind straflos: §§ 49. 257;

f. die Verweisstrafe ist nur bei V e r g e h e n u n d U b e r t r e t u n g e n jugendlicher Personen zulassig: § 57 Nr. 4 ;

g. bei Normirung der Fristen der S t r a f v e r j a h r u n g in § 67 ;

h. bei der S t r a f v e r w a n d l u n g : §§ 27. 29 ; i. nur für V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e n erkennt GB § 74

das sog. System der G e s a m t s t r a f e a n ; k. nu r durch Androhung von V e r b r e c h e n konnen be-

gangen werden die Handlungen der §§ 126 und 2 4 1 , nur durch Drohung mit V e r b r e c h e n o d e r V e r g e h e n die Not igung: § 240 ;

1. § 151 bestraft Anschaffung u. s. w. von Stempeln zum Zweck eines Münz v e r b r e c h e n s ;

m. § 157 Nr. 1 v e r l a n g t / dass der Tater das Risiko einer Verfolgung wegen eines V e r b r e c h e n s o d e r V e r g e h e n s ge-laufen sei.

3. H a n d h a b u n g d i e s e r E i n t e i l u n g . Ob eine Handlung Verbrechen oder Vergehen ist, bestimmt nach 1 oft erst das Urteil. Hinsichtlich der praktischen Bedeutung der Dreiteilung (s. sub 2) ist es wichtig, vor dem Urteil die Qualitat einer Handlung ais Verbrechen oder Vergehen oder Übertre tung feststeUen zu konnen. Nun kennt § 28 Al. 2 „ V e r g e h e n " , bei welchen Geld wahlweise neben der Über-tretungsstrafe der Haft gedroht ist. Das GB lasst also oíFenbar die a n g e d r o h t e M á x i m a I s t r a f e darüber entscheiden, ob eine Handlung Verbrechen, Vergehen oder Über t re tung — nicht i s t , sondern ais s o l c h e s b e h a n d e l t w e r d e n s o l í . Eine Hand lung , deren Strafminimum beim Vorhandensein mildernder Umstande in den Bereich der Vergehensstrafen herabsinkt , ist ais Verbrechen zu be-handeln ; tritt aber eine verscharfte und zwar eine V e r b r e c h e n s -

91 §§ 35. 36.

strafe für eine qualifizirte Unterar t eines V e r g e h e n s ein (vgl. z. B . §§ 169. 239 Al. 2), so ist das Gattungsdelikt V e r g e h e n , die qualifizirte Unterar t V e r b r e c h e n . — Treten dagegen bei einem V e r -b r e c h e n allgemeine (s. G B § 57) oder besondere Strafmilderungs-gründe ein (s. GB § 157), so ist nichtsdestoweniger der Verbrechens-charakter für ihre praktische Behandlung massgebend.

Vgl. hierzu auch V o i t u s , Verbrechen und Vergehen: G S 1874 S. 513 ÍF.; F i n g e r I S. 125 ff.

§ 36. C. Der Verbrechensfall ais Bedingung des Strafrechts. § 36. I I . Die anderweiten Bediugnngen des Straf- und des Straf klagrechts,

Insbesondere der Strafantrag. GB §§ 61-65. MGB § 51. H^ 278—286. Bdg, H 124-138. B 160—164. Sch 50. MI 85—87. Li 44. 45. G 83 a. K 131 Anhang. M 41—43. WV 88. Dochow bei HH IV S. 237—285. Fi 23. 35. 36. - Bdg, N I § 36.

Godef ro i , De iis delictis, quae non nisi ad laesorum querelam vindicantur. Amstelodami 1837 (gehort nur teilweise hierher). Dazu M i t t e r m a i e r , AISP 1838 8. 609 ff. — Z a c h a r i á , ANF 1845 S. 566 ff. 1847 S. 390 ft". — H e i n z e , Reichs- und Landesstrafrecht S. 67 ff. — F u c h s, Anklage und Antragsdelikte. Breslau 1873. — Ders . , GA XIX 1871 S. 82 ff. und XX 1872 S. 433 ff. — Ders . . GS 1874 S. 145 ff. 1876 S. 589. — Der s . , HRLex. I S. 123 ff. — F r a n c k e , GA XX 1872 S. 34 ff. (übertreibend, aber beachtens-wert). — N essel , Die Antragsberechtigungen des deutschen Reichs-strafgesetzbuches. Berlín 1873.— R e b e r , Die Antragsdelikte des deutschen Strafrechts. München 1873 (darüber G e y e r , KrV XVI 1874 S. 373 ff.). — Me v e s , Die Strafgesetznovelle. Erlangen 1876 S. 100 ff. — Thomsen u. J o h n , Gutachten für den XII. deutschen Juristentag. Verhandl. I S. 193 ff. 223 ff. — K o h l e r , Deutsches Patentrecht S. 539 ff. — v. K i r c h e n h e i m , Die rechtliche Natur der Antragsdelikte. Tübingen 1878. — H e r g e n h a h n , Das An-tragsrecht im deutschen Strafrecht. Berlin 1878. — K o l l n e r , Kann bei Delikten, welche nur auf Antrag verfolgt werden, der Beschuldigte die Bestraf. durch Beruf. auf e. Privatvergleich ab-wenden? Verden 1879. — T h o n , Rechtsnorm S. 136 ff. — L e h man n, Zur Lehre vom Strafantrage. Leipzig 1881. — S c h o e n -feld, Klachtdelikten. Groningen 1886.— Eisler,DieErmáchtigungs-delikte nach osterreichischem Rechte. Wien 1888 (Separatabdruck aus den Jur. Bláttern 1888 N 18—22). — H a u s m a n n , Die Beleid.

fesetzgeb Versammlungen u. die rechtl. Natur der Ermáchtigung. lünchen 1892. — K o h l e r , Die Lehre v. Strafantrag. Breslau

1898.— Die tz , Die Stellvertr. beim Strafantrage. Diss. Stuttgart 1900. — E u l a u , Geteilter, bedingter, unter Vorbehalt gesteliter Strafantrag. Breslau 1905. — K u h n , Vererb. u. Übertrag. des Strafantragsrechts. Zürich 1906. — Vgl. ferner die Aufsátze von L e h m a n n , G A X I X S. 386ff.; Koch , das. S. 161tt". 728ff.; K l e b s , das. S. 569 ff.; v. Bar , das. S. 641 ff. 713 ff.; Tessendorf f , das. XXI 1873 S. 332 ff.; v. Sande , das. S. 426 ff".; He rzog , GS 1874 S. 202 ff.; Medem, GS 1877 S. 509 ff. 561 ff.; v. B u r i , KrVJSclír 1877 S. 86ft".; Samue ly , GS 1880 S. 1 ff.; B o l z e , Der Strafantrag des gewillkürten Vertreters: GS 1880 S. 433 ff.; H e r z o g (über dens. Gegenstand), GS 1881 S. 389 ff.; H ó l z a p f e l , GA XXX S. 428 ff.; C o n r a d , GA XXXV 1887 S 17 ff.; S t e n g l e i n , Das Antragsrecht des Vorgesetzten, GS XLIl (1889) S. 79ft".; B r o d -beck , Z f. Schweiz. StrR I 1888 S. 475 ff.; v. K r i e s , Die Prozess-voraussetzungen des Reichsstrafprozesses, Z f. StrRW V S. 1 ff.; P f i z e r , Untheilb. des Strafantrags u. der Privatklage, G^ L 1895 S. 440 ff.; K o h l e r , Thatbestandsmerkmale u. Strafbarkeits-bedingung; GA XLIX 1903 S. 3 ff".; F inger , - Thatbestandsmerk-

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§ 36. 92

male u. Bedingungen der Strafbarkeit; das. P o l l a c k ^ GS LXII 1903 S. 388 ff. — S. auch G e s s l c r , GS

L 1903 S. 32 ÍF.;

Me v e s , StrRZ 1880 S. 49(> ff.;

1872 S. 113—120; F i s c h e r | GS S c h w a r z e , GS 1873 S. 169 ff.,

d e s

1866 S. 83 ff 1879 S. 54 ff". 1874 S. 497 ff.

I. Scharf zu scheiden sind anderweite Bedingungen einerseits S t r a f r e c h t s , andererseits d e s S t r a f v e r í ' o l g u n g s r e c h t s .

A. Ausser durch das Delikt ist d a s S t r a f r e c h t bedingt 1. durch d i e dem D e u t s c h e n R e i c h e g e w a h r t e

G e g e n s e i t i g k e i t in GB §§ 102 u. 103; 2. durch d a s a u s w a r t i g e S t r a f g e s e t z in dem § 4 Nr. 3

(vgl. oben S. 84. 65); 3. durch den A n t r a g d e r z u s t a n d i g e n B e h o r d e d e s

A u s i a n d s in § 4 Nr. 3 Al. 2. Denn dieser Antrag ist eine Cessions-ofFerte — übrigens eine vielfach bestrittene Auffassung.

B. Die weiteren Bedingungen des S t r a f k l a g r e c h t s sind 1. entweder o b j e k t i v e T a t s a c h e n : so a. d i e A u f -

l o s u n g d e r E h e in den §§ 170 — 172. 238; b. d i e E i n t r a g u n g d e r D i e n s t p f l i t i h t w i d r i g k e i t i n s S c h i f fsj o u r n a l : SeemO § 98, 2. — Vgl. GB §§ 210. 227;

2. oder W i l l e n s e r k l a r u n g e n , und zwar entweder ein S t r a f a n t r a g (s. hierüber sub III) oder eine E r m a c h t i g u n g z u r S t r a f v e r f o l g u n g (s. sub II).

Nicht unwichtig ist die Tatsache, dass kein Verbrechen oder Vergehen im Amte und kein militárisches Verbrechen oder Vergehen Antragsdelikt ist. MGB § 51 vgl. § 127.

II. E r m a c h t i g u n g s v e r b r e c h e n enthalten GB §§ 99.101.197. Eine Riicknahme der Ermachtigung giebt es nicht. RG I v. 15. Jan. 1900 (E XXXIII S. 66 ff.).

III. An t r a g s v e r b r e c h e n , A. Auf dem Gebiete derselben hat die Novelle vom 26, Febr. 1876

viel geandert. S. Bdg, E S. 51. 52. 1. Warend nach dera GB v o r der Revisión (§ 64) regel-

massig die Zurücknahme des Antrags bis zur Verkündung eines auf Strafe lautenden Erkenntnisses statthaft war, i s t d i e R i i c k n a h m e d e s A n t r a g s n a c h dem j e t z i g e n GB n u r in e i n z e l n e n g e s e t z l i c h b e s o n d e r s h e r v o r g e h o b e n e n F a l l e n s t a t t h a f t (in den §§ 102. 103. 104. 194. 232 Al. 2. 247 Al. 1, 263 Al. 4. 292 Al. 2. 303 Al. 4. 370 Nr. 5 und 6).

2. In O f f i z i a l v e r b r e c h e n v e r w a n d e l t s i n d d i e f r ü h e r e n A n t r a g s v e r b r e c h e n der §§ 176 und 177 (schwere ünzuchtsverbrechen: insbes. Notzucht, gewaltsame Unzucht an Frauen, unfreiwillige Schwáchung, Unzucht mit Personen unter 14 Jahren), ferner Notigung (§ 240), Bedrohung (§ 241), unberechtigtes Fischen und Krebsen (§§ 296. 370 Nr. 4).

3. In § 292 ist das Erfordernis des Antrags nur für „An-gehorige", in § 263 für dieselben sowie für Vorraünder und Erzieher beibehalten.

B. Bezüglich des geltenden Rechts ist zu bemerken: 1. A n t r a g s d e l i k t e n a c h dem G B s i n d :

93 § 36.

a. V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e n , b e g a n g e n v o n D e u t s c h e n im A u s l a n d e , w e l c h e n a c h a u s l á n d i s c h e m G e s e t z e n u r au f A n t r a g d e s V e r l e t z t e n v e r f o l g t w e r d e n d ü r f e n , sofern sie nicht unter GB § 4 Nr. 1 oder 2 fallen: GB § 5 Nr. 3.

b. Folgende einzelne V e r b r e c h e n : 1. Feindliche Hand-lungen nach Analogie der §§ 81—84 gegen befreundete Staaten § 102. 2. Tauschende Verleitung zum ausserehelichen Beischlaf § 179. 3, Ent-führung einer Frauensperson wider ihren Willen, um sie zur Unzucht zu bringen § 236. 4. Der qualifizirte Diebstahl der §§ 243 und 244 unter der Voraussetzung des § 247, 1.

c. Folgende einzelne V e r g e h e n : 1. Feindliche Hand-lungen nach Analogie der §§ 85 und 86 gegen befreundete Staaten § 102. 2. Beleidigung nichtdeutscher Landesherren oder Regenten § 103. 3. Beleidigung in Deutschland beglaubigter Gesandten oder Geschaftstrager § 104. 4. Hausfriedensbruch § 123. 5. Eheschiiessung unter a,rglistiger Verschweigung gesetzlicher Ehehindernisse § 170. 6. Ehebruch § 172. 7. Verführung eines noch nicht sechzehnjahrigen unbescholtenen Madchens zum Beischlaf § 182. 8. Beleidigung §§ 185. 186. 187, vgl. 194. 9. Beschimpfung Verstorbener § 189. 10. Die Korperverletzung der §§ 223 und 230 Abs. 1, nicht aber die des § 223 a und die des § 230 Abs. 2. 11. Entführung einer Frau wider ihren Willen, um sie zur Ehe zu bringen § 236. 12. Entführung minderjahriger Madchen mit ihrem Willen § 237. 13. Diebstahl, 14. Unterschlagung und 15. Betrug begangen gegen Angehorige u. s. w. §§ 247 und 263. 16. Vermogensverausserung bei drohender Zwangs-voUstreckung § 288. 17. Entwendung der eigenen oder einer freraden Sache zu Gunsten des Eigentümers § 289. 18. Unberechtigtes Jagen seitens Angehoriger des Berechtigten § 292. 19. Eroffnung ver-schlossener Briefe oder verschlossener Urkunden § 299. 20. Unbefugte Offenbarurig von Privatgeheimnissen durch Rechtsanwalte u. s. w. § 300. 21. Verpflichtung Minderjahriger in gewinnsüchtiger Absicht und unter Benutzung ihres Leichtsinnes u. s. w. §§ 301. 302. 22. Sachbeschadi-gung § 303.

d. Folgende einzelne U b e r t r e t u n g e n : 1. Entwendung von Nahrungs- oder Genussmitteln zum alsbaldigen Verbrauche § 370 Nr. 5. 2. Entwendung von Futter, um das Vieh des Bestohlenen damit zu füttern § 370 Nr. 6.

2. B e z ü g l i c h d e r S o n d e r s t r a f g e s e t z e sei hervor-gehoben, dass die Verfolgung an den Antrag des Verletzten ge-knüpft ist u. A.

a, be i a l i e n V e r l e t z u n g e n d e r U r h e b e r - u n d E r f i n d e r r e c h t e . Ges. v. 11. Juni 1870 §§ 28. 35. 36. 43. 45. 56; Ges. V. 9. Jan. 1876 § 16; v. 10. Jan. 1876 § 9; v. 11. Jan. 1876 § 14; Patentges. v. 7. April 1891 § 36; Ges. v 19. Juni 1901 § 45.

b. b e i a l i e n V e r l e t z u n g e n d e s M a r k e n s c h u t z e s (Ges. V. 30. Nov. 1874 §14), d e s M u s t e r s c h u t z e s (Ges. v. 1. Juni 1891 § 10), d e s S c h u t z e s d e r W a a r e n b e z e i c h n u n g e n (Ges. V. 12. Mai 1894 §§ 14. 15, nicht in § 16);

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§ 36. 94

c. be i den V e r g e h e n d e s u n l a u t e r e n W e t t -b e w e r b s (Ges. v. 27. Mai 1896 § 12).

3. T e i l n a h r a e b e i A n t r a g s v e r b r e c h e n . Darf eine strafbare Handlung nur auf Antrag verfolgt werden, so sind weder Táter noch Gehülfe noch Anstifter ohne Antrag verfolgbar, der Antrag gegen e i n e n Mitschuldigen lost aber das Verfolgungsrecht gegen alie aus. A u s n a h m e : bei Díebstahlen und Unterschlagungen gegen Angehorige, Vormünder und Erzieher, bei geringfügigen Diebstahlen und Unterschlagungen gegen Lehrherren und Gesindeherrschaften dürfen ohne Antrag alie Teilnehmer verfolgt werden, welche nicht in einem der vorbezeichneten personlichen Verhaltnisse zum Verletzten stehen § 247. Diese Bestimmung findet bei dem Delikt des § 289 nach ausdrücklicher Bestimmung gleichfalls Anwendung. Ebenso im Depotgesetz v. 5. Juli 1896 § 9 Abs. 3. O h n e j e d e s B e d e n k e n i s t s i e a n a l o g a u f B e t r u g , W i l d e r e i u n d G e n u s s m i t t e l -E n t w e n d u n g g e g e n A n g e h O r i g e a u s z u d e h n e n : §§ 263, 4. 292, 2. 370 n. 5 (s. oben S. 69. 70),

Danach erhellt, dass bald das ganze Gattungsverbrechen, bald nur ein Teil desselben in seiner Verfolgung von dem Antrage abhangt. R e b e r unterscheidet danach a b s o l u t e und r e í a t i ve Antragsver-brechen; ich scheide lieber zwischen v o l l s t a n d i g e n und te i lweisen Antragsverbrechen.

4, A n t r a g s b e r e c h t i g t ist in alien Fallen sub 1 a —c regelmassig allein der V e r l e t z t e , sofern er das 18. Jahr vollendet hat und nicht geschaftsunfahig ist (§ 65 Al. 1): somit die a u s w a r t i g e R e g i e r u n g in den §§ 102 und 103; die B e l e i d i g t e n in den §§ 104. 185—187. 189; der „getauschte Teil" in § 170; der Glaubiger in § 288, der Eigentümer und er allein bei alien Verbrechen wider das Eigentum. — Nicht die Verletzte, sondern n u r ihre Eltern oder ihr Vormund haben das Antragsrecht in § 182; der g e s e t z l i c h e V e r t r e t e r allein ist berechtigt in § 65 Al. 2, sofern der Mündel unter 18 Jahre alt oder geschaftsunfahig ist. Vgl. RG IV v. 18. Jan. 1901 (E XXXIV S. 98 ÍF.). — Eine M e h r h e i t von A n t r a g s -b e r e c h t i g t e n findet sich, von dem Vorhandensein mehrerer „Verletzten" abgesehen: a. in § 65 neben dem tiber 18 Jahre alten Mündel sein Vormund; b. bei Beschimpfung Verstorbener sind berechtigt Eltern, Kinder und Ehegatten des Verstorbenen (§ 189); c. bei Be-leidígung der Ehefrau sowol sie ais ihr Ehemann (§ 195); d. bei Be-leidígung einer Behorde, eines Beamten, Religionsdieners oder Mit-glíedes der bewaffneten Macht in Ausübung ihres Berufes oder in Beziehung darauf sind ausser den Beteiligten auch deren amtliche Vorgesetzte berechtigt (§ 196).

5. R ü c k n a h m e des A n t r a g s . S. oben sub. 1. Inter-essant, wenn auch nicht ganz unbedenklich, RG II v. 13. Jan. 1903 (E XXXVI S. 64): nach angeblich pflichtwidriger Rücknahme des Strafantrags seitens der Mutter der Beleidigten wird dieser zur An-tragsstellung ein Pfleger bestellt. Sein Antrag wird wegen Konsumtion des Antragsrechts zurückgewiesen. — Ist aus zwei Antragsdelikten geklagt und kann bezüglich des Einen der Antrag zurückgenommen

95 § 37.

werden, bezüglich des Anderen nicht, so hindert die Rücknahme des Antrags nur die Fortsetzung des Verfahrens in dem einen, nicht in dem andern Falle. RG I v. 5. Okt. 1899 (E XXXII S. 280/1).

6. Über d i e S t e l l u n g des A n t r a g s b e r e c h t i g t e n im S t r a f p r o z e s s e s. P §§ 169. 170. 414—434 (Privatklage des Antrags-berechtigten bei Beleidigung und ^orperverletzung). 435 íF. (Neben-klage desselben). 502 ff. (Tragung der Rosten).

Erste Unterabteilung. Die Voraussetzungen des Delikts.

I. Tanglichkeit des Subjekts. § 37. A. BegriflF der Handlnngs- insbes . der DeliktsfS.higkeit und der

Handlang. DeliktsfS,hisre ¡Subjekte (Kollegien? Jurist ische Personen ?)i H2 75-103 . B 4 0 - 4 6 . Sch 31. 32. M 21. 22. MI 18—20. 26. 28. Li 27. 28. 36. 37. G 70. 87. L 41. H 19—23. 30. W H . 47. 48. W V 53—55. 56 a. K 40—49. 57. Fi 37. 38. 43. 53. Schaper bei HH II S. 157-176. Ueyer bei HH IV S. 99 -107 . Bdg, N I I §§ 32 36. S. auch M o m m s e n , Rom. Strafr. S. 65 ff. — Historisch sehr verdienstlich L o e n i n g , Die Zurechnungslehre des Aristóteles. Jena 1903 (daza K r a u s , GS LXV 1905 S. 153—199; M, E. M a y e r , Z f. S t rRW XXVI 1906 S. 271 ff).

S t ü b e l , System des peinl. Rechts I I § 251 ff. — T h i b a u t , Beitráge S. 96 ff. — H a r s c h e r v. A l m e n d i n g e n , Dajstellung der rechtlichen Imputation. Giessen 1803.—• S t e l t z e r , Über den Willen. Leipzig 1817. — H e p p , Die Zurechnung auf dem Gebiete des Civilrechts. Tübingen 1838. — D e r s . , Über Delikte und Be-strafung moralischer Personen, in seinen Versuchen über einzelne Lehren der Strafrechtswissenschaft. Heidelberg 1827. S. 79—109, — S i n t e n i s , De delictis et poenis universitatum. Servestae 1825.— Z i e g 1 e r , Die Verbrechensunfáhigkeit juristischer Personen. Mitau 1842. — V o s , Utrum univevsitas delicta admittere atque puniri possit necne? Groningae 1867. — J e l l i n e k , Die Lehre von den Staatenverbindungen. Wien 1882, S. 49. 50. — v. K r i e s , De delictis universitatum. Diss. Berol. 1876.— G i e r k e , Die Genossen-schaftstheorie und die deutsche Rechtssprechung. Berlín 1887 S. 603 ff. 743 ff. — K a r l o w a bei Grünhut XV S. 427 ff. — V. K i r c h e n h e i m , Die Deliktsfáhigkeit von Verbandspersonen; GS 1888 S 251 ff. — B e r e n d e s , Delikt und Haftung der jurist. Person nach gemein. Recht. Diss. Würzburg 1891. — y. K r i w z o w , Beitr. z. Lehre v. d. jurist. Person nach rom. Recht I. Die Deliktsfáhigkeit der Gemeinde. Berlín 1893.— S. auch J e l l i n e k , Syst. d. off. Rechte S. 247. 245. — A. S c h m i d t , Von der Deliktsfáhigkeit der Sklaven nach rom. Recht. Leipzig 1873. — B e r n e r , Grundzüge der kriminalíst. Imputatíonslehre. Berlín 1843. — D e r s . , Theilnahme S. 173—178. — D e r s . , Grundsátze d. preuss. Strafrechts. Leipzig 1861 S. 5 9 - 7 3 . - T e i c h m a n n , StrRZ 1870 S. 199 ff. — G e s s l e r , Zur Lehre v,.. d. Zurechnungsfáhigkeit: GS 1870 S. 245 bis 274. — J e s s e n , Über Zurechnungsfáhigkeit. Kiel 1870. — v R o n n e , Die kriminalistísche Zurechnungsfáhigkeit. Berlín 1870.— W a h l b e r g , Prinzip der Individualisírung. Wien 1869. S. 61—98. — D e r s . , Grundzüge der strafrechtlichen Zurechnungslehre: Ge-sammelte Schríften I, Wien 1§75, S. 1 ff.; vgl. I I S. 211 ff". 287 ff. —

1 Wil l man die juristischen Personen am privátrechtlichen Verkehr Teil nehmen lassen, so kann man ihre Haftung kaum anders gestalten ala die der natürlichen Personen. Die Fáhigkeit zur privatrechtswidrigen Handlung und die Verpflichtung, dafür gleichermassen zu haften, wie die physische Personlichkeit, muss dann Anerkennung finden. Die L i te ra tur , die sien mit dieser rein privat-rechtlichen Fáhigkeit befasst, bleibt hier zur Seite.

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§ 37. 96

D e r 8., Handlung und Zufall im Sinne des Eeichsstrafgesetzes: das. l í í S. 230 flF. (ans Z f. S t r R W 11 S. 177 ff) — G o r i u g , Uber die menschliche Freiheit und Zurechnungsfáhigkeit. Leipzig 1876. — H o p p e , Die Zurechnungsfáhigkeit. Würzburg 1877. — S i g w a r t , Der Begriff des Wollens und sein Verháltnis zum Begriff der Ur-sache. Tübingen 1879. Auch íu dessen Kleinen Sehrifteu das. 1881 l í S. 113 íf". — B ü n g e r , Z f S t r R W V l í 1887 S. 80 íF. — D e r s . , Das. V I H 1888 S 520 ff. 601 ff. — M a c h , Die Willensfreiheit. der Mentschen. Paderborn u. Münster 1887. — K u n o F i s c h e r , Über die menschliche Freiheit. 3. Aufl. Heidelberg 1905. — Gej '^er , HRLex. s. V. Zurechuung I I I S. 1448 ff. — v. K r a f f t E b i n g , Grundzüge der Kriminalpsychologie. 2. Aufl. Erlangen 1882. — D e r s . , Lehrbuch der gerichtl. Psychopathologie. 3. Aufl. Stut tgart 1892. - D e r s bei H H IV S. 109—138. — D e r s . , HRLex. s. v. Zurechnungsfáhigkeit III S. 1454 ff.— D e r s . , Psychopathia sexualis. 12. Aufl. Stuttgart 1903. — M o l í , Die kontráre Sexualempfíndung. 3. Aufl. Berlin 1899. — D e r s . , Untersuch. über die libido sexualis. I. Berlin 1899. — K r a u s , Die. Psychologie des Verbrechens, Tübingen 1884. — S o m m e r , TJeber das Wesen u. die Bedeut der menschl. Freiheit. 2. Aufl. Berlin 1885. — M o e l i , Über irre Ver-brecher. Berlin 1888. — M . a u d s l e y , Zurechnungsfáhigkeit der Geisteskranken. Herausg. vou Rosenthal. Leipzig 1875. — S a u d e r u. R i c h t e r , Bezieh. zwischen Geistesstorung und Verbrechen. Berlin 1886 (dazu L i m a n , GS 1887 S. 81 ff.). — K r a u s so l d, Melancholie und Schuld. Stuttgart 1884. — S c h ü t z e in GA X X I 1873 S. 139 ff. — R o d e r , GS 1874 S. 1 ff. 81 ff. — B r u c k , Zur Lehre v. d. krimiual. Zurechnungsfáhigkeit. Breslau 1878. — H r e h o r o w i c z , Grundlagen und Gruudbegriffe des Strafrechts Dorpat 1880 S. 1 ff. — L a a s , Vergeltung und Zurechnung, Vierteljahrsschrift f. wissensch. Philosophie vou Aveuarius V S. 137 ff. 296 ft". 448 ff. VI S. 187 ff. 295 ff — H e y m a n s , das. VI I S. 95 ff. 193 ff. 341 ff. 438 ff. — J a n k a , Die Grundlagen der Strafschuld. Wien 1885. — S c h á f e r , Z f. S t rRW X V I S. 161 ff. — A. W a g n e r , Die Gesetzmássigkeit in den scheinbar willkurlichen menschlichen Handlungen. Leipzig 1864. — D r o b i s c h , Die moralische Statistik und die menschliche Willensfreiheit. Leipzig 1867. — v. O e t t i n g e n , Die Moralstatistik. 3. Aufl. Erlangen 1882. — v. M a y r , Die Gesetzmássigkeit im Gesellschaftsleben. Müuchen 1877. — v. R ü m e l i n , Reden und Aufsátze. Tübingen 1875. S. 1—31. 370—377. Neue Folge 1881 S. 37 ff. — P f e n n i n g e r , Grenzbestimmungen zur kriminal. Impu-tatiouslehre. Zürich 1892. — H e r r m a n n , Allgem. Zeitschr. f. Psychiatrie LI IL Berlin 1897. S. 806 ft'. — H o r n , Wille u. Willens-macht: GS L I 1895 S. 1 ff. 151 ff. 257 ff. - D e r s . . GS L i l i 1896 S. 56 ff. — D e r s . , GS LIV 1897 S. 321 ff.; L V 1898 S. 321 ff. — H u t h e r , d a s . L I V S . 8 6 f f . 2 6 0 f f . — H o r n , das. L X 1902 S. 284 ff. — v o n L i s z t , Die strafrechtl. Zurechnungsfáhigkeit: Z f. S t r R W X V I I 1896 S. 70 ft". — Dagegen v a n C a l k e r , D J Z I I 1897 S. 25 ff.; S t o o s s , Z f. Schweiz. StrR IX 1896 S. 471 ff.; L a m m a s c h , Z f. Schweiz. Strafr. X S. 244/5; D J Z I I I 1898 S. 92ff.; H o f l e r , Sieben Thesen zu . . . von Liszts Vortrag . . . Wien u. P rag 1897. — V L i s z t , Replik: Z f. S t r R W XVII I 1898 S. 229 ff. — Dagegen H o f l e r , Duplik, A. f. Kr-Anthr . I 1899 S. 189 ff — G r e t e n e r , Die Zurechnuugsfáh. ais Gesetzgebungsfrage. Mit bes. Eücks. auf den Schweiz. u. Russ. Strafgesetzentwurf. Berlin 1897. — Dagegen Z ü r c h e r , Z f. Schweiz. StrR X I 1898 S. 51 ff. — Dagegen G r e -t e n e r , Über dens. Gegenstand. Replik. Stuttg. 1899. — O l r i k , Z f. S t rRW XVITI 1898 S. 683 ff. — L i e p m a n n S. 19 ff. 86 ff. — A l i m e n a, I limiti e i modificatori dell' imputabilitá. I — I I I . Torino 1900. — R h o m b e r g , KorperschaftI. Verschulden. München 1899. — H a f t e r , Die Delicts- und Straffáhigkeit der Personen-verbáude. Berlin 1903 (dazu K l e i n f e l l e r , KrVJSchr LV 1904

97 § 37,

S. 195 ff.). — Z ü r c h e r , über dens. Gegenstand, Z f. Schweiz. StrR XVI 1900 S. 311 ff. — T r a e g e r , Wllle, Determinismus, Strafe. Berlin 1895.— P f i s t e r * , Die Willensfreiheit. Berlin 1903. — v. H i p p e l , Z f. S t rRW X X I I I 1903 S. 396 ft". — O f f u e r , Willensfreiheit, ..Zu-, rechnung und Verantwortung. Leipzig 1904. — W i n d e 1 b a n d, Über Willensfreiheit. Tüb. u. Leipzig 1904. — D e r s . , Norm u. Norraalitát, Mon.Schr. f. Krim.Psycii. III S. 1 ff. — v. R o h l a u d * , Dio Willensfreiheit u. ihre Gegner. Leipzig 1905 (dazu P e t e r s e n , Mon Schr. f. Krim.Psych. I I 1906 S. 658 ff.). — P e t e r s e n , Willensfreiheit, Moral u. Strafrecht. München 1905 (dazu K o h l r a u s c h , Mon.Schr. f. Krim.Psych. II 1906 S. 456 ff.). — D e r s . , ' Z f. S t r R W X X V I I 1907 S. 73 " ff. — S. auch E l s ' e n h a n s , Wesen und Eutstehung des Gewissens. Leipzig 1894; R é e , Die Eutstehung des Gewissens. Berlin 1885; O p p e n h e i m , Das Gewissen. Basel 1898; G e r -l a n d . Das Gewissen; GS LXV 1905 S. 262 ff.; G o l d s c h m i d t , Pflichtvorstell. ais Schuldvoraussetzung; GA LI 1904 S. 340 ff. — Über die Lehre des Materialismus von der Zurechnung s. B i n d i n g , K I I S. 11 ff. und bes. die Zusammenstellung auf S. 27 í í r . 46; über das Verháltnis der Ergebijisse der Moralstatistik zum Freiheits-problem das. S. 12—20; über die wichtigste Literatur bezüglich dieses Problems das. S. 1 ff. — Eine sehr sorgfáltigc Analyse des Handlungsbegriffs von falschcm Ausgangspunkte aus giebt Z i t e l -m a n n , Irr tum und Eechtsgescháft. Leipzig 1879. S. 29 ff. Vgl. über die Haudlung auch R a d b r u c h , Der Handlungsbegriff in s. Bedeutuug f. d. Strafrechtssystem. Berlin 1904; E l t z b a c h e r , Die Haudluugsfáhigkeit uach deutschem bürgerl. Recht. I. Berlin 1903. — Zu den angeführten Werken kommt noch die Li teratur über Psychologie, aus welcher für Juristen besonders hervorzuheben sind V o l k m a n n v. V o l k m a r , Lehrbuch der Psychologie, bes. Bd. I I , 2. Aufl. Kotheu 1885. S. 451—540 und W u n d t , Grundzüge der physiologischen Psychologie I I I (5. Aufl. Leipzig 1903) bes. S. 107 ff. 642 ft". S. auch W u n d t * , Ueber psycli. Causalitát und das Princip des psychophysisclien Paral lel ismus; in den Philos. Studien X 1894 S. 1 ff. — luteressant B a i n , The einotions aud the will. Third ed. London 1875. — Man vgl. auch S p i t t a , Die Willensbestimmungen und ihr Verháltnis zu den impulsiven Handlungen. Tübingen 1881; K ü l p e , Die Lehre vom Willeu in der neueren Psychologie, in den Philos. Studien V 1889; S c h w a r z , Psychologie des'JíVillens. Leipzig 1900. — Uumoglich ist es, hier die ganze neuere Literatur über das Freiheitsprobiem zu verzeichnen^

^ Die Handlungsfáliigkeit ist ein Begriff, der so Aveit reicht ais die Handlung im Rechtssinne. Sie ist notig zu jedem Regierungsakt wie zu jedem Rechts-gescháfte des ijffentlichen und privaten Rechts : die Deliktsfáhigkeit bildet nur eiuen Zweig derselben. Sie ist begrifflich ais F á h i g k e i t zu r e c h t l i c h b e -d e u t s a r a e r H a n d l u n g etwas wesentlich Anderes ais das Verstándnis für die Straferdvildung a l s L e i d e n , hat also mit der Strafe gar nichts zu tun, Zu welch uugeheuerlichen Ergebuissen moderner Radikalismus in volliger Verleugnung jeder tieferen wissenschaftlichen Ergründung juristischer Anschaiiungsweisen wie menschlicher Seelenvorgánge selbst m unserem Vaterlande führt,Qzeigt der citirte Vortrag v. L i s z t s , gehalten auf dem Münchener Psychologen-Kongress. Gegen dies ganze Treiben, das sich bei uus freilich noch kaum je in ÉO erschreckender Nacktheit prostituirt hat, im Ñamen deutscher Reehtswissenschaft Protest zu er-heben, ist leider uuumgánglich geworden. Ich erliebe ihn einfach dadurch, dass ich den Verfasser reden lasse. „Zurechuungsfáhigkeit bedeutet demnacli die Empfánglichkeit für die durch die Strafe bezweckte Motivsetzung" (S. 76). Ob dabei an die Motivirung durch die S t r a f d r o h u n g oder durch den S t r a f -v o l l z u g gedacht wird, bleibt an dieser Stelle dunkel. v. L i s z t meint damit auch die Motivirung durch die Strafdrohung (s Z f. S t rRW X V I I I S 252, bes. aber 257). In demselben Augenblick müsste er Kenntnis der Strafdrohung zur

Bind ing , Strafiecht. Grundriss. 7. Aufl. 7

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§ 37. 98

Beachtlich RG IV v. 10. Jan . 96 (E X X V I Í I S. 105: „Ein sog-. Korperschaftsdelikt kerint das deutsche Strafrecht nicht." Vgl. auch E G I I I V. 3. Mai 1900 (das. S. 261 ff).

Über die gemindert Zurechnungsfáhigen s. u . A. W e i n g a r t , Die vermind. Zurechnungsfáhigkeit^, Z f. S t r E W I X 1899 S. 133 ff.;

Voraussetzung der Zurechnungsfáhigkeit machen — eine Konsequenz, die v. L. we i t -von der Hand weist. In jenem Vortrage aber legt er den Accent auf die Motivirbarkeit durcli den S t r a f v o l l z u g . Freilich diess Erfordernis der Zu rechnungsfáhigkeit u a c h der Ta t ist áusserst seltsam: denn Avir brauchen sie doch b e i der Tat . v. L. V e r w e c h s e l t d a s E r f o r d e r n i s d e r E m p f á n g -l i c h k e i t f ü r d a s S t r a f ü b e l m i t d e r Z u r e c h n u n g s f á h i g k e i t u n d k o n -f u n d i r t a u s s e r d e m n o c h E m p f á n g i i c h k e i t f ü r d i e S t r a f e m i t M o t i v i r b a r k e i t d e s S t r á f l i n g s d u T c h d i e S t r a f e . Diess sind aber gauz heterogene ü i n g e . Der zum Tode Verurteilte kann die ganze Furchtbarkeit der Strafe empfinden: aber motivirt solí er dui-ch die Strafe gewiss nicht werden.

Aus seiner Begriffsverwirrung zieht nun v. L. die Konsequenzen. Der uu-verbesserliche Verbrecter empfindet natürlich das Strafübel wie der verbesser-liche, aber hinterher stellt er sich ais durch die Strafe nicht motivirt dar : er ist also nach v. L i s z t zur Zeit der Strafverbüssung unzurechnungsfáhig (S. 77). Ergebnis : „Die Unterscheidung zwischen der Sicherungsstrafe ge^en unverbesser-licne Verbrecher und der Verwahrung gemeingefáhrlicher Greistaskranken ist nicht nur praktisch im wesentlichen undurchfuhrbar, sie ist auch grundsátzlich zu verwerfen". Somit gehort also nach alien Forderungen der Gerechtigkeit der Gewohnheitsverbrecher ins I r renhaus! ,„Aber das Werturtei l des V o l k e s wird in erster Linie nicht durch die antisoziale Bedeutung der T a t , sondern durch die überlieferten individualethischen Anschauüngen bestimmt" (S. 82). Das Volk verlangt zweifellos „die Scheidung von Verbrechen und Wahns inn , von Zucht-haus und Irrenanstalt . D i e s e r l a t s a c h e m u s s d e r G e s e t z g e b e r E e c h ' n u n g t r a g e n " (S. 82). Er muss also bewusst unverantwortliches ijnrecht wider Kraiike begehen. Und so kommt der Gewohnheitsverbrecher doch — iris „Zucht-haug". Aber in ein Zuchthaus der Liebe, in eine Státte „des Geistes wohl-woUender Milde, fürsorgeuder Pflege" (S. 84). Und dem Gewohnheitsverbrecher Averden wir „das Brandmal nicht mehr auf die Stirne brennen" (S. 84).

Diese abscheuliche Komodie aber , wonach falscher Volksanschauung zu Liebe ein Irrenhaus Zuchthaus genannt , jedoch ais Irrenhaus verwaltet wird, solí der deutsche Gesetzgeber anordnen, solleu deutsche Eichter und Voll-streckungsbeamcen aufführen! Welche Zumutung! Da lobe ich mir das ver-blendete „Volk" mit seinem gesunden tiefen Gefühle des Mitleids mit dem Geisteskranken und des Abscheus vor der Geissel der Menschheit, dem verrohten Gewohnheitsverbrecher! Interessant wáre aber zu wissen, wieweit die Internationale kriminalistische Vereinigung dieses t)ogma vom Zuchthaua der Liebe für den routinirten Bravo und die gefürchteten Glieder einer Eáuberbande zu dem ihrigen macht! Bei ihren Schandtaten waren diese rückfáliigen Gesellen doch volT zurechnungsfáhig, und sendet maú sie auf das Schafot oder in ein Zuchthaus der Strenge, so werden sie für Beides grade so empfánglich sein, wie für das Zuchthaus der Liebe. Nur werden ihnen jene Strafen unangenehmer fallen, ais diese wolwollende Milde. Und das ist doch wol der Zweck der Strafe. Die' Milde aber werden sie innerlich verlachen. Ob nicht auch dei'en Apostel?

Ich habe diesen Protest sehr ungem und nur notgedrungen érhoben. So leichter Behandlung darf aber das tiefste und zugleich praktisch bedeutsamste der Btrafrechtlichen Probleme schlechterdings nicht ünterzogen werden!

Über die Wirkung dieses Protestes auf v. L i s z t s. die für ihn hoch charakteristische „Eeplik" in der Z f. S t r E W X V I I I 1898 S. 229 ff., die übrigens nicht nur gegen mich gerichtet ist. Sie zeigt die gleiche Feindschaft gegen alie Gründlichkeit und die gleiche Neigung zu volltonenden Sátzeu mit schillernder Bedeutung wie der Vortrag. So entoehrt sie des wissenschaftlichen Wertes grade wie er. Aber psychologisch interessant ist sie. Sie zeigt, wie das Maass eigener Wertschátzung nicht immer identisch ist mit dem Wer te der Léistung, wobei sie sich áussert , und beweist , dass jene Schátzung bei dem Verf. der Keplik eine H(5he erreicht hat, die Avir Alie bestaunen, um die ihn aber Keiner beneidet! —

99 § 3 8 .

H ü b b e , Die strafrechtl. Behandl. der Aerniind. Zurechnungsfáhigkeit. Breslau 1902; K a h l , Gutachten f. d. Deutsch. Juristentag, Verhandl. des XXVII . Deutschen Juristeutags I 1904 S. 137 ff: F i n g e r , GS L X I V 1904 S. 257 ff..; G o t t s c h a l k , Materialien z. Lehre v. d. Acrminderten Zurechnungsfáhigkeit. Berlin 1904: H a f t e r , Monatsschr. f Krim -Psychol. I 1905 Si 77 ff.; H o e g e 1 das. 333 ff.; K r a e p e l i n das. S. 277 ff.; L o n g a r d das. I I I S. 87 ff.: O e t k e r MdJkrV XI I 1905 S. 58 ff.

B . Wegfall der Deliktsfáhigkeit. H^ 95—103. B 47—49. Sch, 32. M 23. MI 21—25. 35. Li 38. W V 55. F i 39—41. Vgl. auch v a n S A v i n d e r e n , GA X X X 1882 S. 439 ff.

Vgl. die Literaturangaben zu § 37. S. auch H e r z o g , Strafb. u. Straflos. im Sinne der §5 51 ff. des StrGBs . . . , GS 1886 S. 342 ff. — Dazu kommt die Literatur über forensische Medizin, soAveit sie sich mit der Frage der Zurechnung bescháftigt. S. bes. C a s p e r , Handbuch der gerichtlichen Medizin. 2 Bde. 9. Aufl. von S c h m i d t -m a n n . L Berlin 1905. IIL Das. 1906. — L i m a n , Zweifelhafte Geisteszustánde Aor Gericht. Berlin 1869. — v. K r a f f t - E b i n g , Beitráge zur Erkennung und forens. Beurteilung krankhafter Gemütszustánde. Erlangeu 1872. — S k r z e c k a , Die Geisteskrank-lieiten im Verháltnis zur Zurechnungslehre: bei H H I I S. 219^—266; vgl. das. IV S. 109 ff. — S c h w a r t z e , Die Bewusstlosigkeits-zustánde ais Strafavisschliessungsgründe. Tüb. 1878. — W h a r t o n , A treatise on mental unsoundness. Philadelphia 1873 (dazu die Anzeige von v. B a r bei Grünhut I I 1875 S. 1 ff.). — M ü l l e r , Psychopathologie des Bewusstseins Leipzig 1889. — M a s c h k a , Handbuch der gerichtlichen Medizin I—IV. Tübingen 1881—1882. — V. H o f m a n n , Lehrbuch der gerichtl. Medizin. 8 Aufl. Wien u. Leipzig 1893. — T h u e m m e l , GS X L V I I I 1893 S. 334ff. — H i t z i g , Über den Quárulantenwahnsinn. Leipzig 1895. — F l e c h s i g , Die Grenzen geistiger Gesundheit u. Krankheit . Leipzig 1896. — S t r a s s m a n n , Lehrb. der gerichtl. Medizin. Stuttg. 1895. — K r a e p e l i n , Psychiatrie I u. l i . 7. Aufl. Leipz. 1903/4. — C r a m e r , Gerichtliche Psychiatrie. 3. Aufl. Jena 1903. — H o c h e , Handb. der gerichtl. Psychiatr ie , unter Mitwirkg. A'. A s c h a f f e n b u r g , S c h u l t z e , W o U e n b e r g , Berlin 1901. — I Ib e r g , Die strafrechtl. Bedeutung der Epilepsie: Z f. S t r E W X X I 1900 S. 440 ff. — T h i e r r y , De la responsabilité atténuée. Par is 1891. — S t o r r i u g , Vorles. über Psychopathologie. Leipzig 1900. — P f i s t e r . Strafrechtl.-psychiatr. Gutachten. Stut tgart 1902. — K o v a l e s k y , La Psychologie criminelle. I Paris 1903. — S o m m e r , Kriminalpsychologie u. strafrechtl. Psychologie. Leipzig 1904. (Dazu F i n g e r GS L X V S. 209 ff.) — B i n s w a n g e r und S i e m e r l i n g , Lehrbuch der Psychiatrie. Jena 1904. — H. G r o s s , Kriminal-Psychologie. Leipzig 1905. — S. auch W i 11 e , Z f. Schweiz. S t rE I I I S. 1 ff.

1. Wegren nnentwickelter Schuldfahigkelt (Jugend und Taub-stummheit). GB §§ 55. 56. 58. 173. MGB § 50 („Bei Bestrafung militárischer Verbrechen oder Vergehen ist die Erkennung der

gedrohten Strafe unabhángig von dem Alter des Táters"). — 44. 45. G 72. H 24—26. K 51. H H I I S. 159—165. — D e

Ueber das Hin und Her ungenügend durchdachter L i s z t ' s c h e r Einfálle, die auf Beseitigung des ganzen Strafrechts hinauslaufen, Aváhrend ihrem Urheber A"or diesem Ergebniss selbst bangt u. er sich deshalb stets zu den unmoglichsten „Kompromissen" bereit erklárt , s. B i r k m e y e r * , W a s bleibt nach A-. Liszt A'on dem Strafrecht übrig? München 1906. Wie matt und kleinlaut klingt dagegen V. L i s t ' s Erwiderung in der Z f. S t r E W XXVII 1907 S. 213 ff.!

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§ 38. 100

J o u g e , De miuore aetate noxiam et poenam vel tolleute vel mmuente. Trajecti ad Ehen. 1839. — K i t k a , ANF 1834 S. 117 íF. - M i t t e r m a i e r , das. 1841 S 155 flF. — v. E g i d y , das. 1855 S. 63ff. — W i l d e in GA VI 1858 S. 433ff. — E n g e l k e u s , Spec quo enarrantur, quae de imputatione ad poenam propter aetatis defectum . . . legibus inveuiuntur constituta. Groningae 1834. — Fra ser , Quatenus in criminibus imputandis aetatis deíin-quentium habenda sit ratio. Amstelodami 1844. — Goldschmid t* , Von der Verptlichtuug der Unmündigen: im Archi\- für civil. Praxis 1856 Bd. 39 S. 440 ff. {„Die Deliktsíáh. der Unmündigen"). — V. Meyendor f f , Einfiuss des jugendlichen Alters auf.die straf-rechtliche Zurechnung. Zürich 1862. — S c h w a r z e , Über don Satz: Malitia supplet aetatem, GS 1868 S. 434ff. — v. H o l t z e n -dorff, GS 1874 S. 401 ff. — Sch\\^arze, das. S. 486 ff. — De rs., SGZ XVI 1872 S, 289ff. — U l l m a n n , bei Grünh. 111 S 293 ff. — B a u m e r t , Über die Zurechnungsfáhigkeit und Bestraíung jugendlicher Personen. Breslau 1877. — V i l l n o w , GS 1885 S. 152 ff". (Personen unter 14 Jahren ais Táter nach StrGB § 176 n. 3?). — L o m b r o s o , Das Verbrechen(!) in den Kinderjahren, GA XXXII S. 1 ff. — A s c h r o t t , Die Behandl. der verwahrlosten u. verbrcch. Jugend. Berlín 1892. — A p p e l i u s , Die Behandl. jug. Verbrecher u. verwahrloster Kinder. Berlin 1892. — L e n z ,

" Die Zwangserztehung in England. Stuttgart 1894. — S c h m o l d e r , GS XLIX 1894 S. 157 ff. — F i n g e r , das. 8. 202 ff". — Nico l a -don i , Z f. StrRW XVI 1896 S. 354ff. (dagegen Z u c k e r , bei Grünhut XXIII S. 661 ff.). — v. S l u p e c k i , Die Lehre v. d. jugendl. Verbrechern. Tübingen 1896. — Zucker , Über die Strafmünd, jugendl. Personen; Grünhut XXIII 1896 S. 6&1 ff. — Ders . , Über Schuld u. Strafe der jugendlichen Verbrecher. Stuttgart 1899. — B o n n e f o y , De la surdi-mutité au point de vue civil et criminel, en droit franjáis et en droit comparé. These. Paris 1899. — A. B e r g e r , Jugendschutz u Jugend-besserung. I (XIV u. 928 SS.). Leipz. 1897. — K e i l , Denkschr. des Zentralausscbusses f. innere Mission über landesgesetzl. liegel der Zwangserziehung ; Z f. StrRW XVIII 1898 S. 704 ff. — H. Sch mid t , Die z. Erkenntnis der Strafb. erforderliche Ein-sicht. Diss. Barmen 1902. — F u c h s , Das Problem der Straf-. mündigkeit u. die deutsche Strafgesetzgebuu^. Breslau 1906. — S. auch J a m e s S u l l y , Untersuch. iíber die Kindhéit. Über-setzt V. S t impf l . Leipz. 1897.

Bezüglich d e r J u g e n d bestimmte

1. d a s r o m i s c h e R e c h t : a. I n f a n t e s , Kinder unter 7 Jah ren sind deliktsunfahig. S. 1 5 § 2 D ad leg. Aquil. 9, 2 ; I 23 D de furtis 47, 2 ; 1 10 § 1 D de alien, judicii mutandi causa 4 , 7 ; 1 55 i. f. D de fideicommiss. libert, 40, 5 : in parvulis autem nuUa deprehen-ditur culpa; 1 12 D ad leg. Cornel. de sicariis 48, 8 : M o d e s t i n u s . Infans vel furiosus si hominem occiderint, lege Cornelia non tenentur, cum alterum innocentia consilii tuetur, alterum fati infelicitas excusat. b. Bezüglich der i m p ú b e r e s (7—14 resp. 12 J.) unterschied es sinnreich: a. hinsichtlich gewisser Del ik te , z. B, des falsum und wahrscheinlich alier schweren Verbrechen, gallen sie ais deliktsunfahig. S. 1 22 pr. D de lege Cornel. de fals. 48, 10. P a u l u s : Impuberem in hoc edictum (se. Libonianum) incidere dicendum non est, quoniam falsi crimine vix possit teneri , cum dolus malus in eam aetatem non cadit;^ 1 1 § 4 C de falsa moneta 9, 24 ; I 7 C de poenis 9, 57. — d. Bei den übrigen Delikten, namentlich furtum und injuria, entschied

101 § 38.

die individuelle Reife des Taters. Wurde dieser doli vel culpae capax befunden (s. dazu Bdg, N II S. 281 Nr. 348), so haftete er genau wie der pubes. Dabei galt es ais ein Indiz mehr für vorhandene Zurechnungsfáhigkeit, wenn der Tater pubertati proximus war. Náhere Angaben zur Feststellung dieses rein relativen BegriíFes fehlen. Am wenigsten ist man berechtigt , wie Viele seit A c c u r s i u s gewoUt haben, die Zeit zwischen vollendeter infantia und erreichter pubertas zu halbiren (lOVa und 9V2 J a h r ) , und dann die in der zweiten Hülfie stehenden Personen ais pubertati proximi zu betrachten. (Über den pubertati proximus vgl. W a c h t e r , Lehrbuch I S. 116 íf.; V. S a v i g n y , System I I I S. 36 fF) Vgl. 1 111 pr. D de R. J . 50, 17 ; I 13 § 1 D de dolo 4, 3 ; 1 23 D de furtis 47, 2 ; 1 2 § 19 D vi bonor! raptor. 47, 8 ; 1 3 § 1 D de injuriis 47, 10; 1 5 § 2 D ad leg. Aquil. 9, 2 : U l p i a n . . . . quodsi impubes id (scil. damnum) fecerit, Labeo ait, quia furti tenetur, teneri et Aquilia eum: et hoc puto verum, si sit iam iniuriae capax. G r a i u s I I I § 208.

2. Das k a n o n i s c h e R e c h t behandelt die i n f a n t e s wie das romische. C l e m . un. de homicid. V 4 : Si furiosus aut infans aut dormiens hominem mutilet vel occidat, nullam ex hoc irregularitatem incurrit. Die impúberes gelten bezüglich keiner Verbrechen mehr ais absolut deliktsunfahig. Weist die Untersuchung des einzelnen Falles ihre Zurechnungsfáhigkeit nach , so wird — im Gegensatz zum romischen Rechte — die Strafe wegen ihrer Jugend gemildert. Can. 2 Causa 15 qu. 1 ; cap. 1 X de delictis puerorum 5, 2 3 : . . . quamvis in iis (scil. impuberibus) non ita ut in majoribus punienda videantur (scil. peccata).

3. Die K a r o l i n a A. 179 erkennt die Jugend ais Grund mog-licher Deliktsunfahigkeit an , ohne indessen nahere Bestimmungen darüber aufzustellen. Nur beim Diebstahl A. 164 solí das noch nicht vollendete 14. J a h r für beide Geschlechter gleichmassig strafmildernd wirken. „Wo aber der Dieb nahent bei viertzehen jaren alt wer, und der Diebstall . . . also, dass die bossheit das alter erfüllen mocht", da darf volle Strafe eintreten. Diese Satzung ist selbstverstandlich per analogiam auch auf die andern Verbrechen zu übertragen.

4. So galt nach f r ü h e r e m g e m e i n e n R e c h t e : a. Deliktsunfahigkeit der infantes; b. bei Kindern unter 14 Jahren muss im einzelnen Falle ihre Handlungsfahigkeit festgestellt werden; c. den Deliquenten unter 14 Jahren triíFt mildere Strafe, es müsste denn bei pubertati proximi die Intensitat des dolus den Altersmangel ersetzen.

5. Die n e u e r e n S t r a f g e s e t z b ü c h e r halten fast alie darán fest, eine Altersgrenze zu fixiren, bis zu welcher die Jugend ais deliktsunfahig gilt , schwanken aber zwischen vollendetem 8., 10., 12. und 14. (so z. B. Sachsen) Jahre . Nur der Code penal A. iSQ ^ das preuss. S t rGB § 42 und das bayerische von 1861 A. 76 kennen íeider kcine absolute Deliktsunfahigkeit der J u g e n d , auch nicht für das jüngste Al ter , vielmehr muss bis zum voUendeten 16. J a h r e die Zurechnungsfáhigkeit in jedem einzelnen Falle untersucht werden. Die Freisprechung wegen mangelnden Unterscheidungsvermogens (discernement) schliesst Polizeimassregeln (z. B. Unterbringung in eine

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§ 39. 102 1 Besserungsanstalt) nicht aus. Ist -das UnterscheidungsvermOgen ais vorhanden festgestellt, so tr í t t -Strafmilderung ein.

6. Ubér das geltende Recht s. d. Vorlesung. Uber die Berechnung des Lebensalters nicht a momento ad

momentum, sondern mit voller Einrechnung des Tages der Geburt RG I I I V. 16. Dez. 1901 (E X X X V S. 37 ff).

Uber die Gründe, warum die absolute Unfahigkeit zu Delikten frtiher zu enden pflegt ais die zu Rechtsgeschaften, s. Bdg, N I I S. 87. 88.

Die Fahigkei t zum Meineid tritt erst mit der Eidesmündigkeit (heute das vollendete 16. J ah r ) ein. Gut RG I I I vom 26. Marz 1881 (E IV S. 32 ÍF.). Schwer begreiflieher und ganz unzulanglich moti-vir ter Rücktr i t t von der Vichtigen Anschauung in dem Beschluss der Verein. Strafsenate v. 23. Mai 1903 (E X X X V S. 2 7 8 - 3 0 5 ! ) . — Vgl. auch unten zu § 43 a. E.

B G B § 828 spricht bei Personen zwischen 7 u. 18 Jahren von der „zur Erkenntn is der Verantwortl ichkeit erforderlichen Einsicht".

§ 39. 2. Wegen Torübergehend aufgreliobeiier Schnldfahigkeit. B. 47. 48. Sch 32. 42. G 71. 72. L 43. 44. H 13. 27. 42. K 52. 62. 75. . HH II S. 154—156. 167—169, vgl. 208—214.

V. K r a f f t - E b i n g , Die transitor. Storungen des Selbstbewusst-seins. Erlangen 1868. — Der s . , Psychopathologie S. 335 ff. — líber die actio libera in causa K a t z e n s t e i n , Die Straflos. der actio libera in causa (273 SS!) Dogmatisch unbeachtHch. Berlín 1901. — Über Trunkenbeit s. M i t t e r m a i e r , KA XII S. 1 ff.: a e y e r , llRLex. III S. 914 ff.; S c h w a r z e , GS 1881 S. 430 ft'.; H e i n z e, Eapport présente au IV congrés pénitentiaire intern ation al de St. Pétersbourg. Das. 1890. — Hi 11er, Solí die Trunksucht ais solche strafrechtlich verfolgt werden? (Aus den Verhandl. des XXI. deutschen Juristentags.) Berlin 1891. — Über den Schlaf s .Vo lke l t .D ie Traumphantasie. Stuttgart 1875; S p i t t a , Die Schlaf- und Traumzustánde der menschl. Seele. 2. Aufl. Tübingen 1882; R a d e s t o c k , Schlaf und Tráume. Leipzig 1879; G i e s s l e r , Aüs den Tiefen des Traumlebens. Halle 1890. — Über Hypnotismus s. bes. v. L i l i e n t h a l , Z f StrRW VII (1887) S. 281 S. (dazu R i e g e r , das. VIII S. 315ff.); Na vi l i e , GS 1887 S. 596.ff.; F o r e l , Der Hypnotismus. 3. Aufl. Stuttgart 181 5; Ders - , Zf. StrRW IX 1889 S. 131 ff.; G i l í e s de la T o u r e t t e , Der Hypnotismus . . . Mit Vorwort von C h a r c o t . Hamburg 1889; Mo l í , Der Hypnotismus. Berlin 1889; S c h m i d k u n z , Der Hypnotismus. Stuttg. 1892 (sehr bedenklich): Wundt* , Hypnotismus u. Suggestion. Leipáig 1892; H e b e r l e , Hypnose u. Suggestion im dentschen Strafrecht. München 1893; R á m i s c h , GA XLI 1893 S. 96ff.; LoAvenfeld, Der Hypnotismus. Wiesbaden 1901. Dazu Ortloff, GS LX 1902 S. 328 ff. — Vgl. auch P a r i s c h , Über die Trugwahrnehmung. Leipzig 1894.

I. Die Behandlung der T r u n k e n b e i t i m r o m i s c h e n R e c h t e ist aus den Quellen nicht zu erkennen. Die Stellen, welche beweisen sollen, sie habe hochstens einen Milderurigsgrund abgegeben, beweisen diess nicht. Denn die ebrietas in 1 11 § 2 D 48, 19 D e poenis: „Impetu (delinquitur) , cum per ebrietatem ad manus aut ad ferrum veni tur" ist nichts anderes ais der mit dem dolus noch vereinbare AfFekt. Ganz analog ist 1 6 § 7 D de re mil. 49, 16 zu deuten, wie schon die Zusammenstellung per vinum aut lasciviam beweist. Und

103 § 39.

in 1 12 pr. D de custodia reorum 48, 3 bildet das Entweichenlassen des Gefangenen per vinum aut desidiam custodis einen Fall der kul-posen actio libera in causa.

Das k a n o n i s c h e Recht schreitet von seinem sittUchen Stand-punkte aus wol gegen die Trunkenbei t selbst gleichsam ais delictum sui generis ein, rechnet g,ber die Ta t des Trunkenen selbst nicht zu. S. can. 7 (vgl. can. 9) Causa 15 qu. 1 : . . . Nesciunt quid loquantur, qui nimio vino indulgent; iacent sepulti ; ideoque, si qua per vinum deliquerint, apud sapientes iudices venia quidem facta donantur, sed levitatis damnantur auctores.

Auf anderem Standpunkte stehen die deutschen Rechtssprich-worter „Trunken gesündigt, nüchtern gebüsst" und „Trunken gestohlen, nüchtern gehangt"

11. Bezüglich der sog. a c t i o n e s l i b e r a e in causa sind besonders zu vergleichen WH* S. 397-410 und Bdg, N II S. 195-201.

1. Der richtigeu Ansicht folgen bes. F e u e r b a c h , Krit. des Kleinschrod. Entwurfs II S. 87 ff.; G r o l m a n , Grundsátze § 51 Aum. d; O e r s t e d , Grund-regeln S 243 ff.; T i t t m a n n , Handbuch I S. 59. 60. 168; H e n k e , Handbuch I S. 322. 323; V o l l g r a f f * , Vermischte Abhandl. l i S. 246; A b e g g , Lehrbuch S. 144, 3; B e r n e r , Teilnahme S. 157. 158; L u d e n , Abhandl. 11 S. 544. 545; Handbuch 1 S. 284. 285; H u f n a g e l , Kommeutar 1 S. 209. 210; B r e i d e n b a c h , Kommentar I S. 516—521; D o l l m a n n , Kommentar S. 427ff.; B e k k e r , Theorie I S. 373; Geye r , Ósterreichische Gerichtszeitung.1875 S. 150; M e y e r , Lehrbuch S. 129. 130; O l s h a u s e n zu § 51 Nr. 11; v. L i sz t , Lehrb. b. 164. 165; Merke l , Lehrbuch S. 92. 93; F i n g e r I S. 225.

2. Für Unnioglichkeit der Zurechnung in- alien Fallen der a. 1. i. c. sind; V. S a v i g n y , bei Go l tdammer , Materialien I S. 357; Temme , Preuss. Strafrecht I S. 178—180; H o che der , Kommentar I S. 325; S t e n g l e i u , Kommentar I S. 570; W e i s , Kommentar I S. 195; K r u g , Kommentar S. 164 ff.; O p p e n -hoff, Kommentar zu GB §51 Xr. 4; W a h l b e r g , Prinzip der Individualisirung S. 77. 78; K a t z e n s t e i n , Straflos. der a. 1. i. c, das. &. 48 ff.

3. Vermittelnde Meinungen sind zwar nicht undenkbar , aber a priori ais unhaltbar zu bezeichnen. Sie gingen dahin : a. Zurechnung des Geschehenen zur Fahrlassigkeit konne nicht stattfinden, wol aber zum Vorsatz, wenn sich jemand absichtlich, um das Verbrechen da-durch zu verüben, ip Unzurechnungsfahigkeit versetze; Sachs. Kr imGB von 1838 A. 67 = S.-Altenburg A. 6 7 ; thür. S t rGB A. 62 a. E . ; für diese Ansicht H e Id und S i e b d r a t , K r G B für d. K. Sachsen, 1848, S. 129; W e i s s , K r G B für d. K. Sachsen, 2. Aufl. S. 292; b . eine Zurechnung zum Vorsatze konne nie stattfinden, sondern hOchstens zur Fahrlassigkeit. So von den Neueren K o s t l i n , System I S. 144—147; G o l t d a m m e r , Materialien I S. 409 und 410, der aber auf dem Wege der Prasumtion die Zurechnung zum dolus zu retten sucht ; D o l l m a n n , Krit . Überschau I I S. 7 5 ; H a l s c h n e r , System I S. 116 (etwas abweichend d e r s . , Handbuch I S. 211 íF.); v. S c h w a r z e , Kommentar S. 224; S c h ü t z e , S. 93 Nr. 13. Bei den Anhangern dieser Ansicht spielt der Grund eine grosse Rolle, dass „durch die Unzurechnungsfahigkeit der Kausalzusammenhang des früher gefassten Entschlusses mit der Ta t auígehoben werde" . Diese Behauptung scheint mir aber gerade durch die gelungene Ausführung des geplanten Verbrechens schlagend widerlegt. — Der Grund der Haltlosigkeit dieser Mittelmeinungen liegt aber da r in : Verlegt man den Zei tpunkt

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40. 104 105 § 40.

der Verursachung in das Stadium der Zurechnungsunfahigkeit , so ist eben unzurechenbar, also weder dolos noch culpos verursacht worden. Dagegen einzuwenden, wenn sich jemand schuldhaft betrunken habe, konne das in der Trunkenhe i t Begangene doch wenigstens zur culpa zugerechnet werden, heisst zwei ganz verschiedene Tatbestande mit-einander vermischen; sich „scliuldhaft" betrinken ist kein Del ik t ; bezüglich der in der Trunkenhei t begangenen Rechtswidrigkeit fehlt j a abpr gerade das Moment der kulposen Verursachung. Nimmt man aber an , dass die Ursache zum Verbrechen gesetzt werde^ wárend die Handlungsfahigkeit noch vorhanden ist, so liegt kein Grund vor, die Bewusstlosigkeit im spateren Zeitpunkte zu berücksicht igen: denn diese bleibt für die Schuldfrage ausser Betracht. D e r Schuldfahige aber ist beider Schuldarten gleich fahig: und so muss Zurechnung zum Vorsatz geradeso statthaft sein wie solche zur Fahrlássigkeit .

4. Bezüglich BGB § 827 bin ich der Ansicht , dass das Gesetz der richtigen Auffassung (s. oben sub 1) in keiner Weise widerstreitet, dass es a'so sowol Zurechnung zu Vorsatz wie zu Fahrlássigkeit zulasst. j]s geht aber noch einen Schritt weiter und bestimmt, dass wenn sich jemand schuldhaft in bewusstlosen Zustand versetzt hat und in diesem Zustande einen Andern schadigt, er so haften solí, ais fíele ihm bezüglich der herbeigeführten Schadigung Fahrlássigkeit zur Last . M. E . unrichtig die vorletzte Aufl. S. 90.

I I I . Die ganze sog. actio libera in causa ist übrigens nur ein Ausschnitt der bisher so stark vernachlassigten Lehre vom „bedingten Verbrechen".

§ 39). B 64.

GB § 59. MI 30. 31.

§ 40. Vom Irrímne insbesondere (s. die Cítate bei Bdg, N I S. 88-96; 11 S. 412 ff. H^ 112—123. Li 40. WV.61._ Fi 45. 46. 47.

W e i l , Über die Begriffe „juris et facti ignorantia"; Zeitsclirift für Civilrecht und-Prozess NF XII 1855 S. 377—394 (manches sehr beachtenswert). —• v a n Pe l t , De ignorantia et errore in delictis. Gandavi 1826. — Henke I S. 329 íF. — H e f f t e r , Die strafrechtliclie Lehre von ignorantia und error; NA XII 1832 S. 130 ff. 253 ff. — G-eib, Über den Einfluss des Irrturas in Bezug auf das Objekt im Strafrecht: das. 1837 S. 561 ff.; 1838 S. 36 ff. — P f o t e n h a u e r , Der Einfluss des faktischen Irrtums und der sogen. Yerirrung auf die Straf b. vorsátzlich verübter Verbrechen. 2. Ab-teil. Leipzig 1838 und 1839. — Der s . , G-S 1861 S. 253-297. — L u d e n , Über den Tatbestand S. 294—332. — K r u g , Über die legislatorische Behandlung des Irrtums im Strafrechte und über Zurechnung im allgemeinen, in seinem Kommentar zum sáchsischen StrGB 4. Abteil. S. 188—227.— G e s s l e r , Über den Eechtsirrtum im Strafrecht: G-S 1858 S. 217 ff. 307 ff ; 1862 S. 232 ff. — Der s . , Zur Lehre von den Aberrationsfállen: das. 1863 S. 176—182. — B i e r e r , Über Aberration: GS 1860 S. 553 ff. - - H e i n z e * , Über den Einfluss des Rechtsirrtums im Strafrecht: das. 1861 S. 397 bis 449. — D r e n k m a n n , Über den Einfluss ,des Rechtsirrtums auf die rechtliche Beurteilung strafbarer Handlungen: in GA VIII ' 163—174. — Berne r , Grundsátze des preuas. Strafrechts S. 74 S bis 81. — G e y e r , Erorterungen über den allgemeinen Thatbestand der Verbrechen nach osterreich. Recht. Innsbruck 1862. S. 33—46. — W a l t h e r , Die Beurteilung der Aberrationsfálle in neuerer Zeit: KrYJSchr IV 1862 S. 523—543; vgl. dens. das. VI 1864 S. 217 ff. — Habe r l i n , Über den Irrtum im Strafrecht: GS 1865

Beilageheft. — Hassen steiu", Irrtum im Objekte und Aberration bei der Brandstiftung: GA 1871 S. 153 ff. — v. Bar , Kausal-zusammenhang. Leipzig 1871 S. 71 ff. — v. B u r i , Kausalzusammen-hang. Leipzig 1873 S. 82 ff. — Oetke r* , Über den Einfluss..des Rechtsirrtums im Strafrechte. Kassel 1876. — Or tmann , Über den Einfluss des Rechtsirrtums: GS 1877 S. 24j ff. (jerfelüt).

Bin din g, Handbuch I S. 691 ff.: „Die irrtümlich deliktischc Handlung." — H a m m e r e r , Der Einfluss des Rechtsirrtums auf die Bestrafung nach deutschem Reichsstrafrecht. München 1890. — A d l e r , Jhering. Jahrb. XXXIII 1893 S. 148ff. (civilistisch). — H e i n e m a n u , Zur Dogmengeschichte des Rechtsirrtums: Z f. StrRW XIII 1893 S. 371 ff. (weder objektiv, noch gründlich). — B i t t i n g e r , Zwei Fragen aus der Lehre v. Delikt ais rechtswidr. Handl. Diss. Aschaffenburg 1895. — v. B ü l o w , GA XLV 1897 S. 321 ff.; GS LIX 1901 S. 1 ff, — K a h n , Der ausserstrafrechtliche Rechtsirrthum. Breslau 1900. — R o s e n b l a t t , GS LXl 1902 S. Itt'. — K o h l r a u s c h , Irrtum und Schuldbegriíí im Strafrecht. I Berlin 1903 (s. dazu J. G o l d s c h m i d t , GA LI 1904 S. 340ff. — R o s e n b e r g , Z. Reform des § 59 StGB: Z f. StrRW. XXIII 1903 S. 217 ff. — M o t h e s , A f. KrA XII 1903 S. 229 ff. — B e r o l z -h e i m e r , Eutgeltung S. 289 ft'. — Al l f e ld , Die Bedeutung des Rechtsirrtums im Strafrecht. Rede. Leipzig 1904.— K o h l e r , Die Strafbarkeit bei Rechtsirrtum. München 1904. — S c h w e i / e r , Z. Lehre v. Irrt. im Strafrecht. Diss. Strassburg 1906. — Interessant, aber strafrechtlich unhaltbar bezügl. des Irrtums bei Polizeidelikten O. Mayer , Verwaltungsrecht I S. 323. — Vgl. auch Z i t e l m a n n , Irrtum und Rechtsgeschaft. Leipzig 1879. — Ungemein anregend für die Irrtumslehre haben zwei Rechtsfálle geAvirkt: der Fall R o s e -Rosa l und der Fall T h o m a s . S. über den ersteren das Urteil des Preuss. OTrib. v. 5. Mai 1859, boi GA VII S. 332ff. — B.ohlau*, Der Krimiualprosess Rose und Rosal. Weimar 1859. — Über den Einfluss des Irrtums im Objekt beim Mord und l)ei der Anstiftung und Hilfeleistung zu diesem Verbrechen (Fall Rose-Rosal): in GA VII S. 322—337. — H á l s c l m e r , Der Kriminalprozess gegeu Rose und Rosal: das. S. 433—450. — B o h l a u , Replik in Sachen wider Rose und Rosal: das. Vl.II S. 156—162. — S c h ü t z e , Nothwend. Theilnahme S. 265 ff. — Über den Fall Thomas s. bes. H á l s c h -ner in GA XXIV 1870 S. 1—12 imd Bdg, N II S. 436 ff., wo auch S. 437 Nr. 645 genauere Literaturangaben. — Vg]. auch die Literatur zur Schuldlelire (unten § 46 ff.), in welcher .ja der Ii-rtum stets mit-behandelt werden muss.

I: Dass die Romer für das Strafrecht den Satz error jur is nocet nicht anerkannt haben, dass vielmehr nach ihrer Auffassung vorhandener Rechtsirr tum jedenfalls den dolus ausschloss, ist nachzuweisen versucht bei Bdg, N I I S. 810—337. S. bes. 1 3 § 22 D de SCo Silaniano 29, 5 ; § 1 J vi bonor, raptor. 4, 2 •, 1 25 § 6 D de H. P. 5, 3 ; 1 3 C de his, qui sibi adscribunt 9, 2 3 ; 1 39 § 1 und 2 D ad leg. Ju l . de adulteriis 48, 5.

I I . Über den I r r tum nach kanon. R, s. bes. can. 12 Causa I quaestio 4 ; c, 2 in VI^o 1 , 2 . — Interess. über Rechtsirrtum und seine Wirksamkei t Augsb. Stadtrecht v. 127*) A. X X I I I Zusatz (ed. M e y e r S. 64. 05). — S. auch Z f. S t rRW V S. 225. 579. — Noch B e r l i c h wie C a r p z o v lassen die rom. ünterscheidung von error juris et facti ganz ausser Betracht. — Sehr charakteristisch für die Vermischung

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§ 40. 106

von Sach- und Beweisfrage K o c h , Instit . j u r . cr. 152: Ignorantia vero ju r i s in delictis regulari ter non excusat, sed afFectata censetur.

I I I . Auf keinem einzigen Gebiete ist die Praxis so rückstandig und erzeugt in Folge davon mehr ungerechte Urteile ais auf diesera. Freilich tragt die Theorie die Hauptschuld d a r á n ^ Ein Satz , den das gemeine Strafrecht nie gekannt ha t , der Satz error jur i s nocet, wird zum unanfechtbaren Axiom erhoben, obgleich ihn das GB § 59 (s, unten s. IV) ausdrücklich verwirft. Das j u s , dessen Unkenntnis schadet , wird angeblich gedacht ais das S t r a f g e s e t z ^ — in dieser Beschrankung ware der Satz richtig — ; in Wahrhei t umfasst es

j e d e n Rechtssatz, der bei Beurteilung einer Handlung auf ihre deliktische Qualitat überhaupt in Betracht kommen kann, insbes. auch die gesetzlichen Voraussetzungen deliktischen Handelns. I n d i e s e r A u s d e h n u n g w i r d d e r S a t z z u m G o t z e n , d e m k a l t b l ü t i g S c h u l d l o s e g e o p f e r t w e r d e n . Man vgl. beispielsweise die Zu-sammenstellung verfehlter Irr tums-Entscheid. des Keichsgerichts bei B i r k m e y e r , Z f. S t r R W X X I S. 614 u. 56. Lehrreich auch die kri t . Bemerk. von v. B ü l o w , GA X L V S. 321 ÍF. u. GS L I X S. 1 ÍF. Ganz besonders verhangnisvoll wirkt die immer noch fest-gehaltene Konfusion von Norm und Strafgesetz. Ebenso unwichtig wie der Irr tum über letzteres, ebenso ausschlaggebend ist die irrtüm-liche Nichtsubsumtion der Handlung unter der Norm, unter die sie fállt. S. auch K o h l r a u s c h , I r r tum S. 20 ; A l l f e l d , Bedeutung S. 40. Das urteilslose Festhalten an dem Satze error ju r i s nocet in der gerügten Ausdehnung ist um so unbegreif l icher, ais in den massenhaften Fal len; wo in den Reichsgesetzen die Normen voran-gehen und dann ihre vorsatzlichen Ubertretungen mit Strafe bedroht werden , das Gesetz einfach sagt, wer vorsatzlich dem Verbote (oder der Bestimmung) des § zuwiderhandel t , solí gestraft werden, also die Kenntnis der Norm ausdrücklich fordert. Recht verdienstlich K a h n , Der ausserstrafrechtliche Rechtsirrtum. Breslau 1900. Vgl . auch unten § 46.

Dass der I r r tum über die N o r m kein I r r tum über das S t r a f g e s e t z ist, erkennen an RG IV v. 21 . Febr . 1896; I v. 24. Nov. 1898 u. V. 15. Jan . 1900 (E X V I I I S. 195 ff.; X X X I S. 344 ff.; X X X I I I S. 72 ÍF.). — Handgreiflich deí' Widerspruch im Schlusssatze v. R G I I V. 2. Jun i 1896 (E X X V I I I S. 401. — Auf richtigem Wege IV v. 1. Juni 1897 (E X X X S. 135 ff.). In R G IV v. 8. Nov. 1901 (E X X X I V S. 418 ff.) wird m. E. nicht auf den entscheidenden P u n k t abgestelít. — Unrichtig R G I V v. 13. Jan . 1897; I I I v. 8. April 1897; I V. 4. Dez. 1899; IV v. 2. J an . 1900; I v. 10. Nov. 1902; IV v. 10. Márz 1903; I I v. 3. Mai 1904; IV v. 14. Febr . 1905 (E X X I X S. 312 ff; X X X S. 86 ff., X X X I I S. 417 ; X X X I I I S. 32 ff.; X X X V I

^ Man vgl. beispielsweise die vor kurzem erschienenen Ausführungen von M i r i c k a , Formen der Strafschuld, bes. S. 127, in ihrer abschreckenden Rück-stándigkeit. Dagegen wahrhaft woltuend die Worte H. S e u f f e r t s , Ein neues Strafgesetzbuch für Deutschland S. 37—39. Nur ist nicht ganz richtig, dass die heutige Herrschaft des Dogmas von der Unentschuldbarkeit des Strafrechts-irrtums hauptsáchlich von dem Finanz- u. Polizeistrañ'echt gekommen sei.

107 i? 40.

S. 5, 154; X X X V I I S. 141/2; 389 ff.). — Sehr eingehende und ver-dienstliche Kri t ik der reichsgerichtlichen Irr tums-Praxis übt K o h l r a u s c h , I rr tum S. 119 ff. Vgl. auch A l l f e l d , Bedeutung S. 34

N. 26.. IV. Das GB §' 59 sagt über den I r r t um: „Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das

Vorhandensein von Thatumstanden nicht kann te , welche zum gesetzlichen Thatbestande gehoren oder die Strafbarkei t erhohen, so sind ihm diese Umstande nicht zuzurechnen.

Bei der Bestrafung fahrlassig begangener Handlungen gilt diese Bestimmung nur insoweit, ais die Unkenntnis selbst nicht durch Fahr -lassigkeit verschuldet ist."

Was die Auslegung dieses Paragrafen anlangt , so ist zunachst vorauszuschicken, dass die allgemeinen Regeln des ersten Teils des StrGBs nie ais zwingende gedacht sind. Jede besondere Straf-drohung des gemeinen Rechts kann sich ihnen entziehen: nur solí sie darüber keine Unklarheit lassen, dass sie diess tut. Leider wird dieser Forderung nicht recht entsprochen. S o m i t g i e b t § 59 d i e R e g e l , s o w e i t d i e S o n d e r b e s t i m m u n g e n v o n i h r n i c h t a u s d r ü c k l i c h o d e r s t i l l s c h w e i g e n d a b w e i c h e n . Richtig auch K a h n a. a. O. S. 65. 66.

Lasst man diese Abweichungen zunachst bei Seite und bleibt bei der Regel stehen, so würde

1. eine strenge Wortauslegung behaupten müssen, dass § 59 nur von solchen Fallen sprache, wo die begangene Handlung trotz der Unkenntnis strafbar bliebe. Da aber das Gesetz vielfach straflose „sti;afbare Handlungen" kennt (so z. B. § 56), so ist auch hier an Handlungen zu denken, *die unter Voraussetzung vorhandenen Vorsatzes oder — in § 59, 2 —.vorhandener Fahrlassigkeit strafbar sein vvürden.

2. Der § 59 hat mit der ganzlich unbrauchbairen Unterschei-dung von R e c h t s i r r t u m und f a k t i s c h e m I r r t u m nichts zu tun. (Für das Gegenteil neuerdings wieder K o h l e r , Strafbarkei t S. 49 ff. Richtig F i n g e r I S. 246 ff., dessen gute Auslegung des § 59 sehr beachtlich ist.) Ihn darauf deuten, heisst ihn vergewaltigen und verderben,

a. Gegenüber der angeblichen Doppelart igkeit des I r r tums kennt er zweifellos nur e i n e A r t , weil nur e i n e n Gegenstand des Iri ' tums. Ihm zur Last legen, er habe die Halfte der Irrtumsfrage, nemlich den andern Gegenstand des I r r t u m s , bei Seite gelassen, ist Wi l lkür ! D a s G B w i l l i n § 59 d i e M a t e r i e d e s I r r t u m s i n s o w e i t v o l l s t á n d i g e r l e d i g e n .

b . Zu der Annahme der Einart igkei t des I r r tums bei Delikten wird aber auch d i e T h e o r i e , falls sie methodisch richtig vorgeht , unaufhaltsam gedrangt. Ein rechtlich bedeutsamer I r r tum b e i einer rechtswidrigen Handlung ist nur denkbar ais I r r tum zu-gleich ü b e r die rechtswidrige Handlung. Solcher I r r tum aber ist wieder identisch m i t d e m I r r t u m ü b e r i r g e n d e i n e s i h r e r w e s e n t l i c h e n M e r k m a l e . Sein einziges Objekt ist e i n H a n d -

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40. 108

l u n g s - o d e r T a t - M e r k m a l . De r von den Civilisten sog. I r r t u m i m M o t i v e ist bei der Deliktsbegehung sehr wol jmóglich: Jemand ver-greift sich etwa an dem Herankommenden, weil er ihn falschlich für seinen Nebenbuhler halt. Diese Verkennung kann aber nie etwas mehr bedeuten ais einen Strafzumessungsgrund. Glaubt jedoch der Handelnde falschlich, der Herankommende sei sein Landesherr und vergreift er sich deshaib an ihm, so liegt der I r r tum über ein wesent-liches Handlungsmerkmal vor, der gerade im ersten Beispiele fehlt.

c. Wenn nun Jemand seine Handlung in rechtlich bedeut-samen Merkmalen verkennt, so sieht er sie anders, ais die Norm od. das Strafgesetz sie sieht — anders ausgedrückt : e r s u b s u m i r t s i e n i c h t u n t e r d e n R e c h t s s a t z , d e r i h r g i l t , o d e r e r s u b s u m i r t s i e u n t e r e i n e n a n d e r n . Der einzig relevante I r r tum bei Delikten stellt sich somit in Wahrhei t ais S u b s u m t i o n s -i r r t u m dar.

Wie nach GB § 59, so ist also auch nach der Theorie der. straf-rechtlich allein in Betracht kommende I r r tum bei Delikten ein-art ig. So auch F i n g e r , I S. 239íf. Es fragt sich aber , ob das Gesetz den theoretisch allein moglichen Gegenstand des I r r tums richtig e rkannt ha t?

3. Das Gesetz spricht von der Unkenntnis vorhandener „ T a t u m s t a n d e " . Dass Tatumstand nicht identisch ist mit jedem „ F a k t u m " im Sinne der bisherigen Lehre vom faktischen Ir r tum, sollte man zu betonen nicht für notig, halten. Es ist aber leider doch erforderlich!

„ T a t " ist im heutigen Strafrecht regelmassig die abgekürzte Be-zeichnung der d e l i k t i s c h e n H a n d l u n g (s. GB §§ 68. 213. 243, 5. 250, 1. 257. 307). „ T a t u m s t a n d e " sind nicht die Umstande, unter denen die Tat verübt ist. Das Gesetz versteht darunter viel-mehr an den beiden Stellen, an denen es den Ausdruck allein gebraucht (§ 50 u. § 59), zweifellos r e c h t l i c h b e d e u t s a r a e E i g e n s c h a f t e n d e r H a n d l u n g , und zwar nur solche, die für ihre Strafbarkeit ins Gewicht fallen. In § 50 d i e s o g . p e r s o n l i c h e n S c h a r f u n g s -o d . M i l d e r u n g s - G r ü n d e ; auf § 59 ist gleich noch genauer ein-zugehen. Dass irgend eine rechtlich relevante Eigenschaft, etwa Vor-satz od. Fahrlassigkeit , vom Gesetze nicht zu den Tatumstanden ge-rechnet werde , lasst sich nicht nur nicht nachweisen, sondern nicht denken. D e r „ T a t b e s t a n d " i s t d i e S u m m e v o n „ T a t u m -s t a n d e n " .

Das Gesetz hat also den Gegenstand des allein relevanten I r r tums bei Delikten ganz richtig erkannt . D a r i n l i e g t e i n g a n z e m i n e n t e r F o r t s c h r i t t ! S t a t t i h n a b e r m i t G e n u g t u u n g z u b e g r ü s s e n , t u t m a n A l i e s , i h n z u v e r i e u g n e n .

4. Ein „Tatumstand" im Sinne des Gesetzes ist nicht die Strafbarkei t der Tat selbst. U n w i s s e n h e i t u n d I r r t u m b e z ü g l i c h d e s S t r a f g e s e t z e s a i s s o l c h e n u n d b e z ü g l i c h d e r S u b - -

1 Etwas euger nimmt GrB § 59, 1 den Tatbestaud, nemlich ais deu des ein-fachen, ungesoharften Deliktes,

109 § 40.

s u m t i o n d e r T a t u n t e r d a s S t r a f g e s e t z e n t b e h r e n s o m i t n a c h § 59 a l l e r B e d e u t u n g . Und die Theorie kann diess Er -gebniss nur billigen!

5. Dass ein Delikt nur auf Antrag od. mit Ermachtigung ver-folgt werden k a n n , ist eine Modalitat des Verfolgungsrechts, kein Tatumstand. Ebensowenig gehoren dahin alie strafbedingenden Tat-sachen, die jenseits des Delikts l iegen, z. B. die Verbürgung der Gegenseitigkeit.

6. Die echten „Tatumstande" teilt nun § 59 ein in solche, w e l c h e d i e o h n e s i e s c h o n v o r h a n d e n e S t r a f b a r k e i t e r -h o h e n (lies: scharfen), und in solche, w e l c h e z u m g e s e t z l i c h e n T a t b e s t a n d e g e h o r e n , das sind solche, bei deren Nichtvorhanden-sein die Handlung ais nicht strafbar erscheinen würde. Diese Unter-scheidung fállt keineswegs mit dem Gegensatze von Deliktsmerkmalen und Strafbarkeitsmerkmalen zusammen ís. oben § 33 u. Normen I § 29 S. 194 ff.). Ein Strafbarkeitsmerkn'al kann ebensowol ein zum gesetzlichen Tátbestand gehorender Tatumstand sein, wie z. B. die gewinnsüchtige Absicht bei der Sachenhehlerei (§ 259), ais einen Straferhohungsgrund abgeben, Ein Tatumstand bei der strafbaren vorsatzlichen Tótung eines Ascendenten ist z. B. das Verbotensein, die Vorsatzlichkeit, die Tüdlichkeit der Hand lung , die Ascendenten-qualitat des Getoteten. Der Rückfall ist ein straferh o hender Tatumstand. D e r d i e S t r a f b a r k e i t m i l d e r n d e n T a t u m s t a n d e g e d e n k t d a s G e s e t z n i c h t .

Nun bestimmt § 5 9 : a. Abgesehen von den fahrlassigen Handlungen kann ein

Tatumstand nicht zur Schuld zugerechnet werden, wenn ihn der Tater nicht gekannt hat. N i c h t d a s V o r h a n d e n s e i n d e s g e s e t z l i c h e n T a t b e s t a n d e s , s o n d e r n d i e K e n n t n i s d e s -s e l b e n s e i t e n s d e s T á t i g e n b e d i n g t d i e Z u r e c h e n b a r k e i t . I s t d e r s e i ' s v e r m e i d l i c h , s e i ' s u n v e r m e i d l i c h v e r k a n n t e T a t u m s t a n d e i n s o l c h e r , d e r z u m g e s e t z l i c h e n T á t b e s t a n d g e h ü r t , so t r i t t S t r a f l o s i g k e i t , i m a n d e r e n F a l l e d i e n i c h t e r h o h t e S t r a f e e i n \ Demnach würde also der vorsatzliche Delinquent , der seinen Vorsatz für Fahrlassigkeit hal t , wegen seiner Handlung straflos zu lassen, der Delinquent , der seinen prameditirten Vorsatz für Affekt hal t , mit der Strafe des prameditirten Delikts zu verschonen sein. Allein diese Resultate widerstreiten dem Vorsatzbegriff des Gesetzes und der Bestimmung des § 211. D i e S a t z u n g d e s § 59 , 1 i s t a l s o n i c h t a u f d e n T a t u m s t a n d v o r h a n d e n e r V o r s a t z l i c h k e i t u n d U b e r -l e g u n g m i t z u b e z i e h e n . Die Regel des § 59 duldet aber noch anderweite Ausnahmen, und zwar in alien Fallen, worin der Scharfungs-grund ganz objektiv gefasst und von des Taters Wissen unabhangig

1 Dócil ist nicht ausgeschlosseu, dass die nicbt erkannten Tatumstande sich noch zu einern geringeren Delikte zusammenschliessen. Obgleich der Táter die Tauglichkeit des Brandstiftungsobjektes verkannt hat, kann er wegen Sach-beschádigung straffállig bleiben.

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§ 40. 110

gestellt wird. Der Dieb, der seinen Rückfall verkennt, unterliegt doch den §§ 244. 245.

b. Bei Delikten, die auch im Falle falirlássiger Begehung bestraft werden (ungenau die Fassung des Gesetzes) tritt diese Nicht-zurechnung von verkannten strafbedingenden oder straferhOhenden Taturastanden nur insoweit eio, „als die Unkenntnis selbst nicht durch Fahrlaásigkeit verschuldet ist". D e r u n v e r z e i h l i c h e I r r t u m ü b e r e i n e n T a t u m s t a n d s c h l i e s s t a l s o d e n V o r s a t z s t e t s a u s , i s t a b e r n a c h dem G B d e r für d i e F a h r l a s s i g k e i t u n e n t b e h r l i c h e I r r t u m ^

c. Gerade weil das Gesetz von den die Strafe mildernden Tatumstanden schweigt, wird per argum'entum e contrario anzunehmen sein, dass ihre Unkenntnis die mildere Strafe in d e r R e g e l nicht ausschliessen solí. Die Regel wird aber überall da durch brochen, wo der Milderungsgrund zweifellos auf die Kenntnis von einem Sachverhalte gestützt wird. Die uneheliche Mutter, die ihr Kind für ehelich hált und totet, unterfallt also trotz § 59 dem § 217 nicht- die Ehefrau, die einen Fremden zu bestehlen glaubt, aber ihren Mann bestiehlt, ist dagegen nach § 247, 2 zu beurteilen.

Diese Satzungen unter a bis c beziehen sich keineswegs nur auf den Tater, sondern ebenso auf den Anstifter und den Gehülfen.

7. Nicht bestimmt das Gesetz, wie es zu verhalten statt bei de r i r r i g e n N i c h t a n n a h m e v o n v o r h a n d e n e n s t r a f b e d i n g e n d e n , s t r a f e r h o h e n d e n oder s t r a f m i n d e r n d e n T a t u m s t a n d e n , bei der i r r i g e n A n n a h m e des V o r h a n d e n s e i n s s o l c h e r n i c h t v o r h a n d e n e r T a t u m s t a n d e . Z. B. eine Mutter glaubt ihr uneheliches neugeborenes Kind zu toten, warend sie das altere eheliche Kind strangulirt. Ein Mann glaubt, seine Frau zu bestehlen, warend die entwandte Sache einem Dritten gehort. Da der Irrtum*, des Taters diese nichtvorhandenen Tatumstande nicht zu «rzeugen vermag, so kann nicht ohne Weiteres das von dem Irrenden «rwartete Gesetz auf ihn angewandt werden. Daraus aber die Unbe-achtlichkeit dieses Irrtums in alien .drei Gruppen von Fallen zu folgern (so die früheren Auflagen bis zur 5.), dürfte unberechtigt sein. Nimmt der Tater falschlich einen Milderungsgrund an, so wird zu scheiden sein: íindet das Gesetz den Grund der Privilegirung wie beim Kindesmord, dass ich so sage, in e i n e r T a t s a c h e d e s G e m ü t e s , so würde das mildere Gesetz — aber freilich nuv per analogiam — auch auf die Taterin anwendbar sein, der die Pfaffen eingeredet, ihr «heliches Kind sei unehelich, wie ja auch die irrtümliche Annahme der Notwehr die Freisprechung nach Analogie des § 53 begründen kann. Ist aber der Milderungsgrund rein objektiv gedacht, wie beim Diebstahl unter Ehegatten, so bleibt seine irrtümliche Annahme durch den Tater ohne alien Belang.

8. Das Zurechnen des §59 bedeutet keineswegs nur Zurechnen zur Schuld, sondern vielmehr auch Anrechnen bei der Strafe. Daher der Anfang ¿es Abs. 2 : „Bei der Bestrafung" u. s. w.

1 An tneiner früheren Fassung dieser Stelle hat Kohlrausch, Irrtam I iS. 17 Note 2 berechtigte Kritik geiiot.

111 §§ 41—43.

V. Auf ganz anderem und vei-altetem Standpunkt, namlich noch auf dera Boden der Unterscheidung tatsachlichen und rechtlichen Irrtums, steht das U r h e b e r g e s e t z vom 11. J u n i 1810 § 18 , das ja seine G'eltung noch nicht ganz eingebüsst hat. Aber es bestimmt wenigstens ausdrücklich, Avie es sich auch ganz von selbst versteht, dass jeder entschuldbare faktische wie rechtliche Irrtum Vorsatz und Fahrlassigkeit ausschliesst. — Alie Gerechtigkeit verleugnend V e r e i n s -z o l l g e s e t z v o m 1. J u l i 1869 § 1 6 3 : „Unbekanntschaft mit den Vorschriften dieses Gesetzes und der infolge derselben gehorig be-kannt geraachten Verwaltungsvorschriften solí niemand, auch nicht den Auslandern, zur Entschuldigung gereichen."

§ 41.

S 42.

3. Wog en dauernd aufgrehobener Sclmldfahigkeit. GrB § 51. — B 48. 49. G 72. L 43. H 41. 76. K 61. HH.II S. 165-167.

S. die Literatur zu § 37'und vor § 38.

4. Wegen Zwaiíg. GB § 52. — H^ 124. B 64. Sch 38. G 72. L 42. H 41. 76. WH 53. 55. K. 61. Fi 44. HH 11 S. 169-171.

k3 ü U H <l U U 1 , «_l U C i l i l e l l V l l g V j J i V i ^ j ^J1^^ I I € * • • - . - i ^ i v j ,

1889. — S. auch die Literatur im Lehrbuch I 2. Aufl. vor § 21 und zu § 22.

Bezüglich des phy sischeu Zwanges s. 1 13 § 7 D. ad 1. Jul. de adult. 48, 5 . . . ceterum, quae vim patitur, non est in ea causa, ut adulterii vel stupri damnetur. — Cap. 41 de R. J. in Sexto 5, 13: Imputari non debet ei, per quem non stat, si non faciat, quod per eum fuerit faciendum.

§ 43. C. Anderweite subjektire Erfordcrnisse. Die Schuldfahigkeit ist ein intellektuelles und moralisches Kapital,

dessen Mangel Deliktsunfahigkeit begründet. Das Gesetz kann aber zum tauglichen Subjekte noch ein mehreres fordern, und zwar ent-weder

1. e in b e s o n d e r e s L e b e n s a l t e r d e s T a t e r s a i s G e g e n -b e w e i s g e g e n d ie D e l i k t s u n f a h i g k e i t . Der unter 12 Jahre Alte gilt, mag er auch noch so frühreif sein, für absolut delikts-unfahig, der Verwandte oder Verschwágerte absteigender Linie unter 18 Jahren ais unfahig, am Incest Teil zu nehmen. S. GB §§ 55. 173, 4-,

2. d i e g e s e t z l i c h e F a h i g k e i t z u r V o r n a h m e d e r H a n d -l u n g , d u r c h d i e d a s V e r b r e c h e n n o t w e n d i g v e r ü b t w e r d e n muss . Nach GB § 161 ist bei jeder Verurteilung wegen Meineides auf dauernde Unfáhigkeit ais Zeuge oder Sachverstandiger eidlich vernommen zu werden zu erkennen. Die Satzung ist nicht zweck-massig. S. Lehrbuch II S. 146. Der gesetzlich zum eidlichen Zeug-nis Unfahige wird aber natürlich auch unfahig zum Meineid. Sein Eid ist kein Eid. Richtig H a l s c h n e r II S. 911 und M e r k e l , Lehrb. S. 406 gegen RG I vom 23. Febr. 1880 (E I S. 217. 218), O l s h a u s e n zu § 153 n. 3» und F r a n k , Komm. S. 212.

Das Analoge gilt natürlich für den Eidesunmündigen (StrPrÜ § 56, 1). A. M. O l s h a u s e n zu § 153 n. 3 ^ Richtig RG III v.

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§ 44. 112

26. Marz 1881 (E IV S. 32 ff.); F r a n k a. a. O. ; F i n g e r I S. 218 N. 301. In beiden Beziehungen unrichtig M e y e r S. 618/9,

3. S t e l l u n g i n e i n e m b e s t i m r a t e n L e b e n s k r e i s e , a n d e s s e n G l i e d e r g e r a d e d i e N o r m a d r e s s i r t i s t , Nur diese Mitglieder, die Deutschen, die Beamten, die Militarpersonen, die See-manner, die Gewerbetreibenden sind dann taugliche „Tater" (s. oben S. 76. 77);

4. e i n e b e s o n d e r e p e r s o n l i c h e E i g e n s c h a f t , vielleicht e i n p e r s o n l i c h e s V e r h a l t n i s z u m A n g e g r i f f e n e n (nur die uneheliche Mutter ist tauglich zum Kindesmord, nur der Descendent taugUch zum Ascendententotschlag), oder vielleicht d i e Q u a l i t a t e i n e s S c b u l d n e r s , d e r s e i n e ^ ^ l a h i u n g e n e i n g e s t e l l t h a t oder ü b e r d e s s e n V e r m o g e n K o n k u r s e r k a n n t i s t . Ohne diese Eigenschaft ist der Schuldner untaugliches Subjekt des Bankrot t-verbrechens. S. Lehrbuch I 2. Aufl. S. 429/30. Interessant u. zu-treíFend über die Unfáh. eínes Minderjahr. , der ohne vormundschaftl. Genehmigung ein kaufmannisches Geschaft betrieben ha t , zum Bankrot t nach K O § 240 Nr. 4 RG Feriensenat v. 8. Sept. 1903 (E X X X V I S. 357 íf.). Vgl. auch RG I V v. 17. Okt. 1904 (E X X X V I I I S. 260 ff.)-.'

§ 44. I I . Tauglichkeit des Angriffsobjektes. B 60. 51. M 4. MI 4. 5. Li 13. Eiiio genaue Untersuchuiig des verbrecherischeu Angriffsobjektes bei B i n d i n g , Normen I § 43. 44. 49—51. S. auch Oppenh.eim, Die Objekte des Verbrecheiis. Basel 1894 ^ Ferner W a g n e r , Z. Lehre v. den Objekten des Verbrechens, insbes. . . . die Vermogens-delikte. Diss. Erl. 1897 u. D o e r r , Über das Objekt bel den strafb. AngriíFen auf vermogensrechtl. Interessen (!). Breslau 1897 (leider nicht. sehr forderlich!).

Über den Begriff des Eechtbgutes s. bes. H e r t z , Unrecht I S. 15 flP. 55 ff. 106 ff; K e s s l e r , Einwilligung S. 48ff.: ders . , GS. 1886 S. 561 ff.; 1. 87 S. 94ff.; 18h8 S. 580 ffi; U l l m a n n das. 1885 S. 529 ff.; V. L i s z t , Z f. StrEW VI S. 672 ff.; VIII S. 133ff.; B ü n g e r , das. S. 666 ff.; F i n g e r , GS 1888 S. 139 ff.; Z i e b a r t h , Forstrecht S. 321. Vgl. auch G a r é i s , EncykL S. 157 ff. u. M e r k e l , Encykl. § 267 ft.

I. Alie Delikte laufen gleichmássig wider die Normen, die sie verbieten. Insoweit sind sie Normwidrígkei ten, Unbotmassigkeiten. W i r sprechen etwas genauer , wenn wir statt dessen das G e h o r -s a r a s - R e c h t d e s S t a a t e s und die G e h o r s a m s p f l i e h t s e i n e r U n t e r t a n e n ais verletzt bezeichnen; wir sprechen etwas ungenauer von der V e r l e t z u n g d e r R e c h t s o r d n u n g oder des S t a a t e s tiberhaupt. Allein damit werden keine weiteren Angriffsobjekte des Verbrechens bezeichnet (s. aber O p p e n h e i m S. 155).

I I . Die Verletzungs- und die Gefahrdungsverbote untersagen aber entweder bestimmte Angriffe auf s u b j e k t i v e R e c h t e (das Eigen-tumsrecht , die Urheberrechte u. s. w.) oder aber auf sog. R e c h t s -

1 Diese in Vielem sehr verdienstliche Schrift komplizirt die Lehre vom Verbrechensobjekt mehr ais gut und erforderlich ist. Wenn S. 155 für jedes Verbrechen 12 Objekte anführt, so dáucht mir das viel zu viel, oder wenn ich auf die Záhlungsweise des Verf. eingehe, viel zu wenig.

113 § 45.

g ü t e r . Weitaus die meisten und schwersten Verbrechen sind Ver-letzungen oder Gefáhrdungen nur von Rechtsgütern. Aber auch da, wo dem Delikt der Angriff auf ein anderes subjektives Recht ais das auf Botmassigkeit wesentlich ist, kann der Angriff auf das subjektive Recht nur durch einen solchen auf Rechtsgüter vollzogen werden. S o i s t d a s R e c h t s g u t d a s p r i n z i p a l e V e r b r e c h e n s o b j e k t .

Ilf. R e c h t s g u t i s t n u n a l i e s , w a s s e l b s t k e i n R e c h t d o c h in d e n A u g e n d e s G e s e t z g e b e r s a i s B e d i n g u n g g e -s u n d e n L e b e n s d e r R e c h t s g e m e i n s c h a f t f ü r d i e s e v o n W e r t i s t , a n d e s s e n u n v e r í i n d e r t e r u n d u n g e s t o r t e r E r -h a l t u n g s i e n a c h s e i n e r A i i s i c h t e i n I n t e r e s s e h a t , u n d d a s e r d e s i i a l b d u r c h s e i n e N o r m e n v o r u n e r w ü n s c h t e r V e r l e t z u n g o d e r G e f a h r d u n g z u s i c h e r n b e s t r e b t i s t . Die Rechtsgüter bestehen in grosser Zahl und grosser Mannigfaltig-keit. Rechtsgüter sind alie Gegenstánde dinglicher Rechte, sind Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre , Personenstand, die rechtlichen Fáhigkei ten der Einzelnen; ein Rechtsgut ist der Besitz, ist die E'chtheit der Ur-k u n d e , ist das Leben des Staates ebenso wie seine territoriale und verfassungsmassige Integritát . Angriffsobjekt ist nicht „das Interesse" am Gut, sondern das Gut selbst.

Der verbrecherische Angriff gilt stets einem odor mehreren k o n -k r e t e n Rechtsgütern, einem individuellen Leben , einer bestimmten Sache. Ais solcher allein kann er auch nur verboten werden. Indem die für Theorie wie Gesetzgebung gleich unentbehrliche generalisirende Betrachtung ganz oder teihveise gleicher Verbrechensvorgánge auch zur Generalisirung der Bezeichnung der Verbrechensobjekte vor-schreitet, tritt an Stelle des individuellen Lebens und Eigentums d a s Leben und d a s Eigentum, an Stelle der konkreten echten Urkunde die Echtheit der Urkunde überhaupt. Diese Verallgemeinerung aber ist ofter mehr bequem ais genau. Jedenfalls muss man sich vor dem Glauben hüten, durch sie ware ein nenes Verbrechensobjekt gefunden. Ihm verfallt O p p e n h e i m (s. bes. S. 15 1 ff. 2 5 5 ff), der diese Abstracta ais die Angriffsobjekte xav s^ox^v bezeichnet, sie die wahren „S c h u t z o b j e k t e " nennt und sie den „ H a n d l u n g s o b j e k t e n " entgegensetzt.

Aber durchaus richtig ist, dass das Objekt , a n w e l c h e m die verbotene Handlung begangen wird — wie beispielsweise bel der Ent-führung nach § 237 die Einwilli.g-ende —, nicht immer das ist, g e g e n d a s sie sich r ichtet : das Angriffsobjekt bildet in diesem Falle der Wille der Eltern oder des Vormundes.

§ 45. I I I . Tauglichkpit des Aiigriffsmittels. B 110. Bdg, N I §§ 52. 63. Über Gefahr u. Gefahrdung s. bes. S t ü b e l * , Über gefáhrl.

Handhingen, NA VIII S. 263 ff; W a n j e c k , GS 1879 S. Ift^; Ro-t e r i n g , GA XXXI (1883) S. 266 ff.; D e r s , Polizeiübertretungen, S. 7ff.; S i e b e n h a a r , Z f. StrEW IV S. 245 ff.; v. K r i e s , Objek-tive Moglichkeit. Leipzig 1888; v. E o h l a n d * , Die Gefahr im Strafrecht. 2. Aufl. Dorpat u. Leipzig 1888; H á l s c h n e r , D. Strafrecht 1 S. 45 ff, II S. 593 ff.; v. B u r i , GS. 1888 S 503ff; F i n g e r . Der Begriff der Gefahr u. s. Anwendung im Strafrecht. Prag 1889; Bu sen, Gefahr u. Gefáhrdungsvorsatz i. d. Dogmat.

B i n d i n g , Strafrecht. Orundriss. 7. Aufl. 8

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§ 4 5 . 114

des modera. Strafrechts. Leipz. 1897; R o t e r i n g Ju r Viertel-jahrsschr. XXX. Wien 1898. S. 89 ff.; D e r s . , (>efahr u. Ge-fáhrdung im B G E ; Arch. f. Bürg. R X X I I 1903 S. 22 ff — M i r í c k a , Strafschuld, bes. S. 77 ff; 140 ff.; 134 ff. — Vgl. ferner B i n d i n g , Lehrb. I I S. 1 ff. — 8. auch M e r k e l , Strafrecht S. 42 ff. S. 351ff.

I. Die Angriffsdelikte wider Rechtsgüter und Rechte zerfallen in Verletzungs- und Gefahrdungsdelikte. V e r l e t z u n g i s t V e r n i c h -t u n g o d e r B e s c h a d i g u n g , G e f a h r d u n g i s t n u r E r s c h ü t t e -r u n g d e r D a s e i n s g e w i s s h e i t d e s g e f a h r d e t e n G u t e s . Ihr Hohepunkt liegt in dem labilen Gleichgewicht zwischen den positiven und negativen Bedingungen des schadlichen Erfolges, sofern unsere Erfahrung eine Storung desselben zu Gunsten der positiven Bedingungen besorgen lasst. G e m e i n g e f a h r ist die Gefahr des Ein-tritts einer allgemeinen Verletzung.

IL Nun versteht sich ganz von selbst: das Verbot der Verletzung resp. Gefahrdung bedeutet Verbot der Anwendung aller zur Verletzung resp. Gefahrdung tauglichen Mittel, zugleich aber Nicht-verbot aller untauglichen Mittel. So kann jedes Verbrechen nur mit einer geschlossenen Zahl von Mitteln begangen werden. AUein es koramt vor, dass das Strafgesetz die ausschliesslichen Mittel der Ver-brechensbegehung selbst namhaft macht. Es schafft dann „die Ver-brechen mit gesetzlich geschlossenen Mitteln", zu denen eine Anzahl der Verletzungs-, interessanter Weise aber alie Gefáhrdungsverbrechen gehoren (s. Normen I S. 384 n. 32). Ais solche exklusive Mittel be-gegnen besonders oft die G e w a l t , die D r o h u n g in ihren ver-schiedenen Abstufungen, die L i s t , die T a u s c h ung. Ist bei alien Verbrechen der Gegensatz von t a u g l i c h e n und u n t a u g l i c h e n Mitteln notwendig, so wird die Grenze zwischen beiden in diesen Fallen durch das Gesetz bestimmt gezogen.

IIL Recht interessant über die Mittel der Sympathie RG I v. 21. Juni 1900 (E XXXIII S. 321 ÍF.).

Zweite Unterabteilung. Die verbrecherische Handlung.

Erstes Kapitel. Die Schuldseite des Verbrechens.

G r r o l m a n n * , Über die Begriffe von dolus und culpa: Bibl. für peinliclie Rechtswissenschaft I St. 1, 1797, S. 1—50; St. 3. 1799, S. 7 4 - 9 4 . — F e u e v -b a c h * , Betrachtungen über dolus und culpa überhaupt und den dol. indir. insbes. : das. U St. 1, 1800, S. 193-243. Vgl. F e u e r b a c h , Krit . über Klein-schrod I S. 8 ff.; bes. aber I I S. 39—100; D e r s . , Revisión I I S. 4 8 - 6 6 . — K l e i n s c h r o d * , Grundbegriffe und Grrundwahrheiteu des peinl. Rechts. 3. Aufl. Erlangeu 1805. I S. 96ff. — K l e i n , A I 2 1798 S. 5 9 - 6 6 ; I I 1 S. 179—285; III 1 S. 119—136. — O e r s t e d , Grundregeln S. 225-319. — M i e b e l l t , De doli et culpae in jure criminali notionibus. Berol. 1824. — W i n s s i n g e r , Quaeuam sit differentia inter delicca dolosa et culposa? Bruxellis 1824. — M e n s i n g d e L a u r e t t e , Diss. de dolo et culpa. Lugd. 1830. — B a u e r , Abhandl. aus dem Strafreclit I. G-ottingen 1840. S. 245ff. — B e r n e r , Imputationslehre S. 174 bis 294. — D e r s . , Die Lehre von der Teilnahme am Verbrechen und die neuereu Kontroversen über dolus und culpa. Berlin 1847. S. 47—161. — L u d e n , That-bestand S. 501—573. — K r u g , Über dolus und culpa und insbes. über den Be-griff der unbestimmten Absicht. Leipzig 1854. — Z a n i , Del dolo e della colpa in materia pénale. Mirándola 1868. — B i n d i n g , N I I §§ 37—44. 50 —73. —

1 115 § 46.

O r t l o f f GS 1883 S. 401 ff. — D e r s . , Die Strafbarkeits-Erkenutniss ais Scliuld-voraussetzung. Marburg 1891. - D e r s . , Z f. S t rRW XIV 1894 S. 161ff.; 301 ft'. — D e r s . , GS L i l i 1897 S. 301 ff. - K á r c h e r , GS 1883 S. 221 ff. — L u c a s , Die subiektive Verschuldung im heutigen deutschen Strafrechte. Berlin 1883 (dagegen F u c h s , GS 1884 S. Iff.; Replik v. L u c a s , GS 1884 S. 401 ff.). — B ü n " - e r , Über Vorstellung und Wille, ais Elemente der subjekt. Verschuldung, Z f. á t r R W VI 1886 S. 291ff. — H e i n e m a n n , Die Bindingsche Schuldlehre (aus den Abhandl. des krim. Seminars zu Marburg Herausg. von v. L i s z t . P'rei-burg 1889. Nach Thema, Ton, Anlage und Ausführung das Muster einer Seminar-abhandlung, wie sie nicht sein solí!). — L i e p m a n n , Die Entsteh. des Schuldbegriffs. Diss. Danz ig l891 . — D e r s - , Z f. S t rRW XIV 1894 S. 446ff. - K u h l e n b e c k , Der Schuldbegriff ais Einheit v. Wille u. Vorstellung in ursáchl. Bezieh. z. Ver-antwortlichkeitserfolg. Leipz. 1892, — L o f f 1er , Die Schuldformen des Strafrechts in vergleichend-historischer u. dogmat. Darstellung. I 1. Leipzig 1895 (dazu V. B u r i , GS LI I 1896 S. 209ff.; B e l i n g , SavZ X V I I G S. 191 ff.). — E n a - e l m a n n , Die Schuldlehre der Postglossatoren u. ihre Fortentwickluug. Leipzig 1895 (dazu L o e n i n g , KrVJSchr X X X V I I I 1896 S.226ff.) — T h y r é n * , Abhandl. aus d. Strafrecht u. der Rechtsphilosophie. I I . Über Dolus u. Culpa 1. Lund 1896. — B a s e d o w , Die strafrechtl. Verschuld. ein Willensvorgang mit dem Bewussts. einer Nórmwidr. des Handluugserfolges. Diss. Hamburg 1899. — L i e p m a n n , S. 114ff. — M. E. M a y e r , Die schuldhafte Handlung u. ihre Arten im Strafrecht. Leipz. 1901 (darüber S c h u p p e , Goett. gelehrte Anzeigen 1902 S. 176 ff. — S t u r m , Die strafrechtl. Verschuldung. Breslau 1902. — v. H i p p e l , Die Grenze A on Vorsatz und Fahrláss. Leipzig 1903 (dazu K o h l r a u s c h , Z f. S t rRW X X I V 1904 S. 749 ff). — M i r i c k a , Die Formen der Strafschuld u. ihre ge-setzl. Reselung. Leipzig 1903 (dazu H a f t e r , Schweiz. Z f. Strafr. XVI I I S. 115 ff. — R a d b r u c h , Über den Schuldbegriff; Z f. S t rRW X X I V 1904 S. 333ff. — v a n C a l k e r , Ethische Wer te im Strafrecht. Berlin 1904 S. 26ff. — G r a f z u D o h n a , Die Elem. des Schuldbegriffs: GS LXV 1905 S. 304ff. — B i e r l i n g , Jurist . Prinzipienlehre. I I I . Tüb. 1905 S. 237 ff. — Über Schuldprásumtionen im heutigen Recht s, bes. B i n d i n g , Normen I I S. 605—622; S c h m i d , Die Prá-sumptionen im deutschen Reichsstrafrecht. Diss. Jena 1884. Vgl. über die praes. doli auch die Bibl. f. peinl. Rechtswissensch. I St. 2 S. 70 ff, — L o r e n z, Dolus und culpa bei Polizeiübertretungen: Z f; GGeb. u. Rechtspfleg. in Bayern IX.1862 S. 66 ff. — H á l s c h n e r , über-dens. Gegenst. , GS 1865 S. 321 ff. — L o o s , Über den dolus bei Übertretungen: StRZ 1870 S. 323ff. — W e i n g a r t , Uber Anwendung der allgem. Grundsátze von dolus und culpa, sowie von Rechtsirrtum auf die Übertretungen. Dresden 1879. Separatabdruck aus SGZ 1879. — R o t e r i n g , GA X X X I S, 350 ff. und Polizeiübertretungen S, 1 ff. — S. ferner R u p p , Modem. Recht u. Verschuldung. Tübiugen 1880 (teil-weise sehr verfehlt). — Vgl. auch M. V o i g t , Über den Sedeutungswechsel gewisser, die Zurechuung . . . bezeichn, techn. latein. Ausdrücke. Aus den Abhandl. der k. sáchs. Gesellsch. der Wissensch. Bd. X V I S. Iff.; K r a u s , Das Motiv, Z f. S t rRW XVII 1897 S. 467 ff.; T h o m s e n , Untersuch. über den Begriff des Verbrechensmotivs. München 1902; M e i s s n e r , Motive u. Gesinnung im Strafrecht. Diss. Strassburg i. E. 1903. — S. auch Z e i t i e r , Strafe ohne Schuld im deutschen Reichsstrafgesetzbuch. Diss. Für th 1899.

S 46. I . Die Deliktschuld und ilire Arten. M 24. MI 27. Li 36, L 33, 34, W H 58, W V 56 c. F i 42. H H I I S. 176—179. B d g , N I I §§ 37. 39. M o m m s e n , Rom. Strafr. S, 85 ff,

I, Der Gattungsbegriff der S c h u l d ais „des auf eine Widerrecht-lichkeit gerichteten Willens eines Handlungsfahigen" (so Bdg, N II S. 102 103; vgl. L u d e n , Handbuch I §31), ais „der Kausalitát des rechtsverletzenden Willens" (so T r e n d e l e n b u r g , Naturrecht, 2. Aufl. S. 135), aus welchem Begriffe allein die Schuldarten abgeleitet werden konnen, ist bisher ungebührlich vernachlassigt. — Im romischen Recht wird Schuld mit culpa (im w. S.) und mit injuria bezeichnet. Vgl.

L

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f 46. 116

z. B. G a i u s I I I § 2 1 1 : Injuria autem occidere intellegítur, cuius dolo aut culpa id acciderit.

I I . Die grosse Verflachung der Schuldlehre seit H e g e l hat zwei G r ü n d e : 1. D i e A n g s t v o r d e r S t r a f l o s i g k e i t d e s D e l i n q u e n t e n . Ihr Hauptargument ist die angebliehe Unbeachtlichkeit des Rechtsirrtums. S. oben § 40. Daraus folgert s ie, dass zum rechts-widrigen Vorsatz B e w u s s t s e i n d e r R e c h t s w i d r i g k e i t nicht gehoren konne. Niemand hat auf diese hassliehe Verkümmerung des Schuld-, insbes. des VorsatzbegrifFs energischer und erfolgreicher hin-gewirkt , ais K o s t l i n . Damit ist zum ersten Male ein Begriff ge-fíilscht worden, der durch die Jahrhunder te bis tief hinein in das 19. Jahrhunder t wesentlich unverandert festgehalten worden ist. Wenn hie und da der Anschein erweckt werden solí, dass das Erfordernis des Bewusstseins der Rechtsvvidrigkeit ein neu aufgestelltes sei (ge-schichtlich einfach verblüffend v. L i s z t , 10. u. U.Auf l . , S, 158j \ so kann das nur den der Geschichte des Strafrechts ganz Unkundigen táuschen. Die alteste und lange Zeit die einzig anerkannte Scliuld war überall der r e c h t s w i d r i g e V o r s a t z , die bewusste Auflehnung gegen Recht und Frieden. Dann schied man aus dem „Ungefahr-W e r k " (^= dem Werke ohne va re , absque dolo) die P'ahrlassigkeit aus : die unbewusste Schuld trat neben die bewusste, und an dieser fundaraentalen Zweiteilung, die so tief gefasst und so fest begründet ist, hat man dann unverbrüchlich bis ins 19. Jahrhunder t festgehalten. Giebt es doch auch unter dem Gesichtspunkte der Strafwürdigung gar keinen tiefer greifenden Gegensatz ais d e n z w i s c h e n b e w u s s t e r u n d u n b e w u s s t e r A u f l e h n u n g g e g e n d a s R e c J i t !

Ersetzt man ihn durch den Gegensatz b e w u s s t e r u n d u n b e w u s s t e r H e r b e i f ü h r u n g d e s s c h á d l i c h e n E r f o l g s , so kann man dies — will man die Schuld nicht vollstandig eliminiren — nur, weil man sich diesen Erfolg ais einen gemeinschadlichen — im Mode-Jargon ais einen antisozialen — vorstellt und annimmt, wer ihn be-wusst verursacht habe, habe seine Gemeinschadlichkeit auch erkannt . Man langt so bei Aufstellung einer modernen praesumtio dolí an.

Wenn man dann gar , wie dies neuerdings vertreten worden ist ( M i r i c k a ) , das ganze Handeln mit B e w u s s t s e i n a u c h n u r d e r M o g l i c h k e i t e i n e s s c h a d i i c h e n E r f o l g s zur „bewussten Schuld" rechnet , so mündet man allerdings auf eine geradezu aben-teuerliche Zweiteilung der Schuld!

2. Den zweiten jener Gründe bildet d i e A b n e i g u n g g e g e n d e n S c h u l d b e g r i f f . Die Leugner der Schuld konnen sie auch nicht bestimmen. Die ganze materialistische Weltauffassung ist darauf a u s , aus dem Schuldbegriff des positiven Rechts das Schuldmoment moglichst zu eliminiren. Und sie tut dies nicht ohne praktischen Erfolg — durch die Anhanger der fundamental entgegengesetzten An-schauung unter 1 aufs Ausgiebigste unterstützt.

1 Die Forderung des'Bewusstseins der Reclitswídrigkeit trate „zu der ge-meineu Meiuung aller Zeiten in den schárfsteu Widerspruch". Welche Tiefe geschichtlicher Kenntniss verrat nicht dieser kleine Satz! In der ueusteu Auf lage ist er Avolweislich gestrichen.

117 47.

Sehr gelegen kommt den Gegnern der Schuld, dass die alten guten termini technici v a r e , g e v e r l i c h , d o l u s , d o l ó s e ausser Übung gekommen und tatsáchíich durch den ganz farblosen Ausdruck V o r s a t z ersetzt worden sind. Da Alies „vorsátzlich" getan werden kann, hort dann der Vorsatz scheinbar auf, ein durch die Rechtswidrigkeit seines Willensinhaltes spezifisch gefarbter Deliktswille zu sein. Man vergisst eben, dass die Bezeichnung nicht „Vorsatz", sondern „rechtsw¡driger Vorsatz" lautet , und dann kann jeraand gerade so gut „vorsátzlich" dichten wie morden! Der Gefangnisdirektor entlásst „vorsatzlich" den Gefangenen, dessen Strafzeit er zu Unrecht für verbüsst ansieht!

Der Sprachgebrauch des Dilettanten wird wieder von dem Juris ten ais kanonisch angenommen!

§ 47. I I . Der Vorsatz bei Delikten (dolus malus). H' 127—136. B 66—70. Seh 39. M. 25. MI 29. Li 39—41. WV 57. 58 G 93-95. L 35—37. H 32—36. 99-107. K. 58. 59. 70. 72—75. Fi 46. 48. 50. Scliaper bei HH I[ S. 18:3—214.

Celsus B a r g a l i u s , De doto libri VI. Hanoviae 1604. 822 S. folio. — R o s e n d a e l , De dolo in delictis. Lugd. Batav. 1817 (un-bedeutend). — M i t t e r m a i e r , NA II 1818 S. 515 íF. — W á c h t e r , Zur uáhereu Bestimmuug des DolusbegriíFs: GS 1864 S. 56 ft". — H e r r m a n n * , Über Absicht und Vorsatz überlxaupt und über un-bestimmte u. indir. Absicht insbesondere; ANF 1856 S. 1 íF. 44111'. — O s e n b r ü g g e u , Abhandlung aus dem deutscheu Strafreclit 1. Erlangen 1857. — R u b o , Quae sit doli natura? 1857.— v. W i e k , Beitráge zur richt. Auffassung des Vorsatzes: ANF 1857 S. 572 ff.; de rs . , GS 1860 S. 124—150;..ders., Über Vorsatz und Absicht. Rostock 1866. — G e s s l e r , Über den Begriff und die Arten des dolus. Tübingeu 1860. — Ge ve r , Erorterungcn über den allgem. Thatbestand. Innsbruck 1862..S. 1—3.; de r s . , HRLex. s. v. dolus I S. 654ff — V. W á c h t e r * , Über dip bona fides. Leipzig 1871. — Bruns* , Das Wesen der bona íideg bei der Ersitzung. Berl. 1872. — P e r n i c e , Labeo II. 2. Aufl. bes. S. 134ff. — Ders . , SavZ XVII R S. 205 ff. — L a n g e m e i j er , Premeditatie. Academisch proefschrift. Leiden 1882. — He i t z , Das Wesen des Vorsatzes im heut. gem. deutschen Strafrechte. Diss. Strassburg 1885. — V. B u r i , GS XLI 1889 S. 401 ff. — Koh 1er, Studien I S. 67 ff. — F r a n k , Vorstellung und Wille in der modernen Doluslehre; Z f. StrRW X 1890 S. 169 ff. — v. B u r i , Vorstellung ttud Wille; GS XLIII 1890 S. 241 ff. — H o r u , Die Vorstelluugstheorie; GA XLIII 1895 S. 214ff. — v. H i p p e l , Die Vorstelluugstheorie (aus Festgabe f. R e g e l s b e r g e r ) . Gott. 1901. S. 353 ff. — Ders . , Dio Grenze von Vorsatz und Fahrlássigkeit. Leipzig 1903. — Da-gegen v. W e i n r i c h , Z f. StrRW XXVI 1906 S. 17ü ff. — S t o o s s , Z f. Schweiz. StrR XII 1«99 S. 1 ff. — H a u s e r , GS LVI 1897 S. Itt'.; 161 ff. — H u t h e r , GS LVI 1899 S. 241 ff.; LVIIl 1901 S. 270 ff". — H a g e n , Z.f. StrRW XIX 1899 S. 159tt". — K l e e , Z. Lehre v. strafrechtl. Vorsatz. Breslau 1897. — B u s c h , Gefahr u. Gefálirdungsvorsatz i. d Dogmat. des modernen Strafrechts. Leipz. 1897. — B ü h r i n g , Ueber die Grenze zwischen Vorsatz und sog. bewusster Fahrlássigkeit. Diss. Freiburg i. Br. 1899. — v. R o b lan d, Willenstheorie und Vorstellungstheorie im Strafrecht. Freiburg i. Br. 1904. — S toosS , Z. Natur des dol. indir., Grünhut XXXI 1904 S. 1 ff. — K l e e , Der dolus indirectas ais Grundform der vorsátzlichen Schuld? Berlin 1906. — Weitere Literatur zu íinden bei Bdg, N II 391 Nr 641. S. auch die Literatur zu § 40. — Auf den sog. d o l u s g e n e r a l i s oder den d o l u s e v e n t u a l i s beziehen sich ausser der vor § 46 angeführteu Schrift von K r u g

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§ 47. 118

die Abhandluugen von W a l t h e r , KrV V 1863 S. 231 tf.; V[ S. 224 íF.; S c l i w a r z e iu QA X S. 217—226. 326—336; X I I ¡«í. 325—334; K r u g , das. X S. 714—744; H á b e r l i n , das. X I S. 541—544; V. B u r i , das. S. 753—765. 797—806; X I I S. 3 bis 10; XIV S. 608-616. 717-728 ; G e y e r , das. XI I I S. 239 bis 246. 313—323 (auch Kleiue Schrift. S. 108 ff.); G o l t d a m m e r , das. X V I S. 482—489. Vgl. auch a i a s e r , Kleine Schriften 2. AuB. I S. 61 ff.; F i n g e r , Der dol. iudir. im Lichte der oberstgerichtl. Rechtsprechung. Wien 1887 (aus dem Ósterr. Centralblatt für d. jiir. Praxis); W e i s s e n b o r u , Der uiibestimmte, eventuelle Dolusí!); GS L 1895 S. 195 ff.; H a m m , D J Z I I I 1898 S. 92 ff.; v. B a r , Nochmals z. Frage des dol. event.; GS LVI 1899 S. 401 ff.; d e r s . , Z f. S t rRW XVII I 1898 S. 534ff.; ~ den Verhandl. des 24. Juristentagf Meckl. Zeitsch. f. Eechtspfl. XV S.

im deutschen Strafrecnt. Diss.

S t e B g l e i n u. v. L i s z t , ni I S. 90ff.; 107 ff.; H u t h e r ,

321 ff.; L a d e m a n n , Der dol. Berlin 1899; R a o u l - D u v a l , ev

Du dol éventuel. Thése. Par is 1900. Die wenig ausgiebige Literatur ü b e r d e n G e

v o n V o r s a t z u n d A b s i c h t bei Bdg, N I I S S. 594 Nr. 873.

g e u s a t z 391 Nr. 614 u.

I. D e r d o l u s m a l u s d e s rom. R e c h t s ^ Infolge der Re-zeption der freniden Rechte sind die deutschen SchuldbegriíFe den romischen erlegen. 1. Das Wort dolus, griech. óólog, bedeutet ur-sprünglich den Koder, dann jeden listigen Anschlag im Gegensatz zum ofFenen Vorgehen, besonders zur Gewalt, Daraus erklart sich a. der hauíige Gegensatz von dolus und vis oder — in ihrer Wirkung auf die angegriíFene Person gefasst — metus: § 1 J 4, 13 De except.; 1 3 § 2 D ne quis eum, qui in jus vocabitur, vi eximat 2, 7*, 1 2 § 8 D vi bonor. rapt. 47, 8. Erst allmahlich wird der dolus im w. S. auch ais Willensseite der widerrechtl. vis betrachtet; b. die grosse Zahl von Synonyraa des dolus malus, welche ihn ais Sitz der schlauen Lüge, womit die Feigheit und Heimlichkeit Hand in Hand gehen, be-zeichnen: calliditas; callidum commentum; calÜda machinatio; aliud simulatur aliud agitur^ failacia; decipere; circumvenire (die Beleg-stellen bei Bdg, N II S. 278 íF.). S. auch die Definition des dolus malus durch L a b e o in 1 1 § 3 D de dolo malo 4, 3 : dolum malum esse omnem calliditatem fallaciam machinationem ad circumveniendum fallendum decipiendum alterum adhibitam, — 2. Diesem dolus malus des rom. Rechts ist wesentlich a. e in W o l l e n d e s W i d e r r e c h t -l i c h e n b e g l e i t e t von dem B e w u s s t s e i n d e s G e w o l l t e n und s e i n e r W i d e r r e c h t l i c h k e i t . Darüber herrscht unter den Román¡sten nicht der geringste Zweifel. Zum Überfluss sei auf P e r n i c e und auf M o m m s e n Rom. Strafr. bes. S. 86 verwiesen. Der dolus ist den Romern auf dem Gebiete des Unrechts das W o l l e n schlechthin (voluntas, velle ist dolus, im Gegensatz zum casus for-tuitus, der die culpa einschliesst: Coíl. leg. Mos. et Rom. l e . 6, s, Bdg, N II S. 283 Nr. 352); aber nicht minder das W i s s e n schlechthin (scientia und ignorantia bilden innerhalb der Schuld denselben

1 Auf eiugeheude Polemik gegen P e r n i c e , Labeo I I S. 174ff". und SavZ XVII R S. 205: „Der verbrech. Vorsatz im griechisch-rom. Rechte" verzichte ich wegeu der voUigen Verschiedeuheit unserer Standpunkte. Ich bin überzeugt von der Einheitlichkeit des romischen dolus malus, womit sich kleine Modifikationen der Auffassung wol vertragen.

119 § 47,

Gegensatz wie voluntas und casus). Dieses Wissen muss sich auf die Widerrechtlichkeit des Gewollten mit erstrecken (s. bes. I 3 §§ 18. 21. 22 D de SCo. Silan. 29, 5; 1 7 pr § 1 D quod falso tutore 27, 6; I 6 D de decret. ab ord. fac. 50, 6) und wird durch jeden dieses Wissen ausschliessenden Irrtum — g a n z e i n e r l e i , ob es sog. f a k t I r r t u m o d e r R e c h t s i r r t u r a i s t — ausgeschlossen (I 3 § 22 D de SCo. Silan. 29, 5-, § 1 J vi bon rapt. 4, 2; 1 25 § 6 D de H. P. 5, 3 von U l p i a n : Et non puto hunc esse praedonem, qui dolo caret quamvis in iure erret. S. des Naheren Bdg, N II § 53). — b. Dem dolus malus aber ist ausserdém G e m e i n h e i t d e s M o t i v e s oder mindestens d a s W o l l e n d e r W i d e r r e c h t l i c h k e i t um i h r e r s e l b s t w i l l e n wesentlich. So auch B r u n n e n m e i s t e r , Totungsverbrechen S. 139; P e r n i c e , Labeo II S. 157 íf., freil. seltsaraer Weise nur ftir den dolus malus im Verkehrsrechte. D a s b e w u s s t e W o l l e n d e r R e c h t s w i d r i g k e i t o h n e s o l c h e s M o t i v (insbes. aus M i t l e i d e n , a u s K o n n i v e n z g e g e n D r i t t e , a u s n i c h t e h r e n r ü h r i g e m E i g e n n u t z e , aus M u t -w i l l e n ) i s t n u r c u l p a l a t a , l a s c i v i a , l u x u r i a . Sie alie sind nichts weniger ais Arten der Fahrlassigkeit. S. Bdg, N II § 54. Diese meine Auffassung habe ich zwar selbstaüdig aus den Quellen gewonnen: sie ist aber keineswegs neu. Schon die Postglossatoren haben über' die romische culpa dolo próxima ganz ahnlicb gedacht. S. E n g e l m a n n , Die Schuldlehre der Postglossatoren S. 139 íf. Dass wenigstens in einer Reihe von Quellenstellen die culpa lata ais Vorsatz ohne Gemeinheit des Motivs zu deuten ist, hat auf Grund der Normen selbst W i n d s c h e i d , I (9. Aufl. v. Kipp) S. 520 N. 16 zugegeben. S. auch R e g e l s b e r g e r , Pand. I S. 648. Ich be-haupte, dass nicht eine einzige Stelle existirt, die sich über die culpa lata sachlicli klar ausserte und auf eine andere Grundbedeutung führte. Gegen mich im Sinne der herrschenden Lehre wieder P e r n i c e , Labeo II (1. Aufl.) S. 60 íF. 877 íF.; B u r c k h a r d t , Sinn und Umfang der Gleichstellung von dolus und culpa lata im Rom. Recht. Gottingen 1885; T i c h e 1 a a r , Begrip en toepassing der culpa lata in het romeinsche Recht. Utrecht 1885.

Das kriminalistische Verhaltnis von dolus malus und culpa lata war dies, dass alie accusationes, die auf dolus gegründet waren, ins-besondere die accus. ex legibus iudiciorum publicorum, im Falle die Handlung nur aus culpa lata entsprungen war, nicht erhoben werden konnten, dass aber aus denselben Tatbestanden dann accusationes in factum, d. h. crimina extraordinaria zugelassen wurden. (S. bes. P a u l a s in I 7 D ad leg. Cornel. 48, 8: nec in hac lege culpa lata pro dolo accipitur.)

n . D e r V o r s a t z d e r CCC. Die CCC ist sehr reich an Be-zeichnungen für die schwerste Schuldart. W i s s - e n t l i c h : A. 16. 38. 40 111; w i l l i g l i c h : A. 122. 134 a. E.; g e v e r l i c h (der Stamm farhe, ahd. vare, begegnet noch A. 128): A. 40. 47. 111. 115. 132. 159; g e v e r l i c h e r w e i s s : A. 111. 148. 150. 167. 168.219; a r g k -l i s t i g : A. 173; b o s s h e i t : A. 164; b o e s s l i c h : A. 127 a. E. 128. 129. 142. 148; b o s s h a f t i g : A. 110. 111. 112. 113. 124. 125. 126.

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§ 47. 120

130. 1 3 1 ; m i t w i l l e n u n d w i s s e n : A. 1 1 1 ; b o s e r w i l l e : A. 178; auch m u t w i l l i g ist Gattungsbezeichnung für den Vorsatz überhaupt, und nicht für eine besondere Spielart dess. : s. A. 10. 128. 129. 137; A. M. G ü t e r b o c k a, a. O. S. 237 (es bedeute das Handeln sine c a u s a ) . — Dann eine Reihe pleonastischer Bezeichnungen: a r g l i s t i g u n d m i t w i U e n : A. 146; g e v e r l i c h h e y t m i t w i s s e n u n d w i l l e n : A. 8 8 ; g e v e r l i c h u n d b o s s h a f f t i g l i c h : A. 69. 111 (áhnlich A. 113. 114); b o s s h a f f t i g e r w i l l i g e r w e i s s : A. 131; w i s s e n t l i c h e r g e v e r l i c h e r u n d b o s s h a f f t i g e r w e i s s : A. 123; w i l l i g e r u n d g e v e r l i c h e r w e i s s : A. 170. — D a g e g e n be-zeichnet f ü r s a t z u n d f ü r s e t z l i c h nicht den dolus, sondern ais wortliche Übersetzung des roraischen proposito die praemeditat io: so sprechen A. 134 a. E. und A. 137 vom „ f ü r s e t z l i c h e n m o r d e r " , A. 137 vom „ f ü r g e s e t z t e n m o r d t " und Bambei'gensis A. 250 von f ü r g e s e t z t e r m d r d e r e i , d i e m i t b o s s h a f t e r v o r b e t r a c h -t u n g u n d v e r w a r t u n g b e s c h i c h t (vgl. über fürsetzlich noch A. 107: mit wissen, fürsetzlich und argklistiglich; A. 108. 115. 133. 149: mit fürgesetztem willen und mut 176; ganz besonders aber A. 148 Überschrift, wo fürsetzlich und unfürsetzlich den Gegensatz von Vor-bedacht und Aífekt bezeichnen). Über Vorsatz s. auch J o h n , Straf-recht in Norddeutschld. S. 67ff.; L o e n i n g , Vertragsbrueh S. 229.

I I I . D e r r e c h t s w i d r i g e V o r s a t z i m h e u t i g e n g e m . R e c h t , Wie im romischen Rechte und durch die ganze Geschichte des deutschen Rechtes mindestens seit der Rezeption ist auch heute dem Vorsatze das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit wesentlich. Durch das schlechte Wor t „Vorsatz" ist in der Theorie leider selbst der Be-griíF ins Wanken gekommen. Richtig RG I I vom 24. Jun i 1887 (E X V I S. 50 íf.): „Da aber jedes vorsatzliche Delikt auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit, nicht die Kenntnis des Strafgesetzes fordert." Sehr gut auch RG v. 22. Okt. 1880 (E I I 376 ff.). Gerade umgekehrt RG I vom 17. Jan . 1887 (E. X V S. 159). Auch d e r S p r a c h -g e b r a u c h schwankt : V o r s a t z begegnet nur MGB § 49; dagegen v o r s a t z l i c h ungemein háufig (s. den genauen Nachweis bei Bdg, N I I S, 461 u. 669 u. in der Ausgabe des Strafgesetzbuchs, Worter-verzeichnis s. v. vorsatzlich), meist ohne weiteren Zusatz , ofter aber mit dem Zusatz u n b e f u g t , r e c h t s w i d r i g oder w i d e r r e c h t l i c h (s. S t rGB §§ 136. 239. 299. 303—305. 341. 353 ; MGB § 137): e i n Z u s a t z , d e r g a n z n i c h t s s a g e n d i s t , w e i l j e d e v o r s a t z l i c h e H a n d l u n g r e c h t s w i d r i g s e i n m u s s . — Identisch mit Vorsatz ist V o r h a b e n : S t rGB §§ 82. 139; MGB §§ 60. 61 . 77. — Die vorsatzliche Tátigkeit wird haufig ais U n t e r n e h m e n be-zeichnet: S t rGB §§ 81 . 82. 83. 86. 105. 114. 122. 159. 214. 357. 360 n. 5 ; MGB §§ 58, 8. 96. 97. 102. 106. 116. — Über den B e g r i f f des Vorsatzes und über die BegriíFe A b s i c h t , Z w e c k , w i s s e n t -l i c h s. unten § 49.

IV. Über das Verhaltnis von Wille und Vorstellung bei dem Vorsa tz , der AVOI mit einem Irr tum über ein Straf barkeitsmerkraal, nicht aber mit einem solchen über ein Deliktsmerkmal vertraglich ist, s. Bdg, N I I S. 405—446.

121 § 48.

V. Über Eventual-Dolus s. RG I v. 16. Juni 1898 u. I I I v. 7. Dez. 1899 (E X X X I S. 211 ÍF.; X X X I I I S. 4ff.).

§ 48. I I I . Die Fahrlassigkeit bei Delikten. GB § 59. Beachte BGB § 68. — H2 137-139. B 71. 72. Sch 40. M 26. MI 32. 33. Li 42. 43. WV 59. G 94. 96. L 38—40. H. 37—39. K 64—69. 71. 77. Fi 51. HH n S. 179-183.

Vgl. ausser der Literatur vor § 40 H a r s c l i e r v. A l m e n -di i igei i , Untersucliungen über das kiilpose Verbreclien. Giessen 1800íverfelilt). — v.Lolir*, Die Theorie der culpa. Giessen 1806. — Ders . , Beitráge zu der Theorie der culpa. Das. 1808. — Ha sse , Die culpa des romischen Rechts. Bonn 1815. 2. Aufl. das. 1838. — H e u s l e r , De ratione in puniendis delictis culpa commissis apud Romanos servata. Tubingae 1826. — G a e r t n e r , Finium culpae in jure criminali regundorum prolusio. Berol. 1836 (verfehlt). —-Vollei- t , SGZ I S. 170 ff. - v. B a r , bei Grünh. IV S. 21 ff. -B i n d i u g , Kulpose Verbrechen im gemeineu rom. Eeclite? Zwei Programme. Leipzig 1877. — T h o n , Reclitsnorm S. 78 ff. — P e r n i c e , Labeo 11(1. Aufl.). S. 231 ff. 377 ff. (über die culpa des rom, Rechts). 2. Aufl. II 2 S. 29 ff. - - W a h l b e r g , Kleine Scliriften III S. 268 ff. - v o n P r i t t w i t z und. Gaffro-u, GA XXX 1882 S. 145 ff. — Bru,ck, Zur Lehre v. d. Fahrlass. im heut. deutschen Strafrecht. Breslau 1885 (darüber B i r k m e y e r , Kr. VJSch XXIX 1887 S. 587 ff.; dagegen wieder B r u c k , GA XXXVI 1888 S. 420 ff). — Eccurd , Die Fahrlass. nach d. gelt. deutsch. Strafrecht. Diss. ytrassbu^rg 1889. — R o t e r i n g , l^'asrlássigkeit u. Unfallsgefahr. Berlin 1892. — S a u v a r d , Le délit d'imprudence. Thése. Paris 1900. — A n g i o l i n i , Dei delitti colposi. Torino 1900 u 1901. — G e y e r , HRLex. I S. 489 ff'. s. v. culpa. — S t u r m , Die strafbaren Unterlassungen, insbes. die fahi-lass. Unterlassuugen der Arzte u. s. v. Berlin 1905. — S. auch die Literatur zu § 70, § 81 u. zu Lehrbuch I 2. Aufl. § 7.

Sehr gut RG IV v. 23. Márz 1897 u. v. 11. Jan. 1901 (E XXX S. 25 ff".; XXXIV S. 91 ft".). — Charakteristisch für den Staudpuukt des RG: I V. 16. Xov. 1896 (E XXIX S. 218 ff.).

I. Der Fahrlassigkeit ( = varelosigkeit = absque dolo; s. S. 119 unten) entspricht im Rom. Rechte c u l p a l e v i s , auch culpa schlechthin (die culpa lata ist keine Fahrlassigkeit, sondern Vorsatz : s. § 47). Auch die Worte i n v o l u n t a r i e , n e g l i g e n t i a , i g n o r a n t i a , e r r o r , c a s u s werden dafür gebraucht. Vgl. Goliat, leg. Mos. et Rom I c. 6 : Distinctionem casus et voluntatis in homicidio servari rescripto Hadriani coníirmatur; 1 1 D de leg. 1, 3. P a p i n i a n : Lex est delictorum, quae sponte vel ignorantia contrahuntur, coercitio. S. a u c h P a u l u s , Sent. V 23 § 3, wo sich entgegenstehen occidere velle und casu imprudenter occidere.

Die CCC sagt u n g e v e r l i c h A. 146; w i d e r W i l l e n A. 146; u n f l e i s s A. 180; a u s u n f l e i s s o d e r u n k u n s t u n d d o c h u n f ü r s e t z l i c h A. 134; von ungeschichten gantz ungeverlicher weiss A. 146; ungeverlich auss geylheyt oder unfürsichtigkeit, doch wider des thatters willen A. 146.

Die neuere Gesetzgebung sagt überwiegend f a h r l á s s i g . Eigen-tümlich Reblausgesetz vom 3, Juli 1883 § 1 1 : „wissentlich oder aus einem vertretbaren Versehen".

II. Nach gemeiner Auffassung belegte d a s R o m i s c h e R e c h t drei Delikte, auch wenn nur kulpos begangen, mit ofFentlicher Strafe:

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§ 48. 122

die k u l p o s e T o t u n g (arg. 1 1 § 3, 1 4 § 1 D ad leg. Cornel. 48,8: Cum quidam per lasciviam causara mortis praebuisset u. s. w.); die k u l p o s e B r a n d s t i f t u n g (arg. 1 11 D de incendio 47, 9 von M a r -

Si fortuito incendium factura sit, venia indiget: nisi tam lata C l a n culpa fuit ut (lies aut) luxuria, aut (lies ut) dolo praxima sit; vgl. 1. 9 eod.; 1 28 § 12 D de poenis 48, 19): das. k u l p o s e E n t w e i c h e n -l a s s e n G e f a n g e n e r (arg. 1 12 D de custodia reor. 48, 3). Bei Totung und Brandstiftung stritt man nur, ob jede culpa oder nur culpa lata bestraft werden dürfte. Es lasst sich nun aber keine Stelle nachweisen, wo aus Totung oder Brandstiftung begangen culpa levi eine Klage auf ófFentHche Strafe, ein crimen, gegeben ware: diese setzt stets dolus raalus oder culpa lata (also Vorsatz) voraus. Bez. der Totung s. 1 1 § 3 D ad 1 Cornel. 48, 8 (vgl. Mos, et Rom. leg. coll. I c. G), P a u l US, Sent. V 23 § 3, 1 1 und 1 4 C í), 16 ad. leg. Cornel. de sic.; bez. der Brandstiftung P a u l u s , Sent. V 20, vgl. V 3 § 6, 1 12 § 1 und 1 11 D 47, 9 de incendio. Die viel citirte 1 3 § 1, D 1, 15, de officio Praef. vigilum hat mit kulposer Brandstiftung gar nichts zu tun, sondern nur mit dém Polizeidelikt des negligenter ignes apud se habere. — Was veranlasst hat, an eine oífentliche Straf barkeit kulposer Delikte im rom. Recht zu glauben, ist die Ver-kennung der culpa lata und die Nichtbeachtung der Tatsache, dass alie auf Geldpon lautenden Sentenzen der Civilrichter, insbesondere auch die auf Grund der lex Aquilia ausgesprochenen, im Falle der Insolvenz des Verurteilten den Grundsatzen der Strafverwandlung unterlagen (s. darüber Bdg, N. I S. 217 u. 363 und ausführlicher Kulpose Verbrechen im gem. rom. Rechte? II S. 7 ff., vgl. auch oben S. 16). — In 1 12 D de custodia reor. 48, 3 wird aber der Soldat, der Gefangene entweichen lasst, allerdings auch wegen culpa levis — aber nur disziplinarisch — bestraft. — Treífend sagt Moraras e n , Rom. Strafr. S. 89: „Indess reicht jene geringere Verschuldung (die culpa) für die oífentliche Bestrafung nicht aus."

III. Die CCC beschaftigt sich mit Fahrlassigkeit bes. in dem A. 146: „Von ungeverlicher Entleibung", der wes. aus 1 9 § 4 und 1 11 pr. D ad leg. Aquil. 9, 2 (vgl. § 4 J 4, 3 de lege Aquilia) schopft. Sie straft peinlich f a h r l a s s i g e T o t u n g (A. 146. 134. 136), f a h r -

J a s s i g e K o r p e r v e r l e t z u n g (A. 136 Schadigung durch ein ge-fahrlich Tier) und f a h r l a s s i g e s E n t w e i c h e n l a s s e n G e f a n g e n e r (A. 180). Dass die Ansicht H a l s c h n e r s (System. I S. 156), die CCC habe wahrscheinlich die culpa nicht nur in einzelnen Fallen, sondern bei alien Verbrechen bestraft wissen wollen, wo sie raoglich ware, nicht richtig ist, beweisen gerade die angezogenen Artikel und ausserdem A. 117 und 133 (Incest und Abtreibung sind wie alie Delikte auch sehr wohl kulpos begehbar.). Die CCC kennt keine peinlich zu strafende fahrlassige Brandstiftung: s. Art. 125. Diese ist erst durch gemeines Gewohnheitsrecht ponalisirt worden.

IV. So kennt das gemeine Recht schliesslich vier fahrlassig be-gehbare Verbrechen: T o t u n g , K V , B r a n d s t i f t u n g , E n t w e i c h e n l a s s e n G e f a n g e n e r .

V. Die geltenden g e r a e i n e n d e u t s c h e n S t r a f g e s e t z e

123 i< 48.

haben nach Vorgang der früheren Gesetzbticher die Zahl der fahr-lassigen Verbrechen bedeutend vermehrt. Im GB allein tínden sich folgende: T o t u n g und K o r p e r v e r l e t z u n g (§§ 222 und 230); E n t w e i c h e n l a s s e n G e f a n g e n e r (§§ 121 und 347); M e i n e i d und E i d b r u c h (§ 163); B r a n d s t i f t u n g und Ü b e r s c h w e m m u n g (§§309.311.314); G e f a h r d u n g e i n e s E i s e n b a h n t r a n s p o r t e s (§ 316); H i n d e r u n g o d e r S t í i r u n g v o n T e l e g r a p h e n -a n s t a l t e n etc. (§ 318); Z e r s t o r u n g o d e r B e s c h a d i g u n g v o n W a s s e r l e i t u n g e n , S c h l e u s e n u. s. w. (§§ 321 und 326); Z e r -s t o r e n o d e r U n b r a u c h b a r m a c h e n v o n F e u e r z e i c h e n für d i e S c h i f f a h r t (§§ 322 und 326); S t r a n d u n g e i n e s S c h i f f e s (§§ 323 und 326); V e r g i f t u n g v o n B r u n n e n u n d v o n G e g e n -s t a n d e n , d i e zura o f f e n t l i c h e n V e r k a u f e oder V e r b r a u c h e b e s ti rara t s i nd (§§ 324 und 326); f a h r l a s s i g e N i c h t e r f ü l l u n g v o n Li e f e r u n g s v e r t r a g e n ü b e r B e d ü r f n i s s e d e s H e e r e s o d e r ü b e r L e b e n s r a i t t e l für A b w e n d u n g e i n e s N o t s t a n d e s zu K r i e g s - u n d N o t s t a n d s z e i t e n (§ 329, 2); V o 11 s t r e c k e n -l a s s e n u n g e r e c h t e r S t r a f e n d u r c h B e a m t e (§ 345) (vgl. MGB §§ 62. 141. 142. 144. 147. 148. 151). Dagegen ist weder § 186 auf fahrlassige übele Nachrede noch § 259 (wo dera „wissen" das „an-nehmen müssen" gleichgestellt wird) auf kulpose Hehlerei zu beziehen.

VI. Auch in besonderen Reichsstrafgesetzen begegnen fahrlassige Verbrechen: so in den Gesetzen betr. das ürheberrecht an Schrift-werken v. 11. Juni 1870 § 18 íF. (freilich nicht mehr in dem v. 19. Juni 1901); betr. den Schutz an Werken der bild. Künste v. 9. Jan. 1876 § 16; betr. den Schutz der Photogr. v. 10. Jan. 1876 § 9; betr. das Úrheberr, an Mustern und Modellen v. 11. Jan. 1876 § 14 (fahrlassige Nachbildungen); Seemannsordnung v. 27. Dezbr. 1872" § 97, 2 und vora 2. Juni 1902 §112 (ungenügende Schiífsverproviantirung); Gesetz über die Presse v. 7. Mai 1874 § 21 (sehr eigentümlich); Ges. betr. die Beseit. v. AnsteckungsstoíFen bei ViehbefOrderungen v. 25. Februar 1876 § 5 (schuldhafte Vernachlass. der Desinfektion durch Eisenbahn-bedienstete); Ges. betr. Zuwiderhandl. gegen die . . . Vieheinfuhr-verbote v. 21. Mai 1878 § 3 ; Nahrungsraittelgesetz v. 14. Mai 1879 §§ 11. 14; Ges. betr. den Schutz u. s, w. v. 26. Mai 1885 § 2; Ges. geg, d. Verrat milit. Geheimnisse v. 3. Juli 1893 § 7; Margarinegesetz V. 15. Juni 1897 § 17 n. 2; Ges. betr. die. Erwerbsgenossensch., Fass. V. 20. Mai 1898, § 148; Ges. betr. die Gesellsch. rait beschrankt. Haftung. Fass. von deras. Tage § 84; Süssstoffgesetz v. 7. Juli 1902 § 7; Weingesetz v. 24. Mai 1901 § 13 n. 3 u. 4 ; Phosphorgesetz v. 10. Mai 1903 § 2; Reblausgesetz v. 6. Juli 1904 § 11 N. 1 u. 3 (vgl. auch N. 2 u. 12).

Sehr eigentümlich Impfgesetz v. 8. April 1874 § 17: „Wer bei Ausübung einer Impfung fahrlassig handelt, wird mit Geld bis zu 500 Mark oder Gefangnis bis zu 3 Monaten bestraft, sofern nicht nach dem GB eine hártere Strafe eintritt". Dieser Tatbestand ist nicht korrekt bezeichnet: es ist der eines vorsatzlichen oder fahrlassigen Gefáhrdungsverbrechens.

VII. Nun lasst aber das Gesetz vielfach die Schuldseite unerwahnt.

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§ 48. 124

Gilt dann die Strafdrohung auch für das fahrlassige oder nur für das vorsatzliche De l ik t ? Entscheidend sind folgende Erwagungen:

1. Wollte das Gesetz die Fahrlassigkeit in weiterem Umfange, ais es ausdriicklich anordnet, bestraft haben, so konnte es die Erwahnung der Fahrlassigkeit allenfalls unterlassen, wo ihre Strafbarkeit wie bei der To tung , Brandstiftung u. s, w. seit langer Zeit feststand, nicht aber d a , wo ihre Bestrafung eine Neuerung bilden würde, wie z. B. bei der Bigaraie (§ 171). Das Gesetz verfáhrt aber gerade um-gekehrt .

2. Alie ausdriicklich bedrohten fahrlassigen Handlungen belegt das Gesetz mit V e r g e h e n s s t r a f e n , und zwar die schwerste, die fahrlassige To tung , mit Gef. von 1 Tag bis 3 resp. 5 J a h r e ; das Miniraum aller Freiheitsstrafen, welche ausdriicklich für Fahrlassigkeits-fálle angedroht werden, ist e i n T a g Freiheitsstrafe. W i r f o l g e r n : in alien Fallen, wo die gedrohte Strafe eine Verbrechensstrafe oder eine Vergehenssti'afe mit einem hoheren Mínimum ais Gefangnis von einem Tage ist, gilt die Strafe jedenfalls den fahrlassigen Handlungen nicht.

3. Nirgends behandelt das Gesetz, wo es sich ex professo mit der culpa bei Verbrechen oder Vergehen befasst, Vorsatz und Fahrlassigkeit unter einer und derselben Strafdrohung: die Verschiedenheit der Verschuldung solí durchaus nicht nur ais Strafzumessungsgrund wirken. Ein Gesetz , welches den Unterschied von dolus praemeditatus und Ímpetus über die Bedeutung von Straferhdhungs- resp. -minderungs-Gründen hinaushebt , kann unmSglich die verschiedenen Schuldarten n u r ais solche behandeln.

4. p i e Behauptung, dass bei alien Polizeidelikten oder wenigstens bei den „Übertretungen" die culpa mitbedroht sei, steht vollig in der Luft. Das GB solí damit einer Absc^hwachung der franzosischen Theorie, beim Folizeidelikt komme es auf Verschuldung überhaupt nicht an, unierworfen werden. Wer die §§ 360 íf. sorgfáltig durchprüft, íindet, dass bei einer grossen Anzahl von Tatbestanden das Gesetz zweifellos die vorsatzliche Übert re tung ausschliesslich mit Strafe bedenken will und nur ganz vereinzelt ebenso zweifellos die Fahrlassigkeit mit be-droht (s. GB §§ 361 n. 8 ; 366 n. 2, 5, 8, 9 ; 3 6 5 , 2 ; 367 n. 5, 6, 11, 12 ; 368 n. 4. 5).

So ergiebt sich:

1. F a h r l a s s i g e D e l i k t e s i n d iná h e u t i g e n g e m e i n e n R e c h t e n u r d a m i t S t r a f e b e d r o h t , w o d a s G e s e t z f ü r s i e a u s d r i i c k l i c h o d e r u n m i s s v e r s t e h b a r e i n e s o l c h e b e -s t i m m t .

2, F e h l t i n i r g e n d e i n e m T a t b e s t a n d d i e S c h u l d -b e z e i c h n u n g g a n z , o d e r l á s s t d e r A u s d r u c k Z w e i f e l , so i s t n u r d i e v o r s a t z l i c h e H a n d l u n g m i t S t r a f e b e d r o h t . Auch bei den Uber t re tungen muss der Wort laut klar erkennen lassen, dass die Strafe der Fahrlassigkeit mit gelten wil l : sonst verlangt das Gesetz Vorsatz. Bedauerlich RG IV v. 4. Dez. 1903; I v. 18. Maí 1905 (E X X X V H S. 12 ff.; X X X V H I S. 104/5).

12¿ 49.

§ 49. IV. Die Scliuld bei Verbreelien. A b s i c h t und Zweck. W i s s e n t -l i c h k e i t , B o s w i l l i g k e i t und M u t w i l l e , A r g l i s t . Bdg, N I[ §§ 60—74. —- S. auch B i r k m e y e r , HRLex. II S. 180 (s. v. Ge-wmnsüchtige Absicht); v. L i l i e n t h a l , Der Zweck ais Straf- u. Schuldmoment: Z f. StrRW XX 1900 S. 440 íF.

I. Die Schuld bei V e r b r e c h e n kann sich. von der Schuld bei Delikten nur durch folgendes unterscheiden:

i . Der Gesetzgfiber kann falschlich zum dolus B e w u s s t s e i n d e r S t r a f b a r k e i t , nicht nur das der Rechtswidrigkeit fordern, und hat dies früher mehrfach getan, freilich nicht ohne durch Aufstellung einer praesumtio doli seine Ubertreibung mehr ais zurückzunehmen. Dann ist der Fahrlassigkeit wesentlich der I r r tum über die Strafbarkei t der Handlung.

2. Die Schuld bei e i n e m Delikte ist stets einfach, die bei e i n e m Verbrechen einfach oder zusammengesetzt. S. darüber unten s. V .

II . D e r V o r s a t z h a t a u c h im h e u t i g e n R e c h t e b e i V e r -b r e c h e n , V e r g e h e n u n d U b e r t r e t u n g e n d a s B e w u s s t s e i n d e r R e c h t s w i d r i g k e i t , n i c h t d a s d e r S t r a f b a r k e i t , z u m w e s . M e r k m a l e . Nicht bestritten wird dies für die Gesetze, wo neben der Vorsatzlichkeit noch die Widerrechtlichkeit der Handlung ausdrücklich verlangt wird (z. B. GB §§ 123. 124. 239. 240. 291. 339. 353 a ; vgl. auch Bdg, N H S. 488 Nr. 701). Dies ist aber seitens der Gegner des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit eine hoch befremdliche Inkonsequenz. (Mit den quersten Gründen bestreitet diess K i t z i n g e r , GS L V 1898 S. 34 ff.) Denn die Hervorhebung, dass ein Del ikt widerrechtlich sein müsse, ist ganz unnot ig , und die Wil lkür unseres gesetzlichen Sprachgebrauchs, die das Unnotige ganz planlos bald aus-drück t , bald nicht , kann den vernünftigen Ausleger nicht zur Aufstellung von zwei ganz verschiedenen Vorsatzen führen, deren einer jenes Bewusstsein fordert, wáhrend der andere es perhorrescirt . Wii*d doch an dem Delikte und somit auch an seinem Vorsatze durch jene Hervorhebung gar nichts geander t ! Nun sagt der Gesetzgeber nirgends, dass er das wichtigste Merkmal des Deliktsvorsatzes fallen lassen wolle; h a t t e e r e s g e w o l l t , so m ü s s t e a u c h d a s B e w u s s t s e i n d e r R e c h t s w i d r i g k e i t i r g e n d w o u n t e r d e n Q u a l i f i -k a t i o n s g r ü n d e n e r s c h e i n e n , w a s n i c l i t d e r F a l l i s t ; und endlich, wo die Gesetze einen deutlicheren Einblick in das Wesen des Vorsatzes gestatten, da zeigt sich auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ais sein Merkmal. S. S t rGB §§ 153—159. 171. 259. 270. 324. 327. 328. 344. 345. 346. 352. 353. 354. 355 ; MGB §§ 96. 139. Den ausíührlichen Nachweis s. bei B d g , N I I § 64. Vgl. auch oben S. 115. 116.

I H . Dass die F a h r l a s s i g k e i t bei Verbrechen keine andere ais bei Delikten ist, wird nicht bestritten.

IV. Die Schuld bei e i n f a c h e n Verbrechen (s. oben § 32) ist stets einfacher Vorsatz oder einfache Fahrlassigkeit .

V. Bei z u s a m m e n g e s e t z t e n V e r b r e c h e n (s. oben § 32) ist auch die Schuld stets zusammengesetzt, und zwar besteht sie:

1. entweder a u s m e h r e r e n D e l i k t s v o r s á t z e n in eigen-

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§ 49. 126

türalicher Kombination: so beim Diebstahl aus dem Vorsatz der vvider-rechtlichen Aneignung und dem der widerrechtlíchen Besitzentwendung, wozu sich beiin Raub noch der Vorsatz der Notigung, beim Raub mit Marter ausserdem noch der Korperverletzungsvorsatz gesellt. Ganz analog beim Mord in hochverráterischer Absicht (S t rGB § 80) ;

2. oder aus e i n e r K o m b i n a t i o n v o n V o r s a t z u n d F a h r -l a s s i g k e i t , w^elche bei der Deliktschuld unmoglich, bei der Ver-brechensschuld sehr wol moglich ist : so z. B. bei alien Konkur renz-fállen von vorsatzlichen Verbrechen und fahrlassiger TOtung oder Korperver le tzung, welche unter selbstandige Strafdrohungen gestellt s ind, z. B. §§ 239, 312 u. s. w. Vgl. darüber Lehrbuch I 2. Aufl. § 5 S. 15ff.;

3. o d e r a u s e i n e r K o m b i n a t i o n m e h r e r e r F a h r l a s s i g -k e i t e n , wie z. B. bei der fahrlassigen Überschwemmung, wodurch fahrlassig der Tod eines Menschen verursacht worden ist (§ 314).

VI . A b s i c h t (s. B d g , N I I 462 Nr. 671 und Strafgesetzbuch, Wortverzeichniss s. v. Absicht) i s t i m h e u t i g e n S t r a f r e c h t r e g e l m a s s i g S y n o n y m u m d e s V o r s a t z e s . So spricht das G B von ^beabsichtigten Verbrechen" (§§ 43. 46) , von der „Absicht widerrechtlicher Zueignung" (S t rGB §§ 242. 2 4 9 ; MGB §§ 129. 134), von rechtswidriger, diebischer und rauberischer Absicht (S t rGB §§ 243, 7. 250, 4. 267. 289) u. s. w. Ó f t e r a b e r i s t d i e A b s i c h t n u r e i n S t r a f b a r k e i t s m e r k m a l bei vorsatzlichen De-l ikten, vom Vorsatze selbst ganz unabhangig , u n d b e z e i c h n e t d a n n d i e I n t e n t i o n d e s T a t e r s g e r i c h t e t a u f e i n e n b e -s t i m m t e n Z w e c k , d e r ü b e r d e n E n d p u n k t d e s v o r s a t z l i c h e n V e r b r e c h e n s h i n a u s l i e g t (so die Absicht bei der Heraus-forderung, es solle eine Partei tot auf dem Platze bleiben, die Absicht jemandem eine s c h w e r e Korperverletzung beizubringen: GB §§ 202 u. 225). Soweit Vorsatz und Absicht verschieden sind, ergeben sich aus dieser Verschiedenheit wichtige Folgesatze:

1. ein Putativvorsatz ist k e i n Vorsatz , dagegen muss die auf etwas Unmogliches gerichtete Absicht, weil sie lediglich Massstab für die Intensitat des Vorsatzes sein solí, doch i n Berücksichtigung gezogen werden.

2. Die Verwirklichung dieser vom Vorsatz verschiedenen Absicht duldet die Unterscheidung von Versuch und Vollendung nicht.

3. Fáll t Vorsatz weg, so kann die übrigbleibende Absicht die Strafverhangung nicht rechtfertigen.

VIL Z w e c k ist bald der jurist ische Endpunk t des vorsatzlichen Del ikts (so GB § 147), bald ist das Verbrechen Mittel zum ausser ihm liegenden Zwecke (GB § 151), bald wird die Begehung des Verbrechens ais Zweck bezeichnet (MGB § 47). Vgl. GB Wortverzeichniss s.v. Zweck.

V I H . W i s s e n t l i c h k e i t (vgl. Bdg, N I I S. 462 Nr. 671 a. E.) ist in den selteneren Fallen identisch mit Voi'satz, meist bezeichnet sie nu r das Wissen um ein einzelnes Deliktsmerkmal, a l s o e i n e n T e i l d e s V o r s a t z e s , dagegen wird sie nicht für die Wissenschaft von einem Strafbarkeitsmerkmale gebraucht. Vgl. GB Wortverzeichniss wissen und wissentlich.

127 § 50.

I X . A r g l i s t ist Vorsatz mit Hinterlist (GB § 170). B o s w i l l i g -k e i t bildet den Gegensatz zum M u t w i l l e n , der aus überqu'ellender Tatenlust die Rechtswidrigkeit der Handlung in den Kauf niramt, warend sich der BSswillige an der Rechtswidrigkeit seiner Tat oder an ihrer verderblichen Wi rkung ais solcher freut. Vgl. MGB § 132; GB §§ 103 a. 134. 135. 360 Nr. 13. 366 Nr. 3.

§ 50. V. Ziisammentreffen vorsatzlicher und fahrlüssiger Yerbrechen. B 73. Sch 41. M 25. WV 60. G 97. H 40. K 71. 72. 76. HH II S. 215—218.

Über den dolus generalis s. d. Literatur zu § 47 bes. S. 118. Über die aberration die Literatur zu § 40.

Zweites Kapitel. Die Tatseite des Verbrecltens. F e u e r b a c h , Revisión II 266ff. — Ders . , Kritik II S. 101—124. — M i t t e r -

ina ier , NA I S. 163íf. II S. 602íf. IV S. Iff. — H e p p , A^ersuche über einzelne Leliren der Strafrechtswiss. Heidelberg 1827 S. 256—368. — C r o p p , Commen-tatio de praeceptis juris Romani circa puniendum conatum delinquendi. Heidelberg 1813. — L e l i é v r e , Commentatio de conatu delinquendi Lovanii 1828. — Zachar iá* , Die Lehre vom Versuche der Verbrechen. I und II. Gottingen 1836 und 1839. — Der s . , bei GA III 1855 S. 162 ff., 289 ff. V 1857 S. 577 ff. — L u d e n , Über den Versuch des Verbrechens nach gemeinem deutschen Rechte. Der Abhandl. Bd. I. Gottiugen 1836. — Ot to , Vom Versuche der Verbrechen, Leipzig 1854. — K r u g , Die Lehre vom Versuche. Leipzig 1855. — v. B a r , Zur Lehre von Versuch und Theilnahme am Verbrechen. Hannover 1859. — Chop , Über die Grenze zwischen Vorbereitung und Versuch eines Verbrechens. Leipzig 1861. — B e r n e r , Grundsátze des preuss. Strafrechts. Leipzig 1861 S. 1— 17. — Geye r , Erorterungen S. 47-89. — Ders . , HRLex. s. v. Versuch III S. 1095ff. — Ders . , Kleinere Schriften S. 193ff., 238 ff., 263ff. — Cohn, Zur Lehre v. ver-suchten und vollendeten Verbrechen I. Breslau 1880. (Zu Cohn s. bes. v. Be z o 1 d, KrV XXIII 1881 S. 455ff; v. L i s z t , Z f. StrRW I 93ff.; R. L o e n i n g , Deutsche Literaturzeit. 1881 Xr. 15 S. 576—' 79.) Das Werk scheint leider unvollendet zu bleihen. S. Cohn, Die Grundsátze über den Thatbestand der Verbrechen und der heiitige Gattungsbegriff des Versuchs. Breslau 1889. — S e e g e r , Die Aus-bildung der Lehre vom Versuche der Verbrechen in der Wissenschaft des Mittel-alters. Tübiugen 1869. — Ders . , bei GA XVIII 1S70 S. 227 ff. — Ders . , Über den Versuch der Verbrechen nach Romischem Recht. Tübingen 1879. — Mommsen , Rom. Recht S. 95 ff. — v. T i p p e 1 s k i r ch , bei GA. XIX 1871 S. 481 ff. — S c h w a r z e , bei HH II S. 267—317. — O p p e r m a n n , Über die Unterscheidung von Vorbereitung und Versuch. Diss. Bonn 1875. — H i l l e r , bei Grünh. V S. 284ff. — V. B u r i , GS 1867 8. 60ff.; 1876 S. 181 ff.; GA XXV 1877 S. 265-317; GS 1880 S. 321 ff. ~ Ders . , Die Kausalitát S. 114-143. — L a m m a s c h , Das Moment objekt. Gefáhrlichkeit im Begriffe des Verbrechensversuches. Wien 1879. — Z i m m e r m a n n , GA XXIX 1881 S. 182ff.; XXX S. 141 ff. — V i l l n o w , Versuch, GA XXXV S. 98ff. — R o s e n b l a t t , das XXXVI S. 67 ff. — J a n k a , Das osterreich. Strafgesetz und der subjekt. Versuch, Prag 1882, u. S p i n d l e r , Da,s osterreich. Strafgesetz und die Versuchstheorieen, Prag 1883 (Abdrücke aus den Mitteil. des deutschen Juristenvereins) — B a u m g a r t e n , Die Lehre vom Ver-suche der Verbrechen. Stuttgart 1888. — v. K r i e s , Über den Begriff der ob-jektiven Moglichkeit. Leipzig 1888. Bes. S. 78ff. — v. R o h l a n d , Die Gefahr im Strafrecht. 2. Aufl. Dorpat u. Leipzig 1888 S. 80ff. (dagegen v. B u r i , GS 1888 S. 517 ff.). — Meye r , Über den Anfang der Ausführung. Tübingen 1892 ^ E i s e n m a n n , Die Grenzen des strafb. Versuchs; Z f. StrRW XIII 1893 S. 454ff. — C o h é n , Die Vorbereitung v. strafbaren Handlungen nach den Straf-gesetzen des Deutschen Reichs. Diss. Kjoln 1894. — T h o m s e n , Über den Versuch der durch eine Folge qualifizirten Delikte. Kiel u. Leipzig 1895 (dazu F i n g e r, KrVJSchr XXXVIII 1886 S. 414 ff). — S c h n e i d e r, Z. Lehre y. Versuch Breslau 1896. — B a u k e , Rechtswissensch. Untersuchungen. Berlin 1897 S. 209ff. — K l e e , Wille und Erfolg in der Versuchslehre. Breslau 1898. —

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§§ 5 1 - 5 4 . 128

S c h l e e h t , Z. Lohre v. qualifízirteu Versuche; Z i. StrRW XIX 1899 S. 829 ft. — Horn , Dor Versiich; das. XX 1900 S. 300ff. — Ga l l e t , La notion de la tentative punissable. Paris 1899. — v. S t e r n e c k , Z. Lelire v. Versuche dor Verbrechen. Wien 1901. — E. v. L i s z t , Die Lehre v. Versuch, Z f. StrRW XXY 1905 S. 24 ff. (bes. gegen die unten S. 131 citirte Sclirift von D e l a q u i s gerichtot). — Senf, Vorbereitung u. Versucli; GS LXVII 1906 S. 245 ff. — S. noch die Literaturaugaben unten S. 130. 131. 132.

§ 51. I. Die Tatseite bci falirlassigen Verbrechen.

I I . Die Tatseite bei vorsatzlichen Verbrechen. Fi 52. 53. 54. 55. 56.

§ 52. A. Von Vollendung und Versuch im allgemeinen. Seh 43. M 30. MI 42. WV 72. G 99. L 54. H 44. K 79. Fi 57,

Dem romischen Rechte war der Gegensatz zwischen Voilendung und Versuch nicht bekannt. Die Literatur über die kriminelle Be-handlung des Versuclis im romischen Rechte (s. bes. C r o p p , Comment. de praeceptis jur is Rom. circa puniendum conatum delinquendi, Heidel-berg 1813) ermangelt somit ihres Gegenstandes. — A. M. S e e g e r , Der Versuch der Verbrechen nach romischem Rechte. Tübingen 1879. Gutes mit Unhaltbarem genn'scht bei P e r n i c e , Labeo 11. 1. 2. Aufi. S. 102 íf. üu rchaus zutroffend M o m m s e n , Rom. Strafr. S. 95. — Die alleinige gesetzliche Grundhige für die Unterscheidung zwischen Versuch und Voilendung im früheren gemeinem Rechte ist der nach Inhalt wie Form gleich vortreífiiche A. 178 der CCC © t r a f f u n b e r = f t a n b n e r m i f f e t t j a t . ^íem fo fíd) iemanbt ei^ner miffetljatt mit etüd)en fd)einlid)en roerden, bíe gu Dolnbringung ber miífetljatt btenfílic^ feín mogen, itnber[tel)t, unnb toa) an üolnbringung ber felben mifíetí)att burc^ aubere miítel, lüiber feínen toillen oeríiinbert toürbe, foldjer bbfer raíll, barau^ etlid) roercf ató obfíet)í ooígen, ift peinlic^ ^u fíraffen. 3íber inn epnem fatl t)erter baim inn bem anbern angefe^en gelegení^eit unb gefíaít ber fad^ . . . . Vgl. A. 119. 172. 173.

§ 53. B. Die Voilendung des Verbrechens nnd ihr Verháltnis zur Voilendung des Delikts. H^ 141. B 74. Li 46. WV 78. G 99. L 60—62. H 45. K 87. 88. — De K e t e l h o d t , De cousmnma-tione delictorum. Gottingae 1826. — Glase r , GS 1883 S. 146 ff. (über Vollend. der ünterlassungsverbrechen). — H u t l i e r , GA XLVI 1899 S. 258 ff; XLVIÍÍ 1901 S. 278 ff".

F ü r den Sprachgebrauch beachtlich ist, dass die Sonderstrafgesetze des Reichs, bes. soweit sie die Defraude behandeln, gern „ v o l l b r a c h t " statt „ v ( ) l l e n d e t " setzen. S. z. B. das Zigarettensteuergesetz v. 11. Jul i 1906 (RGesetzbl. 1900 S. 637). 637).

C. Der Versuch. H^ 142—154. L 63—71. M 30. 31. Li 46—48. WV 73-77. Fi 57—64.

MI 42-47 a.

§ 54. 1. Begriff desselben. StrGB § 43, vgl. § 46. — B 75-79. G 99 bis 102. H 46—49. K 81—84. — K r ü s c h e l , GS XLt 1889 S. 273 ff".

I. Eine Anzahl von Stellen des romischen Rechtes erweckt den Anschein, ais hátte es den verbrecherischen Willen auch ohne darauf-folgende Ausführungshandlung mit Strafe belegt: vgl. 1. 1 14 D ad leg. Cornel. 48, 8 : in maleticiis voluntas spectatur, non exi tus; 2. 1 1

129 § 54.

C Th ad leg. Ju l , de ambítu 9, 26 : cura pari sorte leges scelus quam sceleris puniant voluntatem; 3. 1 5 C ad leg. Jul . majest. 9, 8 : cadera enim severitate voluntatem sceleris qua efFectum puniri j u r a voluerunt; 4. P a u l . Sent. V 23 § 3 : consilium enim unius cujusque, non factum puniendum est; 5. 1 7 D 48, 8 ad leg. Cornel.: In lege Cornelia dolus pro facto accipitur. AUein die 1. und 4. Stelle beweisen n u r , dass eine T a t , hinter der kein Wille s teht , nicht gestraft werden k a n n ; die 3. bezieht sich auf hochverraterische Verschw5rungen; dio 2. er-k lar t sich einfach so, dass inter coeptura ambitum atque perfectum kein Unterschied in der Bestrafung zu machen sei, cura pari sorte leges scelus quam sceleris puniant voluntatem; die 5. endlich ist mit P e r n i c e , Sachbeschadigung S. 4 3 , auf den intellektuellen Urheber zu beziehen (anders scheint ders. in Labeo I I S. 106 Nr. 2 die Stelle nehmen zu wollen); vgl. 1 1 D 48, 9 de lege Poinpeja. — Vgl. auch L u d e n , Abhandlungen I S. 21 ff,; Z a c h a r l a , Versuch I § 75 ff.; ferner U l p i a n in I 18 D 48, 19 de poenis (s. oben S. 6) und T r y -p h o n i n in 1 225 D de V. S : auch wenn Einer eius mentis si t , ut occasione data id (scil. scelus) commissurus sit , t a m e n o p o r t e r e e a d e m h a e c c r i m i n a a s s u m t o a c t u i n t e l l i g i (die Schlüssig-keit dieser Stelle wird von P e r n i c e , Labeo I I S. 106. 107 m. E . ohne zureichenden Grund bestritten).

I I . Die Kontroverse , ob ein Versuch mit sogen. unbestimmtem Vorsatze — insbes. mit dolus generalis und dolus eventualis: vgl. oben § 47 — moglich-sei, muss sofort verschwinden, sobald man an-erkennt , dass es keine Arten des dolus giebt. Der unrichtigen An-sicht , es sei nur bei bestimmtem Vorsatze Versuch moglich, folgen L u d e n , Abhandl . I S. 260 ff.; B a u e r , Abhandl. I S. 328—330; O t t o , Vom Versuche der Verbrechen S. 77—80; K r u g , Vom Ver-suche der Verbrechen S. 14 u. 15 ; ebenso Sachs, S t rGB von 1855 A. 47 al. 2 und S c h w a r z e , Kommentar S, 9 7 ; C o h n , Versuch I S, 475 ff.; V. W a c h t e r , D. Strafrecht S. 209, — F ü r Unmoglichkeit eines Versuches bei hypothetischem dolus H e r r m a n n , A K F 1857 S. 30 ff.; V, B a r Z f, S t r R W XVII I , bes. S. 541 ff.; wol au¿h F r a n k zu § 43 I 1 und B i e r l i n g , Principienl. I I I S. 3 1 0 . — Der richtigen Ansicht Z a c h a r i a , Versuch I S. 4 2 — 5 1 ; K o s t l i n , System I S. 222—223; H á l s c h n e r , System I S, 180—182; d e r s . , Gem. Strafrecht I S, 334. 335 ; G e s s l e r , Über Begriff und Arten des dolus S. 101 ff.; S c h ü t z e , Lehrbuch S. 134; v. B u r i , Kausalitat S. 33 ff.; M e y e r , Lehrbuch S. 171. 172; Bdg, N I I S. 410 ; B a u m -g a r t e n , Versuch S. 351 ff; v. L i s z t , Lehrb. S. 201 N. 2 ; O l s -h a u s e n zu § 43 n. 5 ; F i n g e r 1 S. 309. 310; RG J I u. I I I v. 15./22. Dez. 1884 (E X I I S. 64 ff.).

I I I . B e i e c h t e n ü n t e r l a s s u n g s v e r b r e c h e n (d. h. bei Übert re tungen von Geboten) wird die Moglichkeit eines Versuches ailgemein in Abrede gezogen. Z a-oh a r i a , Versuch I S. 67 ff.; L u d e n , Abhandlungen I S. 468 (s. freilich das. Nr. 4 ) ; L e o n -h a r d t , Kommentar I S. 163—164; K o s t l i n , System I S. 2 5 3 ; G l a s é r , Abhandlungen S. 292 ; v. H y e , Kommentar I S. 353—355; G e i b , Lehrbuch I I S. 2 8 3 ; K r u g , Versuch S. 2 2 ; O s e n b r ü g g e n ,

B i n d i n g , strafrecht. Grundriss. 7. Aufl. 9

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A. 13U

Abhandlungen I S. 35. 36 ; S c h ü t z e , Lehrbuch S. 134; O p p e n h o f f zu § 43 n. 15 ; S c h w a r z e , Kommentar S. 9 5 ; d e r s e l b e bei H H I I S. 285. 28tí; S c h w a l b a c h , GS 1879 S. 610. 6 1 1 ; F r a n k zu § 43 V L — A. M. (wenigstens für Denkbarke i t , wenn auch nicht für Strafbarkei t des Versuches) H e f f t e r , Lehrbuch § 72 Nr. 3 ; M e y e r , Lehrbuch S. 170 N. 2 3 ; H i i l s c h n e r , D. Strafr. I S. 354. 3 5 5 ; B a u m g a r t e n , Versuch S. 435 íF.; S e l i g s o h n GA X X V I l l S. 219; L a n d s b e r g , Kommissivdelikte S. 172 íF.; F i n g e r I S. 316/7; wol auch fíir Strafbarkeit O l s h a u s e n zu § 43 n. 2 7 b ; V. L i s z t S. 206 (?). — Die Kontroverse hángt mit dem Streit über die Natur dieser echten Unterlassungsdelikte enge zusammen (s. Bdg, N I I S. 447 ff.). Glaubt man , sie bestanden lediglich in einem Ent-schlusse und hatten keine Tatsei te , so kann man selbstverstandlich nicht von Versuch sprechen. Sieht man aber — wie ich dies für r ichtiger halte — in íhnen wirkliche Hinderungen des Eintr i t ts be-st immter Erfolge (z. B. der Kunde des Bedrohten von dem drohenden Morde), so muss ein Versuch ais moglich angenommen werden. Dieser bildet dann das reine Gegenstück zum Versuche bei Kommissiv-delikten. Wie es bei diesem zur Herbeiführung des verbotenen Er-folges wider Willen des Táters n i c h t kommt, so kommt es beim versuchten Unterlassungsdelikte zu dem vom Rechte gewünschten Erfolge, a b e r f r e i l i c h w i d e r W i l l e n d e s T a t e r s . Dieser will den Bedrohten nicht warnen , verrat sich aber , und der Bedrohte meidet deshalb den AngriíF. Gerade weil aber in dem Verhalten des Taters die ü r s a c h e zum Eintr i t t des dem Rechte willkommenen Er-folgs l iegt , weil der Tater also selbst die Wirksamkei t der ziir Hin-derung des Erfoiges gesetzten Bedingungen wieder vernichtet , dürfte das Gesetz ebensowenig Anlass haben zu strafen ais im Falle des Rückti 'ittes vom Versuche. Es giebt also bei Unterlassungsdelikten keinen Versuch , dér gestraft werden konnte. So auch M e y e r S. 170 N. 2 3 ; L a n d s b e r g S. 173 ; F i n g e r I S. 317.

IV. Bei fahrlassigen Verbrechen wird die Moglichkeit cines Ver-suches meist geleugnet, und auch die neueren Gesetzbücher kennen solchen Versuch nicht. E r ist in der Tat

1. nicht moglich bei der grossen Zahl fahrlassiger Delikte, bei denen der Tater den Erfolg nicht vorausgesehen h a t ;

2. sehr wol moglich bei der kleinen Zah l , bei welchen der Tater den Erfolg k lar vorausgesehen und gcAvollt, jedoch seine Rechts-widrigkeit verkannt hat.

E in Bedürfniss zur Bestrafung solcher fahrlassiger Versuche dürfte aber nicht anzuerkennen sein.

V. F r e i w i l l i g e r R ü c k t r i t t v o m V e r s u c h e . Vgl. darüber noch insbesondere J o n g s m a , An delinquendi conatus poena sit adficiendus etc. Groningae 1828; Z a c h a r i á , bei GA V S. 588ír.; G o l t d a m m e r , das. VIII S. 626 ÍF. (vgl. den Rechtsfall S. 618—626); B e r n e r , GS 1865 S 97 ff.; T i p p e l s -k i r c h , bei GA XIX 1871 S. 481 ff ; Meves , GS 1872 S. 161 ff.; H á b e r l i n , das. S. 269ft.; V. B u i i , GS 1876 S. 186 ff.; Bdg, N I S. 117. II 250; H e r b s t , GA XXXíI S. 109ff.; ausführlich H e r z o g , Rücktritt v. Versuch und tátige Eeue. Würzburg 1889 (dazu R e í s , .KrVJSchr XXXII 1890 S. 553 ff.j; v. R o h l a n d , Gefalir S. 81ff.; Go ld fe ld , Über d. Versuch mit untaugl. Mitteln u. am untaugl.

131 § 54.

I AL

Objekte. Berlín 1882; G o l d s c h m i d t , Krit. Beleucht. der Übergriffe . . . Berlín u. Leipzig 1886 S. 45 ff.; H a t z i g , Über den Rücktritt u. Versuch. Diss. Berlin 1897; F u h r m a n n , Der Rücktritt v. Versuche. Diss. Borna-Leipzig 1903; P r o s c h , Der Rücktritt v. Versuch in s. Bedeüt. f. d. Teilnahme. Diss. Bremen 1904; B i n d i n g , Lehrb. I 2. Aufl. S. 13 ff. — Vgl. auch L i e p m a n n , Die Reue V. krim. Standpnnkt; Z f. StrRW XXII 1902 S. 72ff.; J. S t e r n , Über die Reue; GA LI 1904 S. 385 ff.; Fi 128.

VI. V e r s u c h am ( a b s o l u t ) u n t a u g l i c h e n O b j e k t e u n d m i t (a b s o I u t) u n t a u g l i c h e n M i t t e l n . Ausser der oben angef. Lit. s. be-souders H e r t z , Über deu Versuch mit untauglichen Mitteln. Hamburg 1874; O s e n b r ü g g e n , Abhandlungen I S. 38ff.; ferner die Abhandlungen von C h o p , ANF 1842 S.. 519 ff".; W a l t h e r , KrV V 1863 S. 26ff.; H á b e r l i n , GS 1864 S. 218ff.; R u b o , GS 1865 S. Iff.; G e y e r , GS 1866 S. 35 ff. (auch Kl. Schriften S. 193ff.); V. B u r i , GS 1867S. 60ff.; 1868 S. 325 ff.; 1876 S. 184ff.; S c h e r e r , GS 1877 S. 481 ff.; H a v e n s t e i n , GA XXXVI S. 33 ff., 197 ff.; Z u c k e r , das. S. 370 ff.; H u t h e r , das. S. 433 ff.; H a v e n s t e i n , das. XXXVII S. 130ff.; Z u c k e r , das. S. 275 ff.; R o s e n b e r g e r , Z f. StrRW XX 1900 S. 685ff.; v a n C a l k e r , Eth. Werte S. 31 ff.; K r i e g s m a n n , Wahnverbrechen u. untaugl. Versuch. Breslau 1904; D e l a q u i s , Der untaugliche Versuch. Berlin 1904; K o h n , Der untaugl. Versuch u. das Wahnverbrechen. Breslau 1904; F a b i á n , Abgrenzung v. untaugl. Versuch u. Putativdelikt. Breslau 1905. Vgl. auch über den untaugl. Versuch in der nordamerik. Strafrechtspflege v. O v e r b e c k , GS LXV 1905 S. 119ff. — Siehe auch die Urteilssprüche GS 1874 S. 237 ff.; 1875 S. 313ff. — Auf die hotíhbedauerlichen Erkenntnisse des Reichs^erichts vom 24. Mai 1880 (Plenarentscheidung) und vom 10. Juni 1880 (Senat I), m den Entscheiduugen des Eeichsgerichts I S. 439 ff. und 451 ff. beziehen sich angriffsweise C o h n , GA XXVIU S. 361ff.; G e j e r , Z f. StrRW I 30 ff. (Kl. Schriften S. 238 ff.); v. L i s z t , das S. 204ff.; verteidigungsweise natürlich v. B u r i , Z f. StrRW I 185 ff. S. auch K o h l e r , Studien I S. 7 ff. ^- Die Position des RG ist nicht verbessert worden durch RG I v. 14. Márz 1901 (E XXXIV S. 217 ff.). Lasse ich die Frage des untauglichen Versuches einmal ganz bei Seite, so muss ich es für eine Ver-gewaltigung des Gesetzes halten, der „Schwangeren", die GB § 218 ais Táterin fordert, die Nicht-Schwangere zu substituiren. Zu diesem Erk. s. M. E. M a y e r u. S t e n g l e i n , DJZ VII 1902 S. 330-334 und Cohn, Jur. Wochenschr. XXXI S. 462 ff". — Verdienstlich das Urteil des OLG Hamburg v. 28. Mai 1898 (DJZ IV 1899 S. 258), das in der Frage des untaugl. Versuchs dem RG entgegentritt. — Vgl. ferner RG I v. 27. Febr. 1888 (E XVII S. 158 ff.). — Über „Vorbereitungs-handlungen" mit untauglichen Mitteln Z i m m e r m a n n , GS 1881 S. 260ff.

Im r O m i s c h e n R e c h t lasst sich die interessante Entwicklung verfolgen, dass die alteren Juris ten ( N e r a t i u s , P o m p o n i u s ) auch dann noch das Del ikt ais vorhanden annahmen, wenn die Tat sich wider ein untaugliches Objekt richtete, der Tater dasselbe aber für tauglich hielt, wogegen P a u l u s und U l p i a n dies für unmOglich er-klaren. Vgl. 1 6 D expilatae heredit. 47, 19 P a u l u s : rei hereditariae furtum non fit, sicut nec ejus, quae sine domino est, et nihil mutat existimatio subripientis; vgh 1 46 § 8 D de furtis 47, 2 U l p i a n u s : Pe r contrarium quaer i tur , si ego me invito domino faceré putarem, cum dominus vellet, an furti actio sit. E t ait Pomponius furtum me faceré. Verum tamen est, ut cum ego velim eum uti (es handelt sich also um ein furtum usus), ne furti sit obligatus. Vgl. G a i u s I I I § 198; § 8 J de obl. quae ex del. 4, 1 ; 1 20 C de furtis 6, 2 ; 1 22 § 4 D ad leg. Cornel. de fals, 4 8 , 10, und über die ganze Entwicklung B d g , N I I S. 285 ff. — Vgl. auch P e r n i c e , Labeo I I (2. Aufl.) S, 111 ff.

VI I . Über das V e r h a l t n i s v o n D e l i k t s - u n d V e r b r e c h e n s -v e r s u c h s. unten § 56.

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§§ 55. 56. 132

§ 55. 2. Stuf«n desselben 1 StrGB. § 46. — G 101. H 50. K 85. Fi 60. — S. noch bes. B e r n e r , Wie unterscheidet sich der beendigte uiid der unbeendigte A'ersucli? im GS 1865 S. 82 fF. — J. G o 1 d s c h m i d t, Die Lehre v. mibeend. u. beend. Versuch. Breslau 1897.

§ 56. 3. Strafbarkeit desselben. StrGB §§ 44—46. MGB § 46. — B 80. M 31. MI 47 a. G 100. H 46. 51. K 86. Fi 64. Über Yerlust der Ehreni-echte und Polizeiaufsicht neben der Versuchsstrafe s. S c h w a r z e , GS 1872 S. 277 ff. — Meves , Stelluiig des Anstifters zii § 46 StrGB: GA XXXVII 1890 S. 397 ff.

des geltenden Rechtes übcr den Versvich ist zu be-Bezüglich m e r k e n :

I. S p r a c h g e b r a u c h . Der § 43 schliesst nicht d e n B e g r i f f des Versuches von Übertretungen (s. z. B. § 370, 5 und 6), wol aber die St rafbarkei t der versuchten Übert re tung aus. Die versuchten V e r b r e c h e n oder V e r g e h e n bleiben bezüglich ihrer Behandlung Verbrechen oder Vergehen , auch wenn ihre jeweiligen Strafen unter den von § 1 festgesetzten Mindestbetrag der Verbrechens- oder Ver-gehensstrafen herabsinken : § 44, 1, 3, 4,

I I . G r u n d s a t z e u n d i h r e D u r c í i f ü h r u n g .

1. E s g i e b t s t r a f b a r e n V e r s u c h n u r v o r s a t z l i c h e r , n i c h t f a h r l a s s i g e r H a n d i u n g e n .

2. D e r V e r s u c h d e s V e r b r e c h e n s i s t i m m e r , d e s V e r g e h e n s n u r i n d e n v o m G e s e t z e a u s d r ü c k l i c h b e -s t i m m t e n F a l l e n , d e r Ü b e r t ' r e t u n g n i e s t r a f b a r . Die Folge-richtigkeit dieser Bestimmung ais einer durch die verschiedene Schwere der strafbaren Handlungen vorgezeichneten ist nur scheinbar. Denn da die über t re tungen fast ausnahmelos reinen Ungehorsam darstellen, so ist ein strafbarer Versuch der Übertretungen meist unmoglich (s. oben § 54 III) . Der Satz aber dass die Vergehensversuche .nur in den vom Gesetze ausdrücklich bezeichneten Fallen bestraft werden sellen, widerstreitet dem anderen Satze, dass die Beihülfe zu einem Vergehen immer strafbar sei (GB § 49). Dem Tater eines Versuchs gleicht der Gehülfe darin, dass beider Tatigkeit nur einen Teil des Delikts verwirklicht ha t : der Wille des Versuchenden jst aber auf Hervorbr ingung des ganzen Delikts , der Wille des Gehülfen nur auf die Erzeugung einiger die Verwirklichung des rechtswidrigen Ent -schlusses erleichternder, aber zur Hervorbr ingung des Delikts selbst ungenügender Bedingungen gerichtet. S. B i n d i n g , Kri t ik S. 80 u. 81. D i e G e h ü l f s c h a f t z u e i n e m V e r g e h e n i s t a l s o g r u n d s a t z H c h s t e t s m i n d e r s t r a f b a r a i s d e r V e r s u c h d i e s e s V e r g e h e n s wahrend das heutige gemeine Strafrecht die B e i h ü l f e zu „Vergehen" stets mit Strafe bedroht, den schwereren V e r s u c h des Vergehens aber vielfach straflos ausgehen lásst. Die Auswahl der mit Strafe bedrohten Vergehensversuche ist auffallend willkürlich, wie eine Gegenüberstellung aller strafbaren und einiger nicht strafbarer Vergehensversuche des GB's zeigen wird.

133 56.

S t r a f b a r e V e r g e h e n s v e r s u c h e . S t r a f l o s e V e r g e h e n s v e r s u c h e .

Das GB schreibt die Bestrafung von Vergehensv^ersuchen vor in den §§ 107. 120. 140. 141. 148. 150. 160, 2. 169, 2. 240. 242. 246, 3. 253. 263. 289, 3. 303. 304. 305. 339. 359,. ^"^- ~ 20 §§•

Das GB schreibt die Bestrafung von Vergehensversuchen n i c h t ausdrücklich vor in den §§ 49 a. 95. 97. 99. 101. 103. 103a. 104. 108—117. 121—139. 142— 145. 151. 156. 159 a. E 162 164, 1. 166. 167. 168. 170. 172. 173,2. 175. 180. 181a. 182-184. 184a u.b. 185—187. 189.201— 203. 205. 216. 221. 223. 223 a. 235—237. 239, 1. 241. 257. 258, 1. 259. 267. 271. 274-276. 278. 279. 284—288. 290—292. 294. 296. 296 a. 297. 299—302. 302 a—d. 317. 320. 321. 327-331. 337. 340-342. 348, 1. 353—356.

Bestraft solí der Versuch werden bei Nicht bestraft solí der Versuch werden folgenden Vergehen: unter anderem bei folgenden Vergehen:

•sS^'-""^!

1. Hinderung eines Deutschen in Aus- 1. übung seiner staatsbürg. Reclite, zu wáhlen oder zu stimmeu: § 107. Max. Gefáng. von 5 Jahreu. 2.

2. Befreiung Gefangeuer: § 120, Max. Gefáng. von 3 Jahren. 8.

3. Versuchte Verletzung der Wehr-pHicht: § 140. 4.

4. Anwerbung Deutscher zum auswár-tigen Militárdienst und Verleitung 5. Deutscher zur Desertion: § 141. Max. Gefáng. von 3 Jahren. 6.

o. Ausgeben nachgemachten oder ver-fálschteu, ais echt empfangenen Gel-des: §148. Max. Gefáng. von 3 Mon. 7.

6. Verringerung echter, zum Umlauf bestimmter Metallgeldstücke und in 8. Verkehrbringen derselben ais voU-gültig: § 150. Max. Gef. v. 5 J.

7. Verleitung zum falschen Eid oder zur falschen Versicherung an Eides- 9. statt: § 160. Max. Gefáne. von 2 Jahren resp. Gefáng. von 6 Monaten. Veránderung oder Unterdrückung des Personenstandes: § 169. Max. 10. Gef. von 3 Jahren. Notigung: § 240. Max. Gef. v. 1 J. Diebstahl: § 242. Max. Gef. v. 5 J. 11. Unterschlagung: § 246. Max. Gefáng. von 3, bei der Veruntreuung v. 5 J. 12,

12. Erpressuug: § 253. Max. Gef. V. 5 J. 13. 13. Betrug: § 263. Max. Gef. von 5 J. 14. Entwendung der eigenen oder einer 14.

fremden Sache zu Gunsten des Eigen-tümers: § 289. Max. Gef. von 3 J. 15.

15—17. Sachbeschádigung: §§ 303-305. Max. Gef. v. 2 X; v 3 J.; v. 5 J.

18. Notiguug durch Missbrauch der Amtsgewalt: § 339. Max. Gefáng. 16. V. 5 J.

19. Amtsuuterschlagung: § 350. Max. 17. Gefáng. von 5 Jahren.

8.

9, 10 11

Herbeiführung unrichtiger Ergeb-nisse bei Wahlhandlungen: § 108. Max. Gefáng. von 3 Jahren. Hinderung des Gottesdienstes: § 167. Max. Gefáng. von 3 Jahren. Eutweichenlassen Gefangeuer: § 121. Max. Gefáng. von 3 Jahren. Untauglichmachen zur Wehrpflicht: § 142. Max. Gefáng. von 5 Jahren. Falsche Versicherung an Eidesstatt: § 156. Max. Gefáng. von 3 Jahren. Einfach. und qual. Hausfriedens-bruch: §§ 123. 124. Max. Gefáng. von 3 Mon. resp. von 2 Jahren. Landfriedensbruch: § 135. Max. Gef. von 5 Jahren. Entführung einer Frauensperson wider ihren Willen, um sie zur Ehe zu bringen: § 236. Max. Gefáng. von 5 Jahren. Entführung minderjáhriger Frauens-personen, um sie zur IJnzucht oder zur Ehe zu bringen: § 237. Max. Gefáng. von 5 Jaliren. Einsperrung: § 239. Max. Gefáng. von 5 Jahren (ais Notigungsversuch zu strafen). Hehlerei des § 259: Max. Gefáng. von 5 Jahren. Wucher: § 302 a - d . Urkundenfálschung: § 267. Max. Gef. von 5 Jahren. Vgl. § 348, 1. Grenzfál9chung:§ 274,2. Max. Gef. von 5 Jahren. Vernichtung, BeiseiteschaíFung amt-lich auf bewahrter Urkunden u. s. w.: § 133. Max. Gefáng. von 5 Jahren. Vgl. § 274, 1 und 348, 2. Gráberzerstorung und Leichenent-wendung: § 168. Max. Gef. v. 2 J. Diebstahl an verschossener Militár-munition: 8 291. Max. Gef. v. 1 J.

^

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§ 56. 134

S t r a f b a r e V e r g e h e n s v e r s u c h e . S t r a f l o s e V e r g e l i e n s v e r s u c h e .

20. Erhebung ungeschuldeter Gebühren 18. Erhebuug ungescliuldeter Steuern durch Beamte und Eechtsbeistande § 352. Max. Gefáng. von 1 Jahr

seitens eines Beamten, der das rechts-widrig Erhobene nicht zur Kasse bringt: § 353. Max. Gefáng. v. 5 J .

19. Telegraphenstorung: § 317. Max. Gefáng. von 3 Jahren.

20. Verletzung von Abspcrrungsmass-regeln gegen ansteckende Seucheu: §§ 327. 328. Max. Gef. v. 2 resp. 1 J .

21. Incest zwischen Verschwágerten und Geschwistern: § 173,2. Max. Gefáng. von 2 Jahren.

22. Sodomie: § 175, Max. Gef. v. 5 J . 23. Beleidigung: §§ 185. 186. 187. 95.

97. 99. 101. 103. 104. Max. Gefáng. von 2 Jahren, von 5 Jahren (187. 97), von 3 Jahren, von 1 J ah r (104).

24. Zweikampf: §205. Max.Festung v. 5 J . 25. Totung emes den Tod ernstlicíi Ver-

langenden: § 216. Max. Gef. v. 5 J.^ 26. Aussetzung: § 221. Max. Gef. v. 5 J . 27. Korperverletzung: § 223. Max. Gef.

von 3 Jahren. 28. Korperverletzung seitens eines Be

amten in angeblicher Ausübiiug seiues Amtes: § 340. Max. Gef. v. 5 J .

29. EntziehungminderjáhrigerPersonen aus der Gewalt der Eltern oder Vor-münder: § 235. Max. Gef. v. 5 J .

3. D a s v e r s u c h t e V e r b r e c h e n o d e r V e r g e h e n i s t m i l d e r zu s t r a f e n a is d a s v o l l e n d e t e . GB § 44, 1. (Ganz unnotig umgekehrt im Vertrag mit Korea v. 26. Nov. 1883, Be-stimmungen III § 3 ; RGBl 1884 S. 243. Betrifft Zolldefrauden.) Wenn nun § 44 al. 2—4 die Hdhe der Versuchsstrafe nach der dem voUendeten Verbrechen oder Vergehen gedrohten Strafe bestimmt, so sollte man glauben, dass die Strafdrohung des Gesetzes immer nur der Vollendung golte. Dem ist aber nicht so. Die Strafdrohung gilt haufig sowol dem versuchten ais dem vollendeten Delikt.

a. Unter der absolut gleichen Strafe des Todes steht Hoch-verrat durch Mord und Mordversuch am Kaiser, an des Taters Landes-herrn und an dem Landesherrn, in dessen Territorium der Tater sich aufhalt: § 80. Unter den gleichen Strafen stehen in den §§ 94—102 alie „Tatlichkeiten", einerlei, ob sie versuchte oder vollendete Ver-brechen sind.

b. § 82 erkiart jeden versuchten Hochverrat für im Sinne des Gesetzes vollendet, hebt also die Anw^endbarkeit jenes obigen Grundsatzes für den Hochverrat geradezu auf. Vgl. Thomsen , Über Versuch und ünternehmen beim Hochverrat; Magaz. f. d. DR d. Gegenwart III 125 ff.; B i n d i n g , Lehrb. II S. 443 íF. Damit ist nicht gesagt, dass nun nicht die weitere Entwicklung der verbrecherischen

1 S. dazu Binding, Lehrb. I S. 35. 36. S. auch Hauptmann, Über die Bestraf. der Versuchshandlung im Falle des § 216 StrGB. Diss. Borna-Leipzig 1906.

135 56.

Tatseite für die Strafausmessung auf Grund von § 81 ais Straferhohungs-grund, das Versuchsstadium der Handlung ais mildernder Umstand anzusehen sei, wol aber, dass es keinen straflosen Rücktritt vom Ver-suche des Hochverrats gibt, und dass d i e S t r a f e d e s v e r s u c h t e n H o c h v e r r a t e s n i c h t d u r c h A b m i l d e r u n g d e r S t r a f e d e s § 81 n a c h M a s s g a b e d e s § 44 ge f u n d e n w e r d e n sol í . Dies greift auch im Falle des § 102 Platz.

c. In einer Reihe von anderen Fallen ist der Tatbestand, an welchen die relativ bestimmte Strafe anknüpft, das v e r s u c h t e Delikt. So aa. in den §§ 105. 114. 122, 1 a. E. 159. 357, wo derjenige be-droht wird, der ein bestimmtes verbrecherisches Vorhaben zu ver-wirklichen u n t e r n i m m t (ebenso SprengstofFgesetz v. 9. Juni 1884 § 9). bb. So im § 140 der früheren Fassung, wo nicht verlangt wurde, dass sich jemand dem Eintritt in das stehende Heer wirklich entzogen habe, sondern sich nur zu „ e n t z i e h e n s u c h t " . ce. In den §§ 131. 146. 229. 234. 252 (vgl. 254. 255). 258. 298 werden Handlungen bedroht, die vorgenommen werden, „um d a d u r c h " bestimmte unerlaubte Zwecke zu erreichen. Es ist wichtig, zu beachten, dass dies alies prinzipiell Versuchshandlungen oder Konkurrenzfalle von Vollendung und Versuch sind, und dass die Vollendung d e s D e l i k t s erst dann eintritt, wenn das verbotene Ziel, auf welches die bedrohte Handlung hinsteuert, erreicht ist, wenn also Staatseinrich-tungen durch Verbreitung falscher Tatsachen verachtlich gemacht sind (§ 131), das falsche Geld in den Geldverkehr eingeführt ist (§ 146), durch die Beibdngung von Gift eine Korperverletzung ein-getreten ist (§ 229), der geraubte Mensch in hülfloser Lage ausgesetzt oder in Sklaverei u. s. w. gebracht ist (§ 234), durch die Nótigung der Erpresser einen Vermogensvorteil erlangt hat (§ 253, vgl, 254. 255), der begünstigte Verbrecher der verdienten Strafe entzogen ist (§ 257), der mit der Heuer durchgegangene Schiffsmann sich dem Dienste wirklich entzieht (§ 298). — Anders verhalt. sich die Sache in den §§ 235 und 236, wo die Verübung der Unzucht und die Schliessung der Ehe mit der Entführten ais zur Vollendung der Ent-führung nicht notwendíg erscheint, das „um zu" also nur die Absicht des Entführers charakterisiren solí. — dd. In mehreren Paragrafen werden Handlungen bedroht, die zur Ausführung einer bestiramten verbrecherischen „Absicht" vorgenommen werden, ohne dass die volle Verwirklichung der Absicht verlangt würde. Auch hier gilt die Strafdrohung bestimmten Versuchshandlungen: so in den §§ 140, 1. 143 (vollenden würde sich das Delikt mit der gelungenen Umgehung der Wehrpflicht); § 265 (vollenden würde sich das Delikt mit ein-getretenerVermOgensbeschádigung der Versicherungsgesellschaft); § 275 Nr. 2 a. E. (zur Vollendung gehorte die Verwendung der Marken ais echte); § 346 (zur Vollendung gehorte, dass jemand der gesetz-lichen Strafe wirklich entzogen ware), — nicht aber in § 235, wo die hervorgehobene Absicht lediglich ais Qualifikationsgrund erscheint. — ee. Beí dem Delikt der sogenannten passiven Bestechung, s. §§ 332. 334, wird die F o r d e r u n g der Vermogensvorteile seitens des Beamten, Schiedsrichters, Geschworenen u. s, w., welche lediglich eine

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§ 56. 136

Versuchshandlung darstellt, mit der Annahme der Vorteile, d. h. mit dem vollendeten Delikt unter dieselbe Strafsanktion gestellt, wahrend der Tatbestand der aktiven Bestechung in § 333 sich lediglich ais Versuch dieses Vergehens darstellt.

Für alie diese Falle unter c. sind zwei Fragen zu beantworten: aa. í s t a i ich bei i h n e n d e r V e r s u c h m i i d e r zu s t r a f e n

a i s d i e V o l l e n d u n g ? Bei keinem von ihnen kehrt die Be-stiratnung wieder, welche GB § 82 hmsichtlich des Hqchverratsversuches triíFt, dass dieser ais vollendetes Verbrechen zu betrachten sei. Diese ganz singulare Satzung duldet keine Ausdehnung durch Analogie. Der Unterschied von Versuch und Vollendung bleibt also auch bei alien diesen Verbrechen und Vergehen zu Recht bestehen. Ein Rechts-grund, ihren Versuch an Strafbarkeit der Vollendung gleichzustellen, ist uneríindlich: somit gilfr jener Grundsatz auch für sie. Nur Absatz 2—4 des § 44 kann auf sie keine Anwendung íinden. Die Versuchs-qualitat der Handlung wirkt ais obligatorischer Strafminderungs-, die Vollendung der Handlung ais obligatorischer Straferhohungsgrund. Nach H e r z o g , Rücktritt S. 230 u. 343, ist freilich diese meine Be-gründung „nicht ernst zu nehnien"!

bb. Is t a u c h bei i h n e n e in s t r a f l o s e r f r e i w i l l i g e r R ü c k t r i t t vom V e r s u c h a i s m o g l i c h a n z u e r k e n n e n ? Für die richtige Beantwortung dieser Frage ist — wie ich glaube — erst durch die Ausführungen des Lehrbuchs I 2. Aufl. S. 11 fí". die sichere Basis gefunden worden. Die Zurückschiebung der Vollendung in das Versuchsstadium geschi^ht entweder so, dass j e d e r V e r s u c h schon die Merkmale des vollendeten Vergehens an sich tragt. So bei den Tatbestánden nach dem Typus: „Wer es unternimnit . . .". Vielleicht empfiehlt es sich, sie ais die r e i n e n V e r s u c h s v e r b r e c h e n zu bezeichnen. In anderen Fallen wird die „Vollendung" fixirt auf eine spjitere Entwicklungsstufe des Versuches. Diese Gestaltung zeigt sich in verschiedener Form. Nicht selten bildet die kausale Handlung, die den rechtsvvidrigen Erfolg herbeiführen solí, ais solche den Tatbestand der Vollendung, — einerlei, ob sie ihn herbeigefuhrt hat oder nicht. S. z. B. GB § 87. 131. 140 n. 1. 257. 288. Ich schlage für diese Form in Ermanglung einer besseren Bezeichnung die des c o u p i r t e n E r f o l g s v e r b r e c h e n s vor. In anderen Fallen, und zwar in solchen von zweiaktigen Delikten, wie z. B. bei der Münzfalschung des § 146, fállt die fórmale Vollendung mit dem Ende des 1. Aktes zusammen, sofern er vorgenommen ist in der Absicht, den zweiten folgen zu lassen. Vielleicht kann man sie ais die des „ v e r k ü m m e r t e n z w e i a k t i g e n V e r b r e c h e n s " bezeichnen.

Be i den b e i d e n l e t z t e n T y p e n l a s s t s i c h s t e t s noch e in V e r s u c h von d e r f o r m a l e n V o l l e n d u n g b e g r i f f l i c h s c h e i d e n , u n d von d i e s e m V e r s u c h e g i e b t es n a t ü r l i c h a u c h e i n e n R ü c k t r i t t n a c h GB § 46. Anders bei den r e i n e n V e r s u c h s v e r b r e c h e n . Hier fehlt der juristische Vorhof vor der formalen Vollendung, scheinbar also jede Berechtigung, die Moglichkeit eines Rücktrittes anzunehmen. Sieht man sich aber die einschlagenden Falle genauer an, so lasst sich für ihre strengere Behandlung

137 56.

schlechterdings kein Grund entdecken. Das einzige, was den Gesetz-geber zu solcher Fassung der Tatbestande veranlasst, ist seine Scheu vor Genauigkeit und Gleichraássigkeit der Normirung. Den vom Mordversuche Rücktretenden straflos zu lassen, den Meuterer aber, der zurücktritt vom Unternehmen, den Aufseher zu notigen, zu strafen, ist ein unertraglicher Widerspruch. „Und so wird man diese Be-stimmungen richtig dahin auszulegen haben, dass der ,Unternehmer' mit der vollen Strafe des Gesetzes belegt werden solí, falls die Voraus-setzungen der Strafbarkeit gegeben sind, also falls nicht freiwilliger Rücktritt vorliegt."

4. S o w e i t n i c h t v e r s u c h t e s u n d v o l l e n d e t e s D e l i k t u n t e r d e r g l e i c h e n S t r a f d r o h u n g s t e h e n , s i n d d i e S t r a f -m i t t e l fü r v o l l e n d e t e V e r b r e c h e n n i c h t a l i e a u c h fü r d e n V e r s u c h v e r w e n d b a r . T o d u n d l e b e n s l a n g l i c h e F r e i h e i t s s t r a f e n e n t f a l l e n fü r ihn . Die Nebenstrafen des V e r l u s t e s d e r b ü r g e r l i c h e n E h r e n r e c h t e und der Po l i ze i -a u f s i c h t ^ , welche neben der Hauptstrafe des vollendeten Verbrechens ausgesprochen werden müssen oder dürfen, müssen oder dürfen auch neben der Versuchsstrafe Anwendung finden, aber nur dann, wenn diese Strafen nach Massgabe des Gesetzes solchen Zusatz zu tragen vermogen. Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte ist also neben einer Versuchs-Gefangnisstrafe unter 3 Monaten nicht moglich (GB § 32); ebensowenig darf Zulassigkeit der Polizeiaufsicht neben einer Strafe wegen schweren Diebstahlsversuches ausgesprochen werden, falls diese Strafe nicht Zuchthaus ist (GB § 248).

5. D i e M a x i m a l s t r a f e d e s V e r s u c h e s betragt: a. wenn die Vollendung mit Tod, mit Zuchthaus oder mit

Festung auf Lebenszeit bedroht ist, 15 Jahre Zuchthaus oder 15 Jahre Festung;

b. in alien anderen Fallen die náchst niedere Strafposition unter dem Máximum für die Vollendung. Betrágt dieses 10 Jahre Zuchthaus, dann 9 Jahre und 11 Monate; betragt es 3 Jahre Gefángnis, dann 2 Jahre 364 Tage. In a l i e n d i e s e n F a l l e n i s t d e r U n t e r s c h i e d d e r H o c h s t b e t r a g e v i e l zu k l e i n .

6. D i e M i n d e s t s t r a f e d e s V e r s u c h e s betrágt in den Fallen s. 5a 3 Jahre Zuchthaus resp. 3 Jahre Festung. Im Übrigen fallt sie mit der Mindeststrafe der Vollendung zusammen, wenn diese un-teilbar ist, also 1 Tag Freiheitsstrafe oder 3 Mark betragt. D a n n i s t d e r G r o s s e n u n t e r s c h i e d d e r V e r s u c h s - u n d d e r V o l l -e n d u n g s s t r a f e ü b e r h a u p t g l e i c h N u i l ! „In den übrigen Fallen kann die Strafe bis auf ein Vierteil des Mindestbetrages der auf das vollendete Verbrechen oder Vergehen angedrohten Freiheits-und Geldstrafe ermassigt werden."

7. D i e V o r b e r e i t u n g s h a n d l u n g b e d a r f e i n e r b e -s o n d e r e n N o r m u n d e i n e s b e s o n d e r en S t r a f g e s e t z e s , um s t r a f b a r zu w e r d e n . Solche Strafg€setze sind im geraeinen

^ Man gestatte hier der Kürze halber die Un genauigkeit, Aon einer Neben-strafe der Polizeianfsiclit zu sprechen. S. dagegen unten § 104.

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§ 56. 138

deutschen Strafrecht vielfach enthalten: vgl. bes, GB §§ 83—86. Ist § 46 auf sie per analogiam auszudehnen?

III. F r e i w i l l i g e r R ü c k t r i t t . Anmerkungen zu GB §46. „Der Versuch^ ais solcher^ bleibt straflos, wenn der Thater 1. die Ausführung^ der beabsichtigten Handlung aufgegeben hat,

ohne dass er an dieser Ausfuhrung durch Umstande gehindert worden ist, welche von seinem Willen unabhangig waren *, odér

2. zu einer Zeít, zu welcher die Handlung noch nicht entdeckt war^, den Eintritt des zur Vollendung des Verbreehens oder Ver-gehens gehorigen Erfolges durch eigene Thatigkeit abgewendet hat* ."

1. Der Paragraf hat nur den Fall der E i n t á t e r s c h a f t ira Auge und ordnet die Bedingungen der Straflosigkeit des versuchenden einen Taters an. Korrekter stande statt „der Versuch" „der Ver-suchende" u. s. w. Dass im Falle der M i t t a t e r s c h a f t der Rücktritt des einen Taters den andern nicht straflos macht, ist unleugbar. S e l b s t v e r s t a n d l i c h g i e b t es a u c h e i n e n s t r a f l o s machen-d e n R ü c k t r i t t fü r d e n A n s t i f t e r u n d d e n G e h ü l f e n , S. auch RG IV V. 1. Dez. 1905 (E XXXVIII S. 223 ff.), Tritt der Tater von einem sog. qualifizirten Versuch zurück, so werden An-stifter und Gehülfe nicht straflos. In alien anderen Fallen des Tater-Rücktritts ist das Loos der letzteren bestritten. Wer durch den Rücktritt das Delikt ais beseitigt ansieht, muss natürlich dann auch sie für straflos halten. Ich habe bis zur 5. Aufl. (S. 118) einschliesslich geglaubt, diess sei nicht der Standpunkt des GBs. Nach diesem bleibe trotz des Rücktritts ein Versuch übrig: dann aber liege. am nachsten, die Straflosigkeit ais personliche Pramie allein für den Rücktretenden zu fassen, Ich bin an dieser Ansieht irre geworden. S. B i n d i n g , Das bedingte Verbrechen, GS LXVIII 1906 S. 23 ÍF. Der freiwillige Rücktritt hebt allerdings nach richtiger Auffassung das Delikt auf: er gestaltet sich zur Resolutivbedingung für dasselbe. Auch will mir jetzt scheinen, das Gesetzbuch woUe uns nicht zwingen, diese Auffassung zu verleugnen ; nur die Motive hegen diese Absicht. S. den Stand des Streites bei O l s h a u s e n zu § 46 n. 2; vg\. auch H e r z o g a. a. O. S. 260 fF. G u t K o h l e r , Studien I S. 143/4.

2. D. h. ais teilweise verwirklichtes Delikt. Sofern die Ver-suchshandlung ein vollendetes Delikt einschliesst, ist dieses ais solches zu strafen,

3. Lies: „Die Vollendung der begonnenen Ausfuhrung". 4. Schlechte Ausdrucksweise! Ausser den seltenen Fallen, wo

der Verbrecher durch überlegene Gewalt an der Vollendung gehindert wird, ist es immer sein eigener Entschluss, der ihn veranlasst, von der Weiterführung der Handlung abzustehen, sei's nun, dass er diese ais unmoglich erkennt oder zu erkennen glaubt oder Angst hat, er-griíFen zu werden, und deshalb fliehl u. s. w. D a s H i n d e r n i s , an w e l c h e m d i e H a n d l u n g s t r a n d e t , i s t a l so e n t w e d e r ü b e r l e g e n e p h y s i s c h e G e w a l t , d e r g e g e n ü b e r d i e A b s i c h t d e s V e r s u c h e n d e n a u f W e i t e r f ü h r u n g d e r H a n d l u n g g e r i c h t e t b l e i b e n k a n n , o d e r d e r e i g e n e W i l l e des T a t e r s . Zu dem sog. f r e i w i l l i g e n Rücktritt ist erforderlich:

139 § 57.

a. nicht ledigHch Abstehen von der Weiterführung der begonnenen Handlung, sondern A b s t e h e n u n t e r d e f i n i t i v e r A u f . -g a b e d e s v e r b r e c h e r i s c h e n E n t s c h l u s s e s u n d H e m m u n g d e r w e i t e r e n E n t w i c k l u n g d e r v e r b r e c h e r i s c h e n T a t -s e i t e , — zwei Requisite, welche das Gesetz zu erwahnen versaumt;

b. dieses Abstehen von der Vollendung und die definitive Aufgabe des Vorsatzes dürfen ihren Grund nicht in dem Glauben an die UnmogUchkeit der Vollendung oder der unentdeckten Vollendung gefunden haben. Letzteres will das Gesetz wol mit den Worten „durch Umstande . . . ., welche von seinem Willen unabhangig waren" be-zeichnen. Beim freiwilligen Rücktritt bestimmt den Tater ein von ihm selbst aus seinem Innern erzeugtes Hindernis für die Vollendung, die Handlung samt der verbrecherischen Absicht aufzugeben. So die Vor-stellung der Rechtswidrigkeit oder der Strafbarkeit seiner Handlung oder der Tragweite ihrer Folgen u. s. w. Die Angst vor sofortiger Ergreifung oder Entdeckung dagegen bildet einen Hinderungsgrund, den die Umstande ihm aufdringen. S. auch RG IV v. 8. Juli 1887 (E XVI S. 182 ff.). Und wenn er dieser Angst weicht, so ist das kein freiwilliger Rücktritt. So kann man nicht mit RG sagen, dass der Beweggrund des Abstehens gleichgültig sei. So RG IV v. 8. Juli 1887 u. V. 31. Jan. 1902 (E XVI S. 182 ff.; XXXV S. 102/3). Es kommt auf die Quelle seiner Entstehung an. Richtig RG II v. 16. Febr. 1905 (E XXXVII S. 402 ff.).

5. Vgl. die ahnliche Ausdrucksweise in GB § 310. Glaubt der Tater, sie sei entdeckt, wahrend sie es nicht ist, so schliesst diess seine Straflosigkeit nicht aus. Glaubt er falschlich, sie sei nicht entdeckt, so verdiente er Straflosigkeit, doch das Gesetz gonnt sie ihm nicht.

6. In nicht zu billigender Weise hat hier das GB dem ganz verfehlten Begriff des b e e n d i g t e n V e r s u c h s praktische Bedeutung verliehen. Der Rücktritt nach Massgabe von § 46 n. 1 macht den beendigten Versuch nicht straflos, vielmehr nur der Rücktritt v o r E n t d e c k u n g d e r H a n d l u n g ^ . Das Erfordernis, dass der Ver-suchende durch eigene Tatigkeit den Eintritt des Erfolgs abwenden muss, versteht sich für § 46 n. 2 ebenso von selbst wie für § 46 n. 1. Tritt der Erfolg in beabsichtigter Folge des Versuchs ein, so liegt Vollendung vor, und wendet der Tater nicht selbst, sondern ein anderer an seiner Statt den Eintritt des Erfolges ab, so fehlt die Aufgabe der Ausfuhrung. Über die Wertlosigkeit des Begriffs des beendeten Versuchs s. Bdg, Kr S. 76.

§ 57. D. Znsammentreffen von Versuch und Vollendung. B 81. G 103. K 88.

Drittes Eapitel. Die Zurechnnng der Tat zur Schuld. Über Kausalzusammenhang sind zu vergleichen H^ 104—109. Vgl. II S. 24.

Bdg, N I 17. II 47-49. B 62. 63. M 28. 29. MI 36. 37—41. Li 29. 30. WV 71. Sch 34. L 51. 53. H 55. 56. Fi 54—56. — S t ü b e l , Thatbestand §§ 68—95 und

^ Schon die Goldene Bul le v. 1356 Kap. 24 § 10 sagt: Is vero, qui usus fuerit faccioue, si vel sero, tamen i n c ó g n i t a a d h u c c o n s i l i o r u m a r c a n a patefécerit, absolucione tamen ac venia dignus habebitur.

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§ 5 7 . 140

117—165. — Y r i e s , De delictis ommissionis. Amstel. 1831. — B a u m e i s t e r , Be-merkiingen zur Strafgesetzgebiuíg. Leipzig 1847 S. líF. — L u d e n * , Versuch S. 457 if., 473fF. — D e r s . , Thatbestand S..202—297. — K r u g , Kommentar. 4. Ahí. 11. Uber Unterlassuugsvorbrechen. I IL Über Kausalzusammeuhang. S. 21—72. —-G e y e r bei GA XI I I 1865 S. 239 ff uud 313 ff. — .v. B a r , Die Lehre vom Kausalzusammenhang. Leipzig 1871 (m. E. verfelilt! Über v. Bar siehe G e y e r , KrV XIV 1872 S. 161ÍF). — v. B a r bei Grünh. IV 1877 S. 35 ff. —..v. B u r i , Über Kausalitát und deren Verantwortung. Leipzig 1873. — G1 a s e r *, Über strnf-bare Uuterlassungen, in seineu Abhaudl. aus dem osterr. Strafrecht, Bd. í, Wien 1858, S. 2 8 7 - 5 0 3 . — D e r s . , HRLex. I I I S 932 ff. s. v. Unterlassungsverbrechen. — G e s s l e r , . . Dolus S. 241 tf. — M e r k e l * , Krim. Abhaudl. I S. 76—90 — V, B u r i * , Über die Begehung der Verbrecheu durch Untorlassuug: GS 1869 S. 189—218; vgl. d e n s . , GS 1875 S. 25-íF.; 1876 S. 170ff.; GA XXIV 1875 S, 89; GS 1880 S. 372ff.; Z f. S t rRW II 400 íF.; I I I 232 íF. - O r t m a n n , StrRZ 1873 S.465ft'.; GS 1874 S 439 íF.; 1875 S. 209 íF.; 1876 S.82ÍF.; GA XXÍ I I 1874 S. 268 fF.; XXIV S. 93ÍF.: GS 1880 S. 173 íF. — P f i z e r , GS 1876 S. 548 ff. — S c l i w a l -b a c h , GS 1879 S. 539 ff. 602ff.; 1881 S. 386 (dazu G l a s e r , GS XXXIV S. 146 ff.). — S e l i g s o h n , GA X X V H I 1880 S. 210 ff. — L a m m a s c h , Handlung uud Erfolg: bei Grüuhut IX 1882 S. 221. — v. B e r g e r , Über Bewirken durch Unter-lassen: das. S. 734ff. — A l d o s s e r , Inwiefern kSnnen durch Uuterlassungen strafbare Haudlungen begangen werden? Müncheu 1882. — S t u r m , Die Kom-missivdelikte duren Uuterlassung und die Omissivdelikte. 2. Aufl. Kassel 1884. — D e r s . , Die Rechtswidrigkeit der Unterlassuug. Berliu 1895. — H e r t z , HRLex I I S. 444ff. s. v. Kausalzusammenhang. — H a u p t , Z f. S t rRW 11 533ff'. — C a r US, Ursache, Gruud und Zweck. Dresdcn 1883. — R o t e r i n g , GS 1883 S. 296 ff. — V. P r a n t l * . Zur Kausalitátsfrage (Sitzungsber. der phiíos.-philol. Klasse der k. bayer. Ak. der Wiss. 1883 Heft II). — v. B u r i , Die Kausalitát und ihre strafrechtl. Beziehuugen. Stutt^art 1885. — L o e u i n g , Grundriss S. 12ff. — B i r k m e y e r * , Über Ursachenuegriff und Kausalzusammenhang ini Strafrecht. Rostock 1885 (auch GS 1885 S. 257—367). — v. R o h l a u d , Festrede zur Jahresfeier der Universitát Dorpat Das. 1885. — D e r s . , Die strafbare Unterlassuug I. Dorpat u. Leipzig 1887 (darüber gut M e r k e l , Deutsche Li tera t l l l - í^p ih in fr 1 « « S « t;RA 4¥\ , . 1 . ' - - - ry, n —.. -^ ^ - • -lie K;— —..^..„^^, ,^ i. . Lij-i,»» i^i. loQv o. ^yy n. — a vi brech. Erfolges, GA X X X V I S. 420 ff. — K r o p v e l d , Bijdrage tot de leer van het strafbare laten. Acad. proefschrift. Amsterdam 1889. — K o h l e r , Studien, I S. 45 ff., 83 ff'. — L a n d s b e r g , Die sog. Kommisi\'delikte durch Unterlassuug im deutschen Strafrecht. Freiburg i. Br'. 1890. — R o s i n , Recht der Arbeiter-versich. I. Berliu 1893'. S. 268 ff'. — H u t h e r , Der Kausalzusamnienhaug ais Voraussetzung des Strafrechts. Wismar 1893. — D e r s . , GS LI I 1896 S. 241 ff., 321ff.; LVÍ I 1900 S. 241 ff — D e r s . , Z f. S t rRW XVII I 1898 S. 751 ff'.; GA X L V I S. 257 ff,; X L V I I I 1901 S. 278 ff'. — H o r n , Der Kausalitátsbegriff in der Philüsuphie u. jm Strafrecht. Leipzig 1896 (dazu L o f f l e r , bei Grünhut X X I I S. 345 ff). — T h o n , Rektoratsrede über den Begrift" der Kausalitát. Jena 1894. — G. M ü l l e r , Das Kausalitátsproblem im Strafrecht. GS L 1894 S. 241 ff. — T h y r é n , Abhaudl. aus dem Strafrecht u. der Rechtsphilosophie. I. Bemer-kungen zu den krim. Kausalitátstheorieen. Luud 1894. — H e s s , Der Kausal-zusammenliaug u. unkorp. Denksubstrate. Heft I u. I I . Hamburg 1895 (dazu A p p e l i u s , Kr VJSchr XXXVII S. 451 ff.). — M e r k e l , Begehung durch Uuterlassung. Diss. Nüraberg 1895. — A b r a h a m s o h n , Strafrecntl. Studien. Berliu 1898. — M e u t h a , Les délit,^ de commission par omission. Neuchátel 1898. — G u t h m a n u , Die negativeu Bedingungen in ihreu Beziehuugen zu den unechten Unterlassungsdelikten. Breslau 1»99. — M a y e r , Der Causalzusammenhang zwischeu Handlung und Erfolg im Strafrecht. "^Leipzig u. Tüb. 1899. — D e r s . , Z f. S t rRW X X 1900 S. 545 ff. — v. B r ü u u e c k , Die herrschende Kausalitáts-theorie . . . Diss, Halle 1897. — H a r t m a n n , Das Kausalproblem im Strafrecht. Breslau 1900 — M. R ü m e l i n , Die Verwendung der Causalbegriffe im Straf- u. Civilrecht. Tübingen 1900. — L i e p m a n n S. 47íF — W. M e y e r , Das Zusammen-treffen mehrerer . . . von eiu. unabnáng. Tátigkeiten z. Herbeiführ. dess. verbrech. Frfolges Diss. Müuster 1900. — G a n d , Du délit de commission par omission.

141 5§ 5 8 . 5 9 .

Thése. París 1900. — K ü h l e s , Fragen der Causalitát. Diss. München 1895. — R a d b r u c h , Die Lehre v. d. adaequaten Veruraachung. Diss. Berlin 1902. — G e n z m e r , Der Begriff des Wirkens. Berlin 1903. - P. F i s c h e r , Z f. S t rRW X X I H 1903 S. 458ÍI — Y. R o h l a u d * , Die Kausallehre des Strafrechts. Leipz. 1903. — L i t t e u , Die Ersatzpflieht des Thierhalters im Rechte des BGB. Berlin 1904. — W i e c h o w s k i , Die Unterbrech. des Kausalzusammenhangs. Breslau 1904. — T r a e g e r , Der Kausalbegrirt" im Straf- u. Zivilrecht. Marburg 1904 (dagegen K o h l e r , GA LI 1904 S. f327 ff".). — M. E. M a y e r , Z f. S t rRW XXVI 1906 S. 277 ff. — K r i e g s m a n u , GS LXVII I 1906 S. 134 ff. — R e i n a c h , Über den Ursachenbegriff im gelt. Strafrecht. Leipzig 1905. — Dagegen G r a f D o h n a , Beitrag z. Lehré v. d. adaequaten Verurs.: in Aschaffenburgs Mouatsschrift I I 1905 S. 425ff'. — L i e p m a n n * , Z. Lehre v. d. adaequaten Verurs., GA LI I 1905 S. 326ff. — S p o h r , Z f. S t rRW XXV_ 1905 S. 383 ff". — R o t e r i n g , Unterlass. nach schuldlos gesetzter K-ausalitát-, Zeitschr. f. Rechtspflege in Bayern 2. Jahrg . 1906 S. 54ff — B e r o l z h e i m e r , Svst. der Rechts- u Wirtschafts-Philosophie I S. 239 ff. — H e s s , Jherings JahrK XXXVII 1897 S. 327 ff. — R u m p f , Das. X L I X 1905 S. 333ff — R e d s l o b , Die krimiuelle Uuterlassung. Breslau 1906 — V^l. auch K o e n i g , Die Entwickl. des Causalproblems (Bd. II in der Philos. seit Kant). S. ferner oben die Literatur über die Handlung vor § 37.

§ 58. I . Die Lehre YOIU Kausalznsamineiiliange.

§ 59. I I . Insbesondere bei Unterlassungsverbrecheu.

Tiertes Kapitel. Veibrechenseinheit muí Yerbrechensniehrheit.

H2 215—218. 263—265. Bdg , H 116—123. MI 97-100 . Li 5 4 - 5 7 . B 145. 146. 149. Sch 55. M 6 1 - 6 3 . W V 94. 95. 97. 98. G 78. H 148. K 137. 138. Fi 72—75. M e r k e l , bei HH II S. 573 ff'.; ÍV S. 255. M o m m s e n , Rom. Strafr.

S. 98 ff. K l e i n s c h r o d , Grundbegrifte I I I S. 202 ff'. — F e u e r b a c h , Revisión I

S. 336 ff. — S a v i g n y , De concursa delictorum forrnali. Marburg 1800 (auch Vermischte Schriften IV S. 76—168). —• S c h r o e t e r , De concursu delictorum. Lipsiae 1812. — O e r s t e d , Grundregeln S. 392 ff". — R o t t e c k , Uber Kon-kurrenz der Verbrecheu. Freiburg 1840. — B a u e r , Abhandl. I I S. 1—98. — K r u g , Über die legislat. Behandlung der Konkurrenz der Verbrechen: Kommentar Abt. IV S. 132—153. — S c h w a r z e , Zur Lehre von dem sog. fort-gesetzteii Verbrechen. Erlangeu 1857. — D e r s . , GA VIII 1860 S. 343 ff", 433 ff".

1883 S. 575 ÍF. — K r u Über den Begrift*

, unter dems. Titel. Leipzig 1857. — es fortgesetzten Verbrecheus. Friúburg

G e y e r , das. 1861 S. 43 tt"._ Auch Kl. Schriften S. 139 ft'. — D e r s , , HRLex. s. V. Konkurrenz II S. 506 ft". — B e r n e r , Gruuds. d. preussischen Strafrechts. 1861. S. 82—127. — G e s s l e r , GA IX 1861 S. 73ft\ 146 ff. 297 ff. — M e r k e l * , Zur Lehre vom fortgesetzten Verbrecheu. Darmstadt 1862. — D e r s . , bei H H I I S. .573ff.; IV S. 225 ff. - v. B u r i , Abhandl. aus d. Strafrecht. Giessen 1862, S. 94—113. — D e r s . , Einheit und Mehrheit der Verbrechen. Stuttgart 1879. ~ V. S t e m a n n , GS 1872 S. 23ff. — T i p p e l s k i r c h , GA XX 1872 S. 171 ff. — O r t m a n n , GS 1874 S. 68 ff; GA XXXV S. 26 ff. - O r t l o f f , GA XXIV 1876 S. 422 ff; X X X I I S. 395ff. — H i 11 e r , GS 1880 S. 195 ff. — D e r s . , Grünh. X I l l 1886 S. 126ft". — T e i c h m a n n , GS 1880.S. 401 ft". 546ff". - H a b e r m a a s , Die idéale Konkurrenz der Délikte. Stuttgart 1882. — L o w e u s t e i n , Die Verbretthenskonkurrenz nach dem Reichsstrafgesetzbuch. Stuttgart 1883. — S c h ü t z e , Z f. S t rRW I U S . 48 ff. - K á r c h e r , GS XXXV 1884 S. 431 ff. XXXVI 1884 S. 431 ft". - v. B u r i , das. S. 5i7ff. — D e r s . , Kausalitát, S. 80 ff. — R e i f f e l , GS 1878 S. 498ft'. — B ü n g e r , Über Handeln und Handlungseinheit, Z f. S t rRW V I H 1888 S. 520 ff. 661 ff. — S t e l l i n g , GS X L H 1889 S. 121 ff. — l l e i n e m a n n , Die Lehre v. d. Idealkonkurreuz. Berlin 1893. — W a c h e n -f e l d , Theorie der Verbrechenskonkurrenz. Berlin 1893. — R a t h e n a u , Zur

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8 ou. 142

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§ 60. I . Die Verbrechenseinheit. Inshesondere vom fortg-esetzten Ver-brechen. U n a n w e n d b a r k e i t des GB §§ 73—79 auf die V e r b r e c h e n s e i n h e i t .

D e s S t r G B s f ü n f t e r A b s c h n í t t : „ Z u s a m m e n t r e f f e n m e h r e r e r s t r a f b a r e r H a n d l u n g e n " handelt vom Zusamraen-treffen m e h r e r e r strafbarer Handlungen behufs eínheitlicher Straf-anwendung , also von der sog. V e r b r e c h e n s k o n k u r r e n z : und zwar § 73 von der sog. idealen, die §§ 74—79 von der sog. realen Konkurrenz .

Ausser Betracht bleiben: 1. D i e F a l l e , w o n u r e i n e e i n z i g e v e r b r e c h e r i s c h e

H a n d l u n g s i c h z u g l e í c h u n t e r v e r s c h i e d e n e S t r a f g e s e t z e s u b s u m i r e n l a s s t , wie z. B. der Raub zugleich unter den § 249 und die §§ 242 u. 240 verb. mit § 73, ebenso die Brandstiftung an Gebauden ih betrügerischer Absicht zugleich unter §§ 306 resp. 308 und § 265 u. s. w. Neuerdings schlecht sog. Fall der G e s e t z e s -k o n k u r r e n z . E r liegt besonders auch dann vor, wenn Strafgesetze im Verhaltnisse der Alternativitat oder Subsídiaritat stehen. S. oben § 25. Die oft schwierige Frage, nach welchem der mehreren Strafgesetze die Bestrafung jeweils stattzufinden habe, kann nur auf Grund sorgfaltiger Prüfung des Verhaltnisses dieser mehreren Strafgesetze zu einander und der zu beurteilenden Handlung selbst beantwortet werden. S t e t s i s t a b e r i n d i e s e n F a l l e n n u r e i n S t r a f -g e s e t z a n z u w e n d e n . — Allerdings kann es im einzelnen Falle zweifelhaft sein, ob e i n Verbrechen oder Verbrechenskonkurrenz vor-liegt, wie z. B., wenn jemand in amtlicher Aufbewahrung befindliche Urkunden stiehlt (vgl. die §§ 133 u. 242).

2. D i e F a l l e , w o e i n e i n z i g e s V e r b r e c h e n s c h e i n b a r

143 § <30.

u n t e r m e h r e r e S t r a f g e s e t z e g l e i c h z e i t i g s u b s u m i r t w e r d e n m ü s s t e , w e i l b e i i h m z u s a m m e n t r e f f e n

a. m e h r e r e S c h a r f u n g s g r ü n d e . S o z . B. wenn jemand einen Totschlag begeht an seinem Ascendenten (§ 215), der sich der Unternehmung einer strafbaren Handlung des Taters widersetzt (§ 214), oder wenn Bandenmitglieder (§ 243, 6) bewaffnet (§ 243, 5) oder durch Einbruch (§ 243, 2) in einer Kirche (§'243, 1) stehlen. H i e r k a n n n u r d a s G e s e t z z u r A n w e n d u n g k o m m e n , w e l c h e s d e n s c h w e r s t e n Q u a l i f i k a t i o n s g r u n d b e r ü c k s i c h t i g t (so schon CCG A. 163); d i e ü b r i g e n w i r k e n a i s S t r a f e r h O h u n g s -g r ü n d e . Drohen die verschiedenen Gesetze gleiche Strafen, so kommt nur eines von ihnen zur Anwendung;

b. m e h r e r e M i l d e r u n g s g r ü n d e . B e i K o n k u r r e n z m e h r e r e r P r i v i l e g i r u n g e n i s t d a s U r t e i l n a t ü r l i c h a u f d a s S t r a f g e s e t z z u g r ü n d e n , w e l c h e s d e n s t a r k s t e n P r i v i l e g i r u n g s g r u n d b e r ü c k s i c h t i g t ;

c. e i n S c h a r f u n g s - m i t e i n e m M i l d e r u n g s g r u n d . I n d i e s e n F a l l e n l a s s t s i c h e i n e R e g e l v o n g l e i c h e r

E i n f a c h h e i t n i c h t a . u f s t e l l e n , wenn das Gesetz nicht etwa, wie bei gescharften Diebstahlen oder Raubhandlungen jugendlicher Personen, Vorsorge getroífen hat, dass beide Arten von Strafbemessungs-gründen gleichzeitig berücksichtigt werden konnen. Ist dies nicht geschehen, dann hat der Richter zu prüfen, welcher Grund nach dem Willen des Gesetzes der gewichtigere ist, Wird von bewaflfneten Bandenmitgliedern mittelst Einbruchs eine Genussmit te l -Entwendung verübt, so sollte kein Zweifel herrschen, dass auf der Wage der Ge-rechtigkeit die Schaale des § 243 die des § 370 n. 5 hoch in die Luft schnellt!

3. D i e j e n i g e n F a l l e , wo e i n e R e i h e v e r b o t e n e r H a n d l u n g e n z u s a m m e n n u r e i n V e r b r e c h e n b i l d e t . Man denke an die Strafdrohungen, welche nur wider geschaftsmassige, gewohn-heitsmassige (s. RG IV v. 1. Dez. 1«99, E X X X I I S. 398/7) oder gewerbsmassige Handlungen gerichtet sind. GB §§ 150. 180. 260. 302 e. 361 Nr. 6. Vgl. auch beispielsweise Ges. betr. Kinderarbeit v. 30. Marz 1893 §§ 23. 24. 2 5 ; Wettgesetz v. 4. Jul i 1905 §§ 3 u. 6. Es liegen dann künstlich geschaffene fortgesetzte Verbrechen vor. Sehr bedenklich übrigens RG IV v. 2. Jul i 1901 (E X X X I V S. 310/1), wonach e i n fortgesetztes Verbrechen zur Annahme eines gewohnheits-massigen Verbrechens ausreichen konne. Damit wird der ganze Begriff der Gewobnheitsmassigkeit über den Haufen geworfen!

4. Das echte f o r t g e s e t z t e V e r b r e c h e n , welches sich — wenigstens in alien Fallen des einfachen (nicht zusammengesetzten) Verbrechens — ais D e l i k t s e i n h e i t scharf von dem gewerbs- oder gewohnheitsmassigen Verbrechen, ais V e r b r e c h e n s e i n h e i t scharf von der Konkurrenz unterscheidet. Mit dem fortgesetzten Verbrechen sich zu beschaftigen hatte das Gesetzbuch nicht den geríngsten Anlass. Ganz bodenlos O p p e n h o f f s Behauptung (zu § 74 Nr. 3 nach der 13. Aufl.), das GB habe durch §§ 73 u. 74 „die ganze Theorie (!) von dem fortgesetzten Verbrechen aufgegeben und beseitigt". (In den

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^w § 6 1 . 144

n e u e r e n A u f l a g e n ist d e r S a t z g e s t r i c h e n . ) W i e f r ü h e r O p p e n h o f f a u c h O r t l o f f , G A X X I V S. 4 2 2 ÍF. S e h r b e e i n t r á c h t i g t w i r d d i e H a n d h a b u n g des Begr i í í s des fo r tgese tz t en V e r b r e c h e n s d u r c h d i e N e i g u n g d e r P r a x i s , g e n e r e l l e I n t e n t i o n e n des T a t e r s , wie z. B . d i e , e in K i n d be i j e d e r G e l e g e n h e i t zu m i s s h a n d e l n o d e r e ine K a s s e bei j e d e m G e l d b e d a r f e z u b e s t e h i e n , m i t e i n h e i t l i c h e n V o r s á t z e n z u v e r w e c h s e l n . J e n e s ind k e i n e t a u g l i c h e Bas i s , u m d a r a u f d i e A n -n a h m e e ines fo r tgese t z t en V e r b r e c h e n s zu g r ü n d e n . L e h r r e i c h e s Be i -spie l R G I I V. 1 3 . Ma i 1898 ( E X X X I S. 150/1) .

5. D i e j e n i g e n F a l l e , w o m e h r e r e s t r a f b a r e H a n d l u n g e n b e g a n g e n w o r d e n s ind , wo a b e r b e z ü g l i c h a l l e r m i t A u s n a h m e von e ine r Straf-a u s s c h l i e s s u n g s g r ü n d e v o r l i e g e n . D a n n s t eh t n u r d i e S t r a fe d e r j e n i g e n H a n d l u n g z u r A n w e n d u n g , b e z ü g l i c h d e r e n e in S t r a f a u s s c h l i e s s u n g s -g r u n d n i c h t vo r l i eg t . S. O p p e n h o f f zu § 7 3 N r . 12. S. a u c h R G I V V. 29. O k t . 1886 ( E X V S. 12 ÍF.-).

§ 61. I I . Die Verbrechensmehrhe i t . Insbesondere Ton der Konkar reuz der Verbrechen . GB §§ 7 3 - 7 9 . Vgl. auch die Literatur zu § 114. S. neuerdiugs über die Abgrenzung von Ideal- u. Realkoukurrenz llCr IV V. 28. April 1899 (E X X X l f S. 137 ff. Für teilweise kausale Koinc'idenz; zeitl. Zusammenfalleu reiche uicht aus).

Dritte Unterabteilung. Das wirkliche Subjekt des Verbrechens.

F e u e r b a c h , Revisión 11 S. 251 ff. — D e r s . , Krit. I I S. 125—162. — S t ü b e l , Übcr den Thatbestaná der Verbrechen, die Urlieber ders. u s. w. Wittcnberg 1805. — D e r s , Über die Theilnahhme mehrerer Personen an einem Verbrechen. Dresden 1828. — W o l t h e r s , Dissert. de auctoribus, sociis et fautor] bus eorumque poenis. .. Groningae 1823. — B a u e r , Abhandl. I S. 409 ff. Gottingen 1840. — K i t k a , Über das Zusammentreften melirerer Schuldigen bei eynem A'erbrcchcn. Wieu 1840. — Z i e g l e r , Die Theilnahme an einem Ver-brechen nach P . G. O. A. 148. Marburg 1M5 (zu Artikel 148 der CCC). — L u d e n , Thatbcstand S. 332 ff. — H o o r e b e k e , Trai te de la complicité en matiére pénale. Gand 1846. - - H e p p , ANF 1846 S. 313 ff.; 1848 S. 262 ft'. — B e r n e r * , Die Lehre von der Theilnahme am Verbrechen. Berlin 1847. — D e r s . , Gruudsatze d. preuss. Strafrechts S. 18—58. — Z a c h a r i a , Zur Lehre von der Teilnahme . . ., insbes. der Anstiftung: ANF 1850 S. 265ff. 1851 S. 209ff'. - O s e n b r ü g g e n , Die Theilnahme am Verbrechen nach altdeutschem Recht : Z f. deutsches Recht XATII 1858 S. 82 ff". - v. B a r , Zur Lehre vom Versuch und von der Theilnahme, Hannover 1859. — v. B u r i , Zur Lehre v. d. Teilnahme a. d. Ver-brechen und der Begühstigung. Giessen 1860. — D e r s . , GS 1867 S. 273ff.; 1870 S. Ift' 81 ff. 221 ff. 275 ff'.; 1876 S. 191 ff. — D e r s . , GA XIE 1864 S. 505ff".; XVrr 1869 S. 233 ff., 305 tt: — D e r s . , Z f S t rRW I I 232 ff. — D e r s . , Kausali tát S. 38—71. — G e y e r , Erorterungen S. 90- 208 — D e r s . * bei HH 11 S. 319 bis 428. IV S. 141 ff". — D e r s . , GA XVI 1868 S. 592 ff'. (auch Kleine Schriften S. 161 ff'.). — G l a s e r , Kleine Schriften I S. 93—150. — L a n g e n b e c k , Die Lehre von der Theilnahme am Verbrechen. Jena 1867. 1868. — S c h ü t z e , Die notwendige Theilnahme am Verbrechen. Leipzig 1869. — D e r s . , StrRZ 1869 S. 521 ff'. — O r t m a n n , Fiktionen der Ursáchlicnkeit in der Lehre von der Theilnahme: GS 1876 S. 81 ff". — { G o l t d a m m e r , ) Theiln. an Übertretungen: GA XÍEI 1865 S. 85ff. — K e r m e s , Zur Lehre von der Theilnahme am Verbrechen. Diss. Berlin 1878. — H e r z o g , GS 1886 S. 342ft*. — B o r c h e r t , Die strafrechtl. Verantwortlichkeit für Handlungen Dritter. Berlin 1888. — H o n i g m a n n , Die Verantwortlichkeit des Redakteurs nach dem Reichsgesetz über die Presse. Breslau 1885. — L o e n i n g , Die strafrechtl. Haftung des verantwortl. Redakteurs. Jena 1889. — K o h 1er , Studien I S. 83—154. — P o p i n e a u , De la complicité. Par ís 1891. — F o i n i t z k y , Die strafrechtl. Doktrin der Teilnahme; Z f. S t rRW

145 § 62.

X n 1892 S. 55ff. — M o s s m e r , Die mittelb. Tháterschaft in gleichzeit. Berück-siehtig. des Hypnotisnius. München 1892. — O e t k e r , Kriminelle u. eivile Haftung nach hessisohen Rechtsquellen, in den Rostocker Jurist . Festgiiben für Rudolf V. Jheriug. Stuttgart 1892 S. 85ff. — D e r s . , Die strafrechtl. Haftung des verantAvortl. Redakteurs. Stuttgart 1893. — R. S c h m i d , Die strafrechtl. A^erantwortl. für i ' ressvergehen. Zürieh 1895. — v. B ü l o w , Der verantwortl . Redakteur u. s. strafrechtl. Haftung; GA XL 1892 S. 241 ff". X L U l 1893 S. 324 ff.; Z f. S t rRW XIV 1894 S. 643 ff. — G r ü t t e f i e n , Die Tháterschaft des verantwortl . Redakteurs. Berlin 1895. — v. B u r i , Die Verantwortl. des Redakteurs ; Z f. S t rRW XVI 1896 S. 48 ff. — H e i m b e r g e r , Die Theilnahme am Verbrechen in Gesetzgebung und Literatur von Schwarzenberg bis Feuerbach. Freib. u. Leipzig 1896.— W i n t t e r l i n , Der Einíluss der Standesverháltnisse des Thaters auf die Bestrafung. Diss. Stuttgart 1895. — T h i b i e r g e , La notiou de la complicité. Paris 1898(?). — R e u s s , Die Haftung Drit ter nach bayerischen, preussischen und Reichs-Strafgesetzen. Würzburg 1900. — N e u m e i s t e r , Mittel-bare Tháterschaft und Hypnotismus. Diss. GreifsAvald 1900. — F r e u d e n t , h a l , Die nothwendige Theilnahme am Verbrechen. Breslau 1901. — C h a n t e n , Etude sur la complicité. Thése. Montpellier 1900. — J o ñ a s , Die strafrechtl. Haft. des verantwortl . Redakteurs nach heut deutsch. Recht. Diss. Berlin 1901. — G a z e , Die strafrechtl. Haftung f. Pressdelikte. Berlin 1906. — J a c q u i n , Die Teilnahme am Verbrechen in der deutschen Strafgesetzgebung von Feíuu-baeh bis zum RStrGB. Rothenburg 1903.— Vgl. auch L e b r e t o n , De la provocation aux crimes et délits dans ses rapports avec les lois sur la jiresse. Thése. Reúnes 1901. — Vgl. auch H' 152—178. 221. W V 79—84. — S. ferner die Literatur zu den §§ 64—66. 68. 70.

§ 62. Die moglichen Formen des verbreeher i schen S n b j e k t e s ^ B 82. Sch 44. M 32. MI 48. Li 49. L 54. 55. G 104. 105. H 80. 81. K 89. 92. F i 66.

I . U m ü b e r d ie m o g l i c h e n Verh í i l tn i s se h a n d l u n g s f á h i g e r M e n s c h e n zu e inem u n d d e m s e l b e n v e r b r e c h e r i s c h e n E r f o l g e ^ ins K l a r e z u k o m m e n , s ind zwei F r a g e n z u b e a n t w o r t e n :

1. w e m f i e l m i t B e z u g a u f d i e H e r b e i f ü h r u n g d i e s e s E r f o l g e s d e l i k t i s c h e r W i l l e z u r L a s t ? U n d

2. w e l c h e r P e r s o n e n s c h u l d h a f t e r W i l l e i s t i n d i e s e r v e r b r e c h e r i s c h e n T a t s e i t e v e r w i r k l i c h t ?

N u r d ie P e r s o n e n , b e z ü g l i c h d e r e n b e i d e F r a g e n z u b e j a h e n , s i nd a n d e r a V e r b r e c h e n s c h u l d h a f t b e t e i l i g t ^ .

^ Ich mviss in den folg. §§ auf eine Auseinandersetzung mit der Literatur imi Einzelnen verzichten. Leider fehlt wie über Versuch und VoUeudung so auelí über die Teilnahme die erschopfende Monographie. In der Kritik der sog. sub-jektiven Teilnahmetheorie kann ich B i r k m e y e r , TeibuUime bes S. 15 ff"., durchaus beipílichten, seiuer objektiven Theorie und deren Durchführung aber nicht. Ich finde sie so einseitig, wie ihre Gegneriu. Sehr verdienstlich ist B i r k m e y e r s eingeheude Kritik der Judikatur des Reichsgerichts in der Teilnahme-lehre S. 185 ff. ~

Mit den Anschauungen der Schrift von X a g l e r , Die Teilnahme am Sonder-verbrechen, befinde ich mich meist im Einklang.

^ Ich darf hier diesen Begriff wol ais gegeben betrachten, weiss aber wol, dass die zu Anfang vielleicht angenommene Einheitlichkeit eines Erfolgs sich in Folge genauer Untersuchung grade der konkreteu Táterfrage in eine í^rfolgs-mehrheit verwandeln kann. Vgl. unten s. II A 1 b.

^ Damit ist nicht gesagt , dass sie auch alie straf bar werden müssten. Es giebt straf lose Tiiter, Anstifter und Gehülfen, aber keine handlungsunfáhigen Táter u. s.w. Insbes. bleiben Kinder unter 12 Jahren vollkommen ausser Betracht.

Biuding, Stiafrecht. Grundriss. 7. Ánti. 10

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§ 62. 146

II, Das Ergebnis dieser Untersuchung kann v i e r f a c h e G e s t a l t annehmen.

A. Ein H a n d l u n g s f á h i g e r h a t d a s g a n z e Ver b r e c h e n n a c h W i l l e n s - u n d T a t s e i t e h e r v o r g e b r a c h t . Das Gesetz bezeichnet ihn ais T a t e r und, da er das Verbrechen allein gesetzt hat, nennt man ihn den A l l e i n - T a t e r od. den T a t e r s c h l e c h t h i n .

1, S o l c h e E i n t á t e r s c h a f t l i e g t a u c h d a n n v o r : a, w e n n d e r T a t e r s i c h e i n e s W a n s i n n i g e n ,

T r u n k e n e n , in u n ü b e r w i n d l i c h e n I r r t u m V e r s t r i c k t e n z u r A u s ü b u n g s e i n e s v e r b r e c h e r i s c h e n W i l l e n s b e d i e n t h a t . Man nennt ihn dann wol auch m i t t e l b a r e n T a t e r — ganz uQgenau, denn ein solcher fordert den unmittelbaren Tater, und dieser fe hit ja grade.

E s g i e b t a b e r s t r a f b a r e H a n d l u n g e n , d i e n u r vom T a t e r e i g e n h a n d i g b e g e h b a r s i n d , bei denen also die Ver-wendung Unzurechnungsfahiger wie Zurechnungsfahiger ais Werkzeuge gleichmassig ausgeschlossen ist ^ Diese Tatsache wird von der Theorie wie von der Gesetzgebung ungenügend beachtet. Der Richter, der das Recht beugen will, muss selbst Recht sprechen, der Deserteur mit eigenen Reinen entlaufen, der Bruder, will er Incest treiben, selbst mit der Schwester den Beischlaf vollziehen , der meineidige Zeuge selbst ausgesagt und sein Zeugniss beschworen haben. Gut RG I V. 24. Marz 1904 (E XXXVII S. 92 ff.). G r u p p e d e r vom T a t e r n o t w e n d i g e i g e n h a n d i g zu b e g e h e n d e n V e r b r e c h e n . Vgl, dazu unten § 67 S. 161. 162. Richtig O l s h a u s e n , Vorbemerk. z. 3. Abschnitt n. 5 und die dort Angeführten. S. auch O l s h a u s e n zu § 47 n. 20;

b. w e n n m e h r e r e P e r s o n e n v o n e i n a n d e r u n a b -h a n g i g h a n d e l n u n d d a r a u s e i n G e s a m m t e r f o l g r e s u l t i r t . Zwei Wilddiebe schiessen gleichzeitig, aber ohne von einander zu wissen, auf denselben Forster in Totungsabsicht, und der Getroffene stirbt an der Summe der Wunden. Hier liegen zwei versuchte Totungs-verbrechen in Eintáterschaft vor.

2. N i c h t a l i e V e r b r e c h e n k o n n e n in E i n t á t e r s c h a f t b e g a n g e n w e r d e n . Manche fordern grundsatzlich das aus mehreren Mittátern zusammengesetzte Subjekt: nicht etwa Ehebruch, Incest, Zweikampf 5 denn von den zwei dabei notwendig mitwirkenden Personen braucht immer nur die Eine schuldig zu sein; wol aber bei dem A u f r u h r und der M e u t e r e i , überhaupt den R o t t e n -V e r b r e c h e n ^ . Man spricht hier von n o t w e n d i g e r Teilnahrae: concursus necessarius ad delictum.

^ Meiuem Respekt vor den Zurechnungsfáhigen solí durch die Bezeichuung „Werkzeug" kein Abbrvich geschehen!

2 Das Analoge gilt von der Eheerschleichung (§ 170), von Ehebruch (§ 171), Bigamie (§ 172) und von alien Verbrechen, deren Wesen in der Verübung un-züchtiger Handlungen mit Andern besteht. Jemand, der den Beischlaf nicht selbst vollzogen hat, ist nie ein Notzüclitiger.

^ Wie weit dabei der Uuzurechnungsfáhige mitlaufen kann, bleibe hier auf sicli beruhen!

147 § 62.

D i e T a t s e i t e k a n n a b e r B. a u c h g e s e t z t s e i n d u r c h

1. d i e e i g e n h a n d i g e T a t i g k e i t a. n u r e i n e r o d e r b. die g e m e i n s a m e T a t i g k e i t m e h r e r e r h a n d l u n g s

f á h i g e r P e r s o n e n ; 2. in V e r w i r k l i c h u n g

a. d e s i h r m i t A n d e r n o d e r b. d e s i h n e n a l i e n g e m e i n s a m e n T a t e r - W i l l e n s .

Theorie, Gesetzgebung und Praxis stimmen darin überein, dass diese Falle der sog. M i t t a t e r s c h a f t die Einheit des Verbrechens nicht berühren. Es ist falsch, zu behaupten

1. dass hier stets soviel Verbrechen vorliegen, ais Tater vor-handen sind. So B e l i n g , Verbrechen S. 405/6;

2. dass der geeinte Verbrecher-Wille stets Vorsatz sein müsse. Wenn zwei Bergtouristen gemeinsam einen Felsblock den Abhang

herunterrollen und dieser erschlagt auf der Strasse unten einen Wanderer, so liegt fahrlassige Totung in Mittaterschaft vor, und wenn die Pioniere unachtsam das falsche Haus sprengen, so ist die fahrlassige Brandstiftung grade so verübt;

3. dass jeder Mittater (wie überhaupt jeder Teilnehmer) im Sinne des GBs nur eine vereinzelte Bedingung zum Erfolg setze. So B i r k m e y e r , Teilnahme S. 126. Er setzt vielmehr die ganze ür-sache — zum Teil eigenhandig, zum andern Teil durch seinen Ver-treter. S. auch B i r k m e y e r selbst S. 136.

C. D i e T a t s e i t e k a n n f e r n e r g e s e t z t s e i n 1. d u r c h d i e e i g e n h a n d i g e T a t i g k e i t e i n e s H a n d -

l u n g s f a h i g e n m i t T a t e r w i l l e n . , d e m 2. e in a n d r e r H a n d l u n g s f á h i g e r o h n e T a t e r w i l l e n

b e i A u s b i l d u n g o d e r A u s í ü h r u n g d e s v e r b r e c h e r i s c h e n E n t s c h l u s s e s h e l f e n d z u r S e i t e s t a n d . Neben den Tater trití dann der G e h ü l f e , und man spricht hier in Anbetracht des fundamental verschiedenen Verhaltnisses Beider zum Verbrechen im Gegensatz zu den Fallen unter B, in welchen eine „ g l e i c h a r t i g e T e i l n a h m e " vorliegt, von einer J u r i s t i s c h u n g l e i c h e n T e i l n a h m e " .

Die bisher unter A—C besprochenen Formen des verbrecherischen Subjekts gehen alie a u f z w e i G r u n d t y p e n z u r ü c k : a u f d e n T a t e r u n d auf d e n G e h ü l f e n . Es liegt nah zu glauben, dass in diesen beiden alie moglichen Typen erschopft seien. So ist auch die Theorie des endenden gemeinen Rechts mit den zwei Typen des Urhebers und des Gehülfen ausgekommen. Ich selbst habe die gleiche Ansicht lange vertreten, und neuerdings hat sie noch N a g l e r , Teilnahme S. 134/5 sich zu eigen gemacht. S. auch etwa noch H a l s c h n e r I S. 366. A b e r

D. b e i d e n vom T a t e r n o t w e n d i g e i g e n h a n d i g b e g e h b a r en V e r b r e c h e n (s. oben s. 11 A 1 a) i s t m o g l i c h , d a s s

1. e in z u r T a t e r s c h a f t u n t a u g l i c h e r H a n d l u n g s f á h i g e r den t a u g l i c h e n T a t e r z u m V e r b r e c h e n b e s t i m m t

10*

IL.

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§ 62. 148

h a t : die Partei den Richter zur Rechtsbeugung, der Laie den Soldaten zur Fahnenflucht, der Nichtzeuge den Zeugen zum Meineid,

D e r B e s t i m m e n d e i s t d a n n w e n i g e r a i s T a t e r , a b e r m e h r a i s G e h ü l f e . E r hat das Verbrechen nicht wie der Tater selbst begangen, aber auch nicht wie der Gehülfe nur einzelne Be-dingungen zum Erfolge gesetzt: s o n d e r n e r h a t g e w o l l t u n d b e -w i r k t , d a s s d a s V e r b r e c h e n v o n e i ñ e r a A n d é r n a i s T a t e r b e g a n g e n w u r d e . E r steht also in einem kausalen Verhaltnisse zu ihra — darin dem Tater analog". — E s i s t b e i d i e s e n V e r -b r e c h e n a b e r a u c h m o g l i c h

2. d a s s e i n H a n d l u n g s f a h i g e r , d e r n i c h t T a t e r w e r d e n k a n n , e i n e n H a n d l u n g s u n f a h i g e n , d e r d i e s o n s t i g e n p e r s í i n l i c h e n E i g e n s c h a f t e n z u m T a t e r b e s i t z t , e r í ' o l g r e i c h d a z u b e s t i m m t , d e n o b j e k t i v e n T a t -b e s t a n d d e s V e r b r e c h e n s z u v e r w i r k l i c h e n . Jemand bestimmt den Zeugen,, den er ais wansinnig kennt , zum Falscheid, einen wollüstig erregten Geisteskrauken zur Aufnotigung des ausser-ehelichen Beischlafs, den kranken Staatsanwalt oder Richter zur falschen Anklage ev. zur Rechtsbeugung^.

Diese bestimmenden Nichttater haben dann aber doch schuldhaft bewirkt, dass der Rechtsordnung schwere Wunden geschlagen wurden, und sie dtirften straflos nicht ausgehen. Ihr Kausalverhaltniss zur Verwirklichung des objektiven Verbrechenstatbestandes müsste ais be-sondere Form der BegrUndung krimineller Verantwortlichkeit allgemein anerkannt werden.

Ich will diese Personen s. 1 u. 2 „ U r h e b e r " nennen, da mir kein anderer Ausdruck zu Gebote steht, wünsche aber und hoffe da-durch keine Verwirrung zu erzeugen.^

Diese U r h e b e r s c h a f t im G e g e n s a t z e z u r T a t e r s c h a f t , ist bisher ungenügend e rkannt , und desshalb steht auch die Gesetz-gebung ihr hülflos gegenüber.

In dem unglückseligen Zwittergeschopf des „Anstifters" steckt ein guter Teil mittelbarer Taterschaft, aber auch ein Stück der „Ur-heberschaft", diese jedoch keineswegs ganz^, S. unten S. 161 ff. 169.

I I I . G r o s s e K o m p l i k a t i o n e n im V e r b r e c h e n s - S u bj e k t s i n d m o g l i c h b e i m f o r t g e s e t z t e n V e r b r e c h e n . Dasselbe bedarf nur e i n e s Táters für das Ganze. Bei den einzelnen Akten

^ Ich bemerke hier gleich, dass z. B. auch bei dea Aneignimgsvei'brechen die analoge Erscheinuug deimbar ist. Wer ohne den geringsten Aneiguungsvorsatz einen Andern zum Diebstahl bestimmt, damit dieser ins Gefángniss komme, ist nicht mittelbarer Tater des Diebstahls. Er ist nur Urheber!

2 Aucli zn diesen Fallen bieten die Aneignungsdelikte Análoga. Um einem Andern einen Tort anzutun, bestimmt ein Handlun^sfáhiger einen Geisteskrauken, Jenem eine wertvoUe Sache wegzunehmen und sie sien anzueignen. Da dem Bestimmenden der Aneiguungsvorsatz fehlt, wird er nicht Dieb, sein Werkzeug aber natürlich auch nicht.

^ Einen interessanten Versuch, gleichfalls Taterschaft und Urheberschaft zu scheiden, finde ich bei Loeu in^ , Grundriss S. 95, der aber die ganze Anstiftung zur Urheberschaft zieht und Beide identifizirt.

149 § 63.

konnen sehr verschiedene Mittater und Gehülfen mit ihm zusammen gewirkt haben.

IV. Eine sehr irrige Modemeinung, besonders durch die I n t e r n a t i o n a l e k r i m i n a l i s t i s c h e V e r e i n i g u n g , leider auch von F i n g e r I S. 3t]l ver t re ten, geht dahin, die Unterscheidung ver-schiedener Teilnehmer sei jedenfalls praktisch wertlos, sie seien alie gleich strafbar. Letzteres bestimmt j a auch der drakonische C o d e p e n a l Art. 59. Moderner Radikalismus mochte j a überhaupt gern auf ein Strafgesetzbuch mit e i n e m § ausraünden: „Der ,,soziale Schad-ling" wird (nicht gestraft), sondern „behandelt". Die Entscheidung, wer Schadling ist, liegt beim Soziologen und die Bestimmung von Ar t und Maass der Behandlung beim Irrenarzte.

Gerechte Würdigung findet aber in der Strafwiirdigkeit eine ausser-ordentliche grosse Verschiedenheit zwischen dem Diebe , der unter Anwendung von Nachschlüsseln Tausende stiehlt, und dem Schlosser-lehrling, der für ein Paar Groschen dem Dieb den Schlüssel gefertigt hat. Und so lange der Gesetzgeber den Grundsatzen der Gerechtig-keit treu bleiben will , wird -er auch die yerschiedenen Formen der Teilnahrae praktisch zu scheiden alien Grund behalten.

Aber allerdings ist zuzugeben, dass die furchtbare Kausalitats-theorie v. B u r i s in der Unterscheidung derselben unnütze Schwierig-keiten macht ^ Zu der Auffassung jedoch , dass auch derjenige ein Dieb sei, der dem Dieb aus Gutmütigkeit verraten ha t , wo die zu stehlenden Sachen liegen, dürfte auch der modernste Strafgesetzgeber sich kaum je bekennen woUen. E r überlasst diese Verir rung Personen von geringerer Verantwortlichkeit .

I . Der Tater. Sch 45. M 33. MI 49. Li 50. G 104. H 82. 83. K 90—92. Fi 67.

L 56—59.

§ 63. A. Seine wesentlichen Eigenschaften.

Ta te r i s t d e r H a n d l u n g s f a h i g e , d e r s e i n e n a u f V e r w i r k l i c h u n g d e s v e r b r e c h e r i s c h e n T a t b e s t a n d e s g e -r i c h t e t e n W i l l e n s e l b s t ( g a n z o d e r t e i l w e i s e ) z u r V e r w i r k l i c h u n g g e b r a c h t h a t ^ ,

E r hat vorsatzlich getotet oder den Brand gestiftet oder ais Richter das Recht gebeugt oder fahrlUssig den Meineid geleistet.

^ Sehr treífend darüber B i r k m e y e r , Teilnahme bes. S. 22 íF. '^ Die Unterscheidung Yon V e r s u c h und V o l l e n d u n g will ich von jetzt

an hier bei Seite lassen. Nur liest man so háufig, eine Taterschaft, die nur auf Begehung eines Versucias gerichtet sei, liesse sich nicht denken, und deshalb gábe es auch keine sog. Anstiftung lediglich zu einem Versuche. Diess ist aber falseh! Bei chronischer Vergiftung beispielsweise ist sehr wol moglich, dass der Tater einen Eingeweihten bestimmt, dem Opfer nur eine der kleinen Arsenik-Dosen beizubringen. Unglücklich in der Begründung der gegenteil. Ans. RG I V. 17. Febr. 87 (E XV" S. 315 ff.). Eichtig aus m. E. nicht zutreff. Grunde F r a n k zu § 48 III 4 u. O l s h a u s e n zu § 48 n. 21. — Nach dem Gesagten er-gibt sich auch, dass eine Beihilfe, die nur zu einem Versuche geleistet worden ist, sich wol denken lásst. A. M. O l s h a u s e n zu § 49 n. 21; richtig F r a n k zu § 49 II 1.

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63. 150

Der T a t e r muss also I. a l i e d i e p e r s o n l i c h e n E i g e n s c h a f t e n b e s i t z e n , d i e

d a s G e s e t z zu d e r b e t r e f f e n d e n D e l i k t s a r t f o r d e r t : Be-amten-, Untertanen-, Verwandtenqualitat u. s. w. Er muss ferner

II. T á t e r e n t s c h l u s s h a b e n , g a n z g l e i c h ob V o r s a t z o d e r F a h r l a s s i g k e i t . Er muss also die Handlung vornehmen wollen, welche die Ursache des verbrecherischen Erfolgs bildet — ganz einerlei ob aus egoistischen oder altruistischen Triebfedern. Die sehr missverstandliehe und vielfach wirklich missverstandene Wendung, „der Tater raüsse die Handlung ais seine eigene" wollen, besagt nicht mehr, ais dass die ganze Handlung den Inhalt seines Willens bilden muss, er personlicher Verursacher des verbrecherischen Erfolgs werden will.

Wer also des vom Gesetz erforderten Vorsatzes oder der von ihra verlangten Absicht ermangelt, kann Tater des betr. Verbrechens nie werden. Ohne Aneignungsabsicht giebts keinen Rauber, keinen Dieb, keinen Tater der Unterschlagung.

III . D i e s e n T a t e r e n t s í í h l u s s m u s s er in d i e T a t u m -g e s e t z t h a b e n . Er muss also nicht nur den verbrecherischen Entschluss, sondern ebenso den dazu gehorigen Ausführungsentschluss gefasst und durch Verwirklichung des letzteren Entschlusses den ersteren verwirklicht haben.

Damit sind die gesetzlichen Eigenschaften des Taters, für den die gesetzlichen Strafen überall da bestimmt sind, wo Anderes nicht ausdrücklich statuirt wird, erschopft. — D e n n f a l s c h w á r e

IV. d i e E i g e n h a n d i g k e i t d e r A u s f ü h r u n g d e s T a t e r -e n t s c h l u s s e s d u r c h d e n T a t e r in P e r s o n , a l s o u n t e r A u s -s c h l u s s l e b e n d e r W e r k z e u g e , zu f o r d e r n .

1. Sozusagen allgemein wird anerkannt, d a s s d i e V e r w e n -d u n g d e s T h i e r s a i s W e r k z e u g d i e T á t e r s c h a f t n i c h t a u s s c h l i e s s t u n d e b e n s o w e n i g d i e V e r w e n d u n g e i n e s H a n d l u n g s u n f a h i g e n a i s W e r k z e u g s b e i a l i e n V e r -b r e c h e n , d i e n i c h t a u s n a h m s w e i s e ei g e n h a n di ge B e -g e h u n g f o r d e r n (s. oben § 62 S. 146).

2. A l l g e m e i n m ü s s t e a n e r k a n n t w e r d e n , d a s s von d e r V e r w e n d u n g d e s h a n d l u n g s f a h i g e n W e r k z e u g s d a s G l e i c h e g e l t e n m u s s u n d g i l t .

a. Seit der Postglossatorenzeit geht durch die strafrechtliche Doktrin der Satz: Quod quís per alium facit, per se ipsum faceré videtur^. W i e e r a u f a l i e n a n d e r n R e c h t s g e b i e t e n u n -b e s t r i t t e n a n e r k a n n t i s t (Stellvertretung), so g e b ü h r t i h m d i e s e A n e r k e n n u n g a u c h im S t r a f r e c h t ^ .

b. Die Bedenken, welche gegen diesen Satz aus der Lehre von der Freiheit des Willens oder vom Kausalzusammenhang her-geleitet werden — der Wille des handlungsfahigen Werkzeugs unter-

151 63.

* WSrtlich wiederholt ihn mehrfach C a r p z o v , Qu. 4 n. 11; qu. 38 n. 53; qu. 50 n. 33.

2 S. auch die treíFende Bemerkung in EG III v. 17. Jan. 80 (E I S. 149 oben).

breche den Kausalzusammenhang —, sind falsch gedacht und ganz un-

TrefFeñd führt N a g l e r , Teilnahme S. 66 (vgl. S. 143 ff.) aus: „Soll die Ursachlichkeit einer Person, die andere frei wirkende Willenskrafte für ihren Zweck in Anspruch genommen hat, begriindet werden, so darf diese Frage nur vom Standpunkte desjenigen. gestellt werden, der seinen verbrecherischen Entschluss realisieren. will " Ganz gleichgültig ist, ob der Dritte zurechnungsfahig war oder nicht!

Ganz gleichgültig in der Tat für den, der ihn benutzt, sehr be-deutsam allein für die Beurteilung dessen, der benutzt wurde.

So wird nach richtiger Auffassung Jeder, der sich bei andern ais den eigenhandig zu verübenden Verbrechen eines Handlungsfahigen zur Ausführung seines Taterentschlusses bedient, durch ihn Tater.

c. Auch das Gesetzbuch erkennt diesen Satz an — freilich nur mit einer grossen, sich schwer rachenden Ausnahme. Wer einen Andern zu der von demselben begangenen strafbaren Handlung vor-satzlich bestimmt hat, wird nicht T a t e r , sondern nach § 48 An-s t i f t e r .

Dass aber auch die vorsatzliche Bestimmung eines Andei-n zur schuldhaften Ausführung des Taterwillens principiell mit der Annahme der Táterschaft vereinbar ist, erkennt das GB in einigen Fallen ausdrücklich an. So in GB § 142: „untauglich macht oder durch einen andern untauglich machen lásst," ferner in § 340: „Ein Beamter, welcher eine Kórperverletzung begeht oder begehen lasst" und ganz analog in den §§ 341 und 343. Hierzu gehoren auch de lege lata alie Falle der fahrlassigen mittelbaren Táterschaft (s. über diesen Be-griíF unten § 65), weil es nach § 48 nur v o r s a t z l i c h e Anstiftung giebt. Man beachte auch die fahrlassige Táterschaft durch Ausüben-lassen eines Befehls in Dienstsachen nach MStrGB § 47, die fahrlassige Táterschaft oder intellektuelle Urheberschaft dessen, der einen Nachdruck „veranlasst", nach dem Reichsgesetz v. 11. Juni 1870 § 20. S.. B i n d i n g , Lehrbuch I 2. Aufl. S. 475.

d. Vielleicht ist nicht unnotig hervorzuheben, dass in diesem Falle zwar meist eine Doppel-Táterschaft entsteht. Allein der hand-lungsfahige Mittelsmann kann auch recht- oder pflichtmassig handeln. Dann nimmt die verbrecherische durch eine rechtmassige Handlung ihren Durchgang (s. unten § 69 S. 166), und es bleibt bei der Ein-taterschaft.

B. Die Mittater insbesondere. B 83. 84. 88. 89. Sch 45. 46. M 38. MI 50. 51. 52. 54. Li 50. 51. G 104. 108-110. H 91—98. K 102 bis 110. Fi 67.

V o r b e m e r k u n g . I. Es dürfte kein Verbrechen geben, wobei neben dem Tater

nicht ein Gehülfe stehen konnte, es wftre denn eine ganze Beihülfe

í Seltsam stráubt sicb F r a n k , Vorbemerk. zu Abschn. 3 s. III nicht gegen das fahrlassige, aber gegen das vorsatzliche Werkzeug. Ganz áhnlich F i n g e r I S. 336. 439. — Die Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs spielt in der Lehre von der Teilnahme eine geradezu verhángnissvolle Rolle.

A

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§ 63. 152

zum Tatbestand eines selbstSndigen Verbrechens erhoben worden. W i e es a b e r s t r a f b a r e H a n d l u n g e n g i e b t , w e l c h e d i e T a t e r s c h a f t d u r c h S t e l l v e r t r e t u n g a u s s c h l i e s s e n (s. oben S. 146), so auch s o l c h e , b e i w e l c h e n e i n e M i t t a t e r s c h a f t u n m o g l i c h ist. Ein grosser Teil grade der ersten Gruppe gehort auch zur zweiten! Eine Mittaterschaft bei Meineid und Notzucht, bei Bigamie, Ehebruch und Incest, soweit bei diesen dreien der eine Teil handlungsunfahig ist (man konnte hier von e i n s e i t i g e r M i t t a t e r s c h a f t reden) , ist undenkbar. S. auch RG I v. 24. Marz 1904 (E X X X V Í I S. 92 ff.). Die Rechtsbeugung lasst sich in Mittaterschaft begehen: dann müssen aber die Mittater Mitglieder des Gerichts bei derselben Verhandlung, also K o l l e g e n i n c o n c r e t o sein. Es ist jedoch grade so moglich, dass von mehreren Mitgh'edern desselben Kollegiums ohne Einverstandniss mit einander bewusst falsch judicir t wird: dann liegen mehrere Verbrechen vor.

11. Die Lehre von der Teilnahme an fahrlassigen Verbrechen und von der fahrlassigen Teilnahme ist in kaum begreiflicher Weise vernachlassigt (s. die Li teratur zu § 70 j , und so geht die Praxis auf diesem Gebiete stark in der Irre . Wir sind hier in der Tat auffallend rücks tandig! ^ D a sich die Schuldarten gar nicht durch den rechts-widrigen Inhalt des Wil lens, sondern nur durch das Bewusstsein unterscheideñ, welches diesen Inhalt bald ais rechtswidrig erfasst, bald nicht, ist k l a r , dass alie Willensbeziehungen, die beim vorsatzlichen Delikte moglich sind, auch beim fahrlassigen existiren müssen. So ergeben sich folgende Satze ais ganz selbstverstandlich:

1. W i e v o r s a t z l i c h e g i e b t e s a u c h f a h r l a s s i g e M i t t a t e r s c h a f t ^ . Von den Mittatern kann auch ein Teil in dolo, ein Teil in culpa versiren. Interessant RG I I I v. 20. Dez. 1888 (E X I X S. 146).

2. W i e d e r D o l ó s e , k a n n a u c h d e r K u l p o s e s i c h e i n e s D e l i k t s f a h i g e n z u r V e r w i r k l i c h u n g s e i n e s s c h u l d -h a f t e n W i l l e n s b e d i e n e n . Dieses Werkzeug kann wieder vor-satzlich oder fahrlassig handeln, genau wie dem Werkzeug des Dolosen entweder Vorsatz oder Fahrlassigkeit zur Last fallt. E s g i e b t m i t t e l b a r e v o r s a t z l i c h e w i e f a h r l a s s i g e T a t e r n e b e n u n -m i t t e l b a r e n f a h r l a s s i g e n w i e v o r s a t z l i c h e n T a t e r n .

3. W i e e i n e B e i h ü l f e zu v o r s a t z l i c h e n g i e b t es a u c h

Lehre v. d. Theilnahme S. 5V6; H á l s c h n e r , I S. 442ÍF.; M e r k e í , Lelirbuch S. 143 (falsch freil. S. 147); B i n t z , Teilnahme S. 8 íF ; F r a n k , zu Absehn. Ul s. IV (8. 63/4); W u t t i g , Fahrláss. Teilnahme S. 112; W e i n b e r g , Teiln. an fahrláss. Handlungen bes. S. 74ff. — Sehr zag M e y e r , Lehrb. S. 187/8. 196. — Sehr dürftig O l s h a u s e n zu § 47 n. 10.

- Soweit die Praxis dies leugnet, gefállt sie sich in der unmoglichen Auf-losung des e.inen in fahrlássiger Mittaterschaft begangeneu Verbrechens in eine Anzahl von in Eintáterschaft begangenen! Nicht uninteressant EGr Ul v. 1. Okt. 1883 (E IX S. 119. 120).

153 § 64.

e i n e s o l c h e z u f a h r l a s s i g e n V e r b r e c h e n . W i e e i n e v o r s a t z l i c h e g i e b t e s a u c h e i n e f a h r l a s s i g e B e i h ü l f e . Nur ist die letztere im früheren wie im heutigen gemeinen Rechte straflos. Alie übrigen hervorgehobenen Teilnahmeformen stehen aber heute de lege lata unter Strafe.

Der 3. Band der Normen wird die Lehre von der fahrlassigen Teilnahme genauer erortern.

§ 64. 1. Die gemeinsamen Merkmale der Mittaterschaft.

Die Mittaterschaft ist mehr ais nur die Vervielfachung der Eintáterschaft, denn sie verlangt

I. nicht nur, dass in mehreren Handlungsfahigen 1. der auf den gleichen Verbrech^nsfall (s. oben § 35) gerichtete

verbrecherische Wille ais Taterwille vorhanden sei (s. oben S. 150), sondern dass auch

2. aus diesen verschiedenen verbrecherischen Entschlüssen eine Willensgemeinschaft bezüglich dieses Verbrechensfalls gebildet Avurde.

I I . Di^se Willensvergemeinschaftung ist ein bewusster A k t , eine Verstandigung über gemeinsames Wollen, eine echte „Vereinbarung" ^. Gerade daraus aber ist der I r r tum entsprungen, sie sei nur für bewusst rechtswidrigen Willen denkbar. Dieser I r r tum be.ruht auf einer Verwechselung. Eine bewusste Vereinigung von Entschlüssen setzt bei alien, die sie vornehmen wollen, den inhaltlich gleichen Entschluss und das Bewusstsein desselben voraus: aber das Bewusstsein der Ver-brecherischkeit dieser Entschlüsse ist zu dieser Einigung in keiher Weise notwendig.

Nun ist allerdings moglich 1. d a s s a l i e M i t t a t e r i h r e n r e c h t s w i d r i g e n V o r s a t z

v e r e i n en . Und j e nach der Art des Zustandekommens dieser Ein igung, die für den BegriíF der Mittaterschaft, aber nicht für das Strafmass der Mittater gleichgültig ist , pflegt man — unter Beiseite-lassung des Gegensatzes mittelbarer und unmittelbarer Taterschaft (s. § 65) — eine etwas ungenaue Einteilung aufzustellen:

a. Z u f a l l i g e M i t t a t e r s c h a f t liegt vor, wenn die Einigung stattfindet anlasslich des unbeabsichtigten ZusammentrefFens der Tater bei der Ausführung ihrer bisher von. einander unabhangigen Vorsatze. Dagegen ist

b . ein K o m p l o t t die Verabredung eines ev. mehrerer speziell bestiramter Verbrechen seitens mehrerer Personen mit Tatervorsatz vor Beginn der gemeinsamen Begehung. Die Vor-Verabredungen zwischen Tater und Gehülfen, ev. zwischen Gehülfen unter einander sind kein Komplott.

c. Unter einer B a n d e versteht man aber die ais dauernd be-aljsichtigte Vereinigung mehrerer Personen zu gemeinsaraer Begehung einer Anzahl zwar generisch, aber noch nicht speziell bezeichneter

' Über diesen Begriff S. B i n d i n g , Die Gründung des Norddeutschen Bundes S. 69 tf. — Über eine ganz vereinzelte halbe Ausnahme von dem Satze des Textes s. unten S. 157.

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65. 154

Verbrechen, mit der Verabredung, jedes innerhalb der Verabredung von Bandenmitgliedern verübte Verbrechen solle ais gemeinsames Ver-brechen der Bande gelten.

Es leuchtet ein, dafs die Bandenbildung eine konkrete vei breche-rische Willenseinigung noch gar nicht darstellt. Deshalb begeht auch die Bande ais solche nie ein Verbrechen, sondern sie wandelt sich in ein Komplott, oder entlasst ein solches aus sich, oder die Bandenglieder teilen sich in unmittelbare und mittelbare Tater, oder ein Bandenglied macht sich zum negotiorum gestor der ganzen Bande.

2. I n d e m v e r e i n t e n W i l l e n k o n n e n a u c h V o r s a t z u n d F a h r l a s s i g k e i t e n t h a l t e n s e i n . Von denen, die gemeinsam einen Balken auf die begangene Strasse herabwerfen, wissen Einige, dass er Jemandem auf den Kopf fallen wird, wahrend die übrigen den Mann unten nicht sehen. Aber ihr gemeinsamer Wille ist auf Vor-nahme der Handlung gerichtet, welche den todlichen Erfolg verursacht.

3. Man braucht in dem letzten Beispiel nur die Wissenden mit Unwissenden zu vertauschen und e s h a b e n d a n n a l i e e i n e n W i l l e n v e r g e r a e i n s c h a f t e t , d e s s e n r e c h t s w i d r i g e n I n h a l t s i e a l i e f a h r l a s s i g v e r k e n n e n . Schon klar erkannt von Ulp. in 1 11 § 4 D ad leg. Aq. 9, 2.

I I I . D i e s e m g e m e i n s a m e n W i l l e n m u s s e i n g e m e i n s a m e r A u s f ü h r u n g s w i l l e e n t s p r e c h e n , d e r s i c h i n T a t umgesetzt hat.

Ob und wie weit j eder Mittater eígenhandig tatig geworden sein muss, welche Verschiedenheiten der Beurteiluugen für sie Platz greifen konnen, darüber vgl! die folgenden §§ 65 und 66.

§ 65. 3. Mittelbarer und unmittelbarer Ta te r ' . L. 72—81. Ausser der Liter. vor § 62 zu vergl.: A b e g g , ANF 1841

S. 379 ÍF.; de r s . , GS 1865 S. 266 ff. — K r u g , Zur Lehre von der Anstiftung zu einem Verbrechen, in sein. Kommentar IV S. 101—131. — V. K r a e w e l , GA XIII 1865 S. 145ff. — W i r k , Ein Verführter ais Anstifter: GS 1868 S. 267 ff. — A r n o l d , Misslungene Anstiftung zum Verbrechen: GS 1859 S. 127 ff. — B r a u e r , Die Anstiftung zum Dieustverbrechen: GS 1856 II S. 33 ff. — S i e g e4, . Verwechslungfalle bei der Anstiftung. Diss. Goett. 1895. — Uber Anstiftung zum fahrláss. Verbrechen s. GA VIII 1860 S. 201 ff. — Über Anstiftung zur Hülfsleistung GA IX 1861 S. 829 ff. — Vgl. auch GA II 1854 S. 182 ff. und III 1855 S. 380 ff.

I. Die B e g r i f f e bestimmen sich dahin ;

1. M i t t e l b a r e r (auch intellektueller) T a t e r i s t d e r j e n i g e , d e r s i c h d e r B e s t i m m b a r k e i t e i n e s H a n d l u n g s f a h i g e n z u r A u s f ü h r u n g e i n e s V e r b r e c h e n s a i s M i t t e l s z u r V e r -w i r k l i c h u n g d e s e i g e n e n T a t e r e n t s c h l u s s e s b e d i e n t h a t .

1 Von F e u e r b a c h (s. Lehrb. 11. Aufl. § 44) rührt für diesen Gegensatz die Bezeichnung i n t e l l e k t u e l l e r und p h y s i s c h e r Urheber her, die G r o l -man (Lehrb. § 33) u. die spátere Doktrin aufgenommen haben. Ich würde ihn ohne Weiteres anwenden, mochte ich nicht das Wort U r h e b e r für den Nicht-Táter aufsparen.

155 ^ 65.

Ihn Anstifter zu nennen ist doppelt falsch: denn nicht j eder «Anstifter" (Erwecker eines verbrecherischen Bjntschlusses in einem Andern) wird zum Tater , und nicht jeder mittelbare Tater ist Anstifter.

2. U n m i t t e l b a r e r (auch physischer) T a t e r i s t d e r j e n i g e , d e r s i c h a u f G r u n d d e r E i n w i r k u n g d e s m i t t e l b a r e n T a t e r s d e r a r t z u d e m v o n i h m b e g a n g e n e n V e r b r e c h e n s e l b s t b e s t i m m t h a t , d a s s e r d u r c h s e i n e H a n d l u n g z u -g l e i c h d e n e i g e n e n u n d d e n v e r b r e c h e r i s c h e n W i l l e n d e s m i t t e l b a r e n T a t e r s v e r w i r k l i c h t h a t .

I I . Der mittelbare Ta te r leistet — einerlei aus welchem Grund — auf die eigenhandige Verbrechensausführung vollen Verzicht. E r fordert auf, dass in seinem Ñamen gehandelt werde, — sei es eine indi-viduelle Person, sei es den aus einem grosseren Kreis, der sich bereit findet', diese Aufforderung gelangt zur Ausführung und die Handlung, zu der sie ergangen ist, kann von einem Vertreter vorgenommen w«rden. So wird er Ta t e r durch den andern Tater .

I I I . F ü r den m i t t e l b a r e n Tater wird erfordert 1. T a t e r v o r s a t z o d e r F a h r l a s s i g k e i t . S. oben S. 150. 2. V e r z i c h t a u f d e r e n e i g e n h a n d i g e V e r w i r k l i c h u n g ,

einerlei aus welchem Grund, und V e r w i r k l i c h u n g s e i n e s T a t e r -e u t s c h l u s s e s d a d u r c h , d a s s e r e i n e n H a n d l u n g s f a h i g e n b e w u s s t z u r A u f n a h m e u n d R e a l i s i r u n g d i e s e s E n t -s c h l u s s e s b e s t i m m t h a t .

Daraus erhel l t : a. D i e u n b e a b s i c h t i g t e E r w e c k u n g d e s T a ' t e r -

e n t s c h l u s s e s i n e i n e m A n d e r n b e g r ü n d e t n i e m i t t e l b a r e T a t e r s c h a f t . Es fehlt j a dem Veranlasser vollstandig zum Mindesten an dem Axisführungswillen. So wenn Jemand wider seine Absicht durch aufreizende Wor te oder Schriften , durch unvorsichtige Ausserungen über die leichte Begehbarkei t eines Verbrechens, durch Lob fremder Verbrechen in einem Handlungsfahigen den verbrecherischen Entschluss erweckt hat^ .

b . I s t d e r D e t e r m i n i r t e h a n d l u n g s u n f a h i g , o h n e d a s s e s d e r D e t e r m i n i r e n d e w e i s s , s o k o m m t e s w e d e r z u r m i t t e l b a r e n n o c h z u r u n m i t t e l b a r e n T a t e r s c h a f t . Der Bestimmende wird vielmehr AUeintater, sofern es sich nicht um ein notwendig eigenhandig zu begehéndes Verbrechen handelt,

3. D u r c h w e l c h e M i t t e l d e r m i t t e l b a r e d e n u n m i t t e l b a r e n T a t e r z u r A u f n a h m e u n d V e r w i r k l i c h u n g s e i n e s W i l í e n s b e s t i m m t h a t , g i l t g l e i c h . „ T a u g l i c h e D e t e r m i n a t i o n s h a n d l u n g e n " sind alie in der Absicht zu determiniren erfolgreich vorgenommenen. Ihre Zahl ist sehr gross. Nicht nur durch R a t oder A u f t r a g , nicht nur durch B i t t e ,

1 Wenn ich hier von Aufforderung und im Folgenden ofter von Auftrag spreche, so weiss ich sehr wol, dass diese Ausdrücke ungenau sind. Sie sollen nur die Brücke zwischen den beiden Willen anschaulich machen.

" Ist der so Erregte handlungsunfahig, so kann der. Erreger auf solche Weise fahrlessiger Tater werden.

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65. 156

V e r s p r e c h e n , G r e s c h e n k , durch D r o h u n g e n , M i s s b r a u c h d e s A n s e h e n s oder d e r G e w a l t , durch I r r t u m s - E r r e g u n g , sondern auch durch blosse s y m b o l i s c h e Z e i c h e n , j a sogar durch s c h e i n b a r e s A b m a h n e n lásst sich das Ziel erreichen.

Das GB, das sich in § 48 mit diesen Determinationsraitteln auch beschíiftigt, stellt ihrer einen ganzen Katalog auf: G e s c h e n k e oder V e r s p r e c h e n , D r o h u n g , M i s s b r a u c h d e s A n s e h e n s o d e r d e r G e w a l t , a b s i c h t l i c h e H e r b e i f ü h r u n g e i n e s I r r t u m s (die j a regelmássig die Fahrlassigkeit des Irrenden herbeiführen wird), fügt aber vorsichtig hinzu; o d e r d u r c h a n d e r e M i t t e l .

Die Aufzahlung ist also nur eine solche von Beispielen, die genaue Abgránzung der einzelnen Mittel gegen einander erscheint desshalb ganz unnotig.

Aber e i n Mittel bedarf kurzer Betrachtung: d i e D r o h u n g . Ist sie Drohung mit Verbrechen oder Vergehen, so wird angestiftet in Forra der Notigung des § 240, und der Anstifter hat schon desshalb die Notigungsstrafe verwárkt. Es l'áge nahe, den strafbar Ge-notigten dann von der Verantwortung zu entlasten.

Das GB tut diess aber nur dann , wenn er einer Drohung mit gegenw.artiger, auf andere Weise nicht abwendbarer Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines Angehorigen gewichen ist (GB § 52).

Das Gesetz verlangt also eine Verstarkung des Widerstandes gegen den Notigungsversuch, wenn der Notiger dem Bedrohten ein Delikt zumute t !

4. Sehr wol ist raoglich, dass der mittelbare Tater selbst erst durch einen dazu Beauftragten den unmittelbaren hat bestimmen lassen. Dann kann dem letzteren eine ganze Reihe mittelbarer Tater gegenüberstehen, Unrichtig O p p e n h o f f zu § 48 n. 24 und 0 1 s-h a u s e n zu § 48 n. 5.

5. Stets aber führt diese Ar t der Verbrechensverübung zu einem grosseren Verbrecher-Aufgebot. Und darin liegt ein Grund zu hoherer Bestrafung des mittelbaren Ta te r s , der sich noch steigert, wenn J e m a n d , der an das Verbrechen gar nicht gedacht ha t , dazu bestimmt M^orden i s t \

IV. Der u n m i t t e l b a r e T a t e r muss gleichfalls

1. T a t e r - V o r s a t z o d e r F a h r l a s s i g k e i t h a b e n und zwar gerichtet auf in concreto dasselbe Verbrechen wie der Entschluss des mittelbaren Taters. E r und der mittelbare Tater konnen Beide in dolo, Beide in culpa oder der Eine in dolo, der Andere in culpa versiren.

2. N i c h t n o t i g , a b e r a l l e r d i n g s h á u f i g i s t , d a s s e r s e i n e n v e r b r e c h e r i s c h e n E n t s c h l u s s e r s t a i s „ A n g e -s t i f t e t e r " in F o l g e d e r E i n w i r k u n g d e s m i t t e l b a r e n T a t e r s g e f a s s t h a t . Wol aber muss er sich, sei's bewusst, sei 's

^ Vgl. die AuBführungen über die Angriffe auf die gesetztreue Gesinnung im Lehrbiieh 11 S. 838 ff.

157 § 65.

unbewusst, bestimmt haben, auch den Willen des mittelbaren Taters zu verwirklichen.

N i c h t n o t i g i s t , d a s s e r s i c h a i s M i t t e l z u r A u s -f ü h r u n g d i e s e s W i l l e n s e r k e n n t , w e n n e r e s n u r i s t . Man denke an die sog. Anstiftung durch scheinbares Abmahnen!

Ein zur Begehung desselben Verbrechens, auf das es auch der mittelbare Tater abgesehen hat, schon Entschlossener wird oft für diesen das tauglichste Werkzeug sein.

Den in diesem Entschlusse etwa wankend Gewordenen kann der mittelbare Tater darin wieder festigen und so zur Ausführung seines Entschlusses gewinnen.

Dagegen vermag diese Form der Mittaterschaft nie zu entstehen, wenn der zu Determinirende sich geweigert hat, den Willen dessen, der ihn zu bestimmen gesucht, zu verwirklichen, auch wenn er durch diesen angeregt dasselbe Verbrechen wirklich begangen hat, oder wenn er sich zwar dazu bereit erklart, die Tat aber schon vor be-gangener Einwirkung veriibt hat.

3. D i e s e n s e i n e n , z u g l e i c h a l s o a u c h d e n E n t s c h l u s s d e s m i t t e l b a r e n T a t e r s m u s s d e r u n m i t t e l b a r e v e r -w i r k l i c h t h a b e n . Dadurch , dass der letztere jene Handlung des Ersteren ausgelost hat , bringt er selbst seinen Willen durch einen Stellvertreter in der Handlung zur Ausführung, wird er eben grade mittelbarer Tater . Und solche Stellvertretung ist bei alien nicht eigen-handig begehbaren Verbrechen moglich und ais moglich anerkannt .

D a r a u s e r g i e b t s i c h a b e r a u c h s c h o n 4. d a s s u n m i t t e l b a r e w i e m i t t e l b a r e T a t e r s c h a f t

f e h l e n , w e n n d e r a n g e b l i c h u n m i t t e l b a r e T a t e r e t w a s w e s e n t l i c h A n d r é s g e t a n , a i s d e r a n g e b l i c h m i t t e l b a r e i h m a u f g e t r a g e n h a t ^ .

a. Schliesst das verübte Verbrechen die Vollführung des Auftrags gar nicht in sich — der Auftrag ging auf KV, der Beauftragte lásst es bei einer Sachbeschádigung bewenden —, so ist der Wille des Auftraggebers unausgeführt geblieben und dieser wird strafrechtlich nicht haftbar.

b . Überschreitet der Beauftragte seinen Auftrag — er begeht statt Diebstahls Raub, statt KV Tótung —, so kann dieser Excess vor-satzlich oder fahrlássig geschehen. Aber in dem einen wie in dem andern Falle ist in dem Plus nur der Wille des Beauftragten und nicht der des Auftraggebers enthalten, und so haftet auch er allein für den Excess.

c. Bleibt die Ta t des Beauftragten hinter seinem Auftrag zurück — statt Brand zu legen lásst er es bei einer Sachbeschádigung bewenden, statt zu toten begnügt er sich mit einer KV —, so ist genau zuzusehen, was der unmittelbare Táter bei Beginn seiner Tátigkei t beabsichtigt hat. Beschránkt er sich gleich zu Anfang auf das Minus, so ist ein Teil des Auftrags unausgeführt geblieben. Tr i t t der un-

1 Ich verweise hier auf das oben S. 155 Note 1 aesagte!

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§ <35. 158

mittelbare Tater aber etwa vom qualificirten TOtungsversuche zurück, so ist er nur wegen KV, sein Auftraggeber wegen versuchter TOtung zu strafen.

V. Das Anwendungsgebiet dieser Form der Mittaterschaft bestimmt sich dahin:

1. ein raittelbarer Tater ist nur bei den Verbrechen denkbar, die er principiell auch ais unmittelbarer Iiatte begehen konnen. Üenn auch er muss alie Tater-Merkmale an sich tragen.

2. Es wurde bisher dem e i n e n unmittelbaren Tater e in mittelbarer Tater gegenübergestellt. Es ist aber grade so gut moglich

a. dass ein Koraplott sich zu dieser Art der Verwirklichung seines gemeinsamen Vorsatzes entschliesst. Die fünf Komplottanten übertragen dem Geschicktesten oder dem Ktthnsten unter ihnen die ganze eigenhandige Ausführung — ein ziemlich haufiger Eall;

b. dass ein mittelbarer Tater sich des Zusammenwirkens mehrerer unmittelbarer Tater zur Ausführung bedient. S. dazu den folgenden § 66.

VI. E s i s t d i e E r a g e a u f g e w o r f e n w o r d e n , wie d i e g e -l u n g e n e W i l l e n s e i n i g u n g z vvi sch en m i t t e l b a r e m u n d u n -m i t t e l b a r e m T a t e r a i s s o l c h e s t r a f r e c h t l i c h zu w e r t e n s e i ? Man bezeichnet sie meist ais die Frage nach der j u r i s t i s c h e n N a t u r d e r g e l u n g e n e n A n s t i f t u n g a i s s o l c h e r . Diese Handlung kann ais selbstandiges Delikt unter Strafe gestellt sein (v^gl. unten § 71). Ist das aber nicht geschehen, so bildet sie nicht schon einen conatus remotus des in Aussicht genomraenen vorsatzlichen Verbrechens (so die communis opinio zur Zeit des früheren gemeinen Rechts), sondern nur eine straflose Vorbereitung dazu. Bewendet es doch bei der Schopfung eines zwei Personen gemeinsam gewordenen verbrecherischen Entschlusses!

VIL Zu s t r a f e n i s t j e d e r d e r b e i d e n M i t t a t e r n a c h dem Gese"^tz, das a u f i hn A n w e n d u n g f a n d e , h a t t e e r d i e H a n d l u n g a l l e i n v e r ü b t .

So kann es kommen, dass beide verschiedenen Gesetzen unter-stellt werden, ja dass der Eine straflos ausgeht.

1. Die Schuld des Einen kann Vorsatz, die des Andern Fahr-lassigkeit gewesen sein,

2. Die Tat, die dem Einen zur Last fallt, kann für ihn voll-endetes, für den Andern versuchtes Verbrechen sein.

3. Bei der Tat des Einen konnen Qualifikationen vorliegen, die bei der des Andern fehlen. Der Eine hat im Rückfall gehandelt, der Andere nicht, der Eine war Sohn des Erschlagenen, der Andere nicht, der Eine war die Mutter, der Andere der Vater des neugeborenen unehelichen Kindes.

4. Das Gleiche gilt auch für Strafausschliessungsgründe. 5. Solange sich das Verbrechen noch ira Versuchsstadium be-

findet, kann jeder der beiden Tater selbstandig vom Versuche zurück-treten. Tut es der unmittelbare Tater, so macht er auch den mittelbaren straflos (s. oben S, 138), will der mittelbare zurücktreten, so muss er dies dem unmittelbaren erklaren und eventuell die in seinem

159 § f^Q-

Ñamen gesetzten Bedingungen vernichten, damit sie nicht mit zur Vollendung wirken.

§ 66. 3. Die Mittater im engeren Sinne. V. B u r i, Abhandl. aus dem Strafrecht. Giessen 1862,

S. 116ff. — Baur, GS 1867 S. 342ff. - (Goltdammer,) Über Komplott u. zufall. Miturlieberschaft: GA XI 1866 S. 369 ff. — D. Schmidt, Die Mittháterschaft. Diss. Worms 1882. — V, S tu t te , Komplott und Bande. Jenenser Diss. Tübingen 1886 (? Ohne Jahreszahl). — Heins, Der Rücktritt des Mit-tháters, Diss. Gottingen 1890,

M i t t a t e r e i n e s V e r b r e c h e n s im e. S. s i n d d i e m e h r e r e n H a n d l u n g s f a h i g e n , d i e e i n e n z w i s c h e n i h n e n v e r g e m e i n -s c h a f t e t e n r e c h t s w i d r i g e n E n t s c h l u s s — e i n e r l e i ob V o r s a t z o d e r F a h r l a s s i g k e i t — d u r c h g e m e i n s a m e eigenh a n d i g e T a t i g k e i t v e r w i r k l i c h t h a b e n .

I. Bei Beurteilung der Mittaterschaft hat sich ein seltsamer Irr-tum eingeschlichen, der ais Reminiszenz des Eigenhandigkeitserforder-nisses erscheint. Natürlich kann man nicht von jedem Mittater die eigenhandige Verwirklichung des ganzen Tatbestandes fordern. Sonst würden ja alie Mit tater tiberflüssig, Aber zum Erfolg solí Jeder wenigstens eine der Tatbestandshandlungen vorgenommen haben ^ Dies Postulat ist falsch gedacht und ausserdem undurchführbar. Was jeder von ihnen tut innerhalb der Verabredung, das tut jeder für Alie und Alie durch ihn.

Was „gemeinschaftlich ausgeführt" werden solí, beschrankt sich durchaus nicht auf die Verwirklichung des nackten Tatbestandes, sondern das ist e in V e r b r e c h e n s p l a n . Nichts andres hat natürlich auch GB § 47 im Auge^. Dieser Plan kann die Vorwegnahme von Vorbereitungshandlungen •— Ausbaldowern, Fertigen von Nach-schlüsseln usw. — erfordern-, er kann die Ausstellung von W^achen, die Erregung von Larm an entfernter Stelle, um die Polizei dorthin zu lenken, die Legung eines Hinterhaltes, um dem Opfer den Flucht-weg zu sperren, nütig machen. Da konnen die Mittater zu ganz ver-schiedener Zeit, an ganz verschiedenem Orte tatig werden, eventuell vielleicht auch untatig in Reserve liegen. S. auch O l s h a u s e n zu § 47 n. 5.

In demselben Augenblick wird deutlich, dass in jedem Falle durch solche Mittaterschaft jeder Mittater in bestimmtem Umfange mittelbarer, im Uebrigen unmittelbarer Tater wird, wenn ihn die Rollen-verteilung oder der Zufall nicht ganz in die Reihe der mittelbaren Tater gedrangt hat.

1 S. die bei O l s h a u s e n zu § 47 n. 6 a /3 Angeführten. Richtig E G I I I V. 10. Jan . 1887 und v. 11. Jan . 1904 (E XV S. 295ÍF.; X X X V I I S. 58). Den energischsten Vertreter findet diese sog. • objektive Theorie in B i r k m e y e r s Teilnahme, bes. S. 95 ff. Sehr fehlgehend bes. 107 ff. Danach muss jeder Mittater an der Setzung der Ursache des verbrech. Erfolges teilgenommen haben.

2 Ich kann diess nicht ais durch B i r k m e y e r , a. a. S. 92 widerlegt ansehen.

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66. 160

II. Ist so die Grosse des individuellen Tatbeitrags für den Be-griíF des Mittaters olme Bedeutung, so kann doch die hervorragende Tatigkeit des Einzelnen straferhohend, vielleicht gar strafscháríend wirken, besonders die des B a n d e n h a u p t e s , des K o m p l o t t -s t i f t e r s , des S c h o p f e r s des A u s f ü h r u n g s p l a n e s , des An-f U h r e r s d e r R o t t e (des sog. K a d l e i n - oder R a d e l s - F ü h r e r s ) , der mit dem A n f ü h r e r be i d e r T a t s e l b s t nicht zusammen-zufallen braucht.

III. Bezüglich der vorsatzliehen Mittaterschaft — die fahrlassige ist, wie gesagt, in der Theorie sehr vernachlassigt — hat sich Streit erhoben:

1. z u n f i c h s t ü b e r d i e j u r i s t i s c h e N a t u r d e r B a n d e n -u n d d e r K o m p l o t t s t i f t u n g . Ais entfernte Versuche des oder der in Aussicht genommenen Verbrechen sind sie nicht zu betrachten, vielmehr lediglich a i s g e f a h r i i c h e V o r b e r e i t u n g s h a n d -1 un gen . Werden sie nicht ais solche zu selbstándigen Deb'kten ge-stempelt (s, unten S. 177), so sind sie straflos. — Ferner

2. ü b e r d a s ob u n d w i e d e r L o s u n g des E i n z e l n e n a u s d e m V e r b a n d e u n d ü b e r d i e W i r k u n g e n d i e s e r L o s u n g .

a. Wili vor Beginn des Versuchs Einer der Mitkomplottanten aus dem Koraplott austreten, so muss er dies — will er nicht ge-wartigen, durch seine Gesellen zum mittelbaren Tater zu werden, — diesen unmissverstandlich zu erkennen geben. Er wird dann frei von Verantworíung, — es müsste denn die Komplottstiftung selbst unter Strafe stehen.

b. Bleibt er ohne solche Erklarung der Ausführung fern, so ist zu unterscheiden:

a. B e h a r r t er bei s e i n e m V o r s a t z e u n d d a b e i , d a s s d i e A n d e r n ihn m i t v e r w i r k l i c h e n s e l l e n , und ver-stehen seine Gesellen das Ausbleiben in diesem Sinne, so wird er durch sie mittelbarer Tater. Er blieb vielleicht fern, weil er krank wurdc oder der sichereren Ausführung halber fehlte oder aus eigner Initiative v¡n Hinterhalt dem zu Beraubenden den Fiuchtweg ver-legen wollte.

^. H a t e r s e i n e n V o r s a t z a u f g e g e b e n , d a v o n a b e r n i c h t s v e r l a u t b a r t , so wird er, falls er die Begehung des Verbrechens nicht erfolgreich hintertrieben hat, von dem Schícksal, ais Mittater verantwortlich zu werden, nur dann bewahrt^ wenn seine die Tat ausführenden Gesellen sein Wegbleiben ais Austritt auffassen.

c. R ü c k t r i t t vom V e r s u c h e s t e h t j e d e m m i t a u s -f ü h r e n d e n K o m p l o t t a n t e n j e d e n A u g e n b l i c k f r e i . Nur muss er diesen Rücktritt den Gesellen bekannt geben, und er wird

a. straflos nur dann, wenn ihm Alies zu annulliren gelingí, was er von Bedingungen zur Vollendung eigenhándig gesetzt hat. Dagegcn bleibt er

[i. wegen Versuchs verantwortlich, falls er dies nicht ver-mocht hat. Ihm war vielleicht das Erbrechen der Haustüre zugefallen, er hatte sie erbrochen, konnte sie aber nicht wieder schliessen.

161 § 67.

§ 67. II. Der Urlicber. Diess Wort wird hier in neuera Sinne gebraucht^, Der auctor

(iriminis, der Urlieber der gemeinrechtlichen Doktrin, war regelmassige Bezeichnung für den Táter, besonders auch für den mittelbaren. Das J3edürfniss, einen Verbrechensurheber anzuerkennen, der nicht Tater ist, wurde damals nicht empfunden und schlief bis jetzt.

1. Ich verstehe unter dem Urheber des .Verbrechens A. den H a n d l u n g s f a h i g e n , d e r w i l l e n t l i c h b e

s t i m m t h a t 1. e n t w e d e r e i n e n H a n d l u n g s f a h i g e n z u r V e r -

ü b u n g e i n e s n u r e i g e n h á n d i g d u r c h d i e s e n b e g e h b a r e n V e r b r e c h e n s , oder

2. e i n e n H a n d l u n g s u n f á h i g e n z u r V e r w i r k l i c h u n g d e s o b j e k t i v e n T a t b e s t a n d e s g r a d e e i n e s s o l c h e n V e r b r e c h e n s , zu d e s s e n V e r ü b u n g er d i e s o n s t n o t i g e n Q u a l i t á t e n b e s i t z t , etwa den latent wansinnigen Richter zur Rechtsbeugung, den Wansinnigen zur Abgabe eines falschen Zeugen-eides,

u n d d e r b e i d i e s e r B e s t i m m u n g 1. e n t w e d e r g e w u s s t h a t , d a s s d e r Bes - t immte ein

s o l c h e s V e r b r e c h e n b e g e h e n o d e r d e s s e n o b j e k t i v e n T a t b e s t a n d s e t z e n w e r d e , o d e r

2. h a t t e w i s s e n m ü s s e n , d a s s d i e T a t d e s B e -s t i m m t e n v e r b r e c h e r i s c h e n C h a r a k t e r t r a g e ;

B. d e n H a n d l u n g s f a h i g e n , d e r o h n e den z u r T a t e r -s c h a f t u n e n t b e h r l i c h e n k o n k r e t e n T a t e r e n t s c h l u s s e i n e n H a n d l u n g s f a h i g e n o d e r - u n f a h i g e n z u r B e g e h u n g e i n e s V e r b r e c h e n s o d e r z u r V e r w i r k l i c h u n g d e s o b j e k t i v e n T a t b e s t a n d e s e i n e s s o l c h e n b e s t i m m t h a t . Es ist diess wieder in zwei Weisen denkbar:

1. Ohne jeden Aneignungsvorsatz bestimmt der Urheber sein Werkzeug zur dieblichen Wegnahme einer fremden beweglichen Sache aus fremdem Besitz und zu deren Aneignung. Ohne Tatervorsatz determinirt er zu einem konkreten AngrifF auf fremdes Eigentum.

Oder 2. er stachelt einen Andern zur Begehung irgend eines Ver

brechens — zum Mord an irgend einem Reichen, zu Brand, zu Wider-stand auf, die Fassung und Ausführung des konkreten Tütervorsatzes ganz ihm überlassend. Beachte GB § 111.

Aus dem unter A und B Gesagten erhellt, dass wie der mittel-bare Tater auch der Urheber vorsatzlich oder fahrlassig handeln kann.

II. Diese Form der Teilnahme ist unsrer Gesetzgebung ais solche vollkommen fremd, wenn sich auch zeigen wird, dass der Urheber heute in den meisten Fallen seines Vorkommens straffallig wird.

De lege ferenda ist zu beachten: 1. d e r „ U r h e b e r " m ü s s t e in a l i e n F a l l e n s e i n e s

A u f t r e t e n s v e r a n t w o r t l i c h g e m a c h t w e r d e n ; ' S, dazu schon oben S. 148.

Bind ing , Strafrecht. Gruudriss. 7. Aufl. 11

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§ 68. 162

2. d i e U r h e b e r s c h a f t w a r e a i s e i n e s e l b s t a n d i g e F o r m k r i m i n e l l e r V e r a n t w o r t l i c h k e i t n e b e n d e r T a t e r -s c h a f t a n z u e r k e n n e n und zwar ais prinzipale, nicht ais acees-sorische Form. De r Urheber beteiligt sicli nicht an einem fremden Verbrechen: denn er b e g e h t diess gar nicht , auch nicht zum Tei l ; er hat nur bewirkt, dass es begangen oder sein objektiver Tatbestand gesetzt wurde, Am einleuchtendsten ist die prinzipale Natur der urheberschaft , wenn der Determinir te handlungsunfahig war (s.oben s. I A. 2). Denn dann fehlt es am Verbrechenstater ganz, von accessorischem Tun kann also keine Rede sein: an Stelle des Tíiters tritt vielmehr der Urheber . So giebt es strafbare Handlungen ohne Ta te r !

3 . D i e S t r a f e d e s U r h e b e r s m ü s s t e g r u n d s a t z l i c h s c h a r f e r w i e d i e d e s G e h ü l f e n , a b e r g e l i n d e r w i e d i e d e s T a t e r s s e i n . Letzteres desshalb, weil ihm gerade die Qualitaten man^eln , deren Vorliegen beim Tate r eine Steigerung seiner Pflicht zur Unterlassung des betreffenden Deliktes bedeutet.

§ 68. I I I . Der Gehülfe. B 85. Scli 47. M 35. MI 52. 58. Li 51. 52. G 111. L 72—81. H 84. 85. K 92—95. Fi 69. — K r u g , Übcr den Be-griff der Beihülfe zu e. Verbrecheu: a. a. O. S. 7.3—100. — K l e i n -s c h r o d , Über die Bestraf. d. geuerellen Beihülfe zu Verbrechen. Müuchen 1848. — S t e n g l e i n , Begünstigung u. Beihülfe zur Selbst-befreiung; Z f. StrEW IV (1884) S. 487 flF. — M i n t z , Die Lehre von der Beihilfe. Riga 1892. — T i s c h l e r , Die strafrechtliehe Bedeut; d. Beihilfe. Diss. Müuchen 1902. — Vgl. CCC A 177: ^ o n ftroff ber f ü r b e r u n g , í)tlff unb beif tonbt ber mi^t\)átev. Qtem fo jemonb eínem míBt|etter ju übung epner mt^tíjat, toiffentíic^er unb geoerííd^er toeife einíáieríeg í)tlff, beiftanbt ober fürberung, toie boa aUe^ uonten t)at, íí)ut, ift peínííd^ ju ftroffen, aí§ aber oorftel t, inn epnem falí onberft bann ín bem anbern . . . .

I . B e g r i f f . Gehülfe z u s t r a f b a r e r H a n d l u n g i s t d e r H a n d l u n g s f a h i g e , d e r d e n T a t e r b e h u f s i h r e r B e g e h u n g v o r s a t z i i c h ( d u r c h R a t o d e r T a t ) u n t é r s t ü t z t h a t .

Bei diesem geschichtlich überlieferten BegriíF hat sowol 6 B § 49, ais die deutsche Rechtswissenschaft Beruhigung gefasst.

Aus ihm ergiebt sich zunachst : unmoglich ist, dass sich Jemand an demselben Verbrechen zugleich ais T a t e r nind G e h ü l f e beteiligt; sehr wol moglich dagegen, dass er durch Begehung eines Verbrechens die Verübung eines anderen untérstützt. Dann ist er zugleich Tater des einen und Gehülfe zum andern Verbrechen.

A. D i e B e i h ü l f e s e t z t b e g r i f f l i c h v o r a u s e i n e n T a t e r , e i n e r l e i o b d i e s e r v o r s a t z i i c h o d e r f a h r l a s s i g g e h a n d e l t h a t . Zwar kennen sowol das frühere gemeine Recht ais dessen Dokt r in und die meisten neueren Gesetzbücher nur strafbare Beihülfe zu vorsatzlichen Verbrechen. Allein mit Unrecht! W e r wissentlich dem widerrechtlich Angegriffenen die Waffen zur Abwehr gegen den Falschen reicht , kann sehr wol Gehülfe zu fahrlassiger Totung oder K V werden. Durchaus richtig GB § 49. S. auch B i r k -

163 § 68.

m e y e r , Teiln., S. 141 ; O l s h a u s e n zu § 49 n, 18 u. die dort An-geführten.

B. F ü r d e n G e h ü l f e n i s t erforderlich 1. r e c h t s w i d r i g e r V o r s a t z . Fahrlassige Beihülfe ist

durchaus denkbar , bleibt aber mit Recht straflos. 2. D i e s e r V o r s a t z d a r f k e i n T a t e r - V o r s a t z s e i n ^ ,

d. h. er darf nicht auf Selbstbegehung des Verbrechens, nicht auf eigenhandige oder nichteigenhandige Setzung der ü r sache des ver-brecherischen Erfolgs gerichtet sein. Lasst sich der Gehülfe zur sog. v e r b r e c h e r i s c h e n H a u p t h a n d l u n g hinreissen, setzt er also vorsatziich jene Ursache, dann wandelt er sich in einen Tater — bald in einen unmittelbaren, bald in einen Mittater — um.

3. D i e s e r V o r s a t z m u s s v i e l m e h r d a r a u f g e r i c h t e t s e i n , d i e B e g e h u n g e i n e r s t r a f b a r e n H a n d l u n g z u u n t e r -s t ü t z e n , d e r e n T a t e r e i n A n d e r e r i s t . Ob im Einverstand-niss mit dem Tater oder ohne oder gegen dessen Willen, gilt gleich.

Der Gehülfe will nicht die Ursache des verbrecherischen Erfolgs, s o n d e r n n u r e i n z e l n e p o s i t i v e B e d i n g u n g e n d a z u s e t z e n o d e r e i n z e l n e n e g a t i v e v e r n i c h t e n .

Wenn aber der Gehülfe etvvas wesentlich Anderos will , ais der T a t e r , muss auch die Verwirkl ichung dieses seines Willens etwas -anderos sein ais eine Tater-Handlung. Die Lehre, die ganze DiíFerenz zwischen Tater- und Gehülfenschaft liege auf subjektiver Seite (sog. subjektive Theorie , vom R G ver t re ten: s. neuerdings wieder I I I v. 11. J an . 1904, E X X X V I I S. 58) , ist grade so unlogisch wie ihr Widerpar t , sie liege ganz auf objektiver Seite. Der verschiedene Wille verlangt die verschiedene Tat und die verschiedene Ta t den verschiedenen Willen. D e r U n t e r s c h i e d m u s s a l s o z u g l e i c h in W i l l e u n d T a t l i e g e n . Gut H a l s c h n e r I S. 377.

4. Will aber der Gehülfe nur einen Teil eines fremden Verbrechens hervorbr ingen, so k a n n d i e B e i h ü l f e u n m o g l i c h a i s e i g n e s V e r b r e c h e n g e f a s s t w e r d e n (s. dazu auch unten S. 165). Sie ist vielmehr eine a c c e s s o r i s c h e T e i l n a h m e , d i e i h r e n C h a r a k t e r w e s e n t l i c h d u r c h d a s u n t e r s t ü t z t e H a u p t -v e r b r e c h e n e r h a l t .

5. Daraus folgt: a. e s g i e b t k e i n e B e i h ü l f e z u r B e i h ü l f e , s i e i s t

B e i h ü l f e z u m H a u p t v e r b r e c h e n ; auch de lege lata keine solche zur Anstif tung, weil auch diese nur accessorische Schuld ist : sie muss auch ais Beihülfe zum Hauptverbrechen gefasst werden. — D a g e g e n g i e b t e s p r i n z i p i e l l e i n e B e i h ü l f e z u r U r h e b e r s c h a f t ;

b. e s g i e b t k e i n e B e i h ü l f e z u e i n e m N i c h t -D e l i k t , einem Selbstmord, einer Wansinnsta t^ . Doch wird hier

^ Wird die Kategorie des Urhebers anerkaunt, dann ist zuzufügen: auch k e i n U r h e b e r - V o r s a t z .

2 Siehe darüber auch. unten § 69 S. 166. 167. 11*

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§ 68. 164

Vorsiclit notig. Die scheinbare Beihülfe begründet hier leicht wahre Taterschaft.

c. E s g i e b t B e i h ü l f e z u V e r b r e c h e n , d i e d e r G e -h ü l f e a i s T a t e r m a n g e l s p e r s o n l i c h e r Q u a l i t a t e n n i c h t b e g e h e n k o n n t e . Ein Weib kann zur Notzucht helten, ein Laic zura Amtsverbrechen.

d. Das Verbrechen des Taters kann die Grenze überschreiten, bis zu welcher der Gehülfe allein den Tater unterstützen will, E r hat diesem vielleicht Nachschlüssel zum Diebstahl gcilieíert, der Tater schreitet aber zum Raube fort. D a n n e n t s c h e i de; ii W i l l e u u d T a t d e s G e h ü l f e n , n i c h t d e s T a t e r s , d a r ü b e r , zu w e l c h e m V e r b r e c h e n d i e B e i l i ü l f e a i s g e l e i s t e t zu b e t r a c h t e n i s t .

0. D i e s e r U n t e r s t ü t z u n g s v o r s a t z m u s s v o n d e m G e h t i l f e n i n T a t u m g e s e t z t s e i n ^ .

a. D i e B e i h ü l f e , a u c h d i e z u e d i t e n U n t e r -l a s s u n g s d e l i k t e n , i s t u n b e d i n g t k o m m i s s i v . Zerlegt man sie, wie üblich, in p o s i t i v e und n e g a t i v e , so ist letztere durchaus nach Analogie der Begehungsverbrechen durch Unterlassung (s. oben § 34) zu fassen. Es sieht beispielsweise der Schutzmann einem Ver-brechen ruhig zu, damit der ihm befreundete Tater es vollenden konne.

b. Z a h l , A r t , O r t u n d Z e i t d e r v e r s c h i e d e n e n U n t e r s t ü t z u n g s h a n d l u n g e n d e s s e l b e n G e h t i l f e n zu e i n e m V e r b r e c h e n s i n d g l e i c h g ü l t i g : es bewendet imraer bei e i n e r Beihülfe.

c. D i e U n t e r s t ü t z u n g g e s c h i e h t a. e n t w e d e r z u r A u s b i l d u n g d e s v e r b r e e h e r i-

s c h e n E n t s c h l u s s e s , etwa durch Befestigen desselben, durch Raterteilung. Sog. i n t e l l e k t u e l l e B e i h ü l f e , vom Gesetz ais B e i h ü l f e d u r c h R a t b e z e i c h n e t . Dazu taugt jede intellektuelle Einwirkung, die den Unterstützenden nicht zum mittelbaren Tater und , wenn der Typus der Urheberschaft anerkannt wird, nicht zum Urheber macht ;

//. o d e r z u r A u s f ü h r u n g d e r T a t , etwa durch Be-schaífen von Nachschlüsseln, Offenlassen der Thür, Halten des Opfers, Leuchten zum Diebstahl u. s. w. Sog. p h y s i s c h e B e i h ü l f e , B e i h ü l f e d u r c h T a t .

Betrachtet man die Gehülfenhandlungen isolirt genauer, so stellen sie sich entweder ais Vorbereitungshandlungen für das Hauptverbrechen oder ais teilweise Verwirklichungen von dessen Tatbestand dar^.

d. Da die Beihülfe kein selbstandiges Verbrechen ist, auch

1 Genau wie bei der Taterschaft bestelit der Geg-ensatz zAvischen unmittel-barer und mittelbarer (nicht eigenhándiger) Tatig'keit bei der Beihülfe.

- Es ist durchaus unrichtig, dass der Geliülfe keine Tatbestandshandluug vornehmen dürfe, wie B i r k m e y e r , Teihiahme bes. S. 113 behauptet. Er kann die gesehlechtlicli zu Missbrauchende narkotisiren, kann für den Dieb die Suclie aus fremdem Besitz wegnehmen u. s. yv. Bei „Sonderverbrechen" kann er sogítr, falls er nicht zu den Sonder-Gebundenen gehort, den ganzen aiisseren Tatbestand verwirklichen (s. N a g l e r , Teihiahme 8. 129), beim Diebstahl die ganze Wegnahmc der Sache aus fremdem Besitz!

1G5 § 08.

nicht einen bestimmten juristiscben Endpunkt besitzt, g i e b t e s w e d e r v e r s u c h t e n o c h v o U e n d e t e B e i h ü l f e : s i e i s t e n t w e d e r g a n z d a o d e r f e h l t g a n z . S. auch RG. I I I v. 7. Juli 1884 (E X I S. 39. 40). Aber allerdings kann der Unterstützungsvorsatz

a. bald vollstandig, bald unvollstandig betatigt sein. Der Gehülfe wollte zwei Nachschlüssel Hefern, hat aber nur einen zu Stande gebracht ;

/?. auf gewichtigere oder minder gewichtige Unters tützung gerichtet sein. Hierauf beruht die Einteilung in H a u p t - und N e b e n g e h ü l f e n , die quantitativ genoramen richtig ist, sofort aber falsch wird, wenn man mit F e u e r b a c h nur den Hauptgehülfen nennt, ohne dessen Beistand die Tat überhaupt nicht hatte begangen werden kimnen, und diesen gar unter die Tater versetzt.

II. D i e S t r a f b a r k e i t d e r G e h ü l f e n . 1. Wenn das frühere gemeine Recht (s. cap. 6 § 2 X . de homi

cidio 5, 12 ; CCC A. 177) wie die neueren Strafgesetzbücher die ab-solute Strafbarkeit der Gehülfen anerkennen, tun sie diess, weil der Gehülfe zum Deljkt vorsatzlich einen Beitrag leistet, man kann auch sagen: einen Ausschnitt daraus selbst verübt .

2. Der Gehülfe kann lange Zeit vor dem Hauptverbrecher ge-handelt haben , j a sogar, bevor der Tater selbst an das Verbrechen nur gedacht hat. Richtig RG I v. 26. Marz 1896 (E X X V I I I S. 287/8). Seine Strafbarkeit ist dann aber suspendirt bedingt ; sie tritt erst ein, wenn das Hauptverbrechen das Versuchsstadium erreicht hat. S. darüber auch unten in der Lehre von der Verjahrung, § 117. Fall des sog. b e d i n g t e n V e r b r e c h e n s .

3 . G r u n d s a t z l i c h i s t d e r G e h ü l f e n a c h d e m G e s e t z e f ü r d e n T a t e r z u s t r a f e n , und zwar auch dann, wenn es auf diesen wegen seines Todes oder wegen seiner Begnadigung oder weil er unentdeckt blieb, nicht angewandt werden kann. Dazu ist das oben S. 164 s 5 d Gesagte zu beach ten^

Der Gehülfe zu fahrlassigem Verbrechen würde aber gerecht dem Gesetze für vorsatzliche Taterschaft unterstellt.

4. D e r G e h ü l f e i s t a b e r m i t e r h e b l i c h m i l d e r e r S t r a f e z u b e l e g e n a i s d e r T a t e r .

a. Deren Maass bestimmt sich nach der Schwere und der quantitativen Entwicklung der Tater- wie der Gehülfentatigkeit und nach dem Grossenbeitrag der letzteren.

b. Die relative Strafbarkeit der Beihülfe zu einem Ver-brechen ist grundsatzlich erheblich geringer ais die der Versuche zu diesem Verbrechen. Denn der Tater des Versuchs setzt auch n u r einen Teil des Verbrechens — dieselbe Ta t kann unter Umstanden Versuch oder Beihülfe sein — , aber der Tater des Versuchs hat es sehr anders wie der Gehülfe auf das ganze Verbrechen abgesehen. Vgl. oben S. 132.

5. S c h a r f u n g s - o d e r M i l d e r u n g s - G r ü n d e b e i d e r T í í t e r h a n d l u n g , wie Rückfall, Bandenmitgliedschaft, Jugendl ichkei t

' S. darülier auch unten § 69 s, III.

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§ 69. 166

des Ta te r s , s c h á r f e n resp. mildern g r u n d s a t z l i c h a u c h d i e S t r a f b a r k e i t d e s G e h ü l f e n , f a l l s e r d a v o n K e n n t n i s s h a 11 e.

6, S c h a r f u n g s - u n d M i l d e r u n g s g r u n d e , d i e b e i d e r G e h ü l f e n h a n d l u n g a u f t r e t e n , so l i t e n d i e S t r a f e d e s G e h ü l f e n i n á h n l i c h e m V e r h a l t n i s s e b e e i n f l u d i e T a t e r s t r a f e . s s e n , w i e

§ 69. Erganzung zu I—III. Ánomale Erscheiuungeu und ihre Benrteilung de lege lata und de lege ferenda,

I. D e r T á t e r k a n n s i c h a l s W e r k z e u g s b e d i e n e n e i n e s H a n d l u n g s f a h i g e n ,

1. d e r s e l b s t e i n e j u r i s t i s c h i n d i f i e r e n t e H a n d -l u n g , wie Selbstmord oder Gesundheitsverletzung an sich selbst D e g e h t . Sog. Anstiftung zum Selbstmord, zur Selbstverletzung.

E r i s t d e l e g e l a t a w i e d e l e g e f e r e n d a a i s T a t e r r e c h t s w i d r i g e r T o t u n g o d e r K V z u b e t r a c h t e n . De lege lata ganz zu Unrecht bestri t ten;

2. d e r e i n e r e c h t - o d e r g a r p f l i c h t m a s s i g e H a n d -l u n g v o r n i m - m t . Durchgang der verbrecherischen durch eine recht-massige Handlung. Durch Tauschung bestimmt die kla,gerische Prozess-partei den Civilrichterzu einem falschen den Beklagten benachteiligenden Ur te i l ; durch Meineid bewegt der Zeuge, der den schuldlosen An-geklagten aufs Schafot oder ins Zuchthaus bringen will, die Straf-richter zum falschen Urte i l , das zur Vollstreckung kommt. Einen sehr interessanten Fall der Hinterziehung der Zwangsvollstreckung auf solche Weise bringt R G I I I v. 13. Februar 1890 (E X X S. 256 ff.) zur Anschauung. Hatten selbst Richter und Gerichtsvollzieher in diesem Fall gewusst, dass sie zur Hinterziehung der Zwangsvollstreckung missbraucht werden sollten, sie hatten doch urteilen und vollstrecken müssen.

D e l e g e l a t a u n d d e l e g e f e r e n d a i s t h i e r T a t e r -s c h a f t a n z u n e h m e n .

I I . D e r G e h ü l f e k a n n d e n T a t e r d u r c h e i n e H a n d l u n g u n t e r s t ü t z e n , z u d e r e n V o r n a h m e e r b e r e c h t i g t i s t . Der angestellte Pr ivat jager , der Abschussrecht ha t , kann auf dem Jagdgrund, für den er bestellt ist, den Wilddieben jagen helfen, j a mitjagen. Die Romischen Juristen hatten dann wol von ihm gesagt : Dolo malo jure suo utitur. Lehrreich der Fall in R G I v. 17. Nov. 1904 (E X X X V I I S. 821 ff.).

E r k a n n n i c h t M i t t a t e r s e i n , i s t a b e r s t r a f b a r e r G e h ü l f e — s o w o l d e l e g e l a t a a i s d e l e g e f e r e n d a .

I I I . D e r T a t e r (sit venia verbo!) k a n n h a n d l u n g s u n f a h i g s e i n , w á h r e n d e i n H a n d l u n g s f a h i g e r i h n b e w u s s t u n t e r -s t t i t z t . Wáchst letzterer sich nicht selbst zum Tater aus, was nicht notig ist, dann ist er

1. d e l e g e l a t a h a s s l i c h e r W e i s e s t r a f l o s , 2. d e l e g e f e r e n d a so z u s t r a f e n , a i s w a r e d e r

T a t e r h a n d l u n g s f a h i g g e w e s e n .

167 § 70.

IV. D e r T a t e r (im Sinne von III) k a n n e i n e j u r i s t i s c h i n d i f f e r e n t e H a n d l u n g , wie Selbstmord, Selbstverstümmelung v o r n e h m e n u n d e i n H a n d l u n g s f a h i g e r i h n d a z u u n t e r s t ü t z e n . D a n n i s t l e t z t e r e r

1. d e l e g e l a t a s t r a f l o s ; 2. d e l e g e f e r e n d a w a r e a b e r n i c h t z u ü b e r s e h e n ,

d a s s d i e H a n d l u n g d e s G e h ü l f e n d i e R i c h t u n g g e g e n e i n f r e m d e s , v o n i h m z u r e s p e k t i r e n d e s L e b e n a n n i m m t , d a d u r p h a l s o r e c h t s w i d r i g w i r d . E r verdient, wenn ihm nicht der Vorsatz fehlen sollte, eine Strafe nach Analogie der Strafe des Gehülfen, aber eine mildere.

§ 70. IT. Die allgemeinen Satznngen des hentigen gemeinen Rechtes über die Teilnahme. GB §§ 47—50. 333. 357. MGB § 47. — B 86. 87. 90. M 33—36. Vgl. MI 55. Li 50—53. Fi 68. 69. 70. 71. — H e r z o g , Zur Lehre von der Theilnahme: StrRZ XI 1871 S. 259 ff. XII S. 220 ff. — Ders . , GS 1876 S. 321 ff. — Der s . , G3 1883 S.Slff. — H á l s c h n e r , Die Mittháterschaft im Sinne des deutschen StrGBs: GS 1873 S. 81 ff. — v. B n r i , desgl., das. S. 237 ff. — Ortloff , Der „Tháter": GA XXI 1873 S. 153 ff. — G a m p , Über Urheber^chaft nach dem RStrGB: GS 1875 S. 34 ff. — O r t m a n n , GA XXII 1874 S. 385ff. — R u h s t r a t , Über Mittliáterschaft u. Beihülfe: GS 1880 S. 182 ff. — F u c h s , desgl., GA XXIX 1881 S. 170 ff. — H i r s c h , Über den Unterschied zwischen Mittháter-schaft und Beihülfe. Tübingen 1881. — Zacha r i á , Die Bedeutung des Komplottbegriffs im heut. d. Strafrechte: GS 1874 S. 133 ff. — V. S t emann , Über das Anerbieten zur Begeh. eines Verbrechens und die Aniíahme dieses Anerbietens: GS 1876 S. 267ff. — S t e n g -1 e i n, Veranstalter u. Veranlasser d. Nachdrucks, GS 1886 S. 1 ff. — V. K r i e s , Ein Beitrag zu der Lehre v, d. Teilnahme; Z f StrRW VII 1887 S. 521 ff. — H a r b u r g e r , Die Teilnahme an dem Ver-brechen aus § 159 RStrGB durch Anstiftung od. Beihülfe (aus der Festgabe für P l a n c k . München 1887 S. 348 ff.). — F o r k ^ , Die begnffl. Unterscheid. zw. Urhebersch. u. Beihülfe. Diss. Magde-burg 1890.— T j á b e n , desgl., GA XLII 1894 S. 218 ff. — H e l l -dorf, Die mittelb. Thátersch. u. d. Verleit. z. Falscheide. Diss. Halle 1895. — H e l m e r , Über den Begriff der fahrláss. Tháter-schaft. Diss. Strassburg 1895. — B i n t z , Die Teilnahme bei fahrláss. begangenen Handlungen. Diss. Hamburg 1895. — H a u p t , Beitráge z. Lehre v. d. Teilnahme; Z f. StrRW XV 1895 S. 202 ff. 569 ff. — Siegel , Verwechslungsfálle bei Anstiftung. Diss. Goett. 1895. — L o w e n h e i m , Der Vorsatz des Anstiiters. Breslau 1897. — W. M e y e r , Die Teilnahme an fahrláss. begangenen Handlungen. Diss. Ohne Druckort. 1897. — K r u g , Die besonderen Umstánde der Teilnehmer. Breslau 1899. — D e e r b e r g , Strafb. Anstift. u. Beihülfe zu Handl. v. Peronen unter 12 Jahren. Diss. Oberhausen 1899. — Y a m a k a w a , Zur Lehre v. d. Mittháterschaft. Diss. Goett. 1900.— D o p f e l , Die strafrechtl. Verantwortl. des agent provocateur. Diss. Stuttgart 1899. — H e i l b o r n , Der agent provocateur. Berlin 1901. — K a t z e n s t e i n , Der agent provocateur; Z f. StrRW XXI 1901 S. 374 ff. — M i t t e r m a i e r , das. S. 235 ff. — K o r n . Der Vorsatz des Anstifters nach gelt, Rechte, Diss. Goett. 1902. — Hopfne r , Z. Lehre v. d. mittelb. Tháterschaft; das. XXII 1902 S. 205 ff. — Ders , , Anstift. u. Beihülfe; Z f. StrRW XXVI 1906 S. 679 ff, — P r o s c h , Der Rücktritt v. Versuch in s. Bedeüt. f. d. Teilnahme. Diss. Bremen 1904.— W u t t i g , Fahrláss. Theilnahme am Verbrechen. Breslau 1902. — K o p p m a n n , Die Strafbarkeit der Teilnahme von Zivilpersonen an rein militar. Delikten, Diss.

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§ 70. 168

Müncheu 1903.— Nag le r* , Die Teilnahme am Soudorvorbrtícluní Leipzig 1903 (dazu O e t k e r , GS LXVIII 1906 S. 299 €). — W e i líbe r ^^ Teilnahme an fahrlassij^en Handluugen nach gelt. Rocht. Berlín 1904. — D o e r r , bei SeuíFert. Blátter f. Reclitsanwendiui"'-1906 S. 342 C (über GB § 50). — K o h l e r , Deliktsteilnalime n. personl. Bezieh,; GA LI 1904 S. 169 ñ. — B a u e r , Die akzessorisclie Natur der Teilnahme. Diss. Goett. 1904. —• Über subsidiare Haftuiig für fremde Geldstrafen s. B i n d i n g I S. 489 ft'. u. die dort Angei. S. ferner A u f s e s s bei HRLex s. v. Haftpflicht, II S 229 ff-L e v e r k ü h n , GA XXXVIH 1890 S. 291 ff.; E n g e l s , Z f. StrRW XII 1892 S. 127ff.; H a i m a i i n , Die rochtl. Natur, der subsidiar. Vertretungsverbindl. dritter Personen nach den Zoll- u. Steuer-gesetzen des Deutschen Reichs. Münchcn 1892. — Vgl. .auch M a k a r e w i c z , bei Grünhut XXV 1898 S. 317 ft^ — S. auch R i c k e r , Die Verautwortl. d. Erben f. die Steuerdefraud. des Erblassers. Diss. Wiesbaden 1894 u. die vor § 62 angefiihrten Schriften von O e t k e r u. R e u s s. — 8. endlich die Literatur vor § 62.

1. D i e B e g r i f f e T a t e r , A n s t i f t e r u n d G e h t i l f e ^ Wie es in Wahrhei t drei Typen der Teilnehmer giebt, so kennt

auch das heiitige geraeine Recht deren dreí. Neben der T a t e r s c h a f t noch die A n s t i f t u n g und die B e i h ü l f e — beide gefasst und behandelt ais zwei Formen accessorischer Teilnahme. Diese Drei-teilung ist wissenschaftlich unhaltbar und erzeugt oft die ungerechtesten Urteile.

Was aber ausser dieser gesetzlichen Notigung die heutige Rechts-pflege über das Verbrechenssubjekt aufs Nachteiligste beeinflusst, ist der ganz falsche Glaube, was die §§ 47—50 an Formen der Teilnahme nicht ausdrücklich erwahnten, sei de lege lata nicht vorhanden, also in Konsequenz von GB § 2 straflos zu lassen. Dieser I r r tum führt aber zu noch viel argeren Ergebnissen.

Nun ist nach heutigem Rechte A. T a t e r j e d e r , d e r s e i n e n v e r b r e c h e r i s c h e n W i l l e n ,

V o r s a t z o d e r F a h r l a s s i g k e i t , z u r A u s f ü h r u n g g e b r a c h t h a t , s o f e r n i h n d a s G e s e t z n i c h t a i s A n s t i f t e r z u f a s s e n z w i n g t.

Es ward schon früher (s. oben § 63) dargelegt , dass das Gesetz die Eigenhandigkei t der Verbrechens-Verübung nicht zum Taterbegriff fordert , dass es insbesondere auch den ais Tater be-t rachte t , der sich eines Schuldlosén zur Verwirkl ichung seines Ent-schlusses bedient (s. z. B. GB §§ 160. 2 7 1 ; K O § 242, 2), ja, dass es auch solche Tater kenn t , die diesen ihren Entschluss durch einen Handlungsfahigen zur Ausführung bringen. S. z. B. GB § 142: „untauglich macht oder durch einen andern untauglich machen lasst", „Ein Beamter, welcher . . . ein K V begeht oder begehen lasst", und ganz analog in den §§ 341 u. 343.

Hier findet die „mittelbare Taterschaft" Anerkennung, aber ausdrücklich erwahnt wird ihrer ais einer Begehungsform des Ver-

1 Die folgenden Ausführungen siüd gegenüber der früheren Auflage stark

f eándert. Ich habe inzwischen erkannt, dass mit den von mir im Anschluss an ie gemeinrechtliche Doktrin angenommenen zwei Typen der Teilnehmer — dem

Urheber u. dem Gehülfen — nicht auszukommen ist.

169 , ^--r— J^J g rj^

brechens nirgends. Und so wirft sich die Fi'age • aaüEf "Jjwíe weit sie praktisch über jenes beschrankte Gebiet ihrer konkféfeh Verwertung hinaus anerkannt werden darf?

Nun wird sich zeigen, dass ein grosser Teil der mittelbaren Taterschaft heute ais Anstiftung strafbar wird, aber durchaus nicht die ganze. Davon aber, dass wirkliche Verbrechens-Tater straflos ausgehen sollen, finden wir im heutigen Rechte keine Spur. Ware es j a doch auch ebenso sinnlos ais ungerecht , wenn ein Komplott von fünf Ver-schworenen beschliesst, das Verbrechen nur durch einen von ihnen zur Ausübung zu bringen — man braucht j a nur an heutige russischc Zustiinde zu denken! —, nur den Ausführenden zu strafen und die andern vier straflos ausgehen zu lassen! „Anstifter" sind diese doch gewiss nicht! Vielleicht ist der ganze Plan von dem Ausführenden ausgegangen.

Des Weiteren wurde schon oben dargelegt (s. § '6'^ S. 159), dass die Anerkennung der Mittilterschaft stets eine Anerkennung mittel-barer Taterschaft bedeutet.

Und so muss behauptet werden: d i e g a n z e m i t t e l b a r e T a t e r s c h a f t i s t h e u t e a i s T a t e r s c h a f t s t r a f b a r , s o w e i t s i e n i c h t k r a f t § 48 u n t e r d i e A n s t i f t u n g s u b s u m i r t w e r d e n m u s s : a l s o i n s b e s o n d e r e d i e g a n z e m i t t e l b a r e T a t e r s c h a f t b e i f a h r l a s s i g e n V e r b r e c h e n .

B. M i t t a t e r s i n d n a c h G B § 47 d i e H a n d l u n g s f a h i g e n , w e l c h e e i n e s t r a f b a r e H a n d l u n g g e m e i n s a m a u s f ü h r e n , m i t A u s n a h m e d e r A n s t i f t e r u n d d e r G e h ü l f e n . Zur Mittaterschaft wird ein auf den gleichen Verbrechensfall gorichteter verbrecherischer Kollektiventschluss gefordert. Gleiche S c h u l d a r t ist den Mittatern nicht wesentlich: sie konnen Alie vor-satzlich oder alie fahrlassig oder ein Teil vorsatzlich, der andere fahr-lassig handeln.

Von einer Beschrankung der Mittaterschaft auf vorsatzliche Ver-brechen weiss das Gesetz n ichts! Davon, dass jeder Mittater setbst H a n d angelegt haben müsse, ist auch nicht die Rede. W i r l e i d e n a b e r h e u t e s c h w e r an e i n e m g a n z a u s s e r l i c h g e f a s s t e n T a t e r b e g r i f f ! Abwegig RG IV v. 21 . Marz 1893; I I v. 26. Febr . 1897 (E X X I V S. 86 íf.; X X I X S. 419 ÍF.). Gut RG I I I v. 17. Jan . 1880 (E I S. 146 ÍF.)._

Lehrreich für die Mittaterschaft, aber m. E. falsch entschieden RG I I I y. 9. Marz 1896 (E X X V I I I S. 305 ff.).

Bezüglich der Mittaterschaft des heutigen Rechts gilt Alies das oben § 64 Ausgeführte.

V o n d e n M i t t a t e r n w i r d j e d e r g e n a u so b e s t r a f t , a i s h a t t e e r d a s V e r b r e c h e n a i s A l l e i n t a t e r b e g a n g e n . Die bei jedem einzelnen vorhandenen Scharfungs- oder Milderungsgründe wirken nur für ihn, nicht für seine Genossen, Dies schliesst natürlich nicht aus, die Verbindung zum Verbrechen und die Wissenschaft von jenen Scharfungsgründen ais §traferhohungsgründe zu behandeln.

ín der Regel gilt aber derjenige, der einen Andern zur ver-

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§ 70. 170

brecherischen Ausführung saines (des Bestimmenden) verbrecherischen Entschlusses v o r s á t z l i c h bestimmt hat, nicht ais Tater, sondern

C. a l s A n s t i f t e r . D i e s i s t d e r j e n i g e , d e r m i t T a t e r -o d e r m i t U r h e b e r - V o r s a t z e i n e n A n d e r n zu dem von d i e s e in b e g a n g e n e n v o r s a t z l i c h e n o d e r f a h r l a s s i g e n V e r b r e c h e n b e s t i m m t ha t .

1. Die denkbar grosste Verkennung des Wesens der Anstiftung liegt in der Behauptung, der Wille des Anstifters gehe nur auf die Erweckung des vei'brecherischen Entschlusses in einem Andern, gar nicht aber auf die Ausübung des Verbrechens durch den Angestifteten. Die Anstiftung des heutigen Rechts ist kein selbstandiges Verbrechen gegen die gesetzestreue Gesinnung (s. darüber mein Lehrb. II S. 709 íF. und 838 ff.), sondern Teilnahme an fremder Tat. — Andererseits lásst sich de lege lata die von K o h l e r , Studien I S. 106 ff. vertretene Ansicht, der Anstifter falle juristisch mit dem mittelbaren Tater zusamnien (s. bes. S. 113), nicht halten. Über die Aüffassung von L o e n i n g s. oben 8. 148 N. 3.

2. Sofern der Anstifter erfolgreich mit T a t e r w i 11 en zur Ausführung determinirt hat, wird er in Wahrheit m i t t e l b a r e r T a t e r . Und trotzdem behandelt das GB alie Anstifter ais accessorische Teil-nehmer. Aber sie brauchen heute Taterwillen nicht zu besitzen. Der Anstifter zum Diebstahl kann heute den Vorsatz der Aneignung haben oder dem Angestifteten auch nur zu der Sache verhelfen wollen, die er stehlen solí, oder ihn nur „anstiften", um ihn aufs Zuchthaus zu bringen •*.

3. Fehlt dem Anstifter der Taterwille, so handelt er mit U r -h e b e r v o r s a t z . Und so zeigt sich hier, dass ein Teil der „Urheber-schaft" in dem oben (§67) entwickelten Sinn auf einen falschen Titel hin heute unter Strafe gezogen ist:

a. der ganze Teil namlich, in welchem der Determinirte selbst verbrecherisch handelt, ganz besonders ein nur eigenhandig zu verübendes Verbrechen begeht; wogegen

b. die Urheberschaft straflos bleibt, sofern der Urheber einen Handlungsunfahigen zur Setzung des objektiven Tatbestands eines solchen Verbrechens bestimmt hat. Wird der handlungsfahige Staats-anwalt zur falschen Klage bestimmt, so ist der Urheber ais Anstifter — also ganz ungerecht — mit der schweren Strafe des ungetreuen Beamten zu belegen, wahrend er heute ebenso ungerecht straflos aus-geht, falls der StA latent wansinnig ist. Bestjmmt Jemand ohne jede Aneignungsabsicht einen Handlungsunfahigen zur rechtswidrigen Weg-nahme einer fremden Sache aus fremdem Besitz mit dem Willen, sie sich anzueignen, so fehlt heute jede Moglichkeit, ihn zur Verantwortung zu ziehen.

Einen interessanten Fall dieser Art hat das GB § 160 unter Sonderstrafe gestellt: die Verleitung zum objektiv falschen Eid und zur objektiv falschen Versicherung an Eidesstatt.

* In Fallen, Avie den beiden letzten, legten die früheren Auflagen, die richtig erkannten, dass dem Anstifter dann der Táteíwille fehlte. ihm uTn-iphfío- nnliíiiíor.. vorsatz bei. S. 6. Aufl. S. 196.

fehlte, ihm uurichtig Gchülfen-

171 § 70.

4. D a s GB k e n n t nu r v o r s a t z l i c h e A n s t i f t u n g , aber n i c h t n u r zu v o r s a t z l i c h e n , s o n d e r n a u c h zu f a h r l a s s i g e n V e r b r e c h e n . Dass der Angestiftete vorsátzlich ge-handelt haben müsse, davon sagt das Gesetz keine Silbe, und dass er fahrlassig gehandelt haben kann, erkennt es in § 48 durch die Worte; „durch Herbeiführung oder Beforderung eines Irrthums" ausdrücklich an. Vgl. B i r k m e y e r , Teilnahme S. 141. Ganz zu Unrecht vvird dies vora RG (s. I v. 20. Juni 1892; E XXIII S. 157 íF.) geleugnet. S. dazu O l s h a u s e n zu § 48 n. 18; B e l i n g , Z f. StrRW XVIII S. 272/3.

5. Es bewendet bei e i n e r Anstiftung, wenn Jemand mehrere Mittáter zu demselben Delikte angestiítet hat.

6. Zur Anstiftung tauglich sind alie tauglichen Bestimmungs-mittel, sofern sie nicht wie die Drohung nach GB § 52 die Zu-rechnungsfáhigkeit des Bestimmten aufheben. RG I v. 8./22. Dez. 1898 (E XXXI S. 395 ff.). Auch GB § 48 sagt diess ja ausdrücklich.

7. Ais gañil gleichgültig erscheint d a s M o t i v d e r A n s t i f t u n g . Dies ist besonders wichtig für die Beurteilung des sog. a g e n t p r o v ó c a t e ur . Verliert die Handlung, wozu dieser provoziren will, nicht vielleicht durch die Einwilligung des Anzugreifenden ihre Rechtswidrigkeit, und kommt es ihm darauf an, dass sie wirklich be-gangen werde, so fehlt kein Requisit verbotener Anstiftung. Er handelt dann entweder mit Tater- oder mit Urheber-Vorsatz. Sollte der Pro-vokant verbindlichem Befehle gehorchen — ganz einerlei, oh das Delikt beím Versuche bewenden oder zur Vollendung fortschreiten solí —, so geht die Verantwortlichkeit von ihm auf den über, der den Befehl erteilt. Verdienstlich bes die Schrift H e i l b o r n s , Der agent provocateur. Berlin 1901.

8. Da es für den Anstifter gar nicht darauf ankommt, dass er den Angestifteten zur Verwirklichung s e i n es (des Anstifters) Vorsatzes, sondern nur zur Begehung des vom Angestifteten verübten Verbrechens bestimmt, kann der zu diesem Verbrechen schon vorher Entschlossene nachher zu dieser Tat nicht mehr „ an-gestiftet" werden. Aber nichts steht im Wege, dass der so schon Entschlossene zum unmittelbaren Tater gegenüber dem ihn zur Mit-verwirklichung seines Entschlusses Bestimmenden ais mittelbarera Tater wird .

9. Lehrreich für die Begranzung der Anstiftung RG II v. 14. Mai 1901 (E XXXIV S. 327 ff.). — Über gemeinsame Anstiftung s. unten S. 173.

D. G e h ü l f e i s t d e r j e n i g e , w e l c h e r v o r s á t z l i c h , a b e r o h n e T a t e r - u n d U r h e b e r - V o r s a t z , e i n e m f r e m d e n , se i es v o r s a t z l i c h e n , se i es f a h r l a s s i g e n V e r b r e c h e n , zu d e s s e n B e g e h u n g er n i c h t a n g e s t i f t e t h a t , d u r c h R a t

^ Es sei hier bemerkt, dass das sog. Werkzeug des Táters schuldhaft handeln kann, ohne Tátev zu werden. Es kann ais Gehülfe zu strafen sein, falls es bkiss zu helfen glaubte, in Wahrhei t aber ohne dies voraussehen zu konnen die Ursache zum verbrecherischen Erfolg gesetzt hat.

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§ 70. 172

o d e r T a t B e i s t a n d l e í s t e t . Über die kaum verstandliche Leug-nung der Strafbarkeit eíner B e i h ü l f e zu f a l i r l a s s i g e n V e r -b r e c h e n de lege lata, zu der sich leider auch RG bekennt, s. O l s h a u s e n zu § 49 n, 18 und oben S. 152. 153.

Von den Gehülfen des GBs gilt Alies oben in § (38 Ausgeführte. Ist die Handlung, zu welcher der Beistand geleistet wird, nicht

strafbar, so kann die Beihülfe nur ais selbstandiges Delikt unter Strafe gestellt werden: s. GB § 120 Beihülfe zur Selbstbefreiung Ge-fangener; § 121, wo auch fahrlassige Beforderung der Befreiung Ge-fangener bestraft ist; ganz analog § 347, zum Teil § 355. Vgl. oben § Ú9 S. IGG. 167.

Zu I C u. D. Von den „personlichen" Scharfungs- und Mil-derungsgründen abgesehen (s. unten s. IV) w e r d e n A n s t i f t e r u n d G e h ü l f e n n a c h dem G e s e t z e d e s a n g e s t i f t e t e n r e s p . u n t e r s t ü t z t e n T a t e r s b e s t r a f t ; , d i e S t r a f e d e s G e h ü l f e n a b e r w i r d n a c h den ü b e r d i e B e s t r a f u n g d e s V e r s u c h s a u f g e s t e l l t e n G r u n d s a t z e n e r r a a s s i g t . GB § 48 Abs. 2; § 49 Abs. 2. Hat Beihülfe zu einem Versuche stattgefunden, so ist die nach GB § 43. 44 zu berechnende Versuchs strafe für den Gehülfen nochmals diesen Satzungen gemass zu reduziren.

1. A n s t i f t e r und G e h ü l f e gleichen sich also darin, a. d a s s b e i d e p r i n z i p i e l l n i c h t n a c h dem b e s t r a f t

Averden, w a s s i e , s o n d e r n n a c h d e m , w a s d e r T a t e r g e -t a n ha t . Ihre Teilnahme ist accessorisch. Stiftet A den B zur fahr-lassigen Totung an, so wird er nicht nach §§ 211 u. 212, sondern nach § 222 bestraft. Totet der Tater im Affekt, wárend Anstifter und Gehülfe mit Überlegung handeln, so bestimmt sich ihre Strafe nicht nach der des Mordes, sondern des Totschlags. Dass diese Bestimmungen hochst ungerecht sind, liegt auf der Hand.

b. Diese Ubertragung der Strafe der Tater-Handlung auf den Anstifter resp. auf den Gehülfen erfolgt aber nur unter der Voraus-setzung, dass der Anstifter zu jener w i s s e n t l i c h angestiftet, der Gehülfe dazu w i s s e n t l i c h Unterstützung geleistet hat. Wissen also beide nicht um Strafscharfungsgründe bei der Handlung des Taters, so ist ihre Strafe nur nach dem milderen Gesetze zu bestimmen.

2. A n s t i f t e r und G e h ü l f e unterscheiden sich darin, dass a. die Anstiftung zu alien strafbaren Handlungen straffallig

ist, warend b. die Beihülfe zu Ubertretungen straflos bleibt, dagegen die

Beihülfe zu alien Vergehen, auch zu denen, deren Versuch straflos ist, mit Strafe heimgesucht wird. S. GB § 49 Abs. 1 u. oben S. 132 ff. Übrigens kennen Sondergesetze auch strafbare Beihülfe zu Ubertretungen : s. z. B. Branntweinsteuerges., Fassung v. 17. Juni 1895 § 22; Zuckersteuerges. v. 27. Mai 189G § 47; Zigarettensteuergesetz V. 11. Juni 190G § 18.

11. D i e F o r m e n d e r T e i l n a h m e an d e m s e l b e n V e r -b r e c h e n s c h l i e s s e n e i n a n d e r aus . Zunachst kommen

1. A n s t i f t u n g u n d B e i h ü l f e n u r i n B e t r a c h t , s o f e r n T i i t e r s c h a f t d e s s e l b e n S c h u l d i g e n n i c h t v o r l i e g t . S i e

173 § 70.

s i n d d e r T a t e r s c h a f t s u b s i d i a r . Moglich ist, dass der Anstifter oder Gehülfe sich nachher in einen Tater verwandelt: dann wird er nur ais solcher verantwortlich! Nieraand kann Tater und Anstifter oder Gehülfe bei derselben Tat zugleich sein. Scheinbare Beihülfe geleistet von einem Mittater dem andern Mittater geht in der Taterschaft auf. RG II v. 9. Dez. 1902 (E XXXVI S. 25/6).

2. N i e m a n d k a n n a i s A n s t i f t e r u n d a i s G e h ü l f e zu d e m s e l b e n V e r b r e c h e n z u r R e c h e n s c h a f t g e z o g e n w e r den . Ais Gehülfe wird Jemand nur strafbar, wenn er weder Tater noch Anstifter ist. I n d i e s e m S i n n e s t e h t z u r A n s t i f t u n g d i e B e i h ü l f e im V e r h a l t n i s d e r S u b s i d i a r i t a t . Wiederum kann sich der antecipando Hülfe Leistende in einen Anstifter ver-wandeln.

III. D i e F o r m e n d e r T e i l n a h m e d e s S t r a f g e s e t z b u c h s s i n d n u r s o l c h e am T a t e r v e r b r e c h e n . Es g i e b t e b e n k e i n V e r b r e c h e n d e r A n s t i f t u n g o d e r d e r B e i h ü l f e . Gewiss giebt es

1. g e m e i n s c h a f t l i c h e A n s t i f t u n g , aber keine «Ans t i f t u n g in M i t t a t e r s c h a f t " , weil der Anstifter nie Tater ist. Richtig spricht RG I v. 7. Dez. 1885 (E XIII S. 121) nur von einem Analogon der Mittaterschaft;

2. g e m e i n s c h a f t l i c h e B e i h ü l f e , aber keine „ B e i h ü l f e in M i t t a t e r s c h a f t " , und zwar aus dem analogen Grunde;

3. U n t e r s t ü t z u n g d e s A n s t i f t e r s z u r A n s t i f t u n g . Sie kommt aber strafrechtlich nur ais Beihülfe zum Verbrechen des Angestifteten in Betracht;

4. U n t e r s t ü t z u n g d e s G e h ü l f e n z u r B e i h ü l f e . Sie ist lediglich indirekte Beihülfe zum Taterverbrechen;

5. v o r s a t z l i c h e B e s t i m m u n g e i n e s A n d e r n z u r A n s t i f t u n g . Sie ist nicht Anstiftung zur Anstiftung, sondern lediglich indirekte Anstiftung zum Taterverbrechen;

6. v o r s a t z l i c h e B e s t i m m u n g e i n e s A n d e r n z u r Be i hü l f e . Sie ist nicht Anstiftung zur Beihülfe, sondern indirekte Beihülfe zum Taterverbrechen. — Vgl. über diesen m. E. ganz zu Unrecht bestrittenen Punkt bes. O l s h a u s e n zu § 48 n. 23; zu § 49 n. 22. S. auch RG I V. 4. Okt. 1900 (E XXX l í l S. 401 ff.). Ganz verfehlt B e l i n g , Verbrechen S. 447 ff.

IV. Die B e r ü c k s i c h t i g u n g p e r s o n l i c h e r E i g e n s c h a f t e n d e r T e i l n e h m e r be i d e r B e s t r a f u n g . In dieser Beziehung bestimmt StrGB § 50:

„Wenn das Gesetz die Strafbarkeit einer Handlung nach den personlichen Eigenschaften oder Verhaltnissen desjenigen, welcher dieselbe begangen hat, erhoht oder vermindert, so sind diese besonderen Thaturastiinde dem Thater oder demjenigen Theilnehmer (Mitthater, Anstifter, Gehülfe) zuzurechnen, bei welchem sie vol-liegen."

1. Dieser Paragraf will festsetzen, wann im Falle der Teilnahme bestimmte Strafbarkeitsmerkmale nur bei einzelnen Teilnehmern filr d i e E r h ü h u n g o d e r V e r m i n d e r u n g i h r e r S t r a f e in Betracht kommen sollen. Der letzte Satz ist insofern inkorrekt. ais er die

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§ 70. 174

Z u r e c h n u n g und nicht vielmehr die Berücksichtigung dieser Straf-barkeitsmerkmale bei dei- Bestrafung vorschreibt. Die Erhohung der Strafe schliesst die S c h á r f t t n g , die Verminderung die M i l d e r u n g in sich. Der Paragraf spricht nur von den Fallen, wo das Gesetz in Rücksicht auf eine solche personliche Eigenschaft eine Straferhohung oder -Minderung a u s d r ü c k l i c h vorschreibt: um so mehpfindet seine Satzung auch da Anwendung, wo solche Erhohungs oder Minderungs-gründe lediglich für die Strafausraessung bei relativ bestimmten Strafen vorliegen.

2. Im 1. Satze lese man: nach den b e s o n d e r e n personlichen Eigenschaften. Wenn das Gesetz zufügt „oder Verháltnissen", so sagt es damit nichts Neues. Denn die Teilnahme an einem bestimmten Ver-híiltnisse zu einer andern Person bildet eine personliehe Eigenschaf t . Der Straferhohungs- und Strafminderungsgrund Hegt hier in dem, was den Delinquenten ais Person von andern Subjekten, die dasselbe Delikt zu begehen im Stande sind, unterscheidet: z. B. J u g e n d (§ 57), Ver-wand t schaf t m i t dem G e t o t e t e n , B e s t o h l e n e n , B e g ü n s t i g t e n (vgl. bes. die §§215. 217. 221, 2. 223, -2. 247, 2. 257, 2), die Qualitat des Delinquenten a i s U n t e r t a n e i n e s b e s t i m m t e n L a n d e s -h e r r n (vgl. bes. §§ 80. 94. 95. 97), a i s e i n e s B e a m t e n (vgl. §§ 340. 341. 343. 347. 350 u. s. w.), e i n e r M i l i t a r p e r s o n . Vgl. ferner die Strafmilderungsgründe der §§ 157. 158. — Auf alie Straf-barkeitsmerkmale, die nicht in besonderen personlichen Eigenschaften ihren Grund haben, findet § 50 keine Anwendung: i n s b e s o n ' d e r e n i c h t a u f d i e Ü b e r l e g u n g u n d n i c h t au f d i e R ü c k f a l l i g -k e i t ^ (A. M. RG II V. 20. Mai 1881, E IV S. 184 fF., wo sogar Gewerb- und Gewohnheitsmassigkeit zu den „pers6nlichen Eigenschaften" des § 50 gerechnet werden.) Vgl. auch RG I v. 9. Jan. 1893 (E XXIII S. 378 ff.). Rückfall, wie Gewerbs- und Gewohnheitsmassigkeit bilden das gerade Gegenteil von personlichen, nemlich H a n d -l u n g s - E i g e n s c h a f t e n . A. M. auch Oís ha u s e n zu § 50 n. 3 u. 4.

Ebensowenig bezieht sich der Paragraf auf diejenigen Falle, wo sich die Norm nur an beschrankte Personenklassen wendet, oder wo eine Alien verbotene Handlung nur bestraft wird, wenn sie von bestimmten Personenklassen begangen ist. Hier bleiben die Teilnehmer nicht etwa aus dem Grunde straflos, weil sie zu diesen Personenklassen nicht gehOren: so bei der Teilnahme an fremdera Ehebruch, Doppel-ehe, Blutschande, der Unzucht des § 174, der Paderastie des § 175, den delicta propria von Beamten, Militarpersonen, approbirten Medizinal-personen. Für die Bestrafung dieser Teilnehmer kommen die §§ 48 und 49 zur Anwendung.

3. Der Schlusssatz des Paragrafen zeigt evident, dass keines-wegs nur der Tater im Sinne des § 50 eine strafbare Handlung begeht. Nicht richtig F r a n k zu § 50 II. Nun entsteht die Schwierigkeit, dass

^ luteressaiit die Sonderbestimmung im Vereinszollgesetz vom 1. Jul i 1869 § 149, 2: „Die für den Rückfall bestimmte Strafe triíft nur diejenigen Theil-nehmer einer Koutrebande oder Defraudation, welche sich selbst eines Kückfalles schuldig gemacht haben."

175 § 70.

die gesetzlichen Strafdi'ohungen auf den T a t e r gemünzt sind, dass sie also nur die in dessen Person liegenden Straferhohungs- oder Straf-minderungs richtiger Scharfungs- und Milderungs-Gründe — ausdrücklich berücksichtigen; zugleich bestimmen die §§ 48 und 49, dass die Strafe des Anstifters wie die des Gehülfen nach dem Gesetze fest-zusetzen sei, nach welchem die Handlung des Táters zu beurteilen, sofern nicht die Anwendbarkeit dieses Gesetzes auf beide durch Un-kenntnis von Strafbarkeitsmerkmalen ausgeschlossen sei. Nun ist mOglich:

a. dass A und B ais Mittater einen Totschlag begehen. A ist ein Sohn des Getoteten, B ein Fremder; dann ist A nach § 215, B nach § 212 zu strafen; oder A ist die uneheliche Mutter des getoteten neugeborenen Kindes, B der Vater: dann ist A nach § 217, B nach § 211 oder § 212 zu strafen;

b. dass der Tater A an seinem eigenen Vater Z einen Totschlag begeht auf Anstiften des Dritten B. Weiss der Anstifter nicht, dass Z Vater des A ist, so kann seine Strafe nach § 215 schon wegen Mangel des notigen Wissens nicht bestimmt werden (GB § 48, 2). Kennt der Anstifter aber die Vaterqualitát des Erschlagenen, so greift nun § 50 Platz, und seine Strafe ist nicht nach § 215 (Strafe des Tot-schlags an Ascendenten), sondern nach § 212 (Strafe des gewohnlichen Totschlags) zu bestimmen. Wenn nun aber der Anstifter Sohn des Erschlagenen, der Tater ein Fremder ist? Ware der Anstifter nach Auffassung des Gesetzes mittelbarer Tater, so erschiene es trotz des Satzes, dass seine Strafe nach dem auf den Tater anwendbaren Gesetze bestimmt werden solle, ais durchaus zulassig, den Straf-scharfungsgrund des § 215 für den Tater analog auszudehnen auf den Anstifter, und diesen aus § 215, jenen aus § 212 zu strafen. So aber ist der Anstifter nicht Tater, sondern die strafbare Handlung, die er begeht, ist nur ein Accessorium der Handlung des Taters. Hielte man diesen Satz fest, so kame man zu dem Resultat: die für den Táter festgesetzten personlichen Straferhohungs- und Strafminderungsgründe sind analog auf die vom Tater wesentlich verschiedenen Anstifter und Gehülfen nicht auszudehnen; der § 50 fánde also auf die Anstiftung des Sohnes, den Vater totzuschlagen nur dann Anwendung, wenn das Gesetz die Strafbarkeit der A n s t i f t u n g (nicht der Taterschaft) um der Sohneseigenschaft des Anstifters willen irgendwo erhoht hatte. Dies hat das Gesetz nicht getan, und deshalb ware der Sohn, der einen Dritten zum Totschlag am Vater anstiftet, nur mit der Strafe des gewohnlichen Totschlags, und ebenso eine uneheliche Mutter, die ihre Freundin anstiftet das neugeborene Kind zu toten, nicht mit der Strafe des Kindesmordes, sondern des gewohnlichen Mordes zu belegen.

Dieses Ergebnis stande mit dem oben festgestellten Satze, dass der-jenige, der wissentlich einen Sohn zum Totschlag des Vaters anstiftet, nicht mit der Strafe des Totschlags an Ascendenten, sondern des gewohnlichen Totschlags zu belegen sei, ebenso wie mit den Anforderungen materieller Gerechtigkeit im schreiendsten Widerspruche. So bleibt nur übrig, aus dem § 50 den ungesetzten Rechtssatz zu abstrahiren: wo d a s G e s e t z d i e S t r a f b a r k e i t e i n e r H a n d l u n g n a c h

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71. 176

b e s o n d e r e n p e r s o n l i c h e n E i g e n s c h a f t e n d e s T a t e r s e r -h o h t o d e r v e r m i n d e r t , so l í e i n e e n t s p r e c h e n d e S t r a f -e r h S h u n g o d e r S t r a f m i n d e r u n g be i dem A n s t i f t e r u n d b e i dem G e h ü l f e n e i n t r e t e n , w e n n in d e r en P e r son d i e g l e i c h e n E i g e n s c h a f ten v o r l i e g e n , u n d z w a r a u c h d a n n , w e n n d i e s e E i g e n s c h a f t e n b e i m T á t e r f e h l e n . Für Anstifter und Gehülfen bedeutet also § 50 e in G e b o t a n a l o g e r An-w e n d u n g d e r u r s p r ü n g l i c h n u r fü r d e n T a t e r b e s t i m n i t e n S a t z u n g e n . So ist also im Falle, der ais Beispiel diente, der zum Totschlag anstiftende Sohn aus § 215 und nicht aus § 212, die zur Totung des neugeborenen Kindes anstiftende Mutter aus § 217 und nicht aus § 221 zu bestrafen. P s ergeben sich daraus eine Keihe ven Ausnahmen von den Sátzen der §§ 48, 2 und 49, 2.

c. Der Gehülfe A hilft zum Totschlag an seinem Vater, den er ais solchen kennt: dann ist seine Strafe nach § 215 und nicht nach § 212 zu bestimmen; der Gehülfe A hilft dem Sohne B, dessen Vater zu erschlagen: dann ist seine Strafe nach § 212 und nicht nach § 215 zu bestimmen. Die Beihülfe einer fremden Person zum Kindesmord ist also entweder aus §§ 211 oder 212, die Beihülfe der unehelichen Mutter zur Totung ihres eigenen neugeborenen Kindes aus § 217 zu strafen.

4. Nach dem Bisherigen lassen sich folgende Rechtsregeln formuliren:

a. D i e S t r a f e d e r ü b r i g e n M i t t á t e r , s o w i e d i e d e s a n g e s t i f t e t e n u n d des u n t e r s t ü t z t e n T a t e r s b l e i b t d u r c h s o l c h e in der P e r s o n eines M i t t a t e r s , d e s A n s t i f t e r s oder des G e h ü l f e n v o r h a n d e n e n S t r a f s c h a r f u n g s - o d e r S t r a f -m i l d e r u n g s g r ü n d e u n b e r ü h r t .

b. Bezüglich d e r B e s t r a f u n g d e s A n s t i f t e r s u n d des G e h ü l f e n ist zu unterscheiden. Liegen die „personlichen" Scharfungs-oder Milderungsgründe vor:

a. bei A n s t i f t e r oder G e h ü l f e n , so ist i h r e S t r a f e n a c h d e m j e n i g e n G e s e t z e zu b e s t i m m e n , w o n a c h d e r T a t e r zu b e u r t e i l e n w a r e , w e n n s i e be i ihra v o r l a g e n ;

/í. b e i m T á t e r , so b l e i b e n s ie a u f d i e S t r a f e d e s A n s t i f t e r s u n d d e s G e h ü l f e n s e l b s t d a n n e i n f l u s s l o s , w e n n d i e s e d a r u m g e w u s s t h a b e n .

§ 71. T. Die Satznngeu über die selbstandíge Strafbarkeit sog. ver-sucliter und Toileiideter Anstiftnugr, über gemeinsame Begehnng-als Scharfnngsgruiid, über Komplott und Bande. S. die Liter. vor § 70.

Nach GB § 47—50 zu urteilen (von § 49 a einstweilen abgesehen), legt das heutige gemeine Recht auf die früher so hoch gehaltenen BegriíFe der B a n d e und des K o m p l o t t s kein Gewicht mehr; die „ v e r s u c h t e " oder „ g e l u n g e n e An s t i f t u n g " ais solche erscheint, sofern das Delikt, zu welchem angestiftet werden soUte, nicht zur Ausführung gekommen ist, ais straflos, und die g e m e i n s a m e B e -g e h u n g e i n e s V e r b r e c h e n s ist nur eine eigentümliche, aber ais

177 § 71.

solche wirkungslose Komplikation des verbrecherischen Subjekts. Dem ist indessen nicht so.

1. Die S t i f t u n g d e r B a n d e steht selbstándig unter Strafe im Sprengstoffgebetz vom 9. Juni 1884 § 6.

2. Die Z u g e h o r i g k e i t d e r m e h r e r e n D i e b e o d e r K a u b e r zu e i n e r D i e b s - o d e r R a u b e r b a n d e w i r k t a i s S c h i l r f u n g s g r u nd von D i e b s t a h l u n d R a u b in d e n §§ 243 Nr, t) u. 250 Nr. 2. Ganz analog Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 § 146 al. 3.' Vgl. Ges. betr. d. Sich. d. ZoUvereinsgrenze vom 1. Juli 1869 An. 4. - Vgl. auch MGB § 135, 2.

3. D i e S t i f t u n g d e s hoch v e r r a t e r i s c h e n K o m p l o t t s wird in dem § 83 ais selbstandiges Verbrechen behandelt, ebenso das Komplott des Kriegsverrats im MGB § 59, ebenso das der Gefahrdung durch SprengstütFe (Ges. v. 9. 'Juni 1884 § 6) und das der straf-barcn Hauxllungen der §§ 1 und 3 des Verratsgesetzes vom 3. Juli 1893 § 5.

4. D a s K o m p l o t t w i r k t a i s o b l i g a t o r i s c h e r ode r a i s f a k u l t a t i v e r S t r a f s c h á r f u n g s g r u n d : MGB § 72; die citirten Zollgesetze v. 1. Juli 1869 Art. 146 al. 1 und Artikel 4 (3 oder mehrere Personen: unter Hervorhebung des Anführers); SeemO v. 2. Juni 1902 §§ 101. 105 (bedeutendere Scharfung für den Radelsführer).

5. V e r s u c h t e u n d g e l u n g e n e A n s t i f t u n g a i s s e l b -s t a n d i g e V e r b r e c h e n . Vgl. dazu Lehrbuch 11 S. 838 und die Druckbogen zum besonderen Teil § 132 íF.

a. Die Aufforderung zum Hochverrat, zum Ungehorsara gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder obrigkeitliche Anord-nungen, die erfolglose Aufforderung zur Begehung einer nach GB § 82 strafbaren Handlung — sofern diese Aufforderungen vor einer Menschenmenge oder durch Verbreitung von Schriften u, s. w. ge-schehen sind — bedrohen die §§ 85, 110. 111, 2. Vgl. auch § 141, Abs. 1 und 2.

b. Erfolglose und erfolgreiche Aufforderung oder Anreizung eines deutschen Soldaten zum Ungehorsam gegen die Befehle der Oberen u. s. w. bedroht § 112. Vgl. MGB § 99, 2.

c. Die unternommene Verleitung zum Meineid oder zur falschen Versicherung an Eidesstatt bedroht § 159 (nicht hierher gohort § 160, denn der Verleiter in diesem Paragrafen ist in Wahrheit „Urheber", das Gesetz betrachtet ihn aber ais Tater; ebenso der Verleiter in § 78 des MGB: hier aber wird auch die versuchte Verleitung bestraft).— Vgl. auch Ges. geg. unlaut. Wettbewerb v. 29. Mai 1896 § 10.

d. Die unternommene Verleitung eines Amtsuntergebenen zu einer strafbaren Handlung im Amte durch den Amtsvorgesetzten bedroht § 357, 1. Vgl. § 357, 2.

e. Zu diesen Gesetzen ist durch die Revisión vom 26. Februar 1876 ergánzend der § 49a (§ Duchesne) getreten. Dazu S t e m a n n , GS 1876 S. 267ff.-, W i t t e , Erorterungen über den § 49 a des StrGBs f. d. Deutsche Reich. Diss. Breslau 1888; R e i f f e l , GS XLII 1889 S. 175íF.; H a e g e r , Die Stellung des § 49a im System des RStGB. Diss. Berlin 1903; O r t l o f f , GS LXVII 1906 S. 225 ff. Das „Ver-

B i i i d i n g , Strafreoht. Grundriss. 7. Aufl. 12

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§ 72. 178 1 179 72.

brechen'^ zu dem aufgefordert werden mufs, ist ais „Verbrechen" des Aufgeforderten, nicht ais solches für den Auffordernden gedacht. RG Feriensenat v. 29. August 1899 (E X X X I I S. 267 ff.). S. mein Lehr-bueh II S. 760íf. und die Druckbogen des besonderen- Teils § 133.

6. D i e g e m e i n s a m e B e g e h u n g e i n e r v e r b o t e n e n H a n d l u n g b í l d e t e i n B e g r i f f s m e r k m a l d e s V e r b r e c h e n s

a. nach §§ 115 und 116, 2 beim Aufruhr (unter Hervorhebung des RadelsfUhrers);

b . nach § 122 bei der Meuterei (unter Hervorhebung des Radelsführers);

c. nach § 124 bei der Heimsuchung; d. nach § 125 bei dem Landfriedensbruch (unter Hervor

hebung des Radelsführers). Vgl. auch Ges. wider den Sklavenraub v. 28. Jul i 1895 § 1 (unter

Hervorhebung des nVeranstalters" und des „Anführers"). 7. D i e g e m e i n s a m e B e g e h u n g eines Delikts wirkt ais

S t r a f s c h a r f u n g s g r u n d in den §§ 119 (gemeinschaftlicher Wider-stand gegen Forst- und Jagdbeamte u. s. w.); 123 (Hausfriedensbruch); 223 a (Korperver le tzung); 293 (unberechtigtes Jagen) .

Z u b e a c h t e n i s t , d a s s d i e F a l l e u n t e r 1, 3 u n d 5, v o n M G B § 72 a b g e s e h e n , m i t d e r M a t e r i e d e r T e i l n a h m e n i c h t s m e h r z u t u n h a b e n : s i e b i l d e n e i g e n e V e r b r e c h e n , b e z ü g l i c h d e r e n d i e G r u n d s á t z e ü b e r d i e T e i l n a h m e g e r a d e so w i e b e z ü g l i c h a l l e r a n d e r e n V e r b r e c h e n A n -w e n d u n g f i n d en .

8 72. Anhang I. Das Verbrechen der Beglinstiprung. StrGB §§ 267.258.260—262. Beachte §§ 336. 346. 347. S. auch Pressgesetz v. 7. Mai 1874 § 16. § 18 n. 1. — H2 II 251. 256. Sch 48. M 125. MI 57. Li 49. 183. WV .35. H II 104. 105. Bdg L II 242-245. — Geyer bei HH II S. 417—427; IV S. 170 íF.: Merkel das. III S. 735 ff. IV S. 419 ff. — Vgl. die Literatur vor § 62. Femer: U l e n s , De criminum fautoribus. Lovanii 1828. — S an de r , ANF 1838 S. 431 ff.; 1839 S. 248 ff. 396 ff. — P l a t n e r , Über das crimen receptatorum: das. 1843 S. 170ff.— K o s t l i n , Syst. I S. 261 ff. — v. B u r i , Theilnahme S. 85ff.; GS 1876 S. 141 ff.; 1877 S. 206/7; Kausalitát S. 71 ff. — G-ey e r, Er-orterungen S. 189 ff. — S c h ü t z e , Nothwendige Theilnahme S. 386 ff. bes. 389ff.; StxRZ 1869 S. 538ff — B i n d i n g , Kr S. 105—113; N II § 71. — H á l s c h n e r , Beitr. zur Beurt. d. E". e. StrGBs f. d. Nordd. Bund. Bonn 1870. S. 67—69. — S c h w a r z c , GS 1872 S. 368 ff. — Me v e s * , StrRZ 1873 S. 479—526, - Vi l i no w, Raub u. Erpressung, Begünstigung u. Hehlerei. Breslau 1875 S. 55 ff. — L e h m a n n , Bezahlung der Geldstrafe für den Verurteilten ais Begünstigung: GA XIX S. 784ff. — G r e t e n e r * , ¿Begünstigung und Hehlerei. München 1879. — H e r z o g , GS 1877 S. 161 ff.; ders . GA XXIX 1881 S. 112ff. — W a l d t h a u s e n , das. S. 375 ff. — G e y e r , Z f. StrRW II S. 315ff. — Ders., Grundriss I 42. II 154.— Stenglein, . .das . IV S. 487 ff. — K o h l e r , Studien I S. 154 ff. — N i e l a n d , Über Zusammentreff. v. Begünst. u. Theilnahme. Diss. Gott. 1892. — v . d . D e c k e n , Z f. StrEW XII 1892 S. 97 ff. (Bezahl. fremder Geldstr.). — Raff , Ist Zahl. e. Geldstrafe für e. Anderen Begünstigung? Diss. München 1892. — M e i n e r s , Ist die Zahl. e. Geldstr ais Begünst. strafbar? (Diss.). Erl. 1895 (wertlos). — Wertlos auch R e t h w i s c h , Begünstigung. Berlin 1881 ? —

L a m m a s c h und v. L i l i e n t h a l , DJZ II 1897 S. 432 ff. 489 ff. VI 1901 S. 101. — S ü s s h e i m , Die Begünstigung. Diss. München 1898. — K o h l e r , GS LXI 1902 S. 44ff. — H e i m b e r g e r , Teilnahme S. 250ff — B e l i n g , Verbrechen S. 472ff. 533ff. — S i e g e s , Die Zalil. d. Geldstrafe durch Dritte. Krefeld 1903. — S c h l o s s m a n n , Begünst. in Bezug auf Geldstrafen; Z f. StrRW XXIII 1903 S. 600 ff. — Über den dolus des Begünstigers s. G e y e r , GS 1875 S. 308ff; B i n d i n g , N II § 71; iiber Begünstigung durch falsche Be-scheinigungen im Gnadenwege s. GA XVII 1870 S. 394 ft. und Geye r , GS 1875 S. 308 ff. (auch Kl. Schriften S. 360 ff.). S. auch J u s t , Z f. StrRW XV S. 855ff. - Über die Begünst. v. Sonder-verbrechen Nag le r , Teiln. S. 116 N. 4. — Sehr interessant üb. d. Begünstigung militárischer Straftaten RG II v. 1. April 1887 (E XV 396 ff.). — Interessant auch RG IV v. 13. Dez. 1895 (E XXVIII S. 111 ff.) u. I V. 13. Febr. 1896 (das. S. 125 ff.).

I. Begriíf. Nach früherem wie nach heutigem gemeinen Rechte ist Begünstigung d i e v o r s a t z l i c h e U n t e r s t ü t z u n g d e s V e r -b r e c h e r s , u m i h n n a c h d e r T a t d e r B e s t r a f u n g z u e n t -z i e h e n o d e r i h m d i e V o r t e i l e d e r T a t z u s i c h e r n .

Vor der Tat zugesagt, solí diese Unterstützung nicht mehr Begünst igung, sondern Beihülfe sein. GB § 257, 3.

Der GB § 257 lasst die Begünstigung von Ubertretungen straflos, was nicht ausschliesst, dass sie in Sondergesetzen unter Strafe gezogen-wird (s. z. B. Zigarettensteuergesetz v. 11. Jun i 1906 § 18), qualificirt aber die gewinnsUchtige Begünstigung.

Die Strafe der Begünstigung darf jedoch nach Art und Maass keine schwerere sein, ais die für die Handlung des Begünstigten angedrohte. Die gewinnsUchtige Begünstigung von Unterschlagung, Diebstahl, Raub und dem Raub gleich zu strafenden Verbrechen nennt GB § 258 H e h l e r e i .

Der BegriíF der Begünstigung verlangt : 1. r e c h t s w i d r i g e n V o r s a t z , d e m V e r b r e c h e r f ü r d i e Z e i t

n a c h d e r T a t V o r s c h u b z u l e i s t e n . Kulpose Begünstigung ist nicht s trafbar, wol aber die Begünstigung kulposer Verbrecher. Vgl . s. 6. Dass der Begünstigte von der Begünstigung weiss oder gar mit ihr einverstanden ist oder sie verlangt ha t , wird nicht erfordert.

2. D i e W i r k u n g d e r B e g ü n s t i g u n g s o l í e i n t r e t e n e r s t , n a c h d e m d a s V e r b r e c h e n d e s B e g ü n s t i g t e n a i s v o U e n d e t e s o d e r v e r s u c h t e s a b g e s c h l o s s e n ist. Im Ubrigen ist der Zeitpunkt der Begehungshandlung gleichgültig. Regelmassig zeitlich n a c h jenem Verbrechen verübt, kann sie auch vor diesem vor-genomraen sein. In keinem Palle darf der Beistand auf Herbeiführung der Vollendung oder auf Fortsetzung des voUendeten Verbrechens ge-richtet sein, widrigenfalls Beihülfe vorliegt. Denn auch nach Vollendung ist noch Beihülfe .moglich.

Schon daraus, dass die Begünstigung selbst oder mindestens ihre W i r k u n g der Tat des Begünstigten erst nachfolgt, erhellt, dass sie ais Tei lnahme an ihrer Begehung nicht gefasst werden darf. S u b s e q u e n t e T e i l n a h m e i s t u n d e n k b a r (s. s. I I) .

Noch viel schlimmer ais diese lang festgehaltene, auf die Italiener zurückgehende Theorie der nachfolgenden Beihülfe ist die neuerdings

12*

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i? 72. 180 181 § 73.

von B e l i n g , Verbrechen S. 572 ff aufgestellte einer ,. N a c h t a t e r -s c h a f t " , zu der zwar nicht die Begünstigung ais Strafvereitelung, wol aber dio ais Sicherung der Vermogeiisvorteile gehoren solí. Bei dieser Lehre wird mit dem Taterbegriff s tarker Missbrauch getrieben.

3. D e r g e l e i s t e t e B e i s t a n d d a r f s e i n e r B e g r i f f s -b e s t i m m u n g g e m a s s n i c h t v o r B e g e h u n g d e r T a t v e r -s p r o c h e n s e i n . Denn solches Versprechen erleichtere die T a t , sei also Beihülfe. Dabei wird ein doppeltes übersehen:

a. j ene Zusage vor der Ta t braucht deren Begehung gar nicht erleichtert zu haben;

b . tut sie diess aber , so konkurr i ren grundsatzlich Beihülfe und Begünstigung.

Das ganze Erfordernis s. 3 stammt aus einer Zeit, welche die Begünst igung noch ais Ar t der Teilnahme fasste und deren verschiedene Formen nicht ais mit einander konkurrenzfahig ansah.

4. D i e B e g ü n s t i g u n g f o r d e r t w i e d i e B e i h ü l f e u n -b e d i n g t d i e F o r m d e r B e g e h u n g . Sog. n e g a t i v o B e g ü n s t i g u n g (etwa durch unterlassene Anzcige des begangenen Ver-brechens seitens des Polizeibeamten) ist nur in demselben Sinne moglich wie negative Beihülfe (s. § 68 I 5).

5. Z w e c k d e r B e g ü n s t i g u n g ist a. e n t w e d e r d e n V e r b r e c h e r d e r S t r a f e z u e n t -

z i e h e n , seis durch Verbergung oder Fortschaffung seiner Person, seis durch Verwischung oder Verheimlichung der Indizien oder durch Verkauf oder Verbergung der gestohlenen Sachen. E c h t e B e g ü n s t i g u n g (s. s. I I ) , b e s s e r S t r a f v e r e i t e l u n g z u n e n n e n ;

b. o d e r i h m d i e V o r t e i l e s e i n e r T a t , d a s s i n d l e d i g l i c h d i e V e r m o g e n s v o r t e i l e d e r s e l b e n , z u s i c h e r n . U n e c h t e B e g ü n s t i g u n g (s. s. I I ) . Wer (jedoch nicht in der Absicht sub a) gestohlene Speisen mitverzehrt oder gestohlene Sachen lediglich zum Geschenk annimmt, ist nicht Begünstiger, war aber nach manchen früheren Strafgesetzbtichern sog. P a r t i r e r . Vgl. S a c h s . S t rGB A. 392. Ob er íieute Hehler is t , darüber ist die Lehre von der Hehlerei zu vergleichen.

6. D e r r e c h t s w i d r i g e V o r s a t z d e r B e g ü n s t i g u n g ist das Wollen jener rechtswidrigen Unterstützung ais solcher ver-bunden mit dem Bewusstsein

a. im Falle unter 5 a, dass ein Schuldiger dadurch der ver-dienten Strafe entzogen werden solí. W e r den Unschuldigen etwa aus der Untersuchungshaft befreit, begünstigt nicht ;

b . im Falle unter 5^, dass der Begünstigte durch eine wider-rechtliche (nicht notwendig durch eine in concreto strafbare) Hand-lung die widerrechtlichen Vorteile erlangt habe.

7. Der Teilnehmer an einem Verbrechen kann seinen Genossen strafbar begünstigen, wenn er ihn unterstützt, nicht um selbst straflos zu bleiben. D e n n S e l b s t b e g ü n s t i g u n g i s t i n a l i e n F o r m e n s t r a f l o s .

I I . Jnristische Natur der Begünstigung. Das frühere gemeine Recht (a. CCC A. 40 und 177 vgl. mit Bamb. A. 203) und ebenso manche

frühere deutschen Strafgesetzbücher fassten sie falsch ais accessorisehe Teilnahme. Sie bildet aber in ihrem llauptfall ein selbstandiges Staatsverbrechen, nemlich eine a b s i c h t l i c h e H e m m u n g d e r S t r a f r e c h t s p f l e g e (s. den speziellen Teil § 113). Prinzipiell gar nicht zu ihr , sondern zu dem Vermogensverbrechen der H e h l e r e i gehort deshalb die Begünstigung, um Jemandem die Vorteile seiner Tat zu sichern. Denn diese kann noch begangen werden, nachdem der Verbrecher seine Strafe langst verbüsst hat. S o i s t d i e h e u t i g e B e g ü n s t i g u n g d u r c h a u s z w i e s p á l t i g .

I I I . Die Strafbarkeit e c h t e r Begünstigung (s. oben I o-^). 1. s t e i g t n a t u r g e m a s s m i t d e r S t r a f b a r k e i t d e s b e

g ü n s t i g t e n V e r b r e c h e n s , gerát also von Letzterer ahnlich wie die der Beihilfe in Abhangigkei t ;

3. e r l i s c h t n a t u r g e m a s s , w e n n J e m a n d s e i n e v e r -b r e c h e r i s c h e n A n g e h o r i g e n d e r S t r a f e z u e n t z i e h e n s u c h t . GB § 257.

IV. Über die begünstigenden Prozessverbrechen des GBs § 34(3 s. mein Lehrbuch I I S. 574 ff. und die Druckbogen zum speziellen Teil § 113.

§ 73. Aiihang I I . Das Verbrechen der nnterlassenen Anzeige. StrGB S 139. Sprengstoffgesetz v. 9. Juni 1884 § 13. Ges. geg. den VVY-rat militar. Geheimnisse v. 3. Juli 1893 § 9. MGB S 60 (Strafe des Mlttáters). 77. 104. — Sch 34. 67. M 126. MI 158. Li 184. WV 86. G 113. H II 108. II^ 250. G e y e r bei HH II S. 393 4. 427/8. IV S. 177. 178; J o h n das. III S. 197 ff.; Bdg, L 11 S. 670 tí. — H e p p , ANP 1849 S. 109ff.; 287 ff. — v a n S w i n d e r e n , De reticentiac delicto. Groningae 1884. — S c h ü t z e , Nothwendige TheUnahrae S. 393—395. — H a h n , Von der Pñicht zur De-nuuciation von Verbrechen. Bern 1839. — Wolff , GA XXVII 1879 S 299 ff — H e s s , Dio Anzeigepflicht im Strafrecht. Breslau 1893. — Do es de W i l l e b o i s , Delicta Reticentiac. Diss. 1884. — M e r k e l , HRLex s. v. Anzeige I S. 128...— H e i m b e r g e r , Teilnahme am Verbrechen S. 91 ff.; 208 ff. — Uber den Vorsatz s. Normen II S. 592'3. — S. auch P l a g g e , Unterlassene Verhinderung V. Verbrechcm. strafrechtlich u. civilrechtlich betrachtet. Diss. Gott. 1896. — Über unterlassene Selbstanzeige RG III v. 6. Juni 1898 (E XXXI S. 196 ff).

I, Eine allgeraeine Anzeigepflicht gegenüber verbrecherischen Plañen oder gegenüber begangenen Verbrechen aller Ar t ist sowol dem früheren gemeinen Recht ais den neueren Strafgesetzbüchern unbekannt . Vgl. 1 48 § 1 D de furtis 47, 2 ; 1 un. C ut nemo in-vitus 3, 7. Mit Recht scheut das Gesetz sie zu begründen, weil sich das Voík dagegen straubt. Deshalb finden wir sie nur vereinzelt an-erkannt .

1. Das r o m i s c h e R e c h t kennt vielmehr nur in einzelnen wenigen Fallen eine Pflicht zur Anzeige von verbrecherischen Plañen, und zwar gegenüber dem künftigen p a r r i c i d i u m für die Yerwandten des zu Totenden und der künftigen M ü n z f a l s c h u n g , aber nicht einmal gegenüber dem k ü n f t i g e n M a j e s t a t s - V e r b r e c h e n : 1 2 D ad leg. Pomp. 48, 9 ; 1 9 § 1 D de lege Corn. de falsis 48, 10; vgl. 1 5 § G C ad leg. Jul . maj. 9, 8. Vgl. (etwas abweichend) M o m m s e n ,

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§ 73. 182

Rom. Strafr. S. 91 . — F ü r die g e s c h e h e n e M ü n z f a l s c h u n g ha t der Eigentümer des Grundstücks, wo sie verübt wurde, nach 1 § 4 C de falsa moneta 9, 24 eine Anzeigepflicht.

2. Interessant über die Anzeigepflicht des vassus § 2 feud. II , 24. 3. Die a l t e r e n R e i c h s g e s e t z e kennen eine Anzeigepflicht

nu r gegenüber der geschehenen G o t t e s l a s t e r u n g und der ge-schehenen M ü n z f a l s c h u n g : s. RPO v. 1548 T I §§ 2. 4. 5 ; R P O V. 1577 T I §§ 2. 4. 5 ; Münzordnung v. 1559 §§ 161. 163.

I I . Nach heutigem gemeinem Rechte begründet die unterlassene Anzeige künftiger Verbrechen, soweit sie nicht sog. n e g a t i v e B e i -h ü l f e ist (s. oben § 68), und die unterlassene Anzeige begangener Verbrechen, soweit sie nicht n e g a t i v e B e g ü n s t i g u n g (s. § 72) oder selbstandiges A n i t s v e r b r e c h e n ist, weder Teilnahme am be-gangenen Verbrechen, noch Begünstigung, noch auch r e g e l m a s s i g ein selbstandiges Un te rlassungs ver brechen. — Die Auffassung B e l i n g s , Verbrechen S. 203 Note: die Nichtanzeige des GB § 139 sei „ofí^enbar eine selbstandig vertypte Beihülfe dureh Unterlassung" ist entschieden zurückzuweisen.

A. D o c h e r g i e b t s i c h d a s B e s t e h e n e i n e s s o l c h e n G e b o t e s d e r A n z e i g e b e s t i r a m t e r k ü n f t i g e r V e r b r e c h e n a u s GB § 139 i n V e r b i n d u n g m i t d e m S p r e n g s t o f f g e s e t z v. 9. J u n i 1884 § 13, und seine Missachtung steht unter Strafe. (Das M G B §§ 60. 77. 104 bleibt hier ausser Betracht.)

1. Und zwar ist diese Norm eine allgemeine, auch diejenigen verpflichtende, welche in dem auf Grund des nichtangezeigten Ver-brechens angestrengten Strafverfahren zeugnisspflichtig nicht waren und welche in Folge ihrer Eigenschaft ais Angehorige des Schuldigen wegen Begünstigung nach GB § 257, 2 nicht gestraft werden konnten.

2. Inhalt der Pflicht is t : J e d e r , d e r g l a u b h a f t e (natürlich i h m glaubhafte) K e n n t n i s s e r h a l t v o n d e m V o r h a b e n e i n e s H o c h - o d e r L a n d e s - V e r r a t e s , M ü n z „ v e r b r e c h e n s" , M o r d e s , R a u b e s , M e n s c h e n r a u b e s , e i n e s g e m e i n g e f a h r -l i c h e n V e r b r e c h e n s o d e r e i n e s d e r V e r b r e c h e n i n d e n §§ 5 , 6 u. 7 d e s S p r e n g s t o f f g e s e t z e s z u e i n e r Z e i t , i n w e l c h e r d i e V e r h ü t u n g n o c h m o g l i c h i s t , s o l í s e i s d e r B e h o r d e o d e r d e r d u r e h d a s V e r b r e c h e n b e d r o h t e n P e r s o n (f a l i s e s e i n e s o l c h e g i e b t ) , r e c h t z e i t i g , d. h. s o , d a s s d i e V e r h ü t u n g n o c h s t a t t f i n d e n k a n n , A n z e i g e m a c h e n . Die Form der Anzeige ist gleichgültig.

Eine recht üble Folge dieser Pflichtenformulirung zeigt sich darin, dass der Totungsplan eines Wahnsinnigen nicht angezeigt werden muss, und dass ein Wahndel ikt vorliegt, wenn der Unterlassende die Anzeige unterliess, obgleich er den Wahnsinnigen für geistig gesund erachtete.

3. Das reine Unterlassungsdelikt der unterlassenen Anzeige begeht nun derjenige, d e r v o r s a t z l i c h r e c h t s w i d r i g d i e s e A n z e i g e p f l i c h t v e r a b s a u m t , also obgleich er an den Erns t jenes „Vorhabens" glaubt , die Anzeige ganz unterlásst oder willentlich nicht rechtzeitig erstattet oder an die falsche Adresse richtet. Letzteres

183 §§ 74. 75.

lage auch dann vor, wenn er etwa der Behorde die Anzeige zugehen liesse, wissend, dass sie nicht mehr hindernd einschreiten konnte, wahrend er weiss, dass die Anzeige an den Bedrohten diesen noch zu retten vermochte.

4. Die Strafe, Gef. v. 1 Tg.—5 J., trifft das Delikt nur dann , „wenn das Verbrechen oder ein strafbarer Versuch desselben begangen worden ist". Das Gesetz prásumirt, dass zufolge der unterlassenen Anzeige die Hinderung unterbleiben musste.

5. Diess Vergehen hat das Anzeigerecht des Staates zum AngrifFsobjekt, ist also ein Staatsvergehen.

B. E i n e P f l i c h t z u r A n z e i g e b e g a n g e n e r V e r -b r e c h e n b e s t e h t h e u t e a i s s o l c h e g a r n i c h t . Die unterlassene Anzeige dieser Art kommt nur ais negative Begünstigung, somit ais Begehungsdelikt, zur Bestrafung.

I I I . Mit jenem Vergehen der unterlassenen Anzeige künftiger Verbrechen h a t natürlich das Vergehen der unterlassenen Anzeige irgend welcher zu publizirenden Tatsachen, das in nicht wenigen Sonderstrafgsetzen des Reiches begegnet, gar nichts zu tun. S. z. B. Ges. über die Beurkundung des Personenstandes v. 6. Febr . 1875 § 68. Interessant ist aber, dass die Straf barkei t dieser unterlassenen Anzeige vielfach wegfállt, wenn die Anzeige von andrer Seite rechtzeitig gemacht wird.

Zweite Abteilung. Grúnde der Nichtentstehung des Strafrechts. Vgl. z. Folg. Li 32. — Z i m m e r m a n n , Über straflose Totungen; GS 1883

S. 266 ff. — T o r p , Straffrihetsgrunde og Strafophorsi2;runde. Kopenliageii 1895. — Z i t e l m a n n , Ausschluss der Widerrechtlichkeit, Civ. Arch. LXIX 1906 S. 1 ff.

§ 74. I . Fehlende Handlang: s. oben §§ 37—42. I I . Rechtliche Irrelevanz der Handlnng.

§ 75. A. Die Selbstverletzungr. H^ 187. Bdg, H 146. B 53. Sch 35. M 38. Li 35. WV 68. a 88. H 63. K 36. Fi 89. Schaper bei HH II S, 115 ff. (Über die Selbstverstümmel. ais Vergehen vgl. den besonderen Teil.)

W á c h t e r * , Revisión der Lehre vom Selbstmorde: NA X 1829 S. 72—111. 216-266. 634—680. - A b e g g , Untersuch. S, 65ff. — W e s s e l y in Háimerls VJSchr. I S. 237ff. — G a r r i s o n , La suicide en droit romain et en droit francais. Toulouse 1883. — G e i g e r , Der Selbstmord im deutscben Eecht, in V e r i n g s Arch. f. kathol. Kirchenrecht LV S. 3—36; De r s . , Der Selbstmord im Kirchenrecht, das. LXI S. 225ff. — M e r k e l u. W a h l b e r g , HRLex s. V. Selbstmord und Selbstverstümmelung. — W e l l a u e r , Der Selbstmord, insbes. Anstiftung u. Beihülfe z. S. Diss. St. Gallen 1896. — D u r k h e i m , Le Suicide, Paris 1897. — K l e e , Selbst-verletz. u. Verletz. Einwilligender; GA XLVIII 1901 S. 177 ff. 337 ff.; XLIX 1903 S. 246 ff.; L 1903 S. 364 ff. — Über Beihülfe vmd Anstiftung zum Selbstmorde: L i o n , bei GA VI 1858 S. 458 ff.; M i t t e r m a i é r , das. IV 1861 S. 433ff.; B e r n e r , Preuss. Strafrecht §§ 31 und 57; S c h ü t z e , Nothwend. Theilnahme S. 288ff.; G u d e r i a n , Die Beihülfe zum Selbstmord u. die Tot. des Ein-willigenden. Diss. Berlin 1899. — Interessant J o s t , Das Recht auf den Tod. Goett. 1895. — Vgl. auch die Literatur zu § 78.

Über die Stellung des rOmischen Rechts zum Selbstmorde s. bes 1 9 § 7 D de peculio 15, 1 : . . . licet enim etiam servis naturali ter

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™ §§ 76. 77. 184

in suum Corpus saevire; und über den Selbstmord ais Schuldprásumtion bes. 1 3 D de bonis eorum, qui ante sententiam 48, 21 von M a r c i a n : Qui rei postulati vel qui in acelere deprehensi metu crirainis imminentis mortem sibi consciverunt, heredem non habent (scil.: si eo crimine nexus fuit, ut, si convinceretur, bonis careat : § 3) Papinianus tamen

seripsit, ut qui reí crrminis non postulati manus sibit intulerint, bona eorum fisco non vindicentur : non enim facti sceleritatem esse obnoxiam, sed conscientiae metum in, reo velut confesso teneri placuit.

§ 8 i. f. sed divus Pius . . . rescripsit, si parati sint heredes defensiones suscipere (§ 7 fügt zu : et innocentem defunctum ostendere), non esse bona publ icanda, nisi de crimine fuerit probatura. — Über Selbstmord der Soldaten 1 6 § 7 D de re milit. 49, 16; 1 38 § 12 D de poenis 48, 19. — Die CCC steht bezügl. des Selbstmord es ganz auf dem Standpunkt des rOmischen Rechtes, trotz der Überschrift des A. 135: „Straff eygner todtung". Vgl. auch A. 218 a. E. — Das kanonische Recht aber reprobirte den Selbstmord ais solchen: s. bes. can. 9—12 Causa 23 qu. 5.

Die Selbstverletzung war nach romischem Recht nur in Form der Selbstkastration s t ra fbar : s. unten § 78.

§ 76.

B. llntangliclikeit des angegriífenen Objektes. Vgl. B 51 ff. Li 32. 35.

1. Die irrtíimlich deliktische Hafidlnng. Insbesondere das Wahnyerbrechen. B 50. Bdg, H 145. Sch 33. M 4. Li 32. 41. H 48. K 83. Fi 89. Schaper bei HH 11 S. 121 ff. — Oer s t ed , Grundregeln S. 164ff. — S e m t e l l o s , De delictis putativis. Diss. Berol. 1848. — G e y e r , ErOrter. S. 38ff — H a b e r Un , Über Kechtswahn und W ahnverbrechen: bei GA XIII 1865 S. 233—238. — K r i e g s m a n n , Wahnyerbrechen u. untaugl. Versuch. Bresiau 1904. — K o h n , Der untaugl. Ver-such u. das Wahnyerbrechen. Bresiau 1904. — F a b i á n , Ab-

f renzung y. untaugl. Versuch u. Putatiydelikt. Bresiau 1905. — . auch die Literatur auf S. 131 oben. — Vgl. auch v. L i s z t ,

Die falsche Aussage S. 54ff.; C ramer , Die Behandlung des menschl. Leichnams im Ciyil- und Strafrecht. Zürich 1885; M i t t e l s t e i n , Mensch und Leiclinam ais Rechtsobjekt, GA XXXIV S. 172ff. ünd C r u s e n , Der strafrechtliche Schutz des Rechtsguts der Pietát. Berlín 1890.

Über die Entwicklung der Ansichten der romischen Juristen über Wahnyerbrechen s. oben § 54 s. VI S. 131. S. auch E n g e l m a n n , Schuldlehre der Postglossatoren S. 25.

2. Singuláre Reclitlosigkeit infolge Staatswillcns. B 54. Bdg, H 147. Sch 36. M 38 Li 36. WV 70. G 89. L 50. K 15 Schaper bei HH II S. 126. 127.

A b e g g , Untersuchungen aus dem Gebiete der Strafrechts-wissenscnaft. Bresiau 1830. Zweite Abhandlung: Reyis. der Lehre yon den angebl. straflosen Totungen. — D e r s . , NA IX 1827 S. 625 ff. — S. auch Ge ib , ANF 1838 S. 579 ff.

Der von der CCC geflissentlich nicht aufgenommene Art . C C X L I der Bambergensis von der Mordacht (in die acht zu sprechen) laute t : 5i. %[§> bu tnít urtet)ln u. redjt ju ber morbtod^t ertepít roorben bift, alfo nrjm iá) bein íet)b u. pute au^ bem fribe, u. tt)u fie in ben unfrtbe, u. fünbe bid erío^ u. xeájüo^, unb fünbe bi^ ben oogeln freí) in ben lüfften,

§ 77.

185 § 78.

u. ben tí)íern in bem roaíbe, unb ben üifc^en in bem roacje Unb ift Quá) otlermenigíic^ eríaubt uber bíd^, ha§> niemoní an bir freocln tan no(^ foíle, ber biá) ongreijfft.

Über die Rechtlosigkeit der Zigeuner nach f'rüh. gem. Rechte s. RA V. 1500 T 28-, RPO v. 1580 T 35; RA v. 1544 § 75; RPO v. 1548 T 27; RPO v. 1577 T 28 (N. Samml. der Reíchsabschiede H S. 80. 344. 509. 602. III 394.). Die fast durchweg übereinstimmenden Schlussworte lauten: „unb raollen ana), ba^ fiííl bie BÍQCuner ben nei fíen oufe ben £onben teutfd^er 9íation tí)un . , . . bann roo fie betretten, unb jemanb^ mit ber Xí)at gegen ií)neu íianbein, ober fürneí)men roürbe, bcr ion baran nid t gefreoelt no(^ unreíí^t get^an í)Qben."

Über die Ehrlosigkeit der Gotteslásterer nach früh. gem. Rechte s. d. RPO V. 1548 und v. 1577 T I § 7: „der dann auch darauf ais Ehrloss gescholten werden mag.'"

§ 78. 3. Uiitauglichkeit diirch Einwilliguiig des Terletzten. H^ 188. II 18. Bdg, H 148. 149 B 53. Sch 35. M 38. MI 63. Li 35 WV 69. G 89. L 48. K 36. H 62 und II 7. Fi 83. Schaper bei HH II S. 127—131.

T h i b a u t, Beitráge S. 30 ff. — De G r a y e r e , Diss. de eo an injuria yolenti facta poenis sit coercenda. Groningae 1825. — S t ü b e l , NA IV 1827 S. 551-559. — H e p p , das. XI 1830 S. 65ff. 239 ff'. - A b e g g , Unters. S. 62 ff. — D e r s . , ANF 1840 S. 434 ff. - L u d e n , Abhandlungen II S. 412 ff. -M a r e z o U , Quatenus yervim sit, (piod yulgo dicitur, A'olenti non ficri injuriam. Lipsiae 1858. — B o h l a u , Volenti non fit injuria: GA V 1857 S. 489—501. — W e s s e l y , in Haimerls Viertcljahrsschrift I 1858 S. 217ff. — y. W á c h t e r , Volenti non fit injuria: GS 1868 S. 1 ff. — O r t m a n n , GA XXV 1877 S. 104ff,; XXVI S. 195 ff.; GS XXXV 1883 S. 371 ff. — Z i m m e r m a n n , das. 1881 S. 435 ff. — R b d e n b e c k , Zwei-kampf. Halle 1«83, bes. S. 28 ff'. — K e s s l e r , Die Einwilligung des V(n-letzten in ihror strafreelitl. Bedeutung. Berlin u. Leipzig 1884 (dazu R o d o n b e c k , GS 1885 S. 124íf.); de r s . , GS 1886 S. 561 tt'. ípolemiseh gegen moin Handbuch). — U l l -m a n n , GS 1885 S. 529 ff'. — B r e i t l i a u p t , Volenti non "fit injuria. Berlin 1891. — A. H e s s , Abhandl. aus dem Gebiete des Civil- u. Strafrechts. Hamburg 1892 S. 41 ff. — Ders . , Neue Thesen. Hamburg 1900. — Pfe r sdo r f , Die Einwill. des Verletzten ais Strafausscbliessungsgrund. Diss. Strassburg 1897. — J o s k i , Die Einwill. des ^'erletzten. Diss. Bernburg 1899. - K loe , GA XLVHI 1901 S. 177 ff. 337 ff".; XLIX 1903 S. 246ff.: L 1903 S. 364ff'. — P e r n i c e , Labeo II (2. Aufl.) S. 82 ff". — H a r t m a u u, Grünhut XXVII 1900 S. 697 ff". — G r a f zu D o h n a , Rochtswidrigkeit. Halle 1905 S. 141 ff. — S. auch die Literatur zu § 75.

I. Über das romische R(^cht vgl. bes. 1 1 § 5 D de injuriis 47, 10: quia nuUa injuria est. quae in volentem fit (Aristot. Eth . Nicom. V. 1 5 : adi/.BiTai d^ oideig !y.vjv) — ein Satz, der nicht nur für Ehr-beleidigungen, sondern für das ganze weito Gebiet der romischen injuria, j a für alie Privatdel ikte und noch darüber hinaus Geltung besass. Straflós ist auch, wer einen Freien mit dessen Einwilligung in Sklaverei verkauft (s. bes. 1 1 § 5 D 47, 10 und 1 6 § 2 D de lege Fabia 48, 15), straflós die Totung des Einwilligenden, was sich aus der Behand-

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79. 186

lung des Selbstmordes im romischen Recht ergiebt. Nur in den seltenen Fallen, wo die Selbstverletzung s t ra fbar , ist es auch die Verletzung Einwilligender. L 4 § 2 D ad leg. Come!. 48, 3 : ídem divus Hadrianus rescripsit, ne spadones fierent . . . nemo enim liberum servumve invitum sinentemve castrare debet , nevé quis se sponte castrandum praebere debet ; at si quis adversus edictum meum fecerit, medico quidem, qui exciderit, capitale erit^ item ipsi, qui se sponte excidendum praebui t ; 1 1 und 2 C de eunuchis 4, 4 2 ; Nov. 142.

I I . Wie weit nach der modernen Verbrechensauffassung dem romischen Satze heute noch Anwendbarkei t zuzuerkennen sei, ist sehr bestritten. — 1. Einerseits hat man geglaubt , die rechtliche Eín-willigung des Verletzten schliesse durchweg, d. h. natürlich überall, wo es bei Verbrechen einen Verletzten giebt , die Strafbarkeit der Verle tzung, weil deren Rechtswidrigkeit, a u s : so H e n k e , Handb . I S. 211 íf.; W a c h t e r , Lehrbuch I § 3 9 , spater O r t m a n n , R o d e n -b e c k , K e s s l e r , K l e e , — 2. T i t t m a n n , Handbuch I § 36 halt es für moglich, dass in diesen Fal len mindestens eine Polizeigesetzwidrigkeit übr ig bleibe. — 3. Man unterscheidet zwischen der Verletzung un-verausserlicher und der veráusserlicher Güter. Die Verletzung ver-ausserlicher Güter wird durch Einwilligung des Verletzten straflos, wahrend diese Einwill igung gegenüber der Verletzung unverausser-licher Güter entweder vollig wirkungslos ist: so bes. G r o l m a n , Grunds . §§ 26. 1 4 1 ; F e u e r b a c h , Lehrb . § 3 5 ; A b e g g , Lehrb . § 102; oder einen Strafmilderungsgrund abgiebt: so u. A. K o s t l i n , System I S. 98 ff. (der nur alie Rechte für unverausserlich, wol aber einzelne Anwendungen des Rechts (?) für unverausserlich ha l t ) ; H a l s c h n e r , System I S. 239. 240; d e r s . , Gemeines Strafrecht I S. 469. 470 ; B e r n e r § 5 3 ; S c h ü t z e § 3 5 ; oder das Verbrechen in ein blosses Polizeidelikt verwandel t : S t ü b e l , NA I X S. 565 ff.— 4. In dem Sinne gefasst, ais konnte der Verletzte eine verbotene Handlung seinerseits gestatten, findet der Satz volenti non fit injuria heutzutage gar keine Anwendung : J a r c k e , Handb . I S. 109 ff.; B o h l a u , GA V S. 489ff., G e i b , Lehrb. I I S. 212. Dass nichts-destoweniger gewisse Verbrechen nicht mit Einwilligung des zu Ver-letzenden begangen werden konnen , erklaren J a r c k e und B o h l a u da raus , dass durch die Einwilligung die Moglichkeit des dolus aufgehoben werde.

I I I . Über die zu beachtlicher Einwill igung erforderliche geistige Reife s. R G II v. 19. Febr . 1897 (E X X I X S. 398 ff.).

I I I , Erlaubtheit oder Unverbotensein der Handlung, also fehlendes Delíkt.

8 79. A. Die Notwer niid ilire Análoga. GB § 53. Beachte BGB § 227. 228. 561. 704. Über die Wehrhaftigkeit des Besitzes BGB §§ 858. 859. 865. Über vereinz. Unwehrhaftigkeit des Eigentums das. § 904. — H2 189—194. — Bdg, H 150. B 58-60. Sch 37. M 39. iVIl 60. 61. Li 33. WV 64—66 a. G 91. 92. L 4-5—49. H 64—67. K 28-30. Fi 76. Scliaper bei HH 11 137—148. Gever bei HH IV S. 94. 95. — F e u e r b a c h , Kritik II S. 253 ÍF. —" L u d e n , Ab-haudl. II S. 475—499. - S a n d e r, ANF 1841 S. 68 ñ. — Z a c h a r i á , das. S. 422ÍF. — D e r s . , Über die Strafbark. der Widersetzlichkeit gegen oíFentl. Beamte: das. 1843 S. 344 íF. —

187 § 79.

Z o e p f l , das. 1842 S. 118 íF. 311 ff.; 1843 S. 27 ff. (verfehit). — B e r n e r , das. 1848 S. 547 ff. — K r u g , GS 1856 I S. 321 ff. — L e v i t a * , Eecht der Nothwehr Giessen 1856. — G e y e r , Lehre von der Nothwehr. Jena 1857. — D e r s . , HRLex. s. v. Notwer I I S. 903ff. — S e e g e r * , Abhandlung. aus d. Strafrecht I. Tübingen 1858. S. 173—470. — G l a s e r , Kleine Schriften I S. 187 ff. — A b e g g , KrV I 1859 S. 346 ff. — v. B u r i , Über Irr tum in Hin-sicht auf Kothwehr ; Arch. für prakt. Rechtswiss. VIII 1860 S. 441 ff. — D e r s . , GS 1875 S. 117 ff.-, 1878 S. 434ff. — B i n d i n g , Normen I I S. 201 ff. — W e s s e l y , Die Befugnisse des Nothstandes und der Nothwehr. P rag 1862. — G r e g o r y , Commentatio de inculpatae tutelae moderatione. Hagae 1864. — P e m i c e , Labeo I I 2. Aufl. S. 73 ff. — S t i l l m a r k , Die Lehre v. d. Notwehr. Dorpat 1875. — J a n k a , Der stráfrechtliche Notstand. Erlangen 1878. S. 1—27. — W a h l b e r g , Kleinere Schriften I I I S. 71 ff. — R o t e r i n g , Über die Verantwortí . durch Aufstell. v. Schutzmassregeln: GA X X X 1882 S. 415 ff. — D e r s . , Die eigene Gefahr ais Schuldausschliessungs-grund: GA X X X I 1883 S. 247 ff. — S o m m e r 1 a d, GA XXXIV S. 329ff.; d e r s . , GS 1897 S. 359 ff. — R i n k , Over noodweer. Tiel 1874. — v a n C a l k e r , Vom Grenzgebiet zw. Notwer u. Notstand» Z f. S t rRW XI I 1892 S. 443ff. — T o b l e r , Die Grenzgebiete zw. Notstand u. Notwehr. Zürich 1894. — B a u k e , Die Zuláss. der Notwer gegenüber beleid. Ausserungen seitens des Geistlichen wahrend des Gottesdienstes. Berlin 1894. — H e b e r l e i n , Exzess der Notwehr. Diss. 1895. — S t i r z , Die subjekt. Seite der Notwehr. Diss. Bonn 1897. — K r o n e r , Die Verletz. von Rechtsgütern des Drit ten bei der Notwehr. Diss. Gott. 1897. — v o n K a l l i n a , Nothwehr gegenüber Amtshandiungen. Prag 1898. — N e u m o n d , GS LVI 1899 S. 46ff. — V i g e l . i u s , Über Notwehr gegen Tiere. Diss. Cassel 1899. — G. M u l l e r , Das Recht der Notwehr . . . Diss. Greifswald 1900. — v. A l b e r t i , Das Notwehrrecht. — Stuttgart 1901. — L o e f f l e r , Unrecht u Notwehr; Z f. S t rRW X X I 1901 S. 537 ff. — W o l f f s o h n , Notwehr , Notstand u. Nothilfe . . . nach dem BGB. Diss. Posen 1901. — B a l l i n , Notwehrexcess und Putat ivnotwehr. Diss. Erl. 1902. — G r o s s m a n n , Das Prinzip der Selbstverterdigung im BGB. Diss. Berlin 1903. — S c h l e i f e n b a u m , Begrift u. Bedeutung des gegenwárt. rechts-widr. Angriffs in § 227 BGB. Breslau 1904.— H o l d v. F e r n e c k , Die Rechtswidrigkeit I I i^Notstand u. Notwehr]. Jena 1905. — G r a f zu D o h n a , Rechtswidrigkeit S. 121 ff. — R i s s o m , Notwehr u. Waffengebrauch des Militárs. Berlin 1906. — L a m p s o n , Bei t rag z. Feststell . des Notwehrgebietes Diss. Berlin 1906. — Von civilist. Seite vgl. S c h o l l m e y e r , Das Recht der Notwehr nach dem BGB. Würzburg 1899; A l i o n a s , Notwehr und Notstand nach dem BGB. Diss. Strassburg 1902; O e t k e r * , Über Notwehr und Notstand nach den §§ 227; 228; 904 des BGB. Leipzig 1903; B á h r , Die Bestimm. des BGB über Notwehr u. Notstand u. ihre Bedeut. f. d. Strafrecht. Diss. Marburg 1903; M i n z , Die Voraussetz. u. Wirk. der Notwehr, des Notstandes und der Nothülfe im BGB. München 1903; S i m ó n , Notwehr, Notstand und Selbsthülfe nach dem BGB. Diss. Fankf. a. M. 1903; E l t z b a c h e r , D J Z 1905 S. 239ff. — S. ferner B r u n n e n m e i s t e r , Quellen derBambergensis . S. 177 ff. — K n e t s c h . Der Begriff der Notwehr nach d. Peinl. Gerichtsordn. Karls V. u. d. StrGB. Diss. Berlin 1906. — K e l l e r , Der Beweis der Notwehr (nach dem Gsp.). Breslau 1904. — Beachte endlich die Liter. des Notstandes zu § 80, die fast immer auch die Notwer berührt.

I. D i e N o t w e r . 1. R o m i s c h e s R e c h t . C i c e r o , pro Milone, cap. 4 : Est haec

non scripta sed nata lex . . . ut si vita nostra in aliquas insidias . . .

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>; 79. 188

incidisset, oiiinis honesta ratio esset expediendae salutis. Silent enim: leges ínter arma . . .; cap. 9 : cuín vi vis Ülata defenditur. L 1 § 27 D de vi et de vi arinata 43, 16: Vini vi repeliere licere Cassius seribit: idque -jurf natura comparatur. Ganz ahnlich 1 45 § 4 I) ad leg. Aquil. 9, 2 P a u l u s : Qui cum aliter tueri se non possent, damni culpam dederint , . innoxii sunt : vim vi defenderé omnes leges omniaque j u r a permittunt. Vgl. I 4 pr D eod.: adversas periculum naturalis ratio pennitti t se defenderé; 1 3 D de just. e t j u r e 1, 1: (juris gentium est) ut vim atque injuriam propulsemus . . . ; 1 1 C undo vi 8, 4 : Dioclet. et Maxim. . . . recte possidenti ad defendendara possessionem, quam sine vitio tenebat, i n c u l p a t a e t u t e l a e n i o d e r a t i o n e i lia tara vira propulsare licet; 1 3 § 9 Ü de vi et de vi arraata 43, 1(3: Eura igituí:, qui cura arrais venit, possumus armis repeliere, s e d h o c c o n f e s t i m , n o n e x i n t e r v a l l o , dummodo sciamus non solum resistere per-missum, ne deiciatur, sed et si deiectus quis fuerit, eundem deicere non ex intervallo, sed ex continenti. 8. auch § 2 J de lege Aq. 4, 3. — TJber das zweifellose Recht der Notwer gegen widerrechtliclie Akte der Staatsorgane vgl. 1 5 C de ju re lisci lU, 1; 1 4 C dé discussor. 10, 30 (ungloss.); 1 5 C de metatis 12, 4 1 ; 1 5 C de exsecutor. et •exactor. 12 , 0 1 ; Nov. 124 c. 3 . . . et si quid araplius exigere eos voluerint, habeant lícentiam eis resistendi.

2. Die Bestimraungen des kanonischen Rechtes (s. darüber L e v i t a a. a, O. S. 52—64) fussen zum Teil auf dem romischen Rechte, 2um Teil auf den abendlandischen Bussordnungen.

3. Die e c o behandelt die Notwer sehr ausführlich bei der Totung: A. 130—145 und 150. A. 139: „3tem roeíd^er et)n red)te not= roeer ju retíung feineS íeibS unb íebená (A. 150 fügt zu: jur rettung €t)neé Qnbern íetb, leíien ober gut) t^ut, unnb jíienen, ber jn alfo benottícit, in foídjcr notroeer entíeibí, ber ift.barum niemanté nit [cbutbig."

Über Aberration bei der Notvrer s. A. 145: „^sícm fo egner in ei)lier xeá)ten betüifeii notnjeer roiber feínen luíílen epnen unfd)ulbigen mit fticben, ftrer)d}en, TOürffen ober fdjíeffen, fo er ben notttger meiní, íreff unb entleibt £)et, ber ifí auá) üon peinlid^er [trnff entfcbuíbigt." Grade so, nur un-genauer im Ausdrucke, P a u l u s , I 45 § 4 D ad leg. Aq. 9, 2.

4. Über die Kontroverse, ob Abwehr gegen einen Unzurech-nungsfahigen ais Notwer oder aber ais Notstandshandlung oder ais keines von beiden aufziifassen, vgl. einerseits ( f ü r N o t w e r ) : L u d e n , Handb. 8. 3 0 1 ; K o s t l i n , Syst. 8. 8 5 ; L e v i t a , Nothwehr 8. 185. 186; M a rq u a r d s e n, ANF" 1857 8. 399—400; 8 e e g e r , Abh. 1 8. 4( i l ; R u b o , Komm. 8 480; V V a h l b e r g a. a, O. I I I 8. 7 7 ; v. B u r i , GS 1879 8. 4 7 1 ; G e i b , GA X X V I I I 8. 184; v. T u h r , Nothstand 8. 52 ff.; v, L i s z t 8. 144 (der aber cine Notwer gegen Tiere leugnet); M e y e r 8. 227; A d o l f M e r k e l , Lehrb. 8. 163; R u d o l f M e r k e l , Kollision rcchtsmass. Interessen 8 . 2 3 3 und sonst ; T i t z c . Nothstandsreehte 8. 17. 82 ; H o l d e r , Komm. z. BGB All-genj. Teil 8. 460 (alie sechs mit der gleichen Eiuschrankung wie V. L i s z t ) ; O l s h a u s e n zu § 53 n. 6 ; F ) ' a n k zu § 5 3 1 ; K r o n e r a. a. O. 8. 9ff.; C o s a c k , Lehrb. des bürg. R. I 8. 275 ; L o e f f l e r ; Z. f. 8 t r R W X X I 8. 542/43; O e t k o r , ~ Notwehr 8. 2 3 ; W ü r z -

189 § 79.

b u r g e r , Notstand 8. 2 4 ; F i n g e r I S. 387/8 (verwirft Notwehr gegen Thiere) ; — andrerseits ( f ü r N o t s t a n d ) : M a r t i n , Lehrbuch I 4 5 ; B e r n e r , A N F 1848 8. 552 flf.; H a l s c h n e r , Syst. I 8. 263 íf.; d e r s . , Gem. Strafrecht I 8 479. 480; G e y e r i n ^ H R E e x . s. v. Notwer 11 8. 904 ; S c h ü t z e , Lehrb . 8. 113; O p p e n h o f f , Komm. zu § 53 n, 6: 8 c h w a r z e , Komm. 8. 228; 8 t a r a m l e r , Notstand 8. 2 í r . ; J a n k a , Notstand 8. 33 ff.; L a m m a s c h , GS X L I V 1891 8. 315 ; — endlich ( f ü r e r l a u b t e S e l b s t h ü l f e , die weder Notwer noeh Notstand ist) : W a c h t e r , Handb. des 8achs. Strafr. 8. 334 n. 3. S. unten, s. I I 8. 191.

5. Über Notwer zum Scliutze des Eigentums und des Besitzes s. die romischen Stellen sub I (auf m. E. nicht zureichende Gründe gestützt behauptet P e r n i c e , Labeo II 8. 82 : ,,Das romische Recht hat niemals den Schutz des beweglichen Eigentums zu einem Notwer-falle erhoben"). Dagegen auch v. T u h r , Notstand 8. 4 5 ; M o m m s e n , Rom. 8trafr. 8. 653, — Ferner Friedrichs I I . Gesetz von 1235 § 5 (Mon. Germán, ed. Per tz IV 8. 214, citirt bei G e i b I I 8. 234): ad tutelara corporis sui vel bonorum suorum, quod dicitur n o t h w e r e ; CCC A. 150. Vgl. dazu L e v i t a a. a. O. 8. 204 ff,; 8 e e g e r a. a. O. 8. 278 ff,. 465. 466 ; G e y e r a. a. O. 8. 26 ff. 160 ff.

6. Über die interessanten Fa l le , wo sich jemand um ein ge-plantes Unrecht auszuführen in eine Lage zu versetzen suclit, welche ihm wie die Notwer- oder die Notstandslage das subjektive Recht zur Verwirklichung seines Planes gewahren solí, s. Bdg, N I I 8. 201 ff.

7. D a s E r f o r d e r n i s d e r P r o p o r t i o n a l i t a t z w i s c h e n d e m v e r t e i d i g t e n u n d d e m v e r l e t z t e n R e c h t s g u t e i s t d e r N o t w e r f r e m d g e w e s e n u n d f r e m d g e b l i e b e n . F ü r es tritt ein de lege lata bes. v. B u r i , G 8 1878 8. 461/62, de lege ferenda R u d o l f M e r k e l , Die Kollision rechtmass. Interessen 8. 66 ff.; K r o n e r a. a. O. 8. 32 ff.; M i r i c k a , Strafschuld 8. 151. Es i n v o l l e m U m f a n g e einzuführen dürfte sehr bedenklich sein. Den moderirenden Einfluss zu üben fállt zur Zeit d e r 8 i t t e zu.

8. Das notwendige Mittel zur erlaubten Handlung anzuwenden ist stets erlaubt. Zur Notwer darf also auch die fremde Sache mit dem Risiko ihrer Beschadigung gebraucht werden. Sachlich, aber kaum in der Begründung richtig RG I v. 5. Maí 1892 (E X X I I I 8. 116/7). Ebenso ist gleichgültig, ob die Notwer nur den Angreifer und seine Sachen oder ausserdem auch die Sachen Dri t ter oder diese selbst verletzt. Sieht der Angegriffene freilich diese Tragweite seiner Verteidigungshandlung ein, so konkurr i ren für ihn insoweit Notwer

und Notstand. 9. Auch das BGB hat seine Notwer-Paragraphen. ^ Die De-

tínition der Notwer in B G B § 227 Abs. 2 stimmt mit der des StrGBs

' Diiss die. Notwehr-Literatur in Folt>;e davoii und in Folge der civilist. Beurteilungen dieses verneinenden Civilgcsetzes ati ctAvas Anderem ais ¡ni Um-faiiíi zu.írcnommen habe, kann ich leider nicht finden! S. aucli die treff. Bemerk. df Grafen zu Dohuu, Z f. StrRW XXIV S. 766'7. Und unsere Praxis ist durcli die Rücksichtnahme auf BGB § 227, bes. aber § 228 scUwer und walir-scbeiulich auf lange geschádigt.

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^ 79. 190

§ 53, 2 wortlich überein, Der Gedanke, einer dieser Paragrafen sel überflüssi^ (s. T i t z e , Nothstandsrechte S. 72 n. 2 gegen H o l d e r ) , ist zuriickzuweisen. StrGB § 53 ist ein verneinendes Strafgesetz, BGB § 227 ein verneinendes Civilgesetz. An Bedeutung stehen Beide einander gleich. Wenn BGB § 227, 1 sagt: „Eine durch Notwehr gebotene Handlung ist nicht widerrechtlich", so solí durch die Negation wol ihre Rechtmássigkeit, jedenfalls aber im Sinne des BGBs ihre Untauglichkeit, einen Schadenersatzanspruch zu erzeugen, konstatirt werden.

10. Dass die Frage, ob es eine Notwer gegen Tiere gebe, durch BGB § 227 in Verbindung mit § 228 entschieden sei, wie diess vielfach behauptet wird — so Ton v. L i s z t S. 144 N. 3 — ist m. E. irrig. Denn

a. die Satzung des § 228 will da zu gelten anfangen, wo das Geltungsbereich des § 227 aufhort. A. M. z. B. L o e f f l e r , Z f. StrRW XXI S. 373, nach welchem der § 228 nur von einem Notwer-fall handelt; O e t k e r a. a. O. S. 11; W ü r z b u r g e r , Notstand S. 26 (wie L o e f f l e r ) . Dass Beschadigungen „fremder Thiere" nie ais Notwer aufgefasst werden dürften, sagt § 228 nicht: er spricht nur von den Fallen, wo Notwer nicht vorliegt. Es wird diess besonders einleuchtend, wenn man an Notwer gegen Jagdwild, etwa einen wütenden Hirsch denkt: darauf kann § 228 schlechterdings keine Anwendung finden!

b. Selbst wenn aber das BGB für die Frage der Schadenersatz-verbindlichkeit — denn allein um diese handelt es sich in ihm — in nicht zu billigender Weise die Abwehr des Tierangriffs nicht ais Notwer betrachten wollte — was es m. E. nicht will: das Gesetz ist wieder einmal viel klüger ais ein Teil seiner Ausleger! —, so würde •das für das Strafrecht ohne alie Bedeutung sein. Denn GB § 53 will feststellen, wann wegen Notwer Straflosigkeit einzutreten habe. Und darüber entscheidet allein es — ohne jede Konkurrenz des BGB. Dass aber unter strafrechtlichem Gesichtspunkt die Abwehr gegen Handlungsfahige leichter wiege, also günstiger zu behandeln sei, ais die Abwehr bissiger Hunde, kann man einem Strafgesetzgeber wirk-lich nicht imputiren. Durchaus richtig F r a n k zu § 53 I 2. Ganz unrichtig RG I v. 17. Juni 1901 (E XXXIV S. 295 ff. Das Urteil ist lehrreich für die unertragUchen Folgen seiner falschen Auslegung der §§ 227. 228 des BGB: der Jagdberechtigte wird gegen revirende Hunde einfach wehrlos.

c. Die methodische Verwirrung, die zwischen den Kompetenzen des RStrGB und des BGB gar nicht zu scheiden weiss, ausserdem die klarsten Grundsátze über Analogie missachtet, erreicht ihren Hohe-punkt darin, dass man den Unzurechnungsfahigen nach Analogie der „fremden Sache" behandelt (!!), seinen Angriíf dem BGB § 228 unter-stellt, und daraus folgert, s t r a f r e c h t l i c h gebe es auch keine Notwer gegen ihn. Vgl. S c h o l l m e y e r , Notwehr S. 21; L o e f f l e r , Z f. StrRW XXI S. 576 (L . zieht die letztere Konsequenz nicht); G r a f zu D o h n a , Rechtswidr. S. 131.

191 § 80.

11. Die Lehre H o l d v. F e r n e c k s , Rechtswidr. II 1 S. 122, die Notwerhandlung sei nur „Gegenangriíf gegen einen boswilligen AngriíF" kann Beachtung nur in der Rechtsordnung finden, die sich der Verfasser in seinem Werke phantastisch konstruirt hat. Gegen-über der Wirklichkeit stellt sie die willkürlichste Vergewaltigung des geltenden durch und durch vernünftigen Rechtes dar. Nur auf jene Rechtsordnung passt auch die hofliche Bemerkung I S. 353: „Geradezu absurd ist es, die Reaction gegen Angriffe von Thieren und Schuld-unfahigen ais Nothwehr zu erfassen,"

II. Zur Notwer gehort wahrend ihrer ganzen geschichtlichen Entwicklung der Angriff eines l e b e n d i g e n W e s e n s . Gebraucht man das Wort „ Angriff" bildlich, so kann der Angriff auch von einer S a c h e ausgehen. Unsere Rechtsgüter konnen sich passiv verhalten wahrend Sachen, von denen wir sagen würden, sie griffen uns an, wenn sie belebt waren, sie in ihrem Bestande unmittelbar gefahrden. Ein vom Sturm losgerissenes Boot ist ira Begriff, auf unseres ge-schleudert zu werden; ein ohne Schuld seines Führers wild gewordenes Automobil bedroht Sachen oder Menschen.

Es kann hier nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, dass das Verteidigungsrecht der angegriffenen Rechtsgüter — man gestatte den ungenauen Ausdruck! — genau denselben Umfang und Inhalt besitzt wie in den Fallen echter Notwer. Die Lage auf der angegriffenen Seite bleibf ja ganíi unverandert.

Diese Falle mit T o b l e r a. a. O. S. 63, L o e f f l e r , Z f. StrRW XXI S. 565, einfach der Notwer zu unterstellen erzeugt Bedenken. Den Nagel auf den Kopf trifft aber die Bemerkung v. T u h r s, Noth-stand S. 58: „Vom Standpunkt des Civilrechts aus sind Notwehr und Selbstvertheidigung gegen Sachen nur verschiedene Erscheinungs-formen desselben Rechtsgedankens: der Zulassigkeit der defensiven Selbsthülfe" (ohne Schadenersatzverbindlichkeit). Ebenso K r o n e r a. a. O. S. 36. 37.

A u f s o l c h e F a l l e Í3t a l s o GB § 53 a n a l o g a n z u -wenden .

Hier wird auch klar, dass diejenigen, welche die Notwer gegen Wansinnige und gegen Thiere leugnen, durchaus fehlgehen, wenn sie dann sofort Notstand annehmen. Sie operiren mit einer falschen Alter-native und verkennen, dass diese Falle alie wesentlichen Züge der Notwer- und keinen der Züge der Notstands-Lage an sich tragen. D i e V e r l e t z u n g v o l l z i e h t s i c h s t e t s am „ A n g r e i f e r " zum S c h u t z e des A n g e g r i f f e n e n — im d i r e k t e n G e g e n s a t z e z u r N o t s t a n d s - V e r l e t z u n g , von d e r d i e s s n i e g i l t . Ganz richtig hat diess schon v. W a c h t e r , Handbuch S. 314 n. 3 erkannt.

B, Der Notstand. StrGB §§52. 54. MGB §§49, 1. 84—88. 130. Vgl. StrGlB §§ 148. 313, 2. 360, 10. SeemO v. 2. Juni 1902 §§ 34. 87. 88. Strandungsord. v. 17. Mai 1874 § 9. (V. über d. Verlialten der SchifPer nach e. Zusammenstoss von Schiffen auf See v. 15. Aug. 1876 §§ 1. 2. Verordnung zur Yerhütung des Zusammen-stossens der Schiffe auf See v. 9. Mai 1897). Seestrassenordnung v. 5. Febr. 1906 Art. 17 ff. — Handelsgesetzbuch §§ 700. 702. 706, — Ges.,

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§ 80. 192

betr. die . . . . Binnenschiffahrt, Fass. v. 20 Mai 1898 §8 78. 79. 82. — BGB §§ 228. 904. Beachte auch die §§ 867. 917.'962. — 8ehr interess. luternatioiíaler Ver t rag , betr. die polizeiliche Regelung dér Fischerei in der Nordsee, v. 6. Mai 1882. A. 14. 20. 21. 22. 80. 32. 35. — H^ 195-198. Bdg, H 151. 152. B 57. Sch 38. M 40. MI 62. Li 34. G 90. L 46. 49. 68. 69. WII* ,54. WV 56. K 97. Fi 77. 84. 85. Schaper bei HH II 8. 132 ft'. — Geyer bei HH IV S. 93. 94. — F e u e r b a c h , Krit. 11 8. 265 íí". — O e r s t e d , Über d. Nothrecht: NA V 1822 8. 345 ff. — A b e g g , Untersuchuugen 8. 10711". — v a n d e r V e e n , De jure, quod dicitur supremae necessitatis. Groningae 1834. — H c r r -m a n n , Zur Beurt. des Entw. e. KrGB. f d. K. 8aciistín. Leipzig 1836 8. 144tf". — L u d e n , Abhandl. II 8 510ff. — B a u m e i s t e r , Boinerk. zur 8trafges(!tz£eb. Leipzig 1847 8. 87—100. — G o l f -d a m m e r , Materialieii i 8. 370 ff. — G l á s e r , Abhandl aus demr osterr. 8trafrecht I. Wien 1858 8. 109 ff. — L e v i t a , RecLt der Xoth-wehr 8. 2ff. — G e v e r , Lehre vou der Nothwehr 8.-4ff. — D e r s . , KrV 1863 8. 63ff. (auch KI. Schriften 8. 297 ft".). — D e r s . , l lRLex. s. v. Notstaud I I 8. 902. — M a r q u a r d s e n , A N F 1867 8. 396 ff'. — B e r n e r , De ini})uuitate propter summam necessitatem proposita. Berl. 1871. — W e s s e l y , Die Befúgnis des Nothstaudes und der Nothwer. Prag 1862 (dazu G l á s e r , Kleine 8chriften I 8. 201 ff.). — 8 t a n i i n l e r , Darstellung der strafrechtl. Bedeutung des Not-standes. Erlaugen• 1878 (darüber v. B u r i , GS 1879 8. 434ff".). — • J a n k a . Der strafreehtliche Notstand. Erlangen 1878. — F e r -n i c e , Labeo I I (2. Aufl) 8. 66 ff. — G o e b , Bemerk. z. Lehre v. Notstand. Diss. Erlangen 1878. — D e r s . , GA XXVII I 1880 8. 183 ff. — R o t e r i n g , GA X X X I 1888 8. 347 ff — D e r s . , in W a l l m a n n s Jur . Ztg. V 8. 427. 452. — 8. auch S i m ó n s o n , Der Mignonotte-Fall in England, Z f. 8 t r R W V 1885 8. 367 ff". — V. T u h r , Der Nothstand im Civilrecht. Heidelberg 1888 (dazu B r u e k n e r , KrVJSchr XXXV 1893 8 521 ft"). — M o r i a u d , Du délit nécessaire et de l 'état de nécessité. Genéve. Paris 1889 (dazu L a m m a s c h , G8 XLIV 1891 8. 311 ff.). — R u d o l f M e r k e l * , Die Kollision rechtmássiger Intereasen . . . 8trassburg 1895 (dazu V. B l u m e , KrVJSchr XXXVII I 1896 8. 199 ff.). - T i t z e , Die Notstandsrechte im BGB u. ihre geschichtl. Entwicklung. Diss. Leipzig 1897. — T u r p é n , Der Notstand im bürg. Recht. Diss. Berlín 1899. — A r t e r , Inwiefern sind die §§ 228 u. 904 des BGB für das Strafrecht von Bedeutung? Diss. Ohne Druckort. 1899. — H a e n l e , EinÜuss des BGB auf die strafrechtL Behandl. des Notstands. Diss. Traunstein 1899. — G e n t s c h , Die Selbst-verteid. gegeu freinde Sachen nach § 228 BGB. Diss. Zeitz 1899. — G r o s s , Die Verschuldung des Notstandes u. ihre strafrechtl. Bedeutung. Diss. Stuttgart 1899. — E g e r , Der Einfluss d. Verschuld. beim strafrechtl. Notstand. Diss. Berlin 1899. — P r e t s c h , Das Notstandsrecht des BGB u. s. Bedeut. f. d. Strafrecht. Diss. Berlin 1899. — W a l t e r , Die Furcht vor persoul. Gefahr nach § 49 Abs. 1 des Miiitárstrafgesetzbuchs. Diss. Breslau 1900. — C o h u , Die Behandl. des Notstandes in deü S§ 228 u. 904 des BGB. Diss. , Bonn 1901. — B a u e r , Der strafrechtl, Nothstand. Diss. Würzbur^ 1902. — B a u m a n n , Die Notstandsbestimmungen des BGB in ihren Beziehungen zum StrGB. Diss. München 1902. — M a r c h a n d , .De l'état de nécessité en droit penal. Paris 1902. — K n a u e r , Über den strafrechtl. Notstand. Breslau 1902. — S e r m e t , L'état de nécessité cu matiére criminelle. Paris 1903. — V. A l b e r t i , Gefáhrdungdurch überlegene Gewalt(Notstand). Stuttgart 1903. — \ . A l b e r t i , Eigeumácht. Unrechtshemmung, abgesehon V. N'otwclir u. NotAvehrhilfe. Stuttg. 1904. — A u e r , Der strafrechtl. Notstand und das BGB. München 1903. — W ü r z b v i r g e r , Das Recht des strafrechtl, Notstandes. Breslau 1903. — O e t k e r * , Über

193 § 80.

Notwehr u. Notstand nach den §§ 227, 228, 904 des BGB. Leipzig 1903. S. auch die Literatur zu § 79.

I. Die so ¡nteressanten romischen Stellen über den Notstand wurden, bis ich daraut aufmerksam machte, wenig benutzt (vgl. dann V. J h e r i n g , Schuldmoment S. 44; W i n d s c h e i d , Pand. II § 455 n. 11; S t a m m l e r a. a. O. S. 7ff.; J a n k a a. a. O. S. 43 ff.; P e r n i c e a. a. O.; T i t z e a. a, O. S. 50 ff.). Gar nicht auf Notstand zu beziehen ist 1 2 C ad leg. Cornel. de sicar. 9, 16; wol aber 1 29 § 3, 1 45 § 4, 1 49 § 1 D ad leg. Aq. 9, 2; 1 1 D de lege Rhodia 14, 2 (die actio leg. Aq. wird versagt); 1 7 § 4 D quod vi aut clam 43, 24; 13 § 7 D de incendio 47, 9; 1 14 pr. D de praescr. verb. 19, 5 ; 1 16 § 8 D de publ. et vectig. 39, 4 ; 1 16 § 1 D de liberali causa 40, 12; 1 96 D de V. O. 45, 1. Vgl. 1 17 § 8 D de injur. 10; 1 1 D de bonis eor. qui ante sentent. 48. 21. Vielleicht gehort auch 1 14 § 1 D queraadm. servit. amittuntur 8, 6 hierher. — Über die relativo Schatzung rechtlicher Grüter s. 1 9 § 2 D de statuliberis 40, 7; 1 8 § 2 § 3 D quod metus causa 4, 2 ; 1 1 D de bonis eorum 48, 2 1 ; i 106 D de R. J.; 1 122, 1 176 § 1, 1 209 eod. — Über die Pflicht zur Bestehung besonderer Gefahr für Soldaten 1 3 § 4 , 1 6 §§ 3. 5. 8. 9. D de re mil. 49, 16; für Sklaven 1 1 § 28 D ad SC. Silan 29, 5 ; vgl. 1 1 §§ 29. 32. 39 h. 1. — Beachtenswert ist, dass die Romer den Urheber der Notstandsverletzung nicht einmal ais ersatz-pflichtig behandeln. Richtig J h e r i n g , Schuldmom. S. 44; W i n d -s c h e i d , Pand. II § 455 n. 11; was L e h m a n n , Über die civil-rechtlichen Wirkungen des Notstandes ( I h e r i n g s Jahrbücher XIII S. 215-^250) dagegen vorbringt, steht vollig in der Luft. Vgl. aber u. A. Postgesetz vom 28. Okt. 1871 § 17; Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 § 9. D e l e g e f e r e n d a i s t e i n e E r s a t z p f l i c h t z w e i f e l l o s a n z u e r k e n n e n , wenn auch in gewissen Fallen die Billigkeit nicht für voUe, sondern nur für teilweise Ersatzleistung sprechen dürfte. S. B i n d i n g , Normen I S. 433 ff. Teilweise an-erkannt im BGB § 904.

II. Im kanonischen Rechte begegnet die allgemeine Regel, dass Not kein Gebot kenne: can. 11 dist. I de consecr.: Necessitas non habet legem; cap. 4 X de R. J. 5, 41: Quod non est licitum lege, necessitas facit licitum, Einzelne Anwendungen des Prinzips in cap. 6 X de poenit 5, 38; cap. 10 X de jurejur. 2, 24; cap. 3 X de furtis 5, 18; can. 26 dist. V de consecr.; can. 8 § 2. 3. 4. dist. XLVII (die drei letzten Stellen behandeln den Diebstahl in echter Hungersnot ais straflos). Nichts beweisend erscheint can. 38 dist. L. , welche von S t a m m l e r a. a. O. S. 20 so aufgefasst wird, ais erkenne sie die Straflosigkeit der Totung zur Errettung von Leib und Leben aus dem Notstande an.

III. Aus dem kanonischen Rechte schopft CCC A. 166: ^tem fo jemanbt burd^ red)t ^ungerS not, bie er, fein roeíb ober finber leiben, ettoaS con effenben f ingen ju ftelen geurfad^t toürbe, roo bann bet feíb bieb* [tal topffer grofe unb fünbtlid^ roer, foUen abermotá riáiter unb urt^e^ter . . . rabtá pfíegen. Oh aber berfelbigen bteb epner unftráfflidb erlaffen roürb, foDl im boa) ber ílciger umb bie fíog be^íialb get^an nid^tg fd^ulbig fein.

Binding, Strafrecht. Grundriss. 7. Auti. 13

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§ 80. 194

(Dazu G ü t e r b o c k , Entstehungsgesch. der Karolina S. 242. 243.) Vgl. CCC.A. 175. ^

IV. Über die Entwicklung der Notstandslehre und der den Not-stand betreflfenden Gesetzgebung s. v. W a c h t e r , Handb. S. 360 ff.; S t a m m l e r a. a. O. S. 27—60; J a n k a a. a. O. S. 51 ff. und S. 71 bis 186; M o r i a u d a. a. O. S. 51 — 247; T i t z e , Notstandsrechte, bes. S. 37 ff. — Die m. E. unanfechtbare Tatsache, dass die Falle der Notwer mit denen des Notstandes und einer Reihe von andern unter einen gemeinsamen hoheren Gesichtspunkt gestellt werden konnen, berechtigt in keiner Weise dazu, die Notwerfalle ais eine ünterart der Notstandsfalle zu bezeichnen. Auch liegt ein wissenschaftlicher Fort-schrítt m. E. darin nicht, dass man die fundamental verschiedenen Gründe ausgeschlossener Rechtswidrigkeit, Notwer und Notstand, zu einem: „Die Not des Verletzers" zusammenfasst.

V: Bezüglich 1. der S o l d a t e n bestimmt MGB § 49, 1: „Die Verletzung einer Dienstpflicht aus Furcht vor personlicher Gefahr ist ebenso zu strafen, wie die Verletzung der Dienstpflicht aus Vorsatz;

2. der S e e l e u t e bestimmt die SeemO v. 2. Juni 1902 § 41, 1: „Bei Seegefahr, bes. bei drohendem Schiffbruch, so wie bei Gewalt und Angriff gegen Schiff oder Ladung hat der Schiffsmann alie be-fohlene Hülfe zur ErhaHung von Schiff und Ladung unweigerlich zu leisten und darf ohne Einwilligung des Kapitáns, solange dieser an Bord bleibt, das Schiff nicht verkssen"; und § 85, 2: der Schiffsmann hat seinen Vorgesetzten mit Achtung zu begegnen „und ihren dienst-lichen Befehlen unweigerlich Folge zu leisten".

VI. Ein Notstand und eine Notstandsverletzung liegt überhaupt nicht vor, wenn zwei bestimmte Rechtsgüter dem Untergange verfallen sind, falls es nicht gelingt, das eine — eventuell durch Losung von dem andern — zu retten. Am Matterhorn kommen die Vordermanner einer Partie beim Abstieg ins Rutschen. Die Hintermanner — un-fáhíg, sie zu halten — schneiden das Seil durch. Hier entfállt das Notwerrecht der dem Untergange Verfallenen, Richtig R u d o l f M e r k e l , KoUision S. 48.

VIL Die dem Notstande gewidmeten §§ 52 u. 54 des GBs ge-nügen nach keiner Seite.

1. Sie behandeln zunáchst nur einen wichtigen, aber relativ sehr kleinen und sich selten verwirklichenden Teil der Notstandsfalle, den N o t s t a n d fü r L e i b o d e r L e b e n des B e d r o h ' t e n o d e r e i n e s A n g e h o r i g e n . Jeder Notstand anderer Rechtsgüter und die Pflichtenkollision im voilsten Umfange werden ignorirt. Der Schluss e contrario aber, dass jede Verletzung zur Kehrung weiterer Notstande prinzipiell strafbar sein solí, ist einfach unraoglich: er führt nicht nur bei den Pflichtenkollisionen zum reinen Unsinn, sondern er wird zunáchst auch durch die oben citirten Reichsgesetze direkt wider-legt. Erkennen diese doch — vom BGB einstweilen abgesehen — eine ganze Reihe von Notstandsverletzungen ais straflos an, die sich unter § 54 des GBs schlechterdings nicht subsumiren lassen! Daraus ergiebt sich aber evident, dass § 54 durchaus nicht eine abschliessende Satzung zu sein beabsichtigt, dass er vielmehr nur für eine Gruppe

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195

sehr wichtiger Notstandsfalle das Prinzip der Beurt^'im%|i.B&stsetzen, s e i n e E r w e i t e r u n g d u r c h A n a l o g i e a b e r n i c h t a u s -s c h l i e s s e n wi l l . Ebenso aber dulden jene Satzungen der Reichsgesetze die analogische Ausdehnung. Ganz verfehlt die Opposition A d o l f M e r k e l s , Z f. StrRW VI S. 504, und R u d o l f M e r k e l s , Kollision S. 26 ff.

2. Sie lassen ferner d a s E r f o r d e r n i s d e r P r o p o r t i o -n a l i t a t ganz unerwahnt. Sollen sie nicht zu schreienden Ungerechtig-keiten fuhren, so ist dies Erfordernis ais von ihnen stillschweigend vorausgesetzt anzusehen.

3. V o n d e r V o r a u s s e t z u n g , d a s s d i e N o t s t a n d s v e r l e t z u n g v e r b o t e n s e i n n iuss , um s t r a f b a r zu w e r d e n , g e h t n a t ü r l i c h a u c h GB § 54 a u s . Wo also das Privatreeht in Berücksichtigung der Notstands-Kollision einen Eingriff in fremde Privatrechte freigiebt, kann dieser Eingriff unmoglich zur Bestrafung gezogen werden. Gut C o s a c k , Lehrb. des bürg. R. I 4. Aufl. S. 296 IV. Insoweit ixnrichtig RG I Civilsenat v. 12. Okt, 1881 (Civil-Entsch. V S. 160 ff.). Diese Bemerkung ist wichtig

a. für d i e j e n i g e n T e i l e D e u t s c h l a n d s , w o r i n be i I n k r a f t t r e t e n d e s G B § 54 d a s g e m e i n e r o m i s c h e R e c h t ü b e r N o t s t a n d (s, oben s. 1) n o e h in K r a f t s t a n d . Dadurch wurde eine bedeutende Ausdehnung der Straflosigkeits-Erklarung des § 54 bewirkt. Ders, Ans. M e y e r , Lehrbuch 5. Aufl. S. 290 n. 38; S t a m m l e r a. a. O. S. 64;

b. für d i e w e i t e r e n L a n d e , in w e l c h e n d i e r o m i -s c h e n S a t z u n g e n o d e r a n a l o g e B e s t i m m ü n g e n B e s t a n d -t e i l e d e s L a n d e s - P r i v a t - R e c h t e s g e w o r d e n w a r e n ;

c. s e i t dem I n k r a f t t r e t e n d e s B G B für d a s g a n z e D e u t s c h e R e i c h . Z w a r k e n n t d a s B G B d e n B e g r i f f d e s N o t s t a n d e s g a r n i c h t , das Wort wird nur in § 6 und da ganz untechnisch gebraucht; wol aber enthalt es Satzungen, die bestimmte Notstandsverletzungen sanktioniren und in bestimmtem Umfange Not-rechte aufstellen. Wieder geschieht dies an erster Stelle, um die Schadenersatzpflicht in solchen Fallen zu bejahen (BGB § 904 u. § 917) oder zu verneinen (§ 228 — ausser der Handelnde hatte die Gefahr verschuldet). Es handelt sich hier vor allem um die §§ 228 u. 904 ^

d. Wahrend das GB in § 54 von den Gütern ausgeht, die es sich ais in den Notstand geraten vorstellt — L e i b o d e r L e b e n d e s T a t e r s o d e r e i n e s A n g e h o r i g e n —, betrachtet BGB den Notstand nur von der Seite der Notstandsverletzung, und zwar ais K o l l i s i o n d e r s e l b e n m i t f r e m d e m E i g e n t u m e — ganz ohne Rücksicht a u f d a s G u t , d e s s e n G e f a h r d u n g d u r c h d e n E i n g r i f f in f r e m d e s E i g e n t u m a b g e w a n d t w e r d e n so l í . Alie Güter betrachtet es somit ais notstandsfáhig. Die Satzungen sind analog unvollstandig und analog einseitig wie die des GBs. Der sehr

1 Eine erschopfende Behandlung dieser schwierigen Bestimmüngen an dieeer Stelle verbietet sich von selbst.

13*

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§ 80. 196

moglichen Kollision der Notstandsverletzung mit anderen Frivatrechten ais dem des Eigentums wird gar nicht gedacht. E s v e r s t e h t s i c h a u c l i h i e r d i e Z u l a s s i g k e i t a n a l o g e r A u s d e h n u n g .

Durch grosse Klarheit sind aber die beiden Paragrafen nicht aus-gezeichnet, und ebensowenig ist ihr Verhaltniss zu einander in helles Licht gesetzt.

a. De r § 2 2 8 h a n d e l t a l l e i n v o n d e r B e s c h a d í -g u n g f r e m d e r S a c h e n z u r A b w e n d u n g e i n e r d u r c h sie d r o h e n d e n G e f a h r f ü r s i c h o d e r A n d e r e . Bei gewahrter Proportionali tát , „wenn der Schaden nicht ausser Verháltnis zu der Gefahr steht", erklar t das Gesetz sie für nicht widerrechtlich u n d w i l l d a m i t o f f e n b a r d i e N o t w e r g e g e n s i e u n d d i e E r s a t z v e r b i n d l i c h k e i t f ü r s i e a u s s c h l i e s s e n . Dem Wort-laute nach kann § 228 ebenso auf die sog. Notwer gegen leblose Sachen (s. oben § 79 I I S. 191) ais auf Sachbeschádigungen im Not-stande bezogen werden. Das Gesetz wird auch in der Ta t auf beide bezogen. S. darüber oben S. 190. Durch diese falsche Auslegung würden aber die Erfordernisse der P r o p o r t i o n a l i t á t u n d d e s ü n v e r s c h u l d e t s e i n s d e r G e f a h r a i s V o r a u s s e t z u n g e n f ü r d i e F r e i h e i t v o n d e r E r s a t z p f l i c h t auf die Falle der sog. Sachnotwer übertragen. Dem kann jedoch nicht nachgegeben werden. Denn s t r a f r e c h t l i c h s i n d d i e s e F a l l e g a n z n a c h A n a l o g i e d e r N o t w e r z u b e h a n d e l n . S. oben S. 191.

W e r sich also schuldlos mit seinem Schiff in fremde Anker taue verwickelt und sie kapp t , weil er sich nicht anders losmachen kann, der geht nach B G B § 228 straf- und ersatzfrei aus ; wer eine auf seinen Holzstoss geworfene Brandfackel , die er zu lOschen nicht ver-m a g , auf das Holzhaus- des Nachbarn wirft und dieses dadurch an-zündet, wird ersatzpflichtig.

/?. D e r § 9 0 4 v e r s a g t d e m E i g e n t ü m e r d i e N o t w e r g e g e n ü b e r j e d e r E i n w i r k u n g a u f s e i n e S a c h e d u r c h e i n e n A n d e r n , „ w e n n d i e E i n w i r k u n g z u r A b w e n d u n g e i n e r g e g e n w a r t i g e n G e f a h r n o t w e n d i g u n d d e r d r o h e n d e S c h a d e n g e g e n ü b e r d e m a u s d e r E i n w i r k u n g d e m E i g e n t ü m e r e n t s t e h e n d e n S c h a d e n u n v e r h a l t n i s s m a s s i g g r o s s i s t " . Das Gesetz verlangt hier zum Ausschlusse der Notwer mehr ais in § 228, nemlich ein Missverhaltniss zwischen dem drohenden und dem dem Verletzten zugefügten Schaden. Richtig T u r p é n , Notstand S. 2 7 ; H a e n l e , Einfluss S. 2 7 ; F i s c h e r u. H e n l e , B G B § 904 n. 8; L o f f l e r , Z f. S t r R W X X I S. 577 ; P l a n c k , Kommentar zu § 228 n. 5; E n d e m a n n , Lehrbuch, 8. Aufl. I S. 443 ff. A. M. T i t z e , a. a. O, S. 105 n. 2 0 ; M a t t h i a s , Lehrb . des Bürg. Rechts I S. 300. Hier ist der Eigentümer berechtigt , Ersatz zu fordern. B G B § 904 ist dem § 228 subsidiar.

D a der Ausschluss des Notwerrechts der beste Beweis für die Existenz eines N o t r e c h t s bildet, so erkennen die §§ 228 u. 904 ein solches an.

Nicht besteht es — von § 228 abgesehen — für die Fal le , wo gerettetes und geopfertes Gut gleichwertig sind. B G B sieht solchen

197 § 81.

Eingriff stets ais Grundlage eines Ersatzanspruchs an. Aber u n -v e r b o t e n i m S i n n e d e r D e l i k t s - L e h r e bleibt auch solcher Eingriff.

Sehr charakteristisch, aber nicht ganz unbedenklich ist die voli-standige Unabhangigkei t des Gefahrdeten und des Verletzenden von einander. L e t z t e r e r k a n n w i e b e i d e r N o t w e r d i e G e f a h r v o n s i c h o d e r j e d e m A n d e r n a b w e n d e n .

VI I I . . .Vg l . oben § 79 s. I 4 S. 188. 189. I X . Über Verschulden des Notstandes interessant und zutreíFend

RG IV V. 3. Jul i 1903 (E X X X V I S. 334 fiF.)

8 81. C. Anderweite in^yerbotene Handlnn^en, B 55. M 38. Bdg, H 154. Bdg, L I 2. Aufl. 15. MI 58. Li 35. WV 63. 67. K 15. Fi82. — E u d o l f M e r k e l , Die Kollision rechtmássiger Interessen. Strassburg 1895'. — A b e g g , GA XIII 1865 S...324ÍF. 385 íF. — Ders . , Untersuch. S. 116ff. — Zimmermann, Über straflose Totungen; GS XXIV 1883 S. 266ff. — F i n k e l n b u r g , s. v. Perforation in HRLex. III 1 S. 33. 34. — Ro te r i n g , Die chirurg. Operation; G-A XXX 1882 S. 179ff. — K ü h n e r , Die Kunstfehler der Árzte vor dem Forum der Juristen. Frankfurt a. M. 1886. — H e i m b e r g e r , Über die Straflos. der Perforation. Diss. Berlin 1889. — Oppenhe im* , Das árztliche Recht zu korperl. Eingriffen an Kranken u. Gesunden. Basel 1892. — S t o o s s , Z f. Schweiz. StrR VI 1893 S. 53ff. (da-gegen Oppenhe im, das S. 332ff., dagegen S toos VII S. 192ff.). — B i t t m g e r , Zwei Fragen aus der Lehre v. Delikt ais rechts-widr. Handlnng. Diss. Aschaffenburg 1895 S. 35ff. — D i e t r i c h , Die Straflosigkeit árztl. Eingriffe. Diss. Fulda 1896. — B r o ñ ar de l , La responsabilité medícale. Paris 1896. — S t o o s s , Chirurg. Operat. u. árztl. Behandl. Berlin 1898 (dazu Oppenh e i m , KrVJSchr. XLI 1899 S. 552ff.; F i n g e r , Z f. StrRW XX S. 12 ff.). — V. L i l i e n t h a l , Die pflichtmáss. árztl. Handlung u. das Strafrecht (Festgaben für B e k k e r ) . Berlin 1899 S. 1 ff— H e i m b e r g e r , Strafrecht und Medizin. München 1899. — L a n d a u , Arzt und Kurpfuscher im Spiegel des Strafrechts. München 1899. — S t o o s s , DJZ IV 1899 S. 184ff. — R. S c h m i d t , Die strafrecht-liche Verantwortl. des Arztes für verletzende Eingriffe. Jena 1900. — R i e g e r , Die Castration in rechtl., sozialer u. vitaler Hinsicht. Jena 1900. — H e s s , Neue Thesen. Hamburg 1900 S. 52ff. — V. B a r , GS LX 1901 S. 81 ff. — Ders . , Medizin. Forsch. u. Strafrecht. In der Goett. Festschrift für Regelsberger 1901 S. 229 ff. — K a r d i n g , Straflose Korperverletzungen bei Bewegungsspielen. Freiburg i. Br. 1902 (dazu S t o o s s , Z f. Schweiz. StrR XV 1902 S. 333ff.). — S i p p e l , Über die Berecht. d. Vernicht. d. kindl. Lebens z. Rett. der Mutter. Tüb. 1902. — B e h r , Árztl.-operativer Eingriff u. Strafrecht. München 1902. — R o s e n t h a l , GS LXII 1903 S. 62ff. — B e h r , Medicin und Strafrecht, GS LXII 1903 S. 400ff. — B r ü c k m a n n , Zur strafrechtl. Verantwortl. des Arztes f. operative Eingriffe; Z f. StrRW XXIV 1904 S. 657 ff. — S p o h r , Strafrechtl. Verantwortl. f. árztl. Massnahmen; Z f. Schweiz. StrR XVIII 1905. — G r a f z . D o h n a , Rechtswidr. S. 95ff.

Es giebt noch eine ganze Anzahl von Handlungen, die sich, ob-schon sie mit Rechtsgütern in Kollision geraten, genau wie die mass-voUe Notstandsverletzung, sofern sie nicht Ausführung eines N o t -r e c h t e 8 ist, ais u n v e r b o t e n darstellen, obgleich die Gesetze ihrer

1 Es ist zu bedauem, dass R. M e r k e l für die Kategorie des Unverbotenen kein Verstándnis besitzt.

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§ 81 . 198

keine ErwHhnung tun, somit die genaue Umschreibung der unverbotenen Handlung mit 3chwierigkeiten verbunden ist.

Hierher gehoren I. d i e H a n d l u n g m i t b e w u s s t e m G e f a h r - R i s i k o , d i e

w e g e n i h r e r B e d e u t u n g f ü r d i e R e c h t s w e l t t r o t z i h r e r G e f a h r l i c h k e i t n i c h t z u u n t e r b l e i b e n h a t . Die rechtlich ganz unnütze Handlung muss regelmassig schon bei sehr geringer Gefahrlichkeit unterlassen werden; die für das Gemeinschaftsleben unentbehrliche wird durch grosses Gefahr-Risiko, j a selbst durch die Sicherheit, dass sie Einbussen von Rechtsgütern zur Folge haben wird, nicht zur unerlaubten. Navigare necesse est, vivere non necesse est! Zwischen beiden Pol -Pusk ten gilt es im Einzelfall das rechtliche Interesse an der Vornahme der Handlung gegen das Maass des ge-laufenen Risikos abzuwagen: solange jenes überwiegt, so. lange darf die Handlung trotz ihres vielleicht unglücklichen Ausganges ais deliktisch nicht betraehtet werden.

Man denke an Operationen im Kriege mit grosser Gewinn-Chance, aber auch einem grossen Maasse von Gefahr, an grosse Anlagen und Betriebe, deren Durchführung eine Anzahl von Menschenleben kosten wird, an die faktische Notwendigkeit für diejenigen, die ein Feuer loschen sollen — einerlei, ob sie einer Berufsfeuerwehr angehoren oder nicht —, den Zaun des Nachbarn einzureissen, die Spritze über seinen Acker zu fahren, dessen Wasserwerk zu benutzen, aber auch an kleinere Geschehnisse, die nach demselben Grundgedanken beurteilt werden miissen: an den Kutscher , der mit den jungen Pferden zum ersten Male auf der Strasse der Stadt fahren muss , an den Fuhr-knecht, der an Bauplatzen Ab- und Zufahrt nicht ohne starkes Peitschen seiner Pferde bewirken kann, u. s. w. — Hierher gehort ferner

I I . d e r z w e c k m a s s i g e a r z t l i c h e E i n g r i f f b e i M e n s c h u n d T i e r . Ich habe früher geglaubt , hier ein B e r u f s r e c h t d e s A r z t e s annehmen zu sollen. AUein, der arztliche Beruf ist bei uns freigegeben, und ein R e c h t zum arztlichen EingriíF besteht in der Tat nicht : denn der K r a n k e braucht ihn sich nicht gefallen zu lassen.

V o n j e h e r a b e r i s t d e r z u r R e t t u n g d e s L e b e n s o d e r d e r G e s u n d h e i t b e s t i m m t e , n a c h d e n w e c h s e l n d e n Z e i t -a n s c h a u u n g e n a i s z w e c k d i e n l i c h a n g e s e h e n e m a a s s -v o l l e E i n g r i f f — e i n e r l e i , w e r i h n g e m a c h t , e i n e r l e i , o b e r d e n b e z w e c k t e n E r f o l g e r r e i c h t l i a t o d e r n i c h t , — t r o t z s e i n e r G e f a h r l i c h k e i t g e b i l l i g t w o r d e n : der ver-standige Kampf gegen die Krankhe i t schmalert iíir das Gébiet, nutzt also der AUgemeinheit. Die unentbehrlichen Opfer müssen hin-genommen werden. Es gilt diess insbesondere auch von der in concreto notwendigen P e r f o r a t i o n .

Dieser Kampf hat seit einiger Zeit eine neue F o r m , d i e d e s V e r s u c h s d e r I m m u n i s i r u n g g e g e n d i e K r a n k h e i t , an-genommen. Die Immunisirungs-Handlung ist grade so unverboten wie die Heilhandlung.

Der zweckmassige arztliche Eingriff entbehrt objektiv des delikti-schen Charakters , er verliert ihn nicht erst durch Einwilligung dessen.

199 § 82.

nn dem er eemacht wird oder dessen gesetzlichen Vertreters (s. RG I I I V 31 . Mai 1894 u. v. 10. April 1905; E X X V S. 375 ff.; X X X V I H S. 34 ff.) und kann desshalb nicht durch mangelnde Einwill igung des Kranken oder seines gesetzlichen Vertreters zur K V werden.

I I I . D i e V i v i s e k t i o n T i e r e n , s o w e i t s i e z u r w i s s e n -s c h a f t l i c h e n F o r s c h u n g n o t w e n d i g i s t .

In alien diesen Fallen kann man mit R u d o l f M e r k e l von der Durchführung des „ P r i n z i p s d e s ü b e r w i e g e n d e n I n t e r e s s e s " sprechen.

8 82 D. Anderweite Austtbung cines Spezialrechts. BGrB § 229. — B 55. ^ • M 38. Bdg, H 153—155. MI 58. Li 35. WV 63. 67. K 16 Fi

78 79. 80. Schaper bei HH II S. 125. — v. A l b e r t i , Eigen-máchtige Unrechts-Hemung, abgesehen von Notwehr und Notwehr-hülfe. Stuttgart 1904. — Über das Züchtigungsrecht, bes d. Lehrers: F r e u d e n s t e i n , Das Erziehungsstrafrecht in Haus u. Schule. Minden 1882; S c h w a r z e , GS 1878 S. 597 íF.; K ü b e l , Württemb. aerichtsblatt XIII S. 355 ff. Vgl. das. S. 314 ff. u. Anonymus S 4l3ff.-, Se i t z , Magazin f. Deutsches Eecht VIII 1888 S. 271 ff; K e s s l e r , GS XLI 1.889 S. 161 ff.; F i n g e r , Das Züchtigungsrecht u dess. Missbrauch. (Sep.-Abdr. aus den Wiener Jurist. Bláttern. Wien 1888); S t e n g l e i n , GS XLII 1889 S. Iff.; R i e k e r , Zeit-schr. f. freiw. Gerichtsbarkeit, 1890 S. 19ff.; S i e g e r , Das korp. Züchtigungsrecht der Lehrer, in Bosche r s Zeitschr. f. frei'will. Gerichtsbarkeit, Jahrg. 32, Stuttg. 1890 S. 824ff.; K o s t e r u s , Das Züchtigungsrecht des Lehrers wáhrend des Mittelalters, in R a i d s Frank£ zeitgemáss. Brochüren. NF XI Heft 10. Frankf. a./M. 1891(?); Ortloff , Die Ueberschreit. d. Züchtigungsrechtes. Neu-wied-Leipzig 1891; H u b r i c h , GS XLVI 1892 S. 101 ff.; N u s s -b a u m , Das Züchtigungsrecht der Dienstherrschaft; Z f. StrRW XX 1900 S. 413ff.; H a v e n s t e i n , Züchtigungsrecht der Lehrer; GA LI 1904 S. 241 ff.; B e z o l d , Das Züchtigungsrecht in der bayrischen Volksschule. München 1906. —S. ferner van C a l k e r , Das Recht des Militárs zum administrativen Waffengebrauch. München 1888. — M a p p e s , Über d. Recht des Waffengebrauchs durch die staatl. Vollzugsorgane. Diss. 1892. — D e l i u s , Über das Recht der VoUzugsoeamten und des Militárs z. administr. Waffengebrauch; AÓR XI 1896 S 84ff". — E n d e r s , Der mili-tárische Waffengebrauch. Berlin 1903.

Hierher gehort unter anderem: I . a l i e e r l a u b t e E i g e n m a c h t , s o w e i t s i e n i c h t V e r -

l e t z u n g i n N o t s t a n d o d e r N o t w e r i s t . S. insbes. 1 10 § 16 D quae in fraudem creditor. 4 2 , 8 ; T . D . de arbor. caed. 43, 2 7 ; B G B §§ 229. 910. 962. Vgl. W á c h t e r , Wür t temb. Pr iva t recht I I I S. 402 ff.; S e e g e r , Abhandl . I S. 284, und das W e r k von W e n d t , Das Faustrecht . J ena 1883. — Über unerlaubte u. erlaubte Selbst-hülfe s. neuerd, L a u t e r b u r g , Die unerlaubte Selbshülfe mit bes. Beziehung auf das Strafrecht der Schweiz; Z f. Schweiz. StrR I S. 97 ff.; I I S. 153 ff.; K u l e m a n n , Z f. S t rRW X I 1891 S. 329 ff.; B ü c k i n g , Ueber die strafrechtl. Bedeutung der Selbsthilfe. Diss, Stut tgar t 1892; H o y e r , Arch. f. bürg . Recht, herausg. v. K o h l e r u. A. X I X 1901 S. 38 ff.; F r i e d e m a n n , Die Selbsthilfe in histor. dogmaí. Dar-stellung. Berlin 1898; H e y e r , Die Selbsthülfe nach dem B G B . Berlin 19()1 — s . auch die Li teratur über den Notstand nach B G B zu § 80.

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§ 82. 200 201 § 83.

Man denke auch an das Prisenrecht. S. Ges., betr. die Prisengerichts-barkeit. Vom 3. Mai 1884. — Insbesondere

II. d i e P r i v a t p f a n d u n g . EBGB Art. 89. S. S t o b b e , Deutsches Privatrecht I 3. Aufl, S. 661 fí". 5 G i e r k e, Deutsches Privatrecht I S. 336 ÍF. — und

III. a l i e d i e j e n i g e n E r m a c h t i g u n g e n u n d R e c h t e , d i e d e r B e r u f g i e b t . S. v. L i s z t S. 152 fF.; F i n g e r I S.-401 ff. — Ihre erschopfende Aufzáhlung ist unmoglich, das einschlagende Recht wieder grossenteils ungeschriebenes, d. h. inhaltlich sehr schwer ganz genau festzustellendes Recht. Sie beschranken das Gebiet der aller-verschiedenartigsten Delikte: der T o t u n g (Berufsrecht des Soldaten zur Kriegszeit, s. auch u. § 83 I), der K o r p e r v e r l e t z u n g (man denke an die Rechte der Militarpersonen und der Vollzugsbeamten zum Waffengebrauche; s, auch unten sub IV), der B e l e i d i g u n g (s. StrGB § 193 u. unten sub IV; man denke auch an die wirklichen Berufsrechte der Parlamentarier, die ihnen, abgesehen von ihren Privilegien, von denen unter § 84 zu handeln ist, zustehen), der S a c h -b e s c h a d i g u n g (man denke an die mannigfachen Zerstorungsrechte, die Behorden eingeraumt werden; s. z. B. Rayongesetz v. 21. Dez. 1871 §§ 32. 43; Kriegshafengesetz v. 19. Juui 1883 § 4 ; Reblaus-verord. v. 4. Juli 1883 § 6; Ges. geg. gemeingefáhrl. Krankh. v. 30. Juni 1900 § 19; SeemO. 2. Juni 1902 § 87. 88), der N o t i g u n g und der F r e i h e i t s b e r a u b u n g (s. z. B. das Ges. v. 30. Juni 1900 §§ 12. 14; SeemO. § 127), des H a u s f r i e d e n s b r u c h e s (man denke beispielsweise an das Recht der Fabrikinspektoren: GewO Fass. V. 26. Juli 1900 § 139 b) u. s. w. — S. auch beispielsweise Ü b e r -e i n k u n f t z w i s c h e n D e u t s c h l a n d u n d d e r S c h w e i z V. 29. Febr. 1884 A. 2 : „Die vorstehend bezeichneten Personen sollen bei der Ausübung ihres Berufes in dem anderen Lande zur Selbst-verabreichung von Arzneimitteln an die Kranken, abgesehen von dem Falle drohender Lebensgefahr, nicht befugt sein." — Besonders wichtig aus dieser Gruppe ist

IV. d a s R e c h t z u r A u s ü b u n g e i n e r P r i v a t - o d e r D í s -c i p l i n a r g e w a l t . S. SeemO v. 2. Juni 1902 § 84: „Der Schiífs-mann ist der Disziplinargewalt des Kapitans unterworfen." Vgl. § 91, bes. Abs. 2: „Bei einer Widersetzlichkeit oder bei beharrlichem Un-gehorsam ist der Kapitán zur Anwendung aller Mittel befugt, welche erforderlich sind, um seinen Befehlen Gehorsam zu verschaffen". . . . — Ges., betr. die . . . Mitnahme hülfsbedürftiger Seeleute, v. 2. Juni 1902 § 4 . — GewO. Fassung v. 26. Juli 1900, § 127 a: „Der Lehrlíng ist der váterlichen Zucht des Lehrherrn unterworfen . . . Uber-massige und unanstándige Züchtigungen, sowie jede die Gesund-heit des Lehrlings gefáhrdende Behandlung sind verboten." Vgl. die §§ 134. 154. — BGB § 1631 Abs. 2: „Der Vater kann kraft des Erziehungsrechtes angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden;" EG A. 95 Abs. 3 : „Ein Züchtigungsrecht steht dem Dienstberechtigten dem Gesinde gegenüber nicht zu." — Das Recht zur Disziplinirung geht aber weit über den Umfang seiner Anerkennung in den ge-schriebenen Quellen hinaus. S. auch RG III v. 10. April 1902

(E XXXV S. 182 ff.). So wird man nicht leugnen konnen, dass einer zuchtlosen Jugend gegenüber, die Ungebühr treibt, Jeder ais negotiorura gestor der Gesellschaft in gewissem Umfang das Recht disziplinarischen Einschreitens besitzt. Ein roher Bengel unter 12 Jahren hat auf ofFener Strasse seine kleine Schwester arg misshandelt oder, wie ich es vor kurzem selbst beobachtet, einem alteren Mádchen ins Gesicht ge-spuckt. Ganz verfehlt ist, dieses Züchtigungsrecht auf die vermutete Einwilligung der Eltern zu stützen. Diese sind ja oft noch viel schlechter wie ihre Kinder. — Vgl. auch H. S e u f f e r t , Anarchismus S. 5 (de lege ferenda). Sehr richtig bemerkt übrigens 1 6 D ad leg. Aq. 9, 2: praeceptoris enim nimia saevitia culpae adsignatur.

V. D a s F e s t n e h m e n v o n V e r b r e c h e r n a u f f r i s c h e r T a t . StrPO § 127: „Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, 80 ist, wenn er der Flucht verdáchtig ist oder seine Per-sonlichkeit nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterlichen Befehl vorlaufig festzunehmen." S. auch SeemO. v. 2. Juni 1902 § 127.

8 83. E. Rechtspflicht und bindender Befehl. MGB § 47, vgl. 48. — B 56. Bdg, H 154. 155. Sch 36. M 38. MI 58. Li 35. WV 67. G 90. L 47. 49. WH 53. K 15. Fi 81. Schaper bei HH II S. 122—125.

Henke, Handbuch I S. 241 ff. — Abegg, Untersuch. S. 90ff. — Luden, Abhandl. II S. 511—517. — Brauer , Der dienstl. Befehl zu Verbrechen ais Grund der Straflosigkeit: GS 1856 I S. 381 bis 398. — van Calker, Die strafrechtl. Verantwortl. für auf Befehl begangene Handlungen, insbes. nach Militárstrafrecht. München und Leipzig 1891. — Bauer bei Hir th , Annalen 1902 S. 886ff. - Girginoff, Der bindende Befehl im Strafrecht. (Gute Diss.) Boma-Leipzig 1904. — Vgl. auch v. Kostiz-Wallwitz, Das militar. Delikt des Ungehorsams. Gute Diss. Leipzig 1905. — Zu MGB § 47 8. auch Bdg, N II S. 469-471; H e c k e r , GA XXX 1882 S. 120 ff. — Vgl. femer Lab and, Staatsrecht 4. Aufl. I S 430ff.; Freund, AÓR I 1886 S. 108ff. 355ff. — O. Mayer, Verwaltungsrecht II S. 234 ff. — S. auch die Literatur zu § 82. — Beachtlich RG II v. 4. Juli 1882 (E VI S. 439 ff.).

I. P a u l u s in 1 169 pr D, de R. J . : ejus vero nulla culpa est, cui parere necesse sit. U l p i a n in 1 4 eod,: velle non creditur, qui obsequitur imperio patris vel domini. A l f e n u s in 1 20 D de obl. et act. 44, 7: servus non in ómnibus rebus sine poena domino dicto audiens esse solet, sicuti si dominus hominem occidere aut furtum alicui faceré servum jussisset. Vgl. 1 167 § 1 eod.-, I 15 § 3 D de lege Cornel. 48, 10; Bdg, N II S. 282. S. auch can. 13 Causa 23 qu. 5 : Miles, cum obediens potestati, sub qua legitime constitutus est, hominem occidit, nulla civitatis suae lege reus est homicidii; imo nisi fecerit, reus est imperii deserti atque contemti. Quod si sua sponte atque auctoritate fecisset, in crimen effusi humani sanguinis incidisset. Itaque. unde punitur, si fecerit injussus, inde punietur, nisi fecerit jussus.

II. In interessanter Allgemeinheit spricht der Code penal A. 327: jl n 'y a ni crime ni délit, lorsque l'homicide, les blessures, et les coups étaient ordonnés par la loi et commandés par l'autorité legitime.

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§ 84. 202 203 § 85.

§ 84. IV. Privilegium der StrafJosiffkeit TOII Delikten (Privileg der Fürsten, der Abgeordneten und der Berichterstatter über Reichstags- und Land-tagsverhandlungen). lieichsverf. A. 22. 30 (wortlich = Eeíchsverfass V. 1849 § 120). StrG-B §§ 11. 12. — B 128. M 17. Bdg, H 140—142. Mi 106. Li 24. 35. WV 34. Fi 86-88. 90. v. Bar I 103—122.

Gerau* , Z f. Civilrecht u. Prozess NF I S. 25 fF. — L a p p e n -b e r g , Die Privilegien d. Parlamentsmitglieder. Hamburg 1849. — H e r r m a n n , Über die strafrechtliche Verántwortlicbkeit der Mitglieder der Stándeversammlung: ANF 1853 S. 341 ff. — v. Ba r , Die Eede-freiheit der Mitglieder gesetzgebender Versammiuugen. Leipzig 1868. — H a a g e r , GS 1873 S. 267 ff. — H e i n z e * , Die Straflosigk. parlamentar. Eechtsverletzungen. Stuttgart 1879. — S oh le i d e n , Die Disciplinar- u. Strafgewalt parlamentarischer Versammlungen üb. i, Mitglieder. 2 Hefte. Berlin 1879. — Z i m m e r m a n n , GA XXXI 1883 8. 197 ff.; XXXII S. 313 ff. — v. K i s s l i n g , Die Unverantwortlichkeit der Abgeordneten und der Schutz gegen Missbrauch derselben 2. Aufl. Wien 1885. — Z a c h a r i a e , Über Art. 84 der preuss. Verfassungs-iirkunde. Leipzig 1866. — B á h r , Preuss. Jahrb. XXI 1868 S. 113ff. — S t o b e r , Die parlam. Immunitát des Landesausschusses für Elsass-Lothringeu; AÓR I 1886 S. 623 ff. — J o h n , HRLex. s. v. Redefrei-heit III S 312ff. - F u l d , GS XXXV 1883 S. 529ff. — Ders . , Hirths Annalen 1887 S. 251 ff'. — D e r s . , AOR IV 1889 S. 341 ff. 495ff. — Meves , GA XXXIX 1891 S. 147ff. — Se id le r , Die Immunitát der Mitglieder der Vertretungskorper nach osterreich. Rechte. Leipzig u. Wien 1891. — S o n n t a g , Der besondere Schutz der Mitglieder des deutschen Reichstags u. der deutschen Landtage gegen Strafverfolg. u. Verhaftung. Breslau 1895. — S l á d e í e c k , Über die Immunitát der parlamentar. Reden u. der parlament. Berichterstatter; Z f. StrRW XVI 1896 S. 127 ff. — Zeller,.Immunitát der Landtagsabgeordn. n. d. hess. Verfassungsurkunde; AÓR Xí 1896 S. 420 ff.—Hubrich, Immunitát der parlamentarischen Berichterstattung, bei Hirth Annalen i897 S. 1 ff. — D e r s , Parlamentar Immunitát u. Beamtendisciplin. Berlin 1900.^ B e l i n g , Die strafrechtl. Bedeut. der Exterritorialitát. Breslau 1896. — S c h w e d l e r , Parlamentar. Rechtsverletzungen u. deutsch. Reichs-recht. Breslau 1898. — Mar t i n i , Der Inhalt der parlamentar. Ver-antwortl. nach § 11 des deutschen RStrGB. Diss. Breslau 1898. — P ie per, Die Unverantwortlichkeit des Regenten. Berlin 1901. — V. M u r a l t , Die parlamentar. Immunitát in Deufschland u. der Schweiz. Zürich 1902.

Dritte Abteilung. Das Strafrecht nach Grund, Zweck, Inhalt, ümfang.

Erstes Eapitel. Grund und Zweck des Strafrechts.

Zu dem ganzen Abschnitte sind zu vergleichen H^ 2—5. 222—229, s. auch 6—8 und 9—16. B 3 -9 . Sch 14. 15. 21. 22. M 2. 3. MI 64—72. Li 13—16. 58. G 56. 114—116. H 4. 115-122 K* 114—123. L Einleitung 3—49. Heinze* in HH I S. 241—344 (vgl. HH II S. 431-438. 464-466). WB* I S. 10—56. WV 4—15. V. Bar I S. 201—361. Bdg, N I §§ 14 37—59. Fi 3—8. 86.

Ferner H e p p , Darstellung und Beurtheilung der deutschen Strafrechts-systeme. 2 Bde. 2. Aufl. Heidelberg 1843—1845. — D e r s , Über die Gei'echtig-keits- und Nutzungstheorieen des Auslandes. Das. 1834. — A b e g g * , Die ver-schiedenen Strafrechtstheorieen in ihrem Verháltnis zu einauder und zu dem positiven Rechte und dessen Geschichte. Neustadt a. d. Orla 1835. — B e r n e r , ANF 1845 S. 144 ff. — L a i s t n e r * , Das Recht in der Strafe. München 1872. — P r a n t l , KrV XV 1873 S. 422 ff. — S e b e r , Gründe und Zwecke der Strafe. Gottingen 1876. — P f e n n i n g e r , Der Begriff der Strafe. Untersucht an der Theorie des Hugo Grotius. Zürich 1877. — Z i e g l e r , Die Sicherungstheorieen; GS 1862 S. 3ff. — B i n d i n g , Das Problem der Strafe in der heutigen Wissen-schaft: bei G r ü n h u t IV 1877 S. 417—437, — H r e h o r o w i c z , Grundfragen

und Grundbegriffe des Strafrechts. J 63ff. (streng deterministisch). -— v. L i s z t , Der Zweckgedanke im Strafrecht: Z f. StrRW III S. 1 ff. Dazu v. B u r i , das. IV 1884 S. 185ff; Bened ik t , das. V S. 451 ff. — L a m m a s c h , Über Zwecke u. Mittel der Strafe, das. IX 1889 S. 423 ff. — J a n k a , Die Grundlagen d. Straf-schuld. Wien 1885. — F i n g e r , Begründ. des Strafrechts v. determin. Stand-punkte. Prag 1887. — K l i p p e l , Z f. StrRW X S. 534 ff. — K o h l e r , Das Wesen der Strafe. Würzburg 1888.— R. L o e n i n g , Ueber die Begründung des Strafrechts. Jena 1889. — Seeger , Die Strafrechtstheorieen Kants und seiner Nachfolger. Tübingen 1892. — Merke l* , Vergeltungsidee u Zweckgedanke im Strafrecht. In der Strassb. Festgabe zu Jherings Doktorjubiláum. Strassburg 1892. (Vgl. dazu L i e p m a n n , Z f. StrRW XVlf S. 689 ff.) — S t e r n a u , Eine Strafrechtstheorie. Berlin 1893. — Richa rd Schmidt* , Die Aufgaben der Strafrechtspflege. Leipz. 1895 (dazu L a m m a s c h , Z f. StrRW XV 1895 S. 633 ff). — V. B a r , Probleme des Strafrechts. Gott. 1896. - H. Seu f fe r t , Was will, wás wirkt, was solí die staatliche Strafe? Bonn 1897 — Oetker* , Z f. StrRW XVII 1897 S. 493 ff. — K r a u s , Z f. Schweiz. StrR X 1897 S. 290 ff. — NieuAvenhuis, Het wezen der straf. Groningen 1899. — L i e p mann a. a. O. S. 188ff. — N e t t e r , Das Prinzip der VervoUkommnung ais Grund-lage der Strafrechtsreform. Berlin 1900. — W a c h * , Die kriminal. Schulen ü. die Strafrechtsreform. Leipzig 1902. — H e i m b e r g e r , Der. Begriff der Ge-rechtigkeit im Strafrecht. Leipzig 1903. — K o h l r a u s c h , Über deskriptive u. normative Elemente im Vergeltungsbegriff des Strafrechts (aus „Zur Ernine-rung an Imm. Kant". Halle 1904. S. 26 ff). — J. S t e r n , Über d. Begriff der Vergeltung; Z f. StrRW XXIV 1904 S. 35ff. - B i r k m e y e r , GA XLVIII 1901. S. 67 ff. — Ders . , Schutzstrafe und Vergeltungsstrafe; GS LXVII 1906 S. 401 ff. -Ders.*, Was bleibt nach v. Liszt von dem Strafrecht übrig? München 1906. — Ders . , Strafe u. sichemde Massnahmen. Rektoratsrede. München 1906. — S. auch L a as , Vergeltung und Zurechnung; Vierteljahrsschrift für wissenschaftl. Philosophie von A v e n a r i u s V 137 ff". 296 ff. 448 ff.; VI S. 187 ff. 295 ff.; H e y m a n s , über dens. Gegenstand, das. VII S 439 ff; VIH S. 95 ff. 193 ff. 341 ff. 438 ff ; G ü n t h e r , Die Idee der Wiedervergeltung in d. Gesch. u. Philos. des Strafrechts I II III 1. Erlangeu 1889 — 1895 (wird leider dem Avundervollen Thema nicht gerecht). — Interessant F e r r i , Das Verbrechen ais sociale Er-scheinung. Deutsch von Kurella. Leipzig 1896.

§ 85. I . Der Gegensatz der Straftheorieen. Über den Grund des subjektiven Strafrechts und über Begriff

und Zweck der Strafe sind von Platón und Aristóteles an bis auf die neueste Zeit fast zahllose Theorieen aufgestellt worden. So verschieden sie auch sind, keine ist darun te r , die der Strafe nicht einen Zweck gegeben hatte. Die angeblich neu erfundene „Zweckstrafe" (s. v. L i s z t , Leh rb . § 13) ist natürlich so alt wie die Strafe selbst und ihre Theorieen. In sehr vielen von ihnen — auch in solchen, die einander widersprechen — steckt ein Kern ewiger Wahrhei t . Ihre Mangel gründen zu nicht kleinem Teile in der menschlichen Unzulanglichkeit, grossen Wahrhei ten den erschopfenden Ausdruck zu geben. Das dauernde Ringen des Menschengeschlechts nach ihrer Erfassung wie Fassung gewahrt einen ergreifenden Anblick. S e h r m e r k w ü r d i g i s t a b e r d i e B e o b a c h t u n g , w i e w e n i g f a s t a l i e T h e o r i e e n b e m ü h t s i n d , d i e E r s c h e i n u n g e n d e s w i r k l i c h e n R e c h t s -l e b e n s z u e r k l a r e n u n d i h n e n g e r e c h t z u w e r d e n ^ .

Darin Hegt ein zweiter Teil ihrer Schwáche. F a s t a l i e s i n d T h e o r i e e n n i c h t d e r w i r k l i c h e n , s o n d e r n e i n e r i m a g i -

1 Typisch dafür neuerdings wieder L i p s, Der Begriff der Strafe, MonSchr. f. Kriminalpsych. III S. 279 ff.

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§ 85. 204 205 § 85.

n a r e n S t r a f e , w i e s i e d e r U r h e b e r d e r T h e o r i e i n d i e i d é a l e R e c h t s o r d n u n g e i n f ü g t , d e r e n E r b a u e r e r i s t ^ . In ihrer Gesinnung gegenüber dem positiven Rechte aber unterscheiden sie sich: entweder sie ignoriren es vornehm, oder aber sie befehden es leidenschaftlich, indem sie das angebliche Strafrecht der Zukunft antecipiren. Seit der Mitte des 18. Jahrfaunderts und auch heute wieder in unserer Zei t , in der ein ebenso flacher wie aumasslicheí Materialismus reichen Anhang findet, ist es besonders die relative Theorie — auf die j a notgedrungen jede materialístische Weltauffassung mündet —, von der diese Fehde erhoben wird. D a gerade sie so gern und so leidenschaftlich ihre realistische Natur behauptet , ist zu betonen notig, d a s s s i e d a s g e r a d e G e g e n t e i l e i n e r w i s s e n -s c h a f t l i c h e n E r k l a r u n g d e r G r e s c h i c h t e , d e s g e l t e n d e n R e c h t s u n d s e i n e r I n s t i t u t e d a r s t e l l t , d a s s s i e v i e l m e h r n i c h t s A n d e r e s a i s n a t u r r e c h t l i c h e P h i l o s o p h i e i s t ^ .

Diess gilt natürlich noch mehr von ihren modernsteij Aus-wüchsen, die den ganzen Begriff der Strafe verwerfen und sie ersetzen wollen durch eine „Behandlung", welcher Narren und Geistesgesünde, sofern sie sich ais „soziale Schftdlinge (!)" darstellen, gleichmassig zu unterwerfen sind, für welche „Behandlung" aber der Ñame „Strafe" per nefas beibehalten wird.

Alie aufgestellten Theorieen aber , sofern sie an dem Begriffe der Strafe festhalten, lassen sich auf wenige verschiedene Grund-gedanken zurückführen ^.

I. D a s D e l i k t i s t n i c h t n u r V o r a u s s e t z u n g , s o n d e r n d e r G r u n d d e r S t r a f e , d i e s i c h a l s o i h r e r s e i t s a i s R e c h t s -f o l g e d e s U n r e c h t s u n d n u r a i s s o l c h e d a r s t e l l t , Sie wird verhángt : quia peccatum est. Alie Theorieen dieses Grundgedankens heissen a b s o l u t e T h e o r i e e n . Ihnen ist es an erster Stelle darum zu tun, den Ursprung der Strafe zu erklaren, den Folgezusammenhang

}_ Gut darüber L iepmann , Einleit. S. 188 ff. Zu keiner Zeit aber war der Ubermut des Dilettantismus in kenntnisloser Aburteilung des geltenden Bechts grosser ais heute!

2 Man vergl. beispielsweise die Ausführungen L a m m a s c h s , der aber durchaus kein Materialist ist, Z f. StrRW IX S. 423 íF., u. v. L i s z t s Lehrb. S. 64 ff., wo jede Herausstellung des Strafzweckes aus dem geltenden Bechte sórgsam vermieden wird. — Den p o s i t i v r ech t l i chen A u s g a n g s p u n k t h a t u n s e r S t r a f v o l l s t r e c k u n g s v e r f a h r e n zu b i l d e n . Allein dem wird fast nirgends entsprochen! Weist irgend Etwas darauf hin, dass die Strafe nach Auifassung des positiven Rechts ihren Zweck nicht dadurch erfüUt, dass sie zu-gefügt wird ? Endet die Strafvollstreckung, weil nach Auffassung des Staats ihr Zweck erreicht ist? Oder bildet sie bestimmungsgemáss ein Práludium zu einem unmassgeblichen Versuche der Forderung von Zwecken jenseits des Straf-voUzugs, von denen der Staat weiss, dass er sie nie erreichen, von den en er nicht weiss, ob er die Annáherung an sie durch die konkrete Strafzufügung fbrdern wird? Und wo macht er die geringste Andeutung über diese jenseits der Strafvollstreckung liegenden Zwecke ? S. über diese, wie ich glaube, juriatisch exakte Fragestellung, über deren exakte BeantWortung kaum ein Zweifel sein kann, Normen I 2. Aufl. S. 412 ff. u. unten S. 234. 235.

8 Die Unterscheidung der absoluten u, der relativen Theorieen wird neuer-dings vielfach angefochten, so auch wieder von R. Schmidt , Aufgaben S. 40 n. 1. Allein zwei fundamental verschiedene Grundauffassungen über das Verháltnis von Delikt u. Strafe sind doch unleugbar vorhanden.

von Schuld und Strafe. Den nachsten Zweck der Strafe finden sie alie dar in , dass der Schuldige von ihr getroffen wird. In der Auffassung der W i r k u n g , welche der StrafvoUzug gegen den Schuldigen üben solí, gehen sie auseinander. Ganz unwesentlich für sie ist die allcrdings ofter mit ihnen verbundene falsche Ansicht : die Strafe sei die n o t w e n d i g e , also u n a u s b l e i b l i c h e F o l g e des Delikts .

Alie absoluten Theorieen teilen sich aber bezüglich ihrer Auffassung von dem weiteren Z w e c k der Strafe in zwei L a g e r :

A. D i e S t r a f e s o l í e n t w e d e r d a s g e s c h e h e n e U n -r e c h t w i e d e r g u t m a c h e n , h e i l e n , s ü h n e n , r e p a r i r e n . Das Verbrechen erscheint dann ais reparabel, ais eine Ar t des wieder-herstellbaren Schadens; die Strafe wird dem Schadenersatz gleichartig ( W e l c k e r - H e p p ) ; sie ist Erlosung vom Übel und selbst kein Übel. Man kann diese Theorieen H e i l u n g s t h e o r i e e n nennen (s. § 86).

B. O d e r d i e S t r a f e s o l í d a s g e s c h e h e n e U n r e c h t v e r g e l t e n o d e r — ein genauerer jurist ischer Ausdruck für den gleichen Gedanken — G e n u g t u u n g d a f ü r n e h m e n , das heisst d i e R e c h t s h e r r l i c h k e i t a m D e l i n q u e n t e n b e w á h r e n . Das Verbrechen erscheint ais irreparabler Rechtsbruch , die Strafe vom Schadenersatz wesentlich verschieden, wenn man nicht mit M e r k e l und H e i n z e den Schadenersatz der Strafe einordnet (Gegenstück zur Ansicht W e l c k e r s ) . Die Strafe ist nicht nur nicht Erlosung vom Übel, sondern für den Strafl ing selbst ein Übel. V e r g e l t u n g s - o d e r G e n u g t u u n g s t h e o r i e e n . Ihr Grundgedanke wird indessen ofter mit dem der Hei lung Und Wiederherstellung in der Weise kombinirt , dass in der Genugtuung zugleich eine Heilung irgend welcher Art enthalten sein solí. — Die Vergeltungstheorieen unterscheiden sich aber wieder in ihrer Auffassung des AngriíFsobjekts für das Verbrechen und somit auch des Subjekts, welchem die Genugtuung zu leisten ist.

1. Verbrechen ist Bruch der gottlichen Gebote ; die Gottheit übt durch ihren Vertre ter ihr Vergel tungsrecht : G o t t l i c h e V e r g e l t u n g s t h e o r i e e n (s. § 87).

2. Verbrechen ist Bruch der sittlichen Ordnung , die Strafe Vergeltung von Sittlichkeits wegen : S i t t l i c h e V e r g e l t u n g s t h e o r i e e n (s. § 88).

3. D a s V e r b r e c h e n i s t U n r e c h t , d i e S t r a f e V e r g e l t u n g v e n R e c h t s w e g e n : R e c h t l i c h e V e r g e l t u n g s t h e o r i e e n (s. § 89),

F ü r alie absoluten Theorieen gilt n u n : A. Zu folgerichtigen Resultaten über das Subjek t , dem das

Strafrecht zusteht, kommen nur die rechtlichen Vergeltungstheorieen. Strafberechtigt ist nach ihnen der S t a a t . Alie anderen sind in der L a g e , die Strafgewalt auch der Kirche oder sittlichen Censoren oder der Schule oder irgend welchen Vereinen ebensogut wie dem Staate zuweisen zu konnen.

B . Die absoluten Theorieen unterscheiden sich darin, dass ein Teil von ihnen die Strafe ais n o t w e n d i g e Folge des Unrechts be-trachtet. Das Delikt zwingt dann den Trager der Staatsgewalt zu seiner Bestrafung. Ja , Manche, wie vor alien H e g e l , behaupten, die

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§ 85. 206 207 § 85.

Strafe sei die logische, also unmittelbare Folge des Delikts, und über-sehen dabei voUig, dass die Strafe nur nach einem Doppelakt des strafberechtigten Staates eintritt, dass ihr der Akt der Strafgesetz-gebung und der Akt der StraíVerfolgung, insbesondere das Urteil, voraufgehen muss, — Akte, zu denen der Staat nicht gezwungen werden kann, die er also freiwillig vornimmt.

Alie Theorieen aber von der Strafe ais notwendiger Delikts-Folge konnen die Tatsache, dass nicht alies Unrecht gestraft wird, mit ihrer Grundauffassung nur dadurch in Einkiang bringen, dass sie zwei wesentlich verschiedene Arten des Unrechtes annehmen, von denen nur die eine zum Tatbestand des Verbrechens ausreicht. D i e s e N o t w e n d i g k e i t s t h e o r i e e n bilden den Sitz der mannigfachen aber sámratlich verfehlten Versuche, alies Unrecht in die beiden wesentlich verschiedenen Arten des s t r a f b a r e n U n r e c h t s und des sog. C i v i l u n r e c h t s einzuteilen. Dem letzteren wurden dann auch die straflosen Delikte überwiesen. So haben die absoluten Theorieen reichlich Anlass genommen, sich mit dem Umfang des Gebietes der Straf barkeit und mit dem Verhaltnis. von Strafe und Schadenersatz zu bescháftigen¡ S. auch. oben S. 7 u. 8.

Alie Theorieen aber von der Strafe ais einer nicht notwendigen Folge des Delikts haben heute mit der Schwierigkeit zu kampfen, dass der Staat nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet ist, das Ver-brechen zu strat'en.

C, Manche Theorieen, welche die Unrichtigkeit jenes Ver-suches erkennen, leugnen die Existenz verschiedener Arten des Unrechts und langen fálschlich an bei der Behauptung einer wesent-lichen Gleichheit aller Unrechtstatbestande ( M e r k e l und H e i n z e ; s. unten § 91). Dann müssen Unrecht und Delikt zusammenfallen. Sofort aber müssen die Anhanger dieser Theorie darán Anstoss nehmen, dass das Unrecht trotz seiner Gleichheit zwei verschiedene Rechts-folgen haberi solí: Strafe und Schadenersatz, Und statt zu folgern: die Reparationsverbindlichkeit ist nicht Deliktsfolge, sagen sie: da gleiche Ursachen gleiche Folgen haben müssen, muss der Schadenersatz eine Art der Strafe sein.

Demnach giebt es nicht weniger ais drei verschiedene Erscheinungen auf strafrechtlichem Gebiete, von denen mindestens eine den verschiedenen Gruppen der absoluten Theorieen unerklarbar ist: d a s D a s e i n s t r a f l o s e r D e l i k t e , d a s D a s e i n e i n e r S t r a f -p f l i c h t , die V e r s c b i e d e n h e i t von S t r a f e und R e p a r a t i o n . So reicht keine der absoluten Theorieen für sich allein aus.

II. Die z w e i te G r u n d a u f f a s s u n g geht umgekehrt dahin: d a s D e l i k t i s t n u r V o r a u s s e t z u n g , n i c h t G r u n d d e r S t r a f e , v i e l m e h r n u r S y m p t o m für d a s V o r h a n d e n s e in e i n e s a u s s e r ihm l i e g e n d e n S t r a f g r u n d e s . Die Strafe ist hienach nicht Folge des Unrechts, sondern Miltel zur Beseitigung des Strafgrundes: sie wird verhangt nicht, quia peccatum est, sondern postquam peccatum est, ne peccetur. Diese Theorieen, deren Grund-gedanken schon alie bei den hellenischen Philosophen erscheinen, heissen r e l a t i v e T h e o r i e e n . Besonderen Aüfschwung erhielten

sie wieder durch die naturrechtliche Lehre von der Entstehung und dem Zwecke des Staates. Ist der Staat wirklich nur eine durch den Gesellschaftsvertrag zum Nutzen und Frommen der Gesellschaft ais der Summe der Einzelnen entstandene Anstalt, so giebt es nur e i n en Rechtfertigungsgrund für alie Massregeln des Staates, somit auch für seine Strafmassregeln: das ist der N u t z e n d e r s e l b e n für d i e G e s e l l s c h a f t u n d für d i e E i n z e l n e n . D i e S t r a f e w i r d M i t t e l z u r S i c h e r u n g u n d d a d u r c h z u r W o h l f a h r t d e r G e s e l l s c h a f t . Die in neuester Zeit sog. „Sicherungsstrafe" ist gar keine Strafe mehr: denn sie hat jeden Zusammenhang mit der Schuld verloren!

Einverstanden über den Zweck der Strafe, scheiden sich nun die relativen Theorieen be i d e r W a h l d e r M i t t e l zu diesem Zwecke. Bald soUte der Zweck erreicht werden durch A b s c h r e c k u n g vom V e r b r e c h e n , bald durch P r a v e n t i o n , bald durch B e s s e r u n g . Jede dieser Theorieen empfahl sich einzeln dadurch, dass sie guten Anhalt für die Wahl und den Massstab der Strafen zu gewahren schien, wahrendman imlS.Jahrhundert dieAbhülfe für die traurig schwankenden Zustande des Strafrechts gerade von der Philosophie, speziell der Straftheorie verlangen zu dürfen glaubte. Die relative Theorie konnte dieser Anforderung scheinbar weit besser entsprechen ais alie absoluten Theorieen mit Ausnahme der Talionstheorie, und so erklart sich die Vorliebe des endeuden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts für die so zahlreich auftauchenden relativen Theorieen.

Freilich traten ihre praktischen Konsequenzen in unlSsbaren Wider-spruch: denn die Abschreckungstheorie forderte andere Strafarten und anderes Strafmass ais die Besserungstheorie, und diese wieder andere ais die Praventionstheorie, und doch hatte jede Theorie gerade so viel Recht auf Herrschaft ais die andere. Aus diesem Widerspruche sich zu befreien konnte auch denen nicht gelingen, welche in ihrer Theorie mehrere relative Strafzwecke kumulirten, wie z. B. der Dañe O e r s t e d die Abschreckungs- mit der Praventionstheorie zu verbinden suchte.

Einen humoristischen Anflug haben diese Haufungsversuche neuer-dings dadurch erhalten, dass man die Verbrecher nicht nur katalogisirte, sondern auch so tat, ais liefen sie mit ihrem Gruppenstempel versehen für Jedermann kenntlich in der Welt herum, und nun die Strafzwecke nach der Gruppenbildung scharf diíFerenzirte. Dem „Gelegenheits-verbrecher" — spater wird er sehr drollig „Augenblicksverbrecher" genannt, obgleich dieser „Augenblick" recht lange dauern kann! — gegenüber A b s c h r e c k u n g , dem „angehenden Zustandsverbrecher" gegenüber B e s s e r u n g , dem „Gewohnheitsverbrecher" gegenüber U n s c h a d l i c h m a c h u n g : das sind die Strafzwecke des raodernen R e a l i s m u s . Der gemeinsame Zweck der Strafe geht dann hinter den Zwecken ihrer Arten vollstandig verloren. Damit ist der Straf-begriff gefallen, und drei ganz verschiedene Massnahmen werden mit demselben Worte bezeichnet^

1 Gut dagegen v. Bar , Probleme S. 10. — Tiefer ais die im Texte an-geführten Ausführuneen von Liszts (11. Aufl. S. 63 ff.; 14. u. 15. S. 76 íF.) sind aie Latnmaschs, Zf. StrRW IX S. 422, der mit zwei konstanten Strafzwecken

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§ 85. 208

Stellt man aber diese Versuche zu den sog. s y n k r e t i s t i s c h e n T h e o r i e e n (s. s. I I I und § 91), statt in ihnen komplizirtere relativa TLeorieen zu erblicken, so tut man jenen ihr Recht nicht, indem man sie ganz ausserlich auífasst.

Mit dem Zerfall der naturrechtlichen Staatsauffassung war zugleicb der in der neueren Zeit wiedergewonnene Sieg der absoluten über die relativen Theorieen entschieden. Auf ihren Boden haben sich auch alie deutschen Strafgesetzbücher dieses Jahrhunder t s gestellt, n a c h -d e m d i e p s y c h o l o g i s c h e Z w a n g s t h e o r i e b e i A n w e n d u n g d e s B a y r i s c h e n S t r G B s , wie vorauszusehen war , v o l l s t a n d i g e n S c h i f f b r u c h e r l i t t e n h a t t e : Es war diess der einzíge praktische Versuch, die Strafe ernsthaft in den Dienst der Sicherung der Gesell-schaft zu stelien. Es ist lehrreicber Weise ganzlich misslungen!

Soweit Wissenschaft und Gesetzgebung aber der relativen Theorie den Rücken wandten , haben sie ganz Recht darán getan. Denn bei aller Hochachtung vor dem Scharfsinn und der edlen Gesinnung gar mancher Anhanger der verschiedenen relativen Theorieen kann man sich deren wissenschaftliche Haltlosigkeit nicht verhehlen. Das Delikt ist danach nicht Grund , sondern nur notwendige Voraussetzung der Strafe, A b e r warum dies? Warum wird nur gestraft, n a c h d e m verbrochen i s t? Warum ist das Delikt das e i n z i g e Symptom, woraus die Gefahren der Gesellschaft e rkannt werden kSnnen? Wie kommt ferner die relativo Theorie dazu , den zu strafen, dessen Ta t nicht Strafgrund ist, dessen Ta t nur den wahren Strafgrund, die ünsicher-heit der Gesellschaft, enthüllt ha t ? Lage es nicht náher , ihm dafür den D a n k der Gesellschaft zu votiren? Ware es von diesem Stand-punkte nicht allein zulassig, das Verbrechen mit eíner Verbesserung der Schul- und Polizeieinríchtungen zu beantworten? Und wie kann es die relative Theorie rechtfertigen, den Delinquen ten, also doch einen Menschen, und nach manchen neueren Anschauungen einen vOllig schuldlosen Menschen, herabzuwürdigen ^um Objekt des Experiments , ob durch seine Bestrafung Quellen künftigen ünhei ls für andere, ihm

je einen von drei variabelen, einander ausschliessenden Zwecken (Abschreckung, Zucht, ünschádlichmachungj verbindet. F e r r i — weitaüs der bedeutendste Vertreter des modernen Radikalismus — stellt fünf Klassen von Verbrechern auf (s. Das Verbrechen ais soziale Erscheinung, deutsch von K u r e l l a , Leipz. 1896 S. 85: v e r b r e c h e r i s c h e I r r e (!), g e b o r e n e V e r b r e c h e r (!), V e r b r e c h e r aus e r w o r b e n e r Grewohnhei t , G e l e g e n h e i t s v e r b r e c h e r oder L e i d e n -s c h a f t s v e r b r ech er, und will die einzelnén „Abwehrmittel" jeder Klasse auf. den Leib passen. — Ascha f f enburg , ,Das Verbrechen u. s. Bekámpfung, sagt S. 177 ganz zutreffend: „.Tede Grruppenbildung hat etwas Grezwungenes", steflt aber doch S. 179 sieben Gíruppen auf: Z u f a l l s - , A f f e k t s - , G-elegenheits-, V o r b e d a c h t s - , E ü c k f a l l s - , G e w o h n b e i t s - und B e r u f s v e r b r e c h e r . (Granz besonders reizend finde ich die „Zufallsverbrecher" S. 179, das sind „soIche, die durch F a h r l á s s i g k e i t mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt kommen".) S. 223 will Asch. durch die Strafe eine grossere Rechtssicherheit herbeigeführt sehen — worin Jeder ihm beipflichten kann — „und zwar durch Abschreckung einerseits, Besserung und Unschádlichmachung andrerseits" — wobei das Grleiche nicht moglich ist. — Solche Gruppenbildung Kann jeder Soziologe machen, wie er will. Ver Versuch, ihr eine Gruppirung aer Verbrechensfolgen parallel gehen zu lassen, ist praktisch ganz undurcnführbar und führt zu den grossten Willkür-lichfceiten! S. auch Oe tke r , Z f StrEW XVII 1897 S. 574 ff.

209 § 85.

gleicTiwertige Menschen verstopft werden konnen? — noch dazu , da dieses Experiment in so vielen Fallen erfolglos verláuft, also die Strafe, deren einziger Rechtsgrund die Zweckmassigkeit sein solí, den ihr angedichteten Zweck verfehit! Endlich muss die relative Theorie konsequent bei dem Satze anlangen: nicht der Staat , sondern die bedrohten Gesellschaftskreise ohne Rücksicht auf die sie durch-schneidenden Staatsgrenzen müssen das Strafrecht besitzen, warend die Wirkl ichkei t das Gegenteil lehrt. Eine Strafrechtstheorie aber, die nicht zu sagen weiss, warum sie überhaupt s t r a f t , warum sie nur straff, nachdem verbrochen ist, warum sie d e n V e r b r e c h e r straft, obgleich dessen Tat den Rechtsgrund der Strafe nicht abgiebt, warum sie endlich zugiebt , dass d e r S t a a t den Verbrecher straft, — eine solche Theorie kann in unserer Wissenschaft eine Stelle nicht mehr beanspruchen ^.

I I I . Die d r i t t e G r u n d a u f f a s s u n g endlich stellt sich ais ein Ausbau der ersten, in ihrer zweiten Gestaít aber ais Verbindung der ersten und der zweiten dar. Sie geht dahin : d a s D e l i k t i s t s i n G r u n d u n d d i e V e r g e l t u n g e i n Z w e c k d e r S t r a f e , d i e

1 S. attch V. Ba r , Probl. S. 6. — Von diesen Sátzen über die relativen Theorieen habe ich keinen einzigen zu ándern gehabt, trotz der Polemík V. L i s z t s , Z f. StrEW III S. 1 ff. Dass die Strafe einen „Zweck" hat, hat in Wahrheit noch niemand geleugnet, und ich am allerwenigsten. Ja , mir kommt der Zweck, den v. L i s z t der Strafe giebt, der des Eechtsgüter- (besser des Normen-)Schutzes, nicht gerade fremd vor. S. m. Grundriss 2. Aufl. S. 114. D ie u n h e i l b a r e S c h w á c h e a l le r re in r e l a t i v e n T h e o r i e e n l i e g t w a h r -l i c h n ich t dar in , dass sie der S t r a f e e inen Z^veck g e b e n , s o n d e r n d a r i n , dass sie ihr in dem D e l i k t e den G r u n d nehmen, und dass sie sich dadurch das Verstándnis des wahren Strafzwecks unmoglich machen. Dass die relativen Theorieen alie neueren Untersuchungen über die Probleme der Strafe beherrschen (Lammasch, Z f. StrEW IX S. 424), ist schwer begreifliche Táuschung. Aber richtig ist, dass Hand in Hand mit dem Umsichgreifen des Materialismus auch die relative Theorie wieder mehr Anhánger gewinnt. Darum deren endgültigen Sieg in náchster Zeit prophezeien verrát wenig Vertrautheit mit der Geschichte welthistorischer Gegensátze. W e d e r d ie abso lu t e n o c h die r e l a t i v e Theor i e wird je verschAvinden, obschon m. E. letztere wissen-schaftlich ganz unhaltbar ist. Sie entspricht eben gewissen menschlichen Affekten, die nie ganz aussterben und ihren Inhabern die unbefangene wissenschaftliche Behandlung des Problems unmoglich machen werden.

Dass der ganze Angriff der modernen Zweckstrafe auf den Vergeltungs-gedanken sich auf grosse Missverstándnisse stützt, ha tMerke l , Vergeltungsidee und Zweckgedanke, meisterlich nachgewiesen. Noch eingehender ist dies von E. S c h m i d t , Aufgaben, geschehen. So beachtlich seine Untersuchungen über den Strafzweck sind, so wenig ist Schmid t im Eecht, wenn er sagt (S. 42), dass die Erorterungen über den Grund der Strafe für die heutige Theorie wertlos geworden seien. Treffend aber ist die Bemerkung (S. 134): „Das Sicberungs-strafensystem verschafft vins nur die quantitative Verstárkung anderer Massregeln, die uns ohnehin zur Bekámpfung des Verbrechens zu Gebote stehen, — das V er-geltungssystem dagegen gewáhrt uns einen selbstándigen Modus mehr, durch den wir der Ausbildung rechtswidriger Gesinnung entgegenarbeiten." Gegen E. Schmidts recht bedeukliche Identifizirung der Vergeltungsstrafe mit der Strafe im Sinne der General-Právention beachtlich L i e p m a n n , Einleit. S. 201 ff. Übrigens wird die Idee der Vergeltung, vielleicht die tiefste der Weltgeschichte, heutzutage oft so flach gefasst und gerade deshalb bekámpft —- auch von Mánnern der Wissenschaft! —, dass man sieh betroffen fragt, wie solche Flachheit sich in den Kampf wagen darf?

Bindiug, Strafrecht. Grundriss. 7. Aufl. 14

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§ 86. 210 I S i c h e r u n g d e r A u t o r i t á t d e r d u r c h das D e l i k t g e b r o c h e -11 en G e s e t z e o d e r a b e r d a s k ü n f t i g e W o h l d e r Gresell-s c h a f t d e r z w e i t e Z w e c k . Sog. s y n k r e t i s t i s c h e oder V e r -e i n i g u n g s t h e o r i e e n . Sofern sie die Strafe herabwürdigen zum Zwecke für fremde Wohlfahrt, leiden sie an unlosbarem Widerspruch; dagegen sind sie vollig berechtigt, wenn sie argumentiren: aus dem Delikte allein folgt nur ein St raf recht , keine Strafpf l i c h t ; denn die Strafe ist ein Übel auch für den Staat, was dieser nicht ohne zwingende Veranlassung auf sich nehmen darf. Diese zwingende Ver-anlassung kann in dem der Vergangenheit angehorenden Delikte nicht liegen. Es zwánge sonst ein erlittenes Übel den Staat, ein zweites Übel auf sich zu nehmen, warend der Staat dies doch nur dann tun darf, wenn ihm zwei Übel drohen, von denen er das grossere durch Wahl des kleineren abwenden kann. Die Strafe íindet also trotz ihrer Übelnatur ihre Rechtfertigung darin, dass sie ein grosseres Übel, welches die Straflosigkeit des Delikts erzeugen würde, abzuwenden bestimmt ist, s i e f i n d e t d i e s e R e c h t f e r t i g u n g dem S t a a t e g e g e n -ü b e r a u c h n u r d a r i n , w a r e n d s ie s i c h dera V e r b r e c h e r g e g e n ü b e r a l l e i n a u s s e i n e r T a t r e»ch t f e r t i g t . S. darüber unten § 92.

II. Die wichtigsten absoluten Theorieen. § 86. A. Die Heilnngstheorie.

Die Heilungs- unterscheidet sich von der Besserungstbeorie (§ 90 s. VI) dadurch, dass diese den V e r b r e c h e r , jene das V e r b r e c h e n durch die Strafe heilen will. Die Heilungstheorieen unterscheiden sich dadurch von einander, dass bald das gebrochene Récht, bald das durch das Verbrechen zerrissene oder gestorte Verhaltnis des Verbrechers zu Grott, zur Sittlichkeit oder zum Recht, bald die schlimmen Folgen des Verbrechens wiederhergestellt werden sollen. Diese Verschiedenheit veranschaulichen mogen die Reszissionstheorie von Ki tz (Das Prinzip der Strafe in seinem Ursprung aus der Sittlichkeit. 1874) — eine Theorie mit grossen wissenschaftlichen Mangeln und deshalb von P r a n t l , KrV XVI S. 260 íf., mit Recht streng getadelt, aber eine echte Heilungstheorie —, die Sühnungstheorie K o h l e r s (Das Wesen der Strafe. Würzbufg 1888), die K o h l e r selbst freilich (das. S. 20) ais eine Vereinigungstheorie bezeichnet, und ferner die durchdachte Theorie des sog. idealen Schadenersatzes von K. Th. W e l c k e r (Die letzten Gründe von Recht, Staat und Strafe. 1813 S. 189 íF. 249 íF.; dess. Encyklopadie. 1829 S. 573 ff.), welche hier ihres Grundgedankens wegen zu den absoluten Theorieen gestellt wird, obgleich sie in Wahr-heit eine synkretistische ist.

I. D i e R e s z i s s i b i l i t a t s t h e o r i e . Das Recht wurzelt nach Ki tz in der Sittlichkeit; es gilt daher, zu untersuchen, ob nicht schon in diesem Grundboden des Rechts „die Idee der Bestrafung seiner Verletzung wurzelt", mit andern Worten: ob nicht der StrafbegrifF schon aus dem Begriffe der ünsittlichkeit abzuleiten ist, Nun stammt das E t h o s in uns nicht aus der menschlichen Vernunft, sondern aus einem uns innewohnenden gottlichen Willen. Deshalb kann nur der

211 86.

Ungedanke fragen, ob die Auflehnung unseres Wiilens gegen diese hohere Autoritát indiíFerent sei und nicht vielmehr der Heilung bedürfe. Denn da in jedem S o l l e n die Verneinung seiner Vúrneinung geboten liegt, und zwar nicht bloss, wo die pflichtwidrige Handlung erst in der Verwirklichung begrifFen, sondern auch nachdem sie vollstandig voU-zogen ist, so fragt sich nur, ob „eine solche Zuwiderhandlung durch veranderte Willensbestimmung und ein dieser entsprechendes Handeln" wieder rückgangig gemacht werden kann? Nun ist zwar keine Tat-sache ungeschehen zu machen: „aber ihre Bedeutung kann durch eine andere Tatsache von entgegengesetzter Bedeutung wieder aufgehoben werden". Jede Zuwideriíandlung gegen das Ethos wird nun aber durch den „in unserem Natursein von der Lust angezogenen Willen erzeugt". Zu ihrer Rückgangigmachung kann nicht einfache Willensrücknahme genügen, sondern: „ist ein verwirklichter Wille das aufzuhebende plus, so kann das in entgegengesetzter Richtung paralysirende minus eben-falls nur ein verwirklichter Wille sein, und muss der letztere auch nicht bloss sein Absehen auf die Zukunft haben, sondern seine Richtung oder Beziehung zugleich auch auf dieselbe Tat nehmen, in welcher der erstere sich verwirklicht hat."

Dasjenige nun, was den Tater belastet, ist nicht die aussere Tatsache, sondern der in der Tat sich verwirklichende, durch die sinnliche Empfindung der Lust bestimmte Wille. „Das Entgegengesetzte der Befriedigung der Lust, das hier das plus aufhebende minus, ist aber die unsere Sinnlichkeit unangenehra afñzirende Empfindung oder die Ubernahroe eines entsprechenden Leidens." Dadurch wird die vom Ethos sich abwendende Bewegung des Eigenwillens durch Einschlagung der entgegengesetzten Richtung wieder rückgangig gemacht. „ Was der Wille gesündigt hat, das hat er gebüsst," „und damit hat er sich ais denjenigen wieder hergestellt, der er vor der Tat gewesen ist."

Es gilt nun, diese Theorie von der Strafe ais notwendige Folge a l l e r Ünsittlichkeit, welche mit dem Unrecht ais solchem gar nichts zu tun hat und seltsamerweise den Missetáter zum Vollstrecker erhált, auf das Gebiet des Rechts zu übertragen, wo nun nicht der Verbrecher sich selbst, sondern der Staat den Verbrecher straft. Das Recht emanirt nun nach K i t z aus der Sittlichkeit, aber grenzt sich gleichwol von ihr ab. Das Recht ist „die Freiheit des sittlichen Handelns". Unrecht liegt vor, wenn man mich zwingt oder hindert, zu tun, was icH solí. „Die Aufrechterhaltung der Freiheit des sittlichen Handelns wird nicht bloss für mich, sondern für alie und so auch für mich gewoUt."

„In diesem allseitig gesollten gegenseitigen Beistande zum Schutze des sittlichen Handelns begründet sich der Staat ais eine sittliche Not-wendigkeit." In diesem seinem Beruf wurzelt das staatliche Strafrecht, denn der Staat kann den Zuwiderhandlungen gegen diese Freiheit nicht anders und besser entgegentreten ais dadurch, dass er sie reszindirt. Nun ist allerdings die Heilung des Bruchs mit dem gottlichen Willen in dem Verbrecher bedingt sowol durch sein Leiden ais durch seine innere Umkehr. Obgleich aber der Staat wol ersteres, aber nicht letztere bewirken kann, so bleibt er doch verpflichtet, durch Leidenszufügung die Bewirkung dieser Umkehr zu versuchen. Die

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§ 86. 212

Strafe nun, in welcher dies am besten geschieht, ist die Freiheitsstrafe. Dagegen lásst sich die Todesstrafe mit solcher Reszissionstheorie nicht vereinigen.

II. D i e S c h m e r z t h e o r i e K o h l e r s . „Die Reaktion gegen das Unsittliche kaiin eine doppelte sein: ein Kampf gegen die primaren Schadlichkeiten desselben und ein Kampf gegen den Kern des Unsitt-lichen selbst und gegen diejenigen Schadlichkeiten, die es in seinem Schosse tragt. Dieser zweite Kampf ist der Kampf durch die Strafe. Gegen alie Unsittlichkeit ist Strafe moglich;" nicht gegen alie Unsitt-lichkeit, vielmehr nur gegen die Rechtswidrigkeit ist staatliche Strafe angemessen. Der Grund nun, dass die Zufügung eines Übels ais Gegengift wíder die Unsittlichkeit wirkt, liegt „in der sühnenden, reinigenden . . . weihevollen Kraft des Schmerzes". Die Bedeutung der Sühne besteht in der Lauterung und Reinigung, — und diese ist nicht nur LSuterung des Einzelnen, sondern der ganzen Menschheit.

III. D i e T h e o r i e d e s i d e a l e n S c h a d e n e r s a t z e s . Die Schuld ist nach W e l c k e r nicht nur VoraussetzuHg, sondern Sach-grund der Strafe. Auf dem ganzen Gebiete der Vernunft, also auch des Rechts, findet aber jede Handlung ihre Vernünftigkeit und Not-wendigkeit bloss in ihrem Z w e c k . Solí die Strafe nicht vernunftlos werden, so kann sie also nicht lediglich verhangt werden, quia peccatum est, sondern sie muss auch für Gegenwart und Zukunft einen ver-nünftigen Zweck für die Rechtsordnung verfolgen.

W i e n u n d i e W i e d e r a u f h e b u n g d e s m a t e r i e l l e n S c h a d e n s G e g e n s t a n d d e s C i v i l r e c h t e s , so i s t d i e Auf-h e b u n g d e s i n t e l l e k t u e l l e n S c h a d e n s G e g e n s t a n d d e s K r i m i n a 1 r e c h.t e s.

Der Verbi-echer richtet aber durch seine Tat in siebenfacher Rich-tung Schaden an, dem deshalb eine siebenfache Aufhebung zu teil werden muss. Die Strafe hat also sieben gerechte Zwecke.

1. Der Verbrecher beweist einen Mangel an Achtung eígener und fremder moralischer Würde. Strafzweck: m o r a l i s c l i e B e s s e -r u n g

2. Er beweist ein Ubermass sinnlicher Triebe. Strafzweck: p o l i t i s c h e B e s s e r u n g .

3. Beí den übrigen Bürgern erzeugt das Verbrechen Mangel an Zutrauen zum Verbrecher. Strafzweck: W i e d e r h e r s t e l l u n g d e s Z u t r a u e n s .

4. Nicht minder erzeugt es bei ihnen eine Storung ihres recht-lichen Willens und ihrer Achtung vor dem Recht, Strafzweck; W i e d e r h e r s t e l l u n g d e s r e c h t l i c h e n W i l l e n s be i d e n B ü r g e r n ü b e r h a u p t d u r c h A b s c h e u e r w e c k u n g v o r d e m V e r b r e c h e n .

5. Das Verbrechen enthált für den Verletzten eine grobe Ehr-verletzung, Strafzweck: W i e d e r h e r s t e l l u n g d e r E h r e u n d A c h t u n g d e s B e l e i d i g t e n .

6. Die Verletzung, die der Beleidigte erduldet, bringt dessen rechtlichen Willen zum Wanken, falls das Recht ihn im Stiche lasst. Strafzweck: s ü h n e n d e W i e d e r h e r s t e l l u n g d e r f r i e d l i c h e n

213 § 87.

W i l l e n s s t i m m u n g d e s B e l e i d i g t e n g e g e n d a s R e c h t u n d d e n V e r b r e c h e r .

7. Ais letzten Strafzweck führt endlich W e l c k e r an: R e i n i g u n g des S t a a t e s v o n d e m g a n z v e r d e r b l i c h e n M i t g l i e d e .

Diese Theorie übersieht den wesentlich beim Verbrechen Verletzten, den Staat, halt zufallige Wirkungen des Verbrechens, die fast alie fehlen konnen, für seine wesentlichen Folgen und verkennt den ganz fundamentalen Gegensatz von Strafe und Schadenersatz.

B. Die Vergeltungstheorieen. § 87. 1. Die Tlieorie der gSttlichen Vergeltung.

Nach S t a h l (Die Philosophie des Rechts. 4. Aufl. II 1 S. 160ÍF., II 2 S. 681 íf.) ist die Gerechtigkeit die Idee der sittlichen Welt ais solcher: denn Gerechtigkeit ist nichts andres ais die „unverbrüchliche Aufrechterhaltung einer gegebenen ethischen Ordnung". Sie ist ent-weder schützende oder vergeltende, und zwar belohnende oder be-strafende Macht, „um durch beides die ewige Herrschaft der ethischen Ordnung zu offenbaren". In der Folge spricht S t a h l inkonsequenter-weise statt von O f f e n b a r e n von H e r s t e l l e n , zieht also den Re.parationsgedanken herein. Die vergeltende Gerechtigkeit ist die Herstellung der Herrlichkeit der sittHchen Macht durch Vernichtung oder Leiden des Empdrers. Es ist ewiges Gesetz der Gerechtigkeit, dass auf das Bose die Strafe folge unabwendbar (Notwendigkeitstheorie)!

Nun ist der Staat die aussere Ordnung Gottes auf Erden, deren Grundlagen die Integritat der Person, der Schutz des Vermogens, die Familienordnung, der Bestand des Staates und endlich der Bestand der Kirche bilden. Diese Grundlagen greift der Verbrecher an. Seine Tat ist Bruch der zehn Gebote (!). Dieser Bruch ist nicht ungeschehen zu machen. Da sich aber der Verbrecher in seiner Tat zum wahren Herrn über den Staat aufzuwerfen sucht, muss der Staat, der sein Strafrecht von Gott hat, seine Herrlichkeit ihm gegenüber dadurch bewahren, dass er dem gesetzwidrigen Willen den Sieg nicht belásst, sondern den Emporer vernichtet oder leidén lásst. Ais Glied der menschlichen Gemeinschaft, die Gottes Ordnung will und handhabt, erfordert die wahre Personlichkeit des Verbrechers, entkleidet von ihren Begierden, die sie ihrem eigenen Wesen entfremdet haben, die Strafe nicht minder ais die offentliche Ordnung. Die Strafe ist also ein Postulat der sittlichen Natur des Verbrechers.

Zum Verbrechen gehort aber nicht die Unsittlichkeit und die Sünde. Deshalb ist auch die Strafe keinfe ewige Verdammnis und kein Seelen-schmerz, sondern ein korperliches Leiden. Die Zufügung dieses Leidens ist aber wieder nicht Rache: denn der Verbrecher wird nicht gestraft, damit er leide, sondern er leidet, damit er gestraft wird.

S t a h l steht mit seinem Grundgedanken in neuerer Zeit nicht allein, schon vor ihm hingen J a r c k e , Handbuch des Strafrechts I, 1827, S. 240 ÍF., und L i n k , Über das Naturrecht ais Grundlage der Strafrechtstheorieen, 1829, S. 122 ff., der gottlichen Vergeltungstheorie an; S t a h l s Ausführungen schliesst sich an B e k k e r , Theorie des Strafrechts I 1859 S. 27 ff. 77 fí.

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§ 88. 214

§ 88. 2. Die Theorie der sittlichen Vergeltung. Tief in der mensehlichen Natur ist die Auffassung begründet, dass,

wie das Sittliche seinen Lohn finden werde, so das Bose notwendig an dem Bosen vergolten werden müsse. Fasst man nun das Verbrechen fálschlich ais Spezies des Unsittlichen auf, so liegt der Irrtum nahe, statt in den Mahnungen des Gewissens jene moralische Wiedervergeltung in der Strafe zu finden. S t r a f t h e o r i e d e r m o r a l i s c h e n V e r -g e l t u n g . Dass das notwendige Gegenstück der Strafe, die reelle Belohnung der guten Tat von Staatswegen, fehlt, ficht diese Theorie ebensowenig an wie ihre Unfahigkeit, das Subjekt der Bestrafung naeh-zuweisen und zu begründen, warum die Vergeltung der schlimmen Tat gerade in der Strafe zu suchen sei. Diese Theorie, die viele An-hanger gefunden, immer aber eine gewisse Monotonie bewahrt hat, mag in den zwei Formen dargestellt werden, die K a n t in seiner Kritik der praktischen Vernunft, Riga 1788, und spater H e n k e in seiner Schrift: Über den Streít der Strafreehtstheorieen, ein Versuch zu ihrer Versühnung, Regensburg 1811, ihr gegeben haben. Wegen ihrer Herleitung der Strafe aus der Moral sei ihrer Darstellung die Theorie v. B a r s angeschlossen!

I. K a n t findet es in der Idee unserer praktischen Vernunft liegend — ein kategorischer Imperativ, der keines Beweises mehr bedarf! —, dass die Ubertretung eines sittlichen Gesetzes ron der Strafwürdigkeit begleitet sei. Diese Strafwürdigkeit ist ira einzelnen Falle keine ewig dauernde. Bevor jedoch der Strafende die Strafe auch auf den Zweck der Beforderung der Glückseligkeit richten und ihr die Gütigkeit verbinden dürfe, worauf der Bestrafte seiner-seits nicht den geringsten Anspruch habe, müsse die Strafe vor allem Strafe sein.

„Also — schliesst K a n t ohne alie Vermittlung — ist die Strafe ein physisches Übel, welches, wenn es nicht ais natürliche Folge mit dem moralisch Bosen verbunden ware, doch ais Folge nach Prin-zipien einer sittlichen Gesetzgebung damit verbunden werden müsste," Über Qualitat und Quantitát dieser physischen Übel sagt K a n t kein Wort. Eine belohnende Vergeltung erkennt er nicht an.

II. Nachdem H e n k e die früher von ihm verteidigte Fichtesche Theorie der juristischen Besserung (vgl. § 90 s. VI 1) aufgegeben hatte, kam er zu folgender Ansieht:

In richtiger Erkenntnis, dass die Kan t sche Lehre von der idealen Talion (vgl, § 89 I) wegen ihrer ausschliesslichen Berücksichtígung der Tatseite des Verbrechens eine ungerechte und deshalb unhaltbare sei, aber doch festhaltend an der Auffassung der Strafe ais Wiedervergeltung legt H e n k e alies Gewicht auf die innere Seite, die Schuld, Hier aber verwechselt er die rechtliche Schuld ais hohere oder geringere Intensitat des schuldhaften Willens mit der moralischen Verschuldung und geht somit wieder weit hinter K a n t zurück.

Diese innere Schuld sei a priori nicht erkennbar und inkom-mensurabel. Für den áusseren Richter — im Gegensatz zu Gewissen und Gott — sei nun das Mass ihrer Verwirklichung in der Aussenwelt zugleich Mass ihrer Grosse, welches der Richter nicht verlassen dürfe.

215 § 89.

Deshalb müsse der Konat immer milder bestraft werden ais die Voll-endung. Weil nun aber die moralische Schuld durch moralische Besserung gesühnt werde, so sei die Besserung der einzige Massstab der Strafdauer, Bis zu ihrem Eintritt stehe also der Schuldige in der Hand des zuwartenden Richters, dessen Geschaft erst endige mit dem Urteil, welches die Wiedereinsetzung des Gebesserten in seinen írüheren Rechts-zustand befiehlt.

Ausser der unzulassigen Vermengung moralischer und rechtUcher Schuld leidet diese Theorie auch an dem Fehler der Undurchführbar-keit: echte Reue nach der Tat müsste die Strafbarkeit ganz aus-schliessen; die Besserung ist gerade so inkommensurabel wie die Schuld; die Gewalt des Richters ist bei ihr eine unbeschránkte.

III. Eine ganz eigentümliche Abschwachung des Grundgedankens der sittlichen Vergeltung enthalt v. B a r ' s T h e o r i e der s i t t l i c h e n M i s s b i l l i g u n g , Handbuch I S, 311ff, (S, auch dessen Probleme, bes. S. 12 ÍF.). V. B a r betrachtet sie ais eine Reinigung der Hege lschen Theorie. Nicht aus dem Rechte, allein aus der Moral sei die Strafe abzuleiten. Es liege im Wesen der SittUchkeit, sich über jedwede Handlung ein Urteil zu bilden. Dies Urteil aber golte nicht nur der Tat, sondern auch dem Táter, Dieses Urteil abzugeben über den, der ihren Satzungen nicht gehorcht, hat jede Gemeinschaft. „Hiernach ist denn prinzipiell j e d e r Ausdruck der Missbilligung bis zur volligen Vernichtung . . . dem Schuldigen gegenüber Recht," Und dieser Ausdruck der Missbilligung ist die Strafe, „Mit dem Übergange des Straf-rechts auf das Gemeinwesén wird aber aus dem Rechte der Strafe zugleich eine Pflicht." Zweck der Strafrechtspflege ist: „Es sellen gewisse Grundsatze der SittUchkeit ais unverbrüchliche vom Gemeinwesén dadurch offentlich und allgemein bemerklich bezeichnet werden, dass Handlungen, welche diesen Grundsatzen zuwiderlaufen, mit einem ein-dringlichen Zeichen der oíFentlichen Missbilligung versehen werden."

Die Schwáche dieser Theorie liegt in der Herleitung der Strafe statt aus dem Recht aus der Moral, in der Degradation der Strafe zu einem Urteil und in der Unmoglichkeit des Nachweises, dass dieses Urteil notwendig in Form einer zwangsweisen Einwirkung auf den Verbrecher abgegeben werden, dass diese Moral notwendig „Zwangs-moral" sein muss. Ais das Zukunftsideal bezeichnet es ja auch V. B a r (Probl. S. 19), dass die sittliche Missbilligung unter allem Ver-zicht auf den Zwang zur Verbrechenshinderung zwinge. Im übrigen ist die Theorie weit mehr eine solche sittlicher B e w a h r u n g ais sittHcher Missbilligung.

§ 89. 3. Die Theorie der rechtlichen Vergeltung. Die bei weitem grossartigsten rechtlichen Vergeltungstheorieen sind

die von K a n t und H e g e l . Nirgends tritt die Gewalt und die Not-wendigkeit der Strafe imponirender hervor ais gerade bei ihnen. Und so SQien die besten Theorieen Reprasentanten der ganzen Gattung!

I. K a n t . In seinen metaphysischen Anfangsgründen der Rechts-lehre, 1797, behandelt K a n t die Lehre der Strafe zum andernmal und ausführlicher wie früher. Auch jetzt bleibt ihm das Strafgesetz

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§ 89. 216

zwar e in k a t e g o r i s c h e r I m p e r a t i v ; aber die Trennung des Rechtsgesetzes von dem Sittengesetze ist, wenn auch sehr ungenügend, dennoch durchgeführt 5 die Idee der ausseren Vergeltung für jede Un-sittlichkeit ist auf die strafrechtliche Vergeltung für Verbrechen be-schrankt worden: kurz, K a n t ist einen grossen Schritt über seine Kritik der praktíschen Vernunft hinausgegangen.

Verbrechen oder auch oíFentliches Verbrechen ist diejénige Über-tretung des oíFentlichen Gesetzes, die den, welcher sie begeht, unfahig macht, Staatsbürger zu sein. Somit zieht K a n t die Grenze des Ge-bietes der oíFentlichen Strafe dahin, dass nur diejénige Übertretung, die in dem Ubertreter eine die Moglichkeít der Staatsordnung auf-hebende Gesinnung voraussetzt, oífentliches Verbrechen sei. Daher ihra Veruntreuung, Betrug in Kauf und Verkauf bei sehenden Augen des anderen ais Privatverbrechen erscheinen, die vor die Cívilgerichte gehoren. Die oíFentlichen Verbrechen lassen sich zurückführen auf Niedertrachtigkeit und auf Gewalttátigkeit. Die Strafe nun unter-scheidet sich zunachst von der natürlichen Selbstbestrafung des Lasters. Sie ist ferner niemals bloss Mittel zu einem andern Zweck, sei dieser in der Person des Verbrechers, sei er in der menschlichen Gesellschaft gelegen, s o n d e r n s i e m u s s j e d e r z e i t n u r d a r u m w i d e r d e n V e r b r e c h e r v e r h a n g t w e r d e n , we i l er v e r b r o c h e n ha t . Anderweitige Zwecke mit der Strafe zu verbínden verbietet die Würde der menschlichen Personlíchkeit, welche nicht duldet, dass der Mensch unter die Gegenstande des Sachenrechts gemengt werde. So ist das Strafgesetz ein kategorischer Imperativ, und „wehe dem, der die Schlangenwindungen der Glückseligkeitstheorie durchkriecht, um etwas aufzufinden, was durch den Vortheil, den es verspricht, ihn von der Strafe oder auch nur einem Grade derselben entbinde, nach dem pharisaischen Wahrspruch: »es ist besser, dass ein Mensch sterbe, ais dass das ganze Volk verderbe«; denn wenn die Gerechtigkeit unter-geht, so hat es keinen Wert mehr, dass Menschen auf Erden leben!"

Diese absolute Natur der Strafe einmal festgestellt: welche Art und welchen Grad der Bestrafung solí sich die offentliche Gerechtigkeit zum Prinzíp und zum Richtmass nehmen? Kein anderes ais d a s P r i n z i p d e r G l e i c h h e i t , d a s W i e d e r v e r g e l t u n g s r e c h t , j u s t a l i o ni s; dieses aber wohlverstanden nicht nach dem Privat-urteil des Verletzten, sondern lediglich nach gerichtlichem Spruch. K a n t ist der einzige, dem es gelingt, aus seiner absoluten Theorie Strafraittel zu gewinnen ^ und die Talion in gewissem Umfange zu befreíen von dem Zwang, den der objektive Tatbestand auf die Art der Vergeltung ausübt.

Diese Wiedervergeltung ist namlich nicht dem Buchstaben, sond e r n d e r W i r k u n g n a c h zu v e r s t e h e n . Einer buchstáblichen Wiedervergeltung stSnden im Weg sowol der Unterschied der menschlichen Stande ais die Verschiedenheit der Verteilung der menschlichen

1 K. S. Zachariá , Anfangsgründe der philosophischen Rechtslehre, 1805, § 42íf., gewinnt seine einzige Strafart, die Freiheitsstrafe, nur miítels einer Wortspielerei.

217 § 89.

Glücksgüter ais endlich die Unmoglichkeit einer materiellen Talion bei gewissen Verbrechen. Im ersten und zweiten Falle will K a n t , dass der Gesetzgeber eine gleiche Empfindlichkeit der Strafe anstrebe, also verschiedene Strafen verhánge, die in den verschiedenen Kreisen in gleichem Verhaltnisse wirken. Für den dritten Fall sucht K a n t , um die Talion doch durchführen zu konnen, die betreíFenden Ver-brechen in ihrem Wesen, nicht in ihrer ausseren Wirkung zu erfassen. Z. B. wer da stiehlt, macht aller Andern Eigentum unsicher; folglich muss er nach dem Recht der Wiedervergeltung selbst der Sicherheit alies moglichen Eigentums beraubt werden; er wird also Bettler oder Sklave. Notzucht und Paderastie werden mit Kastration, Bestialitát durch Ausstossung aus der menschlichen Gesellschaft für immer bestraft, Wer aber gemordet hat, muss sterben, und ware die bürgerliche Gesellschaft im BegriíFe, sich freiwillig aufzulosen, so müsste der letzte im Gefangnisse befindliche Morder vorher hingerichtet werden, damit nicht die Blutschuld auf dem Volke haften bleibe,

Subjekt der Strafgewalt ist der Staat, dessen Strafrecht ein Recht des Befehlshabers gegen seine Untergebenen darstellt und somit das Recht über das Leben des Untergebenen in sich schliesst.

K a n t geht hier inkonsequenter, aber richtiger Weise über seine Lehre von der Entstehung des Staates und der Staatsgewalt durch Vertrag weit hinaus. Aber auch die Konsequenz seiner Theorie in sich selbst zu wahren ist er unvermogend. Die Talion erscheint ofter ais zu schwere Strafe, wie beim Kindesmord: K a n t erklart ihn für straflos. Die Strafe solí gar keine gesellschaftlichen Zwecke verfolgen: und dennoch will K a n t sie bei übergrosser Verbrecherzahl wegfallen lassen, damit der Staat doch seine Untertanen behalte. Die G n a d e ist ein Unrecht gegen die beleidigten Untertanen, ist also nur zulassig für Unbill, die dem Regenten selbst widerfahren ist: „ausgenommen, wenn durch Ungestraftheit dem Volke selbst in Ansehung seiner Sicherheit Gefahr erwachsen konnte". Endlich wendet sich seine Talion nur gegen die aussere Seite des Verbrechens und ignorirt die Schuld: die Theorie ist also auch einseitig und ungerecht.

II. H e g e l s T h e o r i e von d e r S t r a f e a i s di a l e k t i s c h e r N o t w e n d i g k e i t . Vgl. dessen Grundlinien der Philosophie des Rechts, herausgegeben von G a n s , 1833, §§ 82 fif. 3. Aufl. S. 123 íF,

H e g e l s Theorie von der Strafe hat von der K a n t s voraus, dass sie die Strafe nicht mittels eines kategorischen Imperativs postulirt, sondern sie aus dem Wesen des Verbrechens selbst gewinnt, und folge-richtiger ist ais die K a n t s . Sie leidet an H e g e l s Überschátzung des Rechts.

Diesem giebt er absoluten Inhalt. Es ist das Reich der verwirk-Hchten Freiheit, die Welt des Geistes und der Vernunft, aus ihr selbst hervorgebracht. Gegenüber diesem Absoluten, dem verwirklichten Reiche der Vernunft, muss H e g e l , will er anders nicht dem Dualis-mus verfallen, das Unrecht vorkommen ais etwas Unwirkliches, ais Schein, und zwar ais Scheinnegation des Rechts. Die Tátigkeit der Rechtsordnung gegenüber dem Unrecht kann also lediglich eine de-monstrative sein: es muss den Schein ais Schein darstellen, die Schein-

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§ 89. 218

existenz der Negation des Rechts selbst negiren und damit saine Un-verletztheit auch áusserlich manifestiren.

H e g e l unterscheidet nun drei Arten des Unrechts, welches durchweg Entgegensetzung des Rechts an sich und des besonderen Willens ist, also Schein des Wesens, der sich ais selbstandig setzt.

1. Im u n b e f a n g e n e n U n r e c h t e tritt zwar der besondere Wille mit dem objektiven Recht gleichfalls in Widerspruch, aber achtet dieses ais das allein gültige. Es kann also nur dadurch entstehen, dass zwei Rechtssubjekte ihre Rechtsspharen voneinander zu scheiden unvermogend sind. Dies ist C i v i l u n r e c h t , seine Negation der Leistungs- oder Restitutionszwang.

2, Achtet das unbefangene Unrecht sowol das Recht der andern Rechtssubjekte ais auch die Rechtsordnung selbst, so giebt es ein zweites Unrecht, welches dem Verletzt«n aufbtirdet, ihm geschehe Recht, und welches dadurch seine Achtung vor dem besonderen Willen des andern Rechtssubjekts ausspricht, dagegen die Rechtsordnung selbst nicht respektirt: d e r B e t r u g . Er verletzt das Recht schon wirklich und ist daher strafbar.

3. Die dritte Form des Unrechts endlich ist die, in welcher es sowol das Recht an sich ais die subjektiven Rechte anderer nicht achtet: der Z w a n g , das Ver b r e c h e n . Indem, der Wille sich zum Zwange bestimmt, erkennt er zugleich die Freiheit seiner selbst an und will diesel be Freiheit ais Wesen des Willens doch in and eren aufheben, Damit will er das Recht in seinem Wesen verletzen und ist absolut widerrechtlich, verneint sich aber auch gleichzeitig selbst.

Dieser Verneinun^ nun entspricht in der objektiven Welt die Auf-hebung des Zwanges durch Zwang: ein Gesetz, welches der Handelnde durch seine Tat selbst aufstellt. Denn will ein Vernünftiger das Recht zwingen, so muss er dadurch dem Recht die Befugnis des Zwanges gegen ihn ebenso zugestehen: d e r V e r b r e c h e r w i l l a l so s e i n e S t r a f e . Der Strafzwang negirt also die Negation im Verbrechen ais dem versuchten Rechtszwange und affirmirt dadurch das Wesen des Rechts. Insofern ist die Strafe V e r g e l t u n g und bestimmt sich so-mit nach Qualitat und Quántitát des Verbrechens; sie vergilt aber nicht streng das Gleiche mit dem Gleichen, sondern vergilt nach dem Werte der Verletzung.

Diese Theorie, welche von H e g e l s Schülern nur etwas modi-fizirt beibehalten wurde, stimmt zunáchst nicht mit dem positiven Recht. Eine grosse Masse von H e g e l s dritter Art des Unrechts wird von den Strafgesetzen mit Strafe verschont. Des ferneren ist H e g e l s Einteilung des Unrechts falseh: das „unbefangene Unrecht" ist keine geschlossene Art des Unrechts: auch schliesst es die Fahrlassigkeit ein, und diese ist teilweise mit Strafe belegt; die Unterscheidung von Betrug und Zwang ist ganz unwesentlich, Ferner selbst wenn man H e g e l seine fálschlich behauptete Nichtigkeit des Unrechts einmal zugeben wollte, so folgt doch daraus noch keineswegs die Notwendig-keit, dass diese Nichtigkeit d e m o n s t r i r t werden muss. Gerade diese Demonstration ist ja aber bei H e g e l die Strafe, die also gar nicht, wie H e g e l wiH", mit dialektischer Notwendigkeit aus dem Ver-

219 § 90.

brechen folgt. Und endlich: warum muss diese Demonstration sich ais einen Z w a n g gegen den Verbrecher darstellen? Warum genügt nicht eine D e k l a r a t i o n , und warum muss es zu realen Übeln kommen, wenn es nur gilt, den Schein ais Schein zu erweisen?

90. III. Relatiye Theorieen. Der enge Zusammenhang zwischen den modernen relativen oder

Sicherungstheorieen und der naturrechtlichen Auffassung von der Ent-stehung und dem Zweck des Staates zeigt sich am unverhülltesten in den sog. V e r t r a g s t h e o r i e e n , welche das Recht zur Strafe aus dem Staatsvertrage (dem contrat social) ableiten. Ihre Hauptverteidiger im Auslande waren T h o m a s H o b b e s , R o u s s e a u , B e c c a r i a ; in Deutschland vertritt sie besonders F i c h t e in seiner Grundiage des Naturrechts Th. H. 1797, S. 1 ff. 95 ÍF. Danach wurzelt die ganze rechtliche Personlichkeit eines jeden in dem S t a a t s b ü r g e r -v e r t r a g e , der zwei Bestandteile umfasst: den E i g e n t u m s v e r t r a g und den S c h u t z v e r t r a g . Wer jenen Vertrag vorsatzlich oder fahrlassig bricht, der wird dadurch volUg rechtlos. Diese Kalamitat soweit moglich zu verhüten ist Sache eines zweiten, des sogenannten A b b ü s s u n g s v e r t r a g e s . Danach versprechen Alie Alien: soweit es mit der offentlichen Sicherheit vereinbar sei, soUe diese Ausschliessung vom Staate wegen Verbrechen nicht eintreten, der Verbrecher solle vielmehr seine Tat auf andere Weise abbüssen dürfen. So erhalt der Einzelne das wichtige Recht, abgestraft zu werden. Das Ganze gewinnt dadurch die Aussicht, sich den Bürger zu erhalten, dessen Nützlichkeit seine Schadlichkeit überwiegt, und wird verpflichtet, die Abbüssung anzunehmen.

Der Unterschied der relativen Theorieen unter sich liegt nun nicht im Zweck, denn der ist durchweg S i c h e r u n g , vielmehr in den Mitteln und Wegen, diesen Zweck zu erreichen. Dieser Mittel sind wenige, und auch die relativen Theorieen unterscheiden sich dadurch, dass sie bald nur e in Mittel für zweckdienlich erachten, bald aber den verschiedenen Typen von Verbrechen gegenüber verschiedene Mittel für anwendbar balten (so neuerdings F e r r i , v. L i s z t , L a m m a s c h , A s c h a f f e n b u r g und Andere). Jene Sicherung solí ja gerade eine Sicherung vor künftigen Verbrechen sein. Darin liegt m. E. der Grundfehler aller relativen Theorieen: die zwei fundamental verschiedenen Zwangsarten, der S i c h e r u n g s - und der S t r a f z w a n g , werden konfundirt. Daraus erklart sich, dass die Anhanger der absoluten Theorie in bestimmten praktischen Vorschlagen, z. B. der Unschadlichmachung der Unverbesserlichen und überhaupt der Verbreehens-Prophylaxe, mit ihren Gegnern vollstandig übereinstimmen konnen; aber sie fordern diese Massregeln nicht ais Strafen, sondern ais notwendige Kautionen.

Ais mogliche Subjekte der künftigen Verbrechen denken sich nun die relativen Theorieen entweder alie Untertanen oder aber nur denjenigen, der wegen eines Verbrechens in Strafe zu nehmen ist. Ihre Sicherungsaufgabe wird im ersten Falle weit umfassender ais im

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§ 90. 220

letzteren. Díe folgende Darstellung beginnt mit den Theorieen, die sich die umfassendere Aufgabe gesteckt haben.

I. Am rohesten verfolgt die alte T h e o r i e der A b s c h r e c k u n g d u r c h d e n S t r a f v o l l z u g ihr Ziel. Sie vollzieht die Strafe ledig-lich zu denj Zwecke^ um durch sie alien Nebenmenschen des Ver-brechers Furcht und Schrecken vor ahnlichen Handlungen einzu-flossen; sie greift deshalb zu augenfallígen und grausamen Strafen, Ihren Grundgedanken hat ein englischer Richter Burnet in seiner Anrede an einen verurteilten Dieb drastisch so ausgedrückt: Man, thou art not to be hanged for stealing a horse, but that horses may not be stolen! Neuere Vertreter: F i l a n g i e r i , La scienza della legislazione, 1781—1788, t. III p. III c, 27; G m e l i n , Grundzüge der Gesetzgebung über Verbrechen und Strafen, 1785, S. 85 íF.

II. F e u e r b a c h s p s y c h o l o g i s c h e Z w a n g s t h e o r i e . Vgl. bes. dessen Revisión I 1799 S. 39 íF.; Über die Strafe ais Sicherungs-mittel vor künftigen Bele^digungen, 1800; Lehrbuch §§ 8 ff. —- Vgl. dagegen T h i b a u t * , Beitiáge zur Kritik der Feuerbachschen Theorie, Hamburg 1702, — In weit feinerer Durchbildung tritt im wesent-lichen derselbe Gedanke in F e u e r b a c h s T h e o r i e d e r A b s c h r e c k u n g d u r c h d i e S t r a f a n d r o h u n g auf, eine Theorie, die sich übrigens nur ais der letzte Ausláufer der weit zurück-reichenden sog. B a l a n c i r t h e o r i e darstellt, deren glanzende Aus-führung ihre ausserordentliche Gefahrlichkeit zu verdecken geeignet war. Feuerbach geht von dem Staatszwecke und von der Notwendig-keit aus, dass im Staate alie Rechtsverletzungen vermieden werden raüssten. Deshalb hat der Staat Zwangsanstalten zu treffen, wodurch Verbrechen überhaupt unmoglich gemacht werden. Und zwar zu-nachst A n s t a l t e n p h y s i s c h e n Z w a n g s , um dem Verbrechen verhütend zuvorzukommen und vom Beleidiger Rückerstattung und Ersatz zu erzwingen. Allein, dieser physische Zwang reicht nicht aus, und zwar aus folgendem Grunde. Der Mensch ist nicht frei, sondern wird determinirt, Jede Handlung vDn ihm musste geschehen, wie sie geschehen ist, weil die Bestimmungsgründe für sie stárker waren ais die ge g e n sie. Jedes Verbrechen ist also notwendig. Nun wurzeln alie Verbrechen in dem psychologischen Grunde der Sinnlichkeit, in der Lust an Begehung der Handlung. Dieser psychologischen Trieb-feder ist nur durch p s y c h o l o g i s c h e n Zwang beizukommen. Jeder muss wissen, dass der Tat, die er gern beginge, unausbleiblich ein Übel folgen werde, welches grosser ist ais die Unlust, die durch Auf-gabe der geplanten Tat entst^ht. Dieses Übel muss der Staat in seinem Strafgesetze im voraus androhen, und um der Drohung ihre Wirksamkeit zu sichern, muss sie gegen den vollstreckt werden, der sie nicht beachtet hat. Das Zusammenwirken des Strafgesetzes und des Strafvollzuges zum Zwecke der Abschreckung solí den psychologischen Zwang gegen Alie ais raogliche Verbrecher üben.

Diese Theorie widerlegt sich selbst. Jedes Verbrechen beweist die Verfehltheit des Versuchs, die Rechtsordnung lediglich durch Drohung und ohne Strafe aufrecht zu erhalten. Jener psychologische Zwang ist ferner deshalb grosstenteils unwirksam, weil die Sinnlich-

221 § 90.

keit durchaus nicht die alleinige Quelle der Verbrechen ist, und weil fast alie Verbrechen in der Hoífnung ihrer Verheimlichung begangen werden. Ist die Strafdrohung wirksam, so kommt es nicht zur Strafe; ist sie unwirksam, so fáUt, wenn F e u e r b a c h in seinem Determinisnius hatte konsequent bleiben wollen, alie Verantwortung auf den Gesetz-geber und keine auf den Verbrecher. Denn dieser war nicht in der Lage, sich durch die Strafdrohung abschrecken zu lassen, er musste also das Verbrechen begehen, folglich war er schuldfrei .

III. D i e W a r n u n g s t h e o r i e . B a u e r , Die Warnungstheorie, Gottingen 1830; D e r s . , Abhandlungen aus dem Strafrechte I 1840 S. 1 íf. Eine kleine Umbildung macht die psychologische Zwangstheorie zur W a r n u n g s t h e o r i e . Bauer erkannte die Unrichtigkeit der Annahme, dass die Sinnlichkeit die alleinige Quelle der Verbrechen bilde, und fand diese ausserdem noch in der Schwache des sittlichen Gefühls und in der Unklarheit der Vorstellungrin über die bürgerliche Strafwürdigkeit der geplanten Handlung. Da nun „alle Handlungen, welche die Rechtsordnung storen und gefahrden, moglichst verhütet werden sellen", so hat der Staat ein Hauptinteresse, den Verbrechen entgegenzuwirken: 1. durch guteVolkserziehung; 2. durch gute PoHzei-einrichtungen; 3. durch Strafgesetze, die sich nicht drohend und schreckend, sondern w a r n e n d und raahnend an die Schwache der Menschen wenden.

IV. D i e N o t w e r t h e o r i e . M a r t i n , Lehrbuch des Kriminal-rechts. §§ 11 íf. Vor ihm S c h u l z e , Entwurf der philosophischen Prinzipien des bürgerlichen und peinlichen Rechts, 1813, S. 339 íf. In einer von den Abschreckungstheorieen wesentHch abweichenden Weise begründet M a r t i n die Strafe. Die Existenz der Staaten ist durch das Sittengesetz geboten; der Staat ist moralische Person und darf sich deshalb wie alie Personen gegen widerrechtliche AngriíFe andei'er Staaten oder einzelner Menschen verteidigen; Da nun das Verbrechen nicht nur eine Krankung irgend eines Berechtigten, sondern ausserdem eine Gefahr für das Fortbestehen des Staates enthalt, so ist der gefahrdete Staat berechtigt, dem Urheber der drohenden Gefahr Übel zuzufügen, welche von der Entschadigung ganz verschieden sind. Diese seine Tatigkeit ist ein Akt der Notwer: denn sie richtet sich gegen die k ü n f t i g e Gefahr, die aus der ungeahndeten Ver-letzung der Gesetze für deren Autoritat entstehen würde, und durch die notwendige Androhung der Strafe vor d'er Tat sind auch die ge-linderen Mittel, jene Gefahr abzuwenden, zuvor erschopft.

V. T h e o r i e d e r S p e z i a l p r a v e n t i o n . v. G r o l m a n , Uber die Begründung des Strafrechts, 1799; desselben Grundsatze der Kriminalrechtswissenschaft §§ 1—14. — Warend die Abschreckungs-

1 Til eiuer sich fast zur Karrikatur auswachsenden Übertreibung werden die geistvolleu F e u e r b a c b s c h e n Gredanken, die dem Kerne nach J a aber tief iu das 17. Jahrliimdert znrückreichcii (^'gl. mein Handbuch I S. 20 ff.), von H o í d V. F e r n e c k , RechtsAvidrigkeit, verwendet — nud mit dem gleicben Erfolge, jede Verantwortliclikeit für die Pfliclitwidrigkeit, bei dem der sie begebt, zu eliininireu. Denu auch der Verbrecher hat „uuter einera unwiderstehlichen Zwango gehaudelt" (S. 48). S. bes. S. 72 ff.

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§ 90. 222

theorie in ihren verschiedenen Gestalten von der immer richtigen Voraussetzung ausgeht, dass in der menschlichen Gesellschaft zum Verbrechen geneigte, also der Abschreckung bedürftige Individúen vorhanden sind, gründet sich die Praventionstheorie auf eine halt-]ose praesumtio dolí vel culpae bei einem einzigen ganz bestimmten Subjekte.

Die Idee eines rechtlichen Zustandes fordert, dass ein jeder auf" das Entferntbleiben rechtsverletzender Handlungen seiner Nebenmenschen solle reclinen konnen, also darauf, dass der Wille der Menschen in alien Momenten genügende Motive gegen das Unrecht íinden werde. Nur darin, dass jedem Widerspruche gegen die Forderungen eines rechtlichen Zustandes das Motiv des Zwangs entgegensteht, kann eine mogliehe Garantie für das Bestehen desselbeñ gefunden werden,

Dieser Zwang kann durchaus nicht lediglich die Reparation des angerichteten Schadens, sondern er muss auch die Aufhebung der aus dem Mangel einer begründeten Rechnung auf rechtiiche Willens-bestimmungen der Menschen hervorgehenden Gefahr zum Gegenstande haben ( S i c h e r u n g s - , P r a v e n t i o n s - , D e f e n s i o n s z w a n g ) .

Nun hat aber der ürhéber eines vollendeten oder versuchten Ver-brechens die Nesigung seines Willens zur Rechtswidrigkeit bewiesen, es liegt also in ihm eine Gefahr für den Rechtszustand, welche be-seítigt werden muss, Díes ist nur dadurch moglich, dass man den künftigen Ausbrüchen dieses gefahrlichen Willens z u v o r z u k o m m e n sucht, dass man ihm also entweder die phjsische Moglichkeit zur Begehung von Verbrechen nimmt (absolute Sicherungsmittel) oder ihn von künftigen Verbrechen abschreckt.

VI. D i e B e s s e r u n g s t h e o r i e , S t e l t z e r , Kritik des V. Eggersschen Entwurfs eines GBs für die Herzogtümer Schleswig und Holstein, 1811, S. 4 ÍF. — G r o o s , Ideen zur Begründung eines obersten Prinzíps für die psychische Legalmedizín, 1829; d e r s . , Der Skeptizismus der Freiheitslehre, 1830. — K. D. A. R o d e r in zahl-reichen Schriften, vgl. bes. Zur Rechtsbegründung der Besserungs-strafe, 1846, und Besserungsstrafe und Besserungsanstalten, 1864.

Was die Praventionstheorie durch Hinderung des Verbrechers, das will die Besserungstheorie durch seine Besserung erreichen. Wáhlt sie zur Erreichung ihres Zíeles einen weit edleren Weg, bemüht sie sich, die Strafe aus einem Übel für den Verbrecher in ein Gut zu verwandeln, haben ihre Vertreter sich auch ura die Reform des Straf-vollzugs sehr bedeutende Verdienste erworben, so nimmt sie doch dem begangenen Verbrechen gegenüber dieselbe falsche Stéllung ein wie alie anderen relativen Theorieen und vermag den Widerspruch nicht zu losen, dass Strafe erst eintreten kann gegen gereifte Menschen.

Die Besserungstheorieen streben nun entweder an: 1. J u r i s t i s c h e B e s s e r u n g , d. i. Befórderung der recht

lichen Gesinnung des Menschen für die Aussenwelt. So S t e l t z e r : „Zweck der Strafe kann kein anderer sein, ais den Verbrecher zu bessern, damit er aus seiner Gesinnung selbst der allgemeinen Sicher-heit nicht weiter schádlich sei." Mit Unrecht leugnet man, dass der Staat Erzieher sein solí.

223 § 91.

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2. I n t e l l e k t u e l l e B e s s e r u n g . Von einem gi'ob determi-nistischen Standpunkte aus kommt G r o o s zu dieser Forderung, welche Strafanstalten und Irrenhauser in nahe Beziehung setzt. „Der Morder war das Instrument des unerbittlichen Schicksals, aber »eben darum« verdient er nicht die Strafe des Rades oder Schwertes, sondern, ausser der Sicherung anderer vor ihm, den piidagogischen Versuch der Besserung mittels Züchtigungen, die um so grosser sein müssen, je grosser das begangene Verbrechen war." Nun giebt es keinen Entschluss ohne bedingende Motive, und empfindliche Züchtigungen werden notwendig neue Assoziationen und neue BegrifFe im Vorstellungsvermogen erzeugen, und diese werden zu ebensovieleu früher mangelnden Motiven werden.

3. B e s s e r u n g ü b e r h a u p t , i n s b e s o n d e r e m o r a l i s c h e B e s s e r u n g . Für diesen Gedanken sind die Anhanger K r a u s e s , besonders R o d e r eifrig eingetreten. Der R e c h t s g r u n d der Strafe liegt in der unsittlichen, ausserlich erkennbar gewordenen, auf Storung der gesellschaftlichen Rechtsordnung gerichteten, mit dieser unvertrág-lichen Willkür eines Menschen. Der R e c h t s z w e c k der Strafe ist die Wiederaufhebung des tatlich erwiesenen unsittlichen Willens in seinen Gründen durch alie angemessenen rechtlichen Mittel.

Wer einen solchen widerrechtlichen Willen betátigt, der beweist, dass er der vernünftigen Selbstbestimmung in Bezug anf die Rechtsordnung dermalen unfahig, dass er sittlich und reehtlich unmündig sei, dass er für die Dauer dieser Unreife einer Beschránkung der missbrauchten Freiheit, einer strengem Zucht und Leitung seines Lebens, d. h. einer B e v o r m u n d u n g von s e i t e n des R e c h t s s t a a t e s bedürfe. Diese Strafbevormundung ist Nacherziehung und somit B e s s e r u n g s s t r a f e .

§ 91. ly , Vereinigungstheorieen. Vereinigungstheorieen konnen nur die genannt werden, welche

absolute und relative Theorieen zu vereinigen suchen, wie die von H e n r i c i , J. U. W i r t h , B e r n e r , K o s t l i n und M e r k e l . Da-gegen ist die Theorie A b e g g s , welche in sehr beachtenswerter Weise darauf aufmerksam macht, dass die Durchführung der einfachen Gerechtigkeit in der Strafe notwendig schon die Nützlichkeitszwecke der relativen Theorieen so weit befriedige, ais sie überhaupt auf Be-friedigung Anspruch haben, keine Vereinigungstheorie. Ais Re-prasentanten dieser Gattung sollen die Theorieen von K o s t l i n und M e r k e l dienen.

I. T h e o r i e K o s t l i n s (vgl. dessen Neue Revisión S. 1—53. 764—850; ferner System §§ 1—8. 114—124). Kostlin lehnt seine Theorie, so weit sie absolut ist, stark an H e g e l an. Das Unrecht ist ihm in alien Formen das in sich selbst Nichtige, mithin das sich selbst Aufhebende und sein Gegenteil Fordernde. Das Unrecht nun ais Diflferenz zwischen Einzelwille und Gesamtwille verwirklicht sich in folgenden Stufen:

1. Der Wille ist zunáchst die Moglichkeit zu beidem, dem Rechte gemass oder entgegen zu sein — d a s b l o s s m o g l i e h e

»f-iii-r)ijnriiiiíiiiim

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§ 91. 224

( p o l i z e i l i c h e ) U n r e c h t . Es ist nicht Gegenstand der Wieder-aufhebung, sondern kann nur die Tátigkeit der Vorbeugung gegen sich hervorrufen ( S i c h e r h e i t s p o l i z e i ) .

2. Der Einzelwille hebt seine Einheit mít dem allgemeinen auf, aber unbewusst — d a s b ü r g e r l i c h e U n r e c h t . Da es seine Existenz nicht im Willen, sondern nur im áusseren Dasein hat, so genügt seine Wiederaufhebung in dieser Sphare, welche sich durch Schadensvergütung vollzieht ( b ü r g e r l i c h e R e c h t s p f l e g e ) .

3. Der Unterschied des Einzelwillens vom allgemeinen wird zum bewussten Gegensatz — d a s Ver b r e c h e n . Da es wesentlich im Willen existirt, so fordert es seine Wiederaufhebung auch in dieser Sphare ( S t r a f r e c h t s p f l e g e ) .

Wie nun das Verbrechen selbst zwei wesentliche Momente hat, das Moment der Verletzung des ini Staat gesetzten Rechts und das Moment des schuldhaften Willens, so muss auch die Strafe ais die notwendige Aufhebung des Verbrechens zwei entsprechende Seiten haben. Sie muss enthalten die objektive Wiederherstellung des Rechts aus seiner Verletzung durch Zwang gegen den sich auflehnenden Eínzelwillen, und die Tilgung der verbrecherischen Schuld. Dadurch gewinnt sie eine Bezíehung auf das Innere des Verbrechers, zu dessen Abschreckung und Besserung sie dienen muss. Warend also nach H e g e l das Wesen der Strafe in der Negation des Unrechts aufgeht, unterscheidet sich sein Schüler von ihm dadurch, dass er noch ander-weitige Zwecke derselben anerkennt. Wie namlich alie Staatstatig-keiten zur Verraittiung des Wols der Einzelnen sich aufschliessen müssen, so muss auch die Strafrechtspflege des Staats die Zwecke der Strafe, die sich freilich nur auf das objektive Moment der Rechts-verletzung oder auf das subjektive der Verschuldung beziehen, in beiden Ríchtungen aber hochst mannigfaltig sein konnen, anerkennen. D i e s e Z w e c k e b e s t e h e n in V o r t e i l e n , w e l c h e d u r c h d i e S t r a f e für den V e r b r e c h e r o d e r a n d e r e e r z i e l t w e r d e n s o 11 e n. Warend also K o s 11 i n ais Prinzip der staatlíchen Strafe „die objektive Genugtuung nach dem Werte" auffasst, so solí die Strafe zugleich unter der Kategorie der A b s c h r e c k u n g , Z ü c h -t i g u n g und B e s s e r u n g sich zeigen dürfen, wenn die Subjektivitat des Verbrechers in der Handlung ais eine solche hervorgetreten ist, welche in den Stand der sittlichen Unwürdígkeit zurückgesunken, desbalb der Zucht bedarf. Solí dagegen die Strafe den Zweck er-halten, a b s o l u t e s S i c h e r u n g s m i t t e l fü r d i e G e s e l l s c h a f t zu w e r d e n , so muss das Verbrechen von solcher Tiefe sein, dass der Handelnde dadurch sein Recht ganz verwirkt haben muss, in der sittlichen Gesellschaft tatig zu sein.

11. T h e o r i e M e r k e l s (s. dess. Krim. Abhandlungen I 1867 S. 41 ff. und 104 íf. Vgl. Encyklopadie, bes. §§ 283 ff.; Rede über den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Strafrechts und der Gesammtentwicklung der oíFentlichén Zustande und des geistigen Lebens der Volker. Strassburg 1890; Strafrecht, bes. S. 171ff.; Ver-geltungsidee und Zweckgedanke im Strafrecht. Strassburg 1892). Am schárfsten ausgepragt ist M e r k e l s Theorie ra. E. in den Krim. Ab-

225 § 91,

liandlungen. Seine Ausführungen über die Sti-afe sind wol das Schonste und Beste, was neuerdings über das Problem gesagt worden ist . Kennt K o s t l i n noch wesentlich verschiedene Arten des Unrechts, so tritt M e r k e l mit grosser Energie für die wesentliche Gleichlieit des Tatbestandes in allem Unrecht ein. Alies Unrecht ist gleichermassen Delikt. Da nun Merkel auch die Schadenersatzverbindlichkeit ais Rechtsfolge des Unreciits ansieht, stand er vor dem neuen Problem: wie die gleiche Ursache, namlich das Delikt, anscheinend verschiedene Folgen, Strafe und Ersatz, erzeugen kónne? Er sucht es dadurch zu losen, dass er ausfiihrt, das Unrecht habe nur eine einheitliche Rechtsfolge: es fordere Wiederaufhebung in den verschiedenen Spharen, in welchen es Gestalt gewonnen habe. An die Erscheinungen des Unrechts, welche der „inneren Sphare" angehorten, knüpfe der Straf-zwang, an die der „áusseren Sphare" der Civilzwang an. Auch der Civilzwang aber bekíimpfe nicht lediglich das áussere Faktum, sondern „die Objektivirung eines der Herrschaft des Rechts widerstrebenden Willens" ; der Strafzwang aber sei unmittelbar „auf die idéale Integritat des Verletzten gerichtet": „so dass also beiderlei Rechtsfolgen ihrem eigentlichen Wesen nach zusammenfallen". Wenn nun der Entschadi-gungszwang, trotzdem dass seine nachste Aufgabe ist, die Erscheinungen des Unrechts aufzuheben, welche „der áusseren Sphare" angehoren, auch die wesentlichen Momente des Strafzwangs in sich hat, so kann er letzteren in gewissem Umfang ersetzen-, und so kommt dem Strafzwang naturgemass eine subsidiare SteUung zu: er findet nur Ver-wendung für die Falle, für welche der Civilzwang nicht ausreicht.

Die Strafe selbst aber ist lediglich ein Akt der vergeltenden Ge-rechtigkeit. Dem Verbrecher gegenüber giebt es keine andere Recht-fertigung des Zwangs, den er erleidet, ais die in der Beziehung des-selben auf die verbrecherische Tat gegebene. Der Strafanspruch tritt an die Stelle desjenigen, welchem das Delikt selbst widerstreitet (An-erkennung des von mir zuerst aufgestellten, so vielfach bekampften Gedankens der Verwandlung eines primaren Rechtsanspruchs in den Strafanspruch). „Die Strafen enthalten ihrer allgemeinen Natur nach eine B e k r a f t i g u n g d e r d u r c h d i e H a n d l u n g v e r l e t z t e n V o r s c h r i f t e n u n d P f l i c h t e n und eine Bekámpíung der in der pflichtwidrigen Handlung ais solcher sich áussernden Faktoren." (Durch weitere Ausführung des letzteren Gedankens kam M e r k e l spater in nahere Berührung mit W e l c k e r s Theorie des ideellen Schaden-ersatzes: s. oben § 8G s. 111 S. 212. 213.) Unrichtig aber ist es, wenn viele Gelehrte die Beziehung der Strafe auf die Interessen, Bedürfnisse und Leidenschaften der Gesellschaft leugnen; denn gerade die letzteren, welche das gesellschaftliche Leben beherrschen, bilden die natürlichen Vermittler der Gerechtigkeit, welche die Realisirung derselben ais eine nicht von Willkür und Zufall abhangige erscheinen lassen. Alies

^ Zu Aveit gelit mir Liepmann a. a. O. S. 190 mit der Behauptung, M e r k e l s Ausführ\mg;en über die Strafe enthielten in ihren Gruudzügen ,,schlechterdiugs absclihesscnde Ergebnisse". L. fusst deshalb S. 188 vollstándig auf Merkel.

Bind ing , Strafrecht. Grundriss. 7. Aufl. 15

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§ 92. 226

Lebendige kámpít , um sich selbst und die Bedingungen seines Daseins zu erhalten und zu sichern; dem Kampfe um die letzteren aber gehórt die Reaktion a n , die im gesellschaftíichen Leben dem Verbrechen antwortet , mogen die Einzelnen oder die Gesaniíheit die Vermittlurig derselben übernehmen. „Die offentuche Strafe erscheint stets und überall ais eine sociale Machtausserung im Dienste socialer Selbst-behauptung."

§ 92. V. Die Strafe, ihr Begriff, ihr Grund, ihr Zweck, ihre Grenze nach positÍTem Reclite^.

S t r a f e i s t e i n e E i n b u s s e a n R e c h t e n o d e r R e c h t s -g ü t e r n , w e l c h e d e r S t a a t e i n e m D e l i n q u e n t e n v o n R e c h t s w e g e n a u f l e g t z u r G e n u g t u u n g f u r s e i n e n i r r e p a r a b e l n s c h u l d h a f t e n R e c h t s b r u c h , u m d i e A u t o r i t a t d e s v e r -l e t z t e n G e s e t z e s a u f r e c h t z u h a l t e n .

Sie is t :

1. E i n b u s s e a n R e c h t e n o d e r R e c h t s g ü t e r n , somit ein Verlust , und bedeutet für den Bestrafíen im Rechtssinne e i n Ü b e l , auch wenn dieser die Strafe nicht ais solches empfinden sollte. Die Strafe wird erst dadurch ermoglicht, dass eine Person Rechte und Rechtsgüter besitzt. Den vollig Rechtlose kann nicht gestraft werden, derjenige, der gewisser Rechtsgüter , z. B des Vermógens, da rb t , ist wenigstens für gewisse Strafen unzugánglich.

Soviel Arten von Rechtsgütern einer Person zukommen, so viel Strafarten konnte es hOchstens geben. Allein gewisse Rechtsgüter werden in einer Zeit, die eine vollige Rechtlosigkeit nicht mehr kennt, nicht zur Strafe ntzogen, z. B. nicht die Personen- und die Kindes-qualitat, die Vater- oder Gattenquali tát , die Untertanenqualitat . Das frühere gemeine Recht kannte nur Strafen an Leben , Leib, Freiheit, Ehre und Vermógen, das jetzige gemeine Recht hat davon noch die Leibesstrafen gestrichen. Gegenüber der Unzahl von Verbrechen raacht sich die geringe Zahl tauglicher Strafmittel sehr empfindlich, und die Zurückdrangung fast aller Strafübel durch die Freiheitsstrafe hat diese Armut nicht nur erheblich gesteigert, sondern auch der Verwechslung und Vermischung der Strafe mit anderweiten Mass-nahmen starken Vorschub geleistet^

Sehr haufig aber sieht sich der Staat genotigt , gewissen Rechts-subjekten Rechtsgüter zu gañz andern ais zu Strafzwecken, etwa zu Zwecken der Landesverteidigung oder des Staatsunterhaltes oder der Sicherung der Gesellschaft, zu entzíehen. In letzterem Falle spricht man neuerdings von , , s i c h e r n d e n M a a s s n a h m e n " im Gegensatz zur Strafe, falls man nicht in grdsster Verblendung viellfeicht gar die

1 Eine gute Orientirung über den Streit der Gregenwart bezüglich des Straf-zweckes giebt S c h m i d t , Die Aufgaben der Strafrechtsptíege. Leipzig 1895. Mit grossem Erfolge bekámpft S c h m i d t die AngrifFe gegen die Vergeltungs-títrafe. In der Auffassung des Vergeltungsgedankens stimme ich aber mit Schmi dt nicht vollig überein. S. oben S. 209 Note 1.

2 S. darüber auch die Vorrede S. XVIII. — Sehr verdienstlich, wenn auch einseitig, hat M i t t e l s t á d t , G-egen die Freiheitsstrafen, Leipzig 1879, diese Über-treibungen und Fálschungen gegeisselt!

227 § 92.

Strafe in jenen Maassnaiimen aufgehen lásst. Die Berechtigung zu jenen Maassnahmen auf eine nSOciale" im Gegensatz zur beseitigten '„moralischen" Verantwortung dessen zu gründen , gegen den sie er-griífen werden ( F e r r i , A s c h a f f e n b u r g u. A.) , heisst mit dem Begriff der Verantwortlichkeit schwersten Missbrauch treiben. Allein verantwortlich ist d e r S t a a t für die Sicherheit der Gesellschaft, und jede Verantwortlichkeit des Unglücklichen, den er treffen, vielleicht opfern muss, fállt weg.

Nur diejenige Entziehung ist aber Strafe, die staatsseitig geschieht, I I . u m d e n D e l i n q u e n t e n z u r G e n u g t u u n g fü r s e i n e n

s c h u l d h a f t e n i r r e p a r a b e l n R e c h t s b r u c h b e h u f s A u f -r e c h t e r h a l t u n g d e r A u t o r i t a t d e s g e b r o c h e n e n G e s e t z e s z u z w i n g e n .

A. Das Recht auf Strafe ist nichts ais ein v e r w a n d e l t e s R e c h t a u f B o t m a s s i g k e i t o d e r G e h o r s a m g e g e n d e n D e l i n q u e n t e n . Über Rechtsverwandlungen überhaupt s. v, S c h e y bei Grünhut V I I 1880 S. 74G ff. V I I I S. 110 ff. S. auch oben S. 225. Damit erscheint

1. d a s D e l i k t a i s e i n z i g e r E n t s t e h u n g s g r u n d d e s S t r a f r e c h t s . Durch die Normen erhalt der Staat ein Recht gegen alie seinen Gesetzen Unterstehenden auf Befolgung seiner Ver- und Gebote. Schuldhafterweise nun hat der Delinquent ge tan , was das Staatsgesetz verbot, seine Gehorsamspflicht missachtet. So sieht sich der Staat vor die Wahl gestellt, entweder tallos den Fr iedbruch hin-zunehmen oder aber sein Gehorsamsrecht gegenüber dem Friedbrecher zur Geltung zu bringen. E r kann nun aber

a. sein Forderungsrecht auf Gehorsam u n v e r a n d e r t gegen den Delinquenten ebensowenig geltend machen ais das Recht auf Restitution einer Sache nach deren Untergang. Denn das Gehorsamsrecht ist nicht zwangsweise zu realisiren. Nicht einmal kann man den Delinquenten notigen wolien, sich dem von ihni übertretenen Verbot von nun an zu fügen. Denn eine trotzige Gesinnung lasst sich durch Zwangsmittel nicht brechen und ein guter Vorsatz leicht wieder aufgeben. Z w e c k d e r S t r a f e k a n n a l s o n i c h t s e i n , d e n R e b e l l e n g e g e n d i e R e c h t s o r d n u n g i n e i n e n g u t e n B ü r g e r z u v e r w a n d e l n . Und ware dies selbst moglich, so würde der Verbrecher nur von jetzt an zur Erfüllung seiner Pflicht genotigt, seine frühere Pflichtverletzung aber bliebe ungeahndet.

b . V i e l m e h r m u s s j e n e s R e c h t , solí es sich nicht ais illusorisch erweisen, ebenso v e r w a n d e l t w e r d e n wie vielfach die Obligation auf Sachleistung in eine solche auf Ersatzleistung, und zwar notwendig i n e i n z w a n g s w e i s e d u r c h z u f ü h r e n d e s R e c h t . Dieses Recht aber kann n i c h t darauf gehen,

a. d e n D e l i n q u e n t e n z u r B e s s e r u n g d e s G e -s c h e h e n e n a n z u h a l t e n , weil dies auf alie Ewigkeit hinaus un-verbesserlich b le ib t^ Mogen auch einige schadliche Folgen des Ver-

1 Wenn F e r r i , Verbrechen S. 414 íF., dem sich A s c h a f f e n b u r g , Be-kámpfung S. 245 ff. anschliesst, die Beide ja keine Strafe melir kennen und

15*

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§ 92. 228

brechens aufgehoben werden konnen, das Verbreehen selbst ist ein Stück Geschichte und ais solches nie mehr ungescliehen zu machen;

/?. d a s n ó r m a l e Y e r h a l t n i s z w i s c l i e n d e m V e r b r e c h e r u n d d e m G e s e t z w i e d e r h e r z u s t e l l e n . Denn diese Wiederherstellung fordert unerzwingbare Willensandei;ung, und bei diesem Strafzweck würde ernste Reue nach jedem Verbreehen zum Strafausschliessungsgrund. D i e S t r a f e d i e n t n i c h t d e m H e i 1 u n g s z w e c k e.

y. Jenes Recht kann vielmehr nur darauf gehen , v o n d e m D e l i n q u e n t e n G e n u g t u u n g z u e r h a l t e n für den unauf-hebbaren Schaden, den er der Rechtsordnung zugefügt hat. Ha t er getan, was das Recht nicht wollte, so m u s s e r j e t z t l e i d e n , w a s d a s R e c h t i h m a u f l e g t , u n d w a s e r n i c h t w i l l . Somit ist die Strafe nicht Heilung, sondern Zwang gegen den Schuldigen. E r h a t g e g e n ü b e r d e m G e s e t z d i e M a c h t f r a g e g e s t e l l t . D e s -h a l b a n t w o r t e t e s i h m d u r c h s e i n e z w a n g s w e i s e ü n t e r -w e r f u n g u n t e r s e i n e M a c h t o d e r H e r r l i c h k e i t . Andere Antwort ist für die Macht des Rechts nicht moglich, Keine Antwort be-deutete ihre Ohnmacht, So ist die Strafe R e c h t s m a c h t b e w a h r u n g , ais zwangsweise Unterwerfung des Schuldigen unter den starken Arm des Rechtes für diesen stets ein Übel , also Vergeltung von Übel mit Ube i , ais Sieg der Rechtsmacht über den Schuldigen für sie eínen Triumpf, weil annahernder Ausgleich einer Verletzung — in díeser Funkt ion nicht sowol V e r g e l t u n g a is G e n u g t u u n g , die der Verbrecher dem Staate gegenüber leistet.

Man pflegt die Strafe nach díeser Auffassung ais V e r g e l t u n g s -oder G e n u g t u u n g s s t r a f e zu bezeichnen. Ein Teil der Polemik gegen diese m. E. alleín mdgliche Auffassung der Strafe hat darin ihren Grund , dass von ihren Vertretern teilweise zu einseitig die Notwendigkeit der Vergeltung des Übels mit dem Übel betont wird ^.

von der Genagtnun^ niclits wissen wollen, Beide ihren Verbrecher von Staats-wegen zur Entschádigung des Verletzten angehalten sehen und darin eine „Strafe" erbticken wollen, so legen sie verdienstlich ihren Finger auf eine Avírklich wunde Stelle. Seitdem die Strafe dem Verletzten unmittelbar keine Genugtuung mehr bieten solí, ist bei der Bestrafung die Rücksicht auf diesen zu stark in den Hintergrund getreten. Wie dem abzuhelfen, darüber ist nachzudenken. Denn einerseits ist es mit der Ersatzleistung allein nicht getan, andrerseits erweist sie sich in m íausenden von Fallen ais ganz oder zum grossten Teile undurchführbar.

'- Auch B i r k m e y e r geht mir darin zu weit. Andrerseits begegnet man bei solchoii, die den Vergeltungsgedanken schroff ablehnen, oft einem merkwürdigen Un\-erstandniss für diesen m, £. tiefsten Gedankeu der Weltgeschichte. Daraus erklárt sieh ihre Abneigung gegen ihn. Eine arithmetische Gleichung zwischen Schuld und Strafe ist in der Tat nicht moglich, wol aber ein annáherndes Aus-mass der Schwere der Tat und ein annáherndes Ausmass der Strafe, die inner-halb eines bestimmten Strafensystems jener Schwere proportional ist. Jedes Strafgesetz schon stellt ja in bestimmtem Umfang jene Gleichung auf, hált sie also für tunlich. Wenn beispielsweise H e i m b e r g e r , BegriíF der Gerecht. im Strafrecht, S. 19, fragt: „Was ist Vergeltung?" und antwortet: „Wenn man es ehrlich sageu will: „Weiter nichts ais Rache", so beweist dies nur, dass ihm beide BegriíFe vollstándig fremd sind. Und mir will scheinen, was H. S e u f f e r t , Ein neues Strafgesetzbuch S. 5, „Gerechtigkeit" nennt, ist von dem, was ich genug-tuende Vergeltung nenne, im Ausdruck weiter geschieden ais im Sinne.

229 § 92.

Den Staat treibt nicht Rachsucht und diese ihn nicht etwa zur Tal ion: denn was der Verbrecher dem Staate ge tan , das vermag dieser ihm nicht wieder zu tun, E r bezahlt nicht Übeltat mit Übel ta t , Unrecht mit Unrecht, sondern bekampft den Feind des Rechts mit der Macht des Rechts. Diess kann er aber nicht anders , ais dadurch , dass er ihn sich zwangsweise unterwirft , also ihm ein Übel zufügt. Dass Letzteres ihm nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck ist, ergiebt sich aus séinem Verzicht auf die Strafe, wo er sie für ent-behrlich hal t , andrerseits aus der Bemessung der Strafe nicht allein nach der Grosse der Verschuldung, sondern nach der Heiligkeit der übertretenen Norm und dem Maasse des Bedürfnisses nach Wieder-befestigung ihrer gefáhrdeten Autoritát. E b e n s o w e n i g i s t d i e S t r a f e d e r n a c h t r a g l i c h v e r l a n g t e P r e i s , d e n d e r D e l i n -q u e n t f r e i w i l l i g f ü r s e i n e T a t z a h l t , o d e r d e n d a s R e c h t f ü r d i e B e g e h u n g d e s V e r b r e c h e n s e i n f o r d e r t („Was kostet ein Schlag?") . Denn eine Befugnis zu delinquiren giebt es nicht, also auch nicht zu kaufen.

Aus dem Gesagten ergiebt sich: 2. Alleiniges Subjekt des Strafpechts ist heut der Inhaber

des Rechts auf- Gehorsam gegen die Staatsgesetze wider den Delin-quenten, das ist der Staat, — nicht ein Einzelner oder eine Ver-b indung, nicht die Famil ie , die Schule , die Kirclie. F ü r d e n J u r i s t e n g i e b t es n u r e i n e u n m i t t e l b a r e o d e r m i t t e l b a r e S t a a t s s t r a f e . Sehr wol aber kann der Staat die Rechtsgüter, die er dem Delinquenten zur Strafe entzieht, insbesondere den Er t rag von Vermogensstrafen, Privatpersonen oder Gemeinden oder woltatigen Anstalten zuwenden. Gewáhrt er dem durch die Misstat Verletzten zu dessen Privatvorteil eine Klage auf Geldstrafe oder anderweite Pr ivatgenngtuung gegen den Del inquenten, so heisst diese Strafe P r i v a t s t r a f e (so das duplum und quadruplum beim romischen furtum; die Klage auf Abbitte und Ehrenerklárung) . Die „Busse" des GB §§ 188 und 231 ist aber keine Privatstrafe, sondern ein Schadenersatz (s. unten § 106). A l i e N i c h t p r i v a t s t r a f e n h e i s s e n o f f e n t l i c h e S t r a f e n .

3. Alleiniges Objekt des Strafrechts ist der Schuldige. Eine Bestrafung Unschuldiger ist in alien Formen unstatthaft und dem geltenden Rechte durchaus fremd: ais Bestrafung des fálschlich Be-schuldigten, ais Verdachtsstrafe, ais Bestrafung der Angehorigen des Schuldigen, ais Bestrafung dessen, der den Schuldigen in der Straf-erduldung vertreten mochte.

Angesichts des geltenden Rechts gilt es gleich, ob die Schuld-fahigkeit und die Verantwortlichkeit für schuldhafte Ta t aus determi-nistischen oder indeterministischen Anschauungen erklart wird. Die grosse Kluft oíFnet sich nicht zwischen Deterministen und Indetermi-nisten, sondern zwischen denen , welche die Schuld anerkennen und denen, die sie leugnen. Letzteren geht jedes Verstandnis der Rechtsordnung im Ganzen ab und sie müssen jeder Rechtsordnung, nicht nur der heutigen, den Krieg erklaren. S. auch Vorwort S. X I íf.

Ein „irrer Verbrecher", ein „geborener Verbrecher", ein „Ver-

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§ í>2. 230

brecher", der nie ein Verbrechen verübt hat , das sind phantastische Míssgeburten, die in keiner Rechtsordnung eine Stelle íinden konnen!

4. D a s S t r a f r e c h t des Staates gegen den Delinquenten e n t s t e h t u n m i t t e l b a r a u s d e s s e n ü n b o t m a s s i g k e i t , falls nicht der Staat ausdrücklich weitere Bedingungen dieser Entstehung aufstellt, wie dann, wenn er den Satz nulla poena sine lege oder das Erfordernis volkerrechtlieher Recíproeitát sanktionirt. Die sog, Not-wendigkeitstheorieen übersehen, dass nicht die Strafpflicht, sondern nur das Strafrecht notwendige Folge des Deliktes ist. Man kann zu-geben, dass aus dem Delikt normalerweise ipso ju re die Strafbefugnis entstehen sollte. Damit wird aber durchaus noch nicht, wie H e g e l und seine Schule behauptet, die Strafe zur l o g i s c h e n (dialektischen), also unmittelbaren und unausbleiblíchen Folge des Verbrechens. Menschen strafen Menschen, nicht Verbrechen sich selbst. Zwischen Verbrechen und Strafe schiebt sich stets der freie Entschluss des Strafberechtigten ein, von seineni Rechte Gebrauch zu machen. Die Strafe ist stets eine freie Tat des Inhabers der Strafgewalt. — Da aber alies Delikt das Moment der schuldhaften Auflehnung des Einzel-willens gegen den Gemeinwillen enthalt , also insoweit gleichartig ist, so i s t a l i e s d e l i k t i s c h e U n r e c h t s t r a f f a h i g Das S t r a f r e c h t des Staates existirt also, falls er nicht selbst das Gegenteil anordnet, vor allem Strafgesetz, wie denn zu gewíssen Zeiten, z. B. zu denen des klassischen romischen Rechts, die Gerichte auch Strafen verhangen durften ohne ein Strafgesetz, welches der Begehung der verbotenen Handlung voraufging. S. auch H u g o G r o t i u s , De j u r e belli ac pacis 11 20, 22, 1 : Ante legem poenalem constitutam dubium tamen non est, quin poenae locus esse possit, quia natural i ter , qui deliquit, in eo statu est, ut puniri licite possit: sed non ideo sequitur deberé eam (scil. poenara) exigi. S. auch H e i n z e , GS 1861 S. 423ff.; Bdg, N I §§ 25 und 5 7 , bes. aber Handbuch I S. '248 íF. Dass unser heutiges Recht dem Satze huldigt: nulla poena sine lege poenali, steht mit der Tatsache der Entstehung des S t r a f r e c h t s unmittelbar aus dem Delikte nach richtiger Auffassung nicht in Widerspruch.

5. D a s S t r a f r e c h t i s t a l s o R e c h t s f o l g e d e s D e l i k t s , und zwar bildet es dessen Rechtsfolge schlechthin und unterscheidet sich dadurch aufs scharfste von dem R e c h t e , R e p a r a t i o n z u f o r d e r n , und seiner Hauptart , d e m R e c h t e d e s G e s c h a d i g t e n a u f S c h a d e n e r s a t z . Ist die Quelle des Strafrechts das Irreparable im Del ik t , so ist die Quelle der Reparationsverbindlichkeit ein dem Rechte widerstreitender, aber wieder in Einklang mit diesem zurück-zuführender Zustand. Ist die Strafe sozusagen eine hochst personliche Leístung allein des Schuldigen, so ist durchaus nicht der Schuldige alleín zum Ersatze pflichtig. Die Strafe wird geleistet zu Gunsten des Staates , der Schadenersatz zu Gunsten des Beschadigten. Die Grosse des Ersaízes bestimmt sich stets arithmetisch genau nach der Grosse des Schadens; die Hohe der Strafe ist an solchen beziíFerten Massstáben nicht abzulesen. Endlich solí die Strafe nicht heilen, sondern dem Stráfling eine Wunde schlagen, der Ersatz aber eine Wunde heilen, womoglich ohne eine andere zu schlagen. So ist es

231 § í>2.

weder moglich, mit W e l c k e r und H e p p d i e S t r a f e a i s A r t d e s E r s a t z e s , noch mit H e i n z e und M e r k e l d e n E r s a t z a i s A r t d e r S t r a f e zu behandeln. Vielmehr stehen nebeneinander zwei wesentlich verschiedene Rechtsfolgen: s c h n e i d i g e S t r a f e und h e i l e n d e B e s s e r u n g . Der wesentlichen Verschiedenheit der Folgen entspricht aber eine wesentliche Verschiedenheit der Tat-bestande, an die sie geknüpft s ind: die Strafe nur an deliktische, die Reparationsverbindlichkeit durchweg — auch in den Pallen der sog. Deliktsobligationen — nie an deliktische Tatbestande ais solche. — Über das Verhjiltnis von Strafe und Ersatz s. bes. Bdg, N I §§ 40, 41, 58, 59 und die dort angefuhrte Literatur. S. auch die Li teratur oben zu § 1.

6. D a s S t r a f r e c h t i s t R e c h t a u f G e n u g t u u n g f ü r d a s D e l i k t . Durch diesen Zweck unterscheidet sich die R e c h t s -s t r a f e von der ihr ausserlich sehr ahnlichen sog. D i s z i p l i n a r -s t r a f e , d i e k e i n e S t r a f e i m R e c h t s s i n n e , s o n d e r n e i n p í l d a g o g i s c h e s Z u c h t m i t t e l i s t , die demgemass durchaus nicht nur gegen Delikte, sondern auch gegen Unsittl ichkeiten und Ordnungswidrigkeiten nicht juristischer Natur zur Anwendung kommt, die durchaus nicht nur vora Staate gegen. seine Diener , sondern ebenso von Gemeinden gegen ihre Beamten, von der Kirche gegen ihre Angehorigen, von der Universitat gegen Studi rende , von dem Lehrer gegen seine Schüler , vom Familienhaupte gegen Familien-glieder^, von dem Borsenvorstande gegen Borsenbesucher, von den Anwaltskamniern gegen die Anwálte , vom arztlichen Verein gegen .seine Mitglieder u. s. w. ausgesprochen werden kann. Die Disziplinar-strafe wird verhangt an erster Stelle ne peccetur, nicht quia peccatum est. Kommt sie gegen Delinquenten zur Anwendung, so will sie nicht das Del ikt ais solches, sondern die darin enthaltene, mit der Stellung des Beamten, Advokaten , Notars streitende Zuchtlosigkeit oder Ord-nungswidrigkeit ahnden. D e s h a l b k o n k u r r i r e n R e c h t s s t r a f e u n d D i s z i p l i n a r s t r a f e k u m u l a t i v .

Übei- die Disziplinai'strafe vgl. Meiiz, Betracht. über dio Disziplinar-untersiichung und ihreii Uiiterschied von der Geueraluntersucliuug: NA H 1818 S. 486 ff. — Hof f t e r , Über Verbrechen und Disziplinarvergehmigen der Staats- und Kirchendiener: NA XIII 1838 S. 48 ff. 155 ff. — P f e i f f e r , Prakt. Ausführ. aus alien Teilen der Rechtswissensch. III S. 361 ff. — B u d d e u s , in Weiskes Reclitslexikon I S. 220 ff. III S. 445 ff. (vgl. dens. in Ersch und Gruber. Encykl. XXVI S. 13 ff.)— v. W^áchter , Handbuch S. 301 ff. — De P i n t o , Bydrage fot de leer der disciplinaire bestraffiugen \'an staatsAvege bedreigd. Leiden 1876.— Ferner die Aufsátze von F u n k e und von S c l i l e t t e r , bei Weiske VIII S. 181 ff. und X S. 586 ff.; von B r a t e r , D o l l m a n n , B u l a n in Bluntschlis und Braters Staatslexikon I S. 71 ff. 219 ff. III S. 134 ff.; von Tr i e s t , in Rottecks und Welckers Staatslexikon IV S. 562; von v. L i s z t , HReclitslex. s. v. Ordnungs- und Diszi-plinarstrafen II S. 966 ff.; von S e h ü t z e , das. s. v. Amtsverbrechen I S. 97 ff.; von H e c k e r , GS 1879 S. 481 ff.; von R e h m , in Hirths Anualen 1885,S. 191 ff.; von L.abes , das. 1889 S. 213 ff. —Über die Ordnungsstrafe

1 Interessante Bestimmungen in einigen Hausgesetzen der regierenden Fürstenháuser: s. z. B. Oldenburgisches Hausgesetz v. 1. Sept. 1872 A. 14 bei S c h u l z e , Die Hausgesetze II S. 456.

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§ 92. •l'\-?.

in ilu-er verscliiodeiien Anwendung s. D e l i u s , Z f. Handelsrecht XXXVIII 1891 S. 426 ff; F r i e d i á n d e r , GS XLVI 1892 S. 417 ff.; P r e g e r , AÓE VII 1892 S. 365 ff. — Vgl. ferner H o h b a c h , Beitráge z. Strafrecht 1836. — S e h w c n k e u , Die Amtsvergehen nacli gem. und kurhess. Rechte. Hg. von Kuleukamp. Kassel 1848. — Me v e s , in v. Holtzendorffs Handbucii III S. 913 ft". IV S. 339 If. —• Tl i i lo , Die preuss. Disziplínargesetzgebung, Berlín 1864. — Kanng ie se r , Das Recht der Reichsbeamten. Berlín 1874. — V. Zed l i t z -Nenk i r ch , Kommentar zum Eeiclisbeamtengesetz. Berlin 1874. — L a b and , Staatsrecht I S. 439 ff. — P e r e l s u. S p i l l i n g , Das Eeichsbeamtengesetz. Berlin 1890. — v. Bar , Handbuch í S. 352 tf, — Oppenheim, Die Rechtsbeugungsverbrecheu S. 11—23.— Merkel , Stráf-reclit S. 46 ff. — B i n d i n g , Normen I S. 500 ff. — Ders . , Lehrbuch II S. 396 ff. — N a g l e r , Sonderverbrechen bes. S. 24 ff.— v. S e y d e l , Bavr. Staatsrecht II. 2. Aufl. S. 271 ff. — O. Maye r , Verwaltungsrer'^^ l í ' S . 241 ff. — S e u f f e r t , bei v. S t e n g e l , HW I S. 47 ff. u. Straf^ zgeb. d. Gegenwart I 1894 S. 66 ff. — K ü b e l , Die rechtl. Natur der Disziplinar-strafe über Beamte. Ansbach 1892. — J e l l i n e k , Syst. der subjekt. off. Rechte S. 203 ff. —• H i l l e r , Die Disziplinarstrafen in den osterreich. Straf-anstalten u. Grcrichtsgefángnissen. Leipz. u. Wien 1894. — Simón, Das Disziplinarstrafrecht der Privatdocenten in Preussen. Diss. Borna-Leipzig 1902. — V. R h e i n b a b e n , Die preufsischen Disziplinargesetze. Berlin 1904. — S. auch beispielsweise Reicnsbeamtenges. v. 31. Márz 1873 §§ 72 ff.; Borsengcsetz \. 22. Juni 1896 §§ 8ff. S. auch Gesetz, betr. die Dienst-vcrgehen der riehterlichen Militárjustizbeamten v. 1. Dez. 1898. — Vgl. auch Hofacker , Verháltnis der Exekutiv-Strafen zu den Kriminalstrafen nach gelt Rechte. Verwaltungsarchiv XIV 1906 S. 447 tf.

B. Die Pflicht zur Bestrafnn/2J wird keineswegs schon durch Ents tehung des Strafrechts begründet. Sonst müssten alie Delikte, weil innerlich gleichartig, mit Strafe heimgesucht werden. Dass es straflose Delikte giebt, erklart sich aber ebensowenig aus Quantitats-unterschieden zwischen den konkreten versebiedenen widerrechtlíchen Handlungen. Wer vorsatzlich den Kontrakt bricht, kann viel schwereres Unrecht begehen ais derjenige, der sich eine fremde Apfelsíne an.eignet oder einen zahnlosen Hund unerlaubterweise ohne Maulkorb sich aus-warts vergnügen iasst. Und doch wird im leichferen Falle gestraft, im schwereren nicht. D a s s a l s o n u r e i n T e i l d e r D e l i k t e g e s t r a f t w i r d , e r k l a r t s i c h w e d e r a u s d e r Q u a l i t a t n o c h a u s d e r Q u a n t i t a t d e s D e l i k t e s a l l e i n . Es kann sich viel-mehr nur a u s d e m I n h a l t d e s S t r a f r e c h t s erklaren lassen, warum der Staat auf dessen Ausübung so vielfach glaubt verzichten zu müssen.

1. Wie auch die Strafe beschaífen sein mag, sei sie Lebens-oder Leibeástrafe, Verbannung, Gefángnis oder Geldstrafe, stets ist ihr Vollzug auffálligerweise eine Handiung , welche, wie Totung, Freiheitsberaubung, Vermogensbeschadigung, regelmassig verboten und nur ausnahmsweise erlaubt ist. Abgesehen von dem allerdings sehr tiefgreifenden Unterschiede zwischen Recht und Unrecht haben das Virbrechen der Totung und die Todesstrafe, das Verbrechen der Einsperrung und die Freiheitsstrafe nah verwandten Inhal t ; Rechts-güter bestimmter Personen werden dadurch vernichtet oder ge-schmalert. Das Opfer des Verbrechens und der Urheber des Delikts, der um seiner Tat willen gestraft wird, beide erdulden nach Auffassung des Rechtes ein Ü b e l , weil eine Rechtsgüterbeeintrachtigung, nur jenes per nefas, dieser per fas. Diese Übelnatur der Strafe ist aber

283 § 92.

eine zweischneidige: die Strafe bedeutet nicht nur ein Übel für den Strafl ing, sondern auch für den Staat. Will er Strafe nehmen, so notigt sie ilin zur Einsetzung von Gerichten und Strafrichtern, von Organen der Strafklage und der Verteidigung, sie zwingt ihn ferner, Menschen zu vernichten oder einzusperren, deren I>eben und Freiheit nicht nur für ihre Trager und deren Famil ien, sondern auch für die Rechtsgemeinschaft vielleicht von Wer t s ind; sie legt dem Staate ferner sehwere Sorgen wegen des Strafvollzugs auf und bürdet ihm grosse Opfer am Vermogen auf. Das Strafrecht zu dulden ist schweres Leid, eá auszuüben für den Inhaber der Strafgewalt sehwere Las t , die er nur dann auf sich nehmen darf, wenn dies n o t w e n d i g ist , d. h. wenn das Strafrecht sich für ihn in eine P f l i c h t verwandelt .

2. Da der Staat nur dann ein Übel auf sich nehmen darf, wenn er dadurch ein grósseres oder mindestens ein gleich grosses von sich abwendet , so kann er sich zur Strafe nur dann für verpflichtet achten, w e n n d a s Ü b e l d e r N i c h t b e s t r a f u n g f ü r i h n n o c h g r o s s e r w á r e a i s d a s d e r B e s t r a f u n g .

3. Nun kann die Nichtbestrafung ais Übel nur unter zwei Gesichtspunkten erscheinen: entweder, weil die Rechtsgüter, wie Leben oder Freiheit, welche dem unbestraften Delinquenten verbleiben, für die Gesellschaft Gefahr drohen. Allein die Gefáhrlichkeit des Delinquenten zwingt den Staat wol zu PoUzeimassregeln für die Zukunft, aber nicht zur Strafe. Müsste ihretwegen Strafe eintreten, so ware künftige Un-gefáhrlichkeit Strafausschliessungsgrund, was sie nicht ist und nicht werden darf. Denn auch der Verbrecher, der aller Voraussicht nach nie mehr rückfállig werden wird, auch der Morder, dem ein Schlaganfall beide Arme gelahmt hat, wird in Strafe genommen und mufs es werden!

In der Personlichkeit des Verbrechers liegt also der Zwang zur Strafe nicht. I s t d i e s e a b e r n i c h t s a n d e r e s a i s d a s s t a a t s -s e i t i g g e l t e n d g e m a c h t e R e c h t a u f A c h t u n g v o r d e m G e -s e t z e , a i s z A v a n g s w e i s e R e c h t s b e w a h r u n g , so k a n n d i e u n t e r l a s s e n e S t r a f v e r f o l g u n g n u r w e g e n u n t e r l a s s e n e r G e l t e n d m a c h u n g d e r G e s e t z e a i s e i n Ü b e l e r s c h e i n e n . „Gesetz ohne Strafe ist Glocke ohne Kloppel ," sagt das deutsche Sprichwort, — zum Teil unrichtig: denn selbst die leges imperfectae üben, und zwar deshalb, weil die meisten Menschen, sei's aus Selbst-sucht, sei's aus Rechtssinn ihnen nachleben woUen, eine sehr heilsame und hauíig gerade diejenige W i r k u n g aus , worauf es dem Staate an-komrat. Aber allerdings, das Interesse des Staates an der Befolgung der Gesetze ist nicht gleich gross: die Autoritat der Norm gegen Totung beispielsweise muss so wcit aufrecht erhalten werden, ais nur irgend angeht , weil jede deliktische Totung die Rechtswelt aufs schwerste schádigt, warend sich das Recht begnügen kann, den Kauf-man n , der unerlaubterweise keine Handelsbücher führt , straflos sich selbst und seiner Unordnung zu überlassen.

G e r a d e d i e S t r a f e i s t d e r A u s d r u c k u n d d a s M a s s d e s I n t e r e s s e s , w e l c h e s d e r S t a a t a n d e r B e f o l g u n g d e r e i n -z e l n e n G e s e t z e n i m m t . Soweit seiner Ansicht nach die ruhige Hinnahme des Unrechts mit der Heiligkeit und Unverbrüchlichkeit

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§ 92. 234 I des Gesetzes ín Widerspruch stehen, oder soweit dauernde Straf-losigkeít die Autoritat eines Gesetzes mehr abschwachen würde , ais dieses ertragen k a n n , — so weit ist für ihn d i e S t r a f p f l i c l i t be-gründet^.

D i e S t r a f e i s t a l s o d a s g e l t e n d g e m a c h t e R e c h t a u f B e f o l g u n g d e r s t a a t l i c h e n N o r m e n b e h u f s n o t w e n d i g e r B e w a h r u n g d e r A u t o r i t a t d e r v e r l e t z t e n G e s e t z e .

4. Kein Recht hat dem Ungedanken gehuldigt, die Strafe gelte nicht dem Delinquenten, sondern dem Delikte, nicht dem Tilter, sondern seiner Tat. Nicht durch diese allein lasst sich aber der Staat zur Strafe zwingen, sondern nur durch sie in Verbindung mit ihrer erschütternden Wi rkung áuf die Rechtsordnung. A i s U r h c b e r d i e s e r W i r k u n g d u r c h B e g e h u n g s e i n e s V e r b r e c h e n s w i r d d e r V e r b r e c h e r s t r a f f a l l i g . Und nur ais solcher! Gerade das wird — gegen alie Rechtsgeschichte und gegen das geltende Recht — neuerdings vielfach geleugnet. Nicht der M e n s c h , sondern der V e r b r e c h e r , nicht der Delinquent ausserhalb seiner Tat, sondern ais Urheber seiner Tat wird gestraft.

Das Maass dieser erschütternden Wirkung bestimmt sich stets nach dem Maasse der Schuld-Energie und nach der Schwere des Taterfolges. Dieses Mass ist stets zugleich das der Strafe.

Eine der grossten Verschiebungen der Wahrheit bildet die neuerdings oft aufgestellte Behauptung, die Strafe gelte der „antisozialen Gesinnung", nicht ihrer einzeinen schuldhaft rechtswidrigen Betatigung. Dem gelten-den Recht solche Anschauungen in die Schuhe schieben, ist j a einfach unmoglich. Sie sich nber ais Grundlage künftigen aufgeklarteren Rechtes vorstellen, vermag nur, wer Rechtsbediirfnisse schlechterdings nicht zu würdigen weiss. Dann müsste j a auch die rechtswidrige, aber nicht betatigte Gesinnung in Strafe genommen werden. Genau nach der Tat und ihrer erschütternden Wirkung auf die Autoritat des Gesetzes wird der Tater bestraft. Deshalb muss ais Regel gelten : gleiche Schuld — gleíche Strafe, nicht aber , wie man unter Ver-leugnung aller Gerechtigkeit neuerdings prokiamirt hat , gleiche Schuld — ungleichc Strafe. Jenes Maass freilich ist nicht aufs Haar genau zu berechnen, sondern nur annahernd zu schátzen. Auch der Ausgleich der Wirkungen ist nur annaherungsweise mOglich und nur so denkbar, dass der Urheber der Rechtserschütterung zum bewussten und fühlenden Objekte der Rechtsbewahrung gemacht wird: d a s R e c h t z u m S i e g e r ü b e r s e i n e n V e r á c h t e r , d i e s e r a l s o z u d e m v o r a l l e r W e l t A u g e n G e r i c h t e t e n u n d d e r R e c h t s -h e r r l i c h k e i t U n t e r w o r f e n e n ,

5. Dieser approxímative Ausgleich ist der einzige Strafzweck, den das posítive Recht anerkennt . E r g i l t in d e n A u g e n d e s G e s e t z g e b e r s a i s rait d e m S t r a f v o l l z u g e e r r e i c h t . Gerade

' Die Polemik L i e p m a n u s , Einleit. S. 193, gegen mich ruht auf einem Missverstandniss. Die r e c h t l i c h e Autoritat der Norm bleibt trotz ihrer Über-tretung unverandert, die f a k t i s c h e aber nicht. Dieser faktischen Erschütterung gilt die Gegenwirkung der Strafe. Dies habe ich mV n-oin^-—^ -~ - ' ' nauptet!

235 § 92.

Íes habe ich nie geleugnet, ja stets be-

deshalb endet damit der Strafprozess, wie es denn überhaupt keinen Rechtsgang giebt , dessen Zweck jenseits seines bestimmungsgemassen Endpunktes lage. Alie diejenigen, welche der Strafe einen Zweck jenseits des Strafvollzugs geben, ignoriren das geltende Recht voU-stándig; auch wissen sie nicht zu erklaren, warum der Strafvollzug vor Erre ichung seines angeblichen Zweckes abgebrochen wird, — und dies um so weniger, ais keine einzige Massregel zur Sicherstellung des künftigen Strafzweckes getroffen wird. So ist zusammenfassend

zu sagen: A l i e S t r a f e i s t Z w e c k strafe. D e r R e c h t s z w e c k j e d e r

S t r a f e w i r d n a c h d e r j e w e i l s h e r r s c h e n d e n A u f f a s s u n g d e s g e l t e n d e n R e c h t e s v o l l e r r e i c h t d u r c h d i e S t r a f -v o l l s t r e c k u n g . E s g i e b t k e i n e n S t r a f z w e c k , d e r j e n s e i t s d e r E x e k u t i o n l a g e ^ .

6. Falsch ware , zu glauben: die nótige A b s c h r e c k u n g verwandle das Strafrecht in eine Strafpflicht. Die Strafe solí nicht an erster Stelle abschrecken und kann es nicht : denn das Verbrechen sucht die Heimlichkeit und wird in der Hoífnung der Verheimlichung, also der Straílosigkeit, begangen.

Unzulássig ware die Prasumtion, dass die Strafe in jedem einzeinen Falle ihrer Verhangung dem durch das Verbrechen verletzten Gesetze genau so viel Stabilitát zurückgebe oder auch nur zurückgeben solle, ais ihm davon vielleicht durch das Verbrechen genommen worden ist, dass sie also H e i l u n g ware ; aber richtig ist, dass, wie die Misstater die Gesetze zu untergraben suchen, so die Strafe bemüht ist, sie in ihrer weithin herrschenden Kraft zu statigen.'

Nicht unbedenklich erscheint für die richtige Auffassung des Strafzweckes, wenn m a n , statt ihn exakt zu abstrahiren a u s d e m Z w e c k e d e r e i n z e i n e n S t r a f v o l l s t r e c k u n g , ihn allgemeiner zu bestimmen sucht aus der erwünschten Folge des Strafvollzuges im Ganzen. Dann verliert man namlich sehr leicht das so eminent wichtige Ergebnis zwangsweiser Unterwerfung des Verbrechers unter die sieghafte Gewalt des Rechtes aus den Augen und langt bei der Reflexwirkung an , kraft deren sich d u r c h d i e r e g e l m a s s i g e B e s t r a f u n g d e r V e r b r e c h e r die allgemeine Auffassung von der Heiligkeit und Unverletzlichkeit der durch den Verbrecher missachteten Rechtssatze steigert. Diesem Fehler ist neuerdings R. S c h m i d t ver-fallen. An jener Reflexwirkung hat übrigens auch schon die Straf-drohung ihren Anteil.

7. So triigt die Strafe allerdings, wie H e i n z e sagt , ein Janushaupt . Das S t r a f r e c h t gegentiber dem Delinquenten entspringt allein dem begangenen Verbrechen, die Strafpflicht zugleich der Rücksicht auf dessen rechtserschütternde W^irkung und auf die da-durch ausgeloste Notwendigkeit der Rechtsbewahrung. D i e S t r a f -a n w e n d u n g h a t a l s o i h r e n R e c h t s g r u n d n i c h t a l l e i n i m D e l i k t , s o n d e r n i s t i n d i e s e m S i n n e d o p p e l t b e d i n g t . Und dies ist der richtige Kern in den sog. Vereinigungstheorieen.

1 Vgl. auch oben S. 204 Note 2.

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1 § 93. 236

8. Eine der dringendsten Aufgaben der gegenwartigen Straf-rechtswissenschaft ist es aber , auf Grund des gesamten positiv-recht-licben Materials zu untersuchen, aus welchen sacblicben Motiven der Staat das ihm aus Deh'kten erwacbsene Strafrecht bald ignorirt, bald in eine Strafpflicht umwandelt. Ers t wenn diese mühevollc, kaum begonnene Untersuchung einmal abgeschlossen ist und jene Gründe ins Bewusstsein erhoben hat, wird uns ein Urteil darüber zustehen, ob die Grenzlinie zwischen strafbarem und strafJosem Unrecht so stark im Zickzack laufen muss, wie sie díes gegenwartig tut.

9. Das Gesagte wirft nun belles Licht auf die Bedeutung des S t r a f g e s e t z e s . Nicht weil der Staat für notig hait, dem Ver-brecher vor seiner Tat zu künden, welche Strafe sein Verbrecben zu gewartigen habe , erkennt er den Satz nulla poena sine lege poenali a n ; sondern weil er das Bedürfnis empfindet, die Verwandiung seines Strafrechts in eine Strafpflicht durch einen Akt bedachtester Gesetz-gebung und ein für allemal vorzunehmen, auf dass er nicht im kon-kreten Falle zu entscheiden genotigt sei, ob Strafe und welche Strafe zu verhíingen sei, sondern dass er für alie Falle wisse, ob eine Strafpflicht begründet sei^ und welchen Inhalt sie besitze. Man hat neuer-dings emphatisch das Strafgesetz ais die magna charta des Verbrechers bezeichnet. Es ist dies nur eine Rechtsblasphemie! Denn ein Staat, der den Verbrechern eine magna charta verleiht, kann nur ein Ver-brecherstaat sein. Nicht des Verbrechens wegen, sondern seiner selbst wegen erlasst der Staat das Strafgesetz. D i e s e s v e r w a n d e l t n a c h h e u t i g e r A u f f a s s u n g v o n R e c h t s w e g e n d a s s t r a f f a h i g e D e l i k t in d a s V e r b r e c h e n , d a s S t r a f r e c h t d e s S t a a t e s i n d i e S t r a f p f l i c h t .

Zweites Kapitel. Die gesetzlichen Strafmittel ' .

W a h l b e r g , H H I I S. 424 — 544. — D e r s . , Kriminalíst. u. nat ional-okonom. Gesichtspunkte. Wien 1872. S. 1U2 — 1 4 5 . — V. B u r i , Über das Strafensystem des StrGBs f. d, NDBund : GS 1871 S. 99 fí". — Vgl. auch B i n d i n g bei Grünhut I I 1875 S. 689 ÍF.; H o e g e l , Straffalligkeit und Strafzumessung. Wien 1897. ~ F ü r die geschichtí. Entwicklung der Strafzwecke bedeutsam R. S c h m i d t , Die Aufgaben der Strafrechtspflege S. 142 ff.

§ 93. I . Leitende Oedanken <Ies heutigen Strafensystems2. H^ 280—235. B 91—97. MI 73. Li 59. G 116. H* 123. 124. K 124. 125. WB 30.

^ Pie Literatur über Strafenreform, die bisher sehr wenig Erspricssliches erzeugt hat, ja zum Teil, wie x. B. Varg-ha, Die Absehaffung der Strafknecht-schaft I u. n, Graz 1895, 1896, gar nicht ernsthaft genoinmen werdeu kann, (vgl. darüber B i r k m e y e r , Meckl. Zeitschr. f. líechtspflege XIV S. 352 tf.), bleibt hier, soweit sie für das geltende Kecht nichts ausgiebt, bei Seíte.

" I. Den Inhalt des Strafvollzugs bestinimt seit der Eríindnng der Strafe bis heute steís das S t r a f u r t e i l , das bnld aus dem Quell des richterlicheu Kechtsgefühls „gesch6pft", bahl durch das G e s e t z für eine bestimmte Ver-brechensart inhaltlich entweder íiufs Haar gcnau oder eine bestimmte Mehrzahl von Strafgrossen umfasseud A orgeschrieben war. Letzteres ist heute geltendes Eecht. Und zwar bestiramt

237 § 93.

WV 39. — H o w a r d * (1726—1790), The State of prisons in England and Wales. 1777. — B e c c a r i a * (1738—1794), Dei delitti e delle pene.

1. der G e s e t z g e b e r für jede Verbrechensart die zulássige Strafart oder Strafarten;

2. der R i c h t e r aber, soweit er nicht absolut bestimmte Strafgesetze an-zuAvenden die Pflicht hat, für jeden Verbrechensfall das Maass der gesetzlich zulássigen Strafart. Und so fehlt

3. dem V o l l s t r e c k u n g s o r g a n grundsátzlich jeder Einfluss auf Strafart wie Strafmaass. Wie das absolut bestimmte Strafgesetz den Richter, bindet das absoUit bestimmte Strafurteil den Vollstreckungsbeamten, Das Straf-übel, das den Verbrecher im Einzelfalle trifft, ist ihm durch die hoch über ihm stehenden unparteiischen Machte des Gesetzes und des Richterspruchs zugemessen worden. Wenn O e t k e r . Z f. StrRW XVII S. 577, auf die Gesetzbücher von B a y e r n 1813 und O l d c n b u r g 1814 und auf deren Zuchthaus- und Festungs-strafe „auf unbestimmte Zeit" hinweist (s. bes. Bayern Art. 11 u. 12), so kann diese Verweisung leicht irreführen. Es sind das lebenslángliche Freiheitsstrafen, die bei über zennjáhrigem Wolverhalten nach Ablauf von 16 Jahren eine Ab-kürzung durch „Begnadigung" linden konnen.

II. Im Gegensatze zu diesem durch eine weit über tausendjáhrige Geschichte übeilieferten Rechtszustand, dass dem Verbrechen eine Strafe bestimmter Grosse auf dem Fusse folgt, ertont neuerdings aus den Reihen der Radikalen der Ruf n a c h A n f h e b u n g des S t r a f m a a s s e s . Ihn erheben u. A. F e r r i , A er-brechen, bes. S. 407 ff., in Deutschland zur Zeit am energischsten die Mcdiziner K r a e p e l i n , Die Absehaffung des Strafmasses. Stuttgart 1880, und ihm folgend A s c h a f f e n b u r g , Das Verbrechen u. s. Bekámpfung, bes. S. 255 ff. Natürlich fehlen die juristischen Mitláufer auch in Deutschland nicht. S. u. A. W i l l e r t , Z f. StrRW II S. 473 ff.; natürlich v. L i s z t — wie immer zu gewissen Kom-promissen geneigt —, s. bes. das. IX S. 491 ff., X S. 53ff.; M i t t e r m a i e r , Z f. Schweiz. Str.R XIV 1901 S. 141 ff.; F r e u d e n t h a í , Z f. StrRW XXVIÍ 1907 S. 130 ff. — K r a e p e l i n nimmt für seine eminenten Strafanstaltsdirektoren die „souveráne Entscheidung" über Fortdauer oder Beendigung der Strafe in Anspruch (s. S" 64). Er hat nachher viel Wasser in seinen Wein gegossen (s. Abhandl in Monatsschr. f. Krim. Psych. III S. 257 ff.), und dieser Souverán hat dann zu Gvmsten von Kommissionen, Aufsichtsráten oder Vollzugsámtern abdanken müssen. S. etwa V. L i s z t , Z f. StrRW IX S. 492; A s c h a f f e n b u r g , a. a. O. S. 262 ft"; F r e u d e n t h a í , Z f. StrRW XXVII S. 130 ff.

1. Solche „Abschaffung des Strafmasses" liesse sich natürlich doch weder für die T o d e s s t r a f e, noch für die Ge lds t ra fen , noch für die E h r e n s t r a f e n denkeu (vortrefflich O e t k e r , Z £ StrRW XVII S. 580). Für die F r e i h e i t s -s t ra fe bedeutcte sie ebenso natürlich auch die Absehaffung der S t r a f a r t e n . Die „Anpassung der Strafe an die Individualitát des Táters bis zu den letzteu Konsequenzen", die der Richter angeblich nicht vornehmeu kann, wáre dann natürlich vollstándig den Verwaltungsbeamten in die Hand zu legen. Sie be-stimmen die Lánge der Einsperrung und den sog. Strafgehalt derselben — mindestens letzteren ihrer Begabung entsprechend natürlich: „souverán".

2. Aber wodurch bestimmt sich die Lánge — von der Behandlung des Opfers einmal ganz abgesehen? „Durch die Erreicfnung der Besserung (s. diesen Gedanken übr. schon oben S. 215. 222 u. 223) oder der notigen Abschreckung !'• Wer aber liest diese Wirkungen aus der Seele des Stráf lings ab ? "Natürlich der souveráne Verwaltungsbeamte, dem vielleicht ais Dekorationsstück gelegentlich der definitiven Entscheidung ein in diesem Punkt vollig von ihm abhángiger Richter zur Seite gesetzt Avird. Denn diese Herrn haben die Gnade Gottes: sie konnen unmittelbar in die Seelen der Menschen schauen! Sie sind der Táuschuug nicht ausgesetzt! Die raffinirteste Heuchelei ist ihnen gegenüber machtlos!

Wenn sie aber doch am Staare litten und die Besserung oder die Ti efe der Abschreckung verkennten? Dann sássen die armen „Behandelten" bis an ihr seliges Ende. „Wer ungebessert stirbt, stirbt im Kerker" (Oetker a. a. O. S. 580). Und wenn die „Behandelnden" statt Genies der Pádagogik Stümper wáren in dieser so furchtbar schweren Kunst, wenn sie nicht die „ausgezeichnetcn Menschenkeñner" wáren, die man in Schaaren züchten zu konnen hotft, sondern

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§ 94. 288

Monaco 1764, (Gutc deutsche Übersetüuugen von Griaser, 2. Aufl. Wicii 1876, v o u W a l d e c k , Berlín 1870, una von E s s e l b o r u , Leipzig 1905). — M a l b l a n k , Gescli. der peinl, Gerichtsordn. Kaiser Karls V Nüniberg 1783 S. 224 ff. — F e u e r b a c h , Krit. 11 S. 168—237. — W á c h t e r , Die Strafarten und Rtrafanstalten des Konigr. Württemborg. Tübiiigen 1832. — S. auch George, Humauitát und Kriminalstrafen. Jena 1898. — Die teilweise hier eiuschUig. Schriften über einzeine Straf-art(!u sind der Übersichtlichkeit lialber bei diesen angeführt (s. die §§ 91 ff.).

U . Die Strafmittel des heutigen dentselien Strafrechts. H^ 236—253. B 98—119. Sch23—28. M 48—56. Mi 74-84. Li 60-67. G 117 bis 123. H 125—139. WH 30-40. WV 40. 45 a. K 125. Fi 91—109.— Über die Art ihrer Verwertung s. Bdg, E S. 62 ÍF. 107 ff. — Vgl. M i t t c l s t á d t , Gegen die Freineitsstrafen. Leipzig 1879. — Der s . , Z f. StrKW II 419 ff. — S o n t a g , Beitráge zur Lehre von der Strafe: Z f. StrEW I 480 ff. — L u c a s , GA XXXII S. 136 ff. XXXIII S. 137 ff".— S c h m o l d e r , Die StraíPen des deutschen Strafoesetzbuchs u. deren Yollzug. — Berlin 1885. — Vgl. auch K r a u s e , Die Prügel-strafe. Berlin 1899.

§ 94. Eclite und uncchte Strafen.

I. Das heutige deutsche Strafreeht kennt ais Strafmittel die Strafen an L e b e n , F r e i h e i t , E h r e und V e r m o g e n . J e nachdem eine Strafe nur auf eine bestimmte Klasse von Personen oder auf die samt-lichen Verbrecher mit Ausnahme jener Klasse Anwendung findet, zer-falien die Strafen in b e s o n d e r e und a l l g e m e i n e . J e nachdem

irrtumsfáhige Durchschnittsmenschen, und wenn es íhre Schuld — Pardon: ihr bedauerliches Missgeschick! — wáre, darin nichts oder N&gatives zu leisten, so büsste der Schüler für die Stümperhaftigkeit des Lehrers wieder bis ans Ende der Dinge.

Wahrlieh! Frivoler kann mit dem Schicksale von Tausenden und Aber-mden nicht gespielt werden. ais worm rr,..,. oi^ «- „_i,.j-- ^ ^ ^ . -

^

„^*v. g,v.i., uiii aiití V erorecüer, die doch auch sozusagen Menschen sind, einfach nur desshalb, weil sie einmal das Gesetz missachtet, einer Polizeiwillkür sonder Gleichen auszuliefern ? Und das solí das gerúhmte Mitleiden mit dem Verbrecher seiu, mit dem sich die Herrén so brüsten? Von diesem schwáchlichen modernen Mitleid mit jedem Verbrecher ais solchen weiss ich mich yollstándig freí. Ich halte es hierin ganz mit B i s m a r c k . Es ist mir zuwider und ekelt mich an ! Leid tut mir nur der Geisteskrauke, der schuldlos dieser schuldigen, zum Teil sehr unsauberen Gesellschaft eingereiht wird! Aber so viel Achtung habe ich vor jedem Verbrecher und so viel Mitleid mit seiner armen Familie, dass ich ihn nicht für schwere und noch weniger für leichte Missetat im Erfolg ganz fragwürdi^eu Experimenten sou^•eráner Verwaltungsbeamten für unbegreuzte Dauer preisgebe. — F r a n k trifft in der Tat den Nagel auf den Kopf, Avenn er sagt: „.Uie Zulassung unbestimmter Strafurteile ist in den uáchsten Jahrhunderten unannehmbar." M d. JKrV VI S. 577. Ich biu überzeugt, sie wird bei uns nie annehmbar werden.

Dass durch diese absolute Unbestimmtheit der Strafen das Strafgesetz den grossten Teil seiner Eindrucksfáhigkeit auf die Allgemeinhéit verlieren wird, dass durch diese Art Blankett-Gesetze, deren Ausiüllung im Einzelfalle die souveráne Willkür der Verwaltung zu geben haben. würde, die Gesetzgebung in der hásslichsten Weise gegenüber ihren Vollzugsorganen blossgestellt würde — diese Tatsaclien hervorzuheben wird ja dem Juristen wol noch gestattet seiii.

Und so s t e h t der e ine l e i t e n d e G e d a n k e des h e u t i g e n St raf r e c h t s , A r t und Maass der S t r a f e w e r d e n aufs H a a r genau . d u r c h G e s e t z und U r t e i l b e s t i m m t , k r a f t des Maasses s e i n e r G e w i s s e n -h a f t i g k e i t , G e r e c h t i g k e i t und D u r c h f ü h r b a r k e i t tu rmhoch ü b e r den V o r s c h l á g e n seiner V e r á c h t e r !

239 § 94.

auf eine Strafe allein oder nur in Verbindung mit anderen Strafen erkannt werden kann, zerfallen sie in H a u p t - und N e b e n s t r a f e n . Übrigens kann dieselbe Strafart, z. B. die Geldstrafe, bald ais Haupt-bald ais Nebenstrafe verwendet werden.

Was die richterliche Auswahl der Strafen anlangt , so sind die Strafarten des GBs einschliesslich ihrer gesetzlichen Abstufungen ab-solut gemeines Recht, so dass vom 1. J anua r 1871 mit alleiniger Ausnahme der Falle des E G § 6 al. 2 nur auf die ira S t rGB enthaltenen Strafarten erkannt werden durfte. S. darüber oben § 23. Es giebt also neben dem gemeinrechtlichen kein landesrechtliches Strafensystem mehr!

II . Unser Recht wird beherrscht von dem Grundsatze, dass alie Strafe Urteilsvollstreckung ist, und dass es eine freiwillige Übernahme der Strafe nicht giebt. Davon bestehen nur ganz vereinzelte Aus-nahmen: so z, B. Vereinszollgesetz vom 1. Jul i 1869 § 142 Abs. 4.

Nicht alie Rechte aber, auf die das Strafurteil spricht, sind Straf-rechte. So ist zuvorderst die scharfe Grenzlinie zwischen Strafen und Nichtstrafen zu ziehen.

I I I . Der Kampf gegen die Verbrechenswirkung wird durch die Strafe nur in einer ganz bestimmten Richtung geführt : in der Richtung gegen den Willen des Verbrechers. Aber das Verbrechen kann Wir-kungen erzeugen, die storend bleiben trotz der Strafe, also fast um so mehr , falls nicht einmal die Bestrafuug gelingt. Sie konnen sehr verschiedener Natur sein.

1. Die unertraglichste ist die Erzeugung von P s e u d o - R e c h t s -g ü t e r n , falschen U r k u n d e n , falschem Geld , gefálschten Nahrungs-mitteln, verbotenen Nachbildungen aller Art. Der Kampf gegen die Verbrechensfülgen muss hier die Gestalt der V e r n i c h t u n g d e r V e r b r e c h e n s - E r z e u g n i s s e a n n e h m e n . Dieser Vernichtungs-kampf müsste ais ein rechtlich unbedingt notwendiger in alien Fallen angesehen werden, ausser wo das Verbrechen besteht in Herstel lung von Erzeugnissen, zu deren Darstellung ein Anderer ausser dem Verbrecher ausschliesslich berechtigt ist. Dann namlich hatte die Vernichtung nur auf Antrag des Verletzten zu geschehen. Die Vernichtung der Verbrechens-Erzeugnisse ist also b a l d a b s o l u t , b a l d n u r r e l a t i v n o t w e n d i g . Erstere hatte grundsatzlich zu erfolgen ohne strenge Rücksicht auf das an den Pseudogütern bestehende Eigentum, letztere dürfte wesentlich nur das Eigentum des Verletzenden und seiner Helfer ergreifen.

2. Darán reiht sich d i e r e p a r a b l e S c h a d i g u n g d e s d u r c h d a s V e r b r e c h e n A n g e g r i f f e n e n . Sie kann sein

a. V e r m o g c n s b e s c h a d i g u n g oder b . R u f g e f á h r d u n g , wie bei der falschen Anschuldigung,

bei der Verleumdung. D e r K a m p f g e g e n d i e s e W i r k u n g t r a g t d i e G e s t a l t

d e r R e p a r a t i o n d e s S c h a d e n s . 3. Die Wi rkung des Verbrechens kann endlich sein d i e b e -

g r ü n d e t e S o r g e vor der dadurch enthüllten Gefáhrlichkeit des Verbrechers, vielleicht auch seines Besitzes für die Zukunft.

i

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§ 94. 240

D e r K a m p f g e g e n d i e s e W i r k u n g m u s s d i e G e s t a l t d e r p o l i z e i l i c h e n P r a v e n t i v - M a s s r e g e l , der „ s i c h e r n d e n M a s s n a h m e " , s e i ' s g e g e n d i e P e r s o n d e s V e r b r e c h e r s , s e i ' s g e g e n s e i n e H a b e , a n n e h m e n .

IV. Das Verbrechen und der Verbrechensyerdaeht losen normaier-weise den Strafprozess aus. Dieser dient an erster Stelle zur Ver-wirklichung des staatlichen Strafanspruchs. Wie sich aber an alien Punkten des Staatslebens die Einheit der Staatszwecke praktisch bo-wahr t , so wird auch der Staat durch den Strafprozess, soweit dieser dazu tauglich erscheint, den Kampf gegen die übrigen Verbrechens-wirkungen aufnehmen. Dies geschieht teils sozusagen unter der Hand, wie denn nach S t rGB § 165, 2 u. § 200, 3 dem fálschlich Denunzirten und dem Beleidigten zum Beweise der ihnen widerfahrenen Unbill auf Kosten des Verurteiiten eine Ausfertigung des Urteils von Amts wegen zu erteilen is t , und wie nach S t rPrO § 111 dem Verletzten die ihm durch das Verbrechen entzogenen Gegenstande nach , j a womoglich schon vor beendeter Untersuchung von Amts wegen zurückzugeben sind, „ohne dass es eines Urteils hierüber bedarf". Zum andern Teil wird das Strafgericht berufen, sei's auf Grund sorgsamer Prüfung der Bedü'rfnis- und Zweckmássigkeitsfrage oder gebunden an den gesetz-lichen Befehl, im Urteil die Kampfmassregel, ihren Urheber und die Art ihrer Durchführung zu bestimmen. Es müssen sich aber diese Massnahmen dem Strafprozesse ungezwungen einfügen und dü.rfen nicht ais ihm fremde Bestandteile erscheinen. Es kann sich dabei in der Tat nur nm Bekampfung von Verbrechens-, allenfalls auch von un-erwünschten Prozesswirkungen handeln. F ü r analoge Massregeln, die mit der Verbrechensbekampfung nichts zu tun haben, sollte das Straf-verfahren nicht zur Verwendung kommen.

V. Sofern diese Massregeln den Schuldigen treífen und ihm empfindlich sind, sieht der Gesetzgeber darin leicht Zusátze zur Strafe, vielleicht auch Strafsurrogate: die Massregel wird dann in seinem Gesetz zweideutig, wenn nicht gar zwiespaltig, wie es heute die Ein-ziehung geworden ist (s. unten §§ 102 u. 103^).

VI . Nun giebt es heute eine Strafe nur in den Handen des Staates. Ihr ist wesentlich, dass sie, soweit sie nicht Verwirkungs-strafe ist, durch dessen Vollstreckungsorgane dem Verbrecher ais Übel zugefügt werden m u s s .

1. Das Urteil des Strafgerichts ist also zweifellos kein Straf-urteil, soweit es feststellt e i n R e c h t

a. d e r S t a a t s k a s s e a u f E r s t a t t u n g d e r K o s t e n d e s V e r f a h r e n s gegen den Verurtei i ten; oder E r m a c h t i g u n g e n

b. d e r P o l i z e i (s. unten § 104); c. d e s d u r c h d a s V e r b r e c h e n V e r l e t z t e n o d e r d e s

d u r c h d e n S t r a f p r o z e s s G e s c h a d i g t e n (s. unten §§ 105 u. 106).

' Die einschlageuden Bestimmungen des heutigen Rechts beweisen klar nur die Unklarheit des G-esetzgebers, der urcsicher tastet, statt scharf zu scheiden und fest durchzugreifen. Sehr schádlich wirkt die grundsátzliche Gleichbehand-luug der instrumenta und der producta sceleris.

241 § 95.

2. Am raeisten Zweifel erregt d a s E i n z i e h u n g s u r t e i l : denn es berechtigt resp. verpflichtet nicht die Polizei, sondern die Vollstreckungsbehorden. Es wird sich zeigen, dass es bald Straf-urteil ist, bald nicht (s. unten §§ 98 u. 99).

Alie Massregeln sub 1 b u. c und die Einziehung, soweit sie Strafe nicht is t , soUen kurz , wenn auch ungenau ais u n e c h t e S t r a f e n bezeichnet werden (s. die §§ 103 íf.).

§95. A. Echte Strafen.

1. Die Todesstrafe. StrGB § 13. MGB §§ 14. 15. EG § 4. Spreng-stoffgesetz v. 5. Juni 1884 § 5 Abs. 3. Ges. geg. d. Sklavenraub V. 28. Juli 1895 § 1 Abs. '2. StrPrO §; 485. 486. Militárstraf-gerichtsordmmg §§ 452—454. Schatzgebietsgesetz, Fass. v. 10. Sept. 1900 §_ 7 n. 5. _

Literatur überreich, Vgl. bes. F e u e r b a c h , Bibl. f. peinl. Recbtswissensch. II S. 243 n. — M i t t e r m a i e r , Die Todesstrafe. Heidelberg 1862...— Seeger , Abhaudl. Tübingen 1858. S. 1—172. — K u n t z t í , Über die Todesstrafe. Leipz. 1869. — G l a s e r , Gesamm. Schríften I 2. Aufl. Wien 1883. S. 151 ff. — G e y e r , Über die Todesstrafe. Kleinere Sehriften S. 885 fif. — H e t z e l , Die Todesstrafe in ihrer kulturgeschichtl. Entwickel. Berlín 1870. — Wertvoll Anl. 2 zu den Mot. dos Straf^esetzentwurfs f. d. Nordd. Bund: Über die „Tode8strafe". — v. H o l t z e n d o r f f , Das Ver-brechen des Mordes und die Todesstrafe. Berlín 1876. — O l í v e -c r o n a , Om dodstraffet. 2. Aufl. Upsala 1892. — K a t z e n s t e i n , Die Todesstrafe ín e. neuen Reiclisstrafgesetzbuch. Berlín 1902. — Vgl. aucli B o h m e r , Krit. Gescliichte der Guillotine. 1821 (aus Band IX St. 1 der Kuriosítáten); W a h l b e r g , Neuere Praxis und Gescliíchte der Todesstrafe, in seínen Gesamm. Schríften II. Wien 1877. SÍ 138—162; L e n o t r e , La Guillotine et les exécuteurs des arréts criminéis pendant la révolution. París 1893; G ü n t h e r , Idee der Wíedervergeltung III 1 S. 327 ff.

Die Todesstrafe kommt heute im allgemeinen Strafrecht nur in absolut bestimmten Strafgesetzen vor. Anders im M G B ; vgl, Bdg, E S, 107. — Sie ist im allgemeinen Strafrecht einfache E n t h a u p t u n g s -s t r a f e (GB § 13); sie wird E r s c h i e s s u n g s s t r a f e , wenn sie wegen eines militarischen Verbrechens erkannt worden ist (MGB §§ 14. 15). Nach dem Schutzgebietsgesetze, Fass . v. 10. Sept. 1900 § 7 n. 5, kann durch Kais. Verordn. statt der Enthauptung eine andere einfache Todesstrafe angeordnet werden. Die Strafe wird dort durch Erhangen oder Erschiessen voUstreckt. — Scharfung der Todesstrafe ist nur insofern moglich, ais daneben auf lebenslánglichen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann (GB § 32). S. unten S. 250 íf. — Im GB giebt es nur zwei todeswürdige Verbrechen (§§ 80 u. 211); für zehn weitere schreibt EG § 4 vor , dass die Todesstrafe an Stelle der angedrohten lebenslánglichen Zuchthausstrafe zu treten habe , wenn sie verübt werden entweder in einem Teile des Reichs, über den der Kaiser den Belagerungszustand verhangt hat, oder wfth-rend eines Krieges gegen das Reich auf dem Kriegsschauplatz (s. die §§ 81. 88. 90. 307. 311. 312. 315. 322. 323. 324). Das MGB macht in 18 Fallen von der Todesstrafe Anwendung (Bdg, E S. 107). Dazu ist ihre Androhung im SprengstoíFgesetz § 5 und im Gesetz gegen Sklavenraub v. 28. Jul i 1895 § 1 Abs. 2 getreten.

Binding, StiafrecM. Grundriss. 7. Aufl. 16

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§ 95. 242

2. Die Freiheitsstrafe. Besoudere Zeitsclirifteii: J u l i u s , V a r r e u t r a p u. N o U n e r, Jahrbücher der Gefáiíguiskuudo. Fraukíurt a. M. 1842—1848. — Ekert, Blíitter für Gefánguiskuiule. Heidelberg 18(55 ff. Ersclieinen weiter. — Mitteiluiigcu der Internatioiíaleu krimiualistischeii Ver-einigung. Berlín u. Brüssel 1889 ff. — Wertvoll die Verhaiidlungeu der mtei'nationalen Gefángniskongresse: Kcport on the iuternational penitentiary congress of London. By E. C. Wiues AYaphington 1873. Le congrés pénitentiaire iuternational de Stockholm I u. 11. Stockholm 1879. Actes du congrés pénitentiaire intei-national de Rome (3 Bánde u. 1 Beilagenband). Kome 1887. Actes du congrés pénitentiaire interuational de Saint-Pétersbourg 1890 (5 Báude, das. 1892). — Die Akten der Kongresse von Paris (1895) und von Brüsse l (1900) sind mir niclit zugángTich. — Vgl. ferner J u l i u s , Vorlesungen üb. die G-efángniskunde. Berlin 1828. — de B e a u m o n t et de T o c q u e v i l l e , Systéme pénitentiaire aux Etats unis. 3. éd. Paris 1845. — F ü e s s l i n , Die Einzelhaft. Heidelberg 1855. — R o d e r , Strafvollzug i.Geiste d. Rechts. Leipzig u.Heidelberg 1863. — Ders . , Besserungsstrafe u. Besscrungsanstalten. Das. 1864. —• v. Hol tzeu-dorff, Die Deportatiou ais Strafmittel. Leipzig 1859. — Ders. , Das irische Gefángnissystem. Das. 1859. — H á g e l e , Erfahrungen in eins. u. ^emeins. Haft. 2. Aufl. Altona 1862. — H á n e l l , System der Geíángniskunde. Gottingen 1866. — Z u g s c h w e r d t , Vollzug der Freiheitsstrafe. Wien 1867. —• W a h l b e r g , Prinzip der Individuali-sirung. Wien 1869. S. 144—173. 199-315. — v. Va len t in i , Das Verbrechertum impreuss. Staate. Leipzig 1869. — J. Hags t romer* , Om Frihetsstraffen. Upsala 1875. — B a e r , Die Gefáugnisse . . . in hvgien. Beziehung. Berlin 1871. — L o s e r , GS 1875 S. 256 íf. 426 & — G o t t i n g , Strafrechtspflege u. Gefángniswesen in Eng-land u. Irland. Hildesheim 1876. — S . t a r k e , Das belgische Gefángniswesen. Berlin 1877. — E k e r t , Ubersicht über die gegen-wártig n Deutschland geltende Gefángnisgesetzgebuug: Hlí IV S. 179—205. — B o h m e , Grundzüge der GefángnissAvissenschaft. Weiden 1879. — G e y e r , Über das System der Freilieitsstrafen: Z f. vergleich. RWiss. I S. 384 íF. (Auch Klein. Schr. S. 406 ff.) — v. H o l t z e n d o r f f , GS 1887 S. 1 ff. — S t r e n g , Studieu über Ent-wicklung, Ergebnis u. Gestaltung des Vollzugs der Freiheits-strafen in Deutschland. Stuttgart 1886. — H e n l e , Das Gefángniswesen in Bayern. Nordlingen 1887. — v. H o l t z e n d o r f f u. V. J a g e m a n n , Handbuch des Gefángniswesens. I u. II. Ham-burg 1888. — K r o h n e , Lehrbuch d. Gefáugniskunde. Stuttgart 1889. — Aschro t t , Z f. StrRW VIII 1888 S. 1 ff. — Kob l in sk i , das. IX S. 783 ff. — Wach*, Die Reform der Freiheitsstrafe. Leipzig 1890.— Ders., DJZ IV 1899 S. 117ff. V 1900 S.80ff. Vil 1902 S. 157ff. — Zucke r , GS XLIV 1891 S. 1 ft'.— L e i t m a i e r , Die osterreich. Gefángniskuúde. Wien 1890. — van Ca lke r , Vergeldungsidee u. Zweckgedanke im System der Freiheitsstrafen. Heidelb. 1899. — H e n d e r s o n , Modern prisons systems. Washington 1903. — Korn , Ist die Deportation . . . ais Strafmittel praktisch verwendbar? Berlin 1898. — M i t t e r m a i e r , über dies., Z f. StrRW XIX 1899 S. 85 ff. - Thuemmel , Die Deportation , GS loVI 1899 S. 1 ff. — B r u c k , Die Gegner der Deportation. Breslau 1901. — Heim-b e r g e r , Strafkolonien. Dresden 1906. — Über die „bedingte Verurteilung" reiche Litera tur in den Blátt. f. Geíángniskunde, XXVI 18*91 S. 185 ff. — S. ferner die oben angef. Abhandlungen von W a c h . Vgl. auch MdJV I S. 34 ff. II S. 164 ff. 170 ff. III S. 84 ff. 346 ff. IV S. 92 ff 107 ff. V S. 529 ff. VI S. 56 ff. (bedingte Begnad.), 153 ff. 409 ff. (bed Begnad.); M i l f e r s t á d t , GA XLIV 1896 S. 334 ff.; George , Du sursis conditionel á l'exécunon de la peine et de la libération conditionelle. Paris 1895; Schmidt , Aufg. der Strafrechtspflege 1895 S. 285 ff.; B a c h e m , Bedingte Verurtheil.

243 § 96.

Oder bedingte Beguadigung? Koln 1896; O e t k e r , ¥ f ! StrRW XVII 1897 S. 567; B r u s a , Grazia o condanna coudizionale (aus Nuova Antología 1901). Roma 1901^ G a u t i e r , Z f. Schweiz. StrR HI S. 299 S".; A l l f e l d , Der bedingte Straferlass. Erlangen u. Leipzig 1901; I g n a t i u s , Die bedingte Verurteil. in England, Z f. StrRW XXI 1901 S. 732 ff.; D e r s . , das. XXIII 1903 S. 250ff.; M i t t e r m a i e r , Z f. Schweiz. StrR XVI 1903 S. 31 ff.; Ort loff , GS LXIII 1904 S. Iff., 81 ff.; G i n s b e r g , das. S. 241 ff.; Te l l P e r r i n , De la remise conditionelle des peines. Genéve et Bale 1904; Ders . , Zf. Schweiz. StrR XVIII 1905 S. 135 ff.; K a u f h o l d , GA LI 1904 S. 21 ff., 111 ff. — Geschichtlich interessant: K r a u s s , Im Kerker vor und nach Christus. Freib. i Br. u. Leipzig 1895; zur Geschichte der Galeerenstrafe: v. M a a s s b u r g , Die Galeerenstr. in d. deutsch. u. bohm. Erblándern Ósterreichs. Wien 1895; F r a u e n s t á d t , Z f." StrRW XVI 1896 S. 51.8 ff.; vgl. auch v. M a a s s b u r g , Die Strafe des Schiffziehens in Ósterreicn (1783—1790). Nebst e. Rück-blick auf d. altosterr. Gefángniswesen. Wien 1890; v. H i p p e l , Beitráge z. Gesch. der Freiheitsstrafe, Z f. StrRW XVIII 1898 S. 419 ff. 608 ff.; K n a p p , Altwürzburger Gefángnisswesen, GA XLVIII 1901 S. 229 ff.; Rosenbe rg , Z. Gesch. der ált. Zucht-Háuser; Z f. StrRW XXVI 1906 S. 1 ff". — S. ferner S t r e n g , Geschichte der Gefángnisverwaltung in Hamburg von 1622—1872. Hamburg 1890; Hafne r , Geschichte der Gefángnisreformen in der Schweiz. Bern 1901.

§ 96. a. Ihre Arten im allgemeinen Strafgesetzbncli: 1. Zachtlians. 2. Gcfángnis. 3. Festungshaft. 4. Haft. GB §§ 14—18. — Vgl. Grundsátze über den Vollzug gerichtlich erkannter Freiheitsstrafen: Bundesratsbeschluss v. 28. Okt. 1897 (Zentralblatt f. d. Deutsche Reich 1897 S. 308 ff.). S. dies. auch Z f. StrRW XVIII 1898 S. 400 ff. — V. L i c h t e n b e r g , Die Zuchthausstrafe in ihrem progressiven Vollzug. Leipzig 1873. — R o m m e l , Über den Begriff der Strafanstaltsarbeit. Heidelberg 1870. — S o n t a g , Die Festungshaft. Leipzig u. Heidelberg 1872. — Der s . , HRL 1 S. 817. 818. — S. Anlage 4 zu den Motiven des Entw. III des nordd. StrGBs: „Über die hochste Dauer zeitiger Zuchthausstrafe". — H e i n e m a n n * , Zur Frage des „Missbrauchs" kurzer Freiheitsstrafen, GS XLVIII 1893 S. 7 ff. — S a b a r t h , Freiheitsstrafe nach Jahresbruchtheilen, GA XLVII 1900 S. 401 ff. — D a l k e , Gefángnissordn. für die Justiz-verwaltung in Preussen v. 21. Dez. 1898.. Berlin 1899. (S. die Gefángnissordn. auch Z f. StrRW XIX S. 443ff.). — A s c h r o t t , Die neuen Grundsátze über den Vollzug v. Freiheitsstrafen in Deutschland, Z f. StrRW XVIII 1898 S. 384 ff. — W a c k e r , Das Gefángniswesen, die staatl. Zwangserzieh. der Jugendl. und die Arbeitshausstrafe in Badén. Breslau 1899.

F r e i h e i t s s t r a f e i s t j e d e B e s c h r a n k u n g d e r F r e i h e i t d e s A u f e n t h a l t e s o d e r d e r B e w e g u n g z u r S t r a f e . Die V e r b a n n i i n g s s t r a f e aber ist uns unbekannt , die Vers t r ickung kann nur in Form der Stellung unter Polizeiaufsicht — also grade nicht zur Strafe — verhangt werden (s. § 104). Das heutige gemeine Recht kennt also nur E i n s p e r r u n g s s t r a f e n .

Die früheren deutschen StrGBücher, ausgenommen das preussische und seine Nachfolger, pflegten vier Arten derselben zu unterscheiden: die mit Verlust der Ehrenrechte ipso j u r e verbundene, mit Zwang zu har ter Arbeit ausgestattete Z u c h t h a u s s t r a f e ; die gar nicht oder in viel geringerem Masse die btirgerlichen Ehrenrechte t i lgende, nie auf lebenslang zu erkennende A r b e i t s h a u s s t r a f e ; die einfache,

16*

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§ 96. 244

nur auf kürzere Zeit e rkennbare , nicht entehrcnde G e f a n g n i s -s t r a f e ; endlich ais custodia honesta die F e s t u n g s h a f t . Von diesen hat die A r b e i t s h a u s s t r a f e im GR weder Aufnahme noch Ersatz gefunden; dagegen reiht sich hier unterhalb der Gefángnis-strafe die H a f t an.

So kennt das GB vier Freiheitsstrafen: Z u c h t h a u s , G e f a n g -n i s , F e s t u n g s h a f t und H a f t . Zu ihrer Trennung sind (5 Unter-scheidungsmerkmale benutzt : d i e S t r a f d a u e r , d i e k l e i n s t e E i n h e i t d e r S t r a f e , d i e V e r b ü s s u n g in É i n z e l h a f t , d i e U n t e r w e r f u n g d e s S t r a f l i n g s u n t e r d i e S t r a f g e w a l t b e -z t t g l i c h s e i n e r B e s c h á f t i g u n g , d a s V e r b a l t n i s d e r S t r a f e z u r E h r e d e s S t r a f l i n g s ^ d i e A b k ü r z u n g s f a h i g k e i t d u r c h v o r l á u f i g e E n t l a s s u n g (s. die Tabelle zu § 97 S. 247). Durch-gangiges ünterscheidungsmerkmal ist nur d i e Z e i t d a u e r : alie andercn Kriterien dienen stets nur zur Charakterisirung einer Gruppe von Freiheitsstrafen im Gegensatzzu einer anderen Gruppe .— Diedrei schwersten Arten derselben setzt § 21 des GBs in folgendes Wertverhaltnis: 8 Monate Zuchthaus = 12 Monaten Gefangnis = 18 Monaten Festung. Seltsamer-weise wird diese Gleichung auf die Haft nicht ausgedehnt.

1. Z u c h t h a u s . Es charakterisirt sich nicht allein ais Frei-heitsentziehung, sondern zugleich ais Arbeitszwang. Der Strafling hat nicht die Freiheit, nichts zu tun, noch auch die, sich eine bestimmte Beschaftigung zu wahlen. E r wird zu den in der Strafanstalt ein-geführten Arbeiten angehalten oder auch zu Beschaftigungen ausser-halb der Anstalt, insbesondere zu off'entlichen oder von einer Staats-beh(3rde beaufsichtigten Arbeiten: letzteres, vorausgesetzt, dass die Gefangenen dabei von freien Arbeitern getrennt gehalten werden. Der Vorschlag des Entwurfs des nordd. S t rGBs , es solle die Zuchthaus-strafe nicht ipso ju re ehrentilgende Wirkung haben, ist vom GB nicht adoptir t ; vielmehr ist sie ipso j u r e ehrenmindernd, nur in ge-ringerem Masse ais früher, Vgl. GB § ^1 und unten § 99 sub I I A S.251. Daraus erklart sich allein der etwas verfehlte § 20 des GBs, der an-ordnet , dass , wo das Gesetz alternativ Zuchthaus oder Festungshaft androhe , nur dann auf Zuchthaus erkannt werden dürfe, wenn die strafbare I landlung ehrloser Gesínnung entsprungen sei. Seltsamer-weise schliesst nach dem Wortlaut des Gesetzes ehrlose Gesínnung des Taters die Verhangung der Festungshaft nicht aus. Doch ist es be-richtigend dahin auszulegen, dass nur bei ehrloser Gesinnung auf Zuchthaus erkannt werden darf, dann aber auch erkannt werden muss.

Zuchthaus wird entweder auf Lebensdauer oder auf Zeit zwischen dem Minimum von 1 J ah r und dem Máximum von 15 Jahren erkannt . Zeitiges Zuchthaus über 15 Jah re giebt es nicht: GB § 14, Zeitiges Zuchthaus reprásentirt deshalb nur 169 Strafgrossen. „Zuchthaus" schlechthin bedeutet stets nur zeitiges Zuchthaus: GB §§ 14 u. 15. Die Dauer der Zuchthausstrafe darf nur nach vollen Monaten be-messen werden: 12, 13 , 14 u. s. w. Monate. Ob bei der Straf-verwandlung eine Modifikation dieses Grundsatzes eintreten muss, darüber vgl. unten § 113.

2. G e f a n g n i s . Bei ihm ist nach dem Wort laut des Gesetzes

245 § 97.

(§ 16) der Arbeitszwang nicht notwendig, sondern fakultativ: die Gefangnis vorsteher dürfen ihn üben, die Landesgesetzgebung darf ihn obligatorisch machen. Dagegen ist die den Straflingen zuzuweisende Arbeit „ihren Fáhigkeiten und Verhaltnissen anzumessen": die Schablone des Zuchthauses wird verworfen im Dienste der Individualisirung. Will der Gefangene beschaftigt sein, so muss er beschaftigt werden. Willigt er in eine Beschaftigung ausserhalb der Anstal t , so darf sie eintreten.

Die Gefangnisstrafe geht nie ipso j u r e an die Ehre . Gefangnis ist nur auf Zeit von mindestens 1 Tag bis hochstens 5 Jahren er-kennbar . F ü r jugendliche Verbrecher lasst GB § 57, 1 Gefangnis bis zu 15 Jahren ais Ersatz der Todesstrafe und des lebenslanglichen Zuchthauses zu ; fUr Falle der Realkonkurrenz § 74, 3 Gefangnis bis zu 10 Jahren . Die regelmassige Gefangnisstrafe reprftsentirt 1826 o d e r 1827 S t r a f g r o s s e n .

3. F e s t u n g s h a f t . Sie ist ausserst dehnbar , entweder auf Lebenszeit oder auf Zeit zwischen 1 Tag und 15 Jahren erkennbar, reprásentirt also 5478 oder 5479 Strafgrossen. Fes tung über 15 Jahre wird auch in Konkurrenzfallen nicht zugelassen. Sie ist eine custodia honesta, und ipit ihr kann nicht einmal die Aberkennung aller Ehrenrechte verbunden werden. Nur einzelne Ehrenrechte sind neben ihr aberkemibar : GB §§ 81 . 83. 87, 3. 88, 4. 89, 2. 94, 1. Einen Arbeitszwang er t ragt sie nicht , vielmehr nur eine Beaufsichtigung der Beschaftigung und Lebensweise des Gefangenen. Der Ort der VoU-streckung ist eine Festung oder ein „anderer dazu bestimmter Raum". „Festung" schlechthin bedeutet zeitige Festungshaft ; auf halbe Tage kann nicht erkannt werden. GB § 17.

4. Die H a f t . Sie ist einfache Freiheitsentziehung, wobei nur die zur Aufrechterhaltung der Gefangnisordnung notige Disziplinar-gewalt geübt werden kann. Ehrenminderung kann mit ihr gar nicht verbunden werden. Ihr Minimum ist 1 Tag, ihr Máximum 6 Wochen, bei Realkonkurrenz nach GB § 77 drei Monate (CPO § 890 kennt unsinnigerweise Haft bis zu 6 Monaten, bei Gesamtstrafe Haft bis zu 2 Jahren! ) . Halbe Tage nicht erkennbar . GB §§ 18. 19. 29. Sie reprásentir t also nur 42 Strafgrossen. Gegen Landstre icher , Bettler, Müssigganger u. s. w. (s. G B §§ 3 6 1 , 3 — 8. 362) ist indessen neben der Haft ein Zwang zu Arbeiten, „welche ihren Fáhigkeiten und Verhaltnissen angemessen sind", zulassig. Vgl. auch unten § 104.

§ 97. b . Oenieinsame Bestimmuiigeii Über sie. 1. Berechnung der Zeitdauer. 2. Vorláufige Entlassung. 3. ToUzug in EinzeN haft. — Tabelle der Freiheitsstrafen. — StrGB §§ 19. 22-26. ad 1. (Mager,) GA 1872 S. 5 ff. — ad 2. V. H o l t z e n d o r f f , Die Kürzungsfáhigkeit der Frei

heitsstrafen und die bedingte Freilassung der Stráflinge. Leipzig 1861. — S c h w a r z e , GS 1863 S. 371 ff: 1864 S. 313 ff.: 1867 S. 392 ff.; 1874 S. 472 ff.; GA XXI 1871 S. 145 ff. - O r t l o f f , GS 1874 S. 58 ff. — D e r s. bei S t e n g l e i n , Zeitschr. I 1872 S. 225 ff. 241 ff. — B a u e r , Stimme aus Badén über Revisión des DStrGBs. Mannheim

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§ 97.

1.

246

u. Strassbui-íí 1874 — í^rivi;„i i-.-

ad3 Si„han,DieEi„.elhaft¡„Baye™. Holde,,,. 1870.

bar. H e i n . e , ErBrterungerS. 174 ff l í " ^ ' ' . V"''"^™''''™ "" ' ' -alie Freiheitsstrafen in Gesetz^w;»' 'pi-Vi- ""i' .""f."?'" ^"rgeschlagen, bemessen. Anders da. G R E s T e s . ^ r i n ' ^ g l ' ^ ' ^ . ' ' Tn^' ' 1 " ^ ? -

ín a momento PÍI m.^ .v^ .A * \ ^^í? Freiheits-strafe = 24 «tunden a momen o ad T m . " . ^ ' ' ^ \^^^^ ^r^^^hei s-= 7 Tagen; dagegen s o C MoLte uTd T T " " ^^^'^^\"«t; 1 Woche sch,edenen Lang^e nach der Ka'enderzeft u^" ^ "^^ f ^^^^ ^^rer ver-haf irung ais erster Tag fferechnef w!!l w'""' ^^ ' ^ag der In-Geüingnis verurteilt u n d ^ r i f F e b r ? , ^ ' ^ ' ' ^^^" ^ ^ 1 ^onat mit dem 12. Marz entlasse^ ' ^ ' " ^ ' eingesetzt worden ist, wird

G e f a ^ I r d L V h ^ a ^ ^ ^ ^ ^ ^ Um den zu dieser und womoglich zuTieZ^nn^lul.-'^ ^^"^ ^''*"" Führung kejt der b e d i n g t e n En uTsuTg^der's^^^^^^^ voll verbüsster Strafzeit anerkannt^Sie b n i f " ^ ' l^' "*^^^ «í^^t sogen. i r i s c h e n S t r a f v o U z ugs hat l S L T ^ ^ ' ' ' \ ^ ^ * ^ ^ l ^^^ al« „eine auf dem landesherrlichén Or.n^ im konigreich Sachsen ministrativmassregel" AufnaLp ^of. ^^^^^.^n^echte beruhende Ad-dureh das nordd.^StrGB § 23 g f s ^ í z H ; ^ ^'^T^^^-^ ^ ^ ^ - ' * jedoch nur^far Z u c h t h a L - nnrolt:¡:itZ^^^^^^^

a. V o r a u s s e t z u n g e n d i e s e r P n t U •^^; «. V e r b ü s s u n f f von ?/! I?- ^"^^^^^^ung s i n d :

d e r a u f e r l e g t e n S t r f f l e U C r ^ ' ' ' " í a b e r von I J a h r und Gefangnisstrafen, deren Daí'ier ¿ r " u ^ ' " í '^ ^"^» Zuchthaus-bei 16monltHchen StraTn s o X f L / f n^í'o"^''"^*^* - "i^ht erst p i f e n . So auch O p p e n h o f f z u l I I V ^ ^ . ^ ^ Z ^ ? ' ^^ «*' " P^^tz h a u s e n zu § 23 Nr 2a -^ í c n ^ A ^ ^ / j - . ^ ' ^ ^ ^ o S. 326; O l s -Strafzeit eine'im Auslande v e r ^ r s S W e ^ S ^ í f ' ? ' " ' ^ ^ ^^^^^^^^*^ Un ersuchungshaft (^60) in Anreohnnnl ^^ ^^ ''^^'' ^^"^ erlittene verbüssenden Strafe, nicht aber nur í ^ ' / " " ""^'f^ '^ ^^^ "««h zu verbüsst sein. Denn die L í a s ^ u n / i s / R J K ^ ' ' ' ^ ^ ' ? ' ^ ^ ^ ^ ^ " Strafzeit wahrend der Strafzeit. Bei ge¿^^^^^^^ ^ f g"te Führung schon durch die Aufrechnung^B/f ¿ f Stf ^ ^ ^ ^ K ' ° " ' ^ ^ j ^ «^^«^ Unnchtíg R u b o S. 327; G e v e r T% ^fo ^^j*. ^^/^^^t erscheinen.

Grundrisses 1^148 K i c k g oYsha'u^en^'fu^ ^ 2 ^ 3 ^ ^ ^ ' ^ ^ ^ ^ '''

2^.^^ / . ^ - ^ « A u f f u h r u n g d e s S t r . f l i n V w a b r e n d d i e s e r y. Z u s t i m m u n g d e s S t r a f l i n f f s zu d e r F r , n

. , ^- E n t l a s s u n f f s b e s o h l i , « « ^ u ^ ' ^^^^^sung . s i c h t s b e h o r d e nach F i n v L l i ^^ ' ' o b e r s t e n J u s t i z a u f -§§ 23. 25, 1). ^ ' ^ E^nvernehmung der Gefangnisverwaltung (GB

b e d i n ' g u ^ ^ % ^ " 3 ^ ^ ^ 7 d \ 7 r u t ^ t o ^ ^ r ^ ^ S t r a f . e u . Voraussetzung des W^^r tu ' f^ i sVs^h l^cL^ ' á r r^n^ l^^

247 § 97.

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98. 248

Entlassenen oder Verletzung der ihm bei der Entlassung auferlegten Bedingungen, sowie in alien Fallen Beschluss der obersten Justiz-aufsichtsbehorde. — Aus dringenden Gründen des offentlichen Wols kann die einstweilíge Festnahrae von der Polizeibehorde des Orts, an welchem der Entlassene sich auflialt, verfügt werden. Der Beschluss über den endgiltigen Widerruf ist dann sofort nachzusuchen (GB §§ 24. 25). — Über die Berechnung der Monatsfristen bei Strafunterbrechung siehe K e y s s n e r , GS 1875 S. 558 ff. -— Ist bis zum Ablauf der urteils-gemáss festgesetzten Freiheitsstrafe ein Widerruf nicht erfolgt, so gilt die Strafe ais voll verbüsst. Ist ein solcher aber vorher eríblgt, so wird die Zeit zwischen der Entlassung und der Wiedereinlieferung auf die Strafzeit nicht angerecbnet (GB §§ 24. 26). So kann es koramen, dass z. B. ein zu 8 Jahren Zuchthaus Verurteilter, der 1 J ah r 6 Monate provisorisch auf freiem Fusse war, erst 9 Jahre 6 Monate nach dem Strafantritt deíinitiv entlassen werden kann. Vgl. übrigens unten § 119 a. E.

3. F r e i h e i t s s t r a f e u n d E i n z e l h a f t . Die Zulassigkeit der Einzelhaft, so dass „der Gefangene unausgesetzt von anderen Ge-fangenen gesondert gehalten wird", erkennt GB § 22 nur f ü r d e n V o l l z u g d e r Z u c h t h a u s - u n d d e r G e f á n g n i s s t r a f e ausdrücklich an. Der Entscheid, ob im Einzelfalle der zu Zuchthaus oder Gefángnis verurteilte Stráflíng in Einzelhaft zu bringen, ist stets Sache der Verwal tung: das U r t e i l hat sich mit dieser Frage n i e zu befassen. Und zwar fasst das Gesetz (vgl, auch die Mot. zu § 19 des E) den Vollzug in Einzelhaft n i c h t ais Strafscharfung, aber doch ais eine reichsgesetzlich zu normirende ModalitUt des Strafvollzugs auf. Deshalb ist leider der Landesgesetzgebung versagt , bei Haft die Isolirung der Straflinge von einander vorzuschreiben. Bei der custodia honesta der Festung verbietet sich die Einzelhaft i m P r i n z i p e , was nicht ausschliesst, dass sie mit Zustimmung des Straflings Einzelhaft werden kcJnnte,

§ 98. c. Die „Freilieitsstrafe" des MilitSrstrafgesetzbuchs und ihre Arteii. MGB §§ 16—26; vgl. 28 u. 44.

Das gemeine Militarstrafrecht teilt, freilich mit erheblichen Modifika-tionen die Strafarten des allgemeinen Strafrechts, nur dass es die Haft nicht kennt, wol aber an ihrer Stelle den Arrest.

I. Die Z u c h t h a u s s t r a f e stosst den Soldaten aus dem Heere und wird deshalb von den bürgerlichen Behorden vollstreckt. MGB § 15.

I I . Alie anderen Freiheitsstrafen werden zusammengefasst unter dem Ñamen „ F r e i h e i t s s t r a f e " , so dass, wo diese schlechthin ange-droht ist, 7 verschiedene Freiheitsstrafen zur Wahl stehen. Selbst die Freiheitsstrafen, welche eine Person des Soldatenstandes vor dem Ein-tritt in den Dienst verwirkt hat, werden von den Militarbehorden vollstreckt. Ist nach den Vorschriften des allgemeinen Strafgesetzbuchs eine Beschaftigung des Verurteilten zulassig, so findet sie zu militárischen Zwecken und unter militarischer Aufsicht statt. § 15.

249 § 98.

Die „Freiheitsstrafe" setzt sich zusammen: 1. aus G e f á n g n i s u n d F e s t u n g s h a f t . Beide Strafarten

konnen auf Lebenslang und auf Zeit, beide mit demselben Mindest-bet rag von 6 Wochen -1- 1 Tag und mit demselben Hochstbetrag von 15 Jahren erkannt werden; § 17. Beide Strafarten sind auf Militar-personen aller Rangklassen anwendbar.

2. Aus den verschiedenen Arten des A r r e s t e s , deren Mínimum allgemein 1 Tag, deren Máximum 6 W o c h e n und nur beim strengen Arrest v i e r W o c h e n betragt. Nicht alie Arrestarten aber sind auí alie Militarpersonen anwendbar. Sind angedrohte Arreststrafarten aus solchen personlichen Gründen unanwendbar, so ist auf die nachst-folgende nach dem Range des zu Strafenden statthafte Arrestart zu erkennen (§ 22), und so werden alie Arreststrafen für Offiziere zu Z i m m e r a r r e s t s t r a f e n ; § 20. D i e F r e i h e i t s s t r a f e n bis zu 6 Wochen werden auf die gesetzliche Dienstzeit angerecbnet. § 18.

a. Der s t r e n g e A r r e s t findet nur auf G e m e i n e und zwar nur dann Anwendung, wenn das Gesetz ihn ausdrücklich androht (§ 22), oder aber, wenn der Strafling wegen militarischer Verbrechen oder Vergehen bereits früher mit einer Freiheitsstrafe belegt worden ist. E r ist Isolierhaft und Dunkelarres t mit harter Lagerstatte, und der Strafling erhalt nur Wasser und Brot. Diese Scharfungen komnien freilich am 4. und 8. und demnachst an jedem 3. Tage in Wegfall. § 26.

b. Der m i t t l e r e A r r e s t findet nur g e g e n U n t e r -o f f i z i e r e o h n e P o r t e p é e und g e g e n G e m e i n e Anwendung ; § 20. E r ist Isolirhaft, aber nicht Dunkelarrest , im übrigen gleicht er dem s t r e n g e n A r r e s t ; nur fallen die Scharfungen am 4., 8., 12. und dann an jedem 3. Tage weg.

Lasst der korperliche Zustand des Straflings strengen oder mittleren Arrest nicht zu, so tri t t eine gelindere Arrestart ein. § 27.

c. Der g e l i n d e A r r e s t findet gegen a l l e U n t e r o f f i z i e r e und G e m e i n e Anwendung. E r ist einfache Einschliessung in einem Arresthaus und Isolirhaft. §§ 20 und 24.

d. Der S t u b e n a r r e s t findet nur gegen Offiziere Anwendung. E r wird in der Wohnung des Straflings vollstreckt, der diese nicht verlassen, in ihr aber auch keine Besuche annehmen darf. Gegen Hauptleute, Rittmeister und Subalternoffiziere ist ein g e s c h a r f t e r S t u b e n a r r e s t zulassig, der in einem besonderen Offizier-Arrestziramer zu voUstrecken ist.

Kaiserliche Verordnung bestimmt die Abweichungen, welche bei VoUstreckung der Arreststrafen dadurch bedingt werden, dass sie wahrend eines Krieges oder auf in Dienst gestellten Fahrzeugen der Marine zu vollziehen sind. § 28.

Die drei schwersten Arreststrafen setzt § 54 in folgendes Ver-hal tnis : 1 Tag strenger Arrest = 2 Tagen mittleren = 4 Tagen ge-linden Arrestes.

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§ 99. 250

§ 99. 8 . Die Ehrenstrafeu. M a

a. l e , Die Ehrenstrafe. Brcslau 1899.

Die allgenieiuen Ehrenstrafeu: 1. DerTerweis . 2. Die Neben-strafen an der Elire,

ad 1. GB §57. — K a y s e r , StrRZ 1871 S. 177 íF. - D o c h o w , GS 1871 S. 462íf. — D e r s . , HRLex. s. v. Verwois III S. 1129. — S t o c k e l , SGZ XV 1871 S. 462 ff. - H a r t -m a n n , SGZ XVI 1872 S. 159 ff. — E l l i n g e r , Der Verweis. Diss. München 1899. — N o r d s c h i l d , Der Verweis im Strafrecht u. Strafprozess. Tüb. Diss. 1900. — K o l l e n -s c h e r , Die Vollstreckung des Verweises; GA X L V I I 1900 S. 290 ff.

ad 2. StrGB §§ 32—37, vgl. 45. 76. — M a r e z o l í , Über die bürgerl. Ehre, ihre gánzl. Entziehung u. theilweise Schmale-riing Giessen 1824. — B u d d e , Über Rechtlosigkeit, Ehr-losigkeit u. Echtlosigkeit. Bonn 1842. — B i r n b a u m , A N F 1844 S. 157 ff. — N o l l n e r , Über das Verháltn. der Straf-gesetzbücher zur Ehre der Bürger. 1846.—°v. W i c k , Über Ehreiistrafen und Elirenfolgen der Verbrechen uud Strafen. Rostock 1845 (neue Titelausgabe 1853). — D e r s . , A N F 1851 S. 1 ff. — W a h l b e r g , Die Ehrenfolgen der strafgerichtl. Verurteilung. Wien 1864.— G l a s e r , Stud.. z. E. d. osterr. Strafgesetzes. Wien 1870 S. 1 ff. — G r o s s , Über die Ehrenfolgen bei strafgerichtl. Verurteiluugen. Graz 1874. — T e i c h m a n n , s. v. Ehrenstrafen bei HRLex. I S. 603 ff. (das. auch reiche Literaturangaben). — K o h n e , Z f. S t rRW VII I 1888 S. 439 ff'. — Vgl. auch M a n d r y , Der civilrechtl. Inhalt der Reichsgesetze. 4 Aufi. Freiburg 1898 S. 88 bis 107 u. V. Z i m m e r m a n n , Der strafrechtl. Schutz des Adels , in F i s c h e r s Zeitschr. f. Prax. u. Gesetzgeb. d. Verwalt. X X X 1906 S. 193 ff.

I. D e r V e r w e i s . Die einzige Hauptstraf'e an der Ehré, die das heutige gemeine Strafrecht kennt, ist die beschamende V e r w e i s -s t r a f e ; aber das GB verwendet sie nur in einer einzigen Gruppe von Fallen: bei Vergehen und Ubertretungen jugendlicher Delinquenten zwischen dem vollendeten 12. und vollendeten 18. Jahre. Hier darf der Richter auf Verweis erkennen, wenn der jeweilige Fall „besonders leicht" ist. GB § 57 n. 4.

Der Verweis ist echte Strafe und darf ais solche erst nach ein-getretener Rechtskraft des Strafurteils zur Vollstreckung gelangen. Da die Bestimmung des Strafinhaltes und der Strafschwere nie Sache der Justizverwaltung sein darf, so muss der Verweis — einerlei, ob miind-lich oder schriftlich — vom Strafrichter und darf nie vom Staats-anwalte erteilt werden. Es ist ungesund, dass unsere Gerichte so geneigt sind, die Bestimmung des Strafgehaltes aus der Harid zu geben. S. RG I v. 26. Jan. 1893 (E XXIIl S. 403). Vgl über diesen bestrittenen Punkt O l s h a u s e n zu § 57 n. 16; E l l i n g e r , Verweis S. 80 ff.; F i n g e r I S. 475.

11. In der Regelung d e r N e b e n s t r a f e n an d e r E h r e , die selbstverstandlich nicht Ehrenminderung, sondern Minderung am Bestand der R e c h t e oder an der R e c h t s f a h i g k e i t bedeuten, be-weist sich das GB unsicherer ais irgendwo sonst. Der Gesetzgeber war geneigt, auf ipso jure ehrenrührige Strafarten zu verzichten, lebens-lángliche Ehrenmínderungen fallen zu lassen und die Entscheidung der Frage, ob ein Urteil ehrenmindernde Kraft üben solle, dem Richter

251 § 99.

behufs individualisirender Behandlung zu überweisen: er hat aber nichts ganz getan! (Vgl. die Motive zu den §§ 28—34 des E.) So ist die Handhabung der Nebenstrafen an der Ehre im GB sehr komplizirt und

widerspruchsvoll. A. I n h a l t d e r E h r e n s t r a f e n . Aus einem Komplexe aus-

drücklich bezeichneter nRechte" (zum Teil sind es nicht Rechte, sondern F a h i g k e i t e n zur Erlangung solcher) sehaffen die §§ 32—34 den Begriff der „ b ü r g e r l i c h e n E h r e n r e c h t e " . Diese bilden durchaus nicht ein Grundkapital, was alien deutschen Reichsbürgern in gleichem Umfange und nur den deutschen Bürgern zukame. Ein grosser Teil der Ehrenrechte findet z. B. bei Frauen gar keinen Raum; ebenso bei Fremden. N i c h t s d e s t o w e n i g e r s i n d d i e a c c e s s o r i s c h e n E h r e n s t r a f e n a u c h a u f F r a u e n u n d F r e m d e a n w e n d b a r ; f r e i l i c h h a b e n s i e d a n n e i n e n w e i t b e s c h r a n k t e r en I n h a l t . Aber der Ñame „ b ü r g e r l i c h e E h r e n r e c h t e " und c ie Ver-gleichung der einzelnen zu ihnen gezahlten Rechte resp. Fahigkeiten beweist, d a s s es s i c h d a b e i l e d i g l i c h um d a s O f f e n t l i c h -r e c h t l i c h e V e r h a l t n i s d e s E i n z e l n e n zum S t a a t u n d z u r p o l i t i s c h e n G e m e i n d e , n i c h t z u r k i r c h l i c h e n G e m e i n d e a i s s o l c h e r , n i c h t zu K r e i s e n d e r sog. G e s e l l s c h a f t h a n d e l t . Für die Auslegung einzelner sehr vager Bezeichnungen der §§ 33 ff. ist dies zu beachten und unentbehrlich.

Des Weiteren kann kein Staat solchen Verwirkungsurteilen seiner Gerichte Güitigkeit für auswartige Staaten verleihen. Der Verlust der Rechte und Fahigkeiten tritt in Folge ihrer nun ein, sofern diese im deutschen Reichs- oder Landesrecht wurzeln. Sind sie sozusagen fremdlandischen Ursprungs: die offentlichen Ámter, Wtirden, Titel, Orden und Ehrenzeichen, so gehen sie durch das auf Verlust der Ehrenrechte lautende deutsche Urteil nicht verloren, aber der Ver-urteilte darf sein Amt in Deutschland nicht ausüben, von seiner Würde, seinem Titel, seinen Orden und Ehrenzeichen im Deutschen Reiche keinen Gebrauch machen. Vgl. hiezu O l s h a u s e n z u § 3 3 n. 8; F r a n k zu § 34 II 2.

Die Absicht des Gesetzgebers ging nun dahin, die accessorischen Ehrenstrafen ais Verlust a l l e r o d e r n u r e i n z e l n e r E h r e n r e c h t e zu fassen. Das Gesetz entspricht ihr nicht genau, da es Ehrenfolgen kennt, die über den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte hinausgehen: námlich d i e d a u e r n d e U n f á h i g k e i t z u m D i e n s t e i m R e i c h s -h e e r u n d z u r B e k l e i d u n g o f f e n t l i c h e r A m t e r a i s F o l g e j e d e r Z u c h t h a u s s t r a f e v o n R e c h t s w e g e n ( § 3 1 ; vgl. darüber H e r b s t , GS 1875 S. 401 ff.), sowie d i e d a u e r n d e U n f a h i g k e i t , a i s Z e u g e o d e r S a c h v e r s t á n d i g e r e i d l i c h v e r n o m m e n zu w e r d e n (§ 161); und andererseits solche, die hinter dem Verlust einzelner Ehrenrechte zurückbleiben, n a m l i c h d ie U n f a h i g k e i t z u m E i s e n b a h n - o d e r T e l e g r a f e n d i e n s t o d e r für b e -s t i m m t e Z w e i g e d i e s e r D i e n s t e (GB § 319).

Die grundsatzlich stets gemeinsam abzuerkennenden bürgerlichen Ehrenrechte zerfallen nun nach dem GB insofern in zwei Klassen, ais

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§ 99. 252

ein Teil derselben nur dauernd, ein anderer nur auf beschrankte Zeit verloren gehen kann. S, aber oben § 95 S. 241.

1. D a u e r n d v e r l o r e n w e r d e n die aus óffentlichen (sei's Staats- oder Gemeinde-) Wahlen hervorgegangenen Rechte; ferner der Besitz ofFentlicber Árnter ' , Würden, Titel und Ehrenzeichen (GB § 33). — Unter ó f f e n t l i c h e n Á m t e r n sind in den §§ 31 íF. durchaus nicht nur die Amter der Beamten im Sinne des § 359 zu verstehen, sondern auch die F a h i g k e i t z u m G e s c h w o r e n e n - u n d S c h O f f e n d i e n s t , die A d v o k a t u r , d i e A n w a l t s c h a f t u n d d a s N o t a r í a t. H o f a m t e r gehoren nicht zu den óffentlichen Amtern , ebenso nie die K i r c h e n a m t e r . Vgl. über diesen P u n k t mein Lehrb . I I S. 378 íf. Unrichtig O l s h a u s e n zu § 3 1 n. 7 ; richtig R G I V. 13. Marz 1884 (E X S. 199 íf.); F i n g e r I S. 482 Note 624.

Die erwáhnten Würden , Titel und Ehrenzeichen sind natürlich nur vom Staate (sei es vom Heimatsstaate oder von einem andern) oder in seinem Auftrage oder mit seiner Ermacht igung (insbes. von einer politischen Korporat ion, vor allem der Gemeinde) verliehene. Deshalb gehoren auch einerseits die Würde des Ehrenbürgers, andrer-seits die akademischen Titel dazu^ auch der Titel Privatdozent. Vgl. H a l s c h n e r I S. 609 ; O l s h a u s e n zu § 33 n. 7; F i n g e r I S. 482 ; D J Z VI S. 509/510. Bezüglich der akademischen Titel a. M. R u b o S. 359.

Ist mit einem Orden oder einer Würde eine Rente oder der per-sonliche Adel verbunden, so erloschen auch die Rechte auf Bezug der Rente wie auf Füh rung des Adels.

2. Nur auf Zeit werden verloren die Fáhigkeiten resp. Rechte: a. d i e L a u d e s k o k a r d e z u t r a g e n . Mit der Einführung

der Reichskokarde geht das Recht , sie zu t ragen, gleichfalls durch Aberkennung der Ehrenrechte verloren. Dem gemeinen Rechte kann es nicht einfallen, das Recht, die Reichskokarde zu tragen, in geringerem Grade von der Würdigkei t des Tragers abhangig zu machen ais das Recht, die Landeskokarde zu tragen. Richtig O p p e n h o f f , § 34 n. 1 ; M e y e r , Lehrbuch S. 314 n. 16; a. M. R ü d o r f f , § 34 n. 4 ; R u b o S. 362.

b . i n s H e e r e i n z u t r e t e n ; c. ó f f e n t l i c h e Á m t e r , W ü r d e n , T i t e l u n d E h r e n

z e i c h e n z u e r l a n g e n ;

d. i n ó f f e n t l i c h e n A n g e l e g e n h e i t e n (s. sub 1) z u s t i m m e n , z u w a h l e n o d e r g e w a h l t z u w e r d e n o d e r a n d e r e p o l i t i s c h e R e c h t e a u s z u ü b e n .

Eine Einschrankung dieser W i r k u n g scheint das Wahlgesetz für den Reichstag vom 31. Mai 1869 § 3 al. 2 zu enthalten. Daselbst

1 Grossere Streiige wird nach Reichsrecht gegen die Mitglieder des EO-Handelsgericlits, des Keichsgerichts und des Bundesamts für Heimatwesen geübt. Diese Acrlieren Amt uud Grehalt, auch wenn sie zu einer nicht entehrenden Frei-heitsstrafe über ein Jahr und wenn sie wegen eines entehrenden Yerbrechens odor Vergehens zu einer Strafe rechtskráftig verurteilt sind: Ges., betr. die Erricht. e. Oberst. Gerichtshofes für Handelssachen, vom 12. Juni 1869 § 23. G-es. über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870 § 43. GVG § 128.

253 § 99.

heisst e s : „Ist der VoUgenuss der staatsbürgerlichen Rechte wegen politischer Vergehen oder Verbrechen entzogen, so trit t die Berechti-gung zum Wahlen wieder ein, sobald die ausserdem erkannte Strafe vollstreckt oder durch Begnadigung erlassen ist." Dieser durch das Wahlgesetz ais die lex prior zu Gunsten der politischen Verbrecher gemachte Vorbehalt, der sicb allein erklart in Hinblick auf die damals noch in Kraft stehenden part ikularen Strafsatzungen gegen politische Verbrecher, ist durch das GB, welches jene Harten beseitigt hat, ais aufgehoben zu betrachten. Nicht einfach genug und zum Teil fehl-gehend L a b a n d , Staatsrecht I 4. Aufl. S. 268 íf. Gerade deshalb entbehrt die Einteilung der Verbrechen in politische und nicht-politische heutzutage der Bedeutung für das materielle Recht. S, oben § 34

S. 87. 88. _ Nur auf Zeit wurde auch verloren die Fahigkeit ,

e. Z e u g e b e i A u f n a h m e v o n U r k u n d e n , und die Fahigkei t

f. V o r m u n d , N e b e n v o r m u n d , K u r a t o r , g e r i c h t -l i c h e r B e i s t a n d u n d M i t g l i e d e i n e s F a m i l i e n r a t e s z u s e i n , e s s e i d e n n , d a s s e s s i c h u m V e r w a n d t e a b -s t e i g e n d e r L i n i e h a n d e l t u n d d i e o b e r v o r m u n d s c h a f t -l i c h e B e h o r d e o d e r d e r F a m i l i e n r a t d i e ' G e n e h m i g u n g e r t e i l t e .

Auch der Verlust der Fáhigkeiten s. e und f rulite auf dem un-anfechtbaren Gedanken, dass den anrüchigen Subjekten keine Ehren-stellung im Rechtsleben eingerJiumt werden dürfe.

Grade bezüglich dieser beiden letzten Punkte hat aber das neue Recht , besonders das B G B , eine Abschwachung eintreten lassen, die in Wahrhei t eine Umkehr des richtigen Grundgedankens bedeutet.

Zunachst bestimmte E B G B A. 34 zum Strafgesetzbuch: I. Im § 34 Nr. 6 werden die W o r t e : „Vormund, Nebenvormund, Kurator, gerichtlicher Beistand oder Mitglied eines Familienrates" ersetzt durch die W^orte: „ V o r m u n d , G e g e n v o r m u n d , P f l e g e r , B e i s t a n d d e r M u t t e r , M i t g l i e d e i n e s F a m i l i e n r a t e s o d e r K u r a t o r " .

Diese Anderung war durch die Anderung des bürgerlichen Rechts auf diesem Gebiete notig geworden. Man vgl. über den G e g e n -v o r m u n d B G B §§ 1792. 1897; den P f l e g e r bes. §§ 1909—1921; über den B e i s t a n d d e r M u t t e r § 1687; ü b e r d a s M i t g l i e d d e s F a m i l i e n r a t e s §§ 1858—1881. Einen besonderen „ K u r a t o r " kenn t das B G B nicht.

Nun bestimmt aber B G B §§ 1780 und 1781 n. 4, der der Ehrenrechte verlustig Gegangene sei nicht u n f a h i g zur Vormundschaft, s o n d e r n s o l l e n u r z u m V o r m u n d n i c h t b e s t e l l t w e r d e n . Wird er es doch, so ist er tauglicher Vormund! Das Analoge gilt für den G e g e n v o r m u n d (§ 1792 Abs. 4), für den B e i s t a n d d e r M u t t e r (§ 1694) Abs. 1 ) , das M i t g l i e d e i n e s F a m i l i e n r a t e s (§§ 1865. 1866 n. 2) und den P f l e g e r der ^§ 1 9 1 0 - 1914, nicht aber für den P f l e g e r des § 1909! (§ 1915 vgl.^mit § 1916).

Sieht man von dem letzten Falle ab, so erklart B G B also den der bürgerlichen Ehrenrechte Entkleideten für fahig zu alien diesen hervor-

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§ 9 9 . 254 I stechendea Vertrauens-Posten des Rechtslebens; nur erlügst es die Ordnungsvorschrift, er solle zu ihnen nicht berufen werden.

In dieser überaus sinnreichen Rehabilitirung des Ehrlosen durch Umkehrung der Satzungen des § 84 bleibt es sich nur konsequent, wenn es in den §§ 1318 (vgl. auch EBGB Art. 40 l í) und 2237 fest-setzt, sie so l í t en nicht ais Solennitatszeuge bei der Trauung und bei Errichtung eines Testamentes verwendet werden, — fahig seien sie also dazu!

Den gleichen bedenklichen Weg geht das Gesetz über die . . . freiwillige Gerichtsbarkeit v. 20. Mai 1898 weiter. Im zehnten Ab-schnitt §§ 167 ÍF. behandelt es „gerichtliche und notarielle Urkunden". Wahrend die §§ 170—172 relative Unfahigkeit der Richter, Notare, Gerichtsschreiber und Zeugen, bei solchem Akte mitzuwirken, statuiren, bestimmt § 173 n. 2, der der Ehrenrechte verlustig Erklarte s o l l e nur nicht ais Zeuge zugezogen werden. J a , § 180 dehnt dies auch auf den D o l m e t s c h e r , also den Sachverstandigen, der §§ 178 und 179, der das Protokoll mit unterzeichnen muss, aus,

Durch diese Bestimmungen diirfte wol die Unfahigkeit des Ehrlosen ais Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu dienen, überhaupt ais aufgehoben zu betrachten sein!

Über den Verlust und die Suspendirung oííentlicher oder privater Rechte des Verbrechers nicht zur Strafe s. B i n d i n g , Handbuch I S. 326 íf. S. auch F i n g e r I S. 488. 489.

B. U m f a n g d e r E h r e n s t r a f e n . Die accessorische Ehren-strafe bedeutet regelmassig den Verlust aller dieser Ehrenrechte; aus-nahmsweise konnen aber auch nur einzelne derselben verloren gehen, und zwar kann der Richter erkennen:

1. neben der Gefangnisstrafe (nie unter 3 Monaten; s. unten sub C) anstatt auf Verlust aller Ehrenrechte nur au f U n f a h i g k e i t z u r B e k l e i d u n g o f f e n t l i c h e r A m t e r auf die Dauer von 1 bis 5 Jahren. Damit verbindet sich ipso jure der dauernde Verlust der bekleideten Ámter (GB § 35);

2. in den Fallen der §§ 128. 129. 331. 339—341. 352. 355 und 357 gegen B e a m t e neben G e f a n g n i s (schon von 1 Tage auf-warts) zwar nicht auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, aber wol allein au f V e r l u s t d e r F a h i g k e i t z u r B e k l e i d u n g o f f e n t l i c h e r A m t e r auf die Dauer von 1—5 Jahren; vgl. § 319. RG I vom 14. Juni 1897 (E XXX S. 159. 160). Vgl. Verratsgesetz vom 3. Juli 1893 § 6;

3. in dem Falle des § 95 neben Gefangnis (von 2 Monaten aufwárts) a u f V e r l u s t d e r b e k l e i d e t e n o f f e n t l i c h e n A m t e r und d e r a u s o f f e n t l i c h e n W a h l e n h e r v o r g e g a n g e n e n R e c h t e ;

4. in den Fallen der §§ 81. 83. 84. 87—90. 94 neben F e s t u n g auf dieselbe Einbusse wie sub 3.

C. E i n t r i t t d e r E h r e n s t r a f e n . Sie setzen eine Haupt-strafe voraus, diese aber ist nie Haft, nie Geldstrafe, nie Freiheitsstrafe, in welche die Geldstrafe umgewandelt worden ist. Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte kann nur eintreten neben T o d e s s t r a f e ,

255 § 100.

neben Z u c h t h a u s , neben G e f a n g n i s , letzteres aber nur dann, wenn die Strafe nicht unter 3 Monaten betragt und entweder das Gesetz diese Ehrenfolge ausdrücklich zulasst (§§ 49 a. 108. 109. 133. 142. 143. 150. 160. 161. 164. 168. 173. 175. 180. 183. 248. 256. 262. 263. 266. 280. 284. 289. 294. 302. 302 a—e. 304. 329. 333. 350) oder Gefangnis wegen mildernder Umstande, an Stelle von Zuchthaus getreten ist (§ 32). Gegen jugendliche Personen ist die Strafe unzulássig (§ 57, 5). Vgl. auch oben sub B.

Ehrenminderungen treten nun ein: 1. i p s o j u r e a i s g e s e t z l i c h e F o l g e d e r Z u c h t h a u s -

s t r a f e : die dauernde Unfahigkeit zum Heerdienst und zu offentlichen Ámtern (§ 31);

2. im tibrigen n u r d u r c h R i c h t e r s p r u c h . In den Fallen der §§ 161 (Meineid), 181 (Kuppelei), 302 d und 302 e (gewerbs-und gewohnheitsmassiger Wucher) m u s s der Richter auf Ehrenstrafe erkennen, in alien andern steht es in seinem Ermessen.

Die Wirkungen des Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte, sowie der Fahigkeit zur Bekleidung Offentlicher Ámter treten schon mit der Rechtskraft des Urteils ein (§ 36).

D. D a u e r d e s E h r v e r I n s t e s . Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte hat den Verlust der sub A 1 bezeichneten „Rechte" auf Lebenszeit, der sub A 2 bezeichneten aber nur auf be-schrankte Zeit zur Folge. Grade deshalb ist im Urteil stets der Verlust der Ehrenrechte auf bestimmte Zeit auszusprechen. Neben zeitiger Zuchthausstrafe kann dieser Verlust 2—10 Jahre, neben Gefangnis 1—5 Jahre betragen. Dieser Zeitraum wird aber nicht von der Rechtskraft des Urteils, sondern von dero Tage an berechnet, an dem die Hauptfreiheitsstrafe verbüsst, verjahrt oder erlassen ist (§§ 32. 36). Nur neben der Strafe des Todes und des Zuchthauses auf Lebenszeit wird auf Ehrverlust ohne zeitliche Beschrankung erkannt.

b. Die besonderen Ehrenstrafen wider Personen des Soldaten-standes nnd Militarbeamte. MGB §§ 30-43.

Neben dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte kennt das Militar-strafgesetz §§ 30 tf. folgende besondere Ehrenstrafen gegen Personen des Soldatenstandes für ihre militarischen und nicht-militarischen Verbrechen, die alie, mit Ausnahme des rein fakultativen Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte, bald obligatorisch, bald nur fakultativ angedroht sind.

1. E n t f e r n u n g a u s dem H e e r e , z u l a s s i g für a l i e M i l i t a r p e r s o n e n . Sie bedeutet Verlust der Dienststelle und der damit verbundenen Auszeichnungen, sowie aller durch den Dienst er-worbenen aberkennbaren Ansprüche; ferner dauernden Verlust der Orden und Ehrenzeichen und Unfahigkeit zum Wiedereintritt in das Heer; § 32. Auf sie wird erkannt:

a. o b l i g a t o r i s c h fü r a l i e S o l d a t e n neben Zuchthaus, für U n t e r o f f i z i e r e u n d G e m e i n e neben dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf mehr ais 3 Jahre, für O f f i z i e r e neben jedem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und da, wo gegen Unteroffiziere

§ 100.

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§ 100. 256

und Gemeine Versetzung in díe 2. Klasse des Soldatenstandes g e -bo ten i s t ;

b. f a k u l t a t i v neben Gefangnis von mehr ais 5 Jahren und g e g e n O f f i z i e r e da, wo gegen ünteroffíziere und Gemeine Versetzung in die 2, Klasse des Soldatenstandes z u l a s s i g ist; § 31. Gegen p e n s i o n i r t e O f f i z i e r e ist statt dessen auf Verlust des Offízierstitels zu erkennen; § 33.

2. D i e n s t e n t l a s s u n g ; n u r für O f f i z i e r e z u l a s s i g ; gegen pensionirte Offiziere ist statt dessen auf Verlust des Rechts zum Tragen der Ofíiziersuniform zu erkennen. Sie bedeutet n i c h t Verlust des Diensttitels, wol aber der Stelle, der durch den Dienst ais Offizier erworbene Ansprüche^ soweit sie aberkennbar sind, und des Rechtes, die Uniform zu tragen; §§ 35 und 3G. Sie tritt ein:

a. o b l i g a t o r i s c h neben dem Erkenntnis auf ünfahigkeit zu oífentlichen Amtern, eine dem MGB uñbekannte Strafe, ferner wo gegen ünteroffíziere Degradation ge b o t e n ist;

b. f a k u l t a t i v nebén Freíheitsstrafe von mehr ais einjahriger Dauer, ferner wo gegen ünteroffíziere Degradation z u l a s s i g ist. § § 3 4 und 35.

3. Die Dienstentlassung wird für M i l i t a r b e a m t e vertreten durch den A m t s v e r l u s t (§ 43), auf den erkannt werden kann neben Freíheitsstrafe von mehr ais 1 Jahr und ferner, wenn die Verurteilung wegen D i e b s t a h l s , ü n t e r s c h l a g u n g , R a u b s , E r p r e s s u n g , H e h l e r e i , B e t r u g s oder U r k u n d e n f a l s c h u n g erfolgt; § 43.

4. V e r s e t z u n g in d i e 2. K l a s s e d e s S o l d a t e n s t a n d e s , nur g e g e n ü n t e r o f f í z i e r e und G e m e i n e zulassig. Sie bedeutet dauernden Verlust der Orden und Ehrenzeichen, der aberkenn-baren Versorgungsansprüche und des Rechts, die Militarkokarde zu tragen. Sie tritt eín:

a. o b l i g a t o r i s c h neben Verlust der bürgerlíchen Ehren-rechte auf dreí Jahre oder geringere Zeit;

b. f a k u l t a t i v bei wiederholtem Rückfalle (vgl. § 13); ferner bei jeder Verurteilung wegen eines der oben sub 3 angeführten Verbrechen; ferner neben Freíheitsstrafe bei der dritten Verurteilung wegen irgend eines milítarischen Vergehens, sofern nicht zwischen der zuletzt bestraften Handiung und der Begehung des neuen Vergehens 6 Monate verílossen sind. §§ 37—39.

5. D e g r a d a t i o n , nur gegen ü n t e r o ff izi e r e zulassig. Sie bedeutet Rücktritt in den Stand der Gemeinen und Verlust der im Dienst ais Unteroffizier erworbenen aberkennbaren Ansprüche. Sie tritt ein:

a. o b l i g a t o r i s c h neben Gefangnis von mehr ais 1 Jahr; neben Versetzung in díe 2. Klasse des Soldatenstandes; neben Ab-erkcnnung der í^ahígkeít zu oíFentlíchen Amtern;

b. f a k u l t a t i v neben kürzerem Gefangnis; wegen wieder-holten Rückfalles; wegen Verurteilung auf Grund eines der oben sub 3 angeführten Verbrechen. §§ 40 und 41.

4. Die Verniog'ensstrafcii. Stooss, Zur Natur der Fermogens-strafen. Diss. Bern 1878. — v. Buri, Zur Natur der Vermogens-

257 § 101.

strafen; GS 1878 S. 241 flf. — Kronecker, GA XXVII 1879 S. 81 &., XXVIll S. 9 ff.

§ 101. a. Die Geldstrafe. GE § 27—30. KO § 63 n. 3 (nicht konkurs-fáhig). —Dochow,HRLex.II S. 38ff. —Wahlberg, Gesamm. Schriften II S. 281 íF. - Schmolder, Preuss. Jahrb. Bd. LXII 1888 S. 129 ff. — Seidler, in Conrad's Jahrbüch. XX 1890 S. 241 ff. — Friedmann, Zur Reform des osterreich. Straf-rechts. Wien 1891. S. 71—236. — Reinhard t , Geldstr. u. Busse. Diss. Halle 1890.— Oetker, Konkursrechtl. Grund-begriffe I S. 162 ff.— S. auch Stooss, Das sog. Abverdienen V. Geldstrafen, Z f. Schweiz. St¿R IV S. 344ff.; Kohler*, Geldstrafe; GA XLIX 1903 S. 177 ff.

Das heutige gemeine Recht kennt weder eine Konfiskation des gesamten Vermogens noch von Quoten desselben. Seine Vermügens-strafen sind deshalb lediglich G e l d s t r a f e n und V e r m o g e n s -n a c h t e i l e a n d e r e r A r t (s. § 102).

I. Die Geldstrafe heisst in besonderen Reichsstrafgesetzen, be-sonders in Zoll- und Steuergesetzen, vielfach G e l d b u s s e , einmal (Vertrag mit der Schweiz v. 13. Maí 1869 A. 21) auch B u s s e schlechthin.

Der Mmdestbetrag der Geldstrafe ist bei V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e m d r e i Mark, bei Ü b e r t r e t u n g e n e i n e Mark. Eine Mark ist jetzt zugleich die kleinste Einhéit der Geldstrafe. Wahrend nach dem nordd. StrGB der Thaler kleinste Einheit der Strafe bei Verbrechen und Vergehen war, somit auf 3 /8 Thaler nicht erkannt werden konnte, darf der Richter heute dafür 10, 20, 25 u. s. w. Mark Strafe auswerfen. Auf Bruchteile einer Mark darf aber n i e erkannt werden. Vgl. B i n d i n g , Handbuch I S. 301; RG III v. 9. Juni 1887 (E XVI S. 159 ff.); falsch O p p e n h o f f zu § 27 Nr. 3 ; O l s h a u s e n zu § 27 n. 5b; F i n g e r I S. 477 Note 618.

II. Ein absolutes Máximum der Geldstrafe kennt das Gesetz nicht: die hochste Geldstrafe in demselben übersteigt indessen 15000 Mark nicht (GB § 302 d). Im Ges. gegen den Sklavenraub v. 28. Juli 1895 steigt die neben Zuchthaus oder Gefangnis obligatorisch zu erken-nende Geldstrafe von 3 Mark bis auf 100 000 Mark.

III. Nach GB § 1 gewinnt es den Anschein, ais seien alie Geldstrafen in relativ bestimmten Geldsummen ausgeworfen. Dies ist aber nicht der Fall. In den Sondergesetzen des Reiches begegnen vielfach Geldstrafen, die nach Analogie der Bussen für das rOmische furtum berechnet werden. Der Gegenstand, nach dessen Wert sich die Strafe bemisst, und mit welchera dann immer verbrecherisch manipulirt worden ist, andert seinen Saehwert von Fall zu Fall; ebenso die da-nach zu berechnende Strafe. Nichtsdestoweniger sind die angedrohten Geldstrafen hier durchweg absolut bestimmte. S. oben § 18 s. III. 1. S. 66. Auí den ersten Blick kann es zweifelhaft sein, ob die solcher-gestalt angedrohten Geldstrafen Vergehens- oder Übertretungsstrafen sind. Da aber ihr mogliches Máximum 150 Mark jedenfalls übersteigt, so haben wir es mit V e r g e h e n s s t r a f e n zu tun^.

1 Interessant und wol abweiehend Zuckersteuergesetz v. 31. Mai 1891 § 47,

Abs. 5. Bind ing , Strafrecht. Grundriss. 7. Aufl. 17

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§ 102. 258

Diese Strafe betragt nun bald das F ü n f z i g f a c h e , F ü n f ú n d -z w a n z i g f a c h e , Z e h n f a c h e , das A c h t - , V i e r - , Z w e i f a c h e oder ^U oder Vs des Grundwerts. Dieser Grundwert besteht bald im Betrag ausgegebener Wertzeichen, bald im Betrag des defraudirten Portos, Zolles oder der defraudirten Steuer, im Betrag der in An-spruch genommenen Zollvergütung, im Nennwert der den Gegenstand der Zuwiderhandlung bildenden Papiere u, s. w. S. beispielsweise Salzsteuerges. v. 12. Okt. 1867 § 11; Braumalzgesetz v. 4. Juli 1868 § 24; Vereinszollgesetz v. 1. Juli 1869 §§ 134. 135; Ges., betr. die Sicherung u. s. w., v. 1. Juli 1869 A. 2; Ges., betr. d. Inhaberpap. auf Pramien, v. 8. Juni 1871 § 6; Pofftgesetz v. 28. Okt. 1871 § 27; Brau-steuergesetz v. 31. Mai 1872 § 30; Bankgesetz v. 14. Marz 1875 § 55; Tabakgesetz v. 16. Juli 1879 §§ 34. 37; Branntweinsteuergesetz V. 24. Juli 1887 §§ 21. 23; Zuckergesetz• v. 27. Mai 1896 § 47; Kránkenversicherüngsges. v. 10. April 1892 § 82^; Brausteuergesetz V. 7. Juni 1906 § 41 ff.; Reichsstempelgesetz v. 3. Juni 1906 § 22. 30. 40. 61; Zigarettensteuergesetz v. 3. Juni 1906 § 18 u. s. w.

Eine absolut bestimmte Geldstrafe von 100 M. Dolí resp. 250 M. Dolí, enthalt der Vertrag mit Japan v. 20. Februar 1869. Diese von deutschen Konsuln erkannten Geldstrafen fallen der japanischen Re-gierung zu.

IV. Die Geldstrafen fliessen in die Kasse des Staates, dessen Ge-richt auf sie erkannt hat. Sind sie in der Strafverfügung einer Kom-munalbehorde verhangt, dann in die Gemeinde-Kasse. S. auch Ges., betr. die Beurk. des Personenstandés, v. 6. Febr. 1875 § 70. Eine Reihe von Sondergeseízen überweisen sie aber besonderen Kassen: so z. B. das Postges. v. 28. Okt. 1871 § 33 der Postarmen- oder Unter-sttitzungskasse, die SeemO § 132 der Seemannskasse, in Ermangelung einer solchen einer bestimmten Ortsarmenkasse, das Ges. v. 10. April 1892 § 82<2 der Krankenkasse; einige Vertrage sogar fremden Staats-kassen: der Regierung von Korea und dem Sultán von Zanzibar. Vertrage v. 26, Nov. 1883 A. III. 6, und v. 20. Dez. 1885 A. XIII.

Geldstrafen zu Gunsten des Verletzten kennt die Internationale Sanitatskonvention v. 3. April 1894 (RGBl 1898 S. 994 ff.).

V. Interessante Solidarhaft für einheitliche Geldstrafen z. B. im Stempelsteuerges. v. 27. April 1894 § 35; Pass. v. 3. Juni 1906 § 72.

VI, Uber Vollstreckung von Geldstrafen in den Nachlass s. § 116.

§ 102. b. Die Nebenstrafen am Termogen.

L u d e n in Weiskes ELex. I I S. 929 íF. s. v. Confiskation. — a o n z e n b a c h , Z f. D E XVII 1857 S. 250 ff. — H e i u z e , Die Strafe d. Konfiskation . . . : GA V 1857 S. 166-182. — a o l t d a m m e r , das. IX 1861 S. 730 ff (betr. die Geltend-machung der Konfiskation in den Nachlass); vgl. d e n s . , X IV 1866 S. 96 ff. XVI I I 1870 S. 604 ff. (betr. die civilrechtlichen Folgen der Konfiskation). ~ W a h l b e r g , Kriminal. u. s. w. Gesichtspunkte. Wien 1872 S. 138 ff. — K o h l e r , Patentrecht S.. 575ff. — N i s s a n , Die Einziehung. Aus der Festgabe für PÍanck. Strassburg 1887. — K o b n e r , Die Massregel der Einziehung nach dem KStrGB u. der Nachdruckgesetzgebung. .lena 1892. — G r ü t e r . Z. Lehre v. d. Einziehuner mit bes.

259 § 102.

Eücksicht auf schweiz. Strafrecht. Diss. Gott. 1895. — V e r bo r g , Die Einziehung der Prodiikte u. Werkzeuge eines De-likts , ohne Unterschied, ob sie dem Verurtheilten gehoren oder nicht. Diss. Eostock 1895. — H. S c h u l t z , Die civil-rechtliche Bedeutuug der Einziehung . . . . Diss. Müncheu 1895. — F r i e d l á n d e r , Das objekt. ^'erfahren S. 14 ff. — D o c h o w , in HELex. s. v. Einziehung I S. 661 ff". — G l ü c k s -m a n n , Die Eechtskraft der strafprozessualen Entschcidung über Einziehung und Unbrauchbannachuug. Breslau 1898. — H e r s c h e l , Über dens. Gegenstand. Breslau 1899. — E o c h o l l , Dio selbstándige Einziehung des § 42 EStrGB. Diss. Erlangen 1899. — M o t h e s i Die Beschiagnahme. Leipz. 1903, bes. S. 95ff. — S c h o e t e n s a c k , Der Konfiskationsprozess. Leipz. 1905. — S c h ü l l , Die Wirk. konkursrechtl. Grundsátze auf das Eechtsinstitut der Einziehung. Diss. Borna-Leipz. 1905. — G e r l a n d , GS L X I X 1906 S. 301 ff. - S. auch W i l d a , Strafr. d. Germanen S. 288 ff". 519 ff.; B r u n u c r I I S. 452 ff. 695; v. A m i r a , Altuorwegisches Vollstreckungsverfahreu S. 106 ff.

Accessorische Vermogensstrafen kennt das GB in drei Gestalten: I. A c c e s s o r i s c h e G e l d s t r a f e n . Vgl. z. B. GB §§263.272. II. E i n z i e h u n g o d e r K o n f i s k a t i o n e i n z e l n e r S a c h e n

(nie Entziehung von Vermogensrechten). GB §§ 40 u. 42. 152. 295. 335. 360 a. E. 367 a. E. 369 a. E.

Das GB stellt in § 40 die Regel auf: „Gegensta.nde, welche durch ein TOrsatzliches V e r b r e c h e n o d e r V e r g e h e n h e r v o r -g e b r a c h t o d e r z u r B e g e h u n g e i n e s s o l c h e n g e b r a u c h t o d e r b e s t i m m t s i n d , k o n n e n , s o f e r n s ie dem T h á t e r od e r e i n e m T h e i l n e h m e r g e h o r e n , e i n g e z o g e n w e r d e n . — D i e E i n z i e h u n g i s t im U r t h e i l e a u s z u s p r e c h e n . "

E i n z i e h u n g i s t g e s e t z l i c h e r E i g e n t u m s v e r l u s t vom Z e i t p u n k t de r R e c h t s k r a f t des S t r a f u r t e i l s ^ u n d g e s e t z l i c h e r E i g e n t u m s e r w e r b vom g l e i c h e n Z e i t p u n k t an für d i e S t a a t s k a s s e ^ . Diese Rechtsfolge ist vom Zeitpunkt der Beschiagnahme unabhangig: sie* tritt — ohne Rückwirkung bis zum Tage der Verbrechensbegehung ( s o O e t k e r - V o r b e r g ) — mit Rechtskraft des Urteils ipso jure ein^, bedarf also keiner Vollstreckung, wenn sie auch natürlich die Strafvollstreckungsbehorden zur Besitz-ergreifung notigt, und ist nach dem Tode des rechtskraftig Verurteilten ohne Weiteres in den Nachlass geltend zu machen.

1. Die Natur auch dieser Einziehung des § 40 ist bestritten. Wer für die Einheitlichkeit aller staatHchen Einziehung, insbesondere der Einziehungen der §§ 40 und 42 des GBs, eintritt, kann sie kaum ais Strafe fassen. N i s s e n a. a. O. S. 6 ff. erklart sie für einen ver-

^ Einziehung durch Strafbescheid der Verwaltungsbehorde kennt z. B. das Ges. zum Schutze der Waarenbezeichn. v. 12. Mai 1894 § 17,

2 Interessant über die Wirkung der Einziehung Vereinszollgesetz v. 1. Ju l i 1869 § 156 (bezügl. der Bedeutung der Beschiagnahme anomal).

' Das GB geht m. E. unmissverstehbar von der Ansicht aus , dass nach Eeichsstrafrecht — denn darum allein handelt es sich, nicht um partikülares Privatrecht — das Eigentum mit der Eechtskraft des Urteils verloren geht. Des-halb dürfte das interessante E G IV v. 8. Juli 1890 (E X X I S. 54 ff.) fehl gehen. Vgl. auch S c h o e t e n s a c k , Konfiskationsprozess S. 12.

17*

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§ 102. 260

waltungsrechtlichen Akt und leugnet, dass sie nicht nur Verlust-, sondern auch Erwerbstitel sei (S. 21); K o b n e r a, a. O. S. 6 fasst sie de lege lata ledigh'ch ais Sicherungsmassregel für die Zukunft auf; ebenso wol auch v. L i s z t S. 250.

Mir scheint der Gesichtspunkt, die Gefáhrlichkeit des Fortbesitzés der Sache beim Verbrecher erkláre und rechtfertige die Einziehung, éin modern-rationalistischer zu sein (so bes. S t o o s s a, a. O. S. 32íF.). Die producta sceleris waren auch im Falle volliger Ungefahrlichkeit zu vernichten; die instrumenta sceleris aber werden vielfach ein-gezogen, obgleich sie für die Zukunft voUig harmlos sind, und die gefahrlichen, wre etwa die Fb'nte des Wilderers, wandern gar zu leicht aus der Hand des Staats in die des Trodlers, wo sie der frühere Eigen-tümer oder ein KoUege desselben sehr biUig wieder erstehen kann. Nicht unwahrscheinlich haben sich in dem vom eindringenden rSmi-schen Rechte allerdings modificirten Institute Reste des altgerma-nischen Frohndungsgedankens erhalten: danach verwirkte der Verbrecher durch seine Tat das Eigentum an den Werkzeugen ihrer Begehung, und gabe man diesem Gedanken eine dingliche Wirkung, so erstreckte sich die Verwirkung auch auf die Werkzeuge in fremdem Eigentume. I n u n s e r e D e n k w e i s e tibersetzt w ü r d e dem T a t e r d i e S a c h e g e n o m m e n , w e i l d e s R e c h t e s u n w ü r d i g s e i , s i e dem U n w ü r d i g e n zu b e l a s s e n .

Die Beschránkung der Einziehung auf Werkzeuge und Erzeugnisse v o r s á t z l i c h e r Verbrechen und Vergehen und nur auf solche, die dem Tater oder einem Teilnehmer zur Zeit des Urteils gehSren, zwingt m, E. dazu, d i e í ^ i n z i e h u n g d e s § 40 a i s N e b e n s t r a f e am V e r m O g e n zu f a s s e n .

Dann dürfen natürlich auch die zu straflosem Versuch gebrauchten Werkzeuge eingezogen werden, da sie zur Verübung vorsátzlicher Vergehen bestimmt waren. RG IV v. 6. Marz 1903 (E XXXVI S. 147/8).

2. Die Regel des § 40 wird aber durch viele Ausnahmen durchbrochen:

a. Neben Ü b e r t r e t u n g s s t r a f e n wird die Einziehung aus-drücklich zugelassen in den §§ 360, 1, 2, 4 - 6 , 14; 367, 7—9; 369, 2. S, auch u. A. Viehseuchenges. v. 23. Juni 1880 § 65 n. 1; § 66 n. 1; Ges. V. 25. Juni 1887 § 6; Ges., betr. den Schutz v. Vogeln, v. 22. Marz 1888 § 7; Ges., betr. elektr. Masseinh., v. 1. Juni 1898 § 12; Ges. v. 6. Juli 1898 § 4 Abs. 2 u. 3 ; Fleischschaugesetz v. 3. Juni 1900 § 28; Schaumweinsteuerges. v. 9. Mai 1902 § 25; Süss-stoffges. V. 9. Juni 1902 § 9; Phosphorges. v. 10. Mai 1903 § 2. Vgl. auch S c h o e t e n s a c k , Konfiskationsprozess S. 15.

b. Die Einziehung der zur gewerbsmassigen Verbreitung bestimmten 'Nachdruckexemplare findet auch dann statt, wenn der Verbreiter nicht vorsatzlich gehandelt hat. Nachdruckges. 11. Juni 1870 § 25. Diese Bestimmung greift auch für die übrigen strafbaren Nachbildungen Platz. S. die Ges. v. 9., 10., 11. Januar 1876. S. auch Urheberges. v. 19. Juni 1901 § 42. Vgl. unten § 103 s. II. S. auch Ges., betr. den Schutz u. s. w., v. 26. Mai 1885 § 3 ; SüssstoíFges. v. 9. Juli 1902 § 9. S. auch unten s. III.

261 § 102.

c. Auf Einziehung k a n n nicht nur, sondern so l í erkannt werden in den Fallen der §§ 152. 295. 331—335 (s. 335). 369, 2. Vgl. u. A. die interesa. Bestimmungen über obligator. Einziehung im Ges. V. 17. Juli 1881 (RGBl S. 247) §§ 2. 3. 4; Ges. zur Ausführung der internationalen Konvention u. s. w. v. 30. April 1884 § 2; Spreng-stofFgesetz v. 9. Juni 1884 § 11. Ges., betr. den Schutz u. s. w., v. 26. Mai. 1885 § 3 ; Ges. v. 19. Mai 1891 § 9; SüssstofFges. v. 9. Juli 1902 § 9; Phosphorges. v. 10. Mai 1903 § 2 . Vgl. auch S c h o e t e n s a c k , Konfiskationsprozess S. 14. 15.

d. Ohne Unterschied, ob die Produkte oder Werkzeuge der Tat dem Verurteilten gehoren oder nicht, konnen resp. soUen sie eingezogen werden in den §§ 42. 152. 295. (interess. das zutrefFende RG v. 2. Juli 1888; E XVIII S. 43ff.: der Wilddieb hatte dem Jagdberechtigten das Gewehr gestohlen und dann damit in dessen Wald gewildert). 296 a. 360 a. E. 367 a. E. 369 a. E.; Nahrungsmittelgesetz v. 14. Mai 1879 § 15; Viehseuchenges. v. 23. Juni 1880 § 65 n. 1 und § 66 n. 1; Ges. zur Ausführung der internationalen Konvention u. s. w. v. 30. April 1884 § 2; Sprengstoffgesetz v. 9. Juni 1884 § 11; Ges., betr. den Schutz u. s. w., V. 26. Mai 1885 § 3 ; Ges., betr. die Verwendung gesundheitsschadl. Farben, v. 5. Juli 1887 § 13; Vogelschutzgesetz v. 22. Marz 1888 § 7; Ges., betr. die , . . Laufe der Handfeuerwaffen, v. 19. Mai 1891 § 9; Ges., betr. den Sklavenraub, v. 28. Juli 1895 § 3 ; Margarine-gesetz V. 15. Juni 1897 § 19; Ges., betr. das Flaggenrecht . . ., v. 22. Juni 1899 § 18: Invalidenversicherungsgesetz, Fass. v. 19. Juli 1899, §§ 187, 3. 188, 2 ; Weingesetz v. 24. Mai 1901 § 18; Fleischschaugesetz V. 3. Juni 1900 § 28; Süssstoífgesetz v. 7. Juli 1902 § 9(?); Schaumweinsteuergesetz v. 9. Mai 1902 § 15; § 25; Phosphor-gesetz V. 10. Mai 1903 § 2; Brausteuerges. v. 3. Juni 1906 § 37, 3 ; Zigarettensteuergesetz v. 3. Juni 1906 § 23. — Diese in dem ihr ge-gebenen Umfange nicht zu billigende Satzung, die auf einer Schuld-vermutung beruht (s. B i n d i n g, Lehrb. I S. 332) und nicht auf dem Gedanken krimineller Garantie ( O e t k e r - V o r b e r g ) , ist juristisch insofern interessant, ais dieses Einziehungsrecht nur gegen den Schuldigen ein Strafrecht, gegen den Unschuldigen aber nur ein Ent-eignungsrecht ohne Strafcharakter ist. S. Handbuch I S. 496. 497. Über die hier einschlag. Falle s. bes. V o r b e r g a. a. O. S. 53 ff.

e. Die Einziehung betrifft stets nur die in § 40 bezeichneten Gegenstande, nicht ihren Wert. Zu diesen Sachen gehbren auch die Wertgegenstande oder Geldsummen, die zur Bestechung verwandt werden 1 — aber nur sie: RG II v. 16. Dez. 1898 (E XXXI S. 392) —, weshalb auch die Vorschrift des § 335, sie für dem Staate ver-fallen zu erklaren, lediglich eine besondere Einziehungsvorschrift ist (ohne jeden zwingenden Grund sprechen hier S t o o s s S. 54, Ni s sen S. 29, K o b n e r S. 15 von einer civilistischen Einziehung). Aber § 335 lasst auch zu, statt des Empfangenen d e s s e n W e r t für verfallen zu erklaren. Hier tritt eine Strafverwandlung ein: die Ein-

1 Ebenso nacli KG TI v. 30. Sept. 1902 (E XXXV S. 391/2) die Gelder, die die Buchmacher zur Auszahlung der Grewinne auf die Rennplátze bringen.

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§ 102. 262

ziehung wird von der Geldstrafe abgelost. Ebenso Ges. v. 12. Okt . 1867 § 1 1 ; Ges. , betr. die' Bestraf. u. s. w., v. 17. Jul i 1881 § 4. Ahnb'ch Vereinszollgesetz v. 1, Jul i 1869 §§ 154, 155; Gesetz, betr. die Sicherung u. s. w., v. 1. Ju l i 1869 A. 6 ; Ges., betr. die Aus-führung etc., v. 9 Jun i 1895 § 4. Eine nicht vollstreckbare Konfis-kation solí nach Vereinszollgesetz § 147 sub c in eine Geldstrafe von 500 bis 5000 Thalern verwandelt werden. Vgl. § 155 und Ges,, betr. die Sicherung u. s. w., v. 1, Jul i 1869 A. 6.

I I I . V e r n i c h t u n g v o n V e r m o g e n s w e r t e n . GB § 41 . Diese Nebenstrafe ist weder auf vorsatzliche Delikte noch auf Ver-brechen und Vergehen beschrankt, — Ist der Inhal t einer Schrift, eines Bildes oder einer Darstel lung strafbar^, d. h. ist die Schrift u. s. w. Einkleidung einer strafbaren, also notwendig schuldhaften Handlung — eine „objektiv strafbare Handlung" ist ein Unding (gut O l s h a u s e n zu § 42 n. 3b- F r i e d l a n d e r a. a, O. S. 9íF.; a, M, oíFenbar wieder R G I V. 7./18. Dez. 1899, I V v. 6. Marz 1903 (E X X X I I I S. 17 ff.; X X X V I S. 146) —, so m u s s das Urteil aussprechen, es seien die Platten und Formen, sowie alie abgezogenen Exeinpiare im Besitze des Druckers , -Verfassers, Herausgebers oder Buchhándlers, sowie die o f f e n t l i c h ausgelegten oder angebotenen Exemplare entweder ganz oder, wenn Ausscheidung moglich, nu r in ihren strafbaren Teilen untauglích zu machen. Analog Gesetz über den Markenschutz v. 30. Nov. 1874 § 17. S. auch Ges., betr. die Bezeichnung des Raum-gehalts der Schankgefasse, v. 20. Jul i 1881 § 5. Vgl. auch Ges. über den Feingehalt der Gold- und Silberwaren, vom 16. Jul i 1884 § 9 Abs. 2 : „Mit der Verurthei lung ist zugleich auf Vernichtung der gesetzwidrigen Bezeichnung oder, wenn diese in anderer Weíse nicht moglich ist, auf Zerstorung der Waaren zu erkennen." Ganz analog Ges, zum Schutze der Warenbezeichn. v. 12. Mai 1894 § 19. — Dass diese Vernichtung von Vermogenswerten níchts ware ais eine Ar t der Einziehung (so N i s s e n und K o b n e r S. 21 und 23 ff.), ist ein I r r t u m : sie lasst das Eigentum vielfach ganz unberührt .

IV. Vereinzelt werden Einziehung und Vernichtung alternativ an-gedroht. Weingesetz v, 24. Mai 1901 § 18. Im Waarenzeichengesetz V. 12, Mai 1894 § 19 ist die Vernichtung der Gegenstánde der obli-gatorischen Beseitigung der widerrechtlichen Kennzeichnung subsidiar.

V. Einziehung und Vernichtung konnen kumulir t werden, wenn beider Voraussetzungen gleichzeitig vorliegen. R G I V v. 6. MSrz 1903 (E X X X V I S, 145 ff.).

VI. In den Sonderstrafgesetzen des Reiches begegnet des weiteren ais accessorische Vermdgensstrafe der zeitliche oder dauernde Verlust der Fíihigkeit zum Gewerbebetrieb. Gewerbeordnung, Fassung v, 26. Jul i 1900 § 143; Branntweinsteuergesetz v, 24. Jun i 1887 § 30.

. ' Nach RG A. 16. Febr. 1906 (E XXXVTÍI S. 345 ff.) sind die durch den Stift des Phonographeii auf den Walzen oder Platten erzeugten Einritzungen ais Schrift od Darstellnng- im Sinne des § 41 anzusehen.

263 § 103,

§ 103, 111, Anhang. Die unechten Strafen.

1. Einziehung und Unbrauchbarmachung im objektiyeii Straf-terfaliren. GB § 42.

I, Die in § 102 unter I I und II I ervvahnten Massnahmen horen auf, Nebenstrafen zu sein, und werden vom Strafrichter ais Folgen s t r a f b a r e r H a n d l u n g e n angeordnete Eolizeimassregeln, deren Durchführung aber den StrafvoUstreckungsbehorden obliegt, falls in den Fallen der §§ 40 u, 41 die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person im Inlande tatsachlich unausführbar sein soUte, also wegen Todes , Abwesenheit oder nachtráglich eingetretenér Geistes-krankhei t des Schuldigen, aber nicht aus Rechtsgründen (insbesondere nicht wegen Ver jahrung: so H a l s c h n e r I S. 634; B i n d i n g , H I S, 834 n. 4 ; F r i e d l a n d e r S, 1 3 ; G l ü c k s m a n n , Rechtskraft S. 12, 1 3 ; F r a n k zu § 42 I ; F i n g e r I S. 503; S c h o e t e n -s a c k , Konfiskationsprocess S. 24). Richtig RG III v. 5. April 1883, E V I I I S. 238 ff. Dann kann namlich trotzdem der Richter auf sie selbstandig erkennen. Über das „kann" s, RG IV v. 31 . J an . 1896 (E X X V I I I S. 122/3),

Die spatere Praxis des RG legt indessen auf die Verschiedenheit tatsachlicher und rechtlicher Hinderungsgrtinde kein Gewicht, Wie aber kann man sich ge t rauen, im Falle der Verjahrung die Existenz der strafbaren Handlung zu erweisen? Fü r die unrichtige Ansicht leider jetzt auch O l s h a u s e n zu § 42 n, 4 u. 5.

Voraussetzung dieser Verfügung ist stets eine s t r a f b a r e Handlung.

1, Kommt also die Einziehung des § 40 in F r a g e , so muss ein v o r s a t z l i c h e s V e r b r e c h e n od e r V e r g e h e n vorliegen. Auf Übertretungen aber darf die Satzung nicht per analogiam ausgedehnt werden. Ebenso ist die Massregel ausgeschlossen, wenn das Verfahren wegen Unzurechnungsfahigkeit des Taters zur Zeit der Tat eingestellt wird (RG I v. 15. Okt. 1896; E X X I X S. 130 ff,), oder wenn eine strafbare Beleidigung in Anbetracht des GB § 193 wegfallt (RG I I V. 19. Febr , 1897; das, S. 401 ff).

2. Auch die Unbrauchbarmachung des § 4 1 setzt e i n e s t r a f b a r e H a n d l u n g voraus. Der strafbare Inhalt einer Schrift kann nur durch eine strafbare Handlung in sie gelangt sein. Hier hat aber RG den Sinn des § 42 vollstandig in sein Gegenteil verkehrt , namlich von der strafbaren Handlung losgelost. Es giebt der Massregel des § 41 Raum , auch wenn der Tater unzurechnungsfahig war (s. z. B. R G I I I V. 16. Febr . 1881 ; I v, 15. Febr . 1892; E IV S. 87 ff.; X X I I S. 351 ff.) oder aus anderem Grunde freigesprochen worden ist (sehr schlimm RG II v. 28. Mai 1886; E XIV S. 161 ff.). Eigentümlich vermittelnd RG I I I v. 17. Juni 1897 (E X X X S. 197 ff.).

3. Eine weitere Voraussetzung des objektiven Verfahrens bildet, dass die einzuziehende Sache nach Eigentum oder Besitz den An-forderungen des § 40 u, § 41 entspreche.

4, Bei Antrags- oder Ermachtigungsverbrechen muss dem Grundgedanken der verfehlten Einrichtung entsprechend der Antrag gestellt oder die Ermachtigung erteilt sein, Richtig R ü d o r f f zu

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§ 104. 264

§ 4 2 n . 5 ; R u b o zu § 42n. 3 ; M e y e r , Lehrbuch/S. 320; H a l s c h n e r I S. 634; O l s h a u s e n zu § 42 n. 6^; F r i e d l a n d e r S. 13. 14; F r a n k zu § 42 I ; S c h o e t e n s a c k a. a. O. S. 30. 31 ; a. M. O p p e n -hof f zu § 42 n. 1.

Das objektive Verfahren wird übrigens auch in einer grosseren Anzahl von Reichsgesetzen zugelassen. S. dieselben bei F r i e d -l á n d e r a. a. O. S. 9 n. 3 ; bei S c h o e t e n s a c k a. a. O. S. 5 u. 6. Dazu íst neuerdings noch das Zigarettensteuergesetz v, 3. Juni 1906 § 23 getreten; vgl. auch B i n d i n g , Grundriss des Strafprozessrechts, 5. Aufl. S. 219 ÍF.

II. Ganz unabhangíg von dem Dasein einer strafbaren Handlung stellt d i e E i n z i e h u n g das ürhebergesetz v. 1. Juni 1870 § 21 und d i e V e r n i c h t u n g d e r w i d e r r e c h t l i c h h e r g e s t e l l t e n o d e r v e r b r e i t e t e n E x e m p l a r e das ürhebergesetz v. 19. Juni 1901 § 42. S. B i n d i n g , Lehrbuch I S. 477. 478. 488.

§ 104. 2. Polizeiaufsteht und Überweisnng an die Landespolizei-behíírde. GB §§ 38. 39. 44. 45. 76. 362. Pazu Motive „An-hang III: pie Polizeiaufsicht" und ,,Ahhang I: Die Auf-nahme der Übertretungen und deren Benandlting im Entwurf".

T r i e 81, Über die Stellung unter Polizeiavifsicht: GS 1857 II S. 457. — Berner , Polizeiaufsicht i GS 1881 S. 321 íF. — V. Holtzendorff, i. s. ELex. III S. 67, s. v. Polizeiaufsicht. — V. Martiz, Intemat. Eechtshilfe I S. 12 flF. S. 25 íF. — Stoerk in v. Holtzendorffs Handbuch des VoUcerrechts II S. 641. — Fuhr , Die Polizeiaufsicht náeh dem Eeichsstraf-gesetzbuch. Giessen 1888. — Brauer, Wider die Polizeiaufsicht: Z f. StrEW IX S. 807íf. — V. Hippel, Die korrek-tionelle Nachhaft. Freiburg i, Br. 1889. — Ders., Die straf-rechtl. Bekámpfung v. Bettel, Landstreicherei u. Arbeitsscheu. Berlin 1895. — Ders., Verhüt. u. Bestraf. v. Bettel etc. (Se-paratabdruck aus d. 77. Jahresbericht der Ehein. - Westfál. Gefangnisgesellsch. z. Dusseldorf). — H. S e u f f e r t , in V. Stengels Handworterb. s. v. Polizeiaufsicht II S. 249 ff. — Binding, Lehrb. II S. 925 ff. - Braune, Z f. StrEW XXIII 1903S. 746 ff. — S. auch Schwarze,GS 1872 S. 277 ff ; Hil ty , Über die Landesverweisung nach eidgenSss. Eecht, Zeitschr. f. schweiz. Eechtspflege II S. 624 ff.; Zucker, Die Polizeiaufsicht nach osterreichischem Eechte. Prag 1894.

Das heutige deutsche Strafrecht kennt keíne Nebenstrafen an der Freiheit, wol a b e r e i n e a t r a f r i c h t e r l i c h e E r m a c h t i g u n g d e r P o l i z e i b e h S r d e n zu g e w i s s e n B e s c h r a n k u n g e n d e r F r e i h e i t s c h o n b e s t r a f t e r D e l i n q u e n t e n . Diese Polizeí-massregeln, welche nach polizeilichen Gesichtspunkten ergriíFen oder unterlassen werden, sind aber nichts weniger ais Nebenstrafen (ders. Ansicht F u h r a. a. O., bes. S. 94 ff.). Deshalb erstreckt sich auch die Gnade nicht auf sie mit (vgl. bes. B i n d i n g , Handb. I S. 873. 874). Deshalb kommen sie auch bei Vergleichung zweier Strafgesetze auf ihre relative Milde (GB § 2, 2; § 73) gar nicht in Betracht. Ganz verfehlt RG IV v. 5. Dez. 1899 (E XXXII S. 439).

I. Es darf nun das S t r a f g e r i c h t in den gesetzlich ausdrück-lich vorgesehenen Fallen, hier aber für Versuch und Teilnahme unter

265 § 104.

denselben Voraussetzungen wie für Vollendung und Tátersehaft (GB §§ 45, 1. 48. 49).

I . n e b e n Z u c h t h a u s und nur hochst selten n e b e n G e -f á n g n i s (§§ 180. 262. 294; s. auch RG I v. 23. Nov. 1905, E XXXVIII S. 215/6) auf Z u l a s s i g k e i t v o n P o l i z e i a u f s i c h t er-kennen. Zunftchst ist es dem Richter verstattet, neben der Zuchthaus-strafe für den Versuch todeswürdiger Verbrechen: § 44, 2. Im übrigen vgl. die §§ 49a a. E. 115.116.122.125.146.147.180.181.il81a.184. 248. 256. 262. 294. 325. S. auch Seem.O. vom 27. Dez. 1872 § 9 1 ; Fass. V. 9. Juni 1902 § 105; Nahrungsmittelgesetz v. 14. Mai 1879 § 13; Sprengstoffgesetz v. 9. Juni 1884 § 11; Gesetz gegen den Verrat militarischer Geheimnisse v. 3. Juli 1893, dessen § 6 hOchst auf-fallender Weise die Polizeiaufsicht in den Fallen der § § 1 , 3 und 5 nicht nur neben Zuchthaus und Gefangnis, sondern auch neben Festung zulasst; Ges. wider den Sklavenhandel v. 28. Juli 1895 § 3 ; Aus-wanderungsgesetz v. 9. Juni 1897 § 48. — Weder normírt der Richter deren Wirkungen, noch deren Dauer. Sein Urteil giebt nur der „hoheren Landespolizeibehorde" (im Gegensatze zur Ortspolizei) die Befugnis, n a c h A n h o r u n g d e r G e f a n g n i s v e r w a l t u n g d e n V e r u r t e i l t e n a u f h o c h s t e n s 5 J a h r e n a c h v e r b ü s s t e r , v e r j a h r t e r o d e r e r l a s s e n e r F r e i h e i t s s t r a f e u n t e r P o l i z e i a u f s i c h t zu s t e l l e n (GB § 38). Diese Massregel hat die Wirkung,

a. I n l a n d e r n wie A u s l a n d e r n gegenüber, dass die gesetzlich statthafte Haussuchung bei ihnen j e d e r z e i t , insbesondere auch zur Nachtzeit vorgenommen werden darf (StrPrO § 104), und dass die hOhere Landespolizeibehorde ihnen den Aufenthalt an einzelnen bestimmten Orten des Inlandes untersagen darf;

b. A u s l a n d e r aber darf dieselbe Behorde aus dem Reiche, nie aus einem einzelnen Staatsgebiete, verweisen. In einem ganz ver-einzelten Fall darf sie dies auch, ohne dass ihr das Urteil die Befugnis zur Stellung unter Polizeiaufsicht eingeraumt hatte. GB § 284: „Ist der Verurtheilte (gewerbsmassiger Glücksspieler) ein Auslander, so ist die LandespolizeibehSrde befugt, denselben aus dem Bundes-gebiete zu verweisen."

Es darf das Gericht ferner 2. n e b e n d e n H a f t s t r a f e n d e s § 361, 3—8 e r k e n n " « n ,

d e r V e r u r t e i l t e se i n a c h dem H a f t v o l l z u g e d e r L a n d e s p o l i z e i b e h o r d e zu ü b e r w e i s e n . Diese darf ihn dann bis zu zwei Jahren in ein Arbeitshaus unterbringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten verwenden ( k o r r e k t i o n e l l e N a c h h a f t ) , im Falle des § 361 n. 6 aber statt dessen in eine Besseruogs- und Érziehungsanstalt oder in ein Asyl verweisen. Gegen den Auslander aber kann neben oder an Stelle der Unterbringung Verweisung aus dem Reichsgebiet eintreten. GB § 362.

II. Eine eigentümliche Form der Stellung unter Polizeiaufsicht auf drei Jahre, z u f a l g e e i n e s S t r a f u r t e i l s , a b e r n i c h t d u r c H d a s s e l b e , enthalt das Nahrungsmittelgesetz v. 14. Mai 1879 § 3.

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§ 105. 266

§ 105. 3. Recht znr Veroffentlichnng des Strafnrteils. GB §§ 165, 200. Ges. über Markenschutz v. 30. NOA^ 1874 § 17. Pateíitges. V. 25. Mai 1877 §¿¡5. Nahrungsmittelges. v. 14. Mai 1879 § 16. Ges., betr. den Verkehr u. s. w., v. 25. Juni 1886 § 7. Ges., betr. die Verwendung, v. 5. Juli 1887 § 14. Margarineges. v. 12. Juli 1887 § 6. Fleischschaugesetz v. 3. Juní 1900 § 29. Patontges. v. 7. April 1891 § 36.' Ges., betr. den Schutz von Gebrauchsmustern, v. 1. Juni 1891 § 10. Weinges. v. 20. April 1892 § 10. Waarenzeiclienges. v. 12. Mai 1894 § 19. Ges. z. Bekámpfung des unlauteren Wettbewerbs v. 27. Mai 1896 § 13. Margarinegesetz v. 15. Juni 1897 § 20. Süssstoffgesetz v. 6. Juli 1898 § 4. Weingesetz v. 24. Mai 1901 § 19. — M 56. Li 58. MI. 83. Fi 109, — D o c h o w , HH IIl S. 259. 260. — R e i f f e l , GS XLII 1889 S. 68. — T h i e l , Die Natur der Publikationsbefugnis des § 200 des RStrGBs. Diss. München 1901.

Das GB bestimmt in zwei Fal len, in dem der falschen An-.-^(•huldigung (§ 165) und in dem der ofFentlích oder durch Verbrei tung von Scliriften u. s. w. begangenen Beleidigung (§ 200), e s s e i n e b e n d e r S t r a f e z u g l e i c h d e m V e r l e t z t e n v o n A m t s w e g e n d i e B e f u g n i s z u z u s p r e e h e n , d i e V e r u r t e i l u n g a u f R o s t e n d e s S c h u l d i g e n o f f e n t l i c h b e k a n n t z u m a c h e n , Ar t und F>¡st der Bekanntmachung bestimme das ür te i l .

I . Es ist heute unmSglich, sich ein Strafrecht in der Hand des Verletzten und seine Ausübung oder Nichtausübung rein in dessen Willkür gestellt zu denken. Die Privatstrafe ist in jeder Form ver-schwunden. Deutlich genug kennzeichnet sich jenes Recht ais ein Suiches, das dem Verletzten hochstpersonlich b e h u f s A b w e n d u n g d r o h e n d e r o d e r s c h o n e i n g e t r e t e n e r G e f a h r d u n g s e i n e s g u t e n R u f e s gegeben ist. Deshalb wird seine Ausübung durch den Tod des Delinquenten nicht gehindert. Fehlgehend RG Verein. Strafsen. v. 17. April 1882; darauf fussend RG I I I v. 3. Marz 1884 und I I V. 17. Mai 1887, das von einer Strafe „lediglich zur Genug-tuung des Verletzten" spricht (E VI S. 180 ff.; X S. 206 ff.; X V I S. 73 fF.).

Deshalb ist auch dies Recht für die Gnade unangreifbar und der Verjahrung der Strafvollstreckung entzogen. Auch ist es in den Fallen der Idealkonkurrenz zuzuerkennen, falls die Strafe nicht auf Grund des § 165 oder des § 200 ausgesprochen wird. A. M. natürlich RG I I I V. 3. Marz 1884 (E X S. 206 ff.).

Interessant über die Ar t der Publikation, wenn die Strafe wegen Konkurrenz erkannt worden ist, RG I I v. 25. Nov. 1892 (E X X V I I I S. 325 ff.).

I I . Die analoge Maassregel dient ira Markenschutzgesetz § 17 und ini Waarenzeichengesetze § 19 z u r S i c h e r u n g d e r g e f a h r d e t e n M a r k e o d e r d e s g e f a h r d e t e n Z e i c h e n s , in den Patentgesetzen, obgleich sie dort ausdrücklích unter der Überschrift „Strafen und Entschadigung" steht, d e r S i c h e r u n g d e s m i s s b r a u c h t e n P a t e n t e s , im Gesetze wider unlautérn Wettbewerb § 13 d e r S i c h e r u n g d e s v e r u n g l i m p f t e n G e s c h a f t e s .

I I I . Jeder Zweifel darán, dass diese Publikationsrechte im Dienste der Reparation und nicht der Strafe stehen, muss durch die Wahr-

267 § 106.

nehmung zerstreut werden, wie das Nahrungsmittelgesetz v. 14. Mai 1879 § 16 (s. auch Ges. v. 25. Juni 1887 § 7 und v. 5. Jul i 1887 § 15), die Weingesetze v. 20. April 1892 § 10 und v. 24. Mai 1901 § 19 , das Gesetz wider den unlauteren Wettbewerb v. 27. Mai 1896 § 1 3 , das Margarinegesetz v. 15. Juni 1897 § 20 und das Süssstoffgesetz v. 6. Jul i 1898 § 4^ das Gericht anweisen (o 1er ermachtigen), auf Antrag des F r e i g e s p r o c h e n e n die Bekanntmachung der Frei-sprechung anzuordnen. Wieder handelt es sich um Rufreparation.

IV. Aber selbst diejenigen, die wie M e y e r S. 321, v o n L i s z t S. 249 und O e t k e r , Z f. S t rRW X V I I S. 532 n. 101 , richtig die Strafnatur dieser Urteils-Bekanntmachung leugnen, geben sie aus-nahmsweise für die Verur te i lungs-Verkündung der eben genanntSn Gesetze zu. Es heisst da namlich, das Urteil k ó n n e anordnen, die Verurtei lung sei auf Rosten des Schuldigen bekannt zu machen , Diese Bekanntmachung ist dann in der Ta t Sache der VoUstreckungs-behOrde. Und doch glaube ich auch hier nicht an die S t r a f n a t u r und nicht an den Wegfall der Massregel durch den Tod des Verurtei l ten; vielmehr dürfte es sich um Massregeln der W a r n u n g des Publ ikums ver dem Nahrungsmittel- und Weinfalscher, sowie vor dem unlauteren Ronkur ren ten handeln. Über den Stand des Streites s. v o n L i s z t a. a. O. S. 249 ; O l s h a u s e n zu § 165 n. 1 und zu § 200 n. 4. Durchaus richtig F r a n k S. 34 , G e r l a n d , GS L X S. 176. Vgl. auch F i n g e r 1 S. 509 ff. Beachtlich auch T h i e l , Natur der Publi-kationsbefugn. des § 200 RStrGBs. München 1901.

Interessant für das Subjekt des Publikationsberechtigten RG II v. 21 . Sept. 1900 (E X X X I Í l S. 396).

§ 106. 4. Das Recht í iif Busse. GB §§ 188. 231. StrPrO §§ 443—446. Vgl. die Gesetze, betv. das Urheberrecht, u. s. w. v. 11. Juni 1870 § 18, V. 9. Januar 1876 § 16, v. 10. Januar 1876 § 9, v. 11. Januar 1876 § 14, V. 19, Juni 1902 § 40; das Ges. über den Markenschutz v. 30. Nov. 1874 § 16; das Patentges. v. 7. Aptil 1891 § 37 (Busse bis zu 10000 Mark); Ges., betr. den Schutz v. Gebrauchsmustern V. 1. Juni 1891 § 11; Ges. z. Schutz der Waarenbezeichnungen V. 12. Mai 1894 § 18; Ges. wider den unlaut. Wettbewerb v. 27. Mai 1896 § 14; Ges. über d. Verlagsrecht v. 19, Juni 1901 § 9. — S. auch BGB § 847. — H^ 243. Li 67, B 109 M 50. MI 84. Fi 108,

S c h w a r z e , GS 1872 S, 283 ff. — S t e n g l e i n , GS 1872 S. 325 ff. — F u c h s , Ankiage- und Antragsdelikte S. 56 ff. — D o c h o w bei HH III S. 372 ff. — D e r s . , Die Busse im Strafrecht u. Strafprozess. Jena 1875. — v. W á c h t e r , Die Busse bei Beleid. u. Korperverletzungen. Leipzig 1874. — S o n t a g , KrV XVII 1876 S. 203 ff., 1876 S. 111 ff. (Anzeigen von v. Wách-ters u. Docbows Schriften). — H e r z o g , GS 1875 S. 191 ff., 1877 S. 418ff — F lesch , GS 1876 S. 278ff. — Sch layer , GA XXIV 1876 S. 429 ff, — K o h l e r , Patentrecht S. 638 ff, — M a n d r y , Civilr. Inhait der Reichsgesetze. 4. Aufl S. 495 ff — L o e b , Be-gnadigungsrecht S. 76 ff.— v. W e i n r i c h , Die Haftpflicht wegen Korperverletzung u. Totung eines Menschen. Strassburg 1883 S. 122—139.-- G l a s e r , Strafprozess LI S. ]3ff'. — E e i u h a r d t ,

1 Dem Süssstoffgesetz v. 7. Juli 1902 fehlt natürlich die analoge Bestimmuug. '-• Abweichend freilich Margarinegesetz § 20.

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§ 106. 268

Geldstrafe u. Busse. Diss. Halle 1890. — Merkl ingJbiaus, Die Busse im deutschen Eeichsstrafrecht. Diss. Koln 1891. — W e s t , in Vollerts Blátter f. Rechtspflege in Thür. XXII S. 22 ff. — H e l l m a n n , Schmerzensgeld u. Busse: Civ. Arch. Bd. 78 (1891) S. 1 ff. — E o s e n f e l d , Die Nebenklage. Berlin 1900 S. 164ff. -E ü c k e r , Die Busse des deutschen Reichsstrafrechts. Diss. Freiburg 1901. — S t r a u s s , Die Busse . . . u. der Ersatz des nicht vermogensrechtl. Schadens im BG-B. Freiburg 1901. — Gra f zu D o h n a , Die Stell. d. Busse im reichsrechtl. System des Immaterialgüterschutzes. Berlín 1902. — H o l s c h e r , Die Bedeut. d. Busse f. d. heut. Recht. Diss. Leipzig 1904. — Oetker* , Der Bussprozess; a S LXVI 1905 S. 321 ff. - Beacht-lich G m e l i n , DJZ VIII 1903 S. 121 ff.

I. Die „Busse" des heutigen gemeinen Rechts , welche das GB nur neben der Strafe der KV, der Verlaumdung und der leichtfertig üblen Nachrede zulasst (s. GB §§ 186—188 u. 231), die aber noch in einer Anzahl von Reiehssondergesetzen verwendet wird , ist k e i n e „ S t r a f e " , denn sie wird „neben der Strafe" zuerkannt , auch keine Mischung von P r i v a t s t r a f e u n d E r s a t z (so besonders v. W a c h t e r a. a. O., M e r k e l S. 235 u. B i e r l i n g , Principienlehre I I I S. 392/3), denn solche Mischung erscheint undenkbar , sondern l e d i g l i c h e i n E r s a t z o d e r e i n S c h m e r z e n s g e l d des durch dasVerbrechenVer -letzten. Und ais solcher erscheint stets für das GB nur ein M e n s c h . R G I Beschl. V. 30. Marz 1896 (E X X V I I I S. 301 ff.). Die „Busse" dankt ihre Aufnahme in das GB der Rücksicht auf die Bequemlichkeit der Verfolgung und die Raschheit der Durchführung der Ersatz-ansprtiche vor dem Strafgericht. Sie wird deshalb nie von Amts-wegen, sondern nur auf Antrag zuerkannt . Ihre Verfolgung stellt einen Pall des sog. A d h a s i o n s - P r o z e s s e s dar. S. auch P §§ 446 ff. Die Adhasion solí zulassig sein, solange die Strafklage zulassig ist. Der Richter solí bei Zuerkennüng der Busse gebunden sein sowol an das Máximum der Busse , welches das Gesetz im Einzelfalle zulasst, ais an den Híichstbetrag der vom Verletzten beantragfen Busse , den er nicht überschreiten darf. S. P § 4 4 5 . I m Ü b r i g e n h a t e r s i e n a c h B i l l i g k e i t z u b e m e s s e n .

I I . Der Anspruch auf Busse ist ein hochst personlicher und kann von den Erben des Verletzten nicht erhoben noch fortgesetzt werden. P § 444, 4. S. auch RG I v. 2. Nov. 1896 (E X X I X S. 140/1). Die rechtskraftig zuerkannte Busse aber ist vérerblich. Wegen der civi-listischen Natur des Bussanspruchs kann auf ihn gültig vertragsmassig verzichtet werden. RG I v. 19. Nov. 1898 (E X X X I S. 334 ff.). E in solcher Verzicht liegt aber nicht darin, dass der Bussklager der Haupt-verhandlung fern bleibt oder in ihr seinen schriftlich gestellten Antrag nicht mündlich wiederholt. RG IV v. 7. Nov. 1899 (E X X X I I S. 346 ff.) Die zuerkannte Busse schliesst jeden weiteren Anspruch des Buss-nehmers aus dem DeliktCj das zur Aburtei lung gekommen ist, aus. Das Bussurteil konsumirt den civilistischen Anspruch , m. E . aber auch zweifellos das rechtskraftige Civilurteil über die Ersatz-klage den Bussanspruch. So K o h l e r , Patentrecht S. 665 ; R o s e n -f e l d , Nebenklage S. 185; O e t k e r , GS L X V I S. 3 4 2 ; F i n g e r I S. 507. Dagegen u. A. O l s h a u s e n zu § 188 n. 10; F r a n k zu

269 § 106.

§ 188 I I ; G r a f z u D o h n a S. 449. 450. — Um den Anspruch zu erheben, muss sich der Verletzte nach P § 443 dem Strafverfahren ais Nebenklager anschliessen, falls er nicht Pr ivathauptklager ist. Um den Anspruch zu erhalten, muss er die Rechtskraft des Urteils erlebt haben. Kein Gnadenakt kann ihn darum verkürzen. Der Anspruch steht unabhangig von der Verjahrung der Strafvollstreckung.

I I I . Die Busse darf nur neben der Strafe wegen des Delikts, auf Grund dessen auch die Bussklage erhoben wi rd , zuerkannt werden. Das kondemnatorische Strafurteil ist also hier conditio sine qua non, also wahrhaft pra.judiziell für die Entscheidung der Civilsache. Eine Verurtei lung zur Strafe ergeht aber materiell, wenn auch nicht formell, auch d a n n , wenn der Richter in der Retorsión genügende Strafe er-blickt und deshalb weitere Strafe nicht auswirft. Auch neben solchem Strafurteil ist Zuerkennung der Busse moglich. Richtig G l a s e r , Handbuch des Strafprozesses I I S. 14 n. 10. Dagegen O l s h a u s e n zu § 188 n. 6 ; B e r n e r S. 492; S t e i n i t z , Kompensation S. 73 u. die n. 4. das. Angeführt'eu.

Aus dem Gesagten ergiebt sich: 1. Konkurr i ren auf Grund verschiedener Strafgesetze zwei zur

Bussforderung berechtigende Delikte idealiter mit einander oder ein zur Bussforderung berechtigendes Del ikt mit einem andern , so kann im ersten Falle auf die Busse beider Delikte, im letzten aber auf die Busse des einen erkannt werden , letzteres auch dann , falls nach G B § 73 d a s Strafgesetz zur Anwendung zu bringen is t , welches ein Recht auf Busse nicht gewahrt. S. darüber unten § 114. (A. M. war die 2. Aufl. S. 132.)

2. Wenn aber e i n e Handlung (im Sinne des GB § 73) mehrere Personen verleumdet oder mehrere verletzt , so kbnnen neben der einen Strafe so viele Bussen ausgesprochen werden , ais Verletzte da sind. .

3. In alien Fallen, wo wegen des die Bussforderung erzeugenden Delikts auf Strafe e rkannt ist , darf resp. muss auf Busse erkannt werden; also

a. überall, wo zwei zur Bussforderung berechtigende Delikte miteinander realiter konkurr i ren , ist auf die zwei Bussen zu erkennen;

b . überal l , wo ein solches Del ikt mit einem andern realiter konkurr i r t , auch wenn die Strafe des letzteren die Einsatzstrafe bilden sollte, auf die eine Busse;

c. überall, wo ein zur Busse berechtigendes Delikt mit einem andern idealiter oder realiter konkurr i r t und das Gesetz diesen Kon-kurrenzfall unter qualifizirte Strafe gestellt ha t , insbesondere in den zahlreichen Fa l len , wo die konkurr i rende Korperverletzung einen Qualifikationsgrund bildet. Richtig v. W a c h t e r a. a. O S. 50—54; V. L i s z t S. 320 ; F r a n k S. 293. Dagegen u. A. O l s h a u s e n zu § 231 n. 5 ; F i n g e r I S. 508. 509;

d. überall, wo ein zur Busse berechtigendes Delikt ais solches gestraft wi rd , mag dies geschehen auf Grund des G B § § 1 8 6 . 187. 223—226. 227, 2. 228. 229 , 2 oder auf Grund eines andern Straf-gesetzes (§ 340 Korperverletzung im Amte ; §§ 94 ff. Korperverletzungen

5 D" S /

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§ 10(5. 270

und líeleidigungen des Landesher rn ; § 104 Beleidigung diplomatischer Agenten), mag das Delikt technisch Beleidigung oder Korperverlet25ung heissen oder einen andern Ñamen führen, aber wesentlich Beleidigung oder Korperverletzung sein. Ders . Ans Ó e t k e r , GS L X V Í S. 333/4. Dagegen darí' nebeu der Strafe wegen Teilnahme an 8chlagereien (§ 227, 1) und wegen Vergiftung ohne Korperverletzung (§ 229, 1) Busse nicht erkannt werden, obgleich beide Handlungen unter der Uberschrift Korperverletzung stehen. S. den Stand der Ansichten bei O l s h a u s e n zu § 231 n. 5 ;

e. dagegen überall n i c h t , wo die Korperverletzung hochstens einon Strafzumessungsgrund bei der Bestrafung eines anderweiten Ver-brechens bildet: so nicht neben der Strafe des Zweikampfs, des Tótungs-versuches.

IV. Die Busse setzt civile Schadigung voraus. Nach GB § 188 ist sie nur zulassig, „wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Vermogensverhaltnisse, den Ervverb oder das Fortkommen des Be-leidigten mit sich bringt". D a GB § 231 diese Bestimmung nicht wiederholf, wird anzunehmen sein, dass bei der Korperverletzung die Busse auch ais Schmerzensgeld zuerkannt werden darf. Beachte je tz t auch B G B § 847. — Danach und nach dem Satze oben s. III a. A. beantwortet sich die Frage , ob neben der Versuchsstrafe Busse zulassig ist. Steht der Versuch überhaupt nicht unter Strafe (wie der Regel nach bei Beleidigung und bei Korperverletzung), so verbietet sich die Busse von selbst. Andernfalls kann darauf erkannt werden, falls schon der Versuch den Angégriffenen geschadigt hat. A. M., aber aus unstichhaltigen Gründen v. W a c h t e r a. a. O. S. 48.

V. Die civilistische Ersatzpflicht haftet auf dem Urheber des Schadens. Zur Busse kcinnen also verurteilt werden die Táter und Mittíiter, der Anstifter, nicht aber der Gehülfe. Bez. des Gehülfen ders. Ans,, aber aus andern Gründen v. W a c h t e r a. a. O. S. 48. 49. Gut O e t k e r , GS L X V I S. 335. De r in diesem Punk te ganz ver-kehrte § 830 des B G B bindet den Strafrichter nicht.

Die zu ihr Verurteilten haften ais Solidarschuldner. S. auch UG II V. 12. Dez. 1899 (E X X X I I I S. 13 ff.).

Drittes Eapitel. Die Bestimmnng des StrafáquiTalentes fttr das einzelne Verbrechen.

L e l i é v r e , De poenarum delictis adaequandarum ratione. Lovanii 1826. — B a u m e i s t e r , Bemerk. zur Strafgesetzgeb. Leipzig 1848. Abschnitt 2: Das Zurechnen und Zumessen. S. 46 ff. — C h r i s t i a n s e n , Über Qualitát u. Quan-titát der Strafe. Kiel 1865. — Merkel , Über Strafausmessung und Strafminde-rung: in StrEZ 1864 S. 345-366. 1865 S. 129-166. — Ders . in HH II S. 545 bis 584. IV S. 207—236. — W a h l b e r g , Princip der Individualisírung, Wien 1869. — F i n g e r , Der objektive Thatbestand ais Strafzumessungsgrund. Wien 1888. — Me dem, Über Strafzumessung und Strafmass: GS 1874 S. 590 ff. — D e r s . , Das deutsche Reichsstrafrecht für die Aufgaben der Strafzumessungslehre . . . eyst. geordnet. Berlín 1885. — D e r s , Z f. StrRW VII (1887) S. 135 ff. — Ders . , G-SXL 1888 S. 161 ff. — P e t e r s o n , GA XXXII1884 S. 201ff. — D u r c h -holz , GA XXXV S. 261 ff. — Sorof, das. S. 286 ff. — S a m t e r , das. S. 381 ft". — L a m m a s c h , GS XLIV S. 192 ff. — H o e g e l , Straffáll. u. Strafzumessung. 1897. — G e y e r , HRLex. s. v. Strafzumessungsgründe III S. 813ff. — C l a u s i u s ,

271 §§ 107—109.

Z. Strafzumessung; GS LYII 1900 S. 401 ff. — Die Literatur über das Ver-brechensmotiv s. oben S. 115.

8 107. I . Das Strafgesetz und der Strafricliter. H^ 254. B 137. Scb 49. M 57. G 73. H 12. 140—144. WH 20. K 133-136. — Vgl. GB § 336.

§ 108. I I . Die richterliche Htraffeststellnngr.

A. Der Strafmassstab und die richterliclie Strafznmes»ang. Insbesondere von den mildernden UmHt&nden. H^ 194—215. 256. 257. Sch 51. 53. B 138. 141—157. 159. M 5. 57. MI 68. 94. Li 68. 70. WV 89. 90. 92. G 74. H 59. 120. K 141. 142. Fi 110.

Über richterl. Willkür bei absolut unbestimmten Straf-gesetzen s. B i r n b a u m , NA XIII S. 540ff. — Über mildernde Umst. vgl. B u r g h a r t , GS 1852 II S. 419ff. 449ff. — L i p p -mann, Strafánderungsbefugn. S. 78 ff. — Zimmermann, GS 1871 S. 853 ff. ~ S c h v a r z e , das. 1874 S. 578 ff. — GA 1857 S. 222 ff. — M o r r i s , Gesch. u. Sj^st. der mild. Umstánde im deutschen Strafrecht. Diss. Berlín 1887. — G o e t z e , Die mildernden Umstánde. Diss. 1893.- — F i n g e r , Der „Objek-tive Thatbestand" ais StrafeumesBungsgrund. Wien 1888. — V. Holtzendorff , in s e i n e m u. v. J a g e m a n n s Handbuch des Gefángniswesens I S. 432 ff. — Vgl. aucb Motive z. nordd. E. „AnhangIV: Mildernde Umstánde".—Über den Vorschlag der vollstándigeu Abachaffung des Strafmasses s. oben S. 236 bis 288. Natürlicb feblt auch zwischen. den Extremen der Vorschlag e i n e r d u r c h das S t r a f g e r i c h t n u r r e l a t i v b e s t i m m t e n S t r a f e n i c h t : das Gericht bestimmt Máximum und Mínimum der Strafzeit, den wahren Endpunkt bestimmt die Verwaltung. S. M. E. M a y e r , Monatsschr. f. Krím. Psych. III 1906 S. 309 ff. Und das nennt M a y e r „die Willkür aus der Strafzumessung elímíníeren" (S. 315/6)! — S. dazu bes. Z u c k e r , GS XLIV 1891 S. 8ff.-, S t e r n a u , Zf. StrRW XIU 1893 S. 17 ff.: O e t k e r , das. XVII 1897 S. 677 ff.; F i n g e r I S. 554 ff.

B . Die sog. Strafánderung. B 139. 140. 142. 143. M 59. 60. Fi 111—114. - F e u e r b a c h , Kritik II S. 290 ff. — L i p p -m a n n , Histor.-dogmat. Darstellung der Lehre von der richter-líchen Strafánderungsbefugnis. ísordlingen 1863 (gekronte Preísschrift). — H ü c k e l , Der Begríff der Strafánderung u. das StrGB f. d. D. Reich. Stuttgart 1893.

§ 109. Wesen nnd Arlen derselben. I. Ein Recht des Richters, die vom Gesetze statuirte Strafe im

Einzelfalle zu andern, giebt es in Wahrhei t nicht. Was der irre-führende Ausdruck „ r i c h t e r l i c h e S t r a f á n d e r u n g " meint, i s t e i n e V e r t a u s c h u n g d e r g e s e t z l i c h r e g e l m a s s i g e n S t r a f e m i t e i n e r A u s n a h m e s t r a f e , und natürlich kann solche Vertauschung nur auf gesetzliche Vollmacht hin geschehen. R i c h t e r l i c h e S t r a f á n d e r u n g heisst sie im Gegensatze zur g n a d e n -w e i s e n S t r a f á n d e r u n g , zu welcher das Gesetz dem Inhaber der Gnadengewalt Generalvollmacht erteilt, — mit der Beschránkung frei-lich, dass ihm die Strafscharfung versagt ist und er an die gesetz-lichen Strafarten gebunden bleibt.

I I . Aus dem BegriíFe der Strafánderung ergiebt sich schon — und dies ist für die Auslegung der Quellen des früheren gemeinen

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§ lio. 272

Rechtes besonders beachtlich —, d a s s von i h r n u r g e s p r o c h e n w e r d e n k a n n , wo d i e N o r m a l s t r a f e a b s o l u t o d e r w e n i g -s t e n s r e l a t i v b e s t i m m t i s t . Andernfalls bedeutet, was man einen S c h a r f u n g s - oder M i l d e ^ u n g s g r u n d zu nennen geneigt ist, lediglich einen E r h o h u n g s - oder Mind er u n g s g r u n d . Dies ist ganz besonders für das Gebiet der romischen extraordinaria cognitio zu betunen. S. bes. 1 13 D de poenis 48, 19: Hodie licet ei, qui extra ordinem de crimine cognoscit, quam vult sententiam ferré, vel gravi-orem vel leviorem, ita tamen, ut in utroque moderationem non ex-cedat.

III. Die Abweichung von der Regelstrafe gestattet oder gebietet das Gesetz stets n u r be i V o r h a n d e n s e i n b e s t i m m t e r G r ü n d e , die nach seíner Auffassung die ausnahmsweise Behandlung des Einzel-falles rechtfertigen.

Die Sondergesetze über die richterliche Strafánderung weisen des-halb alie genau den gleichen Bau auf; aber nach der Richtung, in welcher sie eine Ánderung vorsehen, zerfallen sie und zerfallt die Strafanderung selbst in drei Arten.

S t r a f a n d e r u T i g i s t d i e dem R i c h t e r d u r c h e i n e n A u s -n a h m e r e c h t s s a t z a u f g a n z b e s t i m m t e G r ü n d e h in g e -s t a t t e t e o d e r g e b o t e n e V e r t a u s c h u n g d e r g e s e t z l i c h r e g e l m a s s i g e n S t r a f e

1. m i t e i n e r d e r A r t o d e r d e m M a a s s e n a c h m i l d e r e n — r i c h t e r l i c h e S t r a f m i l d e r u n g —, s. unten § 110,

2. m i t e i n e r d e r A r t o d e r dem M a a s s e nach s cha r f e r en — r i c h t e r l i c h e S t r a f s c h a r f u n g —, s. unten § 112,

3. m i t e i n e r d e r A r t n a c h a n d e r n , d e m M a a s s e , al so d e r S c h w e r e n a c h g l e i c h e n S t r a f e — r i c h t e r l i c h e S t r a f -v e r w a n d l u n g —, s. unten § 113.

Die Strafmilderung bildet den scharfen Gegensatz zur Straf-minderung (s. oben § 108). I n s b e s o n d e ' r e i s t d e r „ m i l d e r n d e U m s t a n d " d a s G e g e n t e i l e i n e s M i l d e r u n g s g r u n d e s ,

Ebenso scharf kontrastiren S t r a f s c h a r f u n g und S t r a f -e r h o h u n g . Letztere und die Strafminderung liegen ausser dem Ge-biete der richterlichen Strafánderung.

Es ist eine fatale, weil notwendig verwirrende Eigenheit im Sprachgebrauch des Gesetzbuchs, die Strafscharfung ais Straferhohung und die Strafmilderung ais Strafminderung zu bezeichnen. S. GB §§ 50. 59. 119. 208. 222, 2. 230, 2. 293.

§ 110. 1. Die Strafmilderung 1. GB § 57. Vgl. MGB §§ 49, 2. 60. — H2 260-262. Sch 52. 53. Mi 96. Li 70. WV91a. G 74—76. H 75. 146. K 139. 142. - G e v e r , HRLex. s. v. Sírafmilde-rungsgründe III 809 ff. — Beachtlich J o l l y , Über gemilderte Zurecnnungsfahigkeit, aus der Zeitschr. f. Psychiatrie Bd XLIV. — Z u c k e r , Über Schuld u Strafe der jug. Verbrecher. Stutt-gart 1899. — Zur Auslegung des § 57 vgl. R u h s t r a t , GS

1 Interessant das Strafmilderungsrecht des „Befehlshabers" nach der Verordn., betr. das strafgerichtlicTie Verfahren gegen Militárpersonen der Kais. Schutz-truppen, v. 18. Jan. 1900 § 5e.

273 § 110,

1871 S. 73 ff.-, Ortloff, GS 1874 S. 62ff.; F u c h s , StrRZ 1871 S. 249 ff.; T e i c h m a n n , das. S. 806 ff.; J o h n , das. 1872 S. 209tt".; Ort loff , GA XXI 1873 S. 173ff; B a u m e r t , Über die Zurechnungsfáhigkeit jugendl. Personen. Breslau 1877 S. 45 ff. — S auch die Literatur zu § 38 und K r o s c h e l , GS LXl 1902 S. 128 ff.

I. Die allgemeinen Milderungsgründe des früheren gemeinen Rechtes — das heutige kennt nur den einen der Jugend (s. unten s. II A) — gingen alie auf denselben Grundgedanken zurück, dass zwischen dem voU entwickelten Bewusstsein von der Schwere der Tat, dessen Jíachweis die Regelstrafe voraussetzei, bis zu dem vollig auf-gehobenen Bewusstsein, welches die Zurechnung ausschliesse, Uber-gangszustande existirten, deren Straf barkeit allmahlich nach dem NuU-Punkte zu herabsinke, dass also die einzelnen Gründe aufgehobener Zurechnungsfáhigkeit in abgeschwachter Form sich zu Strafmilderungs-gründen iimwandelten.

Sie wurden deshalb wenig gut unter der Bezeichnung des M i l d e r u n g s g r u n d e s d e r g e m i n d e r t e n Z u r e c h n u n g zusammen-gefasst. Über dieselben und ihre Wirkung s. sub II.

II. E i n z e l n e M i l d e r u n g s g r ü n d e . A. Jugend. Vgl. oben § 38. 1. I m p u b e s a é t a s (nach

CCC A. 164 für beide Geschlechter bis z. 14. Jahre erstreckt: § 38 s. 3). Schloss sie die Zurechnung nicht aus, und ersetzte bei den pubertati proximi die Intensitat des dolus nicht den Altersmangel, so wirkte sie strafmildernd. So das kanon. Recht (s. bes. cap. 1 X de delictis pueror. 5, 23 oben § 38, 2 S. 101) und CCC A. 179 u. 164. — Dass im rümischen Rechte die Jugend Grund minderer Strafzumessung war, ist zweifellos (1 16 § 3 D 48, 19 de poenis; 1 7 D 48, 13 ad leg. Jul. peculatus; 1 108 de R. J. 50, 17; vgl. auch 1 37 § 1 D 4, 4 de minor.); dass sie bei gewissen Verbrechen keinen Milderungsgrund bildete, beweisen 1 37 § 1 D 4, 4 de minoribus XXV annis, und 1 14 D 29, 5 ad SC. Silanianum. Vgl. auch 1 1 u. 2 C 2, 35 si advers. del. suum (in criminibus quidem aetatis suffragio minores non juvantur). Der Rest ist Zweifel. — Zu weit geht m. E. L i p p m a n n a. a. O. S. 9.

2. M i n d e r j a h r i g e s A l t e r war nach den Quellen des früheren gemeinen Rechts kein Strafmilderungsgrund. Wol aber er-strecken alie neueren Gesetzbücher die strafmildernde Wirkung der Jugend über das 14. Jahr hinaus: bis zum vollendeten 20. Jahr („unter 21 Jahren") B r a u n s c h w e i g , 19. Jahr O s t e r r e i c h , 18. Jahr S a c h s e n - A l t e n b u r g , K o n i g r . S a c h s e n , T h ü r i n g e n , H a m -b u r g , 17. Jahr N a s s a u (bis zum 20. Strafminderungsgrund), 16. Jahr alie anderen, insbes. der C o d e p e n a l , P r e u s s e n , W ü r t t e m b e r g , B a y e r n 1861 (in einigen Wirkungen bis zum Eintritt der VoUjahrig-keit), H e s s en (bis zum vollendeten 18. Strafminderungsgrund).

3. N a c h dem GB § 173, 4 ist die Jugend (bis zum vollendeten 18. Jahr) bei der Blutschande Strafausschliessungsgrund für Verwandte und Verschwagerte absteigender Linie. Nach dem MGB § 50 ist bei Bestrafung militarischer Verbrechen und Vergehen die Erkennung der angedrohten Strafe unabhangig von dem Alter des Taters: Jugend ist

1 o Binding , Strafrecht. Grundriss. 7. Aufl. 18

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§ lio. 274

also nur Straiminderungsgrund. D a s G B § 57 s c h r e i b t S t r a f -m i l d e r u n g v o r f ü r j e d e n A n g e s c h u l d i g t e n , d e r z u r Z e i t s e i n e r T a t ( n i c h t s e i n e s P r o z e s s e s ) ü b e r 12 , a b e r u n t e r 18 J a h r e a l t w a r u n d „die z u r E r k e n n t n i s s e i n e r S t r a f -b a r k e i t e r f o r d e r l i c h e E i n s i c h t b e s a s s " . Dass das. Gesetz mit diesen Worten lediglich Zurechnungsfahigkeit und nicht mehr verlangt, ist von Bdg, N II S 81 f., zu beweisen versucht. Zur Zeit der Tat bedeutet: zur Zeit des Abschlusses seiner Aktion. Der ^jErfolg" konnte dann auch erst nach Vollendung des 18. Jahres ein-getreten sein.

D e r j u g e n d l i c h e D e l i n q u e n t d a r f n a c h dem G B n i e mi t T o d o d e r l e b e n s l a n g l i c h e r F r e i h e i t s s t r a f e , n i e m i t Z u c h t h a u s , n i e m i t V e r l u s t a l l e r o d e r ei n z e l n e r b ü r g e r -l i c h e r E h r e n r é c h t e g e s t r a f t w e r d e n ; auf Z u l á s s i g k e i t v o n P o l i z e i a u f s i c h t i s t n i c h t zu e r k e n n e n ; d a g e g e n i s t s t a t t d e s T o d e s u n d s t a t t l e b e n s l a n g l i c h e n Z u c h t h a u s e s G e f a n g n i s v o n 3—15 J a h r e n zu v e r h a n g e n , u n d bei be -s o n d e r s l e i c h t e n V e r g e h e n u n d U b e r t r e t u n g e n k a n n a u f V e r w e i s e r k a n n t w e r d e n .

F ü r d i e B e m e s s u n g d e r S t r a f e n j u g e n d l i c h e r P e r s o n e n ist von dem Grundgedanken auszugehen, dass die r e g e l -m a s s i g e n S t r a f e n jugendlicher Delinquenten nicht die der §§ 80 íf., sondern jedenfalls mildere und zwar nach § 57 gemilderte sind, Über die StraferhOhungs- und Strafminderungsgründe, insbesondere über mildernde Umstande bei den Delikten der Jugend bestimmt § 57 gar nichts: es s i n d a l so g a n z d i e s e l b e n wie be i a l i e n a n d e r e n D e l i k t e n a u c h . Nichts ware unrichtiger, ais zu sagen, dass die Jugend, weil sie einen Strafmilderungsgrund abgabe, nie nochmals ais mildernder Umstand in Betracht kommen konnte (so O p p e n h o f f zu § 57 n. 10; R ü d o r f f zu § 57 n. 3 ; v. S c h w a r z e , Kommentar S. 247; H a l s c h n e r I S. 536. 537; M e r k e l b e i HH IV S. 220. 221; F r a n k zu § 57 I ; O l s h a u s e n zu § 57 n. 3, der freilich zugesteht, dass die Berücksichtigung der Jugend ais eines mildernden Umstandes keinen Revisionsgrund abgeben kann; dagegen gut J o h n a. a, O. S. 214 íF. Richtig auch M e y e r S. 331. Zarte Jugend, zurück-gebliebene Entwicklung u. s. w. sind zweifellos ais Minderungsgründe resp. mildernde Umstande zu betrachten. Es ware hochst seltsam, zu behaupten, dass die Altersverschiedenheit jugendlicher Delinquenten juristísch irrelevant sei. Nur bildet die Jugend nie einen obligatori-schen Strafminderungsgrund! (Zu weit gehen R u h s t r a t a. a. O. S. 75. 76; F u c h s a. a. O. S. 253.) Nach dem Gesagten losen sích zwei Kontroversen von selbst:

a. W e l c h e s i s t d i e n ó r m a l e S t r a f e d e r J u g e n d n a c h § 5 7, 3, i n s b e s o n d e r e w e n n m i l d e r n d e U m s t a n d e v o r l i e g e n ? Be i a l i e n z e i t i g e n F r e i h e i t s s t r a f e n u n d b e i a l i e n G e l d s t r a f e n i s t „die S t r a f e z w i s c h e n dem g e s e t z -l i c h e n M i n d e s t b e t r a g d e r a n g e d r o h t e n S t r a f a r t (d. i. 1 J a h r Z u c h t h a u s , 1 T a g F e s t u n g , G e f a n g n i s o d e r H a f t ,

275 § 110.

3 M a r k be i V e r g e h e n , 1 M a r k be i U b e r t r e t u n g e n ) u n d d e r H a l f t e des H o c h s t b e t r a g s d e r a n g e d r o h t e n S t r a f e ( n i c h t : S t r a f a r t ) zu b e s t i m m e n " . „Ist die so bestimmte Strafe Zuchthaus, so tritt Gefangnisstrafe von g l e i c h e r D a u e r an ihre Stelle." Sind in den §§ 81 ff. zwei Strafarten alternativ angedroht — gleichgültig ob die zweite nur für das Vorhandensein mildernder Umstande in Aussicht genommen ist oder nicht —, so stehen selbstverstand-lich dem Richter für jugendliche Delinquenten gleichfalls verschiedene Strafarten, die mildere eventuell dann auch nur beim Vorhandensein mildernder Umstande zur Wahl. Richtig J o h n a. a. O. S. 211. 212. Vgl. auch RG IV V. 27. Febr. 1900 (E XXXIII S. 181 ff.). Falsch m. E. RG I V. 22. Nov. 1883 (E IX S. 245 íf.)- Unrichtig ist, hier lediglich die mildeste Strafart ais die „angedrohte" zu betrachten: s. V. S c h w a r z e , Komm. 246; T e i c h m a n n a. a. O. S. 309; O r t l o f f bei GA XXI S. 175. Modelt man z. B. die Strafdrohung des § 250 (für qualifizirten Raub: Zuchthaus von 5—15 Jahren, bei mildernden Umstanden Gefangnis von 1—5 Jahren) für jugendliche Verbrecher um, so lautet sie: Gefangnis zwischen 1 Jahr und 7 Jahren und 6 Monaten, bei mildernden Umst. Gefangnis zwischen 1 Tag und 2 Jahren und 6 Monaten.

b. W e l c h e s i s t d i e n ó r m a l e S t r a f e d e r J u g e n d im F a l l e des V e r s u c h e s ? Hier versteht sich wieder von selbst, dass erst die nórmale Strafe des vollendeten Verbrechens nach Massgabe des § 57, 3 zu suchen und dann die Reduktion nach § 44 vorzu-nehmen ist: denn der Findung der Versuchsstrafe muss stets die Fest-stellung der Vollendungsstrafe vorausgehen. So das Berliner O.-Tr.; S c h ü t z e , Lehrbuch S. 180 Nr. 21; O r t l o f f , GA XXI S. 175; B a u m e r t a . a. O. S. 50; B a u m g a r t e n , Versuch S. 447; R ü d o r f f -S t e n g l e i n zu § 57 n. 9; gerade umgekehrt O p p e n h o f f zu § 57 n. 15; O l s h a u s e n zu § 57 n. 4 ; M e y e r , S. 338 Note 47; v. L i s z t S. 278; RG v. 12. Juni 1882; E VII S. 1 ff. (Gegen den offenbaren Rechenfehler dieses Erk. s. R e i f f e l , GS 1883 S. 513 ff.); F i n g e r l S. 519. Für § 57, 1 u. 2 ist ein Zweifel hierüber gar nicht denkbar, ebensowenig wie ein Grund, nach § 57, 3 anders zu verfahren. Die beiden Rechnungen führen zu verschiedenem Resultat. Droht das Gesetz den Erwachsenen Zuchthaus von 1 Jahr bis zu 5 Jahren, dann ist die Normalstrafe für die Jugend Gefangnis von 1 Jahr bis 2 Jahre und 6 Monate, die Versuchsstrafe also 3 Monate bis fast 2 Jahre 6 Monate. Reduzirt man aber die Strafe des Erwachsenen erst nach § 44 und dann nach § 57, 3, so ist das zulassige Minimum der Versuchsstrafe 4 '2 Monat Gefangnis. Dann ist der gesetzliche Mindest-betrag der angedrohten Strafart 1 Tag Gefangnis, und die Versuchsstrafe kann so weit herabgesetzt werden.

S c h l u s s s a t z d e s § 5 7. Die Vorschrift, es sei die Freiheitsstrafe Jugendlicher Personen" in besonderen, dazu bestimmten An-stalten oder Raumen zu vollzíehen, begründet eine Verpflichtung der Bundesstaaten nur für Straflinge zwischen 12 und 18 Jahren. S. auch O r t l o f f , GS 1874 S. 82 ff.

18*

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§ 111. 276 277 § 111.

B. Die übrigen Orfinde der sog. geminderten Znrechnung.

1. D e r d i e Z u r e c h n u n g n i c h t a u s s c h l r e s s e n d e A f f e k t . Im romischen Recht wird der ímpetus (d. i. die Hitze des Zorns) ais fakultativer Strafmilderungsgrund ausdrücklich anerkann t ; s. bes. 1 38 § 5 D ad leg. Ju l . de adult. 48, 5 ; 1 4 C h. t. 9, 9 ; Mos. et Rom. leg. coll. IV c. 10, c. 3 § 6 und c. 12 § 4. Genauere Nach-weise bei Bdg, N I I S. 346 Nr. 518. — Speziell auch anerkannt in der K()nigl. Satzung von den Gotteslasterern von 1495 § 1.

2. D i e Z u r e c h n u n g n i c h t a u s s c h l i e s s e n d e T r u n k e n -h e i t . L 6 § 7 D de re militari 49, 16 (wo allerdings ebenso wie in 1 11 § 2 D de poen. 48, 19 der Wein ais aífekterzeugend gedacht scheint; m. E . nichts beweisend 1 12 D de custodia reor. 48, 3) und das Reichsgesetz gegen die Gotteslasterer § 1: „wo solche aus be-wegter Hitz des Zorns, aus Trunkenhei t oder dergleichen Zufall un-bedacht geschehe" (die Worte erinnern an i 6 § 7 D 49, 16 : per vinum aut lasciviam).

3. A l t e r , T a u b s t u m m h e i t u n d K r a n k h e i t , s o f e r n s i e d i e Z u r e c h n u n g n i c h t a u s s c h l i e s s e n , Uber diese Milde-rungsgründe enthalten die geschriebenen Quellen des früheren gemeinen Rechtes nichts (nicht hieher gehorig 1 3 § 7 u. 8 D ad SC. Silanian. 39, 5 ; s. auch L i p p m a n n a. a. O. S. 10). Allein, nichts stand im Wege, sie per analogiam zur Geltung zu bringen.

Warend nun die sog. g e m i n d e r t e Z u r e c h n u n g in den früheren deutschen Strafgesetzbüchern vielfach ais Milderungsgrund anerkannt war, nicht in P r e u s s e n , wol aber z. B. in B a y e r n 1861 A. 68 und S a c h s e n A. 88. 90. 96. 97, hat das GB dies nicht ge tan : sie ist nach ihm lediglich Strafminderungsgrund resp. mildernder Um-stand. Das MGB § 49, 2 sagt : „Bei strafbaren Handiungen gegen die Pflichten der militarischen Ünterordnung, sowie bei alien in Ausübung des Dienstes begangenen strafbaren Handiungen bildet die s e l b s t v e r s c h u l d e t e Trunkenhei t des Táters keinen Strafmilderungsgrund."

§ 111. Unechte MnderuiigsgrUnde: I. Anrechnnng der üntersnchungs-haft. 11. Retorsión. GB §§ 60. 199 233. P § 500. — B 144 u. S. 490 ff. Sch 54. 78. 85. M 40. 60. Li 72. WV 92 a. G 76. H II 46. K 139. Fi 112. 113. K Abhandl. S. 82 ff. D o c h o w bei HH III S. 369ff.; G e y e r , das. IV S. 379.

Zu I vgl. S e e g e r , Consilia Tubingensia, Tübingen 1887 S 90; A b e g g , ífA XIV S. 153 ff.; L i p p m a n n a. a. O. S. 15. 103ff.; G-oltdammer und M a g e r bei GA XVI 1868 S. 713 ff., XX 1872 S. 239 ff. - V o l l e r t , Blatter f. Kechtspflege in Thür. XXXIV S. 97 ff.; W a h l b e r g , HELex. I S. 116 ff. — N e i t h a r t , Über die Anrechnung der Untersuchungshaft. Diss. München 1896.

Zu I I vgl. B e r l i c h , Pars IV concl. 64 n. 1—36; C a r p z o v , Quaest. 97 n. 24—41; W e b e r , Über Injurien und Schmáhschriften. 4. Aufl. II S. 49ff.; v. B u r i , Abhandl. S. 90 ff.; Bdg, N I S. 32; S c h w a r z e , SGZ VII 1863 _S.247ff.; G;A XXII 1874 S. 7ff.; Mar-c i n o w s k i , Die Kompensation im Gebiete des Strafrechts: bei GA XIII 1865 S. 247ff.; G e y e r , GS 1874 S. 321 ff.; D o c h o w , HELex. s. V. Eetorsion III S. 464ff.; Z i m m e r m a n n , GA XXXI S. 197 ff.; K r o n e c k e r , GS XLI (1889j S. 192 ff.; B e l i n g , Die geschichtl.

Entwickelung der Eetorsion und Kompensation von Beleidigungen u. Korpervenetzungen. Breslau 1894; S t e i n i t z , Die sog. Kom-

Íensation im EStrGrB. Breslau 1894; G ü n t h e r , Wiedervergeltung II 1 S. 283 ff.; B e r i n g e r , Die Eetorsion bei Beleid. u. KV.

Diss. Mainz 1900. I. A n r e c h n u n g d e r U n t e r s u c h u n g s h a f t . 1. Schon das

frühere gemeine Recht erkannte an, dass wenn der Schuldige mit Hin-sicht auf seine Tat wahrend des Prozesses unverschuldet strafartige Übe l , insbes. u n v e r s c h u l d e t v e r h a n g t e o d e r v e r l a n g e r t e U n t e r s u c h u n g s h a f t durch die Organe des Staates erlitten hatte, bei seiner Verurtei lung dieses Übel ais antecipando verbüsste Strafe angesehen und soweit auf die erkannte Strafe in Anrechnung gebracht werden soUten. Echte Strafmilderung konnte darin nicht gesehen werden : die Strafe kam voll, aber eigentümlich modificirt zur Ver-büssung. Es fand eben nachtraglich eine Umdeutung von Nichtstraf-übeln in Strafübel statt — eine Massregel, die eine gewisse Verwandt-schaft mit der Strafverwandlung aufweist (s. unten § 113). M o d e -8 t i ñ u s in 1 25 pr D de poénis 48, 19 : Si diutino tempore aliquis in reatu fuerit, aliquatenus poena ejus sublevanda er i t : sie etiam con-stitutum est, non eo modo puniendos eos, qui longo tempore in reatu agun t , qüam eos, qui in recenti sententiam excipiunt. — L 23 C h. t. 9, 47 V. Honor, u. Theodos. . . . Sit satis immensorum cruciatuum semel luisse supplicia, ne, qui diu privati sunt aurae communis haustu et lucís aspectu, non intra breve spatium, catenarum ponderibus prae-gravati , etiam exsíHi poenam sustinere iterum compellantur. — Inter-essant zu vergleichen 1 13 § 7 D de his qui not. infam. 3 , 2 ; 1 10 § 2 D 48, 19 de poenis; 1 15 pr D ad municipalem 50, 1 ; 1 4 C ex quib. caus. infamia 2 , 12 (Wegfall der Infamie infolge zu strenger Strafe).

2. Auf diesen Gedanken ist auch die gánze neuere deutsche Strafgesetzgebung ausser P r e u s s e n und L ü b e c k eingetreten, und ihr hat sich GB § 60 angeschlossen. D a n a c h k a n n — n i c h t m u s s ! — e i n e e r l i t t e n e U n t e r s u c h u n g s h a f t b e i F á l l u n g d e s U r t e i l s a u f d i e e r k a n n t e S t r a f e g a n z o d e r t e i l w e i s e a n g e r e c h n e t w e r d e n . Dass die Haft verschuldet verhangt oder verlangert sei,. braucht nicht festgestellt zu werden. Erscheint sie durchaus gerechtfertigt, dann entfallt freilich die Billigkeit der Anrechnung.

V e r r e c h n e t k a n n d i e H a f t n u r a u f z e i t i g e F r e i h e i t s -u n d a u f G e l d s t r a f e , n i c h t a b e r a u f d e n V e r w e i s u n d d i e E i n z i e h u n g w e r d e n . Die Gleichung aufzustellen ist Sache des Richters. Dieser darf durch vier Wochen Untersuchungshaft nicht eine Haft- oder Gefangnis- oder Festungsstrafe von sechs Wochen oder eine Zuchthausstrafe von vier Wochen ais verbüsst erklaren. Die U.-Haft wiegt nie schwerer ais Strafhaft und nie so schwer ais Zuchthaus. Selbst wenn das Gericht vier Wochen U.-Haft vier Wochen Gef. gleichsetzen wollte, hatte es bei Anrechnung auf Zuchthaus auf die Gleich-ung des § 21 Rücksicht zu nehmen. Nichts steht im Wege die U.-Haft auf 1 J ah r Zhs. in Anrechnung zu bringen, so dass viel-leicht nur noch 10 Monate Zhs. zur VoUstreckung zu bringen sind.

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§ 111. 278

GB § 60 bezieht sich nur auf die U.-Haft v o r dem Urteil — einerlei, in welcher Instanz es gefunden wird. Die obligatorische Anrechnung nach P § 482 bezieht sich allein auf die U.-Haft n a c h dem Urteil.

Nach GB § 60 muss die Untersuchungshaft in dem Verfahren erduldet sein, welches zui' Verurteilung führt. Dass sie mit Bezug auf das Delikt verhangt war, dessentwegen verurteilt wurde, wird nicht erfordert. Vgl. RG III v. 19. Juni 97 (E XXX S. 182 ff.). S. auch RG I V. 7. Juli 98 (E XXXI S. 244 ff.).

Für die Berechnurig interessant RG I v. 28. Sept. 96 (E XXIX S. 75 ff.).

Den § 60 erklárt RG II v. 6 Okt. 1905 (E XXXVIII S, 182) auch für anwendbar wenn die erduldete Haft eine wahrend der Dauer des Auslieferungsverfahrens (in Italien) erlittene Sicherheits-haft war.

Ein Analogon zur Anrechnung der Untersuchungshaft bietet die SeemO v. 2. Juni 1902 § 110: „Jedoch muss eine (erlittene) Disziplinar-strafe, sowohl in dem Strafbescheide des Seemannsamts (§ 125), wíe in dem gerichtlichen Strafurthefile bei Abmessung der Strafe berück-siclitigt werden."

II. Die Berücksichtigung der sog. R e t o r s i ó n , d. i. d i e E r -w i d e r u n g e i n e s D e l i k t s d u r c h ein s o l c h e s d e r g l e i c h e n o d e r e i n e r v e r w a n d t e n A r t , gehort streng genommen in den besonderen Teil. Sie wirkt ais b e s o n d e r e r u n e c h t e r S t r a f -m i l d e r u n g s - oder S t r a f a u s s c h l i e s s u n g s g r u n d . Begrifflich ist sie von der Kompensation zweier Privatstrafansprüche gegen-einander scharf zu scheiden; s. U l p . in 1 10 § 2 D de compens. 1 6 , 2 : Quotiens ex maleficio oritur actio . . . ,, si de ea pecuniarie agitur, compensatio locum habet; vgi. ferner 1 36 D de dolo malo 4, 3 ; 1 154 D de R. J. 50, 17. Kaum streng juristisch zu deuten c. 7 X de adulteriis 5, 16: cum paria crimina (beide Gatten haben die Ehe gebrochen) compensatione mutua deleantur.

1. Die Anerkennung der Retorsión ais eines Strafausschliessungs-grundes fiir I n j u r i e n geschah in der Praxis. Man s. den weit-gehenden Ausspruch C a r p z o v s , Quaestio 97 n. 22: Verissimum namque est, quod injuriam injuria retorquere liceat. Der Cod. M a x i m . B a v a r . civ. v. Í756 (Teil IV Kap. 17 § 18) erklart die retorsio retorsionis für nicht erlaubt ( B e l i n g a. a. O. S. 178). D i e n e u e r e n G e s e t z g e b u n g e n beschranken ihre Wirksamkeit gleichfalls auf das Gebiet der Ehrverletzungen; doch Preussen § 188 und GB § 233 dehnten sie auf das Gebiet der leichten Korperverletzungen aus.

2. Bei der grossen Bestrittenheit des Gegenstandes ist es interessant, sich der verschiedenen Auffassungen in Gesetzgebung und Doktrin bewusst zu werden.

Ais wichtig für die Begriffsbestimmung erscheint, dass regelmassig Retorsión ais Erwiderung a u f d e r S t e l l e gefasst wird, wárend bei manchen Schriftstellern wíe W e b e r a. a. O. und W a c h t e r , Lehrb. I S. 107 sowie in den Gesetzen von B r a u n s c h w e i g (§ 200), Ha ra -b u r g (A. 168), B a y e r n v. 1861 A. 263 das Momentane der Erwiderung ais unwesentlich erscheint. Ja, nach der letztgenannten Ge-

279 § 111-

setzgebung bedarf es nicht einmal des Erwiderungskonnexes, sondern nur der G e g e n s e i t i g k e i t ( B e l i n g , Retorsión S. 203). S. auch G r o l m a n , Grundsatze § 229.

Uber die Wirkung der m a a s s v o l l e n R e t o r s i ó n stehen ein-ander folgende Ansichten gegenüber:

a. B e i d e H a n d l u n g e n , d i e des e r s t e n A n g r e i f e r s u n d d i e d e s R e t o r q u e n t e n , m ü s s e n s t r a f l o s b l e i b e n . Beide verwirken das Verfolgungsrecht, soweit nicht geradezu die Retorsión ais rechtmassig gefasst wird. So Württemberg A. 293; Hannover A. 268; Badén § 312-, Sachsen A. 243-, Hamburg A. 168. So auch S c h w a r z e , SGZ VU S. 253.

b. Von b e i d e n H a n d l u n g e n w i r d n u r e i n e b e s t r a f t , u n d z w a r

a. e n t w e d e r d i e d e s R e t o r q u e n t e n , und zwar nicht ais Beleidigung, sondern ais strafbare Selbsthülfe•, so W a c h t e r , Lehrbuch I S. 107, nach Vorgang von B o h m e r und W e b e r a. a. O.; oder

/9. d i e des e r s t e n A n g r e i f e r s . S. v. B u r i , Abhandl. S. 90—92, der den Retorquenten ais recht handelnd auffasst. — Beide Auffassungen sind in keiner Gesetzgebung vertreten.

c. D e r R i c h t e r i s t e r m a c h t i g t , b e i d e H a n d l u n g e n o d e r n u r e i n e ode r k e i n e von b e i d e n zu s t r a f e n , r e s p . d i e S t r a f e fü r b e i d e T e i l e o d e r n u r für e i n e n zu m i l d e r n : so Preussen § 153; Oldenburg v. 1858 A: 146. Vgl. Bayern 1861 A. 263.

d. B e i d e H a n d l u n g e n s i n d p r i n z i p i e l l s t r a f b a r , d i e S t r a f e d e s R e t o r q u e n t e n i s t a b e r zu m i n d e r n o d e r zu m i l d e r n (Oldenburg 1814 A. 44; Braunschweig §200; Thüringen A. 192 Nr. 6; Hessen A. 314; Nassau A. 307), o d e r e s d a r f R e t o r q u e n t a u c h s t r a f l o s a u s g e h e n (Hessen A. 314; Nassau A. 307).

3. Nach GB § 199 u. 233 darf der Richter a. w e n n B e l e i d i g u n g e n (GB §§ 185—187, nicht § 189)

a u f d e r S t e l l e m i t B e l e i d i g u n g e n v e r g o l t e n w e r d e n , b e i d e T a t e r o d e r e i n e n von b e i d e n s t r a f l o s l a s s e n ;

b. w e n n l e i c h t e KV ( a l l e i n GB § 223) a u f d e r S t e l l e m i t s o l c h e n o d e r m i t B e l e i d i g u n g e n oder B e l e i d i g u n g e n m i t l e i c h t e n KV e r w i d e r t w e r d e n , b e i d e T a t e r o d e r e i n e n v o n b e i d e n s t r a f l o s l a s s e n o d e r b e i d e b e s t r a f e n .

S. darüber B i n d i n g , Lehrbuch I S. 52. 53. 162. 163. Für den R e t o r q u e n t e n fallt die erlittene Unbill und sein

dadurch erzeugter Affekt „strafmildernd" oder „strafau8schliessend'' ins Gewicht, für den u r s p r ü n g l i c h e n A n g r e i f e r der Gedanke, dass er seine Strafe weg hat. N i c h t - S t r a f ü b e l w e r d e n w i e d e r a i s S t r a f ü b e l g e d a c h t , und grade dfeshalb fehlt es grade an echter Strafmilderung oder Strafausschliessung. Beide Deiinquenten werden nicht freigesprochen, sondern verurteilt.

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§ 112. 280

§ 112. 2. Die StrafschSrfnng. Insbesondere Toni Rückfall. Interessant Capitulare Haristallense v. 779 (Boretius I S. 47 ff) § 23. — GB §§ 244. 245. 250, 5. 261. 264. MGB §§ 13. (38.) 40 Abs. 2. 70. 71. 114, 2. 122, 2. — H2 219. 220. 259. B 150—152. Sch 52. M 58. MI 95. Li 69. WV 91. G 74. 75. H 108—112. 147. K 142. Fi 75. 114. —

W e n d t , De delictis recidivis. Erlangae 1824. — H o h b a c h , Beitr. zum Strafrecht und Strafverf. S. 205—311. — H o o r e b e k e , De la recidive. Gand 1846. — Mol in ie r , De la recidive. Paris 1851. — (Gol tdammer , ) Die Bestrafung des Rückfalls bei Ver-ánderung des Thatbestandea einzelner Verbrechen durch die neuere Gesetzgebung: GA 11 1854 S. 384ff. - B raue r , GS 1859 S. 374 ff. — B e r n e r , Grundsátze des preuss. Strafr. S. 128—142. — Ders. , Krit. des Entwurfs 1869 S 38 ff.— R L o e n i n g , Quid statuendum sit de 60, qui condemnatus in crimen reciderit. Berolini 1869. — V. M ü n c h n a u s e n , Úber die Strafbarkeit des Rückfalls. Halle 1870. — H á l s c h n e r , Beurtheil. des Entwurfs 1870 S. 69 ff. — H e l l w e g , GS 1870 S. 54ff. — v. S temann, GS 1871 S. 401 ff. — Ortloff, in Stengleins Zeitschrift NF I 1872 S. 3ff. 17ff. — Ders. , Zur sog. Rückfalísverjáhrung: GS 1873 S. 59 ff. — Me ves , StRZ 1872 S. 120 ff, — F r i e d l á n d e r , Der Rückfall im gemeinen deutschen Recht. I. Die EntwickI. d. Lehre mit Einschl. der Karolina. Berlín 1872. — O l s h a u s e n , Der Einfluss von Vor-bestrafungen . . Berlin 1876 S. 14ff. 82ff. — Geyer , HRLex s. V. Rückfall III S. 489. 490, s. v. Strafschárfungsgründe III S. 810. 811. — F u l d , GA XXXI 1883 S. 237 ff — S i c h a r t . Z f. StrRW X 1890 S 401 ff. — K o h l h á a s , Der Rückfall nach deutschem Éeichsstrafrecht, Diss. Stuttgart 1896. — M a y e r , DJZ Vil S. 373. — Vgl. auch d ' O l i v e c r o n a , Des causes de la recidive et des moyens d'en restreindre les effets. Traduction Berlin 1876. — Y v e r n é s , De la recidive et du régime pénitentiaire en Europa. Paris 1874. — S a c k e r , Der Rückfall. Berlin 1892. — K o b n e r , Die Methode einer wissensch. Rückfallsstatistik: Z f. StrRW XIII 1893 S. 615 ff. (die vier letzten Schriften handeln niclit vom Rechts-begriff des Rückfalls). — M E. Maye r , Die allgemeinen Strafschárfungsgründe des Deutschen Militár-Strafgesetzbuches. Leipzig 1903. — P o l t e r a , Z. Lehre v. Rückfall m. besond. Berücks. des schweiz. Strafgesetz-Vorentwurfs. Chur 1904.

W e d e r das frühere noch das heutige gemeine Recht kennt all-gemeinCj also bei alien Verbrechen gleichmassig wirkende Schárfungs-g ründe , wol aber solche, die bei einer Anzahl von Verbrechen Be-rücksichtigung finden.

D i e f r ü h e r e g e m e i n r e c h t l i c h e D o k t r i n stellte híeher I . P e r s O n l i c h e R e s p e k t s - o d e r P i e t a t s v e r h a l t n i s s e

d e s V e r b r e c h e r s z u d e m V e r l e t z t e n , Sie wirkten im rom. Rechte ais Erhohungs- oder ais Schárfungsgründe oder veranlassten die Aufstellung einer qualifizirten Verbrechensart. C a l l i s t r a t u s in 1 28 § 8 D de poenis 48, 19 : Omnia admissa in patronum patronive filium patrem propinquum maritum uxorem ceterasque necessitudines gravius vindicanda sunt quam in extráñeos. Vgl. 1 16 § 3 eod.: . . . aliter (puniuntur) , qui quid in dominum parentemve ausus est quam qui in extraneum, in magistratura vel in p r iva tum; 1 7 § 8 D de injur. 47, 10; T. D 48, 9 de leg. Pomp. de parricidiis. — Vgl. auch CCC A. 124 (Verraterei) . 137 (Verwandtenmord).

Im heutigen gemeinen Rechte ist die strafscharfende W i r k u n g dieser Respektsverháltnisse ungemein reduzirt — wol s tárker ais gut

281 § 112.

ist! Gatiz vereinzelt bewirken sie eine Strafschárfung, wie die Ascen-denten-Eígenschaft beim Totschlag (GB § 215), — nicht einmal tun sie das Gleiche bei der K V und bei der Beleidigung. Hier kOnnen sie nur ais Straferhohungsgründe Berticksichtigung finden. Vgl. auch G B § 247, 2.

I I . D e n R ü c k f a l l . 1. D e m r o m i s c h e n R e c h t e war der R ü c k f a l l s b e g r i f f unerschlossen. Die auf den Rückfall gedeuteten Stellen sprechen — soweit sie sich überhaupt auf mehrmaliges Delin-quiren beziehen — meist nu r von Konkur renz ; so z. B. 1 28 § 10 D de poenis 48, 19 ; 1 8 § 1 C ad leg. Ju l . de vi 9, 12 (gar nicht hier-her gehtíren 1 10 § 1 und 1 28 § 10 D 48, 19); zum Teil auch statuiren sie Schonung für den ersten Verbrechensfall, warend bei Wiederholung die poena ordinaria eintreten solí (so 1 3 § 9 D de re mil. 49, 16) ; zum Teil stellen sie das erste bestrafte Vergehen unter einen ganz andern Gesichtspunkt ais das spatere (so 1 28 § 3 D de poenis 48, 19), und nur ganz wenige scharfen wirklich auf Grund des Rückfalls: so 1 4 C de servis fug. 6, 1 und doch wol auch 1 un. C de superexactor. 10, 20 (in iisdem sceleribus perseverare).

2. Der vielfach versuchte Beweis, dass C C C A. 1 6 1 u. 1 6 2 (Vom ersten diebstall: A. 160; Vom andern diebstall: A. 1 6 1 ; Vom stelen zum dritten ma l : A. 162) auf den Rückfall zu beziehen sei, ist nicht erbracht, j a aus den Italienern (Gandinus, Ángelus Aretinus, Bonifacius de Vitalinis) ergiebt sich die Wahrscheinlichkeit des Gegen-teils: denn sie setzen beim drit ten Diebstahl so wenig Rückfall voraus, dass sie fortwahrend diskutiren, ob der Tod ais Strafe des drit ten Diebstahls auch dann zuzulassen sei, wenn der Dieb schon zweimal bestraft worden. Über diese Kontrov. s. bes. W I I § 193 und F r i e d l á n d e r , Rückfall S. 72 ff. (beide beziehen die CCC auf den Rückfall).

3. D e r R ü c k f a l l s b e g r i f f d e s g e m e i n e n R e c h t s w a r e i n E r z e u g n i s d e s G e w o h n h e i t s r e c h t e s . E r stellte sich da-hin fest: B e g e h u n g e i n e s V e r b r e c h e n s s e i t e n s d e s s e n , d e r w e g e n e i n e s V e r b r e c h e n s d e r g l e i c h e n A r t s c h o n e i n o d e r m e h r e r e M a l e S t r a f e e r l i t t e n h a t . Und ais Grund der •Scharfung galt das p e r s e v e r a r e i n e o d e m s c e l e r e .

4. Bezüglich weniger Materien aber sind d i e d e u t s c h e n L a n d e s s t r a f g e s e t z b ü c h e r so verschiedene Wege gegangen wie bezüglich des Rückfalls. Es erklar t sich dies aus den Einwirkungen der verschiedenen Strafrechtstheorien, die j a grade in diesem P u n k t e bei ganz verschiedenen Konsequenzen anlangen müssen.

Die Gesetzbücher schwanken, a. ob der Rückfall ais S c h a r f u n g s g r u n d oder nur ais

S t r a f e r h S h u n g s g r u n d (so allein Osterreich § 42) anzusehen sei? b . ob der Rückfall o b l i g a t o r i s c h e r (Bayern 1813 A. 111;

Oldenb. 1814 A. 116; Sachs. Al tenb. A. 5 8 ; Wür t t . A. 127; Braunschw. § 5 8 ; Hann . A. 1 1 1 ; Hessen A. 9 4 ; Nassau A. 9 0 ; Badén § 187; Thür . A. 46, 2 [ ? ] ; Sachsen A. 8 2 ; Bayern 1861 A. 242. 276. 301. 309. 319; Hamb. A. 185. 202[?] o d e r n u r f a k u l t a t i v e r S t r a f -s c h a r f u n g s g r u n d s e i ? So Thür . A. 46 al. 6 ; Preussen § 5 8 ; Oldenb. 1858 A. 55. 314; Bayern 1861 A. 285 ;

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112. 282 1

283 § 112.

vorsatzl. schweig voisatzl.

c. oh der Rückfall ais a l l g e m e i n e r odei- nur ais b e -s o n d e r e r S c h a r f u n g s g r u n d zu betrachten? Der ersten Ans. Bayern 1818 A. 111; Oldenb. 1814 A. 116 (beide freilich nur für

Verbrechen); Sachs.-Altenb. A, 58; Württ. A. 127; Braun-§ 58; Hann. A. 111; Thiir. A. 46; Sachs. A. 82 (nur bei Verbrechen); Preussen §§ 58. 336; Oldenb. 1858 A. 55. 314;

der zweiten Ansicht Hessen A. 94; Nassau A. 90; Badén § 183; Bayern 1861; Hamburg;

d. ob zum Rückfall schon s e i ' s e i n f a c h e , s e i ' s r e c h t s -k r a f t i g e V e r u r t e i l u n g genüge (so Württ. A. 124; Preussen § 58; Bayern 1861; Badén § 184, welches letztere auch das auslandische Urteil durchaus berücksichtigt), oder g a n z e (so Bayern 1813 A. 111 und Oldenb. 1814 A. 116) oder wenigstens t e i l w e i s e S t r a f -V e r b ü s s u n g zu fordern sei ? So alie übrígen Gesetzbücher;

e. ob Rückfall nur begründet werde d u r c h w e i t e r e B e -g e h u n g e i n e s V e r b r e c h e n s g e n a u d e r s e l b e n A r t (Bayern 1813 A. 111; Oldenb. 1814 A. 116; prinzipiell auch Preussen § 58, wo das Erfordernis aber nicht ganz streng durchgeführt wird; ebenso Oldenb. 1858 A. 55; Hamb, A. 185 c. 202), oder w e n i g s t e n s e i n e r v e r w a n d t e n A r t (Sachs.-Altenb. A. 58. 59; Württ. A. 124; Braun-schweig §§ 58. 59; Hann. A. 111. 112; Hessen A. 94; Nassau A. 90; Badén § 183; Thür. A. 46. 47; Sachsen A. 82. 83; ^ o d e r a u c h g a n z v e r s c h i e d e n e r A r t (Thür. A. Scharfung) ?

f ob eine sog. V e r j a h r u n g des Rückfa l l s anzuerkennen — so Württ. A. 126; Sachsen A. 84; Preussen § 60; .Oldenb. 1858 A. 57; Bayern 1861 im'Falle des A. 242 — oder nicht? So die übrigen Gesetzbücher.

5. Da aber der Rückfall — einerlei, ob der erste oder der zweite — eine besondere verbrecherische Hartnackigkeit des Rück-fallígen gar nicht zu beweisen vermag, führt seine Anerkennung in vicien Fallen zu nachtraglicher Doppelbestrafung des früher schon bestraften Verbrechens. G r a d e d e s h a l b i s t e r a i s o b l i g a t o r i -s c h e r S c h a r f u n g s g r u n d ü b e r h a u p t zu v e r w e r f e n . Dagegen konnte und sollte zwar nicht der Rückfall, aber d ie b e w i e s e n e v e r b r e c h e r i s c h e H a r t n S c k i g k e i t sehr wol ais fakultativer Scharfungsgrund anerkannt werden. Dann ware aber lediglich auf die wiederholte Begehung von Verbrechen überhaupt zu sehen und kein Gewicht darauf zu legen, ob sie im Inlande oder Auslande verübt sind, ob sie bestraft sind oder nicht, ob die Strafe durch Gnade erlassen ist oder nicht, ob die strafbaren Handlungen sich ais gleichartig oder ais verschieden darstellen. Vgl. MGB § 38.

6. Warend MGB § 13 den Begriff des Rückfalls genau in Übereinatimmung mit dem früheren gemeinen Rechte bestimmt (s. oben s. 3 ; beacht. freilich § 13, Abs. 2), ist der Standpunkt des GB weniger einheitlich. E s b e h a n d e l t d e n R ü c k f a l l a i s o b l i g a t o -risch'Cn S c h a r f u n g s g r u n d , d e n 1. R ü c k f a l l n u r be im R a u b , d e n 2. n u r be i D i e b s t a h l , H e h l e r e i u n d B e t r u g . Eingehend geregelt wird die Materie beim Diebstahl (§§ 244. 245).

Bayern 1861),' 46, 6: s. fak.

Die §§ 250 n. 5, 261 Abs. 3 und 264 Abs. 3 erkláren den § 245 für analog anwendbar.

a. Auch bei H e h l e r e i und B e t r u g entspricht der Rückfall begrifflich genau dem des früheren gemeinen Rechts (s. aber unten s. b). GB §§ 261. 264. Rückfallig ais R a u b e r ist nach § 250 n. 5 schon der, welcher ais Rauber oder gleich einem Rauber {s. GB §§ 252. 255) schon einmal im Inlande (d. i. das Gebiet deutscher Strafgerichts-barkeit) bestraft worden ist und nun wieder raubt. Noch mehr er-weitert sich der Rückfall beim D i e b s t a h l . Rückfallsdiebstahl liegt vor, wenn Jemand im Inland ais Dieb, Rauber, Hehler oder gleich einem Rauber gestraft worden ist, darauf ein zweites Mal im Inlande in einer dieser Eigenschaften gestraft ist und nun nochmals zum Dieb wird. Nicht auf den Rückfall bezieht sich GB § 362, 2.

b. In alien diesen Fallen scharft aber der Rückfall die Straf-barkeit auch dann, wenn die früheren Strafen nur teilweise verbüsst oder ganz (!) oder teilweise erlassen waren. GB § 245. Das Erfordernis der Vorbestrafung wird also dadurch ungemein abgeschwacht.

e, Der Rückfall scharft die Strafbarkeit nicht, „wenn seit Verbüssung oder Erlass der letzten Strafe bis zur Begehung des neuen Diebstahls zehn Jahre verflossen sind". Sogen. R ü c k f a l l s -v e r j a h r u n g , die sich nach MStrGB § 13 .ábs. 2 schon mit Ablauf von 5 Jahren vollzieht. Diese Pause von 10 resp. 5 Jahren liefert also den Gegenbeweis gegen die verbrecherische Hartnackigkeit. T r i f f t d i e s a b e r zu , d a n n m u s s n a t ü r l i c h a u c h d i e z e h n -j a h r i g e P a u s e z w i s c h e n d e m E n d e d e r e r s t e n S t r a f e u n d d e r B e g e h u n g d e s z w e i t e n D i e b s t a h l s g a n z g e n a u d i e -s e l b e B e w e i s k r a f t b e s i t z e n . Nur eine ganz am Aussern haftende Auslegung kann dies'leugnen. Dass die Judikatur ihr fast einmütig huldij^t (s. bei O l s h a u s e n zu § 245 n. 2), ist für ihr Haften am Wort und an der einzelnen Gesetzstelle sehr charakte-ristisch. Die richtige Auffassung ist ja im MStrGB § 13 ausdrücklich sanktionirt (s. auch K o p p m a n n zu § 13 n. 17), und man wird doch den Reichsgesetzgeber nicht in den schroíFsten Widerspruch mit sich selbst setzen wollen! Richtig F i n g e r I S. 531 Note 687.

7. Über den Rückfall der gemeinen Spezialstrafgesetze ist hier folgendes zu sagen:

a. Beim Rückfall muss nach ihnen das erste und das zweite Delikt meist genau derselben Deliktsart angehoren. Doch sind nach dem Vereinszollgesetz v. 1. Juli 1869 § 142 Abs. 2 für die Frage des Rückfalls Kontrebande und Defraude ais „gleichartige Verbrechen zu betrachten".

b. In einigen wenigen Gesetzen liegt Rückfall schon vor bei Neubegehung der Tat nach rechtskraftigem Strafurteil: Salz-Ges. vom 12. Oktober 1867 § 12; Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869 §§ 140. 146 al. 3 ; Ges., betr. die Sich. etc., vom 1. Juli 1869 A. 3. So auch oíFenbar Vertrag mit Japan vom 20. Februar 1869 A. 8; Vertrag mit Ágypten vom 19. Juli 1892, Zollregl. A. 33 (GBl 1893 S. 73). Regel-massig aber wird in den Gesetzen, die den Rückfall berücksichtigen, prinzipiell frühere ganzliche oder teilweise Strafverbüssung verlangt.

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§ 113. 284 I 285 § 113.

Das Margarinegesetz v. 15. Juni 1897 § 14 Abs. 2 und § 18 Abs. 2 bezeichnet den Rückfall sehr ungenau mít den Wor ten : „Im Wieder-holungsfalle".

c. Die Strafscharfungen wegen Rückfalls sind obligatorisch und sehr bedeutend, beim ersten Rückfall vielfach Verdoppelung, bei alien wei'teren Rückfállen Vervierfachung; beim zweiten oder dri t ten Rückfall tritt auch mehrfach an Stelle des Geldes Gefangnisstrafe: vgl. Ges. vom 12. Oktober 1867 § 12; Postgesetz vom 28. Oktober 1871 § 2 8 ; Vereinszollgesetz vom 1. Jul i 1869 § 140; Tabaksteuer-gesetz vom 16. Jul i 1879 §§ 87. 38, 2 ; Brausteuergesetz vom 31 . Mai 1872 § 8 3 ; Branntweinsteuergesetz vom 27. Jun i 1887 § 2 8 ; Gesetz, die Besteuerung des Zuckers betr., vom 27. Mai 1896 § 48 (1 . Fal l das 4fache; 1. Rückfall das 8fache; weitere Rückfálle Gef. bis 3 J a h r e ) ; Schaumweinsteuergesetz v. 9. Mai 1902 § 18 ; Brausteuergesetz v. 3 . Jun i 1906 § 44 (ganz áhnl ich) ; Zigarettensteuergesetz v. 3. Jun i 1906 § 19 u. s. w. Beim Gesetz gegen unlaut. Wettbewerb vom 27. Mai 1896 § 4 Abs. 2 ist der 1. Rückfall fakultativer Scharfungs-grund. S. dagegen Nachdrucksgesetz vom 11. Jun i 1870 § 2 8 : „ Wegen Rückfalls findet eine Erhohung der Strafe über das hochste gesetzliche Mass nicht statt."

d. Einige Gesetze stellen eine Verjahrungsfrist des Rückfalls von 3 Jahren auf: Postgesetz vom 28. Oktober 1871 § 2 8 ; Vereinszollgesetz vom 1. Jul i 1869 § 142 (seltsamer Anfangspunkt) ; Brausteuergesetz vom 31 . Mai 1872 § 34 ; Tabakssteuergesetz vom 16. Jul i 1879 § 39, 2 ; Branntweinsteuergesetz vom 27. Jun i 1887 § 2 4 ; Zucker-steuergesetz vom 27. Mai 1896 § 4 6 ; Margarinegesetz vom 15. Jun i 1897 § 14 Abs. 2 und § 18 Abs. 2 ; Weingesetz vom 24. Mai 1901 § 13 Abs. 2 ; Schaumweinsteuergesetz v. 9. Mai 1902 § 18 ; Brausteuergesetz V. 8. Juni 1906 § 4 5 ; Zigarettensteuergesetz v. 3. Jun i 1906 § 19. Das Reichsstempelgesetz vom 8. Jun i 1906 § 28 kennt wie das MGB eine Rückfallverjahrung in 5 Jahren .

8. Eine Wiederholung oder Verdoppelung der Strafe bei Fort-dauer von Unterlassungsverbrechen schreiben vo r : Ges. , betr . die Nationalitat der KauffahrteischiíTe, v. 25. Oktober 1867 §§ 15 íf.; CivPrO §§ 380, 2. 4 0 1 ; S t rPrO §§ 50. 77.

§ 113. 3. Die Strafverwandlung. GB §§ 21. 28. 29. 78. MGB § 27. MilStrGO § 463. — H 140. K 145. H» 258. B 143. Sch 54. M 60. Li 71. WV 63. G 77. Fi 116.

A b e g g , Unters. a. d. Gebiete d. Strafrechtswiss. Breslau 1830 S. 1—54. — G e y e r , HRLex. s. v. .Strafverwandlungs-gründe III S. 801 ft. — M i t t e n z w e y , Über die Um-wandl. polizeil. festges. Geldstrafen in Freineitsstrafen: Blátter f. Rechtspfl in Thür., NF XX S. 214 ff. — Über Uneintreibbar-keit V. d. D e c k e n , Z f. StrRW XII 1892 S. 119 íF. — S. auch GA X 1862 S. 805 ff.

I. Die Strafverwandlung ais Vertauschung eines Strafübels mit einem anderen von gleicher Schwere wird notwendig:

1. w e n n d e r V e r u r t e i l t e d e s G u t e s e n t b e h r t , d a s i h m z u r S t r a f e e n t z o g e n w e r d e n s o l í . Den praktisch

wichtigsten Fal l bildet die Vermogenslosigkeit des zu einer Vermogens-strafe Verurteilten. S. unten s. I I I B ;

2. w e n n g e g e n d e n s e l b e n S c h u l d i g e n a u f z w e i m i t e i n a n d e r u n v e r t r á g l i c h e S t r a f e n z u e r k e n n e n w a r e , o h n e d a s s d i e e i n e d i e a n d e r e k o n s u m i r t e . Die Ansichten über die Vertraglichkeit der Strafen mit einander haben sich stark gewandelt. Nach früherem gemeinem Recht konsumirte die Todes-strafe alie mit ihr zusammentreffenden Freiheitsstrafen. Heute ist sie mit alien, selbst der lebenslánglichen Zuchthausstrafe vertraglich. S. unten a. I I I A und § 114 I I I S. 291. 292 ;

3. w e n n d i e g e s e t z l i c h r e g e l m a s s i g e S t r a f e d e n S t r a f l i n g i n B ü c k s i c h t a u f A l t e r , G e s u n d h e i t , G e s c h l e c h t , N a h r u n g s s t a n d h a r t e r t r e f f e n w ü r d e , a i s d a s G e s e t z g e -w o U t h a t . Diesen Grund richterlicher Strafanderung hat das frühere gemeine Recht anerkannt , er fehlt im heutigen. Das fortbestehende Bedürfnis wird teils durch die Gnade, teils durch die Rücksichtsnahme wahrend des Strafvollzugs im Verwaltungswege befriedigt;

4. w e n n n a c h r e c h t s k r a f t i g e r k a n n t e r S t r a f e , d i e k e i n e S t e i g e r u n g z u l a s s t , d e r S t r a f l i n g n e u v e r b r i c h t Man denke an Strafl inge, die auf lebenslang oder auf 15 Jahre ins Zuchthaus verbracht sind, und die nun in der Anstalt oder nachdem sie ausgebrochen, neue Totschlage oder Raubanfalle verüben. Sie bleiben dafür straflos, falls das Gesetz nicht Verwandlung der Strafe oder schwere disziplinare Verscharfung derselben zulasst.

Dies Bedürfnis ist bisher verkannt worden. I I . Eine Strafverwandlung liegt nicht v o r , wenn in manchen

Steuergesetzen gewohnliche Geldstrafe angedroht ist , falls der vor-enthaltene Steuerbetrag nicht festgestellt werden kann. Vielmehr liegt hier eine alternative Strafandrohung vor und die zweite Strafe solí Anwendung finden, wenn die erste unpraktikabel ist. S, z. B. Zigarettensteuergesetz V, 3. Juni 1906 § 18 ; Erbschaftssteuergesetz v. dems. Tage § 4 9 ; Brausteuergesetz v. dems. Tage §§ 37. 4 2 ; Stempelgesetz v. 3. Juni 1906 §§ 30. 40, 4. 61, 3.

I I I . Bezüglich des f r ü h e r e n g e m e i n e n R e c h t s vgl, bes. 1 1 § 3 D de poenis 48 , 19 : Generaliter placet, in legibus judiciorum publicorum vel privatorum criminum qui extra ordinem cognoscunt praefecti vel praesides, ut eis, qui poenam pecuniariam egentes eludunt, coercitionem extraordinariam Jnducan t ; I 6 C de sepulcro viol. 9, 1 9 ; I 4 C de serv. fugit. 6, 1. — Über die Verwandlung der poena privata in off. Strafe s. noch bes. I 9 D de incendio 47, 9 ; I 28 § 12 D de poen. 48, 19 ; I 7 § 3 - D de jurisd. 2, 1 ; 1 25 D de in jus voc. 2, 4 ; u. darüber B i n d i n g , Kulpose Verbrechen im gemeinen rom. Rechte? 2. Abhandl. S. 5 ff. Vgl. ferner I 9 pr D de lege Pomp. 48 , 9 u. e c o A. 104.

IV. Das heutige Strafrecht kennt die Strafverwandlung in drei F o r m e n : ais

A. V e r w a n d l u n g e i n e r F r e i h e i t s s t r a f e i n e i n e a n d e r e F r e i h e i t s s t r a f e . Die neueren Strafgesetzgebungen pfiegen die verschiedenen Arten der Freiheitsstrafe ais mit einander unver-

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§ 113. 286

tráglich zu betrachten und schreiben dann die Verwandlung der niederen in das entsprechende Quantum der hoheren vor.

1. Nach GB wird die H a f t seltsamer und unpraktischer Weise nie in eine andera Strafe verwandelt: sie ist mit alien anderen vertraglich. Festung vertragt sich mit Gefángnis, d. h. beide werden neben einander erkannt, wenn beide ohne Konkurrenz der Zuchthaus-strafe zusammentreíFen. Sobald diese Konkurrenz eintritt, muss die Verwandlung nach GB § 21 eintreten.

2. Die gesetzliche Gleichung der drei Freiheitsstrafen be-stimmt GB § 21 dahin:

8 M o n a t e Z u c h t h a u s = 12 M o n a t e G e f a n g n i s = 18 M o n a t e F e s t u n g ,

Bezüglich der Durchführung dieser Gleichung s. unten s. VI. B. V e r w a n d l u n g e i n e r G e l d - in e i n e F r e i h e i t s -

s t r a f e (die umgekehrte Verwandlung tritt nie ein!).

1. V o r a u s s e t z u n g d e r s e l b e n i s t , d a s s d i e G e l d s t r a f e n i c h t b e i g e t r i e b e n w e r d e n k a n n , dass also die zu ihrer Durchführung angewandte Zwangsvollstreckung fruchtlos ver-laufen ist.

2. Unter dieser Voraussetzung ist die neben Zuchthaus oder Gefángnis erkannte Geldstrafe dort in Zuchthaus nach den §§ 29 und 2 1 , hier in Gefángnis nach § 29 zu verwandeln. Eine Verwandlung der Geldstrafe in Festung giebt es nicht.

3. I s t w e g e n V e r g e h e n s a u f G e l d s t r a f e e r k a n n t , so w i r d s i e in G e f á n g n i s , i s t au f s ie w e g e n e i n e r U b e r -t r e t u n g e r k a n n t , d a n n w i r d s ie in H a f t v e r w a n d e l t .

Betrágt aber die Vergehens-Geldstrafe nicht mehr ais 600 Mk. und die an ilire Stelle tretende Freiheitsstrafe nicht mehr ais 6 Wochen, so kann sie unter einer doppelten Voraussetzung statt in Gefángnis in H a f t verwandelt werden: wenn námlich dem Vergehen Geldstrafe allein oder an erster Stelle oder wahlweise neben Haft gedroht ist. GB § 28. S. z. B. GB § 185.

4. Bei Geldstrafen für Verbrechen und Vergehen darf das Gericht jeden Betrag in vollen Mark zwischen 3 Mark und 15 Mark, bei solchen für Ubertretungen jeden solchen Betrag zwischen 1 Mark und 15 Mark einem Tage Freiheitsstrafe gleichsetzen. GB § 29. Es führt dies zu der seltsamen Konsequenz, dass für 15 Mark Über-tretungsstrafe 15 Tage Haft, für 15 Mark Vergehensstrafe aber nur 5 Tage Gefángnis gegeben werden dürfen.

Uber die Durchführung dieser Verwandlung s. unten s. VIH. 5. Der Mindestbetrag der an Stelle der Geldstrafe tretenden

Freiheitsstrafe ist 1 Tag, der Hochstbetrag bei Haft 6 Wochen, bei Gefángnis 1 Jahr. Bleibt jedoch der Hochstbetrag der neben der Geldstrafe wahlweise angedrohten Freiheitsstrafe unter dieser Grenze, dann darf der Hochstbetrag der alternativ angedrohten Freiheitsstrafe nicht überschíitten werden.

Sofort wird klar, dass bei hohen Geldstrafen die Straf-verwandlung zugleich eine unter Ümstanden sehr starke Strafmilderung

287 § 113.

bedeutet. Setzt man bei 10 000 Mark Geldstrafe 10 Mark = 1 Tag, so fallen von den 1000 Tagen voUe 635 weg!

6. Der Verurteilte hat das Recht, sich durch Zahlung des noch ausstehenden Strafrestes von der Fortsetzung der Freiheitsstrafe zu losen. Nicht aber liegt dem Richter die Pflicht ob, bei erlangter Kenntnis des Wiedereintrittes der Zahlungsfáhigkeit bei dem Straf-linge von Amtswegen von der Surrogat- «auf die Grundstrafe zurück-zugreifen. GB § 28 Abs. 4.

C. V e r w a n d l u n g e i n e r E i n z i e h u n g s - in e i n e G e l d s t r a f e . Die Einziehungsstrafe unterliegt prinzipiell ebensowenig der Verwandlung ais die Strafe des Ehrverlustes. Kommt es ja bei ihr wesentlich auf konkrete Gegenstánde an, die eingezogen werden sollen. Aber vereinzelt wird auch diese Verwandlung vorgeschrieben. S. z. B. GB § 335 („das Empfangene oder der Wert desselben"); Vereinszoll-ges. vom 1. Juli 1869 § 154; Ges. vom 17. Juli 1881 (GBl. 1881 S. 247) § 4; Brausteuergesetz v. 3.-Juni 1906 § 37, 4. (Ist der Wert der Confiscanda nicht festzustellen, so tritt Geldstrafe v. 50—10000 Mk. ein.) S. oben § 102 S. 259 ff.

V. A u s n a h m e n von d e r R e g e l d e s G B § 28 al, 1. Es giebt Geldstrafen, welche nach heutigem gemeinen Rechte in Freiheitsstrafe überhaupt nicht verwandelt werden dürfen, S. Ges. betr. die Wechselstempelsteuer vom 10. Juni 1869 § 15 al. 3 ; Nachdrucksges. vom 11, Juni 1870 § 24; CivPrO § 409 und StrPO § 77, 1 (Geldstrafen gegen widerspánstige Sachverstandige); Reichsstempelges. vom 27. April 1894 § 3 7 ; Fassung v. 3. Juni 1906 § 74; Erbschaftssteuer-ges. V. 3. Juni 1906 § 52. — Vgl. GB § 28 al. 2. — Verwandlung einer Vergehens-Geldstrafe in H a f t wird in den Sondergesetzen mehrfach vorgeschrieben. So z. B. CivPrO §§ 380. 390; StrPO §§ 50. 69, 1.

VI. A u s n a h m e n von d e r R e g e l d e s GB §29 al. 1. Mehrfach ist in den Sondergesetzen "die Freiheitsstrafe, in welche Geldstrafen umgewandelt werden, niederer bemessen, ais dies nach § 29 al. 1 erwartet werden sollte. So z. B, Urhebergesetze vom 11. Juni 1870 § 18 u. V. 19. Juni 1901 § 38 (Geld- bis 3000 Mk. ev. bis 300 Mk. in Gefángnis von hochstens 6 Monaten ev. 1 Monat); § 39 (Geld von 3—1500 Mk. in hochstens 3 Mon. Gef.); Gewerbeordnung E^ssung vom 26. Juli 1900 §§ 147—150; Brausteuergesetz v. 3. Juni 1906 § 51 u. s. w,

VIL Zu III A 2, Darf, w e n n G e f á n g n i s o d e r F e s t u n g in Z u c h t h a u s zu v e r w a n d e l n i s t , d i e Z u c h t h a u s s t r a f e a u c h in B r u c h t e i l e n von M o n a t e n z u r A n w e n d u n g k o m m e n , oder müssen die Reste von Gefángnis und Festung, welche verwandelt keinen vollen Monat Zuchthaus mehr ergeben, wegfallen? Mit a. W. k a n n d i e s e S t r a f v e r w a n d l u n g z u g l e i c h S t ra f m i l d e r u n g s e i n ? Vgl. oben § 96 s. 1 a, E. S. 244.

Nun deutet das Gesetz in gar nichts an, dass die vorgeschriebene Strafverwandlung irgend wann zur Strafmilderung M-erden solle, und wenn § 19 al. 2 sagt: „Die Dauer einer Zuchthausstrafe darf nur nach vollen Monaten b e m e s s e n werden, so lassen sich diese Worte

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§ 113. 288

nur auf die freie richterliche Strafzumessung bezíehen und nicht auf die Auflosung einer Strafgleichung. Wenn die Mot. zu § 17 des E sagen: „Es wird diese Bestimmung . . , naraentlich auch bei der Um-wandlung einer Geldstrafe ín Freiheitsstrafe und bei der Berechnung der Strafe im Falle des ZusammentreíFens mehrerer strafbarer Hand-lungen zur Anwendung zu bringen sein", so fallen diese ganz un-maassgeblichen Worte gegen den Wortlaut des GB § 19, 2, gegen die Natur der Strafverwandlung und gegen die Unmolivirtheit einer damit verbundenen Strafmilderung nicht ins Gewicht. Eine in Zuchthaus verwandelte Gefangnisstrafe ist ja nichts anderes ais dasselbe Straf-quantum auf eine andere Formel zurückgeführt: mit der Gleichheit des Quantums fallt der Begriíf der Strafverwandlung. So d a r f m a n n i c h t z w e i f e l n , d a s s z w a r n u r v o l l e M o n a t e Z u c h t h a u s z u g e m e s s e n , wol a b e r a u c h T a g e u n d W o c h e n Z u c h t h a u s a u f dem W e g e d e r ü m r e c h n u n g a u s g e w o r f e n w e r d e n d ü r f e n . Was hier von der Strafverwandlung gesagt ist, muss analog Anwendung finden auf die Anrechnung der Untersuchungsr haft, sowie die einer auslandischen Strafe auf die inlándische (GB §§ 7 u. 60), und ebenso auf die Gesamtstrafe, die durch Erhohung einer Zuchthausstrafe, etwa wegen Realkonkurrenz eines Verbrechens und eines mit vielleicht 11 Tagen Gefángnís zu strafenden Vergehens, entsteht. Wesentlich richtig O p p e n h o f f zu § 19 u. 3 ; R u b o , Kommentar S. 319. 320 (der nur darin zu weit geht, dass er auch Bruchteile eines Tages ais Strafe zulassen will); das interessante Urteil des Berliner OTrib. vom 22. Januar 1872 (GA XX S. 10 und 11), warend dies Gericht früher anders erkannt hatte; Me v e s , StrRZ 1872 S. 140 ÍF.; RG III v. 13. Apríl 1881 (E IV S. 161 ff); 01 s-h a u s e n zu § 19 n. 6a ; F r a n k § 19 I I I ; F i n g e r I S. 535; a. M. R u h s t r a t , GS 1871 S. 79. 89, und bezüglich der Realkonkurrenz, nicht aber bezüglich § 28 al. 3 S c h w a r z e das. S. 424 ff.; Kommentar S. 191. 192. 195. 196; R ü d o r f f , Komm. zu § 19 n. 3 , 3. Aufl.; S c h ü t z e , Lehrbuch S. 71. — Vgl. auch P e z o l d , Strafrechtspraxis S. 14. 16.

VIH. Zu IV B. N a c h w e l c h e r a M a s s s t a b e i s t e i n e n i c h t b e i z u t r e i b e n d e G e l d s t r a f e in F r e i h e i t s s t r a f e u m -z u w a n d e l n ? Zunachst kann die Geldstrafe sich u n m i t t e l b a r n u r in G e f a n g n i s o d e r in H a f t v e r w a n d e l n , e r s t m i t t e l -b a r auch in Z u c h t h a u s : GB § 28, 3. — Nun schreibt das GB leider nicht vor, dass die Geldstrafen nach dem Vermogensstande des Straflings bemessen werden soUen. Tate es dies, wie der osterreich. Strafgesetzentwurf ( G l a s e r ) § 27 tut, dann würden 20 Mark Geldstrafe sehr verschiedene Strafgrossen darstellen kOnnen (sie konnten ebensogut = 1 Tag ais = 1 Monat Gefangnis zu setzen sein), und ein einheitlicher Massstab der Strafverwandlung ware alsdann sehr bedenklich, obgleich auch für ihn ins Gewicht fallen würde, was F r i e d b e r g (Sten. Ber. der Verhandl. des Reichstags 1870 I S. 200) im Reichstage hervorhob, dass der Paragraf über Strafverwandlung „fUr die gut situirten Klassen von Personen überhaupt nicht gemacht sei". Aber das GB will die Geldstrafe ebensowenig nach dem Vermogen

289 § 113.

bemessen haben ais die Freiheitsstrafe nach dem Werte der Freiheit in concreto für den Stráfling. 1 Tag Haft ist stets gleich 1 Tag Haft, 5 Mark Strafe reprasentiren stets dasselbe Strafquantum. So entsprache es dem System des GB allein, die ümrechnung der Geld-iu eine Freiheitsstrafe nach ganz festem Massstabe vorzuschreiben.

Dies tut dcnn auch § 29 dem Wortlaut nach ganz evident: „Bei üiiiwandlung einer wegen eines Verbrechens oder Vergehens erkannten Geldstrafe ist der Betrag von 3 bis 15 Mark, bei Umwandlung einer wegen* einer Übertretung erkannten Geldstrafe der Betrag' VOll 1 Mark bis zu 15 Mark einer eintágigen Freiheitsstrafe gleich zu acliten.'' D. h. mag erkannt sein auf 3 oder 4 oder 5 oder 12 oder 15 Mark, stets tritt an Stelle dieser 1 Tag Haft oder Gefangnis; ist wegen Vergehens erkannt auf 100 Mark, so ist durch 15 zu divi-diren ( = 6 Tage) und, da ein Rest von 10 bleibt, für diesen Rest ein weiterer Tag zu setzen (Summa 7 Tage). Betrüge der Rest 1 oder 2 Mark, so würde er bei Vergehen unberücksichtigt bleiben müssen, bei Übertretungen aber für ihn 1 Tag Haft in die Gleichung zu setzen sein.

Eine sqlche Satzung ware weit lobeqswerter ais die andere: „ J e d e r b e l i e b i g e B e t r a g z w i s c h e n 3 (resp. 1) und 15 M a r k i s t e i n e r e i n t á g i g e n F r e i h e i t s s t r a f e g l e i c h zu a c h t e n " (herrschende Auslegung des § 29, der nur R u b o S. 342 ff. entgegen-tritt). Es ware sehr bedauerlich, wenn der Richter statt 15 Mark Übertretungsstrafe ebensowol 1 Tag ais 15 Tage Haft und statt 300 Mark ebensowol 20 ais 100 Tage Gefangnis auswerfen dürfte.

Allein, die durch den Wortlaut des § 29, 1 gebotene Auslegung mit besserem Resultate stimmt nicht mit der Rechnung des Gesetzes selbst in den §§ 28 u. 29. Zwar vertragt sich mit ihr besser ais mit der herrschenden Auslegung der Hochstbetrag von 1 Jahr Gefangnis. Diese 365 Tage entsprachen, jeder zu 15 Mark angeschlagen, einer Geldstrafe von 5475 Mark, warend das Gesetz ursprünglich (bevor § 302 d eingefügt wurde) 6000 Mark Geldstrafe im Hochstbetrag an-drohte ( = 400 Tage, wenn 15 Mark = 1 Tag gerechnet werden). Die Reduktion der 400 Tage auf 365 erklarte sich leicht, da Gefangnis an Strafgehalt mit seiner Ausdehnung unverhaltnismassig zunimmt. Gestattet man dem Richter die Gleichung: 6000 Mark = 2000 Tage, so wird es geradezu sinnlos, ihn durch § 29 al. 2 zur Aufgabe von 1635 Tagen zu notigen. — Aber der § 28 al. 2 kennt eine Verwand-lung der Vergehens - Geldstrafen in Haft nur unter der Voraus-setzung, „dass die erkannte Strafe nicht den Betrag von 600 Mark und die an ihre Stelle tretende Freiheitsstrafe nicht diO) Dauer von sechs Wochen übersteigt". Das Gesetz selbst nimmt alsp an, dass in Anwendung der Regel des § 29 600 Mark nicht nur = 42 Tagen (statt = 40), sondern = 50, 60 und mehr gesetzt werden konnen. Und da diese Satzung nicht auf ein Versehen zurückgeführt werden kann, muss sie zur berichtigenden Auslegung des § 29 benutzt werden, und es gilt somit der, vom allerdings anfechtbaren Standpunkte des Gesetzes aus betrachtet, verfehlte Satz: „ J e d e r B e t r a g z w i s c h e n 3 (resp. 1) u n d 15 M a r k i s t e i n e r e i n t á g i g e n F r e i h e i t s -

Binding , Strafrecht. Grundriss. 7. Aufl. 19

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§ 114. 290 291 114.

s t r a f e g l e i c h z u a c h t e n . " F ü r die genaue Wortexegese des § 29, 1 ist bisher nur R u b o S. 342 ff. eingetreten , und ohne Grund nennt R ü d o r f f zu § 29 n. 2 und nach ihm früher O l s h a u s e n zu § 29 n. 1 diese Ansicht „überraschend". Uberraschend ist nu r , dass trotz des § 29 al. 1 die Auslegung mit gutem Resultate der mit schlechtem den Platz raumen muss.

§ 114. C. Strafanwendmig bei Verbrechenskonknrrenz. GrB §§ 73—79. MGB § 54. MilStrGO § 461. — H^ 270—273. Bdg, H 123. B 148. Sch 56. M 62. 63. MI 98—100. Li 57. 73. WV 96. G 78. H 149. K 138. Fi. 116—118.

F e u e r b a c h , Eevision I S. 386 íF. — Vgl, die Abhaudl. V. Or t lof f , StrEZ 1872 S. 199 ff., GA XXI 1873 S. 176 íF., SGZ XVII 1873 S. 129 ff.; P ü t t e r , GA XXII 1874 S. 402ff.; H e r b s t , GA XXIV 1876 S. 13 ff.; T h o m s e n , GS 1879 S. 35 ff. 327 ff.; Bischoff, GA XXIV 1881 S. 140ff.'; K a t z , GS 1884 S. 576 ff. — S. aiich R o s e n b l a t t , Die Strafen-Konkurrenz. Teschen 1869. — Zu GB § 79 iusbesondere s. noch S c h w a r z e , GA XXII 1874 S. 14ff . ;"Harseim, GS 1875 S. 466 ff.; O l s h a u s e u , Einfl. der Vorbestraf. S. 32 ff.; E e i f f e l , GS 1885 S. 470 ff.,- 1888 S. 217 ff Eine Apologie der §§ 73 ff. des GBs liefert S c h w a r z e , GS XXXIV 1883 S. 575 ff. — Im übrigen vgl, die Literatur vor § 60.

I. F ü r d a s f r ü h e r e g e m e i n e R e c h t vgl. bes. U l p . in 1 2 D de priv. del. 47, 1: Numquam plura delicta concurrentia faciunt, ut ullius impunitas detur . . . . (spricht nur von Privatdel ikten) . Der-selbe Grundsatz wird aber auch für crimina anerkann t : s. bes. 1 9 C de accus. 9, 2 u. 1 7 § 5 D h. t. 4 8 , 2 ; weitere Stellen bei W I S. 250. Vgl. ferner cap. 1 X de poenis 5, 37. — CCC A 161 u. 162 (handelt allerdings nur vom Diebstahl).

I I . D i e B e s t r a f u n g d e r K o n k u r r e n z f a l l e n a c h d e m G B. Leider hat das GB der theoretisch durchaus verwerflichen Ein-teilung der Konkurrenz in i d é a l e und r e a l e grosse praktische Be-deutung zuerkannt . Es adoptirt für Idealkonkurrenz das System der Absorption der einen S t r a f d r o h u n g (nicht der einen Strafe) durch die andere, für Realkonkurrenz wesentlich das der Kumulation der verwirkten Strafen. Das vom GB und auch im Grundriss in der Folge sog. S y s t e m d e r G e s a m t s t r a f e ist lediglich ein modifizirtes System der Kumulat ion: denn nach ihm solí nicht eine in den mehreren Verbrechen liegende Gesamtschüld, sondern es solí die Summe der Einzelverschuldungen zur Bestrafung gelangen. Leider sind aber die Satzungen der §§ 73 íf. so komplizirt ausgefallen, dass man nicht weniger ais 5, j a genau gerechnet 7 v e r s c h i e d e n e S y s t e m e d e r B e s t r a f u n g k o n k u r r i e r e n d e r V e r b r e c h e n u n t e r s c h e i d en k a n n .

I I I . Z w e i S y s t e m e d e r A b s o r p t i o n . Ausschliesslich für Idealkonkurrenz verwandt. Die Ansicht , dass auch in den Fallen der Realkonkurrenz — falls Todesstrafe mit Todesstrafe, oder Tod oder lebenslangliche Freiheitsstrafe mit zeitiger Freiheitsstrafe zu-sammentreíFen — die eine Strafe durch die andere ábsorbirt werde — so S c h w a r z e , Komm. S. 308. 309 — , lásst sich aus dem GB n i c h t stützen. Die Tatsache. dass beide Strafen nicht nebeneinander

v o l l s t r e c k t werden konnen, hindert nicht, beide nebeneinander zu e r k e n n e n . Wird dann die eine durch Gnadenakt wegfallig, so bleibt die andere in genau fixirter Grosse bestehen. Dieser Ansicht auch O p p e n h o f f zu § 74 n. 2 0 ; R ü d o r f f , Einleit. z. Abschn. 5 n. 2 (S. 241); R u b o S. 543 ; M e y e r (5. Aufl.) S. 445. 446; S c h ü t z e S. 199 n. 1 3 ; O l s h a u s e n zu § 74 n. 4 ; v. L i s z t S. 284; F r a n k zu § 74 I I ; F i n g e r I S. 543; a. M. z. B . H á l s c h n e r I S. 688 ; B e r n e r S. 302; M e r k e l S. 266; L o e n i n g , Grundriss S. 88.

So ungerechtfertigt nun auch die verschiedene Behandlung idealer und realer Konkurrenz ist, und so sehr auch der Wort laut des § 73 dazu auffordert, bei Idealkonkurrenz nur e i n Verbrechen zu strafen, so ist er doch nicht zwingend für die Auffassung, dass das Gesetz wirklich den kaum begreiflichen Grundsatz habe bestatigen wollen, die Konkurrenz sei Grund der Straflosigkeit aller konkurr i renden Verbrechen mit Ausnahme des einen, dessen Strafgesetz dem Urteil zu Grunde zu legen sei (dies die Auffassung der ersten und zweiten Auflage). So wird man den § 73 dahin auslegen dürfen, dass auch nach ihm nicht der Satz gelten solle: poena major absorbet minorem, sondern dass a l i e Verbrechen ihre Strafe finden sollen, diese Strafe aber auf Grund nur eines Gesetzes auszuwerfen sei. Also nicht eine S t r a f e ábsorbirt alie andérn , sondern eine S t r a f d r o h u n g die übrigen. Gut R G I I I v. 15. Okt . 1888 (E. X V I I I S. 193 ff.).

A u f a l i e V e r b r e c h e n s f o l g e n , d i e n i c h t S t r a f f o l g e n s i n d , o b g l e i c h d a s G B i h r e r g e d e n k t — auf die B u s s e , die B e r e c h t i g u n g z u r V e r o f f e n t l i c h u n g d e s S t r a f u r t e i l s , zur S t e l l u n g u n t e r P o l i z e i a u f s i c h t : s. oben die §§ 101 ff. —, f i n d e t § 7 3 k e i n e A n w e n d u n g . Auf sie ist also stets zu erkennen , auch wenn ihrer grade in dem nach § 73 zur Anwendung kommenden Strafgesetze keine Erwáhnung getan ist. Dies wird leider vielfach verkannt . S. freil. GB § 76, 2. Vgl. oben die §§ 105 u. 107 S. 266 ff. Vgl. auch F i n g e r I S. 540 N. 698.

1. Dieses Absorptionssystem tritt nun in zwei wesentlich ver-schiedenen Gestalten auf: entweder ábsorbirt die Strafe des hdchst-drohenden die des milderen Gesetzes, oder es ábsorbirt die Strafe des milderen, aber eine scharfere Strafart androhenden Gesetzes die des harteren, aber eine mildere Strafart androhenden Gesetzes.

Kommen aber in den Fallen der Idealkonkurrenz alie Verbrechen auf Grund e i n e s Strafgesetzes zur Bestrafung, so bedeutet dieses:

a. dasjenige, dessen Strafgesetz ausser Betracht bleibt, bildet einen obligatorischen Straferhohungsgrund;

b . dasselbe kommt auch für den Rückfall in Betracht ; c. auf echte Neberjstrafen, angedroht in dem ausser Betracht

bleibenden Strafgesetz, darf nicht erkannt werden. 2. D a s S y s t e m r e i n e r K u m u l a t i o n d e r v e r w i r k t e n

E i n z e l s t r a f e n . Nur für Realkonkurrenz verwandt, und zwar für alie Falle derselben, wo nicht zeitige Freiheitsstrafen zusammentreffen, und auch für einige Falle, wo solche zusammentreffen. Insbesondere werden kumul i r t :

19*

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114. 292

a. die Todesstrafe mit lebenslanglicher wie mit zeitiger Freiheitsstrafe und lebenslángliche mit zeitiger Freiheitsstrafe;

b. e i n m a l verwirkte Festungshaft mit e i n m a l verwirktem Gefangnis (§ 75, 1);

c. e i n m a l verwirkte Haft mit e i n m a l verwirkter Freiheitsstrafe aiiderer Art (§ 77, 1);

d. mehrmals verwirkte Haftstrafen miteinander. Doch darf deren Summe 3 Monate nicht übersteigen (§ 77, 2);

e. mehrmals verwirkte Geldstrafen miteinander, ohne Be-schrankung durch ein Máximum, und Geldstrafe mit jeder andern Hauptstrafe (§ 78, 1). S. auch Vereinszollgesetz v. 1. Juli 18(59 § 158;

f. mehrmals verwirkte Nebenstrafen. „Gesamtstrafe" ist stets nur eine Hauptstrafe. Desshalb m. E. nicht haltbar RG II v. 6. Febr. 1903 (E XXXVl S. 88 ff.).

3. Z w e i S y s t e m e d e r G e s a m t s t r a f e . Nur für Real-konkurrenz verwandt, und zwar für alie Falle, wo zeitige Freiiieits-strafen zusammentreífen, ausgenoramen die Falle oben sub 2 b—d. Die Motive des E S. 59 u. 60 bemerken zur Rechtfertigung derselben: „Die Wissenschaft wie die Mehrzahl der neuen Gesetzbücher haben anerkannt, dass bei dem Zu&ammentreíFen mehrerer mit Freiheitsstrafe bedrohter Handlungen eine voUstandige Verbüssung samtlicher durch sie verwirkter Strafen eine ungerechtfertigte Verscharfung der Strafen selbst enthalten würde, da die Schwere der Strafe harter wirkt, je langer sie andauert. Darum wird eine Ermassigung des Gesamtbetrages der durch die einzelnen Verbrechen u. s. w. verwirkten Strafen für er-forderlich erachtet."

Die Gesamtgtrafe besteht „in einer Erhohung (richtiger: Scharfung) der v e r w i r k t e n s c h w e r s t e n S t r a f e " . Gehoren die verwirkten Strafen verschiedenen Strafarten an, dann andert das System: und es wird eventuell die mildere Strafe. erhoht, sofern sie nur der hoheren Slrafart angehort (§74). D i e G e s a m t s t r a f e h a t e i n e n g e s e t z -l i c h e n H o c h s t b e t r a g : sie darf nie über 15 Jahre Zuchthaus und Festung und nie — mit einer einzigen Ausnahme — über 10 Jahre Gefangnis steigen. Diese Ausnahme wird durch § 57, 1 u. 3 geboten. Wenn § 57, 1 schon für e in Verbrechen einer jugendlichen Person Gefangnis bis zu 15 Jahren zulásst, so gilt dies um so mehr für Konkurrenz derartiger Verbrechen; wenn ferner § 57, 3 für jugend-liche Personen statt des Zuchthauses „Gefangnis von gleicher Dauer'" androht, so gilt dies zweifellos auch für die Falle, wo mehrere zucht-hauswürdige Verbrechen zusammentreífen; auch dann kann auf Gefangnis bis zu 15 Jahren erkannt werden. Derselben Ansicht für beide Falle O p p e n h o f f zu § 74 n. 27, vgl. zu § 57 n. 16; O l s -h a u s e n zu § 74 n. 18; F i n g e r I S. 545; RG I v. 10. Nov. 1887 (E XVI S. 282 ff.); dagegen R u b o S. 544.

Die G e s a m t s t r a f e h a t a b e r a u c h e i n M á x i m u m im k o n k r e t e n F a l l e , bestehend in der Strafposition, welche unmittelbar unter der Summe der verwirkten Einzelstrafen steht: denn „das Maass der Gesamtstrafe darf den Betrag der verwirkten Einzelstrafen nicht erreichen". D a r a u s e r g i e b t s i ch a u c h , d a s s d e r R i c h t e r

293 § 114.

im U r t e i l z u n a c h s t für j e d e s d e r r e a l i t e r k o n k u r r i r e n -d e n V e r b r e c h e n d ie S t r a f e e i n z e l n a u s z u w e r f e n u n d d a n n e r s t d i e G e s a m t s t r a f e d u r c h S c h a r f u n g d e r s c h w e r s t e n d i e s e r S t r a f e n (der sog. E in s a t z s t r a f e ) zu b e s t i m m e n h a t .

Verlegenheit erwachst, falls von den beiden wegen Realkonkurrenz erkannten Freiheitsstrafen die eine auf 1 Tag Freiheitsstrafe lautet. Ein vom Gesetz geschaffener Notstandsfall! S. RG IV v. 4. Juni 1897 (E XXX S. 141).

4. E i n k o m b i n i r t e s S y s t e m von G e s a m t s t r a f e u n d r e i n e r K u m u l a t i o n für diejenigen Falle der Realkonkurrenz, wo

a. Festung mit Gefangnis zusammentrifft und Festung oder Gefangnis oder beide mehrfach verwirkt sind: dann wird das System der Gesamtstrafe angewandt für die mehreren Gefangnis- oder Festungs-strafen, kumulirt aber werden beide Gesamtstrafen oder die eine Gesamtstrafe mit der andel'n einfachen Strafe; die Gesamtdauer betragt aber hochstens 15 Jahre (§ 75, 2 u. 3);

b. wo Haft mit mehreren anderen Freiheitsstrafen zusammentrifft (§ 77);

c. wo Geldstrafe mit mehreren Freiheitsstrafen zusammentrifft (§ 78).

5. Nicht genug mit diesen vier Systemen b e d r o h t d a s GB e i n e g a n z e R e i h e v o n F a l l e n i d e a l e r w i e r e a l e r K o n k u r r e n z m i t b e s o n d e r e n S t r a f e n , bei deren Ausmaass nicht selten das gleiche Delikt, z. B. die fahrlássige Totung, sehr verschiedenen Strafáquivalenten gleichgestellt wird. Ferner gehen die Strafdrohungen für diese Falle selbst ideeller Konkurrenz über das Resultat volliger Kumulation oft weit hinaus. So ist ja Raub nichts weiter ais ein eigentümlicher Konkurrenzfall von Vergewaltigung und Diebstahl; das Máximum der Notigungsstrafe betragt 1 Jahr Gefangnis (§ 240), das der einfachen Diebstahlsstrafe 5 Jahre Gefangnis, das der qualiíizirten Diebstahlsstrafe 10 Jahre Zuchthaus {§§ 242 u. 243), das der einfachen Raubstrafe aber 15 Jahre Zuchthaus (§ 249). Diese 15 Jahre Zuchthaus sind = 3^/* X 6 Jahre Gefangnis und fast = IV2 X 10 Jahre und 8 Monate Zuchthaus.

Weniger Systeme waren mehr System! IV. Anmerkungen zu GB § 79.^ „Die Vorschriften der §§ 74

bis 78 fínden auch Anwendung, wenn, bevor eine^ erkannte^ Strafe verbüsst, verjahrt oder erlassen ist*, die Verurtheilung^ wegen einer strafbaren Handlung erfolgt, welche vor der früheren Verurtheilung " begangen war." '

1. Aus dem Paragrafen erhellt genau, was das GB unter Realkonkurrenz versteht. Sie liegt nicht vor:

a. wenn die spater zur Aburteilung gelangende strafbare Handlung nicht vor der Verurteilung wegen der einen oder der mehreren früher verfolgten Handlungen begangen \yorden ist. S. das

o a Ton interess. RG III r. ^^^^^l^OS (E XXXVI S. 93 ff.);

2. Febr. b. wenn die spater zur Aburteilung gelangende Handlung

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114. 294

vor oder nach jener Verurteilung begangen ist, jedoch die durch dieses Urteil ausgesprochene Strafe verbüsst, verjahrt oder erlassen ist.

Der Begriff der Realkonkurrenz bestimmt sich also zugleich nach einem doppelten Zeitpunkte: nach dem d e r e r s t e n V e r u r t e i l u n g (realiter konkurrirende Verbrechen müssen vor diesem Zeitpunkt b e -g a n g e n se in ) und ferner nach dem Zeitpunkt der Verjahrung, des Erlasises, der Verbüssung der früher erkannten Strafe (die s p a t e r e A b u r t e i l u n g muss vor Eintritt dieses Zeitpunktes geschehen). Vgl. RG II V. 3. Febr. 1899 (E XXXII S. 7 ff.); III v. 5. April 1900 (das. XXXIII S. 231 S.).

Realkonkurrenz fehlt deshalb, wenn ein Strafling warend seiner Preiheitsstrafe ein neues Verbrechen begeht. L i e g t a b e r b e i e i n e r M e h r h e i t s t r a f b a r e r H a n d l u n g e n d e s s e l b e n S c h u l d i g e n w e d e r i d é a l e n o c h r e a l e K o n k u r r e n z v o r , so w e r d e n d i e s a m t l i c h e n v e r w i r k t e n S t r a f e n k u m u l i r t u n d n e b e n e i n a n d e r v o l l s t r e c k t , o h n e d a s s d i e Z e i t m a x i m a d e r §§ 74 , 3. 75 , 3. 7 7 , 2 B e a c h t u n g f i n d e n k o n n t e n . Nun sanktioniren die §§ 74—78 áucb für eine Anzahl von Fallen der Realkonkurrenz das Kumulationsprinzip (s. sub III 2); insoweit finden die Vorschriften der §§ 74—78 auch Anwendung, wenn die Voraus-setzung des § 79 nicht vorliegt. Die Bedeutung des § 79 besteht also darin, dem System der sog. G e s a m t s t r a f e ein weiteres An-wendungsgebiet zu gewahren, ais die §§ 74—78 direkt tun. Deshalb sind seine Anfangsworte einschrankend zu erklaren.

2. „Eine Strafe" ist inkorrekt; es sol! heissen: „bevor die im früheren Urteil erkannte Strafe", mag diese Strafe eine Gesamtstrafe oder eine Summe kumulirter Strafen sein. Insbesondere liegt im letzteren Fall die Anwendbarkeit des § 79 auch dann vor, wenn eine dieser kumulirten Strafen, etwa eine Geldstrafe, verbüsst ist, die andern aber noch zur Verbüssung ausstehen.

3. Diese Strafe kann erkannt sein von demselben Gerichte, das auch die spatere Aburteilung vorzunehinen hat, oder von einem Gerichte desselben Bundesstaates, oder von einem andern deutschen Gerichte, nicht aber, solí § 79 Platz greifen, von eínem auslandischen Gerichte (s. auch Oís ha u s e n , Vorbestrafungen S. 42. 43). —Dieses Straferkenntnis muss rechtskraftig sein, widrigenfalls es zur Fest-setzung einer Gesamtstrafe unverwertbar ist. (Diese Auffassung wird durch StrPO § 492 bestatigt.) Die gegenteilige Annahme würde dahin führen, dass moglicherweise in der Berufungs- resp. Revisions-Instanz wegen des früheren Falles Freisprechung eintrate und dann das 2. Urteil prinzipiell auch hinfallig würde, warend es inzwischen viel-

.leicht gar die Rechtskraft beschritten hat. A. M. O p p e n h o f f zu § 79 n. 5; O l s h a u s e n a. a. O. S. 54ÍF.; M e y e r S. 363; M e r k e l bei HH IV S. 235. Richtig Schü tze , Lehrb. S. 202 Nr. 19; Rüdorff, Komm. 2. Aufl. zu § 79 Nr. 4 u. 6 (ganz unsicher 4. Aufl. zu § 79 n. 6); S c h w a r z e , Komm. S. 316; H a r s e i m , GS 1875 S. 470; O l shausen zu § 79 n. 7; F r a n k zu §79 111; F i n g e r I S. 5 5 1 . — Die Praxis schwankt: s. die Nachweisungen bei O l s h a u s e n zu § 79 n. 7.

295 114.

4. Auf die nach diesem Zeitpunkt abzuurteilenden Handlungen finden deshalb die gesetzlichen Strafdrohungen ungeschmalerte Anwendung.

5. Keineswegs ist notig, dass die zweite Verurteilung vor Ab-lauf dieser Fristen die Rechtsktaft beschreite.

6. Nicht „welche vor dem Eintritt der Rechtskraft der früheren Verurteilung", sondern vor dieser selbst begangen war. Der Gedanke ist einfach der: wenn das Zeitverhaltnis der mehreren realiter kou-kurrirenden Verbrechen nicht im Wege gestanden hatte, sie in einem Urteile zu verbinden — auf die Verschiedenheit der Kompetenzgründe nimmt der Gesetzgeber. hier keine Rücksicht —, so soUen die Grund-satze der §§ 74—78 auch dann zur Anwendung kommen, wenn ein Teil dieser Handlungen erst nach dem andern zur Aburteilung gelangt. Begeht aber ein verurteilter Verbrecher ein neues Verbrechen in der Zeit zwischen Urteil und Eintritt der Rechtskraft desselben, so kann über das abgeurteilte und über das neue Verbrechen nie ein gemein-sames Urteil gefallt werden: somit wird die Anwendbarkeit der §§ 74 íf. undenkbar. Vgl. S c h w a r z e , Komm. S. 316; O l s h a u s e n , Vorbestrafungen S. 51; d e r s . , Komm. zu § 79 n. 6; M e y e r S. 363; F r a n k zu § 79 II 1; F i n g e r I S. 550. A. M. S c h ü t z e , Lehrbuch S. 201. Dasselbe muss aber auch gelten, wenn ein in erster Instanz Freigesprochener warend des weiteren Verfahrens ein Verbrechen begeht. In dieser letzteren Beziehung a. M. Oppenhoff zu § 74 n. 19.

7. D a s z w e i t e U r t e i l hat also folgende Aufgabe: a. Entweder die Strafe der von dem ersten übergangenen

strafbaren Handlung ist gesondert auszusprechen (s. §§ 75, 1. 77. 78, 1): dann muss der das zweite Urteil fallende Richter nur Bedacht nehmen, wenn notig, die von ihm zu verhangende Strafe nach, Vor-schrift der §§ 75, 3. 77, 2 zu ermassigen;

b. oder es ist eine Gesamt-Freiheitsstrafe zu verhangen. Dabei stósst der zweite Richter insofern auf eine für ihn unübersteig-liche Schranke, ais er das erste Urteil nicht nachprüfen, noch weniger abandern darf, es vielmehr, wie es ist, zur Festsetzung der Gesamtstrafe verwenden muss. Das zweite Urteil hat aber die früher abgeurteilte Strafsache nicht mehr mit zu umfassen; demgemass ist es nicht befugt, die Gesamtstrafe in ihrem vollen Umfange nach freiem Ermessen des spater urteilenden Gerichts zu verhangen: denn zur Aburteilung stehen ja nur eine oder mehrere, aber nicht alie realiter konkurrirenden Straftaten; der zweite Richter hat vielmehr diese Gesamtstrafe nur a u s z u m e s s e n , dabei das eine oder die mehreren Strafaquivalente des früheren Urteils unverandert in Rechnung zu stellen, von dieser Gesamtstrafe die Strafe des früheren Urteils ab-zuziehen und den Rest ais Zusatzstrafe zu verhangen.

a. Am leichtesten ist diese Aufgabe zu losen, wenn das spatere Urteil dieselbe Strafart zu verhangen hat wie das frühere, einerlei, ob das frühere Urteil die hartere oder die mildere Strafe aussprach.

/?. Erkannte das frühere Urteil auf die hartere Strafart (etwa Zuchthaus), und hatte das spatere auf die mildere (etwa Ge-

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§ 114. 296

fangnis) zu lauten, so hat der zweite Richter auszumessen, welches Strafmaass von Zuchthaus das erste Urteil verhangt haben würde, wenn es den spáter abzuurteilenden Konkurrenzfall mit umfasst hatte; und die Differenz zwischen dem wirklich verhangten und dem solehei'-gestalt ausgemessenen Zuchthaus ist dann ais Zusatzstrafe aus-zusprechen.

/ . Verdient der spater abzuurteilende Konkurrenzfall die hartere Strafart, so tritt die Gebundenheit des zweiten Richters durch das erste Urteil mit dem Grundsatz des § 74, 2, wonach die Gesamt-strafe in einer ErhOhung der ihrer Art nach schwersten Strafe be-stehen solí, in unloslichen Konflikt: die Strafe des ersten Urteils kann hier nicht unverándert, noch auch nur mittels Strafverwandlung auf-recht erhalten werden. Denn gerade die im spateren Urteile zu ver-hangende Strafe bildet die Einsatzstrafe: die Strafe des früheren Urteils darf damit nicht kumulirt, sondern sie muss zu einer Zusatzstrafe herabgemindert werden, deren Grossenbestimmung allein von dem zweiten Richter abhangt. Dieser hat deshalb die Gesamtstrafe aus-zusprechen, die frühere Strafe für dadurch erledigt zu erkláren und zugleich festzustellen, wie viel von dieser Gesamtstrafe nach Massgabe des § 21 durch die teilweise Verbüssung der früheren Strafe ais ver-büsst zu betrachten sei.

ó. Fraglich ist, ob das zweite Urteil die Strafe des ersten unter Umstanden ais genügende Gesamtstrafe einfach beibehalten kann. Dies ist nur moglich, wenn die erste Strafe schon Gesamtstrafe, also wegen Realkonkurrenz verhangt worden ist: denn sonst müsste mindestens eine Erhohung der ersten Strafe zur Gesamtstrafe eintreten. Die frühere Gesamtstrafe kann aber ais genügend beibehalten werden, wenn der zweite Richter annimmt, der erste würde sie nicht erhoht haben, hátte sich sein Urteil auch auf den spater abzuurteilenden Konkurrenzfall mit erstreckt. So auch O p p e n h o f f zu § 79 n. 14; S c h w a r z e S. 318; O l s h a u s e n zu § 79 n. 14 (O. will in dieseni Falle alies auf das freie Ermessen des spater urteilenden Richters stellen); F i n g e r I S. 553; RG III v. 13. Mai 1882 (E VI S. 283 ff.). — Sie m u s s natürlich beibehalten werden, wenn sie den zulassigen Hochstbetrag erreicht.

V. E r g a n z u n g d e s § 7 9 d u r c h d i e R e i c h s s t r a f p r o z e s s -o r d n u n g . § 492 ders. bestimmt: „Ist jemand durch verschiedene rechtskraftige Urtheile zu Strafen verurtheilt worden und sind dabei die Vorschriften über die Zuerkennung einer Gesamtstrafe (§ 79 des StrGBs) ausser Betracht geblieben, so sind die erkannten Strafen durch eine nachtragliche gerichtliche Entscheidung auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen." Welches Gericht diese Gesamtstrafe auszuwerfen hat, bestimmt § 494 al. 3 u. 4. Vgl. auch RG I Beschl. v. 21. Dez. 1899 (E XXXIII S. 23/4). Beachte auch MilStrGO § 461.

VI. Durch Beschluss vom 11. Juni 1885 (s. die Publ. v. 24, Juni 1885 Central-Blatt f. d. Deutsche Reich 1885 S. 270) hat de r B u n d e s -rsit — unbeschadet anderweiter Vereinbarung der beteiligten Bundes-staaten im einzelnen Falle — bezüglich der Vollstreckung der auf

297 § 114.

Grund des § 79 von Gerichten verschiedener Bundesstaaten gebildeten Gesamtstrafe Folgendes bestimmt:

1. Die Vollstreckung der Gesammtstrafe ist von demjonigen Bundesstaate zu bewirken, dessen Gericht dieselbe, sei es in der regelmassigen Form, sei es in der Form einer sog. Zusatzstrafe fest-gesetzt hat.

2. Auf Ersuchen der zustandigen Behorde des in Nr. 1 be-zeichneten Staates ist die Vollstreckung von demjenigen Bundesstaate zu übernehmen, welcher nach dem Gesammtbetrage der von seinen Gerichten erkannten oder für verwirkt erachteten Einzelstrafen an der Gesammtstrafe am hochsten betheiligt ist. Bei Berechnung des Ge-sammtbetrages der Einzelstrafen sind der Art nach verschiedene Strafen nach ihrem gesetzlichen Geltungsverhaltniss (§ 21 des Strafgesetz-buchs) in Anschlag zu bringen.

3. Sind mehrere Bundesstaaten mit einem gleichen Hochst-betrage an der Gesammtstrafe betheiligt, so ist, falls einer derselben bereits eine in die Gesammtstrafe einbezogene, ihr gleichartige Einzelstrafe vollstreckt, die Gesammtstrafe von diesem zu vollstrecken. Anderenfalls werden die bezeichneten Staaten sich darüber vereinigen, welcher von ihnen die Vollstreckung zu übernehmen hat.

4. In den Fallen der Nr. 3 werden die Kosten der Straf-vollstreckung, ais welche indess nur baare Auslagen in Rechnung ge-stellt werden sollen, von den mehreren hochstbetheiligten Staaten zu gleichen Theilen getragen.

Im Uebrigen findet eine Erstattung von Kosten nicht statt, 5. Unberührt bleibt die Vorschrift im §. 163 des Gerichts-

verfassungsgesetzes. Der auf Grund dieser Vorschrift eine Gesammtstrafe vollstreckende Staat wird die nach §. 165 des Geriehtsverfassungs-gesetzes zu erstattenden Auslagen von demjenigen Staate ersetzt erhalten, der nach obigen Grundsatzen die Vollstreckung zu übernehmen hatte.

6. Vorstehende Grundsatze íinden entsprechende Anwendung, wenn die Gesammtstrafe oder eine in dieselbe einbezogene Einzelstrafe vom Reichsgericht in erster Instanz festgesetzt worden ist.

Berlin, den 24. Juni 1885. Der Reichskanzler. In Vertretung: v. Schelling.

VII. Zum Schlusse ist darauf hinzuweisen, dass Ideal- und Realkonkurrenz zusammentreífen konnen, wo dann für den Richter grosse Verlegenheiten entstehen, da Ideal- und Realkonkurrenz nach ver-schiedenen Prinzipien behandelt werden sollen (s. B i n d i n g , H. I S. 583 ff.). Stehen untereinander realiter konkurrirende Verbrechen, etwa Betrugsfalle, in Idealkonkurrenz mit den verschiedenen Akten desselben fortgesetzten Verbrechens, etwa den Produktionen derselben gefálschten Urkunde, so wird leider GB § 73 allein anwendbar. Des-gleichen kommt vor, dass zwei Verbrechen, die im Anfang realitei" konkurrirten, sich in ihrem Fortgange zu idealer Konkurrenz vereinigen. F ü r d i e B e h a n d l u n g d e r K o n k u r r e n z v e r s c h i e d e n e P r i n z i p i e n a u f z u s t e l l e n , i s t e b e n g r u n d -v e r k e h r t .

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S 117. 300

Augenblicke der Rechtskraft dem Bestraften verloren und dem Staate erworben worden.

I I I . Alie Nichtstrafrechte lasst aber der Tod des Delinquenten unberührt . S. oben die §§ 103. 105 und 107.

I I I . Die Verjahmng. H^ 247—277. Bdg, H 160—164. B 155—159. Scli 58. M 45. MI 89—91. Li 76—78. WV 100. G 80. 81. H 152 bis 156. K 127—131. Fi 124. 126. H e i n z e bei HH 11 S. 594 tt'.

V o l l g r a f f . A b h a n d l . i l . Marburg 1823. S. 72 ff. — Uii tev-h o l z n e r , Ausführl. Entwicklung der gesamten Verjáhruugslehre. 2. Aufl. V. S c h i r m e r . II 1858 S. 413 ff. — H i r z e l , Über Verjahrung der Strafen. Zürich 1860. — D a m b a c h * , Beitrage zur Lehre von der Kriminalverjahrung. Berlín 1860 (wo auch S. 125 bis 139 reiche Literatumachweise). — D e r s., GA IX 1861 S. 30 ff. — A b e g g , Über die Verjahrung rechtskráftig gewordener Strafen. Breslau 1862. — S c h w a r z e , Bemerk. zur Lehre von der Verjahrung im Strafrechte. Erlangen 1867. — Hoorebeke , Traite de la prescription en matiére pénale. Bruxelles 1847. — O o u s t u r i e r , Traite de la prescription en matiére crirainelle. Bruxelles 1849. — B r u n de V i l l e r e t , Traite théorique et pratique de la prescription en matiére criminelle. Paris 1863. — Mar que t, De la prescription en matiére criminelle. Paris 1866. — K i l l , GS 1868 S. 336ff. — P u l v e r m a c h e r , GA XVIII 1870 S. 145 ff. 301 ff. 384ff. — A r n d t , das. S. 740 ff. — GA XIX S. 88 ff. — N i s s e n , Z. Lehre von den Polizei-Übertret. u. d. Kriminalverjahrung: StrEZ 1872 S. 465 ft:— O r t m a n n , Arch. f. prakt. Eechtswiss. NF XI 1879 S. 223 ff. — R i s c h , GS 1884 S. 241 ff. — D e r s . , Zur Frage der rechtl. Kon-struktion der Kriminalverjahrung nach heut. Recht. Würzburg 1888 (wes. Polemik gegen mein Handbuch; auch abgedruckt in Z f. StrRW IX S. 235 ff.). — S p i n , Bijdrage tot de Leer van de Verjaring in Strafzaken. Amsterdam 1879. — Al t o ñ a , GS XLIII S. 205 ff. — Ge ve r , HRLex. s. v. Verjahrung III S. 1041 ff. — G a u t i e r , Z f. Schweiz. StrR I S. 443ff.^ K o o p m a n u , Die Verjahrung im Strafrecht. Diss. G6tt.l888. — H o g e l , Ósterreich. Jur.Bl. 1899 ísr. 37. — L a m m a s c h , Studien z. Strafgesetzentwurfe. Wien 1891. S. 37 ff.— R i n d f l e i s c h , Die Veriahr. d. Strafvollstreckuug. Diss. Gott. 1892. — B ü h l e r , Die Verjánr. im Strafrecht mit bes. Berücks. der schweiz. Strafgesetze. Diss. Bern 1893. — L a m m a s c h u. H o e g e l , Gutachten z. 24. Deutschen Juristentag, Ver-handl. II. S. 104ff", 134ff. — M u t e a u , De la prescription . . . . en matiére pénale. Paris 1895. — V o n a c h t e n , Die Verjahrung im Strafrecht. Diss. Aachen 1895. — B e r n e r u. S t e n g l e i n , DJZ III 1898 360 ff. — K l e y , Über den Beginn der Verj. der Strafverfolgung. Diss. Mannheim 1899. — Aug , Die Verjáhr. der Strafverfolgung. Diss. Strassburg 1900.— S a l o m ó n , Der Beginn der Verfolgungs^-erjáhrung. Diss. Greifswald 1904. — R o t h , DJZ XI 1906 S. 1142 ff. - Über den Anfangspunkt der Vetjáhr. beiPressdelikten s.neuerd. die Aufsátze von Appe l iu s ,Groschu f f , v. M a r q u a r d s e n u. S t e n g l e i n in DJZ I (1896) 331 ff., 457 ff. u. V. E a t h e n a u u. S t e n g l e i n . GS LIII 1897 S. 376 ff. — Über V.-Unterbrech. B o r n h a k . DJZ VI 1901 S. 469ff.; Becher , Blatter f. RAnwendung LXIII S. 261 ff. — Über das Ruhen der Verj. A l t o na , GS XLIII 1890 S. 205 ff. — Über die Verj. der durch GB § 367 Z. 15 und § 368 Z. 3 mit Strafe bedrohten Bau-kontraventionen s. May , in F i s c h e r s Zeitschr. f. Gesetzgeb. u. Verwalt. XXVIII 1905 S. 255 ff. u. XXIX S. 24 S. — S. auch G r a -wein, Verjáiirung u. gesetzliche Befristung I. Leipzig 1880,

§ 117. 1. Die Verjahrung des Strafklagrechts. GB §§ 66—69 (s. auch §§ 61. 62). 171; Ges., betr. die Abánderung des § 69 des

301 § 117.

StrGBs, V. 26. Marz 1893; vgl. EG § 7. MGB §§ 52. 76. StrPrO § 453, 4. 459, 3.

L R o m i s c h e s R e c h t . S. auch D e m e l i u s , Untersuch. aus dem rom. Civilrechte I. Weimar 1856. S. 39—43; M o m m s e n , Rom. Strafr. S. 487 íF. Eine Verjahrung der Kriminalklage kannte die romische Republik wahrscheinlich überhaupt noch nicht: C i c e r o , pro Rabirio c. 9 (von H e f f t e r , Lehrbuch § 186 Nr. 2, D e m e l i u s a. a. O. S. 42 Nr. 4 und D a m b a c h a. a. O. S. 30. 31 für un-beweisend gehalten), verbunden mit dem Schweigen der übrigen Quellen. S. auch M o m m s e n a. a. O. S. 488. — Der alteste uns bekannte Fall der Kriminalverjahrung ist in der lex Julia de adulteriis (18 V. Chr.) enthalten; danach verjahrt die áccusatio wegen stuprum, adulterium und lenocinium i n 5 J a h r e n (wahrscheinlich in An-knüpfung an das romische Lus t rum) : 1 30 §§ 5 und 6 D ad leg. Ju l . da adulteriis 4 8 , 5. Dieses quinquennium warde spater (U1 p i a n a. a. O. íiussert sich noch zweifelnd: melius est dicere ómnibus ad-missis ex lege Jul ia venientibus quinquennium esse praestitutum) auf alie Tatbestande ausgedehíit, die man auf Grund der lex Jul ia strafte. Da die fünfjahrige Kriminalverjahrung auch in einem SO. aus dem Jah re 11 nach Chr. begegnet (I 13 D de SCo. Silaniano 2 9 , 5 ) , so gewinnt es an Wahrscheinlichkeit , dass auch die Verjahrung des crimen peculatus in 5 Jahren (I 9 D ad leg. Jul . pecul. 48 , 1 3 : peculatus crimen ante quinquennium admissum obici non oportet) ent-weder durch die lex Julia peculatus selbst (8 v. Chr.) oder bald nach-her eingeführt worden ist. — Übrigens dürfte diese Verjahrung eher eine Klagbefristung gewesen sein. — Vgl. auch P a r t s c h , Die longi temporis praescriptio im klass. Rom. Recht. Leipz. 1906 S. 113,

Direkte Zeugnisse über die Verjahrbarkeit der übrigen crimina fehlen in unseren Rechtsquellen nun für fast 300 Jahre . Erst in einem Reskript Diocletians und Maximians (zwischen 294 und 302 erlassen) heisst es : Querela falsi temporalibus praescriptionibus non excluditur, ni si X X annorum exceptione, s i c u t c e t e r a f e r e q u o q u e crimina. Daraus erhellt: e i n e 2 0 j a h r i g e V e r j a h r u n g für fas t a l ie crimina (ausgenommen jedenfalls adulterium, peculatus etc.) h a t t e s i c h e i n -g e b ü r g e r t . Aber seit wann? Nun hebt schon P a u l u s bezüglich zweier accusationes, der crimina parricidii und suppositi par tus , ais Besonderheit he rvor , dass keine von beiden temporis praescriptione depellitur (I 19 § 1 D de lege Cornelia de falsis 4 8 , 10 aus den Sententien u. I 10 D de lege Pompeia 48, 9 ; die dritte unverjahrbare Klage ist die wegen Apostaste: I 4 C de apostatis 1, 9). P a u l u s kennt also schon die Verjahrbarkei t der Kriminalklagen im Anfang der Alleinherrschaft Caracallas (212—217) ais Rcgel. Über die Dauer der Verjáhrungszeit erfahren wir nichts. Es ist aber unwahrscheinlich, dass nicht die 20jáhrige gemeint sei. Ja , wenn man den nahen Zu-sammenhang bedenkt , der zwischen der Kriminalverjahrung und der Verjülirung fiskalischer Ansprüche aus Delikten bestanden haben muss (vermutlich ist doch letztere der Kriminalverjahrung nachgebildet: so auch D e m e l i u s a. a. O. und D a m b a c h a. a. O. S. 33), und wenn man aus C a l l i s t r a t u s (I 1 § 3 D de ju re fisci: Praescriptio autem

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§ 117. 302

viginti annorum, quae etiam circa requirendorum adnotatorum bona observatur, ex constitutione divi Titi solet ex eo numerare, ex quo quid ad fiscum pertinere potuit) wol entnehmen darf, dass diese 20 jahrige Verjahrung der Fiskalansprüche schon zu Kaiser Titus' Zeit bestanden hat, wenn man endlich bedenkt, dass die kurze Verjahrungszeit ftir adulterium und peculatus sich mit der Unverjahrbarkeit aller anderen Kriminalklagen nicht vertrug, so wird man geneigt sein, auch den Beginn der Kriminalverjahrung von 20 Jahren mit D e m e 1 i u s in die früheste Kaiserzeit zu versetzen.

Die pratorischen Ponalklagen verjahren in einem annus utilis: pr J de perpet. et temporal, act. 4, 12. „Von der Injurienklage (wol der áltesten prator. Ponalklage) ist dann der annus utilis in die Formeln der übrigen Ponalklagen übergegangen" . . . : D e m e l i u s a. a. O. S. 26; die nicht pratorischen Ponalklagen verjahren in 30 Jahren: 1 3 C de praescr. XXX annor. 7, 39.

II. Uber die interessante Steigerung der Zahl der unverjahrbaren Verbrechen in der deutschen Gesetzgebung des 18. Jahrhunderts s. G e i b II S. 142. 143.

III. H e u t i g e s g e m e i n e s R e c h t , Seine Satzungen, bes. GB §§ 66—72 (wovon § 66 ganz überflüssig), haben zu zahlreichen Zweifein Anlass gegeben. Vor allem ist § 67 ais unvollstandig zu bezeichnen, da er weder der lebenslanglichen Festungshaft noch des im MGB vorkommenden lebenslanglichen Gefangnisses Erwahnung tut. (Der Verweis bedarf in § 67 keiner Erwahnung.) O p p e n h o f f zu § 67 n. 3, R u b o , Komm. S. 519, O l s h a u s e n zu §67 n. 4, M e y e r S. 264 n. 19, v. L i s z t S. 293 und F i n g e r I S. 576 nehmen an, die mit diesen Strafen bedrohten Verbrechen verjahrten in 15 Jahren. Diese Frist aber benutzt § 67 nur für Verbrechen mit zeitiger Frei-heitsstrafe, und so scheint es mir richtiger, per anaiogiam die 20 jahrige Frist von den mit lebenslanglichem Zuchthaus bedrohten Verbrechen auf alie anderen mit lebenslanglicher Freiheitsstrafe bedrohten Verbrechen zu übertragen. Dieser Ansicht auch B e r n e r S. 320; K o o p m a n n a. a O. S. 26. Für das GB ist diese Entscheidung deshalb zweifellos, weil es die lebenslanglíche Festungshaft nur dreimal (§§ 81, 88 und 94), und zwar jedesmal alternativ mit lebenslanglicher Zuchthausstrafe androht.

Zunachst ist 1. die E x k l u s i v i t a t der g e m e i n r e c h t l i c h e n S a t z u n g e n

g e g e n ü b e r d e m P a r t i k u l a r r e c h t e zu b e h a u p t e n . Voll-standiger kann keine Materie durch das GB erschopft sein ais gerade die der Verjahrung. Alie p a r t i k u l a r r e c h t l i c h e n Abweichungen von den Satzen der §§ 66—72 sind riichtig, Falsch O p p e n h o f f zu § 68 n. 1 u. 41 ; R ü d o r f f zu -§ 66 n. 3 ; S e h w a r z e S. 282; S c h ü t z e , Lehrbuch S. 209; O l s h a u s e n zu § 66 n. 3. — Beacht-lich RG III V. 1. Dez. 1898 (E XXXI S. 362 íF.). — Dagegen bleiben abweichende g e m e i n r e c h t l i c h e Bestimmungen über Verjahrung ais leges speciales neben der lex generalis des GBs in Kraft.

2. D i e L a n g e d e r V e r j a h r u n g s f r i s t e n normirt sich ge-mass dem Grundgedanken des § 67 nach der Schwere der Handlungen, deren Verfolgung zu geschehen hatte, u n d z w a r d e r k o n k r e t e n

303 § 117.

F a l l e , nicht der Handlungsarten. Diese Schwere ihrerseits bemisst sich nach dem Hochstbetrag derjeiiigen Strafen in thesi, womit das Gesetz Handlungen. solcher Art bedroht hat, nicht nach der Strafe, die der Schuldige durch seine Handlung verwirkt hat. StraferhOhungs-und Strafminderungsgründe — zu denen auch die sogenannten mil-dernden Umstande gehbren — bleiben aussér Betracht. Bezüglich der mildernden Umstande a. M. B e r n e r , Lehrbuch S. 320; S e h w a r z e , Komm. S. 285.

Dagegen müssen sowol fakultative ais obligatorische Scharfungs-gründe, z, B. der Rückfall (a. M. H a l s c h n e r I S. 697) und ebenso die Milderungsgründe, insbes. die J u g e n d (a, M. R ü d o r f f zu § 67 n. 2; O l s h a u s e n zu § 67 n. 2d ; H a l s c h n e r a. a. O.; M e y e r S. 265; F r a n k zu § 67 I) allerdings zur Berücksichtigung kommen: denn die „Strafdrohungen" sind dort scharfer, hier milder ais die ge-setzlich regelmassigen Strafen. Richtig F i n g e r I S. 577. 578. Genau das Gleiche gilt von Versuch und Gehülfschaft: bei ihnen entscheidet nicht die Strafdrohung für VoUendung und Taterschaft, sondern die Strafe in thesi für Versuch und Beihülfe. (Richtig F r a n k zu §67 I; F i n g e r I S. 578. A. M. v. L i s z t S. 293.) „Die Verjahrungsfrist berechnet sich also nach Massgabe des in § 44 angedrohten Hochst-betrages. Die nahere Vergleichung der dort aufgestellten Strafsatze ergiebt hierbei, dass, wo Tod und lebenslangliches Zuchthaus auf die v o l l e n d e t e Tat gesetzt sind, für den V e r s u c h nach § 67 Abs. 1 nicht 20 Jahre, sondern 15 Jahre die Frist bilden, im übrigen aber die Verjahrungsfristen für den Ve r s u c h unverandert bleiben." R ü d o r f f zu § 67 n. 3. — Die 20jahrige Verjahrungsfrist findet also, wo nicht der Versuch an Strafbarkeit der VoUendung gleichgestellt ist (wie z. B. §§ 80. 81), nur auf vollendete Verbrechen und nur auf die Taterschaft Anwendung. Liegt reale Verbrechenskonkurrenz vor, so bestimmt sich die Verjahrungsfrist nicht nach dem Hochstbetrag der zulassigen Gesamtstrafe, sondern jedes Verbrechen hat seine be-sondere, lediglich nach seiner eigenen Schwere zu bemessende Verjahrungszeit.

Starke Verschiedenheiten bezüglich der Lange der Verjahrungsfristen konnen sich für die verschiedenen M i t t a t e r sowie für T a t e r und A n s t i f t e r geltend machen, falls ihre Taten auf verschiedenen Stufen der Strafbarkeit stehen: es handelt z. B. der eine vorsatzlich, der andere fahrlassig, der eine im Rückfall, der andere nicht u. s. w. Die Verjahrung beginnt übrigens mit der letzten Handlung eines der Mittater, denn durch ihn handeln die andern mit. Vgl. auch unten s. 3d/S.

EG § 7 statuirt für die „2uwiderhandlungen gegen die Vor-schriften über die Entrichtung der Branntweinsteuer, der Biersteuer und der Postgefalle" eine Verjahrungsfrist von 3 Jahren.

Die Spezialstrafgesetze stellen mehrfach besondere Verjahrungsfristen von 5 und 3 Jahren, von 1 Jahr und von 3 Monaten auf. — S. z. B. Tabakssteuergesetz v. 16. Juli 1879 § 45; Ges., betr. die Wechselstempelsteuer, v. 10. Juni 1869 § 17; Vereinszollgesetz v. 1. Juli 1869 A. 12; Gewerbeordnung v. 26. Juli 1900 §§ 145. 153

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117. 304

Urhebergesetz v. 10. Juni 1870 §§ 33. 34. 37, v. 19. Juni 1901 § 50; Kanalgebührengesetz v. 20. Juli 1899 § 9; Schaumweinsteuergcsetz V. 9. Mai 1902 § 27, 2; Ges., betr. die Kinderarbeit v. 30. Márz 1903; Brausteuergesetz v. 3. Juni 1906 § 52; Zigaréttensteuergesetz v. 3. Juni 1906 § 30 Abs. 2; Erbschaftssteuergesetz v. 3. Juni 1906 § 51; Stempel-gesetz V. 3. Juni 1906 § 73. Pressvergehen verjáliren nach dem Press-gesetze v. 7. Mai 1874 thorichtervveise in 6 Monaten. Dies gilt aber nur für solche Delikte, deren Tatbestand schon mit der Verbreitung der Presserzeugnisse gegeben ist, nicht etwa für Notígung oder Er-pressung, sofern sie durch die Presse verübt werden. RG II v. 28. Febr. 1899 und v. 3. April l900 (E XXXII S. 69 íF.; XXXIII S. 230/1).

3. A n f a n g s p u n k t d e r V e r j a h r u n g . GB § 67 al. 4 : „Die Verjahrung beginnt m i t dem Tage, an welchem die Handlung be-gangen ist,_ ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Er-folges." (Uber den Beginn der Verjahrung bei der Bigamie s. GB § 171, bei der Fahnenflucht MGB § 76.) Dieser Tag ist also der erste der Verjahrungszeit, und dies bewirkt, dass ein Verfolgungs-recht, welches am 1. Januar 1903 begründet wurde und in 5 Jahren verjáhrt, mit Beginn des 1. Januar 1908 verjahrt ist. In Spezial-gesetzen des Reichs beginnt die Frist mehrfach „vom Tage der Be-gehung an" und endet dann einen Tag spater. A. M. O l s h a u s e n zu § 67 n. 8. Interessante Sonderbestimmung SeemO § 121.

a. B e g e h u n g u n d E r f o l g . Das Gesetz scheidet hier 2 Gruppen. von Verbrechen: bei der einen fallt der Tag der „Be-gehung" und der Tag des „Erfolges" zusammen, bei der anderen geht jener diesem voraus. Diese Einteilung bezieht sich nicht auf die Ver-brechensarten, sondern auf die k o n k r e t e n V e r b r e c h e n s f a l l e ; denn bei Verbrechen derselben Art fallen jene beiden Zeitpunkte bald auf denselben, bald auf verschiedene Tage, z. B. bei verschiedenen Totungsfallen. Jener „ E r f o l g " aber, den das Gesetz fordert, ist ent-weder d e r z u r V o l l e n d u n g des V e r b r e c h e n s n o t i g e E r f o l g (Eintritt des Todes, der Vermogensbeschadigung beim Betrug, des Brandes bei der Brandstiftung) o d e r d e r v e r b r e c h e r í s c h e E r f o l g e i n e s V e r s u c h e s (z. B. heute vergiftet A dem B seinen Wein, den dieser erst acht Tage spater geniesst, um mit einem heftigen Unwolsein davonzukommen). Der Schlusssatz des § 67 bezieht sich also nicht nur auf vollendete Delikte, wol aber geht er von der Vor-aussetzung aus, dass die Setzung der Ursache zum Erfolge an einem anderen Tage geschehen sei, ais an welchem der Erfolg selbst eintrat: nur in diesem Falle solí die Verjahrung von jenem ersten Tage be-ginnen. Wenn also ein Mordanfall am 10. Oktober kurz vor 12 Uhr nachts stattfindet und die ersten Axtschlage noch vor Mitternacht fallen, der sofort todliche Streich aber nach Mitternacht, so gilt die Handlung ais am 11. Oktober begangen, und an diesem Tage beginnt die Verjahrung.

Durch diese Scheidung von B e g e h u n g und E r f o l g wird bewirkt, dass die Klage wegen des voUendeten Verbrechens vor Eintritt -der Vollendung zu verjahren beginnen kann.

305 § 117.

Die Satzung greift aber nur Plata, wenn die „Handlung'* schon strafbar war, nicht bei den Fallen, wo eine Unvorsichtigkeit von heute sich nach Monaten zum fahrlassigen Verbrechen auswachst. S. RG II v. 2. Nov. 83 (zum Teil in der Begründung bedenklich); IV v. 30. Nov. 94 (E IX S. 152 íF.; XXVI S. 261 fF.). . M. E. ganz in der Luft stehend der Versuch, die gegenteil. Ansicht zu be-gründen bei F r a n k z. § 67 11. In sich widerspruchsvoll F i n g e r I 8. 579.

b. D a u e r n d e B e g e h u n g . Es ist streitig, von welchem Zeitpunkte an die Verjahrung beginne, wenn die verbrecherische Handlungsweise sei's mit sei's ohne Unterbrechung (dosenweise Ver-gif tung, Verbreitung ehrenrühriger Tatsachen, Verkaufen einer Quantitat verfalschter Nahrungsmittel, langdauernde Freiheitsberaubung), sich über langere Zeitráume hinzieht. Die Kontroverse lüst sich aus der Natur der Verjahrung heraus. Dieselbe ist eine Verjahrung des Ver-folgungsrechtes; sie beginnt deshalb mit dem Augenblicke von dessen Entstehung, sorait wenn die Handlung in das Versuchsstadium tritt. Jeder weitere verbrecherische Akt begründet eine Ausdehnung des

^ Verfolgungsrechtes auch auf ihn, und dies setzt sich bis zum endlichen Abbruch der verbrecherischen Tatigkeit fort. Von dem Zeitpunkte des Anfangs der verbrecherischen Tatigkeit beginnt sozusagen die erste, von dem Zeitpunkte des Abbruches die letzte Verjahrungsfrist. Ist diese letzte zu Ende, dann kann allerdings der Tater nicht mehr verfolgt werden. Auch ist bei Dauerverbrechen — grade umgekehrt bei den sog. KoUektivdelikten —• wegen der Einheitlichkeit des Verbrechens und der ünteilbarkeit der Klage nicht moglich, dass das Recht der Verfolgung wegen der ersten Verbrechensakte verjahrt, das wegen der spateren Akte noch unverjahrt ist. Die gegenteilige Ansicht der stückweisen Verjahrung verficht sehr einleuchtend v, W a c h t e r bei GA VIII 1860 bes.' S. 4ff.; vgl. dessen Vorlesungen § 309 (ich selbst habe diese Ansicht in der 3. Aufl. S. 185 noch allgemein ver-teidigt; für Kollektivdelikte scheint sie mir auch heute noch die allein richtige zu sein, s. mein Handbuch I S. 836. 837); für fortgesetzte (nicht für fortdauernde) Verbrechen und für gewerbs- und gewohnheits-massige Verbrechen ders. Ans. He inze , bei HH II S. 617 und Rubo S. 250 ÍF. — Vgl. auch RG IV v. 5. Mai 99 (E XXXII S. 143 ÍF.); I V. 15. Februar 1904 (E XXXVII S. 78 ff.).

Befremdlich ist der in der Praxis zum Teil von Erfolg begleitete Versuch, den Pressdelikten ausser der Kürze der Verjahrungszeit noch eine besonders abkürzende Berechnung derselben zu sichern. Das Pressgesetz vom 7. Mai 1874 § 22 bezeichnet die Pressdelikte ais solche, „welche durch die Verbreitung von Druckschriften strafbaren Inhalts begangen werden", — somit unmissverstandlich ais sich in Fort-setzung entwickelnde Straftaten. Bei solchen beginnt die Verjahrung stets vom Ende des l e t z t e n A k t e s zu laufen. Also nicht der Tag der ersten Ausgabe des Presserzeugnisses — der übrigens vielfach, besonders bei unzüchtigen Schriften, absichtlich in der Dunkelheit gehalten wird —, sondern der letzte Verbreitungs- ist der erste Ver-jahrungstag. So auch RG IV v. 30. Sept. 1887 (Rspr. IX S. 483 ÍF.);

Bindiug, Strafreclit. Gruudriss. 7. Aufl. 20

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§ 117. 306 307 § 117.

II V. 28. Febr. 99 (E XXXIl S. 69 ff.); OLG Dresden v. 26. Márz 1896 (Annal. XVII S. 308/9). A. M. KG Berlin v. 1. Juni 1896. Der Streit ist neuerdings wieder lebhaft entbrannt. S. oben das Lite-raturverzeichnis a. E. S. 300.

c. E c h t e U n t e r l a s s u n g s v e r b r e c h e n . Von ihnen gilt vollstandig das sub a und b Gesagte. Siud sie — wie nicht selten — Dauefdelikte, bestehen sie in Nichterfüllung einer fortdauernden Rechts-pflicht, dann ist der Tag der endenden Pflicht der erste Tag der Klagen-verjahrung. Wie, wenn die Erfüllung der Pflicht befristet ist? Vgl. darüber Handb. 1 S. 841.

d. Die Verjahrung ist Untergang des Strafverfolgungsrechtes durch Nichtgebrauch. Also vor accusatio nata keine Verjahrung. Interessante Anwendung des Satzes in RG II v. 29. Marz 98 (E XXXI S. 96 ff.). Daraus wllrde folgen

a. fü r A n t r a g s v e r b r e c h e n : Vor gestelltem Antrag kein Verfolgungsrecht, also auch keine Verjahrung desselben und eben-sowenig Unterbrechung der Verjahrung durch richterliche Tatigkeit. Allein § 67 sagt ausdrücklich und ohne Vorbehalt einer Ausnahme: „Die Verjahrung beginnt mit dem Tage, an welchem die Handlung begangen ist" . . . So beginnt bei alien doppelt bedingten Straf-klagen, insbesondere bei Antrags- und Ermachtigungsverbrechen, die Verjahrung vor entstandenem Verfolgungsrecht. So auch GB § 69 in seiner neuen Fassung. Prinzipiell müsste dann aber auch eine Unterbrechung der begonnenen Verjahrung vor gestelltem Antrag moglich sein. Dies trifft auch insoweit — aber nur insoweit — zu, ais nach StrPrO §§ 127. 128. 130 Handlungen des Richters wegen der begangenen Tat vor Stellung des Antrags ausnahmsweise zulassig sind. Vgl. RG I V. 13. Februar 1882 (E VI S. 37 ff.). Unterbrechung der Verjahrung ist also meist erst nach gestelltem Antrag müglich. Der Ablauf der Antragsfrist bleibt auf den Ablauf der Verjahrung theoretisch ohne Einfluss. Praktisch wirkt er regelmássig wie die Verjahrung: nur dass das Urteil nicht auf Freisprechung lauten darf;

/?. für A n s t i f t e r u n d G e h ü l f e n beginnt die Frist mit dem Tage der begangenen Taterhandlung; denn durch letztere wird erst die Strafbarkeit der Anstifter- und Gehülfenhandlung bedingt. Richtig RG II V. 30. Dez. 81 (E V S. 286) u. v. 26. Okt. 1897 (E XXX S. 310)', Be rne r , Grundsatze des preuss. Strafrechts § 40; Schü tze , Lehrb. S. 209; G e y e r , bei HH II S. 375. 376; d e r s . , HRLex.; O p p e n h o f f zu § 67 n, 11 ; R ü d o r f f zu § 67 n. 7; O l s h a u s e n zu § 67 Nr. 16c.; B i r k m e y e r , Teilnahme S. 173. 174. Falsch S c h w a r z e , Komm. S. 285. 286, bezüglich des Gehülfen („die Strafbarkeit wird . . . auf den Zeitpunkt des Hülfsaktes zurückgezogen"); R u b o S. 523 und 524; H a l s c h n e r I S. 700; M e y e r S. 266 Note 33; F r a n k zu § 67 II a. E.; v. L i s z t S. 294; F i n g e r I S. 579. Es ist unm()glich, die Handlung des Taters ais Erfolg der An-stiftung im Sinne des § 67 zu fassen (so H a l s c h n e r ) : denn der Gegensatz von Handlung und Erfolg im Sinne des § 67 liegt innerhalb der s t r a f b a r e n Handlung. — Sollte aber, was moglich ist, der Gehülfe erst n a c h dem Tater handelnd werden, so entscheidét nattir-

lich der Tag seiner und nicht der Tater Handlung für den Beginn der Verjahrung der Klage wider ihn;

y. für a l i e A n s p r ü c h e au f „ B u s s e " , d i e d a s g e -m e i n e R e c h t g e w a h r t . Die Busse ist keine Strafe; die Buss-forderung verjahrt nicht mit der Strafklage. Da aber die Busse nur vom Strafrichter und nur neben einer Strafe ausgesprochen, der Buss-anspruch nur in einem Strafverfahren erhoben werden kann, so ist es eine prozessualische Folge der Strafverfolgungs-Verjahrung, dass er nach derselben vor dem Strafrichter gleichfalls nicht mehr erhoben werden kann. Nicht genau S c h w a r z e , Komm. S. 282.

4. Über das „ R u h e n der . V e r j a h r u n g " s. d. Vorlesung u. GB § 69. S. auch RG III v. 25. Okt. 1900 (E XXXIII S. 410 ff.). Bei Teilnahme Mehrerer an dems. Verbrechen ist moglich, dass die Verjahrung der Klage gegen den einen Mitschuldigen „ruht", die Veíjahrung der übrigen Klagen aber lauft.

5. U n t e r b r e c h u n g d e r V e r j a h r u n g . S. darüber O r t -m a n n , Arch. f. prakt. RWiss. NP XI 1878 S. 223 ff. (gegen iede Unterbrechung). Seltsamer- und bedauerlicherweise ist in GB § 68 die Unterbrechung der Strafklagenverjahrung durch Erhebung der Strafklage wie durch jeden staatsanwaltlichen Akt für unmoglich er-klart worden. Es bedarf dazu einer von der StrPrO ais Straf-verfolgungshandlung angesehenen, also regelmássig innerhalb eines Strafprozesses liegenden, und nur ausnahmsweise vielleicht anticipando statthaften, nicht in concreto nichtigen Handlung d e s S t r a f r i c h t e r s oder seines Beauftragten wegen der begangenen Tat — zu fassen ais historisches Ereignis und abgesehen von ihrer juristischen Quali-fikation —, aber mit personlicher Spitze gegen den Schuldigen. S. auch RG IV V. 8. Dez. 1896 (E XXIX S. 234 ff.). Sehr bedenklich über Unterbrech. u. Verjahr. durch den Haftbefehl gegen einen Mittater RG II V. 10. Juni 1903 (E XXXVl S. 350/1). Durchaus zutreffend über die Identitat der Tat im Sinne des StrGB § 68 RG 11 v. 22. Jan. 97 (E XXIX S. 344 ff.). S. auch II v. 26. Okt. 1897 (E XXX S. 300ff.); III V. 8. Okt. 1900 (E XXXIII S. 426 ff.). Die Verjahrung der Strafklage aus einer mit dieser Tat ideell oder reell konkurrirenden andern bleibt dadurch aber unberührt. S. méin Handb. I S. 851; F i n g e r 1 S. 584. Dagegen O l s h a u s e n zu § 68 n. 12 u. F r a n k zu § 68 I 2 a. Nach StrPrO § 20 genügt auch die Handlung eines ortlich unzustSndigen Richters: denn „die einzelnen Untersuchungshandlungen eines unzustandigen Gerichts sind nicht schon dieser Unzustandigkeit wegen ungiltig". Nach §§ 453 und 459 desselben Gesetzes sind die zulassige „poHzeiliche Strafverfügung" und der „Strafbescheid" der Verwaltungsbehorde der richterlichen Handlung bezüglich der Ver-jahrungsunterbrechung gleichgestellt. Analog SeemO v. 2. Juni 1902

§ 123. 6. R e s u l t a t de r v o l l e n d e t e n V e r j a h r u n g . Aus-

geschlossen wird durch sie d i e S t r a f v e r f o l g u n g : genauer d i e P f l i c h t d e r S t r a f v e r f o l g u n g . Der einzige zwingende Grund für die Anerkennung der Strafklagverjahrung ist der allmahliche Ein-tritt der Beweisunsicherheit durch Zerstorung der Beweismittel. Da

20*

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§ 118. 308

aber eine Fortdauer des Strafrechts nach definitivem Untergang des Strafklagrechts sinnlos ware, so hat das Urteil, das Verjahrung an-nimint, nicht die Strafverfolgung für unstatthaft zu erklaren, also ein-zustelien (so O p p e n h o f f zu § 66 n. 8; R ü d o r f f zu § 66 n. 4 ; O l s h a u s e D zu § 66 n. 8b der 6. Aufl,; R i s c h , Zur Frage der Konstruktiüii u. s. w. S. 28), sondern f r e i z u s p r e c h e n . So auch F i n g e r 1 S. 575; RG III vom 8. Oktober 1885 (E XII S. 434 ff. Diese auch in der Folge festgehaltene Praxis des RG scheint O l s -h a u s e n zu § 66 n. 8 jetzt zu biliigen), Ein staatlicher Strafanspruch besteht nicht mehr in dem Zeitpunkt, wo der ciífentliche Anklager ihn geltend machen will. — Eine eigentümliche Schwierigkeit für die Beantwortung der Frage, ob die Strafverfolgung bezüglich einer be-stimmten Tat verjahrt sei, entspringt daraus, dass die verbrecherische Natur dieser Handlung (Raub, qualifizirter oder eínfacher üiebstahl?) oft ohne voraufgegangene Beweisaufnahme gar nicht festgestellt werden kann. Obgleich also die „Strafverfolgung" verjahrt ist, bedarf es haufíg einer Strafverfolgung, um die Verjahrung festzustellen. Der Richter hat dieser Feststellung dann natürlich s e i n e Beurteilung der Tat und nicht die staatsanwaltliche Qualifikation derselben zu Grunde zu legen.

§ 118. 2. Die Verjahrung des Strafrechts, Sogen. Terjahrung der Strafvollstreckang. GB §§ 66. 70—72. — S. die Literatur vor § 117 und die Citate zu § 117.

I. Dieselbe ist dem früheren gemeinen Rechte fremd und zuerst in den radikalen Satzen des Code penal vom 25. Sept, 1791 t. VI a. 3 anerkannt. Vgl. Code d'instr. crim. a. 635 íF. Von den deutschen Strafgesetzbüchern haben sie rezipirt zuerst das S a c h s , K r i m . - G e -s e t z b u c h von 1838 A. 76 íf. =- S a c h s e n - A l t e n b u r g A. 76 fF.; W ü r t t e m b e r g A. 129 íF.; B r a u n s c h w e i g §§ 71. 72; B a d é n § 194; T h ü r i n g e n A. 73; S a c h s e n 1855 A. 109 = 1868 A. 109, nur dass dieses die Todesstrafe nicht mehr kennt; B a y e r n von 1861 A. 92; H a m b u r g A. 68 ff. — Doch lasst eine ganze Anzahl der Gesetzbticher eine Verjahrung der Todesstrafen und der lebens-langlichen Zuchthausstrafe nicht zu: so S a c h s e n von 1838, 1855 und 1868, T h ü r i n g e n , B r a u n s c h w e i g , B a d é n , B a y e r n von 1861.

II. Das heutige gemeine Recht kennt eine Verjahrung der V o l l -s t r e c k u n g a l l e r r e c h t s k r a f t i g e r k a n n t e n S t r a f e n , s o -w e i t d i e s e ü b e r h a u p t e i n e r V o l l s t r e c k u n g f a h i g sind, und insoweit also eine e c h t e V e r j a h r u n g d e s m a t e r i e l l e n S t r a f r e c h t s . Dieselbe ergreift somit weder die B u s s e noch die Befugnis zur Urteilspublikation, noch die durch Urteil begründeten Rechte der Polizei, den Verurteilten unter P o l i z e i a u f s i c h t zu stellen (anerkannt vom GB § 38 Abs. 3) oder ihn in e in A r b e i t s h a u á u n t e r -z u b r i n g e n oder ihn zu g e m e i n n ü t z i g e n A r b e i t e n zu v e r -w e n d e n — denn weder hier noch dort handelt es sich um Strafen —, noch wirklich erkannte Strafen, welche, wie d ie N e b e n s t r a f e n an d e r E h r e und d i e S t r a f e d e r E i n z i e h u n g , den Verlust der ab-

309 § 118.

erkannten Rechtsgtiter oder Rechte ipso jure nach sich ziehen (anerkannt von GB § 36 a. E.).

1. GB § 70 enthalt zwei L ü c k e n und drei R e d a k t i o n s -f eh l e r . Der V e r w e i s ist vergessen: es versteht sich, dass er mit den mildesten Strafen nach § 70 Nr. 6 in 2 Jahren verjahrt. Für Unverjahrbarkeit trotz § 66 R u b o , Komm. S. 532. — In Z. 1—3 ist die lebenslangliche Gefangnisstrafe der MGB nicht berücksichtigt. Sie verjahrt nach Analogie von Z. 1 in 30 Jahren. — In Z. 3 hat der Gesetzgeber nicht an die Gefangnisstrafe von mehr ais 10 Jahren gedacht. Sie verjahrt nach Analogie von Z. 2 in 20 Jahren. Für die Strafen von genau 5 Jahren Festung fordert § 70 Z. 3 eine Frist von 15, Z. 4 eine solche von 10 Jahren; für Strafen von genau 2 Jahren Gefangnis oder Festung fordert § 70 Nr. 4 eine Verjahrungs-frist von 10 Jahren, § 70 Nr. 5 eine solche von 5 Jahren. In dubiis benignius!

2. Schwierigkeiten ergeben sich, wenn e in Urteil zugleich auf mehrere Strafen (Zuchthaus und Haft, Festung und Gefangnis, Gefangnis und Haft oder Geld) lautet. Verjahrt die Vollstreckung der einzelnen Strafen oder die Vollstreckung des Urteils ais eines Ganzen? Im letzteren Falle würde sich die Verjahrungsfrist nach der schwersten erkannten Strafe bemessen. — Den zweifelhaftesten Fall, den des ZusammentreíFens von Freiheits- und Geldstrafen, entscheidet GB § 71 verstandigerweise dahin, dass letztere Strafe nicht früher verjáhren kann ais erstere. Dasselbe muss aber auch beim Zusammentreffen mehrerer Freiheitsstrafen gelten: sonst würde ja beispielsweise die Haftstrafe stets verjáhren, wenn sie neben Gefangnis über 2 Jahren erkannt ware und nicht zuerst zur Vollstreckung káme. Es verjáhren zwar die „erkanñten Strafen" einzeln, doch muss, will man nicht zu ganz sinnlosen Resultaten kommen, angenommen werden, dass die Verjahrung einer Freiheitsstrafe wárend der Vollstreckung einer andern wider denselben Schuldigen ruht. Zu einem Teile abweichend R u b o S. 531. 532 und O l s h a u s e n zu § 70 n. 7, zum andern O p p e n hoff zu § 70 n. 5.

Sollte ausnahmsweise wegen desselben Delikts, etwa auf Grund des § 302 e, auf Gefangnis von 1 Jahr (Verjahrungszeit 5 Jahre) und auf Geldstrafe von 15000 (Verjahrungszeit 10 Jahre) erkannt sein — das Gesetz erwahnt dieses Falles in § 71 nicht! —, so ist eine Verjahrung der Freiheits- vor der der Geldstrafe unannehmbar. So B i n d i n g , Handb. I S. 855; O l s h a u s e n zu § 71 n. 1 ; R ü d o r f f -St. zu § 71 n. 2 ; a. M. F r a n k zu § 711.

3. Wird die erkannte Strafe durch G n a d e n a k t gemildert, so hat dies auf die Dauer der Verjahrungsfrist dann gar keinen Ein-fluss, wenn von méhreren neben einander erkannten Strafen diejenige, die am spatesten verjahrt, unberührt bleibt. Wird aber beispielsweise eine Strafe von 11 Jahren Zuchthaus in eine von 5 Jahren Zuchthaiis gemildert, so ist die durch Urteil begründete Pflicht zur Vollstreckung einer elfjahrigen Zuchthausstrafe grossenteils untergegangen, und die Sache steht genau ebenso, ais ware auf fünf Jahre erkannt. Seltsam O p p e n h o f f zu § 70 n. 13, H e i n z e bei HH II S. 616 Nr. 7, O í s -

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§ 119. 310

h a US e n zu § 70 n. 8 und R i n d f l e i s c h S. 34, welche sich an den Buchstaben des Gesetzes („erkannte Strafe") halten und deshalb der Grnade ebenso wie dem teiíweisen Strafvollzug einen die Verjáhrungs-frist mindernden Einfluss nicbt e inráumen; noch seltsamer R u b o S. 5 3 3 : eine gnadenweise normirte Strafe sei keine erkannte, also — unverjahrbar.

4. W i r d eine Untersuchungshaft oder eine auswarts verbüsste Strafe auf eine erkannte Strafe „angerechnet" (GB § 7 , § 60), so gilt diese schon ais insoweit verbtisst, und für die Verjahrung der VoUstreckung kommt nur der Strafrest in Betracht. A. M. 0 1 s-h a US e n zu § 70 n. 8 und die dort Angeführten,

119. lY. Die Begnadigung. H^ 287—289. Bdg, H 166-169. B 165-174. Sch 59. M 46. MI 92. 93. Li 75. WV 100. G 82. 83 H 157. 158. K 143—148. Fi 119. 121. 127. H e i n z e bei HH II S. 629 ff.

O e r s t e d , Grundregeln S. 453 ff. — Vol lg ra f f , Vermischte Abhandl. II S. 3—78. — v a n W i c k e v o r t C r o m m e l i n , De jure principis in minuendis vel remittendis delictorum poenis. Lugd. Batav. 1822.— B u r c h a r d í , Die Lehre von der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Gott. 1831 S. 17 ff. 118 ff. — Z i r k i e r , in Weiskes RLex. I S . 791ff. — P l o c h m a n n , Das Begnadigungsrecht. Erlangen 1844. — K i r s t e n , Abhandl. aus dem Gebiete d. Straf-rechts. Leipzig 1846 S. 67 ff. — v. F l e m b a c h , Das Kronreclit der Gnade . . . Nürnberg 1853. — v. Mohl , Staatsrecht, Volker-recht u. Politik II S. 634—691. — L ü d e r , Das Spuveránetátsrecht der Begnadigung. Leipzig 1860.— v. A r n o l d , Über Umfang und Anwendung des Begnadigungsrechts. Erlangen 1860. — A b e g g , KrV III 1861 S. 321 ff. 519ff, IV 1862 S. 349 ff. — L e g o u x , T ) u droit de gráce en France comparé avec les législations etrangéres. Paris 1855. — V a s a l l i , Krit. Untersuchungen über das Begnadi-gungsrecht. Züricb 1867. — G e y e r , KRLex. I S. 254ff. — W a h i lo e r g , Aufschub der StrafvoUstreckung, HRLex. I S. 180. 181. — G o b b o n , Le droit de gráce sous la constitution de 1875. Paris 1893. — H e i n z e , Staatsrechtiiche u. strafrechtliche Erorterungen S. 70—78. 110—114; de r s . , Strafproz. Erorterungen etc. Stuttgart 1875. S. 121—123. — L o w e * , Die Strafprozessordnung für das Deutsche Eeich. 11. Aufl. Berlin .1904. S. 25—27. — Meves in V. Holtzendorffs Handb. d. Strafproz. II S. 493 ff. — L o e b , Das Bégnadigungsrecht. Worms 1881. — J a s t r o w, GS XXXIV S. 532 ff. (über die heutige Existenz der Abolition). — J o h n , Kommentar I S. 108 ff. — A r n d t , Verordnungsrecht S. 234ff. — D e r s . , Z f. StrRW V S. 323ff. — Lamm, Erlass von Érdnungsstrafen: Annal. d. OLG Dresden II S.'481 ff. — E l s a s * , Über d. Bégnadigungsrecht. Diss. Mannheim 1888 (dazu beachtlich H a n c k e , AOE V S. 440 ff.). — L a b a n d , Staatsrechtj, 4. Aufl. ..III S. 482—495. — Ders . , Das Gnadenrecht in Finanzsachen, AÓR VII S. 169 ff. — S i e b e n h a a r (zu Art. 49 Abs. 3 der Preüss. Verfass.), Z í. StrRW VIII S. 465 ff. — S e u f f e r t , in v. Stengels Worterbuch des Ver-waltungsrechts s. v. Begnadigung. — v. K r i e s , Strafprozess S. 104ff. — J u s t , Die Ersehleich. d. Begnad., Z f. StrRW XV 1895 S. 855ff. — L o e n i n g , DJZ I 1896 S. 429ff. — Ortloff, GA XLV 1897 S. 92ff. 213 ff. — B e n n e c k e - B e l i n g , Strafprozess S. 610. 611. — He imberge r , Das landesherrl. Abolitionsrecht. Leipzig 1901. — S t o o s s . DJZ VIII 1903 S. 16ff. — D a v i d s o h n , Das Bégnadigungsrecht. Berlin 1903. — M i t t e r m a i e r , Schweiz. Zeitschr. f. Strafr. XVI 1903 S. 31 ft'. — Vgl. auch Roux-Dessa rp s , De la gráce. Paris 1898; Cl iouez , De la réhabilitation des con-damnés eu matiére pénale criminelle, correctionelle et disciplinaire.

311 § 119.

Paris 1898; Iti e u t e u a ue r , De la réliabilitiou en matiére pénale et disciplinaire. Paris 1900; D e l a q u i s und P o l e c , Materialien z. Lehre V. d. Réhabilitation. Berlin 1905; D e l a q u i s , Die Réhabilitation Verurteilter. Berlín 1906; S c h i l l e r , Die Réhabilitation Verurt. im schweiz. Recht. Zürich 1905. — A l l f e l d , Der bedingte Straferlass. Erl. u. Leipz. 1901. — L a n g e r , Bedingte Begnad. u. vorláuf. Entlassung,.MonSchr. f. Krim.-Psych. II S. 473 ff. — Über die bedingte Begnadigung 1. in S a c h s e n s. B i r k -m e y e r , Meckl. Zeitschr. f. Rechtspflege XIV S. 158 ff.; 2. in P r e u s s e n s. M e v e s , GA XLIV 1896 S. 1 ff.; 3. in H e s s e n s. S t á d e l , GS LU 1896 S. 301 ff. - Vgl. darüber auch K l e e , Z f. StrRW XXIV 1904 S. 69 ff.; XXVI 1906 S. 488 ff. - Die Literatur über bedingte Verurteiluug s. oben vor § 95. — Zur Geschichte des Beguadigungsrechtes: Merkel , Über die Begnadigungskompeteuz im romisch, Strafprozesse. Halle. 1881; W a h l b e r g , Kleinere Schriften II S. 122 ft.; S a n d e r , Über das Bégnadigungsrecht der Stadt Feldkirch und des hinteren Bregenzerwaldes. Innsbruck 1883 (dazu Loen ing , Z f. StrRW V S. 227 ff.); F r a u e n s t á d t , Das Bégnadigungsrecht im MA.. Z f. StrRW XVII 1897 S. 88.7 ff.; S t e r n b e r g , Die Begnad. bei den Naturrechtslehrern und Über die Begnad unter dem Anclen régime in Frankreich, Z f. vergleich. RWiss. XIII 1899 S.321ff. u. XVI S. 86 ff. S. auch: Historia juris gratiae in Hollandia inde a Carolo V. Amstelod. 1848. — Über das Recht der Schweiz s. G y s i n, Das Begnadigungswesen in der Schweiz. Liestall881; S tockar , Das schweizerische Bégnadigungsrecht. Zürich 1891.

I. Den rouiischen Kaisern stand ein unbeschranktes Bégnadigungsrecht zu , obgleich die regelraassige Stelle fur die Begnadigung der Senat war (s. M o m m s e n , Rom. Strafr. S. 484). Sie konnten nicht nur den Strafprozess niederschlagen (1 9 C ad leg. Cornal, de falsis 9, 22), sondern auch nach rechtskraftigem Erkenntnis die Strafe auf-heben und gegen die sonstigen Rechtsfolgen des Verbrechens Restitution erteilen (1 1 § 27 D de quaest. 48, 18 ; 1 45 § 1 D de re jud . 42, 1 ; 1 4, 1 9 § 11, 1 27 pr. 1 31 pr. D de poenis 48, 19 ; T C de sententiara passis 9, 51). — Dagegen darf man die a b o l i t i o d e r r S m i s c h e n Q u e l l e n nicht ais Gnadenakt auffassen: denn die romische abolitio wurde sowol zu Gunsten des Anklagers ais des Angeklagten erteilt und schlug nur e i n e Anklage nieder, hinderte aber nicht, dass binnen X X X dies útiles eine neue Anklage gegen denselben Verdachtigen wegen derselben Tat angestellt werden konnte. Das romische Recht kénnt eine dreifache abolitio: 1. die a b o l i t i o g e n e r a l i s s. p u b l i c a . Ursprünglich wurden anlásslich religioser Dankfeste zu Notzeiten den Untersuchungsgefangenen die Fesseln abgenommen, und nur auf neue Anklage hin durften sie wieder gefesselt werden. In dieser Bedeutung endete d i e a b o l i t i o p u b l i c a gegen Ende der Republik. Die Kaiserzeit nahm sie wieder auf, und erteilt. wurde sie dann ob diera insignem aut publicara gratulationem vel ob rem prospere gestara: so 1 8 u. 9 D ad SC. Turpil . 48, 16 ; 1 12 eod. fügt zu : vel ob .laetitiam aliquam vel honorem doraus divinae. In der Kaiserzeit aber kam sie nicht nur den gefesselten, sondern alien Angeklagten zu gu te , bis dann allmahlich zahlreiche Ausnahmen die Wi rkung der abolitio bedeutend beschrankten. Erteilt wurde sie zu Beginn der Kaiserzeit vom §enat, spater vom Kaiser, nie vom zustandigen Richter. — 2. Die a b o l i t i o e x l e g e (Julia de vi) war Aufhebung einer An-

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§ 119. 312 313- § 119-

klage durch den Riehter auf Ansuchen des Angeklagten wegen Todes des AnklSgers oder eines anderen Hinderungsgrundes für Fortführung der Klage: s. bes. 1 10 pr. Ü ad SC. Turp. 48, 16; 1 3 § 4 D de accus. 48, 2. — 3. Die a b o l i t i o p r i v a t a . Sie ruht auf dem SC. Turpilianum. Der Riehter oder der Kaiser gestattet einem Ankláger, der aus Versehen eine falsche Anklage erhoben hat, von dieser zurück-zutreten: s. bes. 1 2 C de abol. 9, 42. — Über die abolitio des rorai-schen Rechtes s. bes: A e m i l , H e r r m a n n u s , De abolitionibus cri-minum Lips. 1834; G e i b , Gesch. des rom. Kriminalprozesses S. 572 bis 576. 585—588; L ü d e r , Begnadigung S. 15—32; M o m m s e n , Rom. Strafr. S. 452 ff. — Über die abolitio paschalis s. auch L ü d e r , De abolitione paschali. Lips. 1867; L e s c h t s c h , Die abolitio paschalis. Diss. Leipzig 1904.

11. Der Gnadenakt ist, wo er nicht die Gestalt des Amnestie-gesetzes annimmt, nicht lex specialis — M o m m s e n a. a. O. S. 484 halt dies aber für die Auffassung des Romischen Rechts —, nicht Ausübung hochstrichterlicher Gewalt, — auf die Niederschlagung passt diese Auffassung gar nicht, und die Begnadigung im engeren Sinne deutet sie falsch, da eine Aufhebung des Strafurteils nicht stattfindet; nicht allerhochste Gunstbezeugung; nicht „ein Befehl, der eine Hand-lung oder Unterlassung zum Inhalt hat" (Laband III S. 484; Georg M e y e r - A n s c h ü t z , Staatsrecht S. 640) — ist diese Auffassung über-haupt schief, so passt sie schlechterdings nicht auf die gnadenweise Restitution —; nicht die „Ausserung eines jus eminens des Staates, welches weder durch Gesetz noch Richterspruch gebunden ist" ; end-lich „kein Veto gegen den Lauf von Gesetz und Recht" ( L a b a n d III S. 486) — denn solch absolutistisches Gebilde giebt es im Rechts-staate nicht! —, sondern einfacher R e c h t s v e r z i c h t (so auch E l s a s , M e r k e l , H e i m b e r g e r ) und, soweit die Restitution Platz greift, R e c h t s w i e d e r h e r s t e l l u n g , also stets p u b l i z i s t i s c h e s R e c h t s g e s c h a f t . Der Einwand von L a b a n d a, a. O. S. 484 Note 2, ich selbst lege dem Staat die Strafpflicht bei, und ein Ver-zicht auf eine Pflicht sei gewiss „ein hochst sonderbarer Verzicht", beruht auf einer Yerkennung der Tatsachen. Dass ein rechtskraftiges Strafurteil de lege lata die VoUstreckungspflicht begründet, ist jedem gelauíig, der unseren Strafprozess kennt. Das verurteilende Erkenntnis verurteilt trotz L a b a n d s Erstaunen S. 484 N. 2 in der Tat den Staat zum Strafvollzuge. Diese Strafvollstreckungspflicht ist resolutiv be-bedingt und kann durch Gnadenakt aufgehoben werden, Falls nam-lich Recht und Pflicht in demselben Subjekte zusammentreíFen, ist sehr wol denkbar, dass dem Berechtigten aus bestimmten Gründen für Ausnahmefalle der Verzicht auf das Recht vorbehalten bleibt, und dass der Verzicht dann auch die Pflicht zur Rechtsverwirklichung aufhebt. Es ist dies ein Mittel zur Korrektur der Gesetzeswirkungen, welches ja in mannígfachster Form zur Verwendung gelangt. Gegen L a b a n d s Vorwurf tritt auch H e i m b e r g e r Abolition S. 10 ein. Nur wenn jemand aus dem Rechte eines Dritten verpflichtet ist, wáre ein Verzicht auf die Pflicht „sonderbar", weil untunlich. Es hangt jener Einwand mit der ungenügenden Ausbildung des allgemeinen Teils der

Rechtswissenschaft zusammen, — Dieser Rechtsverzicht kann einen Befehl auslosen, ist selbst aber kein Befehl.

Dass jener Rechtsverzicht nur vom Berechtigten ausgehen kann, und dass dies heut, von den seltenen Fallen der Privatklage ab-gesehen, stets der Staat ist, darf nicht zu dem Glauben veranlassen, die Gnade sei überhaupt wesentlich ein Akt der Staats- und zwar der Justizverwaltung (die herrschende Ansicht, insbesondere geteilt von E l s a s , M e r k e l , L a b a n d, M e y e r - A n s c h ü t z , H e i m b e r g e r ) . Die Gnade ist auch gegenüber der Privatstrafe denkbar und dann kein Akt der Staatsverwaltung. Die Geschichte des deutschen Be-gnadigungsrechts zeigt einen relatiV sehr grossen Anteil des Einzelnen am Begnadigungsrecht, selbst nachdem die ofí'entliche Strafe die Privatstrafe abgelost hatte. Man denke nur an die Ledigung der oñ'entlichen Strafen mit Genehmigung des durch das Verbrechen BetroíFenen! Die Bezeichnung der Gnadengewalt ais eines Ausflusses der Souveránitat ist der richtigen Auffassung des Institutes zum Schaden ausgeschlagen!

Soweit aber die Gnade Akt des Staatsoberhauptes ist, bedarf sie ais ein Verwaltungsakt von ganz hervorragender Bedeutung und Trag-weite zweifellos der Gegenzeichnung durch den für sie verantwort-lichen Minister, Ganz schwach gegen dies. Erfordernis W a g e n e r , Preuss. Jahrbücher XC 1897 S. 311 ÍF.

III. Das Recht des Landesherrn zur sog. A b o l i t i o n im neueren Sinne, d. h. zur Niederschlagung des schon begonnenen und zur Hinderung des erst zu beginnenden Prozesses, war schon in manchen der neueren Verfassungsgesetze ganz beseitigt (so b a y r . V.-U. vom 26. Mai 1818 T. VIII § 4 und bad . V.-U. vom 22. August 1818 § 15; gerade umgekehrt s a c h s . V.-U. vom 4. September 1831 § 52, vgl. § 150; k o b u r g - g o t h . V. v. 3. Mai 1852 § 140, vgl. § 176; w a l d e c k . V. v. 17. Aug. 1852 § 12, vgl. § 66\ s c h a u m b . - l i p p . V. V. 17. Nov. 1868 Art. 10; R e u s s a. L., V. v. 28. Marz 1867 § 45; R e u s s j . L., V. v. 14. April 1852 § 7; o s t e r r e i c h . S t a a t s -g r u n d g e s e t z ü b e r d i e r i e h t e r 1. G e w a l t vom 21. Dezember 1867 A. 13; vgl. 5 s t e r r . S t r a f p r o z e s s o r d n u n g vom 23. Mai 1873 § 2), oder derart beschrankt, dass die Abolition nur erfolgen konnte auf Grund eines Gesetzes im konstitutionellcn Sinne ( p r e u s s . Verf,-U. vom 31. Januar 1850 A. 49 al. 3 : „Der Konig kann bereits eingeleitete Untersuchungen nur auf Grund eines besonderen Gesetzes niederschlagen" ^; eine Abolition durch Gesetz muss aber auch in B a y e r n und B a d é n ais zulassig angesehen werden), oder aber auf Befürwortung des Justizministeriums ( w ü r t t . V.-U. vom 25. Sept. 1819 § 97), oder aber nach eingeholtem Gutachten des Ober-Appellatlons-gerichtes ( b r a u n s c h w . N. Landsch.-Ordn. v. 12. Oktober 1832 § 208). — Wo die Abolition nicht solchergestalt eingeengt worden ist. musste man das Abolitionsrecht des Landesberrn bis zum Inkraft-

1 „Eingeleitet" ist die Untersuchung heute zweifellos schon mit EroÉFnung der Voruntersuchung. Ganz zu Unrecht dagegen H e i m b e r g e r a. a. O. S. 67 ft. Der kritische Zeitpunkt bestimmt sich heute nach Eeichsrecht, nicht nach früherem preussischen Sti-afprozessrecht.

k

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>í 119. 314

treten der Reichsjustizgesetze ais intakt anerkennen, obgleich sich vom Standpunkte des Akkusationsprozesses und der Rechte des Angeklagten darin schwere Bedeñken dagegen vorbringen liessen. (Dass die Ab-oHtion gegenüber Antragsverbrechen de lege ferenda zu beschranken sei — 80 allein verstehe ich G e y e r in HRLex. s. v. Begnadigung —, ist eine Behauptung, der ich mich nicht anschliessen kann: durch den Antrag wird lediglich die Verfolgungspflicht begründet, WÍQ sie es bei den Offizialverbrechen allein durch die Tat wird.)

„Uber die Abolition in der Praxis der deutschen Bundesstaaten" macht H e i m b e r g e r a. a. O. S. 71 ff. verdienstliche Mitteilungen. Am starksten wird von ihr in S a c h s e n - A l t e n b u r g Gebrauch ge-macht, besonders zu Gunsten von Schulkindern. Das grOsste Bedeñken erweckt die Abolition gegen Geld, das sog. Bezeigungsquantura, ira Konigreich Sachsen — ein Abkauf der Strafe!

Nun hat die Reichsgesetzgebung geflissentlich das Begnadigungs-recht der einzelnen deutschen Regierungen ganz unberührt lassen wollen. Sie war nicht verpflichtet, dies zu tun (so L a b a n d a. a. O. S. 487) 5 sie glaubte nur falschlich, es sei ratlicher. Vgl. darüber jetzt auch H e i m b e r g e r a. a. O. S. 13 íF. So ist nach geltendem Rechte zu unterscheiden:

1. Jeder Landesherr kann vor Begriindung des Prozessrechts-verhaltnisses laut GVG §§ 147. 148 durch bindende Anweisung an die Staatsanwaltschaft, die Klage nicht zu erheben, abolitioniren. Sehr unrichtig dagegen H e i m b e r g e r a. a. O. S. 83 ff.

2. Nach Begriindung des Prozessrechtsverhaltnisses kann ein Landesherr auch noch abolitioniren, wenn ihm nach Landesrecht ein Abolitionsrecht zusteht. RG HI v. f ^ - 1896 u. v. 12. Marz 1900; E XXVHI S. 419 ff.; XXXHI S. 204 ff Vgl. über das in den Einzel-staaten darüber geltende Recht H e i m b e r g e r S. 45 ff. In dieser Beziehung hat sich also eine bedauerliche Rechtsungleichheit befestigt. So wünschenswert es wftre, dieses Abolitionsrecht hüchstens bis zur Begriindung des Prozessrechtsverhaltnisses anerkannt zu sehen, so ist dies leider nicht Rechtens, und der Beweis, den E l s a s S. 89—99 zu fíihren unternimrat, e-s erlosche de lege lata mit dem Beschluss der Eroffnung des Hauptverfahrens, scheint mir leider misslungen. Auch die Ausftihrungen von v, K r i e s , Strafprozess S. 105. 106, dass eine Abolition wenigstens bei den d u r c h R e i c h s g e s e t z be-drohten Handlungen nicht mehr bestehe, deucht mir nur fiir die lex ferenda beachtlich. Gegen Fortdauer der Abolition auch J o h n , J a s t r o w , O r t l o f f und B e l i n g : Alie aus nicht stichhaltigen Gründen!

3. Die gleiche Wirkung wie die Abolition in den Staaten, worin sie zu Recht besteht, übt im ganzen Bereiche deutscher Straf-gerichtsbarkeit d i e g e s e t z l i c h z u l a s s i g e R ü c k n a h m e d e s S t r a f a n t r a g s b e i A n t r a g s v e r b r e c h e n . Seltsam! Die ener-gischsten Gegner der Abolition nehmen keinen Anstoss an diesem Akte, der ein staatliches Strafklagrecht vernichtet und den vielleicht ganz frivol Beschuldigten ausser Stand setzt, in der Hauptverhandlung

315 119.

seine Schuldlosigkeit zu erweisen. Kennt doch unser Strafprozess kein Recht des Angeklagten auf Urteil!

D i e s e R ü c k n a h m e i s t e i n Z w a n g z u m V e r z i c h t e d e s S t a a t e s a u f d i e D u r c h f ü h r u n g s e i n e s S t r a f a n s p r u c h s , also in alien Fallen, wo dem Staate nicht ein anderer Strafberechtigter beispringt, ein Z w a n g zu r A b o l i t i o n . Eine merkwürdige Umkehr des Verhaltnisses von „Souveran" und „Untertan": letzterer „befiehlt", ei'sterer „gehorcht" ! Auch bezüglich dieses Punktes erscheint mir die Polemik H e i m b e r g e r s a. a. O. S. 86 ff. auf reiner petitio principii zu- beruhen.

IV. Ü b e r d i e B e s c h r a n k u n g d e s l a n d e s h e r r 1. B e -g n a d i g u n g s r e c h t e s g e g e n ü b e r s t r a f b a r e n A m t s h a n d -l u n g e n d e r B e a m t e n , i n s b e s o n d e r e d e r M i n i s t e r , vgl. man z. B. p r e u s s . Verf. A. 49, 2 : „Zu Gunsten eines wegen seiner Amts-handlungen verurteilten Ministers kann dieses Recht (des Konigs, zu begnadigen) nur auf Antrag der Kammer ausgeübt werden, von welcher die Anklage ausgegangen ist" —; b a y r . G e s e t z , die Verantwortl. der Minister betr., vom 4. Juni 1848 A. 12: „Bezüglich der in A. 9 vorgesehenen Strafen wird der Künig von dem Rechte der Begnadigung keinen Gebrauch machen. — Die Rehabilitirung des Verurtheilten kann nur mit Zustimmung der Stande des Reiches erfolgen" —; sachs . Verf.-U. § 150: „Der Konig wird nicht nur die Untersuchung (beim Staatsgerichtshof) niemals hemmen, sondern auch das ihm zustehende Begnadigungsrecht nie dahin ausdehnen, dass ein vom Staatsgerichts-hofe in die Entfernung vom Amte verurtheilter Staatsdiener in seiner bisherigen Stelle gelassen oder in einem anderen Justiz- oder Staats-^ verwaltungsamt angestellt werde, dafern nicht in Rücksicht der Wieder-anstellung das Erkenntnis einen ausdrücklicben Vorbehalt zu gunsten des Verurtheilten enthalt." Diese Satzung ist fast wiirtlich entnommen der w ü r t t e m b . V.-U. A. 205. —Vgl . auch L ü d e r a. a. O. S. 69 bis 71 ff.; S a m u e l y , Ministerverantwortlichkeit S. 119 ff.

V. D a s S u b j e k t d e r G n a d e n g e w a l t im R e i c h . A. Das Reich übt auffalligerweise die Gewalt, die Anwendung

oder Durchführung der gemeinreQhtlichen Strafgesetze für den einzelnen Fall auf dem Wege der Gnade auszuschliessen, nicht aus, nicht einmal für die Beleidigungen des Kaisers und für Amtsverbrechen der Reichs-beamten! Weder der Bundesrat noch der Kaiser ist Inhaber so um-fassender Gnadengewalt. Wol aber musste dem Kaiser ein Recht der Begnadigung g e g e n ü b e r d e n S t r a f u r t e i l e n d e r d e u t s c h e n K o n s u 1 n schon vor dem Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juli 1879 § 42, das es ihm ausdrücklich gewahrt, zugeschrieben werden (s. jetzt das Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900 § 72), und unbezweifelt übt der Kaiser dasselbe gegenüber den U r t e i l e n d e r M a r i n e g e r i c h t e und a l l e r S t r a f g e r i ch te in E l s a s s - L o t h r i n g e n aus; s. Gesetz betr. die Verein. von Elsass-Lothringen mit dem Deutschen Reiche, vom 9. Juni 1871 § 3. — Es erklart sich dieser Mangel eines gemeinen Begnadigungsrechtes daraus, dass das Reich die Anwendung auch der gemeinen Strafgesetze in die Hande der einzelnen Staaten gelegt hat, denen dann auch das Be-

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§ n9. 316

gnadigungsrecht am natürlichsten verblieb. Ais das deutsche Gerichts-verfassungs - Gesetz v. 27. Jan. 1877 § 136 den Hochverrat und den Landesverrat gegen Kaiser und Reich an das Reichsgericht in erster und letzter Instanz verwies, zog die deutsche Strafprozessordnung v. I. Febr. 1877 § 484 nur die Konsequenz, w e n n s ie dem K a i s e r — a b e r n u r fü r d i e s e F a l l e und í ü r d i e m i t i h n e n a u f G r u n d d e r K o n n e x i t a t v o r d a s R e i c h s g e r i c h t g e z o g e n e n — ein Begnadigungsrecht zuschrieb. Dies Begnadigungsrecht muss aber dem Kaiser in alien Fallen zustehen, wo das Reichsgericht in erster Instanz ein Strafurteil findet (richtig E l s a s S. 63). — S e i t -dem n u n in d e n d e u t s c h e n Kolonieen d e u t s c h e G e r i c h t s -b a r k e i t e i n g e f ü h r t i s t , b e s i t z t d e r K a i s e r ein B e g n a d i g u n g s r e c h t a u c h g e g e n ü b e r den S t r a f u r t e i l e n d e r K o l o n i a l g e r i c h t e . S. Ges., betr. die Rechtsverhaltnisse der deutschen Schutzgebiete, v. 17. April 1886 § 2; Schutzgebietsgesetz, Fass. V. 10. Sept. 1901, § 3.

E i n A b o l i t i o n s r e c h t i s t a b e r dem K a i s e r w e d e r in d i e s e n n o c h in a n d e r e n F a l l e n e i n g e r a u m t . P § 484 sagt: ,,In Sachen, in denen das Reichsgericht in erster Instanz erkaniit hat , steht das Begnadigungsrecht dem Kaiser zu." S. a u c h L o w e , StrPrO, I I . Aufl. S. 26. Dagegen behaupten E l s a s S 70 u. 71, H a n c k e 3. a. O. S. 443, L a b a n d III S, 490/1, sowie H e i m b e r g e r a. a. O. S. 61 íf., der Kaiser besitze für Elsass-Lothringen ein Abolitionsrecht. Das Reich sei namlich eingetreten in den durch das Sénatusconsulte vom 25. déc. 1852 art. l " (L'empereur a le droit de faire gráce et d'accorder d'amnistie) geschaffenen Rechtszustand. Die amnistié umfasse aber auch die Abolition, freilich nicht für den Einzelfall, wol aber die Gruppen-Abolition: sie auszutiben sei nach dem Gesetz v. 9. Juni 1871 der deutsche Kaiser berufen.

Ich vermag dieser Ansicht nicht beizupflichten. Das hochst-person-liche kaiserlich-franzosische Abolitionsrecht bestand nicht mehr, ais das Deutsche Reich mit der damals zweifellos schon legitimirten Re-publik sainen Frieden abschloss. Gegen diese meine Ansicht neuer-dings auch H e i m b e r g e r a. a. O. S. 61. Es spielt hier eine staats-rechtlich ausserordentlich interesfeante und schwierige Frage herein. Lasst bei gewaltsamer Anderung der Staatsverfassung die geflissent-liche Beseitigung der monarchischen Form den bisherigen Inhalt der Staatsgewalt ganz unverandert, und fehlt für die bisherigen monarchischen Rechte vielleicht nur zur Zeit der Trager, oder kann die Beseitigung des Monarchen durch neue Gewalthaber auch eine teilweise stillschweigende Ablehnung des Eintritts in seine Rechte bedeuten? Dass die Republik das kaiserliche Abolitionsrecht aufzunehmen ge-willt war, ist mir an sich schon zweifelhaft und wird es mir noch mehr durch das franz. Gesetz v. 17. Juni 1871, welches für alie Amnestieen die gesetzliche Form verlangte. So fehlt mir der Beweis für die Fortdauer des auf die kaiserliche Machtstellung zugeschnittenen kaiserlichen Amnestie-Rechts über das Ende des Kaisertums hinaus.

B. Abgesehen von diesem kaiserlichen Begnadigungsrechte s i n d d i e d e u t s c h e n L a n d e s h e r r é n u n d d i e S e n a t e v o n H a m -

317 § 119.

b u r g , B r e r a e n u n d L ü b e c k a l l e i n i g e i n h a b e r d e r B e g n a -d i g u n g s g e w a l t . Sie üben eine i h n e n n i c h t ü b e r t r a g e n e , a b e r i h n e n g e g e n ü b e r d e n g e m e i n e n S t r a f g e s e t z e n v o m R e i c h b e l a s s e n e G n a d e n g e w a l t .

V L . U n i f a n g des B e g n a d i g u n g s r e c l i t e s ujid d e r W i r -k u n g d e s G n a d e n a k t e s .

1. Über den Umfang des Begnadigungsrechtes der einzelnen Landesherren herrscht Streit. H e i n z e , Erort. z. Entw. e. nordd. StrGBs S. 70 fF., vgl. dessen Strafproz. Erorterungen (Stuttgart 1875) S. 120 íT., ist der Meinung, „die Reichsgesetzgebung (habe) die Zahl der Falle vervielfaltigt, in welchen jeder deutsche Staat die Strafe zu erlassen berechtigt ist" . . .; denn „jedes im RStrGB bedrohte Ver- c brechen (kann) in jedem Stadium von jedem deutschen Einzelstaat rechtsgültig erlassen werden". Dieser Ansicht ist nicht beizupflichten. Die Abolition bedeutet Aufhebung der Strafverfolgungspflicht, Be-gnadigung im e. S. Aufhebung der durch Urteil begründeten Straf-pflicht. Wollte nun ein deutscher Landesherr die Strafpflicht eines anderen Staates aufheben, so ware dies ein ganz unberechtigter Ein-griíF in dessen Staatsgewalt. Es k a n n a l s o d u r c h G n a d e n a k t . e i n e s S t a a t e s n u r d i e fü r d i e s e n be s t e h e n d e S t r a f v e r f o l -g u n g s - u n d d i e d u r c h s e i n e G e r i c h t e für i h n b e g r ü n d e t e S t r a f p f l i c h t a u f g e h o b e n w e r d e n , Und zwar ist hier lediglich massgebend, welchem Staate das E r s t i n s t a n z g e r i c h t angehort, das in der Sache sprechen soUte oder gesprochen hat.

Energischer Zurückweisung bedarf die Ansicht H e i m b e r g e r s a. a. O. S. 89 ff., der Gliedstaat des begangenen Verbrechens sei prin-zipiell der allein strafberechtigte Staat, dem auch allein das Abolitionsrecht zustehen konne. Das gemeine Recht kennt glücklicherweise das Territorial-Prinzip überhaupt nicht, und für sein internationales Straf-recht kommt die Gliederung des Reichs in Staaten gar nicht in Be-tracht!

2. Die Begnadigung durch den Landesfürsten des Staates, dessen Gerichte geurteilt haben, wirkt in Strafsachen nach Reichs-recht für ganz Deutschland; denn durch rechtskraftiges Strafurteil in einem Bundesstaate ist der Strafanspruch anderer Bundesstaaten aus demselben Verbrechen konsumirt. Dass kein Staat die in einem anderen verurteilten Delinquenten begnadigen konne, erkennt die ReichvSgesetzgebung an zwei Stellen ausdrücklich an: s. den V e r -t r a g zw. dem N o r d d . B u n d e , B a y e r n , W ü r t t e m b e r g , B a d é n u n d H e s s e n , die Fortdauer des ZoUvereins betr,, v. 8. Juli 1867 A. 18 (RGBl. S. 102), durch die Reichsverfassung bestatigt: „Da8 Begnadigungs- . . . Recht bleibt jedem Vereinsstaate in s e i n e m G e -b i e t e vorbehalten," — und G e s e t z , b e t r . d ie S i c h e r u n g d e r Z o l l v e r e i n s g e s e t z e , v, 1. Juli 1869 A, 15 (RGBl. S. 373): „Das Begnadigungs- . , . Recht verbleibt dem Staate, von dessen Behorden die Strafe erkannt ist." Nichts steht im Wege, diese Bestimmungen per analogiam auf das ganze Gebiet der Begnadigung auszudehnen.

Wenn also der Fürst dieses Staates, sofern er ein Abolitionsrecht noch besitzt, den bei seinem Gericht anhangig gewordenen Prozess

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§ 119. 318

abolitionirt hat, nachdem der Prozess schon an das Reichsgericht ge-diehen ist, so muss das Reichsgericht einstellen. Denn ein eigentüm-liches Klagrecht des Reichs besteht in solchem Falle gar nicht, nur ein solches des Einzelstaates. Ist darauf rechtzeitig verzrchtet, so ist damit eine unentbehrliche Prozessvoraussetzung akkusatorischen Ver-fahrens weggefallen: ohne Klage kann ein Prozess so wenig laufen wie ein Mensch ohne Beine. Fasst man die Abolition freilich falsch-lich ais einen „Befehr', dann kann natürlich der Fürst von Dessau dem Reichsgericht nicht befehlen. Es war zu bedauern, dass RG III v. ^ ^ 1896 (E XXVIII. S. 419 ff.) vollstandig d i e L a b a n d i s c h e Begnadigungstheorie angenomraen hatte, welche weder den strafrecht-lichen noch den strafprozessualen Anschauungen der Gegenwart ge-nügend Rechnung zu tragen weiss. Um so erfreulicher ist és, zu sehen, dass neuerdings derselbe Senat in Übereinstimmung mit einem trefflich motivirten Antrag des Oberreichsanwaltes sich durchaus der richtigen Ansicht angeschlossen hat. S. RG III v. 12. Marz 1900 (E XXXIII S. 204 ff.)- Dagegen natürlich L a b a n d , a. a. O. III S. 495; M e y e r - A n s c h ü t z S. 639 N 16. Richtig H e i m b e r g e r , a. a. O., bes. S. 114 ff.

3. Eigentümliche Schwierigkeiten für die Handhabung der Gnadengewalt erzeugt GB § 79 für die Falle der nachtráglich fest-gesetzten Gesamtstrafe, falls Gerichte verschiedener deutscher Staaten gurteilt haben. Dass die Gnadengewalt dann ganz auf den Landes-herrn des vollstreckenden Staates übergehe, lasst sich nicht behaupten.

VIL Sehr bemerkenswert ist eine Bewegung auf dem Gebiete des Begnadigungsrechts, die dahin geht, den bewahrten Gedanken, dass die gute Führung des Straflings ihm eine Anwartschaft auf Be-gnadigung gebe, dahin auszubauen, da^s schon die gute Führung des Verurteilten vor Beginn des StrafvoUzugs ihm solche Gnade ver^ schaffen konne. Ganz besonders solí jugendlichen Delinquenten, die wesentlich aus Leichtsinn verbrochen, zunachst dieser gnadenweise Strafaufschub, dann eventuell bel guter Führung die Begnadigung selbst zu Teil werden. D i e s e B e w e g u n g , d i e d a z u f ü h r e n s o l í , d i e Z a h l d e r e r zu m i n d e r n , d i e m i t dem M a k e l e i n e r e r l i t t e n e n S t r a f e b e h a f t e t d u r c h s L e b e n g e h e n , i s t g e s u n d u n d m i t F r e u d e zu b e g r ü s s e n ^ .

1 Die Bemerkung wider die bedingte V e r u r t e i l u n g in meinen Noiinen I 2. Aufl. S. 417 Note 4 halte ich durchaus aufrecht. Ein Gresinnungswechsel in dieser Beziehung, wie v. L i s z t , Z f. StrRW XVIII S. 231, ihn mir zuschreibt, hat sich bei mir nicht vollzogen. Ich bin fes ter wie j e von der v o l l i g e n V e r w e r f l i c h e i t der b e d m g t e n V e r u r t e i l u n g ü b e r z e u g t . Ich würde es bleiben, auch wenn nicht die angeblich glánzenden belgischen Erfahrungen sich bei náherem Zusehen in Nichts verflüchtigten, sogar ins Gegenteil ver-kehrten (s. W a c h , DJZ IV S. 117 flf.)- Auch O e t k e r s beachtlicher Versucia, sie zu retten (Z f. StrEW XVII 1897 S. 567 ff.) kann mich nicht bekehren. Ihre drei Hauptnachteile liegen m. E. 1. in der d u r c h sie b e w i r k t e n , s e h r b e -d e n k l i c h e n D i s k r e d i t i r u n g der A u t o r i t á t der S t r a f g e s e t z e . Ein Delikt mit Strafe bedrohen und der Begehung nicht mit der Strafe, sondern wiederum mit einer Strafdrohung zu antworten, halte ich für schwáchlicher, ais erlaubt: der Staat macht sich. lácherlich. 2. In dem durch sie z w e i f e l l o s

319 § 119.

Eine ganze Anzahl deutscher Staaten hat neuerdings dahingehende Verordnungen erlassen^. Den Vortritt nahm das K O n i g r e i c h S a c h s e n in einer nicht publizirten, sondern nur den Land- und Amtsgerichten, sowie den Staats und Amtsanwaltschaften bei Beiden insinuirten, aber mit KOniglicher Genehmigung erlassenen, sehr ausführlichen Verfügung des Justizministeriums, dat. Dresden, am 25. Marz 1895 (dieselbe ist nicht diplomatisch genau, aber freí von grOberen Fehlern abgedruckt in den Mitteil. der Intern. krim. Verein. V S. 529 ff.). Vgl. über sie B i r k m e y e r , Mecklenburg. Zeitschr. f. Rechtspflege XIV S. 158 ff.

Ziir Veranschaulicbung folgen die weit kürzeren p r e u s s i s c h e n , b a y r i s c h e n und w ü r t t e m b e r g i s c h e n Verordnungen, die alie drei publizirt sind:

1. P r e u s s e n . A l l e r h . E r l a s s v. 23. Okt. 1895 (JMBl 1895 S. 348): „Auf Ihren Bericht vom 15. Oktober d. J. ermáchtige Ich Sie, solcheu zu

Freiheitsstrafen verurtheilten Personen, hinsichtlich deren bei lángerer guter Führung eine Begnadigung in Aussicht genommen werden kann, nach Ihrem Er-messen Aussetzung der Strafvollstreckung zu bewilligen, indem Ich in den dazu

feeigneten Fallen demnáchst Ihrem Bericht wegeu Erlassung oder Milderung er Strafe entgegensehen will. Von dieser Ermáchtigung solí jedoch vornehm-

lich nur zu Gunsten solcher erstmalig verurtheilter Personen Gebrauch gemacht werden, welche zur Zeit der That das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet hatten und gegen welche nicht auf eine lángere, ais sechsmouatige Strafe er-kaunt ist. Neues Palais, den 23. Oktober 1895. Wilhelm. ggez. Schonstedt.

An den Justizminister."

e r s c h ü t t e r t e n G l a u b e n an des S t a a t e s G e r e c h t i g k e i t . Was solí der roh Misshandelte denken, der-selbst die Privatklage angestreugt hat und nun eine bedingte Verurteilung. erzielt? Der Staat erklárt ihm, das Genugtuungs-bedürfnis des Opfers der Widerrechtlichkeit gelte ihm von Rechtswegen pro nihilo: denn das Loos des Delinquenten — dieses Schoosskindes moderner Sentimentalitát! — stehe ihm hoher. Liegt es dem Verletzten dann nicht nahe genug, sich selbst zu helfen, und steht dann die materielle Gerechtigkeit nicht m der Tat auf seiner Seite ? 3. In der d u r c h s ie b e w i r k t e n g r o s s e n Gefahr e iner sehr há s s l i chen B e v o r z u g u n g der be s se ren S tánde in der R e c h t s p r e c h u n g . Diese Bevorzugung wird natürlich ganz unbeab-sichtigt geübt werden — aber ausbleiben wird sie nicht, und jedenfalls der Glaube an sie nicht! Auf naheliegende Moglichkeiten mijchte ich lieber nicht hinweisen!

Ich muss Al l fe ld , Der bedingte Straferlass, bes. S. 14 ff., durchaus Reeht geben, dass die bedingte Verurteilung einen eklatanten Widerspruch in sich selbst enthált, da das Gericht in demselben Atemzuge verurteilt und begnadigt. An der Gnade aber solí das Gericht schlechterdings keinen Anteil haben.

Desshalb bin ich auch gegen W a c h s Vorschlag, das Gericht solle nur die Z u l á s s i g k e i t des S t r a f a u f s c h u b e s aussprechen (DJZ VII S. 160). Die Analogieen, die W a c h anzieht, sind m. E. keine. Auch nach diesem Vorschlag bricht das Gericht seinem Urteil das Rückgrat!

So wünsche ich dringend, dass wir die Verwerflichkeit der Massregel er-kennen, bevor sie bei uns praktisch geworden, und bevor wir durch bittere Er-fahningen in unserer eigenen Justiz darüber belehrt worden sind! Für eine reichsrechtliche Regelung der bedingten Begnadigung aber trete auch ich ein!

' Es sind zur Zeit alie Staaten ausser W e i m a r , M e c k l e n b u r g - S t r e l i t z , B r a u n s c h w e i g , A l t e n b u r g und b e i d e n R e u s s . — Über den gnaden-weisen Strafaufschub seitens der Kolonial-Gouverneure s. Verordn. v. 9. Nov. 1900 § 12.

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§ 119. 320

2. B a y e r n. Verfüguug des Justizminisíeriums (JMBl f. d. K. Bayern 1896 S. 71):

„Im Ñamen Seiner Majestát des Konigs. Seine K. Hoheit Prinz L u i t p o l d , Des KSnigreichs Bayern Verweser, habeu

mit Allerhochster Entschliessung vom 15. Januar 1896 Ailergnádigst geruht, das K. Staatsministerium der Justiz zu beauftragen:

I. Im Strafverfahren Verurteilten, welche eine Freiheitsstrafe zu erstehen haben und bezüglich deren mit Eücksicht auf ihre personlichen Verháltnisse und die ümstáude der Strafthat bei lángerem Wohlverhalten der Erlass oder eine Milderung der Strafe inaussicht geuommen werden kaun, in widerruf licher Weise einen Auíschub der Strafvollstreckung zu bewilligen und nach Ablauf der Probe-frist, wenn der Verurteilte eine gute Führung gepflogen hat, wegen etwaiger Begnadigung desselben Allerunterthánigsten Bericht zu erstatten, von dieser Ermáchtigung jedoch regelmássig nur Gebrauch zu machen, wenn die erkannte Strafe drei Monate nicht übersteigt und der Verurteilte bei Begehung der straf-baren Handlung das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet, auch noch keine Freiheitsstrafe erlitten hatte;

II. die zum Vollzuge gegenwártiger Entschliessung erforderlichen weiteren Anordnungen zu treffen.

M ü n c h e n , den 24. Márz 1896. Dr. F r h r . v. Leon rod . " Dazu die Vollzugsverordnung v. 24. Márz 1896 S. 72 ff.

3. W ü r t t e m b e r g . Verfügung des Justizministeriums vom 26. Februar 1896, betr. die Ertheilung von Strafaufschub mit der Aussicht auf Begnadigung nach Ablauf der Probezeit. (Amtsbl. des JM. 1896 S. 23 íF.)

„Unter dem 24. Februar d. J. haben S e i n e M a j e s t á t d e r K o n i g folgenden Allerhochsten Erlass an den Justizminister ailergnádigst zu richten geruht:

„Es ist Mein Wille, demjenigen Theil der Jugend, welcher sich nur aus Unbesonneuheit und Unerfahrenheit zu einer minder schweren Verfehlung wider das Strafgesetz hat verleiten lassen, im Besonderen Meine Konigliche Gnade zuzuwenden, jedoch für die Regel nicht in der Art, dass sofort die erkannte Strafe nachgelassen wurde, vielmehr versuchsweise so, dass dem von einem bürgerlichen Gericht rechtskráftig Verurtheilten zunáchst im Falle seines Ein-verstándnisses ein stets widerruflicher Strafaufschub von dem Justizministerium

f ewáhrt und erst spáter, nach Umfluss einer angemessenen Probezeit, bei guter ührung Strafnachlass oder Strafminderung von Mir verfügt wird.

Voraussetzung einer splchen Gnadenerweisung ist insbesondere, dass der Verurtheüte zur Zeit der That das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, dass er nicht früher schon eine Freiheitsstrafe erstanden hatte, und dass die ihm nunmehr zuerkannte Freiheitsstrafe die Dauer von drei Mouaten nicht über^ schreitet. Doch kann trotz des Fehlens der kaum erwáhnten Voraussetzungen ausnahmsweise, wenn sich der Fall sonst b.esonders hiezu eignet, Strafaufschub mit der Aussicht auf spáteren Strafnachlass oder spátere Strafmilderung gewáhrt werden.

Mein Justizminister hat hienach die entsprechenden Anordnungen zu treffen und Mir die geeigneten Falle jeweils nach Ablauf der Probezeit zur Entschliessung über die etwaige gnadenweise Gewáhrung des Nachlasses oder der Milderung der Strafe vorzulegen."

Darán schliesst sich eine lángere AV des JM., S. 24—27.

In einer Denkschrift des Reichskanzlers an den Reichstag aus dem Februar 1903 wird dem Reichstage mitgeteilt, dass „bezüglich des bedingten Strafaufschubes" in den deutschen Bundesstaaten folgende Grundsatze ais zwischen ihnen vereinbart vom 1. Januar 1903 an in Kraft getreten seien:

1. Von dem bedingten Strafaufschube solí vorzugsweise zu Gunsten soleher Verurtheilten Gebrauch gemacht werden, welche zur

321 § 119.

Zeit der That das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet hatten.

2. Gegenüber Personen, die früher bereits zu Freiheitsstrafen ver-urtheilt sind und die Strafe ganz oder theilweise verbüsst haben, solí der bedingte Strafaufschub nur in besonderen Fallen Platz greifen.

3. Die Hohe der erkannten Freiheitsstrafe solí die Gewáhrung des bedingten Strafaufschubs nicht grundsatzlich ausschliessen.

4. Über die Bewilligung des bedingten Strafaufschubs ist eine Ausserung des erkennenden Gerichts herbeizuführen.

5. Die Bowahrungsfrist solí auf weniger ais die Dauer der Ver-jahrungsfrist , und zwar bei Strafen, die in zwei Jahren ver-jahren, raindestens auf ein Jahr , bei Strafen, die einer langeren Verjíihrung unterliegen, auf mindestens zwei J ah re bemessen werden.

Mecklenburg-Strelitz und Reuss Altere wie Jüngere Linie haben sich diesen Verabredungen noch immer nicht angeschlossen.

s( Ciib^kl'íD 3 B i n d i n g , Strafrecht. Glrundriss. 7, Aufl.

UNIVERSIDAD DE SALAMANCA

6401976552

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