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8 Biodiversität und Geosimulation eine Methoden- diskussion am Beispiel der GIS-Tools InVEST und Land Change Modeler for Ecological Sustainability Angela HOF Dieser Beitrag wurde nach Begutachtung durch das Programmkomitee als „reviewed paper“ angenommen. Zusammenfassung Der Beitrag vergleicht die Biodiversitätsmodellierung mit Geosimulationssoftware für den operationellen GIS-Einsatz. Dieser Vergleich wird anhand einer landschaftsökologischen Fragestellung mit den GIS-Software-Tools InVEST und Land Change Modeler for Ecolo- gical Sustainability dargestellt. Im Fokus steht einerseits die den GIS-Software-Tools zu- grunde liegende Biodiversitätskonzeption, und andererseits die Frage, welche generischen raumbezogenen Informationen zur Biodiversität diese GIS-Tools liefern. 1 Einleitung Biodiversität ist biologische Vielfalt auf drei Ebenen: genetische Variabilität, Artenvielfalt (Artenreichtum) und Vielfalt an Lebensgemeinschaften und Ökosystemen im Raum (vgl. HOBOHM 2000). Biodiversitätsschwund auf Artebene ist häufig eine Folge verringerter Ökosystemvielfalt. Vor dem Hintergrund beschleunigter Landschaftsveränderungen besteht aktueller Forschungsbedarf, die Zusammenhänge zwischen Biodiversität, Ökosystemfunk- tionen und Ökosystemdienstleistungen durch Dauerbeobachtung (Monitoring), Modellie- rung und Szenariotechnik zu identifizieren (vgl. HAINES-YOUNG 2009). Damit ist Geosimu- lation als Methode angesprochen, die MANDL (2000) definiert als die computergestützte Modellierung geographischer Prozesse und die Dynamisierung statischer räumlicher Mo- dellierung, die auf Prognose- und Problemlösungskapazitäten von GIS-Modellen abzielt. 1.1 Analysebedarf zum Zusammenhang von Biodiversität, Ökosystem- dienstleistungen und Landschaftsveränderungen Ökosystemdienstleistungen (ecosystem goods and services) finden als Konzept nicht nur in der Nachhaltigkeitsdebatte, sondern auch in der Landschaftsanalyse und -planung immer mehr Anwendung. Das integrative, fachübergreifende Konzept bietet eine Systematik zur Erfassung und Bewertung der Bedeutung von Ökosystemdienstleistungen für das menschli- che Wohlergehen. Die Biodiversität wird als Eigenschaft von Ökosystemen und nicht als Ökosystemdienstleistung per se aufgefasst, denn sie ist auf anderen räumlichen und zeitli- chen Skalen wirksam. Die aktuelle Diskussion zeigt, dass die Zusammenhänge zwischen Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen noch weitgehend unbekannt sind (vgl. HAI- Strobl, J., Blaschke, T. & Griesebner, G. (Hrsg.) (2012): Angewandte Geoinformatik 2012. © Herbert Wichmann Verlag, VDE VERLAG GMBH, Berlin/Offenbach. ISBN 978-3-87907-520-1.

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Biodiversität und Geosimulation − eine Methoden-diskussion am Beispiel der GIS-Tools InVEST und Land Change Modeler for Ecological Sustainability

Angela HOF

Dieser Beitrag wurde nach Begutachtung durch das Programmkomitee als „reviewed paper“ angenommen.

Zusammenfassung

Der Beitrag vergleicht die Biodiversitätsmodellierung mit Geosimulationssoftware für den operationellen GIS-Einsatz. Dieser Vergleich wird anhand einer landschaftsökologischen Fragestellung mit den GIS-Software-Tools InVEST und Land Change Modeler for Ecolo-gical Sustainability dargestellt. Im Fokus steht einerseits die den GIS-Software-Tools zu-grunde liegende Biodiversitätskonzeption, und andererseits die Frage, welche generischen raumbezogenen Informationen zur Biodiversität diese GIS-Tools liefern.

1 Einleitung

Biodiversität ist biologische Vielfalt auf drei Ebenen: genetische Variabilität, Artenvielfalt (Artenreichtum) und Vielfalt an Lebensgemeinschaften und Ökosystemen im Raum (vgl. HOBOHM 2000). Biodiversitätsschwund auf Artebene ist häufig eine Folge verringerter Ökosystemvielfalt. Vor dem Hintergrund beschleunigter Landschaftsveränderungen besteht aktueller Forschungsbedarf, die Zusammenhänge zwischen Biodiversität, Ökosystemfunk-tionen und Ökosystemdienstleistungen durch Dauerbeobachtung (Monitoring), Modellie-rung und Szenariotechnik zu identifizieren (vgl. HAINES-YOUNG 2009). Damit ist Geosimu-lation als Methode angesprochen, die MANDL (2000) definiert als die computergestützte Modellierung geographischer Prozesse und die Dynamisierung statischer räumlicher Mo-dellierung, die auf Prognose- und Problemlösungskapazitäten von GIS-Modellen abzielt.

1.1 Analysebedarf zum Zusammenhang von Biodiversität, Ökosystem-dienstleistungen und Landschaftsveränderungen

Ökosystemdienstleistungen (ecosystem goods and services) finden als Konzept nicht nur in der Nachhaltigkeitsdebatte, sondern auch in der Landschaftsanalyse und -planung immer mehr Anwendung. Das integrative, fachübergreifende Konzept bietet eine Systematik zur Erfassung und Bewertung der Bedeutung von Ökosystemdienstleistungen für das menschli-che Wohlergehen. Die Biodiversität wird als Eigenschaft von Ökosystemen und nicht als Ökosystemdienstleistung per se aufgefasst, denn sie ist auf anderen räumlichen und zeitli-chen Skalen wirksam. Die aktuelle Diskussion zeigt, dass die Zusammenhänge zwischen Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen noch weitgehend unbekannt sind (vgl. HAI-

Strobl, J., Blaschke, T. & Griesebner, G. (Hrsg.) (2012): Angewandte Geoinformatik 2012. © Herbert Wichmann Verlag, VDE VERLAG GMBH, Berlin/Offenbach. ISBN 978-3-87907-520-1.

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NES-YOUNG & POTSCHIN 2010). Modellierung und Szenariotechnik gelten als zentrale Methoden zur Erforschung dieser Zusammenhänge, wenngleich eine begrenzte Datenver-fügbarkeit die Anwendbarkeit häufig einschränkt (vgl. HAINES-YOUNG 2009). Beide hier vorgestellten GIS-Tools analysieren die Wechselwirkungen zwischen Landschaftsverände-rungen und Biodiversität auf der Grundlage flächendeckend vorhandener Geodaten.

1.2 Methodendiskussion der Geosimulation mit GIS-Software-Tools

Wie das gleichnamige Modul in Idrisi-GIS bietet die proprietäre ArcGIS 9.2/9.3 Erweite-rung „Land Change Modeler for Ecological Sustainability“ aus dem Hause Clark Labs Funktionalitäten zur Analyse und Vorhersage von Landschaftsveränderungen und orientiert sich am spezifischen Analysebedarf zum Biodiversitätsschutz (EASTMAN 2009; EBER-HARDT 2010). InVEST 2.2.0 (Integrated Valuation of Environmental Services and Tra-deoffs) bietet eine umfangreiche Sammlung von open source Tools zur Kartierung und Bewertung von Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen (TALLIS et al. 2011). Die Py-thon-Skripttools von InVEST 2.2.0 laufen in der ArcGIS 9.3/10-ArcToolbox-Umgebung mit der Spatial Analyst-Erweiterung. Die Weiterentwicklung des Land Change Modeler integriert InVEST-Tools zu einer neuen Decision Support Software für Landmanagement (CLARK LABS 2011). Bevor diese zur Verfügung steht, lohnt ein Blick auf die Analysemög-lichkeiten und -defizite der aktuell verfügbaren Versionen. Methodisch unterscheiden sich die beiden Geosimulationsansätze dahin gehend, dass Land Change Modeler räumlich explizite und implizite Biodiversitätsmaße berechnet und InVEST explorative Funktionali-täten zur Biodiversitätsmodellierung beinhaltet.

1.3 Methodendiskussion auf Grundlage einer Fallstudie

Die Geosimulation der Biodiversität wird an einem Fallbeispiel dargestellt. Untersucht werden Landnutzungsdaten im Maßstab 1:50.000 vor (1956), bei beginnender (1973) und bei aktueller (2006) touristischer Inwertsetzung im Südwesten der Baleareninsel Mallorca (vgl. GIST 2010). Der Untersuchungsraum umfasst Natura 2000-Schutzgebiete und das nördlichste Verbreitungsgebiet einer im gesamten Mittelmeerraum gefährdeten Schildkrö-tenart (Testudo graeca). Die Verbreitungsgebiete der Art (1×1-km-Fundraster) sind für nahezu dieselben Zeitschnitte (1979 und 2007) wie die Landschaftsveränderungen doku-mentiert (GOVERN DE LES ILLES BALEARS 2009; LÓPEZ-JURADO et al. 1979). Die Habitat-ansprüche dieser Art sind exemplarisch für eine enge Bindung wenig mobiler Tierarten an traditionelle Vegetations- und Nutzungstypen, deren Schutz Inhalt europäischer Direktiven und Agrar-Umweltprogramme ist (vgl. ANADÓN et al. 2006).

2 Material und Methoden

2.1 Biodiversitätsmodellierung und Analysen zu Landschafts- veränderungen mit Land Change Modeler

Land Change Modeler (LCM) bietet Funktionalitäten zur Flächenbilanzierung für zwei Zeitschnitte der Landschaftsveränderung. Der Biodiversity Analysis Aufgabenbereich dient der Berechnung von Biodiversitätsmaßen anhand von Landnutzungsdaten und Verbrei-

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tungsgebieten einer oder mehrerer Arten. Als Eingangsdaten werden Polygondatensätze oder Vektor- und Raster- group files (Idrisi Datenformat) der Verbreitungsgebiete unter-stützt. Folgende Biodiversitätsmaße wurden mit den Verbreitungsgebieten von 1979 und 2007 und den Landnutzungsdaten von 1973 und 2006 berechnet und als Rasterdaten (Idrisi *.rst Format) ausgegeben. In [Klammern] werden im Vergleich zur einschlägigen Literatur (vgl. HOBOHM 2000) Besonderheiten bzw. Abweichungen der Biodiversitätskonzeption mit LCM herausgestellt:

Alpha-Diversität: Artenreichtum (hier absolute Artenzahl) je Rasterzelle, räumlich expliziter Index [nicht die Artenvielfalt innerhalb einer Lebensgemeinschaft]

Gamma-Diversität: Artenreichtum (hier Gesamtartenzahl) einer Raumeinheit (z. B. Biotoptypenklasse), räumlich impliziter Index

Beta-Diversität: Quotient aus Artenreichtum (Gamma-Diversität) und mittlerer Alpha-Diversität einer Raumeinheit (z. B. Biotoptypenklasse), räumlich impliziter Index nach WHITTAKER (1972), der den Wechsel des Artenreichtums zwischen Raumeinheiten ab-bildet [nicht Wechsel von Artenzusammensetzungen entlang ökologischer Gradienten]

Da nur eine Art betrachtet wird, ist die Sörensen-Dissimilarität aussagelos und der range restriction index bei der Größe des Untersuchungsgebiets (264 km²) und der Verbreitungs-gebiete (90 km² bzw. 40 km²) nicht definiert (vgl. EASTMAN 2009).

2.2 Biodiversitätsmodellierung mit InVEST 2.2.0

Die InVEST Biodiversity Toolbox bietet theoretisch fundierte, aber relativ einfache Model-le für die Geosimulation (TALLIS et al. 2011). InVEST generiert zwei zentrale raumbezoge-ne Informationen als Indikatoren der Biodiversität: Habitatqualität und Habitatseltenheit (vgl. Abb. 1). Die Habitatqualität zeigt an, für welche Landnutzungsklassen die Biodiversi-tät als einigermaßen intakt angesprochen werden kann. Die Habitatseltenheit ist ein Maß für die Gefährdung der Biodiversität und ist umso höher, je geringere Flächenanteile die jewei-lige Landnutzungsklasse im Vergleich zum Referenzzustand einnimmt.

Die Geosimulation in ihrer dynamischen, prozessualen Dimension (vgl. MANDL 2000) wird bei der Modellierung der Habitatqualität eingesetzt (Abb. 1). Die geographischen Eingabe-daten zu Landnutzung und Gefährdung der Biodiversität werden mit Eingabeparametern gewichtet verknüpft und iterativ zu einem additiven Gefährdungswert verarbeitet. Der Ras-terwert für die Gefährdung der Biodiversität wird durch eine half saturation function in den Habitatqualitätswert transformiert. Die benutzerdefinierte half-saturation constant (k) wird für jedes Untersuchungsgebiet empirisch aus dem Maximum der Habitatdegradationswerte errechnet und dient der Modellkalibrierung (vgl. TALLIS et al. 2011). Landnutzung, Gefähr-dungsquellen und Zugänglichkeit sind variable geographische Eingabedaten. Zugänglich-keit wird über einen Polygondatensatz repräsentiert, dessen Attributtabelle den relativen Schutz gegenüber Gefährdungen angibt. Durch die variablen Eingabeparameter (gewichtete Gefährdung, Raumwirksamkeit, Habitateignung und -sensitivität gegenüber Gefährdungen, Zugänglichkeit) werden die Wechselwirkungen zwischen Biodiversität, driving forces und Landschaftsveränderungen prozessual modelliert.

Die Habitatseltenheit berechnet InVEST aus aktueller oder prognostizierter Landnutzung im Vergleich zu einem Referenzzustand. Je seltener die Landnutzungsklasse, desto wichti-ger ist sie für den Schutz der Biodiversität und desto höher der Index (Rj). Die allgemeine

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Habitatseltenheit wird für jede Rasterzelle quantifiziert und im Ausgabedatensatz räumlich abgebildet (Abb. 1). Maximal zwei Landschaftsszenarien (Kombinationen aus Referenzzu-stand, aktueller Landnutzung und Prognose) können in einem Simulationslauf verarbeitet werden. Die Landnutzungsklassen müssen in den Datensätzen thematisch übereinstimmen, eine unterschiedliche Anzahl von Klassen ist im Gegensatz zum LCM jedoch möglich.

Abb. 1: Ablaufschema des Simulationsmodells (eigener Entwurf)

Im Unterschied zur induktiv-empirischen Herangehensweise im LCM setzt die Geosimula-tion mit InVEST wissensbasierte Eingabeparameter voraus (Abb. 1). Bei abstrakter Model-lierung der Biodiversität werden binäre Habitateignungswerte (geeignet/ungeeignet) ver-wendet. Bei Verwendung autökologischer Informationen kommen zwischen 0 und 1 ska-lierte Habitateignungswerte je Landnutzungsklasse zum Einsatz. Die Gefährdungen der Biodiversität werden als Eingabeparameter in Form einer Sachdatentabelle angegeben (Threats.dbf/.xls). Jede Tabellenzeile verweist auf eine Gefährdungsquelle in einem gleich-namigen Rasterdatensatz. Die Felder der Tabelle enthalten benutzerdefinierte Gewichtungs-

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faktoren (0-1) für die Auswirkung der Gefährdungsquelle auf die Biodiversität, sowie An-gaben zur maximalen räumlichen Wirkdistanz und zur linear oder exponentiell distanzba-sierten Raumwirksamkeit. Alle Gefährdungen sollten dasselbe Datenniveau (binäre Werte, metrisch oder ordinal) aufweisen, müssen aber nicht dieselbe Zellengröße bzw. räumliche Auflösung wie andere Datensätze haben. Die Sensitivitäten der Landnutzungsklassen (0-1) gegenüber den einzelnen Gefährdungen werden in einer weiteren Sachdatentabelle angege-ben (Sensitivity.dbf/.xls).

Berechnet wurden die Habitatqualität und -seltenheit für die Landnutzungsdaten von 1973 bei beginnender touristischer Inwertsetzung und für 2006 als aktuellem Zustand, jeweils mit den Landnutzungsdaten von 1956 als Referenzzustand. Für die Methodendiskussion wurde der Analyseumfang im Sinne einer vereinfachten Interpretierbarkeit der Ergebnisse bewusst auf eine Art und eine Gefährdungsquelle beschränkt. Autökologische Untersu-chungen zu Habitateignung und -gefährdung und der Individuendichte in Abhängigkeit von der Landnutzung zeigen, dass die Beispielart besiedelte, zerschnittene Räume meidet und an halb offene Garigue- und Macchieflächen gebunden ist, wobei Wälder und extensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen als Teilhabitate genutzt werden (vgl. ANADÓN et al. 2006; PINYA & CUADRADO 2008). Dementsprechend wurden abgestufte Habitateignungs-faktoren für diese Landnutzungsklassen vergeben. Als Gefährdungsquelle wurde der pro-zentuale Anteil an versiegelter Fläche (2006) aus dem europäischen 100 ×100 m Raster-datensatz (EEA 2010a) in das Modell einbezogen, da Flächenversieglung durch Urbanisie-rung der dominante Prozess der Landschaftsveränderung im Untersuchungsgebiet war. Für den Zeitschnitt 1973 wurde aus diesem Datensatz der Versiegelungsgrad für die damals urbanisierten Flächen übernommen. Versiegelung geht im Modell als Gefährdungsquelle mit einer Reichweite von 2 km und exponentiell distanzbasierter Raumwirksamkeit ein. Als optionaler geographischer Eingabedatensatz „Zugänglichkeit“ wurde das Natura 2000-Ge-biet für beide Zeitschnitte in das Modell einbezogen, weil der Schutzgebietsstatus bereits seit 1979 besteht. Das Gebiet ist nicht uneingeschränkt zugänglich (Faktor 1), aber auch nicht absolut geschützt in Bezug auf Versiegelung und wurde deshalb mit dem Faktor 0,2 belegt (vgl. EEA 2010b). Zur Veranschaulichung der Geosimulationsfunktionalität wurden zwei Simulationsläufe mit unterschiedlichen Eingabeparametern durchgeführt. Die Ergeb-nisdatensätze sind a) ein relativer Wert zur Habitatdegradation je Rasterzelle, b) ein dimen-sionsloser Habitatqualitätswert, der keinen Bezug zu konkreten Biodiversitätsmaßen hat (vgl. TALLIS et al. 2011) und c) ein Wert zur relativen Seltenheit der Habitate (vgl. Abb. 1). Ergebnisse zu Habitatqualität und -seltenheit auf Landschaftsebene muss der Anwender selbst generieren. Hier werden die zu einem Index auf Landschaftsebene aggregierten Habi-tatqualitätswerte für die einzelnen Landnutzungsklassen und für die Verbreitungsgebiete der Beispielart 1979 und 2007 diskutiert und verglichen.

3 Ergebnisse und Diskussion

3.1 Landschaftsveränderungen 1956-2006

Flächenversiegelung im Zuge touristischer Inwertsetzung kennzeichnet die langjährigen Landschaftsveränderungen im Untersuchungsgebiet. Die Flächenkonversion betraf Wälder am stärksten, gefolgt von Baum- und Strauchkulturen, Feldbau und naturnahen Garigueflä-chen (vgl. Abb. 2). Bei Betrachtung der Flächenverluste und -gewinne prozentual zur je-

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weiligen Gesamtfläche im Jahr 1956 waren ein Fünftel der Waldfläche und 35 % der Gari-gueflächen von urbaner Bebauung betroffen. Die Wälder verzeichneten geringfügige (4 %) Flächengewinne. Mit 65 % Flächenverlusten und 35 % Flächengewinnen ist Feldbau die mit Abstand dynamischste Landnutzungskategorie.

Abb. 2: Langjährige Bilanz der Landschaftsveränderungen im Verbreitungsgebiet der Beispielart im Südwesten der Baleareninsel Mallorca (Eigene Berechnungen mit Land Change Modeler; Datenquelle: GIST 2010)

Diese Flächendynamik ist Ausdruck der wirtschaftlichen Konkurrenzkraft des Tourismus um Arbeitskräfte und Investitionskapital und spiegelt die damit einhergehende Intensivie-rung der Agrarwirtschaft wider: Zunahme des Feldbaus bei gleichzeitiger Abnahme der arbeitsintensiveren und weniger profitablen Baum- und Strauchkulturen.

3.2 Auswirkungen der Landschaftsveränderungen auf die Biodiversität

Bei den hier getroffenen Modellannahmen weisen naturnahe Landnutzungen, aber auch landwirtschaftliche Nutzflächen eine hohe Habitateignung für die Beispielart auf, da sie wenig von Versiegelung und Folgewirkungen wie Zerschneidung und Habitatfragmentie-rung betroffen sind. Die Habitatqualität ist dabei über drei Jahrzehnte relativ stabil geblie-ben oder hat sich geringfügig verbessert, aber zwischen 1973 und 2006 hat sich die Selten-heit der Wälder und Baum- und Strauchkulturen deutlich erhöht (Abb. 3).

Im zweiten Simulationslauf orientieren sich die Sensitivitätsfaktoren von vier Landnut-zungsklassen (Feldbau, Baum- und Strauchkulturen, Wälder, Garigue) stärker am Prozess-muster und an der Dynamik der Landschaftsveränderungen. Die Habitateignung der Lücki-gen Garigue-Kiefernwaldkomplexe wird sechsmal höher eingestuft als im ersten Simula-tionslauf. Diese Veränderung der Eingabeparameter führt im zweiten Simulationslauf zu veränderten Habitatqualitätswerten. Die Habitatseltenheit bleibt gleich, da die Flächenantei-le der Landnutzungsklassen zwischen den Simulationsläufen unverändert bleiben (vgl. Abb. 3). Durch Veränderung der Eingabeparameter und der Eingabedaten, insbesondere durch

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Einbezug weiterer Gefährdungsquellen, ist dieses einfache Modell in dem Umfang erwei-terbar, in dem Datengrundlagen verfügbar sind. Auf Landschaftsebene und bezogen auf die Verbreitungsgebiete von Testudo graeca im Jahr 1979 und 2007 hat sich der aggregierte Habitatqualitätsindex im ersten Simulationslauf von 0,58 (1973) und 0,61 (2006) zu 0,70 (1973) und 0,71 (2006) im zweiten Simulationslauf verändert. Die Zahlen vermitteln den Eindruck insgesamt leicht verbesserter Habitatqualität für die Beispielart, jedoch ist das Verbreitungsgebiet um 56 % geschrumpft. Nach wie vor besiedelt die Art bevorzugt natur-nahe und halbnatürliche Habitate und gerade diese sind aktuell gefährdet, weil sie im Un-tersuchungs- und Verbreitungsgebiet selten geworden sind.

Zur Berechnung der Beta-Diversität mit LCM gingen nur Verbreitungsgebiete einer Art ein, sodass die Ergebnisse die Unterschiede des Vorkommens der Beispielart zwischen den verschiedenen Landnutzungsklassen und für die beiden Zeitschnitte anzeigen (vgl. Abb. 4). Baum- und Strauchkulturen, Wälder und Lückige Garigue-Kiefernwaldkomplexe erreichen für beide Zeitschnitte ähnliche Werte und unterscheiden sich in ihrer Habitatfunktion für die Beispielart deutlich von den versiegelten und gestörten anthropogenen Habitaten. Die Interpretierbarkeit des Biodiversitätsmaßes ist erschwert, weil die Beta-Diversität größer wird, je weniger Arten Habitate gemeinsam haben und maximale Werte annimmt, wenn Habitate keine Arten gemeinsam haben. Im Jahr 1973 war die Schnittmenge zwischen Verbreitungsgebiet und urbaner Bebauung und Infrastruktur relativ größer als 2006, Grün-anlagen waren 1973 noch nicht vorhanden und 2006 zeigen diese beiden Habitate die größ-te Differenz in Bezug auf die Präsenz der Beispielart und somit die höchste Beta-Diversität.

Abb. 3: Ergebnisse der Simulationsläufe #1 und #2: Habitatqualität und -gefährdung im Verbreitungsgebiet der Beispielart im Südwesten der Baleareninsel Mallorca (Eigene Berechnungen mit InVEST 2.2.0; Landnutzungsdaten: GIST 2010)

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Abb. 4: Veränderungen der Beta-Diversität der Landnutzungsklassen im Ver-breitungsgebiet der Beispielart im Südwesten der Baleareninsel Mal-lorca (Eigene Berechnungen mit Land Change Modeler; Datenquel-len: GIST 2010; GOVERN DE LES

ILLES BALEARS 2009; LÓPEZ-JU-RADO et al. 1979)

4 Zusammenfassung und Fazit

Ergänzend zu den Auswertungen des InVEST-Biodiversitätsmodells bietet LCM „echte“ Biodiversitätsmaße, die auf tatsächlichen Verbreitungsgebieten basieren. Im Biodiversity Analysis Modul des LCM beschränkt sich die dynamische und prozessuale Geosimulation auf die Eingabe verschiedener Verbreitungsgebiete und/oder Landnutzungsdaten unter-schiedlicher räumlicher Auflösung oder thematischer Tiefe. Liegen Präsenz-/Absenzdaten oder Angaben zu Individuendichten vor, kann mit LCM auch die Habitateignung und die Verbreitung von Arten genauer analysiert bzw. die räumliche Ausdehnung des Verbrei-tungsgebiets näher bestimmt werden. In vielen Fällen sind solche Daten jedoch (wenn überhaupt) nur für wenige Zeitschnitte verfügbar, sodass sich hier der Ansatz des InVEST GIS-Tools als vielversprechender erweist. LCM hat den Vorteil, verschiedene Tools in einer komplexen Fachschale (vertical application) zu vereinigen: von der Landnutzungs-modellierung über die Berechnung von Habitateignungskarten, einfacher Landschaftsstruk-tur- und Biodiversitätsmaße bis hin zum Einbezug von Planungsinformationen. Im Hand-buch zur aktuellen LCM Version findet sich allerdings der Hinweis „The current version of LCM is experimental and intended for comment and evaluation only. Most of the proce-dures incorporated are new and have not been widely tested. As a result, we offer these tools in the spirit of scientific exploration and invite constructive commentaries about how they can be extended or improved.” (EASTMAN 2009, S. 234). In dieser Deutlichkeit fehlt der Hinweis in der Dokumentation der LCM Erweiterung für ArcGIS. Im direkten Ver-gleich ist das InVEST-Biodiversitäts-Tool besser dokumentiert und besser bedienbar. In der hier dargestellten Weise ergänzen sich die beiden GIS-Tools zur theoretisch fundierten,

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aber einfachen und mit flächendeckend vorhandenen Geodatensätzen realisierbaren Biodi-versitätsmodellierung. Mit Land Change Modeler und InVEST 2.2.0 werden zwei Geosi-mulationssoftwaretools diskutiert, die dezidiert auf Prognose- und Problemlösungskapazitä-ten von GIS-Modellen bezogen auf Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen abzielen. In erster Linie unterstützen beide das Erklären und Verstehen von Zusammenhängen, die Szenarienbildung und Entscheidungsunterstützung bezogen auf Landschaftsveränderungen. Wünschenswert sind Geosimulationsansätze, die dynamische Veränderungen der Biodiver-sität im Raum modellieren und die Veränderlichkeit einzelner Rasterzellen an Ökosystem-dienstleistungen koppeln. Diese Wechselwirkungen sind jedoch (noch) weitgehend unbe-kannt. Geosimulationsansätze und GIS-Software-Tools für Landmanagement funktionieren durch Komplexitätsreduktion und sind mit Herausforderungen konfrontiert, die auch auf die hier diskutierten Fragestellungen zutreffen: die sektorale Fragmentierung und einge-schränkte Verfügbarkeit von Daten, heterogene Datenstandards, unterschiedliche räumliche und zeitliche Auflösung, und die Schwierigkeit, komplexe Fragestellungen mit komplexen, aber intuitiv bedienbaren Systemlösungen abzudecken (vgl. FÜRST et al. 2010). Auch GLOBIO3, ein komplexeres Geosimulationswerkzeug für die regionale und globale Maß-stabsebene, berechnet Biodiversitätsindikatoren indirekt aus relevanten Einflussfaktoren auf die Biodiversität (vgl. ALKEMADE et al. 2009). Wie InVEST modelliert GLOBIO3 die Auswirkungen von Landnutzungsszenarien und planerisch-politischen Optionen eher sta-tisch als dynamisch, und deterministisch statt stochastisch. Trotz Geosimulationsfunktiona-lität bieten diese Ansätze noch keine wirklich dynamische Modellierung.

Trotz bestehender Defizite liefern beide hier vorgestellten GIS-Tools generische raumbezo-gene Informationen zu den Wechselwirkungen zwischen Landschaftsveränderungen und Raummustern der Biodiversität. Auf dieser Grundlage kann Biodiversität und Biodiversi-tätsschutz entscheidungsunterstützend in die Erfassung und Bewertung von Ökosystem-dienstleistungen und in die Nachhaltigkeitsdebatte einbezogen werden.

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