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284 Das elektronische Gesundheitsinformationssystem (eGIS) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung – die Basis für eine übergreifende Versorgungsplanung Sebastian JOHN und Thomas KOPETSCH Dieser Beitrag wurde nach Begutachtung durch das Programmkomitee als „reviewed paper“ angenommen. 1 Hintergrund und Einbettung Die Versorgungsforschung ist eine in Deutschland junge aber wachsende Forschungsrich- tung mit hoher Relevanz für politische und gesellschaftliche Entscheidungsträger im Be- reich Gesundheit und Versorgung (DFG 2010). Als interdisziplinäres Forschungsgebiet konzipiert, stellt sich in der Versorgungsforschung die Herausforderung Theorien, Metho- den und Datengrundlage unterschiedlicher Disziplinen zusammenzuführen und so eine gemeinsame Basis für übergreifende Forschungsfragen zu schaffen. Als einer der wesentli- chen Akteure im deutschen Gesundheitssystem setzt sich auch die Kassenärztliche Bundes- vereinigung (KBV) intensiv mit Fragen der aktuellen und zukünftigen Versorgungsplanung und -forschung auseinander. Ziel ist es dabei Versorgungsbedarfe rechtzeitig zu erkennen, Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln und im Rahmen des gesetzlichen Auftrags steuernd eingreifen zu können. Insbesondere in Bezug auf die Herausforderung, der Schaffung einer einheitlichen Datengrundlage, arbeitet die KBV daran, die „Datenkluft“ der Versorgungs- forschung und -planung zu überbrücken und entwickelt zu diesem Zweck das elektronische Gesundheitsinformationssystem (eGIS). In der spärlichen Literatur zu Stand, Entwicklung und Einbettung der Versorgungsfor- schung wird neben anderen Schwierigkeiten weiterhin das Defizit auf Ebene der gemein- samen Datengrundlage hervorgehoben. „Es gibt eine Fülle von Daten und Datenbanken, die jedoch weder allgemein zugänglich noch dialogfähig oder vergleichbar sind. Manche sind in ihrem Informationsgehalt unvollständig und spiegeln zudem die Sektorierung des Ge- sundheitssystems wider – sektorenübergreifende Datenbestände sind noch immer selten verfügbar“ (STÄNDIGE KONGRESSKOMMISSION VERSORGUNGSFORSCHUNG 2005). Es besteht somit eine Fragmentierung sowohl der EDV-Strukturen als auch der Forschungsinhalte, die dazu führt, dass die tatsächlichen Versorgungswirklichkeiten in vielen Fällen nur unzurei- chend abgebildet werden können. Eine umfassende, strategische und auch sektorübergrei- fende Versorgungsplanung gestaltet sich aufgrund der unzureichenden Datenlage schwie- rig. Strobl, J., Blaschke, T. & Griesebner, G. (Hrsg.) (2011): Angewandte Geoinformatik 2011. © Herbert Wichmann Verlag, VDE VERLAG GMBH, Berlin/Offenbach. ISBN 978-3-87907-508-9. Dieser Beitrag ist ein Open-Access-Beitrag, der unter den Bedingungen und unter den Auflagen der Creative Commons Attribution Lizenz verteilt wird (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/).

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Das elektronische Gesundheitsinformationssystem (eGIS) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung –

die Basis für eine übergreifende Versorgungsplanung

Sebastian JOHN und Thomas KOPETSCH

Dieser Beitrag wurde nach Begutachtung durch das Programmkomitee als „reviewed paper“ angenommen.

1 Hintergrund und Einbettung

Die Versorgungsforschung ist eine in Deutschland junge aber wachsende Forschungsrich-tung mit hoher Relevanz für politische und gesellschaftliche Entscheidungsträger im Be-reich Gesundheit und Versorgung (DFG 2010). Als interdisziplinäres Forschungsgebiet konzipiert, stellt sich in der Versorgungsforschung die Herausforderung Theorien, Metho-den und Datengrundlage unterschiedlicher Disziplinen zusammenzuführen und so eine gemeinsame Basis für übergreifende Forschungsfragen zu schaffen. Als einer der wesentli-chen Akteure im deutschen Gesundheitssystem setzt sich auch die Kassenärztliche Bundes-vereinigung (KBV) intensiv mit Fragen der aktuellen und zukünftigen Versorgungsplanung und -forschung auseinander. Ziel ist es dabei Versorgungsbedarfe rechtzeitig zu erkennen, Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln und im Rahmen des gesetzlichen Auftrags steuernd eingreifen zu können. Insbesondere in Bezug auf die Herausforderung, der Schaffung einer einheitlichen Datengrundlage, arbeitet die KBV daran, die „Datenkluft“ der Versorgungs-forschung und -planung zu überbrücken und entwickelt zu diesem Zweck das elektronische Gesundheitsinformationssystem (eGIS).

In der spärlichen Literatur zu Stand, Entwicklung und Einbettung der Versorgungsfor-schung wird neben anderen Schwierigkeiten weiterhin das Defizit auf Ebene der gemein-samen Datengrundlage hervorgehoben. „Es gibt eine Fülle von Daten und Datenbanken, die jedoch weder allgemein zugänglich noch dialogfähig oder vergleichbar sind. Manche sind in ihrem Informationsgehalt unvollständig und spiegeln zudem die Sektorierung des Ge-sundheitssystems wider – sektorenübergreifende Datenbestände sind noch immer selten verfügbar“ (STÄNDIGE KONGRESSKOMMISSION VERSORGUNGSFORSCHUNG 2005). Es besteht somit eine Fragmentierung sowohl der EDV-Strukturen als auch der Forschungsinhalte, die dazu führt, dass die tatsächlichen Versorgungswirklichkeiten in vielen Fällen nur unzurei-chend abgebildet werden können. Eine umfassende, strategische und auch sektorübergrei-fende Versorgungsplanung gestaltet sich aufgrund der unzureichenden Datenlage schwie-rig.

Strobl, J., Blaschke, T. & Griesebner, G. (Hrsg.) (2011): Angewandte Geoinformatik 2011. © Herbert Wichmann Verlag, VDE VERLAG GMBH, Berlin/Offenbach. ISBN 978-3-87907-508-9. Dieser Beitrag ist ein Open-Access-Beitrag, der unter den Bedingungen und unter den Auflagen der Creative Commons Attribution Lizenz verteilt wird (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/).

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Das eGIS der KBV – die Basis für eine übergreifende Versorgungsplanung 285

2 Mit dem eGIS auf dem Weg zu einer einheitlichen Datenbasis

Aus den oben genannten Gründen und Schwierigkeiten hat sich die KBV 2008 zum Aufbau eines elektronischen Gesundheitsinformationssystems (eGIS) entschieden. Beim Aufbau des eGIS standen folgende Ziele im Vordergrund:

1. Zusammenführung KBV-eigner und extern verfügbarer Daten aus den relevanten Sek-toren des deutschen Gesundheitssystems in eine einheitliche Datenbank.

2. Zusammenführung und Aggregation der sektorübergreifenden Daten auf einer einheit-lichen (kleinräumigen) geografischen Ebene.

3. Erfassung von Daten mehrerer Jahre, um Zeitreihenanalysen durchführen zu können und Dynamiken zu erkennen.

Das Prinzip des eGIS lautet dabei: Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit durch einheitliche Datenbasis und Auswertungsmethoden. Dadurch sichert das eGIS in seinen Analysen eine hohe Konsistenz bei der Beantwortung von versorgungsorientierten Fragestellungen.

Beim eGIS handelt es sich um eine auf einer SQL-Datenbank basierenden Client-/Server-applikation auf Basis eines dotnet-Frameworks, das zur Abfrage, Berechnung und Visuali-sierung komplexer Datenbankabfragen entwickelt wurde. Bei der Entwicklung der Soft-ware ging es vor allem darum, trotz der Zusammenführung einer großen Zahl an sehr kom-plexen Daten, eine hohe Performanz mit geringen Abfragezeiten zu realisieren. Ebenso sollten eine hohe Ergonomie und eine intuitive Bedienung der Applikation sichergestellt sein. Zudem sollten die Ergebnisse der Abfragen hochwertig aufbereitet werden (tabella-risch und kartografisch), und leicht in die gängigen Office Applikationen exportierbar sein.

Tabelle 1: Übersicht der im eGIS enthaltenen Daten

Daten Quelle Räumliche Ebene

Bevölkerungs- und Demografiedaten Statistisches Bundesamt Gemeindeebene

Bundesarztregisters KBV Gemeindeebene

Krankenhausverzeichnis Statistisches Bundesamt Gemeindeebene

Qualitätsberichte der Krankenhäuser Gemeinsamer Bundesaus-schuss (G-BA)

Gemeindeebene

Daten der KV-Abrechnung KBV Gemeindeebene

DRG-Daten (diagnosis related group) Statistisches Bundesamt Kreise und kreisfreien Städte

Daten zur Lebenserwartung Statistisches Bundesamt Kreise und kreisfreien Städte

Todesursachenstatistik Statistisches Bundesamt Kreise und kreisfreien Städte

Sozioökonomische Strukturdaten Bundesamtes für Bauwe-sen und Raumordnung

Kreise und kreisfreien Städte

Apothekenverzeichnis Deutsch. Apothekerverlag Gemeindeebene

Versichertenbefragung der KBV KBV Kreise und kreisfreien Städte

Voraussichtlich ebenfalls ins eGIS eingefügt werden:

Arzneimitteldaten –

Nationale Verzehrstudie II Max Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernäh-rung und Lebensmittel (MRI)

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Um der komplexen Realität des Themenfeldes Gesundheit allgemein und des deutschen Gesundheitswesens im Besonderen gerecht zu werden, werden im eGIS die für die einzel-nen Sektoren vorhandenen unterschiedlichen Datengrundlagen für eine regionalisierte, sektorenübergreifende Versorgungsforschung und -planung zusammengeführt. Durch die regionalisierte Analyse der Versorgungssituation in den Sektoren können spezifische Hand-lungsbedarfe in der Gesundheitsplanung und -politik auf objektiver Basis ermittelt werden.

Die in Tabelle 1 dargestellten Daten wurden bisher im eGIS erfasst (Stand Jan. 2011) und können in den jeweiligen Datenmodulen ausgewertet werden. Das eGIS stellt (i. d. R. aus datenschutzrechtlichen Erwägungen) für die jeweilige regionale Ebene nur Summendaten zur Verfügung. Einzeldaten und/oder Individualdaten werden nicht zur Verfügung gestellt!

Perspektivisch können darüber hinaus weitere Daten ins eGIS integriert werden, die helfen, Einflussfaktoren des komplexen Sachverhalts Gesundheit zu identifizieren und regional abzubilden. Denkbar wären hier z. B. regionalisierte Daten zu Umwelteinflüssen (z. B. Verschmutzung und Emission), Daten aus dem Bereich der Pflegeeinrichtungen etc.

3 Analysen im eGIS

Auf Basis der oben beschriebenen im eGIS regionalisiert vorliegenden Daten sind umfas-sende Analysen auf kleinräumiger Ebene möglich. Überblickartig sind dies:

1. Regionalanalysen, die darstellen, wie z. B. bestimmte Diagnosen oder Ärzte regional verteilt sind.

2. Zeitreihenanalysen, die darstellen, wie sich die Häufigkeit z. B. von Diagnosen oder Therapien im Zeitverlauf auf regionaler Ebene verändert.

3. Regressionsanalysen, mit denen die statistischen Zusammenhänge der regionalen Ver-teilung bestimmter Parameter untersucht werden können.

4. Weitere Analysemöglichkeiten, wie z. B. distanzbasierte Untersuchungen zu den Arzt-Patientenbeziehungen, Analysen der Versorgungsqualität etc., die an dieser Stelle nur angerissen werden sollen.

3.1 Regionalanalysen im eGIS

Durch die Erfassung und Zusammenführung der oben beschriebenen Daten auf lokoregio-naler Ebene können im eGIS kleinräumige Analysen durchgeführt werden. Das eGIS ermit-telt dabei, für jede regionale Einheit, automatisch Kennzahlen. Dabei werden sowohl abso-lute Werte ermittelt, z. B. Fälle je Kreis, als auch, um die Vergleichbarkeit zu gewährleis-ten, relationale Kennzahlen berechnet, z. B. Fälle je 100.000 Einwohner je Kreis.

Um die Vergleichbarkeit der Regionen untereinander zu erhöhen, werden im eGIS bei den Regionalanalysen neben den relationalen Kennzahlen auf Basis der Rohdaten (z. B. Fall-zahl einer bestimmten Diagnose pro 100.000 Einwohner) auch alters- und geschlechtsstan-dardisierte Werte berechnet. Die Standardisierung ist notwendig, da sich die Regionen in Deutschland hinsichtlich ihrer Alters- und Geschlechtsstruktur z. T. deutlich voneinander unterscheiden. Dadurch können Effekte verzerrt oder gar umgekehrt werden. Bspw. kann eine hohe Sterblichkeit der über 60-Jährigen dadurch verzerrt werden, dass diese in der

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Region nur einen geringen Anteil der Bevölkerung stellen. Bei einer Zeitreihenanalyse kann dies sogar dazu führen, dass eine steigende Mortalität der über 60-Jährigen aufgrund einer gleichzeitigen Zuwanderung jüngerer Bevölkerungsgruppen nicht deutlich wird bzw. eine gegenteilige Entwicklung angezeigt wird.

Die Standardisierung hilft, regionale Unterschiede in der Alters- und Geschlechtsstruktur auszugleichen. Sie ist ein in der Gesundheitsberichtserstattung übliches Verfahren, das auch die Anschlussfähigkeit der Ergebnisse des eGIS an andere Untersuchungen sichert. Bei der Standardisierung wird z. B. die Fallzahl einer Region in Relation zur Bevölkerungsstruktur (Alter und Geschlecht) dieser Region ermittelt und anschließend auf eine vorab definierte einheitliche Standardbevölkerung projiziert. Da im Ergebnis allen Regionen eine einheitli-che Standardbevölkerung zugrunde liegt, ist eine Vergleichbarkeit der Regionen gewähr-leistet. Formal erfolgt die Standardisierung nach folgendem Schema (MGSFF 2003):

1

1

. ..

.. .

ni

ii i

REGION n

ii

Fallzahl AGSt Bevölk AG

mittlere Bevölk AGSt Rate

St Bevölk AG

mit: Fallzahl AGi = Anzahl der Fälle in der i-ten Alters- und Geschlechts-

gruppe in der Region mittlere Bevölk. AGi = mittlere Bevölkerung der i-ten Alters- und Geschlechts-

gruppe in der Region St. Bevölk. AGi = Standardbevölkerung der i-ten Alters- und Geschlechts-

gruppe in der Region i = Alters- und Geschlechtsgruppe

Weiterhin wird auf Basis der Fälle aller ausgewählten Regionen ein standardisierter Wert ermittelt, der als Indexwert (≠ Mittelwert) fungiert. Der standardisierte Indexwert mit dem normierten Wert 100 ist dann Referenzwert für einen Vergleich aller Regionen. Regionen können nach oben oder unten vom standardisierten Indexwerte abweichen. Damit wird die Vergleichbarkeit der Regionen untereinander erneut verbessert. Formal stellt sich die Be-rechnung der regionalen Indexwerte wie folgt dar:

.100

.REGION

REGIONALLEREGIONEN

St RateIndex

St Rate

Obgleich über die Standardisierung und die Index-Werte eine hohe Vergleichbarkeit ge-währleistet ist, stellt sich bei der Analyse der Ergebnisse regelmäßig die Frage, inwiefern die Abweichungen der Regionen untereinander als relevant zu bewerten sind. Für die Be-antwortung dieser Frage ermittelt das eGIS mithilfe eines t-Tests, ob es sich bei der Abwei-chung des standardisierten Wertes einer Region vom standardisierten Wert aller Regionen um die natürliche statistische Streuung (um die Mitte) handelt oder ob demgegenüber die

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Abweichung als „nicht-zufällig“ bezeichnet werden muss. Für die „nicht zufälligen Abwei-chungen erfolgt eine Darstellung (inkl. Konfidenzintervall) in der Karte.

Die Ergebnisse der Regionalanalyse werden im eGIS automatisch sowohl kartografisch als auch tabellarisch aufbereitet und können in unterschiedlichen Dateiformaten (für Bilder: *.jpg, *.gif, *.png und *.wmf; für Tabellendaten *.csv, *.html und *.xml) direkt in andere Arbeitsprogramme zur Weiterbearbeitung übertragen werden.

3.2 Zeitreihenanalysen im eGIS

Da für eine Vielzahl der Datenmodule Informationen für mehr als einen Erhebungszeit-punkt/-zeitraum zur Verfügung stehen, wurde in das eGIS auch die Möglichkeit einer Zeit-reihenanalyse integriert. Dadurch kann die Dynamik einiger Entwicklungen kleinräumig analysiert und auch kartografisch aufbereitet werden. Dabei werden die in der Regionalana-lyse ermittelten statischen Werte je Region verglichen, um deren Veränderung darzustellen. Die Ermittlung der Delta-Werte erfolgt hier nach dem einfachen Schema:

1 2t tX X X

mit:

t1 = frühester Erhebungszeitpunkt

t2 = spätester Erhebungszeitpunkt

Obwohl das die Veränderung für alle in der Regionalanalyse ermittelten Kennzahlen an-gibt, ermöglicht die Analyse der Veränderung der standardisierten Rate je Region die be-lastbarste Aussage, da durch die Standardisierung mögliche Veränderungen der Bevölke-rungsstruktur, die im Zeitverlauf erfolgt sein können, kompensiert werden. Auch die Er-gebnisse der Zeitreihenanalyse werden dem Nutzer tabellarisch und kartografisch zur Ver-fügung gestellt.

3.3 Regressionsanalysen im eGIS

Mit der Regressionsanalyse wurde in das eGIS neben den beschriebenen Möglichkeiten der kleinräumigen Regionalanalyse auch die Möglichkeit einer statistischen Auswertung der regionalisierten Daten geschaffen. Darüber hinaus steht mit der Regressionsanalyse die Möglichkeit einer datenmodulübergreifenden Analyse im eGIS zur Verfügung. Da für die Datenmodule auf der regionalen Ebene „nur“ Summendaten vorliegen, ist eine Auswertung mit datenmodulübergreifenden Parametern (z. B. Arbeitslosenquote und Fälle eines Myo-kardinfarkts) bei der Regional- und der Zeitreihenanalyse nicht möglich. Diese „Lücke“ in den Analysemöglichkeiten des eGIS wird mit der Regressionsanalyse geschlossen, sodass datenmodulübergreifende Zusammenhänge statistische untersucht werden können.

Bei der Regressionsanalyse handelt es sich methodisch um eine bivariate, lineare Regres-sion, auf deren nähere methodische Beschreibung an dieser Stelle verzichtet werden soll. Als Ergebnis der Regressionsanalyse ermittelt das eGIS den Regressionskoeffizienten (R), das Bestimmtheitsmaß (R²), die Werte der Regressionsgeraden sowie das Signifikanzniveau der jeweiligen Auswertung. Die Ergebnisse der Regressionsanalyse werden als tabellari-sche Werte und in Form eines Regressionsdiagramms zur Verfügung gestellt.

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3.4 Weitere Analysemöglichkeiten im eGIS

Die bisher beschriebenen Auswertungsmöglichkeiten bilden bei Weitem nicht alle Mög-lichkeiten des eGIS ab. Insbesondere im Bereich der ambulanten Arztdaten und der ver-tragsärztlichen Abrechnungsdaten liegen der KBV detaillierte Daten vor, die eine tief ge-hende Analyse der Arzt-Patientenbeziehungen erlauben. Auf Basis der ermittelten Distan-zen und Wegezeiten zwischen den einzelnen behandelnden Ärzten und Patienten können regionale Versorgungsbeziehungen, regionale Patientenwanderungen, Einzugbereiche der Versorgung und regionale Versorgungsqualitäten im Detail analysiert werden.

4 Beispielhafte Auswertung mit dem eGIS

Um die beschriebenen Analysemöglichkeiten des eGIS zu veranschaulichen, werden im Folgenden die unterschiedlichen Analysearten des eGIS beispielhaft dargestellt.

Abb. 1: Regionale Verteilung der Diagnose Katarakt (H25 und H26) in den Abrech-nungsdaten (4. Quartal 2009). Die Regionen, deren Abweichung nach oben „nicht zufällig“ ist, sind mit einem Dreieck gekennzeichnet (links als Karte) (rechts als Tabelle).

Als Untersuchungsgegenstand wurde hiefür das Krankheitsbild „Grauer Star“/Katarakt gewählt. Diese weitverbreitete Krankheit kann sowohl stationär als auch ambulant versorgt

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werden. Mit den Analysemöglichkeiten des eGIS wird die regionale Verteilung dieses Krankheitsbilds ebenso wie die ambulante und stationäre Versorgung veranschaulicht.

Im ersten Schritt betrachten wir die regionale Verteilung der Diagnose Grauer Star (ICD-10 Codes H25 und H26) auf Ebene der Landkreise. Da die Diagnose hierfür i. d. R. ambulant erfolgt, greifen wir dabei auf die Abrechnungsdaten der KBV zurück. Nach der Auswahl der entsprechenden Parameter erstellt das eGIS automatisch eine Karte, die die regionale Verteilung der Diagnose abbildet. Um die Vergleichbarkeit der Diagnosehäufigkeiten je Kreis sicherzustellen, wird die standardisierte Rate betrachtet.

Die kartografische Darstellung in Abbildung 1 zeigt deutlich regionale Unterschiede in der Häufigkeit der Diagnose. Wie beschrieben, ermittelt das eGIS auf Basis eines t-Tests, wel-che der Abweichungen als „nicht zufällig“ gelten müssen. Die Regionen, deren Abwei-chung nach „nicht zufällig“ ist, sind mit einem Dreieck gekennzeichnet (Signifikanzniveau 95 %).

Neben der kartografischen Darstellung liefert das eGIS für jede Abfrage die entsprechenden Daten im Tabellenformat, die für die vertiefte Analyse unkompliziert in die gängigen statis-tischen Auswertungsprogramme überführt werden kann (vgl. Tabellenausschnitt in Abb. 1).

Abb. 2: Regionale Verteilung der ambulanten Augenärzte je 1.000 Einwohner im Jahr

2009 auf Ebene der Kreise (links) und der Gemeinden (rechts)

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Nachdem die Verteilung der Diagnose dargestellt wurde, soll im nächsten Schritt die Situa-tion der Versorger betrachtet werden. Dazu werden die ambulant tätigen Augenärzte auf Basis der Daten des Bundesarztregisters kartografisch ausgewertet.

Hier zeigt sich in Abbildung 2 die bei Fachärzten relativ typische regionale Verteilung mit einer geringeren Arztdichte in den ländlichen Kreisen und demgegenüber eine höhere Arzt-dichte in den kreisfreien Städten und städtischen Kreisen. Dieses Muster zeigt sich umso deutlicher bei einer Analyse auf Ebene der Gemeinden. Dabei wird deutlich, dass die ambu-lante augenärztliche Versorgung vor allem über die Städte mit zentralörtlicher Funktion erfolgt. Ebenso wird sichtbar: Obgleich die Verteilung der Ärzte auf Kreisebene noch rela-tiv gleichmäßig erscheint, zeigt die kleinräumigere Analyse auf Ebene der Gemeinden eine Vielzahl an „weißen Flecken“. Die ambulante Versorgung ist in diesen Regionen für Pa-tienten und/oder Ärzte mit erheblichem Reiseaufwand verbunden bzw. in einzelnen Regio-nen ist bereits heute von einer Unterversorgung mit medizinischen Leistungen auszugehen. Auch im, hier aus Platzgründen nicht dargestellten stationären Sektor zeigen sich ebenso „weiße Flecken“ in der Versorgungslandschaft.

Abb. 3: Regionale Verteilung (links) bzw. die Veränderung der Verteilung (rechts) der

Fälle mit der Hauptdiagnose Katarakt (H25 und H26) im stationären Bereich auf Ebene der Kreise (2008 bzw. 2005 bis 2008)

Auf Basis der DRG-Daten des Statistischen Bundesamts, die im eGIS integriert sind, lässt sich darüber hinaus die stationäre Versorgung untersuchen (Abb. 3). Erläuternd muss hier

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hinzugefügt werden, dass, da es sich um die DRG-Daten handelt, hinter den Diagnosen ein Eingriff mit mindestens einer Nacht Aufenthalt im Krankenhaus vermutet werden kann.1 Auffällig ist hier vor allem die relativ geringe Zahl an Eingriffen verglichen mit der Zahl ambulanter Diagnosen in Abbildung 1. Ursache hierfür ist zum einen, dass nicht jeder am-bulant diagnostizierte Katarakt einen Schweregrad aufweist, der einen sofortigen operativen Eingriff nach sich ziehen muss und nur dokumentiert und weiter beobachtet wird. Gleich-zeitig macht die geringe Zahl an stationär behandelten Katarakten auch den Trend der ver-gangenen Jahre deutlich, Kataraktoperationen in den ambulanten Bereich zu überführen.

Dieser Trend wird auch deutlich, wenn die Veränderung der der Zahl der Fälle der Diagno-se Katarakt von 2005 bis 2008 nachzeichnet wird. Im zeitlichen Verlauf ist hier ein Rück-gang der Fallzahlen, verbunden mit einer Konzentration auf bestimmte Kreise, zu beobach-ten.

Abb. 4: Regressionsanalyse, Häufigkeit der Diagnose Katarakt im ambulanten Bereich und Häufigkeit der Diagnose/Behandlung Katarakt im stationären Bereich

Eine mögliche Fragestellung hinsichtlich des Zusammenspiels der ambulanten und stationä-ren Versorgung könnte die Frage sein, ob sich ein Zusammenhang zwischen der Häufigkeit ambulant diagnostizierter Katarakte und der Katarakt-Fälle im stationären Sektor zeigt. Zur Untersuchung dieser Fragestellung kann im eGIS eine Regressionsanalyse vorgenommen werden, die den statistischen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Katarakten und

1 Die ambulante Versorgung von Katarakten, die z. T. auch durch die Krankenhäuser erfolgt, wird in

den DRG-Daten nicht erfasst, da bei der ambulanten Versorgung keine DRG generiert wird.

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Kataraktoperationen im stationären Bereich untersucht. Dabei zeigt sich statistisch ein leicht positiver Zusammenhang, der zudem höchst signifikant ist, wie Abbildung 4 zeigt.

Insgesamt lassen sich mit dieser dargestellten Analyse beispielhaft die Versorgungsstruktu-ren und -bedarfe hinsichtlich Kataraktoperationen darstellen, ebenso wie deren Wirkung auf das Versorgungsgeschehen und den Trend zu mehr ambulanter Versorgung von Katarakten.

5 Zusammenfassung

Wie in den bisherigen Ausführungen deutlich geworden sein dürfte, lassen sich mithilfe des eGIS unterschiedlichste Fragestellungen im Themenfeld Gesundheit und Versorgung auf regionaler Ebene bearbeiten. Beispielsweise kann der Verlagerungseffekt von stationären zu ambulanten Leistungen beobachtet werden. Auch innerhalb eines Sektors lassen sich mittels der Indexbildung die verschiedenen Regionen miteinander vergleichen und in Rela-tion zueinander und zum Bundeswert bringen. Zugleich kann eine Region unter den vielfäl-tigsten Aspekten vertieft analysiert werden: Demografie, Arztverteilung, ambulante Leis-tungen, stationäre Leistungen, subjektive Gesundheitsempfindung, sozioökonomische Fak-toren, Todesursachen, (zukünftig auch Arznei- und Heilmittel, Krebshäufigkeit, Ernäh-rungsverhalten usw.).

Durch das eGIS wird es somit möglich, die Versorgungsforschung und -planung zu stärken und Aussagen zu unterschiedlichen regionalen Versorgungs- und Gesundheitsbedarfen zu treffen. Am Ende können regionalisierte, patientenorientierte Versorgungspläne der Situa-tion und den Anforderungen der Bevölkerung vor Ort besser Rechnung tragen. Beispiels-weise können regionale Versorgungsbedarfe bzw. -unterschiede, die sich aufgrund be-stimmter regionaler Verhaltens- und Nutzungsmuster ergeben, durch das eGIS differenziert dargestellt werden. Darauf aufbauend können dann regionalspezifische Maßnahmen entwi-ckelt werden, die näher an den versorgungsspezifischen Bedürfnissen der Patienten ausge-richtet sind. Über die Planung und Steuerung von Standorten und Kapazitäten auf Basis des eGIS kann ein Beitrag zur Minimierung von regionalen Ungleichheiten in der Versorgung geleistet werden.

Literatur

DFG (2010): Versorgungsforschung in Deutschland: Stand – Perspektiven – Förderung. Wiley-VCH, Weinheim.

MINISTERIUM FÜR GESUNDHEIT, SOZIALES, FRAUEN UND FAMILIE DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN (2003): Indikatorensatz für die Gesundheitsberichterstattung der Länder. 3., neu bearbeitete Fassung, 2003. http://www.gbe-bund.de/gbe10/owards.prc_show_pdf? p_id=9768&p_sprache=d.

STÄNDIGE KONGRESSKOMMISSION VERSORGUNGSFORSCHUNG (2005): Memorandum II zur Versorgungsforschung in Deutschland. http://www.netzwerk-versorgungsforschung.de/ uploads/2.%20Memorandum%202005.pdf.