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475 Quantifizierung der von Verkehrslärmemissionen betroffenen Bevölkerung in den Alpen Kathrin RENNER, Matthias WAGNER und Julia BÖHNISCH Dieser Beitrag wurde nach Begutachtung durch das Programmkomitee als „reviewed paper“ angenommen. 1 Einleitung 1.1 Hintergrund und Zielsetzung Die zentrale Lage der Alpen in Europa führt dazu, dass dieser ökologisch sensible Raum seit jeher ein wichtiger Durchgangsraum für den Handel zwischen Zentraleuropa und den Mittelmeerländern ist. Im Laufe der vergangenen 30 Jahre wuchs der Transitverkehr durch die Alpen erheblich an (UVEK, 2012). Verschiedene Studien haben gezeigt, dass der Ver- kehr durch Schadstoff- und Lärmemissionen die Umwelt schädigt und die Alpenbewohner belastet ( HEIMANN, D. et al. 2007, DORA et al. 2003). Vielfältige Faktoren beeinflussen die Ausbreitung des von Verkehr verursachten Lärms, wobei zwischen beeinflussbaren (z. B. Verkehrsmenge) und nicht beeinflussbaren Faktoren (z. B. Topographie) zu unterscheiden ist. Eine zentrale Rolle spielen in Berggebieten Topo- graphie und Meteorologie. Sie wirken verstärkend auf die Lärmbelastungen (Bundesamt für Umwelt 2011, S. 8). In den vergangenen Jahren wurden von verschiedenen Regionen bzw. Staaten Maßnahmen zur Messung und Modellierung der verkehrsbezogenen Lärmausbreitung umgesetzt. Diese basieren zum Teil auf der Umgebungslärmrichtlinie der Europäischen Union. Sie verpflich- tet die zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten, Aktionspläne zur Ermittlung von Lärm- problemen und -auswirkungen auszuarbeiten (EUROPÄISCHE UNION 2002). Als Ergebnis liegen für die jeweiligen Gebiete detaillierte Karten für die Emissionsausbrei- tung und die daraus resultierende der Belastungssituation vor. Mehrere Gründe verhindern jedoch eine Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf den gesamten Alpenraum. Dies liegt zunächst daran, dass die Gesetzgebung in der Schweiz andere Grenzwerte für Schadstoffe und Lärmbelastung als die Europäische Union vorsieht. Eine zweite Ursache hierfür sind divergierende Modelle, Programme und Methoden, die eine Übertragbarkeit bzw. Homo- genisierung der Resultate verhindern und damit die Vergleichbarkeit einschränken. Schlus- sendlich sind diese Daten der einzelnen Regionen für die Wissenschaft oft nicht erhältlich. Um die Lärmbelastung für die Bewohner zu verringern, erarbeiten die Partner im Projekt iMONITRAF! ein gemeinsames Maßnahmenpaket für die Regionen entlang der fünf gro- ßen alpenquerenden Transitkorridore (Straße und Schiene). Hierfür werden an allen Korri- doren vergleichbare Indikatoren zum Monitoring erhoben. Einer dieser Indikatoren quanti- fiziert die Anzahl der Bewohner, die entlang der Hauptkorridore möglicherweise kritischen Lärmemissionen aus dem transalpinen Verkehr auf Schiene und Straße ausgesetzt sind. Strobl, J., Blaschke, T. & Griesebner, G. (Hrsg.) (2012): Angewandte Geoinformatik 2012. © Herbert Wichmann Verlag, VDE VERLAG GMBH, Berlin/Offenbach. ISBN 978-3-87907-520-1.

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Quantifizierung der von Verkehrslärmemissionen betroffenen Bevölkerung in den Alpen

Kathrin RENNER, Matthias WAGNER und Julia BÖHNISCH

Dieser Beitrag wurde nach Begutachtung durch das Programmkomitee als „reviewed paper“ angenommen.

1 Einleitung

1.1 Hintergrund und Zielsetzung

Die zentrale Lage der Alpen in Europa führt dazu, dass dieser ökologisch sensible Raum seit jeher ein wichtiger Durchgangsraum für den Handel zwischen Zentraleuropa und den Mittelmeerländern ist. Im Laufe der vergangenen 30 Jahre wuchs der Transitverkehr durch die Alpen erheblich an (UVEK, 2012). Verschiedene Studien haben gezeigt, dass der Ver-kehr durch Schadstoff- und Lärmemissionen die Umwelt schädigt und die Alpenbewohner belastet ( HEIMANN, D. et al. 2007, DORA et al. 2003).

Vielfältige Faktoren beeinflussen die Ausbreitung des von Verkehr verursachten Lärms, wobei zwischen beeinflussbaren (z. B. Verkehrsmenge) und nicht beeinflussbaren Faktoren (z. B. Topographie) zu unterscheiden ist. Eine zentrale Rolle spielen in Berggebieten Topo-graphie und Meteorologie. Sie wirken verstärkend auf die Lärmbelastungen (Bundesamt für Umwelt 2011, S. 8).

In den vergangenen Jahren wurden von verschiedenen Regionen bzw. Staaten Maßnahmen zur Messung und Modellierung der verkehrsbezogenen Lärmausbreitung umgesetzt. Diese basieren zum Teil auf der Umgebungslärmrichtlinie der Europäischen Union. Sie verpflich-tet die zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten, Aktionspläne zur Ermittlung von Lärm-problemen und -auswirkungen auszuarbeiten (EUROPÄISCHE UNION 2002).

Als Ergebnis liegen für die jeweiligen Gebiete detaillierte Karten für die Emissionsausbrei-tung und die daraus resultierende der Belastungssituation vor. Mehrere Gründe verhindern jedoch eine Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf den gesamten Alpenraum. Dies liegt zunächst daran, dass die Gesetzgebung in der Schweiz andere Grenzwerte für Schadstoffe und Lärmbelastung als die Europäische Union vorsieht. Eine zweite Ursache hierfür sind divergierende Modelle, Programme und Methoden, die eine Übertragbarkeit bzw. Homo-genisierung der Resultate verhindern und damit die Vergleichbarkeit einschränken. Schlus-sendlich sind diese Daten der einzelnen Regionen für die Wissenschaft oft nicht erhältlich.

Um die Lärmbelastung für die Bewohner zu verringern, erarbeiten die Partner im Projekt iMONITRAF! ein gemeinsames Maßnahmenpaket für die Regionen entlang der fünf gro-ßen alpenquerenden Transitkorridore (Straße und Schiene). Hierfür werden an allen Korri-doren vergleichbare Indikatoren zum Monitoring erhoben. Einer dieser Indikatoren quanti-fiziert die Anzahl der Bewohner, die entlang der Hauptkorridore möglicherweise kritischen Lärmemissionen aus dem transalpinen Verkehr auf Schiene und Straße ausgesetzt sind.

Strobl, J., Blaschke, T. & Griesebner, G. (Hrsg.) (2012): Angewandte Geoinformatik 2012. © Herbert Wichmann Verlag, VDE VERLAG GMBH, Berlin/Offenbach. ISBN 978-3-87907-520-1.

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Das Ziel dieser Quantifizierung im Rahmen des iMONITRAF! Indikatorensystems war, hierfür eine einfache und übertragbare Methodik zu erarbeiten. Auf Basis harmonisierter Grundlagen wird versucht, mithilfe Geografischer Informationssysteme (GIS) vergleichba-re Ergebnisse zu erzielen, die betroffene Bevölkerung auf einfachem Wege und über ein-fach verfügbare Daten grob zu quantifizieren.

1.2 Untersuchungsgebiet und Datengrundlage

Das Untersuchungsgebiet umfasst die fünf stark befahrenen alpenquerenden Transitkorrido-re Fréjus, Mont Blanc, Gotthard, Brenner und Tarvisio (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Untersuchte alpenquerende Transitkorridore

Aus den oben genannten Gründen der Ermöglichung einer Vergleichbarkeit der Ergebnisse über den gesamten Alpenraum werden die zu verwendenden Datensätze hinsichtlich ihrer Verfügbarkeit und nach Qualitätsaspekten ausgewählt. Als Ausgangsdaten liegen die Korridore der oben beschriebenen, fünf Autobahn- sowie vier Eisenbahnstrecken zugrunde. Die nachfolgende Tabelle 1 listet die verwendeten Datenquellen vollständig auf.

Tabelle 1: Verwendete Datensätze

Datensatz Quelle Straßenführung Untersuchungskorridore (außer Südtirol), Eisenbahnstrecken

Teleatlas, 2009

Straßenführung Südtirol Autonome Provinz Südtirol, 2009 Referenzdatensätze zur Korrektur der Tele-atlas Eisenbahnstrecken

Eurogeographics, ERM V4, 2010 Google Maps, Bing Maps

Höhenmodell SRTM V4, USGS/NASA, CIAT, 2007 Gemeindegrenzen Eurogeographics, EBM V3, 2008 Einwohner pro Gemeinde Nationale Statistikämter, 2007 Siedlungsgebiete EU Mitgliedsstaaten CORINE Land Cover (CLC) 2006, EEA, 2010 Siedlungsgebiete Schweiz CLC-Schweiz 2006, BAFU, 2010

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Die Streckendaten liegen linienhaft vor und besitzen keine Höheninformation. Die Lagege-nauigkeit und Aktualität der Straßendaten ist als sehr gut einzustufen, da sie zum Zweck der Fahrzeugnavigation erhoben wurden. Die Eisenbahnstrecken entstammen zwar demselben Datensatz, sind jedoch weniger lagegenau und enthalten keine Informationen über Lage und Länge von Tunnels. Außerdem fehlen Streckenführungen bzw. sind zum Teil veraltet. Die Korrektur von Ungenauigkeiten sowie das Hinzufügen fehlender Informationen erfolgt in einem ersten Schritt der Datenvorbereitung manuell. Als Referenzdatensatz dienen ERM Daten (vgl. Tabelle 1) bzw. zur visuellen Unterstützung Google Maps und Bing Maps.

Das Höhenmodell liegt in einer Auflösung von circa 93 m vor. Die Siedlungsflächen ent-sprechen den CORINE Land Cover (CLC) Klassen 111 (durchgehend städtische Prägung) und 112 (nicht durchgehend städtische Prägung). Die nach einheitlicher Methodik erstellten CLC Landnutzungsdaten stehen für alle Alpenstaaten in einem Maßstab von 1:100.000 zur Verfügung.

2 Methodik

Das folgende Kapitel beschreibt die Ermittlung der Anzahl der Bewohner entlang der alpi-nen Transitkorridore mittels GIS in einer Zone, in der erhöhte Lärmwerte zu erwarten sind.

2.1 Grundannahme

Ein wichtiges Element bei der Erarbeitung der Methodik ist die Gewährleistung der Ver-gleichbarkeit zwischen den einzelnen Korridoren. Aus diesem Grund wurden für alle Kor-ridore die gleiche Datengrundlage und die gleiche Methodik gewählt. In die Bearbeitung flossen daher lediglich für alle Korridore gleichermaßen verfügbare Datensätze ein.

Die Lärmwirkungsforschung sieht aktuell Dauerbelastungen oberhalb eines Schalldruckpe-gels von 60 dB(A) gesundheitlich beeinträchtigend an (BAYERISCHES LANDESAMT FÜR

UMWELT 2003, 7). Nach internen Berechnungen aus dem schweizerischen „Monitoring flankierende Maßnahmen Umwelt (MFM-U)“, die von den Projektpartnern zur Verfügung gestellt wurden, unterschreitet die Lärmausbreitung Werte von über 60 dB ab einer Distanz von 250 m von der emittierenden Quelle. Um der Morphologie der Alpentäler und der Lärmausbreitung Rechnung zu tragen, wurde daher die Höhenlinie 250 m über dem Ver-kehrsweg als beidseitige Begrenzung des betroffenen Gebietes beiderseits der Verkehrswe-ge gewählt. Abbildung 2 veranschaulicht anhand eines Querschnitts diese Vorgehensweise zur Dimensionierung des von einem Schalldruckpegel von über 60 dB(A) betroffenen Ge-bietes unter Berücksichtigung der Talmorphologie (parabelförmige Linie).

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Abb. 2: Vorgehensweise bei der Dimensionierung des betroffenen Gebietes

1. Von der Ebene des Verkehrswegs senkrecht nach oben bis zur (gedachten) Ebene 250 m oberhalb (a).

2. Von dort nach links und nach rechts wo die Ebene a auf das Relief trifft (Punkte x1 und x2).

3. Diese Punkte werden anschließend auf das Korridorlevel (b) reduziert. 4. Die Ausdehnung des vom Lärm betroffenen Gebietes ist damit der Abstand der Punkte

b1und b2 vom Verkehrsweg.

Abbildung 2 zeigt die unterschiedliche Länge der Strecken b1 und b2. Dieses Vorgehen erlaubt es also, die spezielle Talgeometrie zu berücksichtigen, indem sich die Ausdehnung des betroffenen Gebietes der Morphologie anpasst.

Tunnel mit einer Länge von über 1.000 m sind bei der Berechnung nicht berücksichtigt, da hier keine signifikanten Lärmemissionen in die Umwelt austreten. Bei der Berechnung können existierende Lärmschutzwände nicht berücksichtigt werden, da Daten nicht für alle Korridore georeferenziert verfügbar sind. Gebäude innerhalb geschlossener Siedlungen wirken der Schallausbreitung reduzierend entgegen. Um diese Barrierewirkung des Ver-kehrswegs abzubilden, ist das betroffene Gebiet bei Durchqueren eines Siedlungsgebietes auf eine feste horizontale Ausdehnung von 100 m begrenzt. Diese Distanz basiert auf Er-kenntnissen aus dem MFM-U (LCC CONSULTING AG 2009 & 2009). Auf ebenen Flächen, auf der innerhalb einer Distanz von 2.000 m vom Verkehrsweg keine Höhenlinie von 250 m durchschnitten wird, ist die maximale Ausdehnung in Abstimmung mit den Projekt-partnern auf diese 2.000 m festgelegt.

2.2 Vorbereitung der Datengrundlage

Bevor die eigentlichen Berechnungen durchgeführt werden, erfolgt eine Überprüfung der verschiedenen zur Verfügung stehenden Daten der Untersuchungskorridore in Bezug auf ihre Lagegenauigkeit sowie Informationsinhalt. Der Straßen- bzw. Eisenbahndatensatz, wird anschließend mithilfe von Referenzdatensätzen bezüglich des Streckenverlaufs sowie durch Hinzufügen von Tunnelinformationen verbessert. In einem zweiten Schritt werden Tunnelabschnitte mit einer Länge von über 1.000 m aus dem Straßen- bzw. Eisenbahn-datensatz entfernt (vgl. Kapitel 2.1).

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Da die Korridordaten ohne Höhenangaben vorliegen, wird, unter der vereinfachten Annah-me, dass alle Korridore auf der Geländeoberfläche verlaufen, die jeweilige Höhe des Ge-ländemodells zugewiesen. Dieser Schritt ist eine Vereinfachung der Realität infolge gege-bener begrenzter Verfügbarkeit präziser Korridordaten. Im Falle des Brennerstraßenkorri-dors der Autonomen Provinz Südtirol wird hier die tatsächliche Höhe der Autobahntrasse verwendet Die Brennerautobahn wird in Südtirol zu einem großen Teil über Brücken oder Viadukte geführt. Für die restlichen Korridore werden, um die Höhenvariabilität der Korri-dore möglichst genau in die Berechnung eingehen zu lassen, die Korridore in 100 m lange Segmente aufgeteilt. Jedem Segment wird die Durchschnittshöhe des darunterliegenden Geländes zugewiesen.

2.3 Berechnung der Außengrenze der Emissionsausbreitung im bergigen Gelände

Grundsätzliche Motivation dieser Berechnungen im GIS ist die Identifizierung eines von Verkehrsemissionen betroffenen Gebietes ohne die Verwendung von gemessenen tatsächli-chen Lärmwerten. Dies erfolgt aufgrund des in Kapitel 1 erläuterten Ziels der Vergleich-barkeit. Das in Kapitel 2.1 beschriebene Konzept der Emissionsausbreitung im Berggebiet, bestimmt, dass die Außengrenze des betroffenen Gebietes sich an der Schnittstelle einer Ebene im Raum 250 m oberhalb des Korridors und dem Gelände befindet. Der als Ober-grenze der Ausbreitung von Emissionen oberhalb der Autobahn auf 250 m festgelegte Wert wird durch Addition zum Höhenwert einem jeden Korridorsegment hinzugefügt.

Zur Bestimmung der 250 m in die Vertikale erhöhten und 4 km in die Horizontale breite Ebene im Raum, werden die mit Höheninformation versehenen Korridorsegmente parallel beidseitig in 200 m Abständen zehn Mal vervielfacht um eine maximale Ausdehnung von zwei Kilometern beiderseits der Korridore zu erreichen. Mittels der Interpolationsmethodik Inverse Distance Weighting (IDW) wird eine kontinuierliche Fläche (250 m oberhalb der Korridore) mit einer Auflösung von 150 m geschaffen (vgl. Abb. 3).

Abb. 3: Darstellung der Ebene 250 m oberhalb der Autobahn (dicke Linie)

Die Bestimmung des sich zwischen dieser Obergrenze der Emissionsausbreitung, 250 m oberhalb der Korridore, sowie dem Gelände befindlichen Gebietes erfolgt mittels cut-fill-Analyse. Die ‚cut‘ Gebiete, d. h. dort wo die Volumenwerte negativ sind entsprechen dem

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gesuchten vom Verkehrslärm ausgesetzte Gebiet. anschließend wird diese Ergebnisfläche in einen Polygondatensatz umgewandelt. Dieselben Schritte werden separat für die Eisen-bahnkorridore durchgeführt. Nach dem Zusammenführen der beiden Polygondatensätze steht die Außengrenze des von Verkehrsemissionen betroffenen Gebietes fest.

Um Schatteneffekte von Gebäuden herauszufiltern, wird eine zweite Zone von 100 m um die Untersuchungskorridore erstellt. Die Teilsiedlungsflächen die sich in direkter Nachbar-schaft und orthogonal zum Korridor sowie angrenzend an die im 100-m-Bereich liegenden Siedlungsflächen befinden, werden manuell entfernt.

2.3 Quantifizierung der betroffenen Bevölkerung

Die Quantifizierung der durch vom Verkehr verursachte Lärmemissionen ausgesetzten Bevölkerung erfolgt durch räumliche Disaggregation der Einwohnerzahlen. Mit dieser Methodik lassen sich statistische Informationen, die sich auf administrative Einheiten be-

Abb. 4: Vom Lärm betroffene anteilige Siedlungsflächen sowie Anzahl der Einwohner am Beispiel Bozens (Italien)

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ziehen, auf Grundlage detaillierterer Daten räumlich verfeinern (vgl. STEINNOCHER et al. 2005). Administrative Einheiten stellen die Gemeinden des Alpenraumes dar und als Datensatz zur räumlichen Verfeinerung dienen die Landnutzungsklassen der Siedlungsge-biete der Corine Landcover (vgl. Tabelle 1). Eine Gewichtung nach Bebauungsklassen ist nicht möglich, da für die Untersuchungsgebiete keine Daten der Bebauungsdichte vorlie-gen. Es wird somit eine gleichmäßige Verteilung der Bevölkerung in den Siedlungsgebieten angenommen.

Mittels geometrischer Verschneidung weist man zunächst alle Siedlungsflächen den zughö-rigen Gemeinden zu. In einem zweiten Schritt werden die Siedlungsflächen pro Gemeinde zusammengefasst und so die Gesamtsiedlungsfläche pro Gemeinde berechnet.

Die geometrische Verschneidung der Siedlungsflächen und dem Verkehrslärm ausgesetzten Gebiet ermöglicht die Berechnung der km2 pro Teilfläche innerhalb und außerhalb des betroffenen Gebietes. Anschließend kann der prozentuale Anteil zwischen Innenfläche und Gesamtfläche je Gemeinde ermittelt werden. Die einzelnen Siedlungsflächen werden dann mit den Gemeinden verknüpft. In einem letzten Schritt erfolgt die Berechnung der betroffe-nen Bevölkerung durch Multiplizieren der Innenfläche mit der Einwohnerzahl pro Gemein-de dividiert durch 100 (vgl. Abb. 4).

3 Ergebnisse

Das folgende Kapitel stellt synthetisch die durch die Methodik im Kapitel 2 ermittelten Ergebnisse vor. Die nachstehende Abbildung 5 zeigt die Anzahl der ermittelten vom Lärm betroffenen Personen nach Korridor.

Abb. 5: Anzahl der Bevölkerung absolut und nach ihrem Anteil an der Gesamtbevölke-rung der betroffenen Gemeinden

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Der obere Wert quantifiziert die Summe der möglicherweise hohen Lärmbelastungen aus-gesetzten Bevölkerung für die einzelnen betrachteten Korridore in absoluten Zahlen. Dafür wurde die Anzahl der je Gemeinde betroffenen Einwohner separat addiert.

Der Korridor mit der größten Anzahl an betroffenen Personen ist nach den Berechnungen der Brenner, gefolgt von Montblanc und Gotthard. Dies ist insofern nicht überraschend, da der Brenner die größte Länge der fünf untersuchten Korridore aufweist (siehe Abb. 1). Zudem weist er allem im österreichischen Unterinntal eine sehr hohe Siedlungsdichte auf. Letzteres gilt auch für den Montblanc, der im Bereich Genève/Annemasse Gebiete mit hoher Siedlungsdichte durchschneidet und dementsprechend viele Menschen innerhalb des Buffers leben. Analog zu diesen Betrachtungen erschließt sich der niedrige Wert des Tarvi-sio-Korridors. Die Karte zeigt, dass nur der relativ kurze Teil auf italienischem Gebiet betrachtet wurde. Zudem führen sowohl die Trassierung der Autobahn wie auch der Bahn in weitem Abstand an den Siedlungsgebieten vorbei.

Diese Annahme unterstützt der untere Wert in der Abbildung. Er quantifiziert den Anteil der im Bereich des betroffenen Gebietes lebenden Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung der jeweiligen Gemeinde, die vom Buffer berührt werden. Diese Zahl zeigt aufgrund der Methodik den Anteil der Siedlungsfläche einer Gemeinde, der innerhalb des betroffenen Gebietes liegt. Sie kann gleichzeitig als Indikator dafür dienen, wie hoch der Anteil der potenziell hohen Lärmbelastungen ausgesetzten Bevölkerung an der Gesamteinwohnerzahl einer Gemeinde ist. Bei dieser Betrachtung ist der Montblanc der Korridor mit dem höchs-ten Wert, gefolgt von Brenner und Fréjus. Der Auch hier bildet der Tarvisio das Schluss-licht, da hier, wie bereits erwähnt, die Siedlungen nur selten unmittelbar an den Verkehrs-wegen liegen.

4 Diskussion und Ausblick

Die Ausarbeitung der Methodik hat gezeigt, dass es möglich ist mit grenzüberschreitend verfügbaren homogenen Daten mittels GIS ohne die Verwendung von proprietären diffe-renzierten Lärmmesswerten vergleichbare Ergebnisse zu erzielen. Die Anzahl derjenigen Bewohner, entlang der Hauptalpentransitkorridore, die möglicherweise kritischen Lärm-emissionen ausgesetzt sind, wurden mittels der geschilderten Methodik quantifiziert. Für eine Verifizierung der errechneten Ergebnisse werden diese Ergebnissen von Modellrech-nungen der Umweltschutzämter gegenübergestellt. Die Abbildung zeigt anhand eines kon-kreten Beispiels (Flüelen und Altdorf, Kanton Uri) den Vergleich der Methodik mit den Lärmkarten des Lärmemissionsmodellierung des Schweizerischen Bundesamtes für Um-welt (BAFU 2001b) (siehe Abb. 6).

Die mit Messdaten verifizierten Lärmausbreitungsmodelle ergeben ein wesentlich genau-eres Bild der Lärmbelastung. Die Gegenüberstellung mit Ergebnissen der eigenen Berech-nungen zeigt, dass die Dimensionen der Zone erhöhter Lärmbelastung der vom BAFU modellierten Lärmausbreitung nahe kommen. Die Ergebnisse entstanden jedoch mit we-sentlich geringerem Aufwand und auf der Basis frei verfügbarer Daten. Allerdings erlauben sie im Vergleich zu flächendeckenden Modellberechnungen auf Basis von Messdaten ledig-lich einen groben Rückschluss auf die Lärmausbreitung.

Höher auflösende Daten zu Siedlungsausbreitung und Bebauungsdichte ermöglichen eine genauere Lokalisierung der betroffenen Bevölkerung. Ebenso waren georeferenzierte Daten

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Abb. 6: Vergleich eigener Berechnungen mit Lärmmodellierungen des BAFU

von entlang der betrachteten Verkehrswege gebauten vorhandenen Lärmschutzwände nicht vollumfänglich verfügbar. Um eine für alle Korridore identische Methodik und damit eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, wurden Lärmschutzwände bisher nicht in die Untersuchung miteinbezogen. Eine solche Einbeziehung könnte aber ein noch genau-eres Bild der Anzahl der betroffenen Bevölkerung erlauben.

Literatur

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