Bioindikation mit Flechten Beispiel · Pro Planquadrat sollten 10 Bäume berücksichtigt werden (V....

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Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (1987) 132/3: 123-134 Bioindikation mit Flechten am Beispiel der Flechtenkartierung in Winterthur Hanni Britt, Winterthur Die vorliegende Arbeit soll ein Beitrag zum Problemkreis der Luftverschmutzung sein. Um sich ein Bild der lufthygienischen Situation machen zu können, muss der Schadstoffgehalt der Luft gemessen und dargestellt werden. Der Einsatz von Bioindikatoren ist hier von grossem Nutzen, denn Bioindikatoren können die Wirkungsweise von Schadstoffen auf Lebewesen deutlich ma- chen. In der Arbeit wird speziell der Einsatz von Flechten als Bioindikatoren beschricben und eine Methode zur Herstellung einer Luftgütekarte nach dem Prinzip des «Index of Atmospheric Purity» (IAP). Lichens as Bioindicators of Air Pollution, illustrated in an IAP-Map of Winterthur The following study presents a contribution to the problem of the air pollution. To get a view of the air condition it is necessary to measure and map the degree of the air pollution. The use of bioindicators is particularly apt in this case, because bioindicators can show the manner the pol- lutants affect the organisms. The study especially describes the use of lichens as bioindicators and a method to map the air pollution following the principles of the "Index of Atmospheric Purity" (IAP). 1 Einleitung und Problemstellung Dem Problem der Luftverschmutzung wird in den letzten Jahren mehr und mehr Beachtung geschenkt, denn die grossen Mengen von Schadstoffen, mit welchen wir unsere Atmosphäre belasten, werden zunehmend eine Gefahr für Pfl anzen, Tiere und Menschen. Um Lösungen finden zu können, muss die momentane Situation bekannt sein. Und um getroffene Gegenmassnahmen, wie sie z. B. die Luftreinhalteverordnung des Bundes vorschreibt, überwachen zu können, entsteht das Bedürfnis nach geeigneten Frühwarn- und Überwa- chungssystemen. Einzelne Schadstoffe werden seit längerer Zeit mit technischen Messgerä- ten erfasst. Es fehlen aber Methoden, die die Auswirkungen der Schadstoffe auf Lebewesen deutlich machen können. Der Einsatz von Bioindikatoren kann diese Lücke schliessen. Flechten eignen sich, wie wir später noch sehen werden, sehr gut als Bioindikatoren und werden schon seit einigen Jahrzehn- ten dazu verwendet (T. H. Nash, 1976a). Drei Biologen, R. Herzig, L. Liebendörfer und M. Urech, erarbeiteten im Rahmen des NFP 14 in Biel eine neuartige Methode, in welcher die epiphyti- sche Flechtenvegetation mit technisch gemessenen Luftmesswerten in Zusam- menhang gebracht wird (R. Herzig et al., 1985). Da die Flechtendaten mit den Luftmesswerten hoch korrelieren, ist es zulässig – mit relativ geringem Auf- wand – eine Luftgütekarte zu erstellen. Diese lässt flächendeckende Aussagen

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  • Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (1987) 132/3: 123-134

    Bioindikation mit Flechten am Beispiel derFlechtenkartierung in Winterthur

    Hanni Britt, Winterthur

    Die vorliegende Arbeit soll ein Beitrag zum Problemkreis der Luftverschmutzung sein. Um sichein Bild der lufthygienischen Situation machen zu können, muss der Schadstoffgehalt der Luftgemessen und dargestellt werden. Der Einsatz von Bioindikatoren ist hier von grossem Nutzen,denn Bioindikatoren können die Wirkungsweise von Schadstoffen auf Lebewesen deutlich ma-chen.

    In der Arbeit wird speziell der Einsatz von Flechten als Bioindikatoren beschricben und eineMethode zur Herstellung einer Luftgütekarte nach dem Prinzip des «Index of AtmosphericPurity» (IAP).

    Lichens as Bioindicators of Air Pollution, illustrated in an IAP-Map of Winterthur

    The following study presents a contribution to the problem of the air pollution. To get a view ofthe air condition it is necessary to measure and map the degree of the air pollution. The use ofbioindicators is particularly apt in this case, because bioindicators can show the manner the pol-lutants affect the organisms.

    The study especially describes the use of lichens as bioindicators and a method to map the airpollution following the principles of the "Index of Atmospheric Purity" (IAP).

    1 Einleitung und Problemstellung

    Dem Problem der Luftverschmutzung wird in den letzten Jahren mehr undmehr Beachtung geschenkt, denn die grossen Mengen von Schadstoffen, mitwelchen wir unsere Atmosphäre belasten, werden zunehmend eine Gefahr fürPflanzen, Tiere und Menschen. Um Lösungen finden zu können, muss diemomentane Situation bekannt sein. Und um getroffene Gegenmassnahmen,wie sie z. B. die Luftreinhalteverordnung des Bundes vorschreibt, überwachenzu können, entsteht das Bedürfnis nach geeigneten Frühwarn- und Überwa-chungssystemen.

    Einzelne Schadstoffe werden seit längerer Zeit mit technischen Messgerä-ten erfasst. Es fehlen aber Methoden, die die Auswirkungen der Schadstoffeauf Lebewesen deutlich machen können. Der Einsatz von Bioindikatorenkann diese Lücke schliessen. Flechten eignen sich, wie wir später noch sehenwerden, sehr gut als Bioindikatoren und werden schon seit einigen Jahrzehn-ten dazu verwendet (T. H. Nash, 1976a).

    Drei Biologen, R. Herzig, L. Liebendörfer und M. Urech, erarbeiteten imRahmen des NFP 14 in Biel eine neuartige Methode, in welcher die epiphyti-sche Flechtenvegetation mit technisch gemessenen Luftmesswerten in Zusam-menhang gebracht wird (R. Herzig et al., 1985). Da die Flechtendaten mit denLuftmesswerten hoch korrelieren, ist es zulässig – mit relativ geringem Auf-wand – eine Luftgütekarte zu erstellen. Diese lässt flächendeckende Aussagen

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    zur Gesamtbelastung zu und stellt fundierte Grundlagen bereit, um geeigneteGegenmassnahmen ergreifen zu können.

    Der vorliegende Artikel ist eine Zusammenfassung der Diplomarbeit derAutorin. Die Arbeit entstand in Zusammenarbeit mit den oben erwähntenBiologen R. Herzig, L. Liebendörfer und M. Urech. Ihre Methode wurde fürdie Kartierung Winterthurs leicht abgeändert übernommen.

    2 Flechten als Bioindikatoren

    2.l Was sind Flechten?

    (Literatur: G.B. Feige, 1982; A. Henssen & H.M. Jahns, 1974; H.M. Jahns,1980; V. Wirth, 1980 und 1983.)

    Die Morphologie der Flechten ist so eigenartig, dass sie lange Zeit nichtrichtig gedeutet wurde. Rein äusserlich betrachtet wirkt eine Flechte wie eineEinheit, in Wirklichkeit handelt es sich aber um einen Doppelorganismus, be-stehend aus einer bestimmten Pilz- und Algenart. Pilz und Alge leben in ei-nem Symbioseverhältnis. Dieses Verhältnis kann auch mit dem Begriff «Hun-gersymbiose» umschrieben werden, denn das Zusammenleben funktioniertnur, wenn beide Partner relativ ungünstige Bedingungen vorfinden.

    In der Gemeinschaft erfahren sowohl der Pilz als auCh die Alge eine Ver-besserung ihrer Lebensbedingungen. Die Alge versorgt den Pilz mit Photosyn-theseprodukten, die dieser allein nicht bilden kann. Der Pilz schützt die Algevor Austrocknung und allzu intensiver Strahlung und versorgt sie mit Spuren-elementen aus Regen und Staub.

    Die Alge wird durch die Versorgung des Pilzes mit Kohlehydraten aufeinem Existenzminimum ihrer Lebensfähigkeit gehalten. Verschlechtern siChdie Lebensbedingungen durch äussere Einflüsse, kann die Alge nicht mehrüberleben und die Flechte stirbt ab.

    Eine weitere Eigenart der Flechten ist ihr fehlendes Wasserspeichervermö-gen und Organe, die die Wasseraufnahme kontrollieren. Das bedingt, dass sietrockenheitsresistent sein müssen. In Perioden der Austrocknung gehen sie ineinen Zustand latenten Lebens über und sind relativ unempfindlich gegen-über äusseren Einflüssen. Die Aufnahme von Wasser ist ein rein passiver Vor-gang. Aufnahme und Abgabe geschehen schnell. Das heisst, dass FleChten aufdauernde, ausreichende Wasserversorgung angewiesen sind, da die Flechte infeuchtem Zustand zu intensivem Leben übergeht. Sie vermeidet so ungünstigeStoffbilanzen. Sie kann Feuchtigkeit aus Niederschlägen, Taufall und Luft-feuchtigkeit aufnehmen, damit verbunden aber auch darin gelöste Schad-stoffe.

    In Westeuropa ist ihre physiologische Aktivität im Sommer geringer als inden übrigen Jahreszeiten. Daraus geht hervor, dass sich die Flechten im Ver-lauf der Jahreszeiten nicht stark ändern, sie sind ganzjährig aktiv.

  • Bioindikation mit Flechten am Beispiel der Flechtenkartierung in Winterthur 125

    2.2 Bioindikatoren

    In der Enzyklopädie Naturwissenschaft (1979) wird der Begriff «Bioindika-tor» definiert als Art, Sippe oder Gemeinschaft von Lebewesen, deren Vor-kommen oder leicht erkennbares Verhalten sich mit bestimmten Umweltver-hältnissen so eng korrelieren lässt, dass man sie als Zeiger (Indikator) oderquantitativen Test verwenden kann. Im Zusammenhang mit Umweltschutzverwendet man häufig sog. Monitorarten. Es sind Bioindikatoren, die zur qua-litativen und quantitativen Erfassung von Schadstoffen eingesetzt werdenkönnen (H. Bick, 1982).

    Schadstoffe können also einerseits mit technischen Messgeräten, anderer-seits aber auch mit Bioindikatoren naChgewiesen werden. Erstere liefern ex-akte Angaben über Zusammensetzung, Art und Konzentration einzelnerSchadstoffkomponenten. Der Einsatz von Bioindikatoren weist andere Vor-teile auf: Sie sind billig im Einsatz, natürlicherweise flächendeckend vorhan-den und können als Subsysteme in einem Ökosystem Aussagen zur Wirkungs-weise von Schadstoffen machen, indem sie auf die biologisch wirksamen Im-missionen reagieren (L. Steubing & U. KirsChbaum, 1982).

    Letzteres bringt auch Nachteile mit sich. Man kann nicht die Wirkung ein-zelner Schadstoffe untersuchen, es wirkt ein System von Beeinflussungen.Man misst immer die Gesamtheit der einwirkenden Faktoren. Interaktionen,die zwischen verschiedenen Schadstoffen bestehen können, müssen ebenfallsberücksichtigt werden (W. Punz, 1979).

    Ein weiteres Problem sind die Standortfaktoren. Die Empfindlichkeit vonBioindikatoren hängt auch von ihrer Umgebung ab. Die Untersuchungsob-jekte müssen deshalb standardisiert werden (V. Heidi, 1978; L. Steubing,1977).

    Gute Bioindikatoren sind im allgemeinen Pflanzen, denn sie sind an ihrenStandort gebunden und kommen meist sehr zahlreich vor (R. Herzig et al.,1985).

    2.3 Flechten als Bioindikatoren

    Besondere Eigenschaften ihrer Physiologie (vgl. auCh Kap. 2.1) machen dieFlechten besonders anfällig auf Veränderungen der lufthygienischen Situa-tion. Sie werden deshalb häufig als Monitororganismen zur Überwachung derLuftqualität eingesetzt. Man beschränkt sich dabei meist auf die epiphytischauf Baumrinden wachsenden Flechten.

    Die Empfindlichkeit der Flechten hängt von versChiedenen Faktoren ab(K. Ammann et al., 1982 ; V. Heidt, 1978; H. S. Richardson, 1981; L. Steubing &U. Kirschbaum, 1982):– Das Gleichgewicht der Flechtensymbiose ist labil und deshalb störungsan-

    fällig.

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    – Flechten besitzen keinerlei Schutzvorrichtungen gegenüber Einwirkungender Atmosphäre; Spaltöffnungen und Cuticula fehlen. Der Gasaustauschgeschieht unkontrolliert, auch Schadgase haben ungehinderten Zutritt.

    – Flechten haben keine Wurzeln. Wasser- und Nährstoffaufnahme erfolgt di-rekt aus dem Niederschlagswasser, der Luftfeuchtigkeit und dem Wasser-potential des Substrates. Zusammen mit den Nährstoffen können auchgelöste Schadstoffe problemlos eindringen. Die chemische Zusammenset-zung der Umgebung bestimmt zu einem guten Teil den Gehalt an verschie-denen Stoffen in ihrem Innern.

    – Ein Ausscheidungssystem (z. B. herbstliches Laubabwerfen) fehlt. Gleich-zeitig können Flechten alt werden. Beides führt zu einer Akkumulation vonSchadstoffen in ihrem Innern, was siCh auf die Dauer sChädlich auswirkenkann.

    – Die Stoffwechselvorgänge laufen erst bei genügender Durchfeuchtung op-timal ab. Das Winterhalbjahr mit seiner erhöhten Luftfeuchtigkeit stelltalso eine günstige Vegetationsperiode für Flechten dar.Diese Merkmale machen Flechten zu idealen Indikatoren für Luftver-

    schmutzung. Sie reagieren empfindlich und können so frühzeitig auf gefähr-liche Schadstoffkonzentrationen aufmerksam machen (R. Herzig et al., 1985).

    Die Auswirkungen der Schadstoffe auf die Flechten sind vielfältig. Teil-weise sind sie von Auge sichtbar, d. h. der Flechtenthallus ist geschädigt, an-dere Schädigungen betreffen innere Vorgänge, z. B. die Photosynthese oderdie Atmung (S. Deruelle, 1978).

    Eine geringe Verschmutzung über kurze Zeit führt zu inneren Schädigun-gen, dauert sie an, reagiert die Flechte mit Kümmerwuchs bzw. schlechter Vi-talität. Stärkere Verschmutzung führt zum Absterben der Flechte.

    Zu beachten ist, dass der Einfluss von Schadstoffen nicht primär zu einerSChädigung und zum Verschwinden aller Flechtenarten führen muss, er kannu. U. auch eine, bei anhaltender Schädigung zwar vorübergehende, Förderunggewisser Flechtenarten bedeuten (beispielsweise durch fehlende Konkurrenzanderer Flechten) (S. Deruelle, 1978).

    3 Untersuchung

    3.1 Das Aufnahmeverfahren

    3.11 Standort- und Trägerbaumparameter

    Wie im Kapitel 2.2 schon angetönt wurde, muss bei der Wahl der Standortedarauf geachtet werden, dass sie aus einer standardisierten Grundgesamtheitstammen. Dies ist v. a. wiChtig, um sicher zu sein, dass qualitative und quanti-tative Unterschiede der epiphytischen Flechtenvegetation an verschiedenenStandorten hauptsächlich durch Veränderungen des Grades der Luftver-schmutzung und niCht durch Unterschiede in den Standortfaktoren hervorge-

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    rufen werden (V. Heidt, 1978; L. Steubing, 1977). Dazu dienen die Standort-und Trägerbaumparameter; mit ihrer Hilfe können so nachträglich allfälligeAusreisser identifiziert werden.

    Auswahl der Trägerbäume:Das Untersuchungsgebiet wurde in 24 Planquadrate mit einer Seitenlänge von500 m eingeteilt. Pro Planquadrat sollten 10 Bäume berücksichtigt werden(V. Heidt, 1978). Im Fall Winterthur wurden nur 5 Bäume untersucht, da nichtüberall genügend geeignete Bäume zur Verfügung standen. Nachträglichmussten auch einige Quadrate zusammengelegt werden, um auf eine genü-gende Anzahl Untersuchungsobjekte zu kommen.

    Die Auswahl der Trägerbäume geschah nach folgenden Kriterien:– Baumarten: Es werden Baumarten berücksichtigt, deren Borke einen ver-

    gleichbaren pH-Wert aufweist und nicht abblättert. Zugelassen sind Lin-den (Tilia platyphyllos, T. cordata), Ahorn (v. a. Acer platanoides) undEschen (Fraxinus excelsior).

    – Stammdurchmesser: Mit zunehmendem Alter kann sich die Borkenbe-schaffenheit ändern. Als Mass für das Alter wurde der Stammumfang ge-wählt. Die Trägerbäume sollen einen Umfang zwischen 100 und 280 cmaufweisen, gemessen auf 135 cm Höhe.

    – Beschattung: Die Trägerbäume müssen frei stehen. Waldgebiete sind somitvon dieser Kartierung ausgeschlossen.

    – Neigung: Es werden nur senkrecht stehende Stämme berüCksichtigt.Zusätzlich dürfen die Trägerbäume weder chemisch noCh mechanisch be-

    handelt sein.

    3.12 Aufnahme der FlechtenparameterNach der Standortwahl wurden pro Trägerbaum verschiedene Flechtenpara-meter erfasst, innerhalb einer ebenfalls standardisierten Aufnahmefläche. Siewird bestimmt durch die sog. Frequenzleiter (Bild l), die 10 identisChe Teilflä-Chen umfasst. Die Breite ist variabel; sie wird dem Stammumfang angepasst,so dass immer der halbe Umfang untersucht werden kann, zwischen 110 und160 cm Höhe. Die Position des mittleren Stabes liegt in der Hauptexpositions-richtung des Blattflechtenbewuchses.

    jKaptex posit ions

    ‚tobt ung

    Bild 1 Frequenzleiter. Mit dieser Vorrich-tung wird die Aufnahmefläche am Stamm fest-gelegt und in zehn Teilflächen unterteilt.

    Fig. 1 Frequency-Indicator. This device de-fines the area of survey on the tree trunk.

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    Auf dieser Fläche wurden die Parameter Artenvielfalt, Frequenz F, Dek-kung, Vitalität und SChädigungsgrad bestimmt. Der für diese Untersuchungwichtigste Flechtenparameter ist die Frequenz F. Für die Bestimmung diesesParameters wird für jede Flechtenart ausgezählt, in wievielen der 10 Teilflä-chen sie vorkommt. Hohe Frequenzwerte von v. a. sensiblen Arten weisen aufeine hohe Luftqualität hin. Bei den Angaben zur Deckung, Vitalität und zumSchädigungsgrad handelt es sich um Schätzwerte, die nicht in die quantitativeUntersuchung eingehen.

    Diese Parameter werden für jede einzelne Flechtenart bestimmt. Wareneinzelne Arten schwer zu unterscheiden und/oder gehören ökologisch identi-schen Sippen an, wurden sie zu Artengruppen zusammengefasst.

    Ein weiterer Parameter lässt sich berechnen: der Toxitoleranzfaktor Q. Erbezeichnet die mittlere Begleitartenzahl einer Flechte. Er resultiert aus der Be-obachtung, dass sich gegenüber Immissionen empfindliche Arten erst dannansiedeln, wenn an den betreffenden Standorten schon andere, weniger emp-findliche Arten existieren (V. Heidt, 1978). Die Gesamtartenzahl an einembestimmten Standort ist also ein Mass ihrer Empfindlichkeit.

    3.2 Auswertung

    Die aufgenommenen Flechtenparameter müssen kartographisch dargestelltwerden. Dazu bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, beispielsweise Ver-breitungskarten, Aufzeichnung von Artenzahl, Deckungsgrad, Häufigkeit,und Zonenkarten (D. L. Hawksworth, 1973). Zonenkarten basieren auf Grund-lagenkarten der Verbreitung und Häufigkeit der Flechten. Anhand dieser An-gaben können Zonen unterschieden werden, meist drei oder vier, nach demZonenmodell Sernanders: Um ein belastetes Kerngebiet, die sog. Flechten-wüste, schliessen sich von innen nach aussen die innere und äussere Kampf-zone und die Normalzone an (D. L. Hawksworth, 1971; T.H. Nash, 1976a).

    IAP-Karten :Eine weitere Möglichkeit der Darstellung ist die sog. IAP-Karte. Es ist eineArt Zonenkarte, deren Zonen (im Unterschied zu gewöhnlichen Zonenkarten)anhand einer numerischen Methode bestimmt werden (D. L. Hawksworth,1973). Es müssen sämtliche vorkommende Arten bestimmt werden.

    Desloover und LeBlanc entwickelten 1970 diese neue Art von Zonenkarten.IAP bedeutet «Index of Atmospheric Purity». Das Ziel ist, alle Einzelinfor-mationen, die pro Standort anfallen, zu einer einzigen Luftbelastungsaussagezusammenzufassen. Dieser Zahlenwert (Index) wird anhand eines mathemati-schen Berechnungsmodells ermittelt (F. LeBlanc & J. Desloover, 1970):

    [^IAP = L l/io•Q•f;

    =1

    Q; = Toxitoleranzfaktor einer Flechtenart

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    f; = Mischfaktor aus den Parametern Frequenz und Deckungsgrad einer Art(Frequenz ist hier das Auftreten einer Flechtenart an 10 Bäumen einer«Station»)

    n = Anzahl Flechten einer Station1 /lo: Teilung durch 10 ergibt eine handlichere Zahl

    Das bedeutet, je mehr Flechtenarten auftreten und je grösser der Dek-kungsgrad und die Frequenz der einzelnen Arten, desto höher ist der IAP-Wert und desto besser ist die Luftqualität.

    Diese IAP-Berechnungsformel wurde in den folgenden Arbeiten mehrmalsmodifiziert. Die in der Untersuchung Winterthur verwendete Methode derBerner Biologen (R. Herzig et al., 1985) hält sich ebenfalls an das Prinzip derIAP-Karten, bedient sich aber einer neuen Formel. Neu an dieser Methodeist, dass ein direkter Bezug zur Luftbelastung hergestellt wird, indem IAP-Werte, berechnet nach verschiedenen Berechnungsmodellen, mit technisch er-mittelten Luftqualitätsmessungen in Zusammenhang gebracht werden. Dasam höchsten korrelierende Modell beruht nur auf dem FlechtenparameterFrequenz F, d. h. die jetzt verwendete Formel heisst

    IAP = E F

    Die Frequenzwerte aller vorkommenden Arten eines Trägerbaumes werdenaufsummiert und ergeben den IAP-Wert des Standortes. Der IAP-Wert einesPlanquadrates berechnet sich aus dem Mittelwert der fünf Standorte des Qua-drates. Diese Werte können nur kartographisch dargestellt werden.

    Mittels der Standardabweichung wurden Klassen gebildet und fünf Zonenunterschieden. In Anlehnung an frühere BezeiChnungen wurden sie folgen-dermassen benannt: Flechtenwüste, innere und äussere Kampfzone, Über-gangszone und Normalzone. Diese Bezeichnungen sind aber nicht vergleich-bar mit denen anderer Arbeiten, da diese sich meist nach dem Vorkommen ge-wisser Zeigerarten richten.

    Die Flechtenwüste ist flechtenarm und entspricht einer kritischen Gesamt-belastung. Sie bezeichnet Gebiete, in welchen die Jahresmittelwerte einzelnerSchadstoffe höchstwahrscheinlich über dem Grenzwert der Luftreinhaltever-ordnung liegen. Die Normalzone ist demgegenüber flechtenreich und weisteine sehr geringe Gesamtbelastung auf, Grenzwertüberschreitungen sind niChtsehr wahrscheinlich (R. Herzig et al., 1987).

    4 Resultate der Kartierung

    Das Ergebnis der Kartierung ist in Bild 2 abgebildet. Es handelt sich um eineRasterkarte, die eigentliCh nur eine Vorstufe der flächenhaften Informations-darstellung ist. Sie weist ein relativ geringes Auflösungsvermögen auf, ist stark

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    vereinfacht und schematisiert. Geographische Raumstrukturen werden nichterfasst, was ein grosser Nachteil dieser Darstellungsart ist. Man erhält ledig-lich ein grobes Muster der Zonenverteilung, deshalb ergeben sich teilweiseauch grosse Sprünge zwischen einzelnen Planquadraten.

    Diese Probleme würden bei einer Isolinienkarte wegfallen. Das wäre dennauch der letzte Schritt einer solchen Kartierung. Sie erlaubt eine feinaufgelö-ste Darstellung und erleichtert die Interpretation des gesamten Musters.

    Von einer solchen Darstellung musste bei dieser Untersuchung abgesehenwerden, denn die Form des kartierten Gebietes und die Verteilung der Stich-proben erlauben kein sinnvolles Ziehen von Isolinien.

    Um die Interpretation der Zonen etwas zu erleichtern, sollen sie im folgen-den kurz charakterisiert werden:

    Flechtenwüste:Der Gesamteindruck von Baumstämmen dieser Zone ist ihre Kahlheit in be-zug auf Flechten. Die Rinde ist entweder völlig kahl, häufig aber von einergrünen Algenschicht und einer staubigen Kruste überzogen. Die Gesamtarten-zahl ist sehr beschränkt, einzelne Krustenflechten können allerdings weit indie Flechtenwüste vordringen. Von den im Untersuchungsgebiet registrierten18 Blatt- und Strauchflechten existieren hier nur deren drei: Hypogymnia phy-sodes, Parmelia sulcata und Pseudevernia furfuracea, die alle zu den ziemlichtoxitoleranten Arten gezählt werden (Tab. 1). Ihr Deckungsgrad ist gering, dieFrequenz niedrig und ihre Entwicklung schlecht (Bildung von Kammerfor-men).

    Innere Kampfzone:Die Verhältnisse in dieser Zone sind für die Flechten immer noch schlecht,auch hier kämpfen sie um ihr Überleben. Die Artenzahl ist etwas höher, dieGesamtdeckung naCh wie vor gering, und die Flechten erscheinen in Küm-merform.

    Äussere Kampfzone:

    Hier liegt der Verbreitungsschwerpunkt der ziemlich toxitoleranten ArtenHypogymnia physodes, Parmelia sulcata und Pseudevernia furfuracea. Es tretennun auch vermehrt empfindlichere Arten (Tab. l) auf, der Deckungsgrad istgrösser.

    Übergangszone:

    Die durchschnittliche Artenzahl ist wiederum etwas grösser als in der vorher-gehenden Zone, es treten rund 13 verschiedene Arten auf. Der Zustand derFlechten ist besser, einzelne Arten waChsen ziemlich üppig, und die Schädi-gung ist nicht mehr so gross.

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    Tabelle 1 Toxitoleranzfaktoren (Q) und relative Häufigkeit des Vorkommens der einzelnenFlechtenarten.Mit zunehmendem Q-Wert steigt die Empfindlichkeit an; Flechtenarten mit Q-Werten bis 4,l dür-fen als ziemlich toxitolerant bezeichnet werden.

    Table 1 Toxitolerance rate.

    Artname Toxitoleranz-faktor Q

    Relative Häufigkeit(in % aller Standorte)

    Hypogymnia physodes 2,8 67,2Pseudevernia furfuracea 3,3 44,4Parmelia sulcata 3,5 57,2Xanthoria parietina 3,5 27,2Physcia adscendens-Gr. 3,8 31,lUsnea spec. 3,9 6,lParmelia caperata 4,0 l,lP. exasperatula/glabratula 4,l 37,8Physconia grisea 4,2 14,4Pertusaria albescens 4,3 5,0Parmelia subrudecta 4,4 16,7Parmelia acetabulum 4,8 5,6Parmelia tiliacea 4,9 17,2Ramalina farinacea 5,0 l,lPhysconia pulverulacea 5,0 l,l

    Normalzone:Es herrschen Verhältnisse, unter welchen auch empfindliche Arten ein gutesAuskommen finden und sich vermehren können. Die Flechten waChsen üppigund sind kaum gesChädigt. Der Deckungsgrad ist hoch. Trotzdem ist die Nor-malzone wohl weiträumig beeinflusst, denn auch hier sind schon viele Artenselten geworden oder ganz verschwunden.

    Trotz aller Nachteile einer Rasterkarte lassen sich in Bild 2 konzentrischeZonen rund um den Stadtkern erkennen, abgesehen von einigen Unregelmäs-sigkeiten. Das heisst, dass die Belastung generell vom dicht bebauten, ver-kehrsbelasteten Stadtkern gegen die Aussenquartiere hin abnimmt.

    Die Situation im Osten sCheint eher etwas besser zu sein als im Westen derStadt. Weshalb ist schwer zu sagen anhand dieser kleinräumigen Kartierung.Einerseits reagieren Flechten auf lokale Emissionen, z. B. dichtbefahreneStrassen, was sich sofort in einem gesenkten Mittelwert niedersChlägt. Ande-rerseits hat auch die Windsituation Einfluss auf die Gesamtbelastung. In Win-terthur sind Westwinde vorherrschend, im Winter sind jedoch auch Nordost-winde relativ häufig. Es wäre denkbar, dass Schadstoffe aus dem nordöstlichgelegenen Industriegebiet westwärts verfrachtet würden.

    Wie stark sich aber der Ein fluss der Industrie, der dicht befahrenen Aus-fallachsen und der Windverhältnisse auswirkt, lässt sich anhand dieser Kartenicht präzisieren.

  • LUFTGÜTEKARTE VON WINTERTHUR UND REGION1985

    Bioindikation trait Flechten

    Pfungen

    FlechtenwüsteIAP 0 - 10,5

    Innere KampfzoneIAP 10.5-26.9

    Äussere Kampfzone IAP 20,9-31.3

    ÜbergangszoneIAP 31,3-41.7

    NormalzoneIAP 41,7-

    0 tkm

    Kollbrunn

    132

    Hanni Britt

    Bild 2 Luftgütekar e von Winterthur 1985.

    Fig. 2 IAP-map showing the degree of air pollution in Winterthur 1985.

    Die Normalzone ist nur im Südosten der Stadt anzutreffen. Die IAP-Wertebewegen sich aber dicht an der Klassengrenze zur Übergangszone. Eine Be-stätigung der Werte in der Umgebung wäre deshalb angezeigt.

    Kleinräumige Unterschiede, d. h. Besonderheiten bezüglich geographi-schem Standort, Bebauungsdichte, Verkehrsdichte usw. entfallen, es lassensich keine Emissionsquellen herauslesen.

    5 Schlussbemerkung

    Der vorliegende Artikel sollte anhand eines konkreten Beispiels eine Methodeaufzeigen, mit welcher es mögliCh is`t, einfach, billig, flächendeckend undraumbezogen die lufthygienische Situation eines Gebietes zu erfassen. DasVorgehen wurde am Beispiel der Kartierung der Stadt Winterthur beschrie-ben.

    Diese Arbeit wurde im Rahmen einer Diplomarbeit ausgeführt und musstedeshalb im Umfang besChränkt werden. Sie erfasst ein relativ kleines Gebietentlang der AusfallaChsen, das die Herstellung einer Isolinienkarte nicht zu-

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    lässt. Eine umfassende Untersuchung müsste demnach auf das ganze Stadt-gebiet ausgedehnt werden. Dennoch erhält man einen groben Überblick überdie Immissionssituation der Stadt, der als eine Art Voruntersuchung dienenkann.

    6 Literatur

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