BKK Gesundheitsreport 2016 - Präventionsschicht der B. Braun Melsungen AG

7

Click here to load reader

Transcript of BKK Gesundheitsreport 2016 - Präventionsschicht der B. Braun Melsungen AG

Page 1: BKK Gesundheitsreport 2016 - Präventionsschicht der B. Braun Melsungen AG

367

Hohes Engagement für die Gesundheit der Belegschaft und Angebote zur Gesundheitsförderung gehören mittlerweile zum festen Bestandteil der unternehmerischen Verantwor-tung. In zahlreichen Unternehmen wurde in den letzten Jah-ren ein Betriebliches Gesundheitsmanagement etabliert; Präventionsangebote sollen die Beschäftigten unterstützen, ihre Arbeitsfähigkeit möglichst dauerhaft zu erhalten. Be-triebliche Prävention ist dabei kein Modetrend, sondern als langfristiges und strategisches Instrument zur Minderung kapazitiver und produktiver Risiken zu verstehen – insbeson-dere vor dem Hintergrund des prognostizierten demografi-schen Wandels der Gesellschaft, der selbstverständlich nicht vor den Toren der Betriebe haltmacht.

Das betriebliche Engagement rund um die Mitarbeiter-gesundheit rückte in den letzten Jahren immer stärker in den betrieblichen Fokus – gleichzeitig weisen die meisten Fehl-zeitenreports eine kontinuierliche Zunahme von Arbeitsun-fähigkeitsfällen aus. Wie passt das zusammen?

Für ein erfolgreiches Betriebliches Gesundheitsmanage-ment ist die Sensibilisierung der Belegschaft zu eigenver-antwortlichem Umgang mit der Gesundheit von großer Wichtigkeit.

Ob (und wie) dies gelingt, wird künftig immer mehr zu einem Gradmesser für den Erfolg eines Betrieblichen Ge-sundheitsmanagements. Dabei gilt: weg vom Gießkannen-prinzip, hin zu zielgruppen- und anlassbezogenen individu-ellen Präventionsangeboten.

Das Gesundheitsmanagement der B. Braun Melsungen AG

Für die Gesundheit der Menschen zu arbeiten, ist für B. Braun seit jeher ein Antrieb für unternehmeri-sches Handeln. Das gilt nicht nur im Gesundheits-sektor hinsichtlich der Patienten und des medizini-schen Personals, sondern auch hinsichtlich der B. Braun Mitarbeiter. Sie sind für B. Braun der wich-tigste Faktor für den Erfolg. Das Gesundheitsmanage-ment „[email protected]“ agiert ganz im Sinne der Unter-nehmensphilosophie. Ihr einvernehmliches Ziel ist es, die Gesundheit der Beschäftigten nicht nur zu er-

halten, sondern diese mit einem breiten Angebot an Maßnahmen zur Verhaltens- und Verhältnispräven-tion zu fördern. Hierbei wird großer Wert darauf ge-legt, die Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu stär-ken.

Alle [email protected]äten entstehen in einem betrieblichen Netzwerk − unter Mitwirkung von Unternehmensleitung, Betriebsrat, Betriebsärzten, Arbeitssicherheit sowie in enger Kooperation mit der BKK B. Braun Melsungen AG.

Die Kooperation – eine lange Tradition

Die Zusammenarbeit der BKK B. Braun mit dem Trä-gerunternehmen hat eine lange Tradition. Bereits in der Vergangenheit wurde ihr eine hohe Priorität ein-geräumt. Sie ist − ganz im Sinne des B. Braun Claims „Sharing Expertise“ − gelebter Wissensaustausch. Besonders hervorzuheben ist die bereits im Jahr 2009 gemeinsam unterzeichnete Vereinbarung über Bo-nuszahlungen für die betriebliche Gesundheitsför-derung. Ziel war es schon damals, durch die Bonus-initiative nachhaltige betriebliche Änderungen zu erzielen, die sich langfristig positiv auf die Gesund-erhaltung der Mitarbeiter auswirken. Noch heute hat diese Vereinbarung Bestand und wurde zum Ver-trag über die Gewährung eines Bonus für qualitäts-gesicherte Maßnahmen der betrieblichen Gesund-heitsförderung weiterentwickelt. In diesem Sinn hat die Oberender & Partner Unternehmensberatung im Gesundheitswesen [1] im Auftrag der B. Braun Unter-nehmensleitung und der BKK B. Braun Melsungen AG im Jahr 2010 ein „Konzept zur Reduktion des de-mografiebedingten Produktivitätsrisikos“ erarbei-tet. Grundlage für das Konzept bildete eine Alters-strukturanalyse aus dem Jahr 2010, in der die Beleg-schaft in Fünf-Jahres-Schritte aufgegliedert wurde. Zu jeder einzelnen Alterskohorte analysierte die BKK B. Braun die fünf häufigsten Krankheitsbilder. Die-se realen Daten bildeten die Grundlage für eine Si-

Die Präventionsschicht – Beispiel für eine gelungene praxisorientierte KooperationManuela Wacker1, Uwe Ross2 und Benjamin Graaf2 1 BKK B. Braun Melsungen AG und 2 B. Braun Melsungen AG, Melsungen

aus: Knieps F | Pfaff H (Hrsg.) „Gesundheit und Arbeit“. BKK Gesundheitsreport 2016. ISBN 978-3-95466-282-1, urheberrechtlich geschützt

© 2016 MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft und BKK Dachverband e.V.

Page 2: BKK Gesundheitsreport 2016 - Präventionsschicht der B. Braun Melsungen AG

368

mulation auf das Jahr 2020. Auf diese Weise wurden zukünftige Veränderungen der häufigsten Krank-heitsbilder in jeder Alterskohorte simuliert. Mittels des Konzeptdesigns war es möglich, wissenschaft-lich-mathematisch zu ermitteln, welche Verände-rungen sich hinsichtlich der Mitarbeitergesundheit bis zum Jahr 2020 ergeben würden, sollte das Unter-nehmen in diesem Zeitraum keine Präventionsakti-vitäten durchführen.

Die Konzeptergebnisse

Die Ergebnisse des Konzeptes zeigten eindeutige An-stiege bei nahezu allen im Jahr 2010 hauptsächlich diagnostizierten Erkrankungen. Insbesondere für die Produktionsbereiche mit Dreischicht-Betrieb wurden bis zum Jahr 2020 teilweise dramatische An-stiege vorausgesagt, sollte keinerlei Prävention be-trieben werden: �� psychische Verhaltensstörungen (Anstieg AU-Ta-

ge bis 2020 um 59%) �� Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Anstieg AU-Tage

bis 2020 um 54%)�� Muskel-Skelett-Erkrankungen (Anstieg AU-Tage

bis 2020 um 35%)�� CA-Erkrankungen (Krebs) (Anstieg AU-Tage bis

2020 um 22%)�� Atemwegserkrankungen (Anstieg AU-Tage bis

2020 um 1%)

Das Ergebnis legte nahe, dass der Anstieg im Wesent-lichen drei Ursachen hat: erstens hohe Belastung durch Wechselschichtarbeit, zweitens fehlende In-formation hinsichtlich der Belastungsursachen und drittens − daraus resultierend − eine fehlende ge-sundheitsbezogene Achtsamkeit der Schichtarbeiter.

Die Suche nach geeigneten Maßnahmen

Der B. Braun Gesundheitsdienst verifizierte die Kon-zeptergebnisse durch betriebsmedizinische Analy-sen und Diagnostik. Dabei konnten − speziell bei der Zielgruppe Schichtarbeiter − eindeutige Auslöser für ein erhöhtes gesundheitliches Risiko abgeleitet wer-den:�� Schlafdefizit/Schlafprobleme �� ungesunde und falsche Ernährung – insbesonde-

re während der Nachtschicht�� mangelnde Bewegung�� intervenierende Faktoren (Wechselschicht vs. Fa-

milie, Freizeit, Hobbys u.a.)

Die gewonnenen Erkenntnisse ließen den eindeuti-gen Schluss zu, dass Schichtarbeiter – im Vergleich zu „Normalschichtlern“ – ein höheres Risiko aufwei-sen, chronisch krank zu werden. Die Gründe sind z.B. Übergewicht, Diabetes, Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rauchverhalten.

Die medizinisch-diagnostischen Fakten ergänz-ten die Ergebnisse des „Konzeptes zur Reduktion des demografiebedingten Produktivitätsrisikos“ und machten deutlich, dass in den Produktionsbe-reichen des Unternehmens ohne geeignete und pass-genaue Prävention mittel- bis langfristig mit massi-ven Produktivitäts- und Kapazitätsproblemen zu rechnen ist. Gleichzeitig war absehbar, dass die Ge-sundheitskosten des Unternehmens und der BKK B. Braun steigen würden.

Die Lösung? Schichtarbeitersensibilisierung!

Allen Verantwortlichen war klar: Nur spezielle, auf Zielgruppen angepasste Präventionsangebote und -maßnahmen können die Mitarbeiter zu einer ge-sundheitsorientierten Lebensführung animieren. Es muss künftig gelingen, sie für eine Mitwirkung zu gewinnen – und zwar gerade im privaten Bereich. Für Schichtarbeiter bedeutet dies im Speziellen, sie für die Themen Schlafhygiene, Ernährung und Be-wegung zu sensibilisieren – die weit über die betrieb-lichen Rahmenbedingungen hinausgehen.

Alle Experten des Betrieblichen Gesundheitsma-nagements präferierten ein im B. Braun Gesund-heitsdienst erarbeitetes Konzept: die gezielte Sensi-bilisierung der Schichtarbeiter über die sogenannte Präventionsschicht.

In der Präventionsschicht werden alle Belas-tungsfaktoren der Schichtarbeit umfassend beleuch-tet. Gleichzeitig erhalten die Teilnehmer Tipps und Anregungen, wie sich Belastungen durch individu-elles, pro-aktives Gesundheitsverhalten reduzieren lassen.

Erklärtes Ziel der Präventionsschicht:

Erhalt der individuellen Beschäftigungsfähigkeit durch ge-zielte, auf die persönlichen Belange abgestimmte Verhal-tensprävention.

❱❱❱

Schwerpunkt Praxis

aus: Knieps F | Pfaff H (Hrsg.) „Gesundheit und Arbeit“. BKK Gesundheitsreport 2016. ISBN 978-3-95466-282-1, urheberrechtlich geschützt

© 2016 MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft und BKK Dachverband e.V.

Page 3: BKK Gesundheitsreport 2016 - Präventionsschicht der B. Braun Melsungen AG

369

Wissenschaftlicher Hintergrund und abgeleitete Konzeption

Zwar besteht Konsens dahingehend, dass Schicht-arbeit als Ursache einer Beanspruchungssituation langfristig das Risiko für familiäre und soziale Be-einträchtigungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafstörungen, Störungen des Verdauungsappara-tes sowie für psycho-vegetative Beschwerden erhöht [2, 3, 4] und dass die Schichtarbeit als wahrschein-lich kausal zu bezeichnen ist für „(...) funktionelle gas-trointestinale Beschwerden, Brustkrebs bei Frauen, Überge-wicht, gestörte Glukosetoleranz, arterielle Hypertonie, Arte-riosklerose allgemein und koronare Herzerkrankungen im Spe-ziellen (...)“ [5: S. 96].

Jedoch ist auch festzuhalten, dass dies nicht zwangsläufig so sein muss.

„Die Erkenntnis (...) lautet, dass Schichtarbeit zweifellos viele Arten von gesundheitlichen Problemen unterschiedlicher Schwere verursachen kann. Dies passiert jedoch nicht überall und in jeder Kategorie mit einer Unvermeidbarkeit (...).“ [6: S. 13]

Schichtarbeit stellt − insbesondere in Kombination mit Nachtschichtarbeit − zweifellos einen Risikofak-tor dar. Eine erste betriebliche Frage lautete daher, wie der gesundheitsschädigenden Wirkung des Ri-sikofaktors Schichtarbeit gesundheitswissenschaft-lich begegnet werden kann und insbesondere dort begegnet werden muss, wo Schichtarbeit unumgäng-lich ist. Maßnahmen der Prävention und der Gesund-heitsförderung streben eine Verbesserung der Ge-sundheit an und können, gezielt eingesetzt, zu einer Vermeidung gesundheitlicher Beeinträchtigungen führen [7]. Ein eindeutiger und konkreter Ursache-

Wirkungs-Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und den bereits genannten Erkrankungen ist jedoch kaum möglich; zu komplex sind die Beziehungen zwischen Schichtarbeit und Gesundheit einerseits, zu dünn die Datenlage im Bereich aussagekräftiger Längsschnittstudien andererseits [5]. Gesunde Le-bensverläufe und Erwerbsbiografien bei Schichtarbei-tern erscheinen indes möglich, wenn die Arbeitsbe-dingungen verhältnispräventiv gestaltet sind und sich die Mitarbeiter selbstverantwortlich und ge-sundheitsbewusst verhalten [8].

Die Bedeutung einer im Kontext stehenden Verhaltensprä-vention betont nicht zuletzt auch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Sie schreibt den Beschäftigten erhebliches Einflusspotenzial für ihren durch Schichtarbeit geprägten Gesundheitszustand zu, bedingt z.B. durch Ernährungs- und Schlafverhalten [9].

Das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept [10] stellt den Zusammenhang zwischen der Belastung, indu-ziert durch die Verschiebung der Phasenlage von Arbeit und Schlaf (Chronodisruption) und Mehrfach-belastung, und der resultierender Beanspruchung des Schichtarbeiters vereinfacht dar (❱❱❱ Abbil-dung 1). Es verdeutlicht dabei den Umstand, dass das tatsächliche Ausmaß der Beanspruchung von zwi-schengeschalteten Einflussgrößen, den intervenie-renden Faktoren, abhängig ist [11].

Bezug nehmend auf die Frage, wie dem Risiko-faktor Schichtarbeit betrieblich zu begegnen ist, sind die intervenierenden Faktoren aus Sicht der Gesund-heitsförderung nutzbare Stellschrauben. Diese sind − stellvertretend für den Schichtarbeiter − schwer-punktmäßig hinsichtlich folgender drei Fragen zu

❱❱❱

Abbildung 1 Belastungs-Beanspruchungs-Konzept (nach [10], © Carl Hanser Verlag München 1993)

� Verschiebung der Phasenlage von Arbeit und Schlaf (Chronodis-ruption)

� Mehrfachbelastung

� subjektive Beschwerden

� Einschränkung der Leistungsfähigkeit

� Beeinträchtigung der Gesundheit

� persönliche

� arbeitsbezogene

� umweltbezogene

� familiäre

Belastung Beanspruchung mögliche Folgen

intervenierendeFaktoren

Die Präventionsschicht – Beispiel für eine gelungene praxisorientierte Kooperation

aus: Knieps F | Pfaff H (Hrsg.) „Gesundheit und Arbeit“. BKK Gesundheitsreport 2016. ISBN 978-3-95466-282-1, urheberrechtlich geschützt

© 2016 MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft und BKK Dachverband e.V.

Page 4: BKK Gesundheitsreport 2016 - Präventionsschicht der B. Braun Melsungen AG

370

überprüfen, um eine Beanspruchungsminimierung zu erreichen:�� Welche möglicherweise koexistierenden Risiko-

faktoren sind vermeidbar? (Gedanke der Primärprä-vention)

�� Welches gesundheitsfördernde Verhalten ist zu stärken und zu festigen, welche gesundheitsris-kanten Verhaltensweisen sind zu vermeiden? (Ge-danke der Verhaltensprävention)

�� Welche gesundheitsfördernden Ressourcen sind aktivier- oder ausbaubar? (Gedanke der Gesundheits-förderung)

Die aus der Beantwortung dieser Unterfragen gewon-nenen Erkenntnisse sind dem Schichtarbeiter zu ver-mitteln, um den Risikofaktor Schichtarbeit in seiner negativ gesundheitsbeeinflussenden Wirkung zu re-duzieren.

Es ist nicht davon auszugehen, dass Schichtarbeiter wissen, wie sie mit durch Schichtarbeit induzierten Beanspruchun-gen umzugehen haben [3]. Dies wird in besonderem Maße für junge und neu schichtarbeitende Beschäftigte zutref-fen.

Da sich die Präventionsschicht aus einer betriebli-chen und arbeitsmedizinischen Sichtweise heraus entwickelte, musste zusätzlich eine zweite Frage be-rücksichtigt werden: Wie kann es der vom Arbeitge-ber bestellte Betriebsarzt bewerkstelligen, die Be-schäftigten über ausgesetzte Gesundheitsgefahren (hier Schichtarbeit) zu belehren? Der Betriebsarzt ver-sucht, dieser gesetzlich verankerten Verpflichtung durch individuelle Beratung im Rahmen der arbeits-medizinischen Vorsorge nachzukommen. Darauf ha-ben die Beschäftigten laut Arbeitszeitgesetz auf Ver-langen einen Rechtsanspruch. Aufgrund zeitlicher Beschränkungen und Aufgabenkollisionen in der täglichen Routine kann der Betriebsarzt dem jedoch oft nur unzureichend gerecht werden. Eine in zeitli-cher Hinsicht betrachtete Verlagerung tiefergreifen-der Beratungsbestandteile − weg von der arbeitsme-dizinischen Vorsorge hin zu einer Schulung − stellt eine mögliche Lösung dieses Problems dar.

Die Kombination beider Fragen warf die zentrale Frage des Projektes „Präventionsschicht“ auf: Kann der Gesundheitszustand der Schichtarbeitenden durch Konzeptionierung und Implementierung einer gesundheitsberatenden Schulung positiv beeinflusst werden?

Die Inhalte der Schulung orientieren sich an den Rahmenempfehlungen gängiger Publikationen, etwa

❱❱❱

aus den Bereichen Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM) [3], der Unfallversicherung (DGUV) [4], Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) [9] und des BKK Bundesverbands (heute: BKK Dachverbandes) [12]. Die Vermittlung der Informations- und Lernin-halte erfolgt durch eine aus Sicht der Gesundheitsför-derung klassischen Gesundheitsberatung, die auch für das betriebliche Setting geeignet ist [13]. Charak-teristisch für eine Gesundheitsberatung sind eine zeitlich begrenzte Dauer, eine freiwillige Teilnahme und die Berücksichtigung individueller Fragen. Sie hat zum Ziel, gesundheitsgerechtes Verhalten zu stär-ken und Risikoverhalten aufzuzeigen sowie eine Ver-änderungsbereitschaft herbeizuführen. Somit ver-eint sie Zielsetzungen aus Gesundheitsförderung und Verhaltensprävention und kann die intervenierenden Faktoren des in ❱❱❱ Abbildung 1 dargestellten Belas-tungs-Beanspruchungs-Konzeptes aufgreifen. Darü-ber hinaus ist die Gesundheitsberatung interdiszipli-när ausgerichtet und wird den vielschichtigen Folgen der Schichtarbeit gerechter als Maßnahmen der Ge-sundheitsaufklärung, -bildung oder -erziehung.

Auch bei bester Verhältnisprävention ist ein ge-sundheitsbewusstes und sozialaktives Verhalten der Schichtarbeiter zur Gesunderhaltung unabdingbar. Dies ist nur durch eine Stärkung der Selbstverant-wortung der Betroffenen möglich. Nicht selten zei-gen Schichtarbeiter aber ein ungünstiges Gesund-heitsverhalten [2]; häufig rauchen sie, leiden an Be-wegungsarmut, ernähren sich fehlerhaft und trin-ken zu viel Alkohol. Bereits aus diesem Umstand he-raus ist aus Sicht der Gesundheitsförderung eine vorrangige Intervention abzuleiten. Eine Beobach-tung der DGAUM [3] unterstreicht die Bedeutung von Interventionsmaßnahmen und stellt fest, dass unter jungen Ausbildungsabsolventen sich diejenigen über-durchschnittlich häufig freiwillig für die Schicht-arbeit entscheiden, die bereits zu Ausbildungszeiten ein gesundheitsriskantes Verhalten aufwiesen.

Es sollte auch berücksichtigt werden, dass die Ge-sundheitsberatung von Schichtarbeitern von der Be-ratung anderer Zielgruppen nicht nur inhaltlich unterschieden werden muss. Die durch die Schicht-arbeit entstehende Belastung entzieht dem mensch-lichen Körper „proaktive Energien“ [6: S. 43]. Für einen verhaltensbeeinflussenden Lernzuwachs sind diese jedoch notwendig; eine Verhaltensänderung herbeizuführen wird somit erschwert.

Eine Gesundheitsberatung, wie sie innerhalb der Präventionsschicht umgesetzt wird, ist dieser Her-ausforderung gewachsen, denn sie setzt auch schwie-rig zu beeinflussende Einsichten und Motivationen der Zielgruppe voraus [14].

Schwerpunkt Praxis

aus: Knieps F | Pfaff H (Hrsg.) „Gesundheit und Arbeit“. BKK Gesundheitsreport 2016. ISBN 978-3-95466-282-1, urheberrechtlich geschützt

© 2016 MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft und BKK Dachverband e.V.

Page 5: BKK Gesundheitsreport 2016 - Präventionsschicht der B. Braun Melsungen AG

371

Präventionsschicht

Schichtarbeitende Mitarbeiter der B. Braun Melsun-gen AG haben die Möglichkeit, ihre jeweils anstehen-de arbeitsmedizinische Vorsorge durch eine ganztä-gige gesundheitsberatende Schulung (Präventions-schicht) zu ergänzen. Im Rahmen dieser erfolgt zu-nächst eine aktiv-informierende Schulung über Be-lastungen der Schichtarbeit, über Möglichkeiten der Beanspruchungsminimierung und der Schlafhygie-ne. Eine Chronotypenbestimmung wird angeboten. Eine praxisnahe Theorievermittlung gesundheitsbe-wusster Ernährung und konkrete Ratschläge zu emp-fohlenen Mahlzeiten speziell in der Nachtschicht und ideale Zeitpunkte hierfür werden durch eine Er-nährungsberatung durchgeführt. Die Teilnehmer er-leben ein dialogorientiertes Mittagessen und können sich untereinander und mit den Dozenten persön-lich austauschen. Weitere Inhalte der Präventions-schicht sind u.a. eine Fitnessberatung, ein Modul zur Rückengesundheit sowie ein von der betriebli-chen Sozialarbeit moderiertes Forum zum Thema so-ziale Aspekte der Schichtarbeit. Die Schulung ver-weist auf mögliche Präventionsangebote – hier sei beispielhaft die Datenbank der Zentralen Prüfstelle Prävention genannt. Im Sinne der Nachhaltigkeit vermittelt sie stets auch an weiterführende Angebo-te (bestehender Netzwerke). Dazu gehören zum Bei-spiel Angebote zur Schlafdiagnostik, zur individuel-len Ernährungsberatung für Diabetiker, eine psycho-logische Beratung oder eine physiotherapeutische Sprechstunde.

Durch eine bereits vor der Teilnahme an der Prä-ventionsschicht durchgeführte Voruntersuchung und Blutentnahme im Gesundheitsdienst kann der Arbeitsmediziner den Schichtarbeitenden individu-ell und risikoprofilorientiert beraten. Hierzu werden folgende Kennzahlen und Werte standardmäßig er-hoben: Arbeitsbewältigungsindex (WAI), Findrisk (Diabetesrisiko), Body-Mass-Index (BMI) und die Auswertung zur Prävalenz von Schlafstörungen. Die-se allen Beschäftigten angebotene Check-up-Unter-suchung erfolgt zweizeitig, sodass jedem Mitarbei-ter zum zweiten Termin ein individueller Gesund-heits- und Risikobericht ausgehändigt werden kann.

Hinsichtlich der Evaluation erfolgt langfristig auch eine altersbereinigte Beobachtung der Kenn-zahlen WAI, Findrisk und BMI. Konkrete Ergebnisse hierzu stehen noch aus, weil diese Kennzahlen Er-gebnisse komplexer Prozesse sind und mögliche Ver-änderungen erst später sichtbar werden könnten.

Kurzfristig richtet sich der Blick daher zunächst auf die Fra-ge, ob durch die Teilnahme an der Präventionsschicht eine Veränderung der Verhaltensbereitschaft zu beobachten ist − etwa hinsichtlich der Dimensionen Schlafstörung und Übergewicht.

Die Einstufung der Verhaltensbereitschaft erfolgt nach transtheoretischem Modell [15] in die vier auf-einanderfolgenden Phasen Absichtslosigkeit, Ab-sichtsbildung, Vorbereitung, Umsetzung oder ggf. „nicht zutreffend“. So befinden sich 13% der unter Schlafstörungen leidenden schichtarbeitenden Be-fragten vor Teilnahme in der Phase der Absichtslo-sigkeit und beabsichtigen dementsprechend aktuell nicht, hiergegen aktiv zu werden (❱❱❱ Abbildung 2). Weitere 13% befinden sich in der Absichtsbildung, 15% in der Vorbereitung, 28% in der Umsetzung und 31% geben an, nicht unter Schlafstörungen zu leiden. Die „stage-yourself-Phasenidentifikation“ zu den Di-mensionen Schlafstörung und Übergewicht ist dabei in eine modifizierte Form des Arbeitsbewältigungs-index integriert, ohne dessen Ausfüllen zu stören. Die Erhebung geschieht vor Teilnahme an der Prä-ventionsschicht und drei Monate danach.

Die bisherige Re-Evaluation macht deutlich, dass nach Teilnahme Verschiebungen in der Verhaltens-änderungsbereitschaft erfolgten, dies teilweise auch stufenüberspringend (s. vereinfacht dargestellt in ❱❱❱ Abbildung 2). In Summe kann bei 18,5% der Teil-nehmer hinsichtlich Schlafstörung eine positive Entwicklung (etwa von Absichtslosigkeit zu Vorbe-reitung) in der Verhaltensänderungsbereitschaft be-scheinigt werden. In Bezug auf das Übergewicht trifft diese Aussage sogar auf 37% der Teilnehmer zu.

Fazit

Aus Sicht der BKK B. Braun Melsungen AGWie am Beispiel Präventionsschicht detailliert ge-zeigt, können dank des Arbeitgeber-Bonusvertrages praxisorientierte Lösungskonzepte zeitnah realisiert werden. Auch die im Beitrag aufgeführten weiter-führenden Angebote werden durch die BKK B. Braun im Rahmen des Bonusvertrages unterstützt.

In enger Zusammenarbeit mit dem Trägerunter-nehmen werden den Beschäftigten der B. Braun Mel-sungen AG passgenaue Angebote und Maßnahmen zur gesundheitlichen Prävention angeboten. Ziel ist es, sie beim Erhalt und/oder bei der Wiederherstel-lung des höchsten Gutes, das sie besitzen, zu unter-stützen: der Gesundheit.

❱❱❱

Die Präventionsschicht – Beispiel für eine gelungene praxisorientierte Kooperation

aus: Knieps F | Pfaff H (Hrsg.) „Gesundheit und Arbeit“. BKK Gesundheitsreport 2016. ISBN 978-3-95466-282-1, urheberrechtlich geschützt

© 2016 MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft und BKK Dachverband e.V.

Page 6: BKK Gesundheitsreport 2016 - Präventionsschicht der B. Braun Melsungen AG

372

Aus Sicht des GesundheitsmanagementsDie bisherigen Auswertungen der Präventionsschicht zeigen, dass die Teilnehmer für die – durch Schicht-arbeit induzierten – Gesundheitsbeeinträchtigungen sensibilisiert werden konnten. Nach der Teilnahme veränderte sich ihr Inanspruchnahmeverhalten posi-tiv und man konnte sie für weiterführende Gesund-heitsaktionen gewinnen. Im Kontext Schlafstörung und Übergewicht wurde dies durch eine messbare vorwärtsgerichtete Entwicklung der Verhaltensän-derungsbereitschaft belegt.

Aus Sicht eines Teilnehmers

„Für mich war die Präventionsschicht sehr informativ. Man er-hält unter anderem Informationen zur Intensivierung des Schlafs und der gesunden Ernährung, einiges versuche ich nun umzusetzen. Die Präventionsschicht kann ich allen Schicht-arbeitern nur weiterempfehlen.“ (Teilnehmerrückmeldung Wil-li Volk)

Literatur

1. Oberender & Partner Unternehmensberatung im Gesundheits-wesen. „Konzept zur Reduktion des demografiebedingten Pro-duktivitätsrisikos“ (Unternehmensinterne Unterlagen), 2010

2. Beermann B. Nacht- und Schichtarbeit – ein Problem der Ver-gangenheit? Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), 2008. http://www.baua.de/de/Publikationen/ Fachbeitraege/artikel10.html (Zugriff am 16.06.2016)

3. DGAUM (Hrsg.). Arbeitsmedizinische Leitlinie der Deutschen Ge-sellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e.V./Nacht- und Schichtarbeit. Arbeitsmed. Sozialmed. Umweltmed. 2006; 41(8): 390–397

4. DGUV (Hrsg.). DGUV Report 1/2012. Schichtarbeit. Rechtslage, gesundheitliche Risiken und Präventionsmöglichkeiten. Berlin: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, 2012

5. Angerer P, Petru R. Schichtarbeit in der modernen Industriege-sellschaft und gesundheitliche Folgen. Somnologie 2010; 14(2): 88–97

6. Wedderburn A. Schichtarbeit und Gesundheit. Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften. 2000

Abbildung 2 Ergebnisse der Re-Evaluation

Schichtarbeitende ohne Schlafstörungen: 31%(„Nicht zutreffend“)

Verhaltensänderungsbereitschaftnach transtheoretischem Modellim Kontext von Schlafstörungen(Selbstauskunft:„Beabsichtigen Sie, etwas gegenIhre Schlafstörung zu tun?“)

Drei Monate nach Teilnahme kann bei 18,5% der Teilnehmer, die zuvor eine Schlafstörung angegeben hatten, eine „Vorwärtsbewegung“ festgestellt werden, etwa

von Vorbereitung zu Umsetzung oder von Absichtslosigkeit zu Absichtsbildung.

Absichtslosigkeit:13% der Befragten

Absichtsbildung:13% der Befragten

Vorbereitung:15% der Befragten

Umsetzung:28% der Befragten

Schichtarbeitende mit Schlafstörungen: 69%

Absichtslosigkeit:8% der Teilnehmer

Absichtsbildung:13% der Teilnehmer

Vorbereitung:7% der Teilnehmer

Umsetzung:41% der Teilnehmer

vor Teilnahme nach Teilnahme

+ 13%

+ 1,5%

+ 4%

Schwerpunkt Praxis

aus: Knieps F | Pfaff H (Hrsg.) „Gesundheit und Arbeit“. BKK Gesundheitsreport 2016. ISBN 978-3-95466-282-1, urheberrechtlich geschützt

© 2016 MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft und BKK Dachverband e.V.

Page 7: BKK Gesundheitsreport 2016 - Präventionsschicht der B. Braun Melsungen AG

373

7. Kaba-Schönstein L. Gesundheitsförderung I: Definitionen, Ziele, Prinzipien, Handlungsfelder und Strategien. In: BZgA Bundeszen-trale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.). Leitbegriffe der Ge-sundheitsförderung. 6. Aufl. Schwabenheim a.d. Selz: Fachver-lag Peter Sabo, 2006, S. 73–78

8. Karazman R. Auswirkungen von Schichtarbeit auf Lebensquali-tät, persönliche Entwicklung und Gesundheit. Tagungsbericht Schichtarbeiter-Netzwerk BGF. Steyrermühl, Österreich., 6.3.2002

9. BAuA (Hg). Leitfaden zur Einführung und Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit. 9. Auflage. Dortmund/Berlin, 2005

10. Rutenfranz J, Knauth P, Nachreiner F. Arbeitszeitgestaltung. In: Schmidtke H (Hg.). Ergonomie. 3. Aufl. München: Carl Hanser, 1993, S. 574–599

11. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hg.). Schichtarbeit und Nachtarbeit. Probleme – Formen – Emp-fehlungen. 4. Auflage. München, 1997

12. BKK Bundesverband (Hg.). Besser leben mit Schichtarbeit. 7. Auflage. Essen, 2006

13. Sabo P. Gesundheitsberatung. In: BZgA Bundeszentrale für ge-sundheitliche Aufklärung (Hg.). Leitbegriffe der Gesundheitsför-derung. 6. Aufl. Schwabenheim a.d. Selz: Fachverlag Peter Sabo, 2006, S. 61–63

14. Lehmann M. Verhaltens- und Verhältnisprävention. In: BZgA Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hg.). Leitbe-griffe der Gesundheitsförderung. 6. Aufl. Schwabenheim a.d. Selz: Fachverlag Peter Sabo, 2006, S. 61–63

15. Prochaska JO, DiClemente CC. Stages of change in the modifica-tion of problem behaviors. In: Hersen M, Eisler RM, Miller P (Eds.). Progress on behavior modification. Sycamore: Sycamore Press, 1992, pp. 184–214

Manuela Wacker

Ausgebildete Industriekauffrau, Pharmareferentin und Medizinprodukteberaterin im B. Braun Konzern (1992–1998). Studium der Gesundheits- und Sozialökonomie mit anschließendem Studium der Betriebswirt-schaft (1999–2002 an der VWA). Seit 2002 Referentin der Gesundheitsökonomie und Teamleiterin Marketing/Gesundheitsprojekte der BKK B. Braun Melsungen AG. Neben der Teamleitung u.a. hauptverantwortlich für die Bereiche primäre Prävention, betriebliche Gesundheitsförderung, Gesundheitsförderung in Lebenswelten und Selbsthilfe. Enge Zusammenarbeit und Abstimmung der gesundheitsfördernden Maßnahmen mit dem Gesundheitsmanagement „[email protected]“ der B. Braun Melsungen AG.

Uwe Ross

Studium der Ingenieur- (Maschinenbau, Elektrotechnik) und Sozialwissenschaften. Seit 2005 Leiter des Bereichs Arbeitswissenschaft. Seit 2010 Leiter des Betrieblichen Gesundheitsmanagements und Demo-grafiebeauftragter der B. Braun Melsungen AG.

Tätigkeitsschwerpunkte Gesundheitsmanagement: Verantwortlich für die Planung, Koordination, Durchfüh-rung und das Controlling von Maßnahmen zur Verhaltens- und Verhältnisprävention an den deutschen Unter-nehmensstandorten der B. Braun Melsungen AG einschließlich der Fokusthemen Psychische Gesundheit/Suchtprävention/Betriebliches Eingliederungsmanagement.

Tätigkeitsschwerpunkte in der Arbeitswissenschaft: Gestaltung von Arbeits-, Organisations- und Lernprozes-sen, Schichtmodell- und Personaleinsatzplanung, Industrie 4.0, Lean-Management, Gruppenarbeit, Ergonomie.

Benjamin Graaf

Nach 10-jähriger hauptberuflicher Tätigkeit im Rettungsdienst Ausbildung zum Fachwirt im Sozial- und Gesund-heitswesen (IHK). Seit 2008 Leiter Innendienstorganisation des arbeitsmedizinischen Dienstes der B. Braun Melsungen AG. In der Zeit von 2010 bis 2014 berufsbegleitendes Studium der angewandten Gesundheitswis-senschaften an der Hochschule Magdeburg (B.Sc.). Tätigkeitsschwerpunkte u.a. Chronotypologie, Schicht-arbeit und Schlafhygiene.

Seit 2015 Masterstudium im berufsbegleitenden Fernstudiengang Workplace Health Managemement an der Universität Bielefeld.

Die Präventionsschicht – Beispiel für eine gelungene praxisorientierte Kooperation

aus: Knieps F | Pfaff H (Hrsg.) „Gesundheit und Arbeit“. BKK Gesundheitsreport 2016. ISBN 978-3-95466-282-1, urheberrechtlich geschützt

© 2016 MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft und BKK Dachverband e.V.