Black Hungarian - Kapitel 3

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LESEPROBE - KAPITEL 3

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Drittes Kapitel (Entwurf) des Spionageromans mit dem Code-Namen "Black Hungarian"

Transcript of Black Hungarian - Kapitel 3

Niall MacRoslinAlice N. York

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Niall MacRoslinAlice N. York

BLACK HUNGARIAN

EIN CAPSCOVIL BUCH | GLONN | GERMANY

PROJEKT

Die AutorenNiall MacRoslin

Niall MacRoslin wurde in Edinburgh, Schottland geboren und wuchs dort auf. Nach der Schule ließ er den grauen Himmel Schottlands hin-ter sich, um am Trinity College in Dublin moderne Sprachen zu stu-dieren. Nicht lange danach entdeckte er in Irland seine Zuneigung für das Deutsche und siedelte für ein Jahr zum Bodensee um.

Nach seiner Rückkehr war Niall als Lehrer, Buchkritiker und Lektor tätig. Zusätzlich erhielt er seinen Master in Übersetzung, arbeitete ne-benbei als Barkeeper und Bedienung und führte für kurze Zeit einen Charity-Shop.

All dies sieht er als eine hervorragende Grundlage für sein neues Un-terfangen als Schriftsteller. Auch wenn ihm das nicht bei der Über-setzung von Hegel half. Niall lebt derzeit in London, wo ihn die tief hängenden Wolken an seine Heimat erinnern.

Alice N. York

Alice N. York wuchs nicht allzu weit von ihrem Geburtsort in der Nähe von München auf. Mit einem gesunden Wissensdurst auf Tech-nik ausgestattet, studierte sie Wirtschaftsingenieurwesen und nahm die Herausforderung zum Spiel ihres Lebens an.

Bevor sie ihre zweite Karriere als Autor begann, arbeitete sie für ver-schiedene Firmen in der Technologie-Industrie, was sie in die unter-schiedlichsten Teile der Welt führte. Seither hat sie zu ihren Wurzeln zurückgefunden und folgt wieder dem Ruf ihres Herzen. Es erinnert sie täglich daran: Wer nichts wagt, der nichts gewinnt.

Alice lebt derzeit außerhalb von München in der Nähe der Alpen.

Kapitel 3 Entwurf „Projekt Black Hungarian“ (Arbeitstitel)*

Internationale deutsche AusgabePerfect Paperback

Copyright © Capscovil, Februar 2013geplante Veröffentlichung im Sommer 2014

ISBN Print 978-3-942358-49-1*

Design: Capscovil, Glonn, Germany*

Capscovil ® ist ein registriertes Markenzeichen von Britta Muzyk.Autoren und Verlag unterstützen soziales Engagement. Weitere Infor-mationen finden sich unter www.capscovil.com oder http://blackhungarian.de

FÜR FIRMEN UND ORGANISATIONENExklusive Editionen mit individuellem Design als Präsent für Ge-schäftspartner oder größere Mengen für spezielle Events sind direkt über den Verlag erhältlich. Anfragen werden gerne unter projects [at] capscovil.com beantwortet.

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KAPITEL 3

Die World Advanced Vehicle Expedition, von den Insidern kurz nur WAVE genannt, wurde in dieser Form bereits zum dritten Mal veran-staltet. Die weltgrößte Ausfahrt mit Elektroautos würde im Rahmen eines anspruchsvollen Neun-Tage-Programms an traumhaften Orten in Österreich, Slowenien und der Schweiz Station machen. Hervor-gegangen war die Rallye aus dem „Zero Emission Race“, bei dem vier Teams im Jahr 2010 von Genf Richtung Osten gestartet und drei davon rechtzeitig zur Klimawechsel-Konferenz der UN im mexikani-schen Cancun angekommen waren.

Alain Heller wusste das alles, weil Louis Palmer, der Tourdirektor der Expeditionen, dies eben mit eindrucksvollen Folien vorne am Red-nerpult vorgestellt hatte. Alain saß in Eichgraben, einer kleinen Markt-gemeinde westlich von Wien, die dem europäischen „Klima-Bündnis“ beigetreten war. Ebenso wie die anderen mehr als 1.600 Städte und Gemeinden des Bündnisses setzte sich Eichgraben hohe Ziele hin-sichtlich des Klimaschutzes, was neben signifikanter Reduzierung der CO2-Emissionen auch den Verzicht auf Einsatz tropischer Hölzer beinhaltete. Daneben hatte die Gemeinde jedoch kurzfristig noch eine andere Rolle übernommen: Als Startpunkt der WAVE. Daher fand hier das Briefing am Abend zuvor statt.

Alain sah sich im Raum um. Die erste Veranstaltung in 2010 hat-te in der Tat ihren Beitrag dazu geleistet, das Interesse an nachhaltigen Themen zu wecken. Die Anzahl der Teams hatte sich verzehnfacht und rund fünfundsiebzig Teilnehmer angelockt, von denen sich die meisten nun in dem Konferenzraum drängten und darauf warteten, sich ihren gleichgesinnten Kollegen vorzustellen. Während Louis Pal-mer die 1800 Kilometer lange Route von Eichgraben nach Zürich vor-stellte, dachte Alain über die Stationen in seinem eigenen Leben nach.

Es war eine lange Reise, nicht unbedingt zeitlich gesehen, die in Montreal begonnen hatte und ihn durch Länder wie Ecuador,

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Argentinien und Alaska rund um die Welt geführt hatte. Sogar ein Besuch der Antarktis fehlte nicht auf der Landkarte seiner bisherigen Expeditionen, die mit den Jahren zu immer höher gelegenen Gipfeln geführt hatten. Die heutige Station verdankte er einer Verkettung mehrere kleiner Umstände, die allesamt durch die Entscheidung zu einem kurzfristigen Wanderurlaub in Schottland ausgelöst worden waren.

Dank der sehr lukrativen Firma, die Sportbekleidung herstellte und ihm gehörte, konnte er sich gewisse Freiheiten gönnen. Fast im-mer, wenn es ihn wieder in die Ruhe der Berge zog, konnte er seiner Sehnsucht nachgeben. So auch das letzte Mal, bei dem er vollkommen unerwartet Tom Schmid auf seinem Zwischenstopp in Edinburgh begegnet war. Tom war ein langjähriger Geschäftspartner, der unter anderem auch Geschäftsführer einer Firma war, an der Alain mehr-heitlich Anteile besaß.

Schmidt hatte seine Firma vor ein paar Jahren gegründet und seit dem unzählige Ladestationen für Elektrofahrzeuge in der ganzen Welt installiert. Ein Unterfangen, das Alain als verantwortungsvoller Umweltschützer nur zu gern unterstützte. Schmidt war eben von einer Besprechung mit Transport Scotland gekommen, bei der es um weite-re Details zur Umsetzung des „Switched on Scotland“ ging. Ein Plan demzufolge Schottland bis zum Jahr 2050 alle Fahrzeuge mit Verbren-nungsmotoren von seinen Straßen eliminiert haben wollte.

Nach ein paar unterhaltsamen Stunden stellten sie fest, dass dies ein äußerst glücklicher Zufall war und sie beschlossen, am nächsten Tag gemeinsam in die Kleinstadt Fort William zu fahren und von dort den höchsten Berg des Königreichs zu erklimmen. Die knapp 1,5km lange Wanderung hätte unter normalen Umständen nicht mehr als drei Stunden gedauert. Doch an diesem Tag war dies nicht wichtig, ihr Gespräch dafür umso mehr. Am Gipfel des Ben Nevis angekommen erklärte sich Alain bereit ein Projekt zu unterstützen, das, sollte es er-folgreich sein, die gesamte Automobilindustrie auf den Kopf stellen konnte. Der zusätzliche Charme ihrer Vereinbarung lag darin, dass sie

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an einem Ort getroffen wurde, an dem in absehbarer Zeit wohl nie ein Fahrzeug, egal welcher Couleur, gesichtet werden würde.

Nachdem sie auf dem Weg nach oben ganz nach Tradition höf-licher Inselbewohner die Auswirkungen des Regens auf ihre jeweilige Befindlichkeit diskutiert hatten, sprach Schmidt entgegen seinen Prin-zipien geschäftliche Themen an. Alain war dies recht gewesen. Er war in seinem Leben oft genug auf Expeditionen gewesen um zu wissen, dass sie durch interessante Gespräche kurzweiliger wurden. Außer-dem war das, was Schmidt erzählte, sehr interessant gewesen.

Er erklärte Alain, dass eine der Haupthürden für die erfolgreiche Verbreitung von Elektrofahrzeugen die sogenannte „Reichweiten-angst“ war. Obwohl die durchschnittliche Nutzung am Tag nur rund 60km betrug und die meisten Elektroautos die doppelte Reichweite boten, hatten viele Fahrer Angst davor, irgendwo im Niemandsland sprichwörtlich saftlos liegenzubleiben. Diese Angst wurde bei nied-rigeren Außentemperaturen, die sich auf die Batterie auswirkten und somit eine verminderte Reichweite hervorriefen, noch verstärkt. Bei neueren Elektrofahrzeugen wurde daher darauf geachtet, die Batterie in speziell temperierten Vorrichtungen zu verbauen, denn auch eine Überhitzung war nicht gut.

Verglich man die Reichweite der meisten Elektroautos und die Zeit, die zum vollständigen Aufladen benötigt wurde mit den Wer-ten eines benzingetriebenen Fahrzeugs, so sah es für erstere nicht gut aus. Während des Ladens sollte man ja nicht gleich eine Nacht im Hotelzimmer dazu buchen müssen, um gemütlicher warten zu kön-nen. Die rühmliche Ausnahme bildete Tesla mit ihren Supercharger-Stationen, an denen man innerhalb von zwanzig Minuten gut 50% der Reichweite nachgeladen hatte. Und dies auch noch kostenlos. Wer es noch eiliger hatte, konnte sogar die Batterie tauschen lassen, was in weniger als zwei Minuten passierte, aber nicht kostenlos war. An sich ein gutes Konzept, doch nicht jedermann konnte sich die ersten Mo-delle von Tesla leisten. Hinzu kam, dass die Supercharger bisher nur zum Teil mit Solarmodulen ausgestattet waren. Kam der Strom für die

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Supercharger von Kohlekraftwerken, generierten die umweltbewuss-ten Fahrer darüber einen hohen Schadstoffausstoß.

Was aber wäre, wenn die Tages-Reichweite ohne Zwischenladen keine Rolle mehr spielen würde? Diese Frage hatte ihm letztens der Inhaber eines unabhängigen Entwicklungsinstituts aus Slowenien ge-stellt. Der Entwickler namens Andrej Pecjak war kein Unbekannter. Er hatte schon mehrmals auf freiberuflicher Basis für Schmidts Fir-ma gearbeitet. Er behauptete, ein neues Konzept entwickelt zu haben, das alle entscheidenden Faktoren wie Batterie, On-Board-Ladegerät inklusive Wandler, Elektromotor und was sonst noch benötigt wurde, in Betracht zog. Damit konnte er ein Fahrzeug bauen, das mit einer einzigen Batterieladung über 1.000km weit kam und neben dem Fah-rer gleichzeitig noch Platz für vier Passagiere und deren Gepäck bot.

Schmidt war davon überzeugt, dass Pecjak, den er als intelligen-ten und bescheidenen Mann kennengelernt hatte, keine leichtfertigen Behauptungen von sich gab. Daher hatte er nach eingehenden Ver-handlungen zugestimmt, einen Prototyp aufzubauen und in einem Feldversuch zu testen. Das Einzige, was ihnen jetzt noch fehlte, war Kapital. Ob Alain sich vorstellen konnte als Sponsor ihr Projekt zu unterstützen?

„Aber steht das nicht im Widerspruch zu deinen Ladesäulen, wenn weniger davon benötigt werden?

„Nur zum Teil. Es werden immer noch Ladestationen gebraucht, nur nicht mehr so viele. Das macht aber nichts, denn hier geht es schließlich um mehr als nur Geld. Mit diesem Projekt nehmen wir eine echte Vorreiterrolle ein.“

Noch besser als Vorreiter zu sein war ein Vorbild zu sein und damit hatte sich Alain nur zu gut identifizieren können. Wenn er bei Expeditionen vorausging, dann war er immer darauf bedacht, dass niemand, der in seine Fußstapfen trat, zu Schaden kommen würde.

Alain ließ seinen Blick durch den funktionell eingerichteten Konfe-renzraum schweifen, bis er Andrej entdeckte. Eine der Bedingungen, die Alain gestellt hatte, war, dass Schmidt ihn inkognito bei der Ex-pedition anmeldete. Begründet hatte er die Forderung damit, dass er

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nicht nur in Technologien investierte, sondern auch in die Menschen, die dahinter standen, und er sich daher gerne selbst ein Bild von deren Arbeit machte. Bis jetzt war er beeindruckt. Andrej ließ sich in keinster Weise anmerken, dass er kurz davor stand, etwas äußerst bemerkens-wertes zu vollbringen. Stattdessen hatte er eine einnehmende Ruhe ausgestrahlt, als er vorhin verschiedene Teilnehmer begrüßt und sich ihnen vorgestellt hatte. Von der inneren Anspannung, die er spüren musste, und die Alain selbst, wenn auch aus anderen Gründen fühlte, war nichts zu merken.

Louis Palmer hatte gerade seine Einführung beendet und das

Abendessen mit der Bitte, nach einer Stunde wieder pünktlich im Raum zu sein, angekündigt. „Be on time“ – eine Aufforderung, die sie nicht zum letzten Mal gehört haben sollten. Fenster wurden ge-öffnet und die meisten vertraten sich die Beine, bevor das Buffet ge-stürmt wurde. Alain folgte seinem unwissenden Protegé mit einigem Abstand. Andrej unterhielt sich gerade angeregt mit einem kleinen, drahtigen Mann mit aschblonder und voluminöser Lockenmähne, der ein Anti-Wackersdorf-T-Shirt mit dem Aufdruck „Stoppt Strauß“ trug und damit seiner Abneigung gegen den in den 80er Jahren umstritte-nen bayrischen Ministerpräsidenten Ausdruck verlieh.

In dem Dossier, das Alains Assistentin für ihn zusammenge-stellt hatte, waren keine Details zu politischen Überzeugungen bein-haltet gewesen und es hatte sich auf die technischen Fähigkeiten des

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Entwicklers konzentriert. Andrej hatte im letzten Jahr an der Rallye Monte Carlo des Énergies Nouvelles teilgenommen und dort mit seinem Auto je einen Sieg in der Kategorie Verbrauch und Elektrofahrzeuge allgemein errungen. Dies war umso erwähnenswerter, da Hersteller wie Mitsubishi und Tesla das Feld der Konkurrenz angeführt hatten. Erstaunlicherweise war von diesem Sieg in den Medien nichts zu lesen gewesen. Noch seltsamer jedoch war die wenige Monate darauffol-gende Entscheidung des Rennkomitees, dass zu Elektrofahrzeugen umgebaute Serienmodelle nicht mehr zugelassen wurden. Laut Dos-sier hatte diese Entscheidung bei Andrej keinen Zorn, sondern fast schon Stolz hervorgerufen.

Alain war sich bewusst, dass er sich bald den anderen Teilneh-mern vorstellen musste, doch vorerst wollte er noch etwas Ruhe ge-nießen. Nach dem Besuch des reichhaltigen Buffets setzte er sich et-was abseits von den anderen an einen kleinen Tisch. Tief in Gedanken an seine offizielle Geschichte versunken, schreckte er auf, als ein jun-ger Mann mit einer teuer aussehenden Videokamera an seinem Arm hängen blieb.

„Oh, Entschuldigung“, sagte Henrik Herder, der laut seinem um den Hals baumelnden Ausweis der offizielle Blogger war.

„Kein Problem. Sie werden also all unsere peinlichen Momente für die Ewigkeit festhalten.“

Der junge Mann lächelte kurz schüchtern und ging weiter.

Nach dem Essen folgte das detaillierte Briefing samt Vorstellung der Teams. Alain hatte sich wie zuvor auch einen Platz in der letzten Reihe ausgesucht, um einen guten Überblick über alle Teilnehmer zu ha-ben. Sein Interesse hatte eine Nuance, die keinem der Anwesenden bewusst war. Die zweite Bedingung, die er Schmidt gestellt hatte, war den Entwicklungsingenieur und seine Technologie während der ge-samten WAVE durch zwei geschulte Agenten zu schützen. Die ge-eignete Firma hatte Alain selbst gesucht, dabei war er auf die High Society Guards gestoßen.

Aus unterschiedlichen und teilweise offensichtlichen Gründen hatte HSG die Schweiz als Dienstsitz gewählt. Es war ja heutzutage

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nicht so, dass Amerika oder England bei Sicherheitsfirmen hoch im Kurs standen. Dafür hatten deren „big five“ genannten Nachrichten-dienste höchstpersönlich gesorgt. HSG war ein kleiner Familienbe-trieb, der Integrität nicht nur groß schrieb, sondern vollkommen ver-innerlicht zu haben schien. Der Operationsleiter hatte sich sogar als „Chief of Integrity“ vorgestellt. Alain war sehr beeindruckt gewesen, als ihm einige der bisher durchgeführten Aufträge von Frank Loden – dem Agentenführer - vorgestellt worden waren. Die Firma hatte sich darauf spezialisiert, Stars und Persönlichkeiten des öffentlichen Le-bens, aber ebenso auch Mitglieder von Königshäusern oder politisch engagierte Personen auf sehr diskrete Art vor Gefahren und unlieb-samen oder unerwünschten Treffen zu schützen. Frank hatte Alain, der in seiner Jugend selbst einen Winter in dem exklusiven Schweizer Skiresort gearbeitet hatte, versichert, dass Andrejs Wohlergehen si-chergestellt werden würde. Er würde ein Paar auf die Operation an-setzen. Eine gern genommene Variante, um die wahre Identität seiner Agenten geheim zu halten. Außerdem erleichterte es die Anmeldung der beiden als Team während der WAVE. Niemand würde Fragen stel-len oder Verdacht schöpfen.

Als sich die einzelnen Teams vorstellten, fiel ihm auf, wie viele Paare dabei waren. Es war eine bunt gemischte Gruppe von Men-schen mit unterschiedlichsten Nationalitäten. Auch wenn es im Allge-meinen hieß, dass sich Gegensätze anzogen, schien das hier nicht der Fall zu sein. Denn wie sonst konnte erklärt werden, dass offensichtlich so viele von ihnen nicht nur das gleiche Interesse sondern auch das gleiche Bett teilten?

Der Mann mit der wilden Lockenmähne, der sich vorhin mit Andrej unterhalten hatte, stellte sich eben vorne mit seiner englischen Frau Angela als deutschstämmiger Andreas Schroeer vor. Er war sei-ner Liebsten nach England gefolgt. Sie starteten mit der Nummer 1 an ihrem Twike. Die Österreicher Tamara und Manfred Hillinger folgten gleich darauf mit ihrem orangefarbenen Tesla Roadster als Nummer 2. Beide Fahrzeuge hatten sich währen der letztjährigen WAVE den Siegerplatz geteilt. Das in der Nähe von Wien lebende Paar war sehr

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höflich und zurückhaltend und gehörte zu den Menschen, die auf den ersten Blick schwer einzuschätzen waren. Gut möglich, dass sie von HSG geschickt worden waren.

Ein weiteres Tesla Roadster fahrendes Paar bildeten der spani-sche Rafael mit seiner kasachischen Begleitung Anastassyia. Der ex-trovertierte Südländer, dessen Äußeres jedoch nicht auf seine Her-kunft schließen ließ, hatte die Co-Pilotin auf seiner 80 Tage dauernden Fahrt um die Welt im Roadster kennengelernt, von der er im letzten Jahr zurückgekommen war.

Der offiziellen Sprache der Veranstaltung angepasst und den-noch mit einem Hauch Romantik stellte sich das junge deutsch-fran-zösische Team mit dem Picasso C Zero vor. Martin und seine Frau Magali waren „Just Married“.

Gordon, ein weiterer Engländer teilte sich den Startplatz seines Peugeot iOn mit der aus Texas stammenden Leora, die der Frisur nach Andreas‘ Schwester hätte sein können. Ob dieses Team auch dassel-be Bett teilen würde, war weder klar ersichtlich noch von größerer Bedeutung. Ein Fahrzeug, das Alain noch nie gesehen hatte, war ein SAM, das von dem Schweizer Paar Jean-Pierre und Monika gefahren wurde. Waren dies etwa die beiden Agenten, die er angefordert hatte? Das letzte Paar konnte es nicht sein, es war Andrej mit seiner Frau Jasna.

Es war schon eine seltsame Situation, dachte sich Alain: Andrej war überzeugt, dass keiner der Teilnehmer Details zu seinem verste-cken Vorhaben hatte. Die Agenten hingegen wussten, wer Andrej war und was er während der WAVE wirklich tat. Allerdings wusste keine von beiden Parteien von ihm und wer er in Wirklichkeit war. Alain ließ seinen Blick noch einmal zu dem Schweizer Paar schweifen.

Jean-Pierre erweckte mit seinem Baseball-Mütze, den khakifar-benen Shorts und dem locker fallenden T-Shirt, das die Figur eines of-fensichtlichen Genießers nur bedingt kaschierte, nicht den Eindruck eines Agenten. Bei Monikas drahtiger Figur und der selbstbewuss-ten Ausstrahlung könnte man das schon eher vermuten, auch wenn der möglicherweise als Tarnung gedachte Partnerlook nicht ganz

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überzeugte. Heutzutage war alles möglich. Die Frau als gestählter Bo-dyguard mit einem technisch versierten Mann, der sich um die Infor-mationslogistik kümmerte. Waren die Blondine und der Gemütliche die von Frank geschickten Profis?

Nachdem vor ein paar Wochen seine Teilnahme an der WAVE bestätigt worden war, hatte Alain die üblichen Recherchen veranlasst. Er wollte alles wissen, was über WAVE und Andrej zu wissen war. Diese Vorbereitungsphase war ihm teilweise sogar lieber als die Ex-pedition selbst. Schon Konfuzius wusste, dass der Erfolg von den Vorbereitungen abhängt. Alain fand es zutiefst befriedigend und es gab ihm auch die notwendige Sicherheit, wenn er gut vorbereitet war und die Risiken basierend auf dem recherchierten Wissen abgeschätzt hatte. Manch einem mochte es überzogen erscheinen, wenn er sich verschiedenste Ereignisse vorstellte und die Details akribisch durch-ging. Doch diese vorangegangene Trockenübung konnte im Ernst-fall Leben retten. Raum für Spontanität blieb immer noch genügend, denn man konnte nie alles einplanen.

So wie damals in Ecuador. Er war quer durch die ganze Stadt gefahren, weil ein Paar während seiner Expedition spontan heiraten wollte und dafür spezielle Papiere benötigte. Sie hatten nur einen ein-zigen Termin beim Standesamt bekommen, zu dem alle Unterlagen rechtzeitig vorliegen musste. Er war sich wie in einem Kinofilm vor-gekommen, als er dem Taxifahrer gesagt hatte: „Fahr so schnell wie du kannst, koste es was es wolle“. Aber er war rechtzeitig zur Trauung zurück gewesen.

Laut seinem Dossier war in den vergangenen Jahren das größte Risiko während der WAVE – abgesehen von plötzlichen Krankheiten oder ähnlichen Ereignissen von höherer Gewalt – von hohem Ver-kehrsaufkommen ausgeganen. Alain hatte gelesen, dass einmal einige Teilnehmer, um Batteriekapazitäten zu schonen und ihre Reichwei-te zu verlängern, fast einen Stau auf der Autobahn verursacht hat-ten. Sie waren mit etwa sechzig Stundenkilometern auf der rechten Spur gefahren und hatten dadurch viele LKW Fahrer zum Überholen

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veranlasst, was wiederum den Zorn der anderen Autofahrer heraufbe-schworen hatte.

Rohe Eier, Tomaten und sonstiger verwertbarer Inhalt aus den Einkaufskörben der verärgerten Straßenteilnehmer war auf die Elekt-roautofahrer nieder geregnet. Wer konnte schon sagen, ob nicht doch einmal ein Autofahrer eine Waffe bei sich hatte und verärgert genug war, um sie zu benutzen? Und was, wenn dabei Menschen zu Schaden kämen? Möglicherweise sogar Andrej? So ein Szenario war höchst un-wahrscheinlich, doch Alain war lieber vorbereitet als sich im Fall der Fälle Vorwürfe zu machen.

„Der nächste Teilnehmer ist Alain Heller im Bolt, einem umge-bauten Mazda RX8.”

Die Ankündigung seines Namens rüttelte ihn hoch. Das aus-giebige Essen und die lange Vorstellung der einzelnen Teams hatten ihn ermüdet und er war mit seinen Gedanken abgeschweift, obwohl dieses Verhalten all den interessanten und leidenschaftlich überzeug-ten Kollegen, mit denen er die nächsten Tage verbringen würde, nicht gerecht wurde. Er gelobte sich innerlich Besserung als er den Anflug eines schlechten Gewissens unterdrückte und nach vorne ging.

„Guten Abend zusammen“, räusperte sich Alain und nahm sich vor, so nahe wie möglich an der Wahrheit zu bleiben. „Ich muss ge-stehen, dass ich mich fast schon wie ein Betrüger unter Ihnen fühle. Sie alle haben bereits wunderbare und aufregende Erfahrungen mit Elektrofahrzeugen gemacht. Ich dagegen bin nur als Ersatz für jeman-den eingesprungen, doch das heißt nicht, dass ich mich nicht auf diese Expedition und den gemeinsamen Austausch mit Ihnen freue. Seien Sie am Anfang also ein bisschen nachsichtig mit mir.“

Kurz und schmerzlos. Anhand der sympathischen Reaktionen einzelner Teilnehmer konnte er jedoch erkennen, dass es genau das Richtige gewesen war. Vielleicht hätte er doch Diplomat werden sollen? Schnell wischte er diesen Gedanken bei der Vorstellung an trockene Treffen mit politisch festgefahrenen Repräsentanten in Genf beiseite. Obwohl nichts gegen die Schweiz sprach. Es gab viele Schweizer mit denen er gern zusammen arbeitete. Doch das war nicht

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ausschlaggebend gewesen, um Agenten der High Security Guards als Schutztruppe auszuwählen.

Im Nachhinein wünschte sich Alain, er hätte Frank gegenüber erwähnt, dass er selbst teilnehmen würde. Dann wüsste er vielleicht, wer die Agenten waren, obwohl es keine Garantie gab, dass Frank ihn über ihre Identitäten informiert hätte. Im Gegenteil. Frank hätte seine Entscheidung damit rechtfertigen können, dass er die Sicherheit der Operation nicht gefährden wollte. HSG legte großen Wert auf Diskretion. Daher war es bestimmt besser, je weniger jeder von dem anderen wusste. Das galt für Kunden genauso wie für Schützlinge. Situationen, in denen man nicht wusste, wie man sich dem anderen ge-genüber verhalten sollte, konnten so vermieden werden. Was in einem Fall wie diesem besonders wichtig war, war Vertrauen. Das wusste Alain. Nicht umsonst war er in seinem Leben soweit gekommen. Die Erfahrung hatte ihn außerdem gelehrt, dass es für jedes Problem eine Lösung gab. Und genau das war eine seiner großen Stärken.

Er konzentrierte sich wieder auf die Teams, die nach ihm kamen. Erstaunt sah er einen Jungen nach vorne gehen, der noch keine zehn Jahre alt sein konnte. Doch er stand dort wie eine Eins und stellte sich selbstbewusst und ohne mit der Wimper zu zucken den anderen Fahrern vor. Ganz so, als ob es das natürlichste der Welt wäre und er jeden Tag an so einer Expedition teilnahm. Alain konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

Der schlanke Junge mit dem haselnussbraunen Haar, hellblauem T-Shirt und einer roten Kappe war in der Tat ein besserer Redner als manch anderer der Anwesenden. Florian war sein Name. Mit wem er mitfuhr – seinem Selbstbewusstsein nach zu urteilen hätte es sicher-lich niemanden verwundert, wenn er selbst ein Fahrzeug lenken wür-de– hatte Alain nicht mitbekommen. Gerade als er sich fragte, ob der Junge ein offizieller Teilnehmer war, sah er, wie Florian sich strahlend mit dem jungen Blogger abklatschte. Hatte nicht jemand, der einige Stunden zuvor Informationen zu den auf der Route liegenden Alpine Pearls vorgestellt hatte, etwas von einem Neffen erwähnt? Ein weite-res Rätsel, das für diesen Abend ungelöst bleiben würde.

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Und es würde nicht das einzige bleiben. Alain war etwas Merk-würdiges aufgefallen. Während der gesamten letzten Stunden hatte es nichts zu trinken gegeben, weder Wasser noch Wein, wofür doch Österreich auch bekannt war. Missbilligte des Tourdirektors mögli-cherweise nicht nur die Verunreinigung der Luft mit CO2, sondern jegliche Art von Verunreinigung, egal ob es die Umwelt oder den menschlichen Körper betraf?

Als letztes ging Louis die Details der Route für die nächsten Tage durch. Mehr als einmal verwies er auf das sogenannte Roadbook, das die sprichwörtliche Bibel bei allen Unsicherheiten sein sollte. Sämt-liche Orte, Distanzen, Reservierungen für die Übernachtung sowie Abfahrts- oder Ankunftszeiten waren in dem von ihm erstellten Buch verzeichnet. „Follow the Roadbook“ war damit als direktes Komple-mentär zu „Be on time“ zu sehen.

Erleichtert hieß Alain das Ende des offiziellen Teils willkommen. Es war definitiv Zeit für ein gepflegtes Glas Rotwein. Etwas irritiert sah er, dass er nicht der Einzige mit diesem Gedanken war. Mehrere Teilnehmer hatten sich bereits an der Hotelbar eingefunden. Auch der Technologe saß an der Theke mit einem offenen Laptop vor ihm und einem Glas Wein daneben. Anscheinend aktualisierte er bereits sein Online-Tagebuch, wozu jeder Teilnehmer aufgefordert war.

Alain hatte gehofft, die ersten Tage noch etwas Distanz zwischen ihnen lassen zu können. Menschen verhielten sich natürlicher, wenn sie die Anwesenheit des anderen nicht bewusst wahrnahmen. „Kann ich Dir etwas zu trinken mitbringen?“ Er hatte sich entschieden, dass er Andrej nicht ignorieren konnte ohne gerade dadurch aufzufallen und passte sich gleichzeitig den allgemein lockeren Gepflogenheiten an, die er bei den anderen beobachtet hatte.

„Danke, das ist sehr nett, aber das eine genügt mir. Jasna, meine Frau, ist schon ins Bett gegangen. Außerdem will ich es mir mit dem Tourdirektor nicht verderben.“

“Ist er Abstinenzler? Nicht, dass wir uns morgens noch einer Alkoholkontrolle unterziehen müssen.”

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„Hoffentlich nicht“, breitete sich ein verschmitztes Lächeln auf dem Gesicht des Technologen aus. „Setz dich doch zu mir, dann kön-nen wir gemeinsam unser einsames Glas Wein genießen.“

„Sehr gerne.“„Du weißt, dass der Bolt eines unserer Autos ist?“, fragte Andrej. Alain machte es sich bequem. Irgendetwas sagte ihm, dass der

Abend gerade erst anfing. ***

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