Blickwechsel No.1 / Identität

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Ausgabe 01 | 2008 | www.blickwechsel-hamburg.de | 2 € Identität ...und wohin rennst Du?

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No1 - Identität Für die erste Ausgabe haben wir die Frage nach der Identität des Menschen zum Titelthema gewählt. Denn wo auch immer wir begonnen haben, uns mit einer bestimmten Thematik auseinander zu setzen - sei es zu Magersucht, zu Träumen & Visionen oder zu anderem - immer wieder sind wir dabei auf die Frage nach dem eigenen Standpunkt gekommen. Wo stehe ich? Wo komme ich her? Was will ich? Aber vor allem, wo gehe ich hin? Aus diesen Fragestellungen entstand der Titel, so wie er jetzt ist: Identität - und wohin rennst Du? Und eben diese Fragestellung zieht sich wie ein roter Faden durch die verscheidenden Texte. Entstanden ist so ein recht breit gefächertes Potpourrè. Ein jeder Text erlaubt einen ganz anderen und eigenen Blick auf die Frage nach der Identität des Menschen.

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Identität ...und wohin rennst Du?

Nichts geschieht

Wenn wir sterben müssen,

Unsere Seele sich den Behörden entzieht,

Werden sich Liebende küssen;

Weil das Lebende trumpft.

Aber wenn nichts geschieht,

Bleibt das Leben nicht einmal stehn, sondern schrumpft.

Was heute mir ins Ohr klingt,

Ist nur, was Klage vorbringt.

Und was ich mit Augen seh

An schweigender Not, das tut weh.

Aller Frohsinn in uns ist verreist.

Und nichts geschieht. - Und der Zeiger kreist.

Ringelnatz

Raum für Notizen

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WerkberichtAlles begann vor einem Jahr: Verschiedene Orte, mehrere Menschen, doch eine Idee: Zeitung machen, Impulse setzten. Die idealen Vor-raussetzungen für das, was nun in eueren Händen liegt: Blickwechsel, die erste Jugendzeitung Hamburger Waldorfschulen. Ein langer Prozess folgt. Stundenlange treffen. Die Fragen: wer sind wir, was wollen wir? Wieso Zeitung? Was ist meine eigene Motivati-on, was ist unser gemeinsames Ideal, unsere Idee – ja, wieso machen wir das denn eigentlich? Stagnation folgt der ersten Euphorie. Stillstand droht. Das Gefühl, zu groß angefangen, zuviel gewollt zu haben. Die Frage: ist es über-haupt möglich, ist es überhaupt „dran“? Doch dann, neues Bewusstsein, die Erkenntnis, dass es sein muss, das es an der Zeit ist. Es ist an der Zeit, eine echte Alternative zu dem zu schaffen, was uns da jeden Tag von der herkömmlichen Medienlandschaft entgege-geschleudert wird. Es ist an der Zeit, dem Schmus unserer Gesellschaft etwas entgegenzusetzen, das neue Horizonte eröffnet, das den Blick auf Dinge und Themen richtet, die in eben diesem Schmus unterzugehen drohen oder bereits untergegangen sind. Und deshalb Blickwechsel: Der Name ist unser Anspruch und unser Programm.

Zum TitelFür die erste Ausgabe haben wir die Frage nach der Identität des Menschen zum Titelthema gewählt. Denn wo auch immer wir begon-nen haben, uns mit einer bestimmten Thematik auseinander zu setzen - sei es zu Magersucht, zu Träumen & Visionen oder zu anderem - immer wieder sind wir dabei auf die Frage nach dem eigenen Standpunkt gekommen. Wo stehe ich? Wo komme ich her? Was will ich? Aber vor allem, wo gehe ich hin? Aus diesen Fragestellungen entstand der Titel, so wie er jetzt ist: Identität - und wohin rennst Du?Und eben diese Fragestellung zieht sich wie ein roter Faden durch die verscheidenden Texte (ab Seite 20). Entstanden ist so ein recht breit gefächertes Potpourrè. Ein jeder Text erlaubt einen ganz anderen und eigenen Blick auf die Frage nach der Identität des Menschen.

Einladung zum MitmachenBlickwechsel lebt von den Menschen, die die Zeitung tragen. Menschen, die sich für die Zeitung engagieren, die sich damit auseinander setzen. Und das kann auf ganz verschiedenen Ebenen stattfinden. Der Eine will schreiben, die Andere will sich um das Layout kümmern, der wiederum hat Spaß am Fotografieren... wo immer auch Deine Interessen liegen: komm vorbei, MACH MIT! Schick uns einen Text, ruf an, schreib ’ne Mail, geh auf die Website... es gibt viel Wege, bei Blickwechsel dabei zu sein. Texte, neue Mitarbeiter und Ideen sind willkommen. Kontakt: [email protected] // 0171 1820 680PS: Im Bereich des Layouts fehlen uns die Spezialisten - Computerfreaks, meldet euch!

Mit den besten Grüßen,im Namen der Redaktion,Simon Berg & Kim-Fabian von Dall‘Armi

Kleiner Nachtrag:Dem ein oder anderen mag es aufgefallen sein: Blickwechsel enthält nicht eine einzige Seite Werbung. Das ist kein Zufall. Wir haben es so entschieden, weil wir es mit unserer Vorstellung von einem Blick-Wechsel nicht vereinbaren können. Eben deshalb ist die Zeitung auch auf Recyclingpapier gedruckt.

Editorial Hamburg, 14. Februar 2008

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Wegweiser

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Editorial 3

Fakten ...mal positiv gesehen 6

GrenzgängerInterview mit Dr. Willie Smits 8

GesellschaftSpürst auch Du die Möglichkeit für Veränderung? 10Uns geht´s Gold 12Das Musterdepot 13

EinblickWaldorfschulen in Hamburg 14Der LSR 14Die WaldorfSV 16Was ist Waldorfpädagogik ? (1) 17

<Titel>Identität - und wohin rennst Du?Hommage an die Jugend 20Ich 2.0 21Generation Kühlschrankkinder 23Aphorismen zur Identität 24

Fußball = Identität? 26Identität und Identifikation 27Über die Käuflichkeit von Lebensgefühlen als Ersatzidentität 29Lebensformen 30Zwischen den Welten 31Goethe meets Fettes Brot 32Die bunte Qualle gegen den Strom 32

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Leichte LektüreDie Waldorfschule 36O, Waldorflehrerin 37Von wegen... Küchen 37Wieviele Wörter hat das Deutsche 38Drücki - der Comic 39

LyrikTraum einer anderen Welt 40Dort 40Drinnen / Draussen 41Grablegung 41

Wettbewerb 42

Blickkultur Portrait... Astrid Lindgren 43Kalle Blomquist 45Der Reisende... in Berlin 46

Buchkritik 48Filmkritik 50Musikkritik 51

AusblickKalender 54

Hubi probt!Mission 1: Toleranz 58

Impressum 59

GRAFIK: Kim-Fabian, P

hilip, Simon

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Fakten...mal positiv gesehen

+++ 15000 mal mehr Energie als wir benötigen, stellt uns die Sonne täglich zur Verfügung.+++Wissenschaftler haben eine Gruppe von über 180 Affen, die zu einer Rasse gehören, die zu einer der bedrohtesten Tierar-ten überhaupt gehört, in Vietnam entdeckt.+++Eine kalifornische Firma hat einen Weg gefunden, den Oze-anen wieder Sauerstoff zuzufügen. Sie glaubt, so einen we-sentlichen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten zu können.+++Eine Öko-Reisfarm in einem abgelegenen Ort der Provinz an der Südküste Chinas hat eine revolutionäre Möglichkeit des ökologischen Reisanbaus entdeckt: mit dem Reis werden gleichzeitig Enten „aufgezogen“, die all die Schädlinge fres-sen und beim Schwimmen auf den Reisfeldern lockern sie den Boden auf und reichern das Wasser und die Wurzeln mit Sauerstoff an.+++Mindestens 4320 deutsche Apotheken werden voraussicht-lich schließen, wenn der Arznei-Versand per Internet 5 Pro-zent des Gesamtumsatzes mit Medikamenten erreicht.+++Die Stadt Kempen hat Spielplatzpaten um gegen den Vanda-lismus auf Spielplätzen Einhalt zu gebieten. Bzw. um Schä-den schneller feststellen zu können.+++Bei der Modewoche Pasarela Cilebes in Madrid durften 2006 nur Modells ohne Untergewicht auf den Laufsteg. Bei einer durchschnittlichen Größe von 1,75 musste ein Modell min-destens 56kg wiegen. Ein Drittel der Bewerberinnen wurden daher nicht zugelassen.+++Die Anwohner des Dorfes Jülich-Barmen im Kreis Düren gründeten 2004 den Verein DORV (Dienstleistung und Ortsnahe RundumVersorgung) nachdem Sparkasse, Post und Lebesmittelladen geschlossen wurden. Der Tante Emma

Laden, von ihnen liebvoll DORV-Zentrum genannt, läuft gut und seitdem gibt es auch wieder einen Sparkassen-, Brief-marken- und Reisebüroservice.+++Die Wahrscheinlichkeit, dass 2 Menschen die nicht weiter als 30 Kilometer voneinander entfernt geboren wurden, hei-raten, liegt bei 90%.+++Mitglieder der C1-Jugendmannschaft des SC Victoria Mennrath aus Mönchengladbach, helfen ihrem schwer er-kranken Fußballkameraden. Sie sammeln nicht nur Geld für ihn, sondern haben für den 18. Juni auch ein Benefizspiel angesagt, zu dem u.a. die Jugendmannschaften von Borussia Mönchengladbach, VfL Bochum, Rot-Weiß Essen in Menn-rath antreten werden.+++Dank modernster Biotechnologie können wir vielleicht bald ganz auf Tierversuche verzichten. Im Moment ist man in der Lage künstliche Hautmodelle zu schaffen. Mit ihnen lässt sich die Reizbarkeit der Haut testen.+++Ein Forscherteam der National University in Sydney hat herausgefunden, dass Alkohol – in Maßen!! - die sprachliche Ausdrucksfähigkeit und das Erinnerungsvermögen fördert.+++Bei einem Unternehmer-Wettbewerb auf den Philippinen haben die Zwölftklässler der Waldorfschule Manila den er-sten Preis erhalten. Für ihre Kreation, eine Fischlampe aus Muschelglas, konnten die Schüler die Trophäe aus der Hand der Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo entgegennehmen. +++Die Regierung Australiens hat Anfang dieses Jahres verordnet, dass demnächst keine Plastiktragetaschen mehr verkauft werden dürfen. Dies ist eine aktive Gesetzesinitiative zum Schutz der Umwelt. Die Administration auf dem 5. Kontinent hat solch eine Vorreiterrolle nicht das erste Mal ergriffen. Bereits letztes Jahr wurde beschlossen, dass ab 2010 keine Glühbirnen mehr verkauft werden dürfen. Dadurch ist der flächendeckende Einsatz von Energiesparlampen per Gesetz zum Wohle der Umwelt - aber auch dem Portemonnaie des Bürgers - verordnet.+++In Brasilien wurde ein kleiner Junge nach 12 Tagen im Urwald wieder gefunden. Die Retter fanden ihn sogar singend in einem Baumstumpf auf. Nach medizinischen Untersuchungen wurde nur Wassermangel und Abschürfungen festgestellt. Ein kleines Wunder.+++In Kriftel im Main-Taunus-Kreis hat ein Filialleiter eines Supermarktes unerschrocken und beherzt einen Räuber in die Flucht geschlagen. Der unbekannte Täter versuchte mit einer Pistole bewaffnet den Filialleiter zu bedrohen. Als der Täter kurz unaufmerksam war, fasste der Supermarktleiter dessen Hand samt Waffe. Das entstehende Handgemenge

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veranlasste den Übeltäter, die Flucht zu ergreifen.+++Nicht nur den Deutschen ist der mächtige Strom Rhein so bedeutsam, dass sie ihn auch gerne als „Vater Rhein“ bezeichnen. Viele Ländern ist an dem Fluss und an seinen Ufern gelegen. Auf dem jüngsten Treffen der Anrainerstaaten am 18.10.2007 wurde nun von allen Seiten bestätigt, dass es dem Fluss immer besser gehe. Bestätigt wird dies aufgrund Wasserqualität und auch von indirekten Faktoren, wie den Lebewesen im Fluss. Heute sind es wieder 62 verschiedene Fischarten, die man im Rhein vorfindet. Selbst Lachse schwimmen den weiten Weg flussaufwärts und wurden schon bis kurz vor der Schweiz, zum Beispiel in Straßburg, gesehen.+++Die UN-Vollversammlung hat am 13.09.07 eine Deklaration zum Schutz der indigenen Bevölkerung beschlossen. Diese Deklaration bietet für die rund 370 Millionen Menschen die sich weltweit zu den verschiedenen Urvölkern zählen, besondere Rechte: Schutz vor Diskriminierung, Recht auf Bodenschätze, Ersatz oder Ausgleich für Landstriche, von denen sie vertrieben wurden etc. 143 der 192 Mitgliedsstaaten haben die Erklärung angenommen. Zu den betroffenen Urvölkern zählen zum Beispiel die Aymara in Bolivien, die Massai in Ostafrika, die Navajos in den Vereinigten Staaten, die Aborigines in Australien oder die Inuit in Kanada.+++Die französische Administration hat ihren Bürgern wieder einen Feiertag geschenkt, der vor einiger Zeit abgeschafft wurde. Die Franzosen können sich freuen, den Pfingstmontag nun wieder als gesetzlichen Feiertag arbeitsfrei zu haben. +++In Spanien hat das Parlament im Oktober ’07 ein neues Gesetz verabschiedet. Mithilfe diese Gesetzes soll die Zeit der spanischen Diktatur unter Franco aufgearbeitet werden. Unter anderem ist darin geregelt, dass Opfer der faschistischen Diktatur rehabilitiert werden. Ebenso sollen noch immer existierende Denkmäler, die zu ehren Francos aufgestellt wurden, entfernt werden.+++Hamburg ist die beliebteste deutsche Großstadt, so das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage (Institut Allensbach). Die Bewohner der 20 größten deutschen Städte wurden befragt, in welcher Stadt außer ihrer jetzigen sie am liebsten wohnen würden. Hamburg, so die häufigste Nennung - rund ein Drittel der Befragten würden gerne hier ihren Lebensmittelpunkt haben.+++In Nordschwaben hat letzte Woche (Hersbt 07) ein 11 jähriger Junge einen Bus durch sein beherztes Eingreifen gerettet. Der ältere Fahrer des Schulbusses war ohnmächtig geworden und so steuerte der Bus führerlos weiter. Der junge Held zog die Handbremse und brachte das Gefährt somit zum Stehen. Die 71 Insassen blieben allesamt unverletzt. Dieser Woche hat die zuständige Polizei dieses Verhalten als

vorbildhaft bezeichnet und angekündigt, dem Jungen durch eine offizielle Auszeichnung zu verleihen.+++Ford bietet bei dem Kauf eines Neuwagens 20 % Rabatt für alle Käufer mit Schwerbeschädigung an. Voraussetzung ist, dass der Grad der Behinderung mindestens 50% beträgt.+++Der Einbau von Solaranlagen ist in Spanien nach Angaben der Regierung künftig Pflicht in allen neuen und renovierten Häusern. Dies ist Teil der Bemühungen, die Gebäudevorschriften zu erneuern und den wachsenden Energieverbrauch einzudämmen.+++Der indische Konzern Tata hat auf der größten indischen Messe, auf der Kraftfahrzeuge ausgestellt werden, seinen neuen Kleinwagen vorgestellt. Er erhält den Namen „Nano“ - Nano kennt man als Fachbegriff für sehr kleine Bereiche. Hier hat wohl der Bezug zum Verkaufspreis den Ausschlag gegeben, denn dieser ist wahrlich „Nano“. Rund 1700 Euro soll der PKW - ohne Mehrwertsteuer - kosten. Dabei soll er Platz für 5 Personen bieten. Tata will ihn noch im Laufe dieses Jahres in Indien ausliefern. Weitere sogenannte „Schwellen- und Entwicklungsländer“ sind der ausdrückliche Zielmarkt.+++Die Zahl der im Straßenverkehr tödlich Verletzten sinkt immer weiter und bewegt sich auf niedrigstem Niveau seit Einführung der Statistik. Im ersten Halbjahr 2006 mussten 200 Menschen weniger als ein Jahr davor ihr Leben lassen. Leider sind dennoch 2300 Opfer zu beklagen, was nicht verschwiegen werden darf. Die Meldungen der letzten Monate zeigen jedoch eine eindeutige Tendenz an: Weniger Todesopfer. ++++++In Brandenburg ist eine Storchenfamilie in ihrem Nest per Webcam jedem Interessierten übers Internet einsehbar. Jetzt konnte dank dieser Webcam ein Küken gerettet werden, welches an den Nestrand gedrängt wurde und herauszufallen drohte. Beunruhigte WebCam-Zuschauer alarmierten die Feuerwehr, die das Küken wieder sicher ins Nest zurücksetzen konnte. www.storchennest.de/de/index_427.html +++Singen schützt vor Infektionen und fördert auch noch die Karriere - das fanden Wissenschaftler der Uni Frankfurt heraus. Die Studie wurde an Laiensängern durchgeführt und zeigte, dass die Produktion von Antikörpern angeregt wird. Solche, die unter anderem die oberen Atemwege vor Infektionen schützen. Auch an der Charité in Berlin werden solche Resultate bestätigt. Wer regelmäßig singe verbessere Sauerstoffzufuhr und Atmung. Dadurch würde der Kreislauf angeregt und das versetze den Körper in eine positive Spannung. Musik sei eine Produktivkraft, die auch die Kreativität positiv beeinflusse. Weitere Ergebnisse kann man zusammenfassen damit, dass Personen die früher musizierten auch im Job bessere Teamleiter seien. Also: Ob unter der Dusche, im Verein, im Betriebschor oder auf der

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BLICKWECHSEL: Vor kurzem fand ein schreck-liches Menschenaffen-Massaker in Afrika statt. Was sagen Sie zu solchen Ereignissen, wie erklären

Sie sich solche grausamen Taten der Menschen?

Dr. Willie Smits: Ich sehe jeden Tag diese grausamen Taten. Gestern haben wir wieder vier Orang-Utans mit sechzig Stichwunden auf den Palmölplantagen gerettet. Die sind jetzt noch auf dem Operationstisch. Auch einige mit zu-sammengeschlagenem Schädel. Das ist nicht ein Massaker, das passiert jeden Tag. Aber die meisten Leute interessieren sich nicht dafür, es ist ihnen zu beängstigend, und es wird beiseite geschoben. Ein gutes Beispiel ist das Buch hier, das wir herausgebracht haben. Viele Verlage wollten dass wir nur die schönen Bilder zeigen. Nur die schönen, netten Bilder, damit sich das gut zu Weihnachten verkaufen lässt. Wir waren daher sehr froh, dass es dann endlich doch einen Verlag gab, der auch bereit war, die Wahrheit und die schrecklichen Bil-der zu zeigen. Was in Afrika passiert, ist eigentlich für mich ein Genozid, also Völkermord. Denn die Orang-Utans und die Menschenaffen sind uns Menschen so ähnlich, sie haben auch Kultur und Sprache und kön-nen genauso lernen, wie wir Men-schen lernen. Wenn die Menschen imstande wären, diese Verbindung einzugehen und zu akzeptieren, dass es auch andere Le-bewesen gibt mit Gefühlen und mit Intelligenz, dann glaube ich, dass mehr Leute empört wären und sich gegen diese Grausamkeiten einsetzten würden.

Aber sehen Sie auch, was jetzt in Myanmar passiert, oder in Darfur, da geschehen jeden Tag schrecklichen Sachen, oder im Irak, und die Menschen gewöhnen sich fast daran: „Ach-ja, sind wieder hundert tot“. Es sind oft erst die einzelnen Geschichten, ein Kind ohne Beine zum Beispiel, die es dann ein bisschen besser verständlich machen für die Menschen.So ein Massaker sagt nicht viel. Ich hoffe, dass wir mit un-serem Buch die Leute dazu bringen, wirklich zu lesen und dann auch mit dem Herzen dabei zu sein.

-Was zeichnet Menschenaffen besonders aus?Ihre Intelligenz. Eigentlich gibt es keine Unterschiede für mich.Ich habe oft eine Wette gemacht: 100 Euro für den, der mir erklären kann, was der Unterschied ist zwischen einem

Orang-Utan und einem Menschen. Aber einen echten, prinzipiellen Unterschied. Und dann fangen sie an: „Orang-Utans haben viele Haare“. Das stimmt, aber wir haben genau-so viele Haare wie Orang-Utans auf unserem Körper und es gibt sogar einen Stamm in Thailand, die haben sogar auf ihrem Gesicht Haare, die zehnmal dicker sind, als die der Orang-Utans! Trotzdem sind das doch Menschen!„Sie können nicht reden!“ Doch, sie können reden, sie haben nur an-dere Stimmbänder... und ein taub-stummes Kind ist kein Mensch? Also nasowas... Und dann geht das so weiter und am Ende kommt man dann auf Geschichten wie Religion oder Nachdenken über

Interview Dr. Willie Smits, Orang-Utan-Forscher

GrenzgängerWillie Smits (50), gebürtiger Niederländer, ist promovierter Forstwirt. Seit den 80ern Jahren arbeitet er auf Borneo (Indonesien) als Wissenschaftler. Eines Tages fand er in Balikpapan auf dem Markt ein Orang-Utan-Baby, das zurückgelassen worden war. Er nahm es mit, zog es auf und gründete zwei Jah-re später, 1991, das „Wanariset Orang-Utan Rehabilitationcenter“. Es entwickelte sich schnell zur Auf-fangstation für heimatlose Orang-Utans. Drei Jahre danach gründete er die „Balikpapan Orangutan Scociety“, deren Name 2005 in „Borneo Orangutan Survival Foundation“ (BOS) geändert wurde. In die-sen Stationen wurden schon mehr als tausend Tiere aufgenommen.

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die Zukunft. Sogar Orang-Utans haben Rituale, zum Bei-spiel wenn es Gewitter gibt, geben sie bestimmte Laute von sich, bestimmte Gesänge und Bewegungen, genauso wie viele Naturvölker.Es ist beängstigend wenn man dann schlußendlich nicht mehr imstande ist, zu sagen, was der Unterschied ist. Und wie können wir es uns erlauben, so ein Wesen aussterben zu lassen! Nur wir Menschen sind das Problem.

- Demnach gibt es prinzipiell gesehen keinen großen Un-terschied?Ja. Genetisch teilen Orang-Utans mit uns 97,8 Prozent der Anlagen, noch mehr sogar die Schimpansen. Aber der Unter-schied, die Grenze Tier/Mensch ist gar nicht so deutlich zu ziehen. Die Menschen bestehen viel zu sehr darauf, dass sie einzigartig sind.

-Wie erklären sie sich die Gabe, dass Orang-Utans trotz allem immer wieder Vertrauen zu Menschen haben und keine Rache verüben wollen?Sie sehen uns Menschen auch als Orang-Utans an. Die Orang-Utans können sich nicht erlauben einen Streit zu führen, sich gegenseitig auszurotten, denn die Orang-Utans überleben nur als Gemeinschaft. Außerdem bekommen Orang-Utans in ihrem Leben nur drei Kinder. Eines als Ersatz für die Mut-ter, eines als Ersatz für den Vater und eines, falls mal etwas „schief geht“. Und in so einer Orang-Utan Gruppe sind sie alle aufeinander angewiesen. Einer weiß, wo es Wasser zu fin-den gibt, ein anderer kennt sich mit den Pflanzen besonders aus. Sie lernen voneinander. Sie brauchen einander. Es gibt da keinen Streit um einen Baum.

-Sie haben sich ausgiebig mit den Menschenaffen beschäf-tigt. Haben Sie von Ihnen gelernt, oder sogar Verhaltens-weisen übernommen?Ja natürlich (…) Ich habe die Orang-Utan-Sprache über-nommen und ich wünschte ich könnte das Gute in den Orang-Utans übernehmen. Orang-Utans sind so nett, so gut. Ich kann mich immer noch sehr aufregen und sehr böse werden, wenn ich sehe, was alles passiert in unserer Welt. Orang-Utans sind unglaublich: auch wenn sie zwölf Jahre in einen kleinen Käfig gesteckt und gefoltert wurden von den

Menschen, können sie trotzdem noch Menschen vertrauen. Diese Eigenschaft der Orang-Utans möchte ich auch haben.

-Also könnte man sagen, dass der Orang-Utan der bessere Mensch ist?Perfekt gesagt, danke.

-Was ist Ihr größter Traum?Dass die Menschen endlich anfangen, zusammen über ihre Zukunft nachzudenken. Was wir momentan machen mit der Welt, das ist unfassbar. Wir werden die Folgen noch richtig spüren von dem, was diese Generation der Welt antut. Und die einzige Hoffnung ist, dass die Menschen endlich aufhö-ren nur auf ihre kleinen Konflikte zu schauen und sehen, dass wir so alle zusammen Selbstmord begehen. -Beobachten Sie die Orang-Utans noch weiter?Ja. Gerade letzte Woche war ich im Urwald, da habe ich ge-sehen, dass wieder einige schwanger waren. Das ist ein tolles Gefühl, ich kenne sie ja noch als Babies und jetzt haben sie ihr eigenes Territorium, ihr eigenes Baby...

-Vielen Dank für das Interview!

Info

Weiterführende Literatur:

„Die Denker des Dschungels“ von Gerd Schuster, Willie Smits, und Jay Ullal (Ge-bundene Ausgabe – 2007, 320 Seiten) Ein Teil des Kauferlöses geht an B.O.S. - Borneo Urangutan Survival Founda-tion.BOS Deutschland e.V. : http://www.bos-deutschland.de

TEXT: Nina-Marie Kühn - [email protected] Simon Berg - [email protected]

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Es bewegt sich etwas, wenn man über den großen Teich schaut! Auf der einen Seite Amerikas, dem Norden, ist eine neokonservative und kriegerische Administration

an der Macht. Aber schaut man in den Süden des Konti-nents, kann man erkennen, dass viele Länder immer weiter nach Links rücken. Die ehemals treuen Freunde der USA wie Venezuela, Ecuador, Brasilien und Bolivien wenden sich von ihrem so übermächtigen „großen Bruder“ ab. Stattdessen ist ein durch Wahlen bestätigter und legitimierter Linksruck zu

spüren. Schauen wir uns die aktuelle Entwicklung der letzten Jahre genauer an:

Venezuela, 2. Februar 1999.Hugo Chávez, ehemaliger Fallschirmjäger und Bewunde-rer des südamerikanischen Freiheitshelden Simon Boli-var, Anführer der linken Partei MFR (Movimiento Quinta República) wird als Präsident vereidigt. Von den USA wird er als Kommunist verteufelt, von seinem Volk jedoch als Na-tionalheld gefeiert

Bolivien, 18. Dezember 2005.Mit Evo Morales bekleidet zum ersten Mal ein Ureinwohner das höchste politische Amt des Landes. Morales sozialistische Partei MAS (Movimiento al Soicalismo) erreichte 54 Prozent der Stimmen und erzielte damit den deutlichsten Wahlsieg

seit Ende der Militärdiktatur 1982.

Chile, 15. Januar 2006.Die Sozialistin Michelle Bachelet gewinnt die Präsident-schaftswahlen in Chile. Sie ist die Vorsitzende der Sozialis-tischen Partei. Nie zuvor stand in Chile eine Frau an der Spit-ze der Regierung, noch dazu eine, die geschieden und alleinerziehende Mutter ist.

Ecuador, 30. November 2006.Der linke Kandidat Rafael Correa setzt sich bei den Wahl-en allen Prognosen zum Trotz gegen den Konservativen und reichsten Mann des Landes, Alvaro Noboa, durch.

Venezuela und Brasilien, 2006.Neben Chavez wird auch der sozialistische Präsident Brasili-ens, Luiz Inacio Lula da Silva, Ende 2006 wieder gewählt.

Nicaragua, 10. Januar 2007.In Nicaragua löst Daniel Ortega, ehemaliger Revolutions-führer, die konservative Regierung ab. Die Politik Argenti-niens und Uruguays wird ebenfalls von linken Regierungen gesteuert.

Schauen wir nun einmal in die Vergangenheit. Lateinamerika

Spürst auch Du die Möglichkeit für Veränderung?

Gesellschaft

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war über lange Jahre der Kontinent der Hoffnungslosigkeit, es gab aus den Ländern dieses Kontinents nur deprimierende Nachrichten:

+++Bittere Armut einer breiten Bevölkerungsschicht+++ Hunger und Bildungselend+++Korrupte Regime+++ Mör-derische Diktatoren+++Zusammenbrechende t+++Terror durch Todesschwadronen und Paramilitärs+++

Seit wenigen Jahren weht nun jedoch ein neuer Wind der Hoffnung über den gebeutelten Kontinent. Es herrscht Auf-bruchstimmung in vielen Ländern Lateinamerikas. Aus einer Bewegung von Unzufriedenen wurde eine politische Kraft, die mittlerweile fast alle Länder des Kontinents erfasst hat. An den Hauswänden steht wieder der alte kämpferische Ruf: „Venceremos“- wir werden siegen. Ihre charismatischen An-führer sind mittlerweile zu Präsidenten geworden. Die bei-den Bekanntesten sind Hugo Chávez in Venezuela und in Bolivien Evo Morales. Beide, die Zugpferde der Bewegung, streben einen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ an. Ihre Hauptaspekte und wichtigsten Ziele sind:

/// Die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit von den USA /// die Entmachtung der von Chávez und Morales als ausbeuterisch angesehenen internationalen Großkonzerne /// Die Aufhebung der Armut im ländlichen Teil des Landes und der Bevölkerung in den Slums /// Die

Durchführung einer Landreform, um den Ureinwohner das von den Kolonialherren gestohlene Land zurückzugeben, /// Die Reform des Bildungswesens: Schulbildung soll allen umsonst zugute kommen und nicht mehr den Reichen vor-behalten sein /// Die Einführung eines neuen Gesundheits-systems, das eine kostenlose medizinische Versorgung für alle ermöglichen soll.

Außerdem soll speziell in Bolivien der jahrzehntelangen Un-terdrückung der Ureinwohner ein Ende bereitet werden. Und in Venezuela auf kommunaler Ebene die Mitbestimmung der Bürger, in der Sprache der Regierung „Volksmacht“ genannt, gestärkt werden. Diese Ziele sind als Parolen auf jeder linken Demonstration in Europa zu finden, die den Traum einer Veränderung nun

schon Ewigkeiten träumen und immer noch die leiernden Schlachtrufe brüllen wie „hoch die Internationale Solidari-tät“ oder „zerstört die Macht der Banken und Konzerne“. Doch in Lateinamerika scheint nun eine neue Chance vor-handen zu sein, einen Weg zu finden für eine menschliche Alternative zur zumeist unmenschlichen Globalisierung des Kapitalismus. So lässt es sich natürlich schön träumen von einer neuen Zu-kunft und einer neuen rebellischen Kraft im wilden Lateina-merika, wo schon der längst kommerzialisierte Held der Lin-ken, Che Guevara, herkommt. Doch dieses Mal ist es anders. Es sind gewählte Präsidenten, die ihre grundlegenden Verän-derungen durch Volksabstimmungen bestätigen lassen. Die „Revolution durch Waffen“ ist zu einer „Revolution durch Wahlen“ geworden. Jedoch sind auch kritische und wichtige Fragen angebracht:Ist eine Bewegung, die besonders in Venezuela und Bolivien aus Streiks und Protesten entstand, gut vertreten durch ein-zelne Menschen, die in den Volksabstimmungen für ihre neuen Ideen auch ihre eigene Macht durch Verlängerung ihrer Amtszeit und mehrfache Amtszeiten (vorher nur eine Amtsperiode zulässig) vergrößern wollen? Und ist ein Hugo Chávez, der einen nie da gewesenen Personenkult betreibt und sich mit Despoten wie Ahmadinedschad trifft, ein ver-lässlicher „Führer“? (Ausschaltung der Menschenrechte Pressefreiheit) Lasst uns aus den gewaltigen Veränderungen in Lateiname-

rika unsere eigenen Schlüsse ziehen und sehen, was wir von ihnen in unserem System lernen können. Und das unbeein-druckt von Schreihälsen wie Hugo Chávez („Sollten die USA den tollkühnen Versuch unternehmen, uns anzugreifen, wird es 100 Jahre Krieg geben. Wir sind vorbereitet.“ - Interview des US-Fernsehsenders ABC, 16. September 2005) und Do-nald Rumsfeld („Er ist eine Person, die legal gewählt wurde, ebenso wie Hitler legal gewählt wurde.“ - Donald Rumsfeld, Rede vor dem National Press Club in Washington über Hugo Chávez, 2. Februar 2006). Es bewegt sich etwas in Südamerika, lasst es auch in unsren Köpfen ankommen! ¡Venceremos!

TEXT: Daniel Schmidt - [email protected]

01 | 2008 Blickwechsel12

Vom Jugendmedienzentrum (JMZ) einge-laden, machte ich mich an einem Freitag morgen um 6:40 auf in Richtung Berlin,

um unseren Finanzminister Peer Steinbrück zu einem Gespräch mit 49 weiteren Jungredakteuren zu treffen. Zuerst jedoch wurden wir durch das ZDF-Hauptstadtstudio geführt und uns wur-den Einblicke in das Journalistenleben aus erster Hand gewährt, bevor wir ins Finanzministerium fuhren um dort nach einer Stärkung und einer Führung,mit dem Finanzminister und seinen Pressesprechern ins Gespräch zu kommen.

Peer Steinbrück machte auf mich während des Ge-sprächs einen klaren und direkten Eindruck. Der Aalkönig von Bad Honnef vertrat klar seine Positi-on und ließ sich nicht auf unklare Fragen ein. Auf die Frage, wie es uns Deutschen gehe, antwortete er: „Uns geht‘s Gold“ und verwies unter anderem auf die Tatsache, dass es Deutschland im Vergleich mit ande-ren Ländern „goldig“ gehe. Immer wieder wiederholte er die-sen Spruch und es ließ sich vermuten, dass er sich über ihn als Titelzeile über diesem Artikel freuen würde. Genau wie: „Keine Steuersenkung auf Pump“. Die seiner Meinung nach unverrückbare Tatsache, dass: „bis die Schulden nicht getilgt sind, [...] es unter mir [Peer Steinbrück] keine Steuersenkung geben [wird]“, betonte er immer und immer wieder. Doch ging er auch auf persönliche Fragen ein. Auf die Frage was er, seit er Politiker sei, vermisse, antwortete er: „Ich ver-misse Muße, Selbstbestimmung, Zeitökonomie“. Die Frage, warum es ihm trotz dieses Verzichts Spaß mache Politiker zu sein, beantwortete er mit seinem „Gestaltungswillen“ und das es ihm um den „Reiz“ gehe, „ in einem Kabinett zu arbei-

ten, um das Geschick eines Landes mit zu beeinflussen“.Nach dem Gespräch hatte ich das Gefühl das wir ein Termin und nicht wirklich Gesprächspartner gewesen waren. Etwas zwischen seinem „Süddeutsche meeting“ und dem „Flug nach Bonn“. Informativ war es trotzdem und eine Erfahrung ist Berlin, mit oder ohne Finanzminister, immer.

Uns geht‘s Gold

TEXT: Simon Berg - [email protected]

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Wertpapier-bezeichnung

Wertpapier-kennummer

(WKN)

Nennwert Zum Kurs von Geschäftstag Börsenplatz

Air Berlin PLC AB1000 St. 1000 Eur 11,40 + 01.02.08 Xetra**

Apple Inc. 865985 St. 300 Eur 90,60 + 01.02.08 XetraBalda AG 521510 St. 800 Eur 6,15 + 01.02.08 XetraGildemeister AG

587800 St. 1500 Eur 12,10 + 28.01.08 Xetra

Porsche Automobil Holding

693773 St. 50 Eur 1196,15 + 01.02.08 Xetra

Gesamt anteilige Gewinne/Verluste Veränderung in %121.457,50 --,-- --,-- %

Bei einem Minussymbol handelt es sich um einen Verkauf, bei einem Plussymbol um einen Kauf. Da sich das Depot zum Zeitpunkt der Ausgabe der Zeitung im Aufbau befand, sind zunächst nur Käufe sichtbar.

* In einem Depot, auch Wertpapierdepot genannt, können Anleger ihre Wertpapiere (z.B. Aktien) oder Fonds verwahren. Ein Depot kann bei fast jeder Bank gegen eine laufende Gebühr eingerichtet werden, über die Bank können dann auch die Wertpa-piergeschäfte (Käufe und Verkäufe von z.B. Aktien oder Fonds) abgewickelt werden.* * Xetra steht für „exchange electronic trading“ und ist ein elektronisches Handelssystem der Deutsche Börse AG. Genau wie an den anderen Börsenplätzen (z.B. Frankfurt, Stutt-gart oder NASDAQ) können hier Aktien gehandelt werden.

Das Depot: Ca. 120.000,- € investiert in fünf Unter-nehmen. Vertreten ist ein Wert aus der Automo-bilindustrie (Porsche), der größte deutsche „Billig-

flieger“ mit der Air Berlin, zwei Technologieunternehmen (Apple, Balda), sowie der Werkzeugmaschinenhersteller Gil-de-meister. Mit der Zusammenstellung des Depots haben wir versucht sowohl spekulative als auch konservativere Titel zu mischen.Alle haben jedoch, dem Gesamtmarkt entsprechend, in letzter Zeit deutlich nachgeben müssen. Am stärksten der unter anderem für Apple arbeitende Touchscreen Hersteller Balda. Hier erwarten wir eine kurzfristige Erholung. Auch

Musterdepot*

Apple selber hat kurstechnisch gesehen Nachholbedarf, mit-telfristig gesehen setzten wir hier zudem auf die innovative Erweiterung der Produktpalette und steigende Absatzzahlen bei den iMacs und der Mac-Book Linie. Bei Porsche eröff-net die Beteiligung an Volkswagen neue Möglichkeiten der Produktionssteigerung und Einsparungen bei den Entwick-lungskosten. Die Air Berlin konnte durch die Integration von dba und LTU bereits ihre Markposition stärken, posi-tiv einzuschätzen ist zudem der geplante Kauf von Condor. Nachdem bei Gildemeister jüngst die Staatsanwaltschaft vor der Tür stand - Vorwurf der Untreue, Bestechung und Steu-er-hinterziehung gegen den Vorstandschef - musste auch der Aktienkurs federn lassen. Das Unternehmen ist jedoch als gesund einzuschätzen, wir setzten auch hier auf die bereits einsetzende Gegenbewegung.

Richtig investieren in unruhigen Börsenzeiten - verfolgt die Entwicklung unseres Musterde-pots und die Kurzanalysen von Carsten Busch

TEXT: Carsten Busch - [email protected]

01 | 2008 Blickwechsel14

Einblick

An einem ver-regneten und s tü rmi schen

Wintertag trafen sich knapp zwanzig ver-mummte Gestalten. Gemeinsam wollten sie nach monatelan-gen Vorbereitungen über die Koordination und Vernetzung ihrer Aktionen diskutieren. Dieses denkwürdige Datum, der 17. Januar 2006, wurde im Nach-hinein bekannt als der Gründungstag der LSR Bewegung. Die Bewegung ging aus sechs verschiedenen Aktionsgruppen hervor: Den Gruppen Altona, Bergedorf, Bergstedt, Farmsen, Harburg und Nienstedten. So begann eine neue Ära politischen En-gagements in Hamburg…

Soviel zum Traum – doch nun zur Wirk-lichkeit: Ende 2005 kommt an verschie-denen Orten Hamburgs zeitgleich die Idee einer landesweiten Schülervertretung auf. Nach vielen Telefonaten, Gesprächen

Der LSRDer Landes-Schüler-Rat

Waldorfschulen in Hamburg

www.blickwechsel-hamburg.de 15

und Unmengen an E-Mails steht end-lich der erste Termin: Dienstag, 17. Ja-nuar 2006, 19:00 Uhr. Ort: Waldorf-schule Hamburg Farmsen.Es beginnt ein langsames aufeinander zugehen, Erwartungen und Wünsche werden geklärt, Grenzen gezogen. Nach zwei Stunden steht das Ergebnis: Ham-burg wird ab sofort ein Landes-Schü-ler-Rat von und für Waldorfschüler haben. Auf dem nächsten Treffen wird folgender Grundsatz formuliert:

„Dem gemeinsamen Schülerrat der sechs Waldorfschulen in Hamburg (LSR) liegt die Idee zugrunde, eine Plattform zu schaffen, auf der der Austausch zwischen den Schülern und Schülerinnen stattfin-den kann. Ein Austausch, um sich gegen-seitig zu helfen und zu fördern und um gemeinsam Ideen zu entwickeln.Der Landes-Schülerrat soll ein Organ sein, über das Veranstaltungen und Ter-mine weitergeleitet werden, soll eine Möglichkeit sein, die Vernetzung und Kommunikation zwischen den Beteili-gten aufzubauen und zu verbessern.Der Landes-Schüllerrat soll jedoch auch Ausgangs- und Knotenpunkt sein für mehr Jugendengagement im politischen wie im sozialen Bereich, besonders im Bereich der Bildung.“

Und so nimmt der LSR seine Arbeit auf – auf der Basis des oben genann-ten Grundsatzes.

TEXT: Kim-Fabian von Dall`Armi - [email protected]: Philip Wilson - [email protected]

01 | 2008 Blickwechsel16

Seit ihrer Gründung 2002 durch Lukas Mall hat sich die WaldorfSV stark verändert. Ursprünglich gegrün-det um als bundesweite Vertretung die Interessen der

SchülerInnen zu bündeln und gegenüber der waldorfpädago-gischen Szene sowie der Politik zu vertreten hat sich die Wal-dorfSV zu einem kreativen Netzwerk und einer Plattform für Bildung in Deutschland, speziell an Waldorfschulen entwi-ckelt. Auch gesellschaftlich wichtige Themen werden behan-delt. Dies auch auf Grund der Definition, dass Schule weit mehr ist als ein Ort zur reinen Wissensvermittlung.

Die jährlich zwei Tagungen sind die Höhepunkte der Netz-werkarbeit. Sie bieten Plattform für verschiedenste Ideen al-ler Art, für diverse Organisationen und Zusammenschlüsse welche sich und ihre Arbeit präsentieren wollen, für einzelne Personen und Initiativen und natürlich auch für den Spre-cherkreis der WaldorfSV um ein interessiertes Publikum zu erreichen.

Die Tagungen bieten eine Mischung aus festem Programm aber auch freien, sog. Open-Space-Zeiten in denen jeder Kurse, Vorträge und Workshops anbieten kann die wiede-rum jeder in Anspruch nehmen kann. Das feste Programm wird durch den Sprecherkreis sowie verschiedenste Refe-renten gestaltet und steht meist unter einem locker gefassten Überbegriff.

Sehr entscheidend sind die persönlichen Kontakte welche in und durch die WaldorfSV geknüpft werden, die Möglichkeit zum Austausch. Oft finden so Einzelinitiativen und Men-schen Unterstützung mit ihrem Anliegen, finden Mitstrei-

ter und neue Ideen. Auch sehr wichtig ist die Fortbildung. Wie gehe ich mein Projekt an? Wie kann ich meine Vision einbringen? Hier geben sich der Sprecherkreis und die da-für zuständigen Referenten große Mühe. Ausserdem kann auf den großen Fundus an Konzepten und Erfahrungen der vorhandenen Projekte, Organisationen und Einzelpersonen welche aus diesem Grund auch eingeladen werden zurück gegriffen werden.

Die WaldorfSV will mit ihrer Arbeit die deutsche Bildungs-landschaft bewegen. Sie will den vielen guten Ansätzen, besonders im waldorfpädagogischen Bereich zu Gehör und Umsetzung verhelfen. Organisationen und Veranstaltungen mit neuen Ideen sollen unterstützt werden. Besondere und neue Konzepte verbrei-tet werden. Doch ganz im Vordergrund steht der einzelne Mensch. Jedem soll neben dem nötigen Know-how die En-ergie und der Wille mitgeben werden, den es braucht um vorhandene Strukturen zu ändern und neue zu schaffen. Den Mut dessen man bedarf um in Konfrontation zu gehen, mit Situationen und Menschen die sich dem entgegenstellen. Und das Vertrauen in die Notwendigkeit und Machbarkeit des Neuen!

Geleitet und verwaltet wird die WaldorfSV von einem fünf-köpfigen Sprecherkreis.Die WaldorfSV finanziert sich und ihre Projekte über den Bund der Freien Waldorfschulen sowie über Spenden.

Kreative Plattform und Netzwerk als Impulsgeber für die deutschen WaldorfschülerInnen und Schu-len

Die WaldorfSV

Info

Waldorf SV

http://[email protected]

Nächste Tagungen:Siehe Ausblick (Seite 54)

www.blickwechsel-hamburg.de 17

Was ist Waldorfpädagogik?Teil I

Ich bin selbst Waldorfschülerin gewesen und erinnere mich noch gut daran, dass mir nicht allzu viel einfiel, wenn ich gefragt wurde, was die Waldorfschule von an-

deren Schulformen unterscheide. Zwar konnte ich davon be-richten, dass wir zwölf Jahre im selben Klassenverband ver-blieben, in den ersten 8 Jahren einen Klassenlehrer hatten, der für alle Hauptfächer zuständig war, dass wir nicht sitzen bleiben konnten und Kunst in der Oberstufe eine große Rolle spielte — über das pädagogische Konzept der Waldorfschule konnte ich hingegen wenig sagen. Aus Gesprächen mit Wal-dorfschülern weiß ich, dass sich an diesem Wissensstand bis heute nicht viel geändert hat. Deswegen möchte ich Euch in der folgenden Artikelserie einen Einblick in die Anfänge der Waldorfschule und in die Grundlagen der Waldorfpädagogik geben und hoffe, dass Ihr vor diesem Hintergrund Fragen von „Außenstehenden” leichter beantworten könnt.

Wie kam es zur Gründung der ersten Waldorfschule?

Am 7.September 1919 wurde die erste Waldorfschule in Stuttgart mit einem Festakt von Rudolf Steiner für 250 Kin-der eröffnet. Das Ende des ersten Weltkrieges lag noch kein Jahr zurück – die politischen, wirtschaftlichen und gesell-schaftlichen Verhältnisse waren nach dem verlorenen Krieg katastrophal. Im Frühjahr 1919 hatte sich Rudolf Steiner zusammen mit einer Schar Gleichgesinnter intensiv um eine Neugestaltung der Gesellschaft bemüht und in zahlreichen öffentlichen Vorträgen vor Arbeitern, Gewerkschaftsfunktio-nären, Fabrikanten, Universitätsprofessoren, Künstlern usw. für die „Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus‘ geworben. Ausgangspunkt war die historische Erfahrung,

dass das alte kaiserliche, obrigkeitsstaatliche Herrschaftssys-tem mit dem Weltkrieg zusammengebrochen war und für die Gestaltung einer modernen Gesellschaft nichts mehr hergab. Rudolf Steiner wies nun darauf hin, dass bereits mit den in der Französischen Revolution aufgekommenen For-

derungen nach Freiheit; Gleichheit und Brüderlichkeit eine Entwicklungsrichtung gegeben worden sei, die nun auch in Deutschland verfolgt werden müsse. Im Unterschied zu den Revolutionären von 1789 lehnte Steiner jede gewaltsame Auseinandersetzung strikt ab und appellierte statt dessen an die Einsicht der Menschen; er forderte seine Zuhörer auf, sich mit der Frage auseinander zu setzen, wie die Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in ein rechtes Verhältnis zu einander gebracht werden könnten. Er selbst hatte in einer eilends verfassten Schrift mit dem Titel „Die Kernpunkte der sozialen Frage” einen Entwurf vorgelegt, wonach die drei Hauptbereiche jedes sozialen Organismus‘, das Kultur- und Bildungswesen, das Rechts- und Staatswesen sowie das Wirtschaftsleben entsprechend den Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ausgerichtet werden sollten. Für die Umsetzung machte er konkrete Vor-schläge, die dort und in anderen Schriften nachzulesen sind.

Am 23.April 1919 sprach Rudolf Steiner vor den Arbeitern der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart und be-schrieb das Schicksal der Arbeiterschaft, die nur einen Teil ihrer menschlichen Fähigkeiten entwickeln könne, wenn sie von der geistigen Bildung ausgeschlossen bliebe. Das war der

Im folgendem Text wird die Autorin, Mona Doosry, Lehrerin für Deutsch und Kunstgeschiche an der Rudolf-Steiner-Schule Wandsbek, versuchen, einen kleinen Einblick in die Grundlagen der Waldorfpäd-agogik zu geben. Der Artikel erscheint in drei Teilen. In dieser Ausgabe nun Teil I.

01 | 2008 Blickwechsel18

Anlass für den Generaldirektor der Fabrik, Emil Molt, seine schon lang gehegte Idee einer Schule für die Kinder seiner Arbeiter in die Wirklichkeit umzusetzen und Rudolf Steiner um die Leitung dieser Schule zu bitten. Er selbst wollte für die Finanzierung sorgen — was er in den folgenden Monaten und Jahren mit größtem persönlichen Einsatz und finanziel-lem Opfer auch tat.

Die Zeitumstände erforderten rasches Handeln: Neben Emil Molt wünschten seine Mitarbeiter nichts sehnlicher, als dass die Kinder in den Wirren der Nachkriegszeit in geordnetere Verhältnisse zurückkehren könnten. Neben dem täglichen Hunger drohte beim Blick in die Zukunft Hoffnungslosig-keit. Angesichts der materiellen Not nach dem Kriege schien eine Schulgründung auf privater Basis wenig Erfolg verspre-chend – und wären aus dem Bekannten- und Freundeskreis Rudolf Steiners nicht Künstler, Ärzte, Lehrer und angehende Professoren, die vom gleichen Geist beseelt waren und zum Teil auch sogar in halbwegs gesicherten bürgerlichen Positi-onen standen, bereit gewesen, sich an diesem Wagnis einer Schulgründung zu beteiligen, hätte es wohl nie eine Waldorf-schule gegeben. In einem zweiwöchigen Intensivkurs wurden die angehenden Lehrer von Rudolf Steiner in die Grundlagen der neuen Pädagogik eingeführt, bevor die Schule im Sep-tember 1919 im ehemaligen Ausflugslokal am Kanonenweg, heute Haussmannstraße, in Stuttgart ihre Pforten öffnete. Eine Besonderheit der Schule bestand darin, dass Mädchen und Jungen – für die damalige Zeit ein absolutes Novum - bis zum Ende der Schulzeit gemeinsam unterrichtet werden sollten. Bis zum September 1924 hielt Rudolf Steiner, wann immer es ihm neben seiner regen Vortragstätigkeit im In-

und Ausland möglich war, engsten Kontakt zu den Lehrern der Waldorfschule und entwickelte die Waldorfpädagogik den jeweiligen Anforderungen entsprechend weiter.Trotz der unheilbaren Krankheit, die ihn ab Oktober 1924 ans Bett fesselte, korrespondierte er weiter als verantwort-licher Schulleiter von Dornach/Schweiz aus mit den Lehrern. Zwei Wochen vor seinem Tod am 30.März 1925 übertrug Rudolf Steiner die Schulleitung an das Kollegium.Bereits 1922 wurde eine zweite Schule, die „Goetheschule” in Wandsbek – damals noch zu Preußen gehörig –, gegrün-det. Hier hatte der Bauunternehmer Hans Pohlmann Rudolf Steiner die Finanzierung der neuen Schule zugesichert und sich in den Folgejahren unermüdlich für den Fortbestand engagiert. Als Schulleiter dieser Schule wurde der Landes-schulrat Dr. Max Kändler von Rudolf Steiner berufen – aber dies ist wieder eine andere Geschichte.Weitere Schulgründungen folgten und trotz des Verbotes durch die Nationalsozialisten konnte sich die Idee der Wal-dorfpädagogik durchsetzen; heute gibt es weltweit 958 Wal-dorf- bzw. Rudolf-Steiner-Schulen, davon 208 in Deutsch-land.

In der nächsten Folge möchte ich ausführlicher auf die Grundlagen der Waldorfpädagogik eingehen und mich dabei mit der Frage auseinandersetzen, was mit dem Schlagwort „Erziehung zur Freiheit” gemeint ist.

TEXT: Mona Doosry - [email protected]

Identität...und wohin rennst Du?

Titel

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Wir trinken so viel, dass wir uns übergeben müs-sen und lassen dabei immer ein Stück Welt hinaus oder bekriegen sie. Wir haben Waffen,

wir haben Mittel. Wir tanzen ekstatisch in sukzessiven Lichtgeblitzen und suchen doch nur jemanden, der unse-re Hand hält. Was sagen die anderen? Was denken sie über uns? Was werden sie von uns wollen? Wir hungern aus ei-genem Entschluss und vergessen, dass jeden Tag Menschen verhungern. Und das sind die, welche keine Wahl haben. Wir kennen unsere Rechte, aber nutzen sie nicht. Wir be-lächeln andere, lachen über sie, stoßen sie aus. Wir schlie-ßen uns zu festen Kreisen zusammen. Wir suchen Schutz. Ist man ein Hedonist? Oder ein Leidgeplagter? Nutzt man den Tag? Oder wartet man schlicht auf eine bessere Zeit? Be-sinnt man sich, noch solange jung zu sein? Verschwende dei-ne Jugend, solange du noch kannst, verdammt noch mal!Man strebt nach dem Individuellen. Doch der Individuelle hat tausend Verwandte. Und jedes Individuum als Feind im Nacken. Wir sind klug, wir sind kühn, wir sind berechnend. Wir rechnen ab. Wir sitzen in der Schule und lernen, wie wir uns in der Welt verkaufen sollen. Manche verkaufen ihre Seele. Wir haben Probleme, die keine sind und reden dar-über. Wir haben Probleme, die welche sind und schweigen darüber. Wir wollen eigen sein, aber zu der Gruppe, die eigen ist, dazugehören. Wir lesen, um mitreden zu können. Wir re-den, um andere übertrumpfen zu können. Wir schreien, um andere unterwerfen zu können. Wir lernen schlaue Sprüche, schreiben sie nieder, schaffen Profile und Neurosen. Es ist schön jung zu sein. Es ist schrecklich jung zu sein.

Hommage an die Jugend

TEXT: Jamila Al-Yousef - [email protected]: KvD - [email protected]

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Wer kennt ihn nicht, diesen Satz, der einem nur zu deutlich macht wie berechenbar und gewohnt man in seinem Auftreten ist: „Das war ja wieder

typisch“. Irgendwie Mist gebaut und mal wieder genau dem Erwarteten entsprochen. Was hilfts, man kommt dann doch nicht raus aus alten Verhaltensmustern, die zu einem gehören wie das charakteristische Muttermal direkt über der Schläfe, die Narbe aus Kleinkindzeiten an der Wange, oder die Pig-mentstörung der Haut am linken Oberarm. Oder doch?Genau das verspricht doch das Internet, dass neue Internet, das Web2.0. Aber was bedeutet Web2.0 und für was steht es? User generated Web. Die Benutzer bauen sich ihr eige-nes Internet. Weg von dem einseitigen Geben auf der einen und Konsumieren auf der anderen Seite der Leitung. Hin zum Austausch. Das Internet wird individuell. Doch ist dem Informationsmedium Internet inzwischen eine riesige Kon-taktbörse entwachsen. Neben dem das ich mir meine Infor-

mationen aussuchen kann, kann ich mir auch meine Freunde aussuchen und die suchen mich aus. Warum sie mich aussu-chen?Weil ich nicht mehr nur Simon bin. Ich bin der Simon der so unglaublich schlau ist, dank Wikipedia. Der Simon der so unglaublich viel rumgekommen ist, dank Flickr und der Si-mon der so unglaublich gut aussieht, dank Photoshop. Dem Ich sind dank Web2.0 keine Grenzen mehr gesetzt. Ich kann mich in Form von Blogs, Videos oder Fotos präsentieren und mich immer so darstellen wie es mir gefällt. Doch gleich-zeitig gebe ich, mit wachsenden Darstellungsmöglichkeiten auch immer mehr von mir preis. Ich brauche kein Gespräch mehr, keine Begegnung um einen Freund zu gewinnen. Ein einziger Blick in irgendein Profil verrät mir so viel über die privaten Gewohnheiten dieses Menschen, dass mir zwei Mög-lichkeiten bleiben: Weiterklicken oder Anschreiben. Verrät mir ein Profil zu wenig, werde ich unsicher und berühre den „Mehr Freunde!“ Button und schon sind die nächsten „Aus-

erwählten“ auf meiner Liste.Das Ich2.0 setzt sich aus dem zusammen was ich bin, wer ich sein möchte und dem wie ich gesehen werde. Ich2.0 ist völlig veränderbar. Denn gefällt es mir nicht mehr, gefällt es mei-nen „Freunden“ nicht mehr verändere ich es oder tausche es einfach aus. Gegen ein neues Ich und gegen neue „Freunde“. Niemand der mich nicht kennt wird zu mir sagen:“Das war ja wieder typisch“. Und wer, der mich nicht mal im „real live“ lachen gesehen hat, kann mir sagen das er mich kennt?

TEXT&GRAFIK: Simon Berg - [email protected]

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www.blickwechsel-hamburg.de 23

„Mama, wieso ist die Kuh da nicht Lila?“ Ich stutze, schaue mich um und frage mich, wo dieser Ausspruch da gerade herkam. Ein klei-

ner Butscher steht da und zeigt mit seinem wurstigen Finger ganz aufgeschreckt und entrüstet auf die schöne, braun/weiß gefleckte Kuh, als wolle er sie mit seinem Finger erdolchen.

In seinem Gesicht ist sein ganzes Entsetzten zu sehen: Wie-so, ja verdammt, wieso ist dieses Ding da vorne nicht LILA? Er grübelt und grübelt – aber er kommt zu keinem Schluss. Seine Mutter versucht ihm zu erklären – aber er bekommt den Zusammenhang zwischen dem weißen Zeug in der Tüte zuhause im Kühlschrank, das Mama ihm jeden Abend mit Honig warm macht, und diesem komischen Tier da vor ihm nicht hin. Kühe haben LILA zu sein, weiß doch jedes Kind!

Kühe haben Lila zu sein – das klingt wie das Credo einer neuen Gesellschaft. Würste haben eingeschweißt zu sein, Fi-sche haben ohne Augen und Greten im Kühlfach zu liegen, Hühnchen haben in Form von panierten „chicken Wings“ auf dem Teller zu landen. Willkommen im 21. Jahrhundert, willkommen in der Welt der Kühlschrankkinder. Willkom-men in einer Welt, in der Kühe Lila sind, in der die Wurst einfach so im Kühlschrank ist, in der die Milch von Tüten produziert wird. Es fehlt jeglicher Bezug zur Natur, zum natürlichen Ur-sprung. Die Lila Kuh ist dabei nur eines von vielen Beispie-len – jedoch auch eines der prägnantesten. Was für eine Ge-sellschaft ist das, in der ein kleines Kind auf den Bauerhof kommt – wenn es überhaupt dahin kommt – und dort den größten Schock seines bisherigen Lebens erfährt? Kühe sind Lila und die Milch wächst im Kühlschrank. Man ist so ge-wohnt an all die Dinge, daran dass sie einfach vorhanden sind, dass es total aus dem Fokus gerät, was dieses oder jenes Ding überhaupt für einen weiten Weg zurücklegen musste, um nun hier mir, dem Konsumenten so selbstverständlich zugänglich zu sein. Bleiben wir bei dem Beispiel Kuh und Milch. Bröseln wir den Vorgang von der Herstellung der Milch einmal auf: Sie muss verpackt, transportiert und verkauft werden. Sie muss in der Meierei gereinigt sowie vom Bauernhof geholt wer-den. Sie muss der Kuh mit vielen Tricks abgemolken werden. Und die Kuh selber muss auf die Weide, muss Futter und ein Kälbchen haben… Das heißt, an dem einfachen Paket Milch, das ich so selbstverständlich aus dem Kühlschrank hohle, hängt ein unglaublicher Rattenschwanz an vorange-gangen Leistungen. Und dabei habe ich den Bauern und sei-ne Arbeit noch nicht einmal berücksichtigt.Was heißt das nun konkret? Was will ich damit aufzeigen? Ich möchte damit auf eine extreme Fehlentwicklung in un-serer Gesellschaft aufmerksam machen. Denn wie kommt es

erst dazu, dass das kleine Kind keine Ahnung hat, dass Kühe nicht Lila sind, das es keine Ahnung hat, dass die Milch nicht im Kühlschrank wächst? Das Kind lebt in einem von seinen Ursprung total entfrem-deten Umfeld. Das Kind kann es ja gar nicht anders wissen, es ist diesem schutzlos ausgeliefert. Früher, da spielten die

Kinder im Dreck auf der Strasse, da rannten sie mit den Kühen auf die Weide und fühlten sich im kindlichen Eifer

als Hüter der Kuh. Zuhause zu bleiben – das war der Graus eines jeden kleinen Bub oder Mädchens. Und sie wühlten im Dreck und zerrissen ihre Klamotten und sauten sich ein – aber sie waren dran an der Realität. Sie waren dran am wah-ren Leben, an dem pulsierenden Schlag der Zeit, sie waren dran an dem Lebendigen.

Und heute? Wir leben in dem Zeitalter der Megastädte, 87% der deutschen Bevölkerung leben in urbanen Gebieten. Und da ist kein Raum zum Spielen, da ist kein Platz für wilde Schlammschlachten. Stattdessen wird eine künstliche Rea-lität erzeugt. Da spielen die Kinder am Computer, an der Playse, am Gameboy. Und wenn dann ein Ausflug ins Freie ansteht – nein, lieber will das Kind den neuen Film gucken, will die Serie nicht verpassen. Und so wächst es auf. Die El-tern sind froh, ein so pflegeleichtes Kind zu haben, das vor den Fernseher gepackt wird und dann still ist. Und auch die Kinder scheinen froh, saugen die Bilder und Eindrücke der virtuellen Realität auf und machen sie zu ihren Eigenen.

Und dann trifft das Kind auf eine Kuh, ein letztes Exemplar irgendwo an einem „Tag der offenen Tür“ oder ähnlichem – und kommt nicht mehr zurecht mit seiner Welt. Kühe sind doch lila und die Milch wächst doch im Kühlschrank. Denn spätestens im nächsten Supermarkt hört die Vorstellung des Kindes auf. Hinter den eisigen Scheiben der großen Kühlre-gale liegt das Ende seiner Welt. Dieser Mensch hat keinerlei Verbindung mehr mit dem Lebendigen, dieser kleine Mensch hat das verloren, was doch so wichtig ist: ein Gefühl für das Lebendige, das sich Wandelnde und Entwickelnde.Wie soll jener kleine Mensch später denn je zurecht kom-men, wenn er nie mit dem Leben konfrontiert wurde? Wie soll dieses kleine Menschlein zu seinem Ureigenen Lebens-weg finden, wenn ihm der Begriff des Lebendigen eine hohle Vokabel ist? Wie soll dieser Mensch bildnerisch und künstle-risch in seiner Umgebung, seinem Umfeld, der Gesellschaft aktiv sein, wenn er diese Kräfte nie entwickeln konnte?

Wir leben in einer Zeit, in der das Leben immer weiter ab-strahiert wird. Das Leben wird zu Formeln, zu Produkten, zu Daten – und irgendwo dazwischen sind all die kleinen Kinder, die denken Kühe seien lila und Milch wachse im Kühlschrank.

Generation Kühlschrankkinder

TEXT &

FOTO

: Kim-Fabian von Dall´Armi -

vondallarmi@gm

ail.com

01 | 2008 Blickwechsel24

Aphorismen zur Identität

Ein Wort – eine Bedeutung?Vielschichtigkeit – oder eindeutige Definition?

Fragst du den Staat, was deine Identität ist, so wirst du wahrscheinlich die Antwort bekommen: Dein Name, deine Adresse, deine Telefonnummer, die Nummer deines Personalausweises. Eine Nummer ist deine Identität?

Wohl eher ist das die Identität, die du vom Staat „übergestülpt“ bekommst, du wirst über Nummern und Namen identifiziert. Doch hat das mit Identität zu tun, ist das wirklich die Identität eines Menschen?

Kommt die Identität durch das Identi-fizieren mit Teilen seiner Umwelt, mit Meinungen, mit Ansichten zustande,

die man in sich selbst wiederfin-det und eine Affinität entwickelt? Ist die Identität also eine Defini-tion ihrer selbst durch das Ab-grenzen und Verbinden mit den Dingen, die uns umgeben? Ist die Identität dann nicht etwas von außen Gege-benes, etwas, das in uns gebildet wird und

Definieren wir unsere Identität über das Wiederfinden in unserem sozialen Umfeld, in politischen Gruppie-rungen, in religiösen Gemeinschaften oder in einer be-

stimmten Person?

Es scheint zwei Arten von Identität zu-geben; man muss

zwischen einer einzigar-tigen Ich-Identität und einer Gruppenidentität unterscheiden. Doch vielleicht ist die einzig

TEXT: Anne Luther -

[email protected]

wir nur unbewusst mitbekom-men? Kann ich also meine Iden-tität selber bilden, oder ist sie

nicht viel mehr in un-serem Wesen, unserem Kern enthalten? Muss

an dieser Stelle nicht eher vom menschl ichen Ich die Rede sein? Doch in welchem Punkt

unterscheiden sich die-se Begriffe eigentlich?

www.blickwechsel-hamburg.de 25

Im Wörterbuch ist dem Begriff Identität die Be-deutung „Übereinstim-

mung“ beigemessen.Doch was bedeutet Über-einstimmung? Mit was, mit wem stimmt man überein? Und wodurch geschieht die Übereinstimmung?

Was ist das menschliche Ich und was ist die Identität? Wenn das Ich

unser innerster Kern ist, ist dann die Identität die Identifizierung der eigenen Prinzipien mit denen der Umwelt? Kommt also die Identität von außen oder von innen? Oder ist es ganz anders, und die Identität bezeichnet das Differenzie-ren zwischen Eigenem und

Wie wichtig sind Werte wie Beruf oder Familie für unsere Identität? Ist das überhaupt unsere Identität?

Ist sie die Summe unserer Identifizierungen? Doch wo bleibt an dieser Stelle die Individu-alität?

Ist unsere In-dividualität einzig und

allein die ein-zigartige Mi-schung unserer Vorlieben und P r i n z i p i e n und deren unterschied-liche Ge-wichtungen? Doch was ist der Unter- D

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zulässige Folgerung, dass jeder Mensch seine individuelle Defini-tion einer Identität besitzt. Eine Definition, mit der er sich identi-fizieren kann und mit der er seine subjektive Identität begründet. Vielleicht charakterisiert dies die Identität. Wie gesagt, vielleicht!

Fremden? Das Eigene kann in diesem Fall jedoch nur durch das Kennenlernen, Erkennen des Fremden und Abstand nehmen von demselben erkannt werden. Ist also die Indentitätsfindung mit der Suche nach un-serem Innersten verbunden, mit dem Erkennen un-seres Wesens?

01 | 2008 Blickwechsel26

Ob in der Theorie oder Praxis – Fußball ist ein Teil meines Lebens. Durch die Ausübung dieses Sports habe ich für mich einen Ausgleich zu dem stets

stressigen Alltag gefunden. Die Stunden auf dem Grand-platz meines Vereins stellen eine Ablenkung dar, die mir ermöglicht dem täglichen Druck viermal in der Woche zu entfliehen. Ohne die mitunter sehr harten und anstrengenden Trainingseinheiten, während derer ich meistens alle Sor-gen und Probleme verdrän-ge und mich nur auf die Leistungsfähigkeit meines Körpers zu konzentrieren habe, könnte ich mögli-cherweise die anstehen-den Aufgaben des Lebens nicht bewältigen. Denn ich brauche dieses „Ventil“, um Frust auszublenden und Dampf abzulassen. Ich denke, dass kein Mensch in der Lage ist, jedes Handeln zu hinterfragen und jede Tat auf ihren Bedeutungsgehalt zu überprüfen. Und deshalb suchen wir uns Hobbys und Leiden-schaften, die eventuell zwar nicht zu der Verbesserung der Welt beitragen, jedoch uns die Lasten des alltäglichen Le-bens für einen Moment vergessen lassen. Man kann nicht je-den Augenblick des Daseins auf der Suche nach der absoluten Wahrheit der menschlichen Existenz sein und es ist auch kein Zeichen der Schwäche sich einer vielleicht auch primitiven Aktivität zu widmen. Doch ist die Gestaltung der Freizeit ein entscheidender Gesichtspunkt hinsichtlich der Frage nach der Identität des Menschen? Macht mich die Mitgliedschaft

in einer Fußballmannschaft zu dem Menschen, der ich bin? Ich spiele Fußball ohne Ambitionen als Profi die Bundesliga aufzumischen, jedoch mit dem Ehrgeiz in meinem Team eine verantwortungsvolle Rolle zu übernehmen und mit diesem Erfolge zu feiern. Einige würden behaupten, dass ich ohne diesen Sport nicht die Person wäre, die sie kennen. Und das, obwohl ich lediglich Spaß am Mannschaftssport habe? Sicherlich ist das Interesse am Fußball ein wesentlicher Zug meines Charakters, aber es wird der Tag kommen, an dem ich dieser Leidenschaft nicht mehr nachgehen kann. Was ist dann? Bin ich dann nicht mehr der Mensch, der ich einmal war? Muss ich mir dann eine andere Beschäftigung suchen, die mir eine neue Identität verschafft? Sind es wirklich die Äußerlichkeiten und Hobbys, nach denen man uns beurtei-len soll? Ist die Identität des einzelnen Menschen nicht viel-mehr ein inneres, individuelles Merkmal? Eine Eigenschaft, die nicht doppelt existieren kann? Meiner Meinung nach

sollten wir den Menschen nicht vor dem Hintergrund seiner Aktivitäten in der Freizeit gegenüber

treten, sondern seine gedanklichen Vor-stellungen vom Leben zu erkunden suchen. Denn nur so können wir

Menschen vorurteilsfrei begegnen, um beispielsweise endlich die ab-scheulichen Diskriminierungen bestimmter Gesellschafts-schichten zu bekämpfen.

TEXT: Marius Krull - [email protected]: Philip Wilson - [email protected]

Fußball = Identität?Über die Frage nach der Identität des Menschen

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Ich war auf der Suche nach der genauen Bedeutung von Identität und Identifikation. Diese Worte haben die Meisten bestimmt schon mal irgendwo gehört, doch was

bedeuten sie für uns genau? Was verbinden wir mit Identität und was mit Identifikation? All das interessierte mich und so machte ich, auch um mir selber klarer über dieses Thema zu werden, eine kleine Umfrage.Meine Schwester verbindet das Wort Identität mit der Frage nach dem eigenen Ich. Wer bin ich eigentlich? Woher kom-me ich? Wo stehe ich in dieser Welt und welcher ist mein Lebensweg? Außerdem verbindet sie Identität mit der Natio-nalität eines Menschen.Mein Vater wiederum verbindet Identität mit der Frage nach der unsterblichen Existenz, doch er fragt sich auch, ob diese Frage überhaupt beantwortet werden kann. Den Unterschied zwischen Identität und Identifikation sieht er an erster Stelle als grammatikalischen Unterschied: Identifikation das subs-tantivierte Verb und Identität das Substantiv.Die Assoziation mit dem Wort Identität beginnt bei meinem Großvater mit der Identitätskarte, dem Perso. Identität be-deutet für ihn außerdem die bestimmte Art und Weise eines Menschen oder eines Volkes. Zu diesen Besonderheiten zählt er äußerliche Dinge wie Sprache, Haar und Hautfarbe, Grö-ße usw. Identifikation bezieht er auf das Innere eines Men-schen. Es beinhaltet für ihn eine Verbindung oder Gleichheit mit einer Person oder die Nachahmung einer Person.Ich habe außerdem zwei meiner Mitschüler befragt. Beide sind sich einig, dass es einen Unterschied zwischen Identi-tät und Identifikation gibt, doch diesen in Worte zu fassen war weitaus schwerer. Für den einen bedeutet Identität das, was einen Menschen ausmacht, was er gerne mag, was er er-lebt hat und was er macht. Der andere bezieht die Identität auf das Äußerliche und die Identifikation auf das Innere des Menschen. Das Wort Identität verbindet er als erstes mit den Personalien eines Menschen, für ihn ist jeder Mensch einfach eine Identität.

Die Worte Identität und Identifikation können also aus ver-schiedenen Blickwinkeln heraus betrachtet werden. Im Le-xikon findet man unter den Stichwörtern „Identität“ und „Identifikation“ folgende Einträge: Identität (allgemein):

Völlige Gleichheit bzw. Übereinstimmung mit sich selbst. Identifikation (Psychologie): Der im Wesentlichen unbe-wusste Vorgang einer seelischen Bindung an einen anderen Menschen durch das Sich-in-ihn-Hineinversetzen, das Sich-mit-ihm-Einfühlen, das Ihn-Nachahmen aber auch das Aus-füllen einer Rolle (Vaterrolle).

Die Begriffe Identität und Identifikation sagen auch für mich weit mehr aus, als die Erklärung des Lexikons beinhaltet; sie haben für mich mehrere Gesichtspunkte, mehrere Bedeu-tungen. In meinem Leben spielt zum Beispiel die Musik eine wichtige Rolle. Ich empfinde die Musik wie eine Weltsprache, sie beschäftigt mich immer mehr und ich entdecke immer mehr Freude und Möglichkeiten in ihr. Sie ist ein Teil meines bisherigen Lebens und so würde ich mich mit ihr identifizie-ren. Doch die Musik mit der ich mich identifiziere, ist nicht jene, die unter Druck und Konkurrenzkampf entsteht, son-dern jene, die aus Freude miteinander gespielt wird.

Der andere Gesichtspunkt ist die Frage nach dem „Wer bin ich? Was mache ich und welche Aufgabe übernehme ich in dieser Welt?” Man hört oft den Spruch: „Sei einfach wie du bist!“ Doch einfach ist es nicht, man selbst zu sein, ohne sich zu verstellen, ohne sich von den äußeren Einflüssen manipu-lieren zu lassen. Ich bemerke zum Bespiel, wie ich auf ver-schiedene Leute verschieden zugehe, verschieden reagiere, ich bleibe ich selbst und erlebe mich doch verschieden. Es liegt also auch an dem Gegenüber wie ich mich verhalte, was man schon fast als Einfluss von Außen werten könnte. An-dererseits kann es sehr hilfreich sein, dass sich der Geist auf den des Anderen einstellt, weil jeder Mensch individuell be-handelt werden will.

Im heutigen Zeitalter ist jedoch schon normal, dass man sich gegenüber der Außenwelt verstellt. Ein Mensch der nach Außen glücklich, ausgeglichen und fröhlich wirkt, kann in-nerlich aufgewühlt, unzufrieden und neidisch sein. Auch die

Identität und Identifikation – ein kleiner Gedankengang

01 | 2008 Blickwechsel28

Freundlichkeit in der Gesellschaft bemerkt man oft als aufge-setzt und nicht von Herzen kommend. Man würde sich gerne als netter, guter Mensch identifizieren doch sind wir beispiels-weise durch die Medienprogramme, die uns tagtäglich ein-getrichtert werden, so manipuliert und abgestumpft, dass uns die kleinen Freuden des Lebens kalt lassen. Wir streben nach großen Dimensionen und Nervenkitzel. Wahre Freude und Freundlichkeit leiden darunter so wie auch unsere Identität. Sich zu einem guten Menschen zu entwickeln, und damit der Frage nach der eigenen Identität näherkommend, muss man sich meiner Ansicht nach erst nach und nach erüben. Man sollte sich im „Glücklichsein“ und in Selbstlosigkeit üben. Um zu anderen Menschen und nach außen hin selbstlos und freundlich zu sein, muss man diesen Zustand zuerst im eige-nen Innern erreichen. Erst wenn man innerlich glücklich ist, kann man dies nach Außen durchscheinen lassen und den Anderen etwas von seinem inneren Reichtum abgeben. Um also die eigene Identität, das Übereinstimmen mit sich selbst zu erlangen, muss man sich in dem oben Beschriebenen- der Selbstlosigkeit und dem Glücklichsein üben.Der Versuch zu sich und zu Anderen gut zu sein kann einen aber auch leicht zur Verzweiflung treiben. Bertolt Brecht be-schreibt in seinem Stück „Der gute Mensch von Sezuan” eben so eine Situation. Die Protagonistin des Stückes versucht gut zu Anderen und zu sich selbst zu sein. Sie gerät deswegen in einen wachsenden Konflikt und „teilt“ sich schließlich in zwei Personen, um auch ihren eigenen Bedürfnissen nachzu-kommen. Sie erschafft zwei völlig gegensätzliche Identitäten und zerstört damit die Übereinstimmung mit sich selbst.

Doch nicht nur jeder Einzelne, sondern auch global sollte man sich mehr in Selbstlosigkeit üben. Wir haben uns mate-riell sehr stark entwickelt, es wird Zeit den globalen Verant-wortungen nachzukommen. Unter globaler Verantwortung verstehe ich über die eigenen vier Wände hinaus zu denken und anderen Menschen zu helfen sowie die Natur zu unter-stützen und zu schützen. Unsere Generation sollte sich als die Generation der Freundschaft, der Liebe und des leben-digen „Miteinanderseins“ weltweit identifizieren.

TEXT: Sophia Jänicke - [email protected]

: Kim-Fabian -

vondallarmi@gm

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Meterhohe Plakate säumen den Eingang zum Ein-kaufszentrum. Auf dem einen wird für ein neues Parfüm geworben mit dem Slogan: Harmonie

ist überbewertet. Das Bild zeigt eine Frau und einen Mann in einem Boxring, die sich umarmen. Im gleichen Moment

geht eine Frau an den Regalen von Douglas entlang und sucht eben dieses Parfüm. Sie hat es gefunden und sprüht es sich auf. Sofort hat sie das Gefühl, sie sei eine starke Frau, die sich nehme, was sie wolle und nicht irgendwelchen Männern hinterher renne, sie sei stark. Die Frau geht mit dem Parfüm zur Kasse und kauft es. Was ist passiert? Sie hat ein Lebensgefühl gekauft. Heute Leben wir in einer Werbewelt. Die Plakate verkünden wundervolle Dinge: Wie wir werden könnten, wenn wir nur dies und das tun; wie sauber unsere Wäsche wird, wenn wir dies und das benutzen... Vielen fällt es schwer in dieser Wer-bewelt ihre eigene Identität zu entwickeln oder zu wahren. Und was macht man dann? Man kauft sich ein Produkt, das so fleißig beworben wird, benutzt es und hat sogleich das Gefühl, man sei so, wie es die Werbung sagt: stark, attraktiv und individuell.Aber nicht nur Werbung ruft diese Gefühle hervor. Nehmen wir zum Beispiel all die Hollywoodfilme in denen schlanke Schönheiten deprimiert in New York leben und sich an ihren Kaffee klammern. Je mehr wir von diesen Filmen sehen, desto mehr nimmt die darin vorkommende Lebensweise uns ein. Starbucks oder generell Kaffee ist ein gutes Beispiel. Heute findet kein Mensch etwas dabei 3,55 € für eine Tasse Kaffee zu zahlen. Weshalb? Wohl hauptsächlich, weil es nicht ein-fach eine Tasse Kaffee ist, nein, über diese Tasse Kaffee kann man sich selbst definieren: Mit extra viel Schaum, doppelter Espresso, Vanille, Karamell, Mokka, Vollmilch, Sojamilch... Indem ich diesen Kaffee kaufe und meine ganz eigene Kom-position erstelle, bekomme ich das Gefühl einzigartig zu sein.

Ich trinke also nicht einfach meinen morgendlichen Kaffee, nein, ich trinke ein Stück Identität. Niemand sonst trinkt seinen Kaffee so wie ich... Und damit denke ich nun, wie alle anderen auch, ich würde aus der Masse herausstechen.Ein anderes Problem: Ich habe nicht viel Geld, möchte

aber auffallen und nicht so sein wie alle Anderen. Ich versuche das über Klamotten zu tun. Weil ich nicht so viel Geld habe, gehe ich zu H&M, um mir meine Klamotten zu kaufen. Dort aber wird verkauft was gerade Mode ist, was also alle tragen. Ich kann allerdings nicht irgendwelche

teuren Designer-Klamotten kaufen. Dafür reicht mein Bud-get einfach nicht. Was tue ich? Ich gehe zu H&M, kaufe mir doch wieder die Kleidung, die alle anderen auch tragen, finde sie eigentlich ganz schön...bis ich sie dann überall sehe und mir denke: „Wollte ich nicht was eigenes?“Wenn ich nun ein Lebensgefühl er-standen habe- sei es das neue Par-füm, sei es ein ganz besonderes Paar Schuhe- habe ich das Gefühl beson-ders zu sein, eine Identität zu haben: Ich bin die, die das Parfüm von Lan-côme trägt. Im er-sten Moment habe ich nun eine Iden-tität, aber nach und nach wird sie selbstverständlich, ist nicht mehr Identi-

tät. Oder doch? Wann wird dieses Gefühl der Be-sonderheit zur Normalität? Ist nicht Identität genau das, was mich ausmacht, ohne dass ich es aufsetzen muss?

Für mich ist das Gefühl des Andersseins, welches ich so stark ersehne im Kontrast zur Gleichheit der Masse, verflogen. Und ich muss es ersetzen...Ein Teufelskreis hat begonnen...

Über die Käuflichkeit von Lebens-gefühlen als Ersatzidentität

TEXT: Isabella Bopp - [email protected]: Philip Wilson - [email protected]

01 | 2008 Blickwechsel30

„In was für einer Gesellschaft, Umgebung, ja in was für einer Welt möchte ich eigentlich leben? Wie kann ich es selber schaffen, daran mitzuwirken? Was

ist meine Aufgabe? Wer möchte ich sein? Wie kann ich mich in meine Umwelt einbringen?” – Im Rahmen eines Projektes im Sozial-kunde-Unterricht mit dem Titel „Alte und neue Lebensformen“ haben wir in einer kleinen Gruppe zwei ei-

nander extrem entgegengesetzte Lebensformen untersucht, die „Spontaneität“ und das „System“. Welche von beiden Formen entspricht eher meinen Bedürfnissen und vermag eine befriedigende Antwort auf die oben gestellten Fragen zu geben? Oder anders gefragt: Möch-te ich lieber in einer spon-tanen oder in einer systematisierten (organisierten) Form le-ben? Oder kann man vielleicht sogar eine lebensfähige Syn-these aus beiden schaffen? Um diese Fragen zu klären, müssen zuerst jedoch diese bei-den Extrema klar definiert werden. In der Spontaneität ist jeder auf sich gestellt und nur für sich selbst verantwortlich. Die meisten Handlungen entstehen aus einem spontanen Impuls oder Instinkt heraus. Die ge-dankliche Durchdringung folgt, wenn überhaupt, erst nach der Tat. Die Konsequenz wird meistens im Un-terbewusst-sein gespeichert und spielt bei der nächsten „Entscheidung“ von dort mit hinein. Im Extremfall gibt es nichts, worauf man sich verlassen könnte; jede Handlung folgt aus dem Mo-ment heraus. Dadurch könnten vielleicht schneller neue Gedanken und Einfälle entstehen, an der Umsetzung müsste es aber scheitern, da dazu ein Vorausdenken notwendig wäre. Das könnte man auf das zwischenmenschliche Leben übertra-gen und daraus folgern, dass es dem Menschen leichter fällt, aus einem spontanen Impuls heraus neue Bekanntschaften zu knüpfen, aber dass es zu einer tieferen Freundschaft kaum kommen kann, da dazu die Spontaneität nicht ausreicht: In einer Krise zu einem Menschen zu stehen fordert einem weit mehr Kraft ab, als die, die man „spontan“ zur Verfügung hät-te. Ein System (oder eine systematische Lebensform) bedeutet, dass alles bis zum kleinsten Einzelfall durchgeplant ist und nichts dem Zufall überlassen wird. Das heißt, der Mensch hat als Glied in dem System zu funktionieren. Er darf nicht ausscheren, da er sonst die Ordnung zerstören wür-de. Das System gibt dafür Sicherheit und Halt. Man kann darauf ver-trauen, dass es selbst in „Zei-ten der Not“ jemanden oder etwas gibt, der oder das einem hilft. Ein klassisches Beispiel dafür wäre die Justiz, die versucht Menschen, die der Gesell-schaft gefährlich sind bzw. sein könnten, aus dieser zu „ent-fernen“. Die Systemform ist jedoch eigentlich, in ihrer ex-tremsten, absoluten Form, keine „Lebensform“ mehr. Denn macht nicht erst die Unberechenbarkeit den Unterschied der Menschen von einer Maschine aus?

Für den Einzelnen ist es wahrscheinlich einfacher, sich in eine spontane Lebensform einzuglie-dern. Doch ich denke, dass man auf Dauer eine Art System braucht. Da in der Sponta-neität gar nichts geregelt ist, kann man auch auf nichts ver-trauen. Das würde bedeuten, dass Freundschaften oder ande-re menschlichen Kontakte so gut wie unmöglich sind. Hier braucht man ein gewisses Vertrauen und Sicherheit. Auf der

anderen Seite glau-be ich nicht, dass es den einzelnen Men-schen ohne die an-deren Menschen

geben würde. So schafft es der Mensch zum Beispiel nicht alleine und unabhängig von anderen zu überleben. Er kann auf Dauer nicht alleine seine Grund-bedürfnisse wie Hun-ger, Durst, Schlaf (ohne in der Angst leben zu müssen, jeden Moment über-fallen werden zu können), Wärmebedürfnis usw. befriedigen. Doch der Mensch ist weit mehr als eine Maschine, die ihren Treibstoff braucht. Der Mensch braucht vor allem andere Menschen um sich, die er gern hat, mit de-nen er sich streitet, die er liebt und von denen er geliebt wird, kurz, er braucht ein Wesen um sich, welches ihm gleicht und mit dem ein Austausch, eine Begegnung und eine Bewegung stattfinden kann. Das kann natürlich nicht in vorgefertigter, ausschließlich repro-duzierender Art innerhalb eines Systems geschehen, aber es kann auch nicht vollkommen außer-halb dessen in der totalen Spontaneität passieren.Die Frage, ob beide Formen eine Synthese bilden können, bleibt demnach offen. Eine Art der Synthese könnte jedoch vielleicht in einem Sy-stem bestehen, in dem ein gewisser Freiraum für die Sponta-neität bleibt. Das System sollte nur die Bereiche des Lebens abdecken, die alle gleichermaßen betreffen. Dieses System kann sich entweder aus einer lebenden Form entwickeln oder es muss von allen Beteiligten in gleichen Anteilen gestaltet werden. Schwierig wird es, wenn jemand für andere ein Sy-stem kreiert, in welches er selber nicht involviert ist. Ich selbst möchte gerne in einem System leben, von dem ich weiß, dass mir im Notfall geholfen wird; aber nicht in einem System, in dem versucht wird, mein (Privat)leben zu bestimmen.

Lebensformen - Spontaneität im System

TEXT: Lena S

ternberg -

sternberg.lena@gm

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Über den Zusammenhang von Identität und Nationalität

Zwischen den Welten

Al s ich vom Titelthema der Zeitung und der Möglichkeit, etwas darüber schreiben zu

können erfuhr, zögerte ich nicht, sondern erklär-te mich sofort dazu bereit. Mich beschäftigt das Thema der Identität schon lange und intensiv.Dies ist zum einen von meinen Wurzeln herzu-leiten - ich bin halb Inder, halb Deutscher - und zum anderen von denen daraus resultierenden Konflikten die ich in meinem Leben bereits er-lebt habe.Für mich stellte sich die Frage nach der Identität erst ab einem gewissen Alter, in der Pubertät. Bis dahin war ich eigentlich unbefangen, was meine Meinung gegenüber meiner Identifikation mit meiner Herkunft anging. Ich bin natürlich schon immer halb Inder und halb Deutscher gewesen, hatte dies allerdings nie so wirklich präsent und als einen Unterschied zwischen mir und meinen Mitmenschen, beispielsweise meinen Mitschü-lern, empfunden. Erst durch die – mir kam es zumindest so vor – mit der Zeit immer häu-figer auftretende Frage „woher kommst Du ei-gentlich?“, entwickelte sich in mir ein Gefühl, der „Nichtdazugehörigkeit“, welches sich dann konkret darin äußerte, dass ich mich nicht als Deutscher fühlte. Als ich dann auch noch in Konflikt mit Neonazis geriet, die mich ob mei-ner indischen Herkunft rüde beschimpften, war mein Gefühl der deutsche Herkunft wie „weg-geblasen“.Dies fiel mir das erste Mal bei der WM 2006 in Deutschland auf, bei welcher ich zwar mit der deutschen Mannschaft mitfieberte, es sich allerdings in mir sträubte, wenn es darum ging, sich mit Deutschland nach außen hin – sei es beispielsweise durch einen Fanschal - zu iden-tifizieren.An dieser Stelle wurde mir klar, dass die Iden-tität keine feste Eigenschaft eines jeden Men-schen ist, sondern sie stark durch äußere Ein-flüsse manipulierbar ist. Dazu muss man sagen,

dass es verschieden Arten der Identität gibt. Zum einen gibt es die Art, die durch die Identifikation mit der eigenen Herkunft oder Heimat gebildet wird und zum anderen gibt es die Art, bei der man sich über ein anderen Bereich des Lebens, aus einem freien Entschluss heraus, sagen wir mal die Identifikation mit einer Fußballmann-schaft, seine eigene, innere „Festigkeit“ der Per-sönlichkeit erschafft. Diese zweite Möglichkeit der Identifikation, die ich versucht habe, durch das Beispiel mit einer Fußballmannschaft zu ver-deutlichen, stellt sich meinem Empfinden nach bei genauerer Betrachtung als eine künstliche dar. Sie entsteht erst durch äußere Eindrücke und nicht durch ein schon vorher im Inneren des Menschen verankertes Gefühl, wie es dass vielleicht bei der Identifikation mit der eigenen Herkunft der Fall ist.Aber kommen wir erneut zu meiner Geschichte zurück. Ich war soweit gekommen, dass ich ge-merkt habe, dass ich mich mit meiner einen Hei-mat Deutschland, in welcher ich lebe und aufge-wachsen bin und dessen Staatsangehörigkeit ich besitze, mich wegen verschiedener Vorkommnisse nicht identifizieren kann. Aber wenn ich mich frage, ob ich mich wirklich zu 100% mit Indien identifizieren kann, so muss ich auch hier feststel-len, dass dies nicht der Fall ist. Obwohl ich mich stärker als Inder fühle denn als Deutscher. Die Tatsache, dass ich mich nicht hundertprozentig mit einer meiner Heimaten identifizieren kann, lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Ich bin stän-dig auf der Suche nach meiner wahren Heimat bei der ich mich wie „zuhause“ fühle. Auch wenn ich dieses Gefühl zumindest zum Teil in Indien erlebe, so ist es auch dort, beispielsweise wegen der Sprachbarriere (ich kann kaum Hindi spre-chen), nur ein eingeschränktes Gefühl.Ich denke durch meine eigenen Erfahrungen für mich sagen zu können, dass die Identifikation mit der eigenen Heimat sehr wichtig ist, da es einem eine gewisse Art von Geborgenheit und Rückhalt, eine Identität, geben kann. Oft merke ich, dass ich versuche, das Fehlen dieser Identität zu ignorieren und zu verdrängen. Es scheint für mich persönlich jedoch ein unersetzbares Gefühl, welches ich bis jetzt jedoch noch nicht gefunden habe.

TEXT : Anuj Agarwala - [email protected]: Kim-Fabian von Dall`Armi

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Sind wir nicht alle ein bisschen Schizophren?

Beide beschäftigt etwas, dem niemand entkommen kann. Goethe lässt den Faust sagen „zwei Seelen wohnen,

ach! in meiner Brust“, Fettes Brot singt „Engel links, Teufel rechts“ Und doch meinen beide dasselbe. Wer kennt es nicht, man steht vor einer Entscheidung, manchmal einer ziemlich gewichtigen, und ist hin- und her gerissen. Eine Stimme in Dir sagt du sollst der Lust, dem Vergnü-gen folgen, die andere hält dagegen und macht Dich auf den entgegengesetzten Weg, den des Strebens „zu den Gefilden hoher Ahnen“ (Faust I, Vers 1116) aufmerksam. Doch lässt sich das Wesen eines Menschen überhaupt auf zwei entgegengesetzte Seiten reduzieren. Macht man es sich damit nicht zu einfach? Dieser Frage geht auch Hermann Hesse in seinem Roman „Steppenwolf“ nach und schreibt: „Die Brust, der Leib ist eben immer eines, der darin woh-nenden Seele aber sind nicht zwei, oder fünf, sondern un-zählige; der Mensch ist eine aus hundert Schalen bestehende Zwiebel, ein aus vielen Fäden bestehendes Gewebe.“ (S.129, Z.7ff). Ein interessanter Gedanke, der untrennbar mit der Frage nach dem eigenen Ich verbunden ist.

Oder: Goethe meets Fettes Brot

Die bunte Qualle gegen den Strom

Oder: Von Stummfilmschauenden und Paradies-vogelgeschmäckern

TEXT: Lukas Stolz - [email protected]

Als ich mich mit dem Begriff „Identität“ auseinan-dersetzte, kroch in mir das Gefühl empor, dass man mich in einem einsamen Boot mitten auf dem Ozean

abgesetzt hätte- völlig hilflos fühlte ich mich verloren in der Fülle von unklaren Gedanken, umhüllt von Nebelschwa-den- ja nahezu Blindheit, da der Meeresteppich voll blauer Smaragde unendlich zu sein schien. Zunächst überkam mich die zentrale und wohl schwierigste Frage in unserem Leben: „Wer bin ich?“, welche mehr als Namen, Herkunft, Beruf oder Interessenfelder umfasst, und davon ableitend der Ge-danke: „Wie unterscheide ich mich von anderen Menschen“- und ZACK- da schüttelte schon ein zweiter mit „I“-begin-nender Begriff der Identität die Flosse, es war der Fisch mit Namen „Individualität“.

Meines Erachtens gibt es vier Ebenen der Individualität des Menschen: zuallererst den allgemeinen Individualismus, den man keinem Menschen streitig machen kann, da kein Wesen in all seinen Merkmalen einem anderen gleichen wird, an zweiter Stelle den persönlichen Individualismus, wobei wir den Kontrast von Geschmäckern und Auffassungen von einer Person gegenüber einer anderen betrachten, drittens den sich in Kleingruppen widerspiegelnden Individualis-mus, der sich auf den persönlichen stützt, wobei man sich mit Artgenossen zusammenschließt und bei dem man auch von Alternativität redet, gegenüber der vierten Stufe: der Masse, in welcher sich die am häufigsten vertretenen Mei-nungen und Auffassungen in Kontrast zum Einzelnen, An-dersdenkenden, wähnen.

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Was aber bedeutet unser Leben überhaupt, nicht im Allge-meinen, sondern das eigene, Deine oder Meine? Woran misst der Mensch, dass er sich von jedem anderen Artgenossen dif-ferenziert, auch wenn alle einer Spezies angehören? Ein natür-licher Instinkt scheint uns zu vermitteln, dass jeder Mensch einzigartig ist, physisch als auch mental. Dabei sprechen wir von der allgemeinen Individualität. Es ist selbstverständ-lich, dass Menschen nicht völlig gleich sein können. Trotz-dem stellt man gewiss große Ähnlichkeiten zu sogenannten „Seelenverwandten“ fest, die einem glauben machen, man hätte nahezu dieselbe Identität.

Doch auch, wenn der obige Fall eintritt, fühlen wir uns als absolutes Individuum gegenüber dem Rest der Menschheit, von der manche im gleichen Zuge allzu oft auch von der „großen Grauen Masse“ sprechen. Worin unterscheidet sich das Individuum aber von diesem Mainstreamknäuel, bildlich dem Algenteppich der Gesell-schaft? Ich schaue von meinem Boot aus tief ins Meer und sehe solch ein Wesen, dass sich in einer Denkblase von dem Rest der Meeresbewohner isoliert hat, und sich in seiner Ar-roganz gegebenenfalls sogar über jene Masse stellt, über sie hinwegschwimmt. Vielleicht hat es aber tatsächlich völlig andere Ansichten und Interessen, als der große Strom gegen den die einsame bunte Qualle, zu schwimmen scheint. An dieser Stelle gehen wir vom persönlichen Individualismus aus. Selten findet der Individuelle einen „Artgenossen“. Doch verbinden sich Tentakelarme weiterer Quallen mit ihm, fühlt er die Besonderheit dieser kleinen individuellen Gruppe, die sich von der Masse, dem Strom, abhebt und vielleicht sogar dagegen agiert.

Kaum zu glauben, aber desto mehr Gemeinsamkeiten sich finden lassen, umso stärker ist auch das Gefühl der Freund-schaft, was dem Individualdenken eigentlich entgegensteht. Prof. Dr. Yves Bizuel von der Universität Rostock ist der Auf-

fassung, dass der weitverbreitete Spruch „Ge-gensätze ziehen sich an“ weder wissenschaft-lich noch aus eigener Erfahrung nachgewiesen werden kann: „Menschen, die zueinander finden und in Freund- oder Partnerschaft leben, kennzeichnen sich gerade durch ihre Gemeinsamkeiten, statt Unterschiede.“ Das würde bedeuten, dass wir unsere Indi-vidualität durch zwischenmenschliche Be-ziehungen mit den Personen, die uns nahe stehen, zu teilen versuchten.

Soweit zur Eingangsthese. Wenn ich mich nun dem Begriff des mir zuerst im Boot be-gegneten Fisches annehmen will, nämlich der „Identität“, so probiere ich klar zu differen-zieren, was diese umfasst. Meines Erachtens spiegelt sich die Identität einer einzelnen Per-

son in vier Stufen des Seins wieder, die in Wechselwirkung zueinander stehen: das Erscheinungsbild, die Interessen, weitergefasst die eigene Lebensphilosophie und das aus ihr resultierende Handeln.

„Auf den ersten Blick“ ist es zunächst das Aussehen, bzw. Erscheinungsbild, an dem wir Menschen charakterisieren und häufig im Schnellprozess des „Schubladendenkens“ ei-ner Sorte, möglicherweise auch der „grauen Masse“ zuord-nen. Scheint die Person nun äußerlich einen „bleibenden Eindruck“ hinterlassen zu haben, tauscht man sich schnellst-möglich über gemeinsame Interessen und Hobbies aus, was als zweite Stufe der Identität festgemacht werden kann. Es scheint doch schon ein enormer Unterschied zu sein, ob sich jemand in seiner Freizeit mit Fußball beschäftigt und am liebsten Hollywood-Action-Filme in den großen Cine-palästen sieht oder leidenschaftlich Klavier sowie Posaune spielt eher Vorführungen europäischer Kleinproduktionen in Filmclubs besucht.Bleiben wir beim Kinogeschmack- wenn auch etwas klischee-beladen wäre die Gegenüberstellung von der Sorte Mensch, welche sich gerne im Kino die neusten US-Movies, z.B. „Born to die 4“ anschaut in Kontrast zum „tiefgründigen Genießer“ kleinerer Filme, wie „Erbsen auf halb 6, ein gutes Beispiel, um das Individuum-Masse-Denken zu verdeutlichen. Der Kleinfilmgucker würde sich eher dem individuellen Wesen zuordnen und den anderen Menschen vielleicht als „Hol-lywoodmedienmassen-produktionenliebhaber“ titulieren. Schaut man sich die Besucherzahlen an, wird aber deutlich,

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dass der nun womöglich arrogant Wirkende „Individuelle“ in der Realität nicht fern liegt, solche Vermutungen aufzu-stellen. Denn durch die Untersuchung von Angebot und Nachfrage in der Wirtschaft zeigt sich sehr wohl, welche Ge-schmäcker sich zu einem Mainstream entwickeln und somit der großen Masse zuzuordnen sind. Demgegenüber finden sich paradiesvogelähnliche Geschmäcker, die sich vom allge-meinen Gôute abheben und so nicht selten auffallen. Wir sprachen als Beispiel den Kinogeschmack an. Nehme man weitere Interessenfelder und Merkmale, wie Musik, die politische Auffassung, den Beruf oder Reisevorstellungen, bis hin zu Lebensträumen (wo wir schon bei Stufe drei: der Le-bensauffassung sind) zeigt sich, dass eine Person umso indi-

vidueller ist, je unterschiedlicher der Geschmack sich zu dem der meisten anderen zeigt. Die „alternativen, andersdenkenden“ Menschen glaubten lang, es wäre etwas sehr Besonderes, jemanden zu finden, mit dem man Lebensansichten teilt. Früher lernte man auch

nicht so viele Menschen kennen, um dann so positiv verwun-dert über die Gemeinsamkeiten zu sein à la: „Was du kennst die Band ’Two Gallants’? Ich dachte die wären in Deutsch-land niemandem ein Begriff.“ Doch im Zeitalter der Globalisierung, in der die Kommu-nikationsmöglichkeiten in ihrer Anzahl nahezu explodieren, trifft man unter anderem in verschiedenen Internetcommu-nities wie Myspace oder Studi-VZ immer häufiger Menschen, mit dem „besonderen“ Geschmack. Es genügt schon das Be-trachten der geschaffenen Profile, um zu begreifen, dass es den persönlichen Individualismus in Stufe 2- Geschmäcker/ Interessen gar nicht mehr gibt. Man findet sich in einer Gruppe gleicher kultureller Geschmäcker (Literatur, Film, Musik) wieder, zu der man sich gerne zählt, obwohl man nach außen doch auf den eigenen Individualismus gegenüber der „Masse“ beharrt, ohne zu merken, dass man sich selbst nun in solch einer Masse befindet- der Kleingruppenindi-vidualismus. Gleichzeitig dienen solche Profile auch noch großen Wirt-schaftsunternehmen, um Marktforschung zu betreiben und herauszufiltern, in welchen Bereichen Produktionen gestei-gert werden müssen, um den Geschmacksnerv der Großen Masse, bzw. in diesem Falle, der Kleinengruppenindividua-listen zu treffen. Eine Frage, die sich mir an diesem Punkt stellt: Bedeutet Globalisierung Hemmung von Individualismus und Gleich-schaltung menschlicher Auffassungen? Muss man zukünftig damit rechnen, dass bei Verschiebung der Kulturkreise, den kleiner werdenden Entfernungen auf der Welt und im glei-chen Zuge der vereinfachten und schnelleren Kommunika-tion alle Menschen vom Geiste und der Auffassung her sich immer ähnlicher werden? Mikrokosmisch in den Geschmä-ckern der kleinen Gruppen, wie auch makrokosmisch im Be-gehren der Masse?

Die zentrale Frage dieses Textes ist aber, was unsere persön-liche „Individualität“ gegenüber jedem anderen Menschen kennzeichnet; uns zu dem Wesen macht, welches wir gegen-

Individualität hängt also davon ab, in wie vielen Merkmalen man sich von anderen Menschen unterscheidet.

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wärtig sind. Der Mensch als Person ist nach Arthur Scho-penhauer lediglich eine unbeständige, rasch vergängliche Kombination von Faktoren, die sich in jedem Moment ihres Daseins wandelt. Nach dieser deterministischen Weltan-schauung gäbe es also gar kein beständiges und eigenständig existierendes Selbst, das sich im Wechsel der Erscheinungen durchhält und von anderen unterscheidet. Alles ist in Wech-selwirkung und steht mit allem in Verbindung; deshalb ist alles Ursache für bestimmte Wirkungen, die wiederum zur Ursache aller Erscheinungen werden. Diese Ursache-Wirkungs-Kette erscheint mir mehr als lo-gisch, denn alles, was in unserem Leben geschah, macht uns zu dem Menschen, der wir in diesem Moment sind. Unser Geschmack ist geprägt durch unser Umfeld, insbesondere die Familie- wobei es zwei Beeinflussungswege gibt, die ich auf triviale Weise darzustellen versuche: den positiv übertrag-baren Weg: z.B. mögen die Eltern klassische Musik, schicken das Kind frühzeitig zum Klavierunterricht, wodurch es in diese Richtung geprägt wurde, oder als gegenteiliges Kli-scheebeispiel: die Eltern hören Schlager- und Volksmusik, was das Kind nicht erträgt- über Freunde bricht es aus, und wird letztlich die Punkmusik bevorzugen. Im multikausalen schwer nachvollziehbaren Kontext beweist dieses Ursache-Wirkungsgefüge, dass jeder Mensch auch geistig individuell sein muss, da keiner durch alle Faktoren, die auf ihn ein-wirkten, gleich geprägt worden sein kann. Diese Gedanken gipfeln in der Frage, ob wir dann überhaupt von einem freien Geist reden können, wenn jedes Glied in der Kette des Ent-stehens alle anderen enthält und deshalb alle Möglichkeit in

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in sich trägt?

Der Meeresboden, also das Fundament, zur Antwort auf diese Frage stellt hierbei die vierte Stufe der Individualität einer Person dar: erst durch unser Handeln, resultierend aus unserer Lebensauffassung, die unabstreitbar durch Ursachen aus der Vergangenheit ihre Wirkung erfuhr, heben wir uns in dem komplexen Konstrukt des Charakters von „den An-deren“ ab und werden zu dem persönlichen Individuum, als welches wir von jedem anerkannt werden möchten.

Es sind einige Stunden in Einsamkeit auf dem Meer ver-gangen, doch wie durch ein Wunder kann ich, wenn auch nur verschwommen, so etwas wie Formen am Horizont se-hen. Ob es Land sein könnte? Ein bisschen weiter habe ich mich tatsächlich an das Thema der Identität herangepaddelt und kann resümierend feststellen, dass sich die Individua-lität und in gleichem Zuge die Identität womöglich darin kennzeichnen, inwieweit man sich durch seine Interessen, weitergefasst die eigene Lebensfacon und dem daraus resul-tierenden Handeln von anderen Menschen unterscheidet. Darüber hinaus wird der konfliktgeladene Gegensatz der Problematik Masse-Individuum wohl immer fortbestehen… so zog der Regenbogenfisch am Sardinienschwarm vorüber, auf der Suche nach dem neueröffneten Seetangkino.

TEXT & FOTOS: Jamila Al-Yousef [email protected]

Leichte Lektüre

01 | 2008 Blickwechsel36

TEXT: Anja R

iesterer // GRAFIK: Philip W

ilson -

layout@blickwechsel-ham

burg.de

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DU GEHST MIR NICHT MEHR AUS DEM SINNMICH ZIEHT ALLES ZU DIR HIN

WEIL ICH VON DIR VERZAUBERT BINDU BIST ´NE WADORFLEHRERIN ...

ICH WAR DIR ZUFÄLLIG BEGEGEGNETDENN ES HATTE SCHWER GEREGNET

ICH BETRAT – ES WURD NE WANDLUNG - DIE ANTROPOSOPHEN-BÜCHERHANDLUNG

ICH VERLOR FAST DIE KONTROLLESAH DICH IM KLEID AUS WALLE-WOLLE

DAS WAR SO FLIEDER-VIOLETTICH WOLLTE GLEICH MIR DIR INS BETT

DICH UMSPIELTE SANFT DEIN TUCHDU BLÄTTERTEST IN EINEM BUCH„ELLERSIEK, BERÜHRUNGSSPIELE“

BERÜHRUNGSSPIELE WOLLT ICH VIELE

ICH HABE DANN SEHR VEGETARISCHMIT DIR GEGESSEN, EXEMPLARISCH

ERKLÄRTEST DU MIR PFLICHT UND SINNEINER WALDORFLEHRERIN

ICH ERSPÜRTE PLÖTZLICH GRENZENMEINER SOZIALEN KOMPETENZEN

MEINE WELT WAR IMMER PHYSISCHUND BISWEILEN SOGAR ZYNISCH

DU OFFENBARTEST NEUE WELTENIN DENEN AND´RE REGELN GELTENDAS WAS FÜR DICH ALLEINE ZÄHLT

BESCHREIBST DU ALS „GEISTIGE WELT“

ICH WAR VON DEM TOTAL VERWIRRTGLECIHZEITIG WAR ICH FASZINIERT

ICH HAB DAS ALLES NICHT VERSTANDENDOCH ICH WOLLTE BEI DIR LANDEN

ANTHROS HABEN KEINE NORMENABER WEIBLICH RUNDE FORMENDÜRFEN NUR ANTROPOSOPHEN

MIT DIR IN EINEM BETTE POOFEN?

DU UNTERRICHTETEST SEIT WOCHENHANDARBEITEN IN EPOCHEN

SAGTEST, ERKENNTNIS WIRD GEMACHTAM BESTEN GEISTIG ÜBER NACHT

ICH HABE DIR NICHT WIEDERSPROCHENDENN ICH WARTETE SCHON WOCHENAUF DEINEN SINN UND SINNLICHKEIT

ICH WAR EPOCHAL BEREIT

DU BEWEGTEST DICH ÄGYPTISCHUND SAGTEST MIR: DAS SEI EURYTHMISCH

DU TANZTEST MIR: ICH LIEBE DICHALLEINE, ICH VERSTAND DICH NICHT

GEISTIG BIN ICH NUR EIN KLEINERGEGEN DEINEN RUDOLF STEINER

NIMM MICH TROTZDEM, WIE ICH BINNIMM MICH, WALDORFLEHRERIN!

BERND GIESEKING

O, W

ALD

ORF

LEH

RERI

N

Küchen sind toll! Die Küche ist das Zentrum von jedem Haus oder jeder Wohnung. Wo geht man morgens als erstes hin, wenn man

aufwacht und einen Kaffee braucht? In die Küche. Wo geht man mitten in der Nacht hin, wenn man nicht einschlafen kann? In die Küche. Wo erfährt man am meisten über das Haus oder die Wohnung und seine oder ihre Bewohner? In der Küche. Wo kann man sich am Besten unterhalten und dabei Gemüse schnibbeln? In der Küche. Wo geht man

als erstes hin, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt? In die Küche.Was genau macht die Küche denn aus und was macht sie so toll? Es gibt Essen (…) Aber in der Küche gibt es so viel mehr. Die meisten ernsten Gespräche mit meiner Familie, die meisten Treffen derselben finden in der Küche statt. Eine Küche ist überlebenswichtig. Was macht ein Büro so büroig? Es hat keine Küche. Eine Küche braucht ein paar feste Bestandteile:Einen Kühlschrank & Kühltruhe, eine Theke, Schränke, eine Spüle, einen Herd (mindestens zwei Platten) und ein Regal. Diese Dinge sind unerlässlich für jede anständige Küche.Und dann gibt es da die gewissen Extras. Für jeden etwas an-deres: Für mich ist es die Möglichkeit Kaffee zu kochen...Für andere der geerbte Fleischklopfer, mit dem schon Oma ihre Rouladen weichgeklopft hat. Die heiß geliebten Topflappen, die man in der 5. Klasse selbst gehäkelt hat.Diese kleinen Extras machen eine Küche zu einem kleinen besinnlichen Ort für sich selbst, an dem, wann immer man hinkommt, die Welt in Ordnung ist. Und wenn dann mal wieder alles schief gelaufen ist, kann man sich dorthin zu-rückziehen und aus seiner Lieblingstasse eine heiße Milch mit Honig à la Mama trinken (besonders schön in solchen Momenten ist eine Küche mit Blick auf die Straße, dann kann man sich auf die Fensterbank knautschen und die Leu-te beobachten, die bestimmt auch über irgendetwas nach-grübeln). Wenn man etwas längere Zeit an demselben Ort gewohnt hat, bekommt die Küche immer mehr mit. Wie war das noch, als du neulich versucht hast, Karamell zu machen? Hinterher hat alles geklebt, und den Topf konntest du auch wegschmei-ßen, aber irgendwie war es ja schon lustig, oder?

...Küchen

von

weg

en...

01 | 2008 Blickwechsel38

Alchemisten haben in ihren Küchen den Stein der Weisen entdeckt. Und der merkwürdige Mann im Nachbarhaus – seit Monaten schon versuche ich aufzudecken, was er im-mer in seine Töpfe schüttet. Es sieht irgendwie merkwürdig aus...Eine Küche ist wichtig für jeden Haushalt. Wo sonst könnte man eine hoffnungslose Sauerei anrichten bei dem Versuch, einen Braten zu machen? Aber was bedeutet denn eine Küche? Bedeutet sie Familie? Zusammenhalt? Ruhe? Oder doch nur Essen? Küchen (...) Aber wenn man mal darüber nachdenkt (gerade in der dunklen Zeit), was fällt einem dann dazu ein? Ma-mas Predigten, die Spüle sauber zu halten? Der Teig namens Hermann, der sich eines Tages selbständig machte und mit einem dezenten „Plop“ an die Decke wanderte? Der span-nende Krimi, den man heimlich, mitten in der Nacht, in der Küche las, um endlich dahinter zu kommen, wer denn nun der Mörder war (wäre Papa doch bloß nicht um halb zwei hereingekommen...).Also kurz und knapp:Küchen sind wichtig. Küchen sind toll! TEXT: Isabella Bopp - [email protected]

Niemand weiß es, und jede Zahl ist an-

fechtbar. Der Recht-schreibduden von 2004 enthält 125 000 Stichwörter; das zehn-

bändige Große Wörterbuch des Dudenverlags mehr als 300 000; das 32-bändige Grimm´sche Wörterbuch 1,1 Millionen – darunter freilich neben abmurzeln auch den Bohnenkönig, den Unterküchenmeister und den Duzbrüdericht.Aber ist das „deutscher“ Wortschatz: Cloisonné (der Zellen-schmelz in der Emailmalerei), Psoriasis (die Schuppenfelch-te), Pteranodon (der Flugsaurier), Semipermeabilität (die Eigenschaft, semipermeabel zu sein – noch ein Wort, „halb durchlässig“ bedeutet es)?Und ist das deutscher „Wortschatz“: der Erbschleicher/die Erbschleicherin, der Erbsenzähler/die Erbsenzählerin, der Singspieldichter/ die Singspieldichterin (alles aus dem 10 bändigen Duden), dazu der Darmstädter/die Darmstädterin, nicht aber der Wuppertaler/ die Wuppertalerin – Willkür also noch in der Aufblähung des Wortschatzes durch Tau-sende weiblicher Formen. Der ohnehin nicht mehr sehr ge-

läufige Südfrüchtehändler wiederum wird korrekt durch den Eintrag „Südfrüchtehändlerin“ ergänzt.Und soll man eigentlich Wörter zählen oder Wortbedeutungen? Die eine Vokabel aufheben erfüllt fünf Funktionen ohne die geringste Beziehung zueinander. Wer da 1 zählt, hat Recht; wer 5, auch. Noch ärger: Blume, Strauß und Blumenstrauß – sind das 2 Wörter oder 3? Und wenn wir den Strauß mit 100 Blumenarten kombinieren – sind wir dann auf 1001 Wörter oder auf 200 Wörter gekommen? Ein ähnliches Zähl-problem stellen die Ableitungen: Dilettant, dilettantenhaft, Dilettantentum, Dilettantin, dilettantisch, Dilettanitismus, dilettieren – 7 Wörter oder 6 Ableitungen von einem? Und gar erst die 8 Dudeneinträge Ding, Dingelchen, Dingerchen, Dingerich, Dings, Dingsbums, Dingsda, Dingskirchen! Die Abstraktifizierung und die Ausfindigmachung möchte man am liebsten granicht erst zählen.Für die 23. Auflage des Rechtschreibdudens (2004) warb die Redaktion mit der Behauptung, sie habe 5000 neue Wörter aufgenommen, 111 davon wurden veröffentlicht, zum Bei-spiel Alcopop, Ausbildungsplatzabgabe, Billigflieger, Homo-Ehe, ich-AG, Riester-Rente, Schuldenfalle.Problem 1: Dies sind neue Wortzusammensetzungen; ob sie neue Wörter zu heißen verdienen, darüber kann man strei-ten.Problem 2: Über die anderen 4489 Neuzugänge hat die Du-den-Redaktion keine Liste publiziert. Nach einer Recherche der Weltwoche handelt es sich größtenteils um Wörter, die aus dem zehnbändigen Duden in den einbändigen Rechtschreib-duden übernommen worden sind.Mit Vorsicht sind also auch alle Zählungen und Schätzungen über den Wortschatz bestimmter Menschen und Menschen-gruppen zu betrachten. Für Shakespeare, Goethe, Churchill werden Zahlen bis 20 000 genannt, für Luther 8000. Als Durchschnitt gelten 2000 Wörter, auf einer Party sollen al-lenfalls 1000 zu hören sein, Landarbeitern werden 500 Wör-ter zugebilligt.Zählen lässt sich im Übrigen allenfalls der aktive Wortschatz (die Wörter, die einer verwendet, und zwar schriftlich). Der passive (die Wörter die einer versteht) ist bei jedem Menschen erheblich größer.Zählung hin oder her: Der deutsche Wortschatz, aktiv wie passiv, scheint parallel mit der wachsenden Leseverweigerung zu schrumpfen.Wie viele Wörter beherrschte der Urmensch? „Alle, die er zur Beleidigung seiner Feinde, Belehrung der Gattin sowie auf der Jagd und im Spiel benötigte. Es waren 48. “ (Loriot)

Wie viele Wörter hat das Deutsche?

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lück so nah und doch so fern

TEXT & ID

EE: Inda & Schm

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08 by Anuj Agarwala, D

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echsel-hamburg.de

01 | 2008 Blickwechsel40

Ich saß auf dem grauen Steinen

mitten in einer mir unbekannten Stadt und weinte. Gestern noch war er bei mir, doch heut, ja heu-te schon bin ich allein.Meine Gedanken schwebten hoch über dem glänzenden Meer. Es schien mir, als wäre die Zeit stehen geblieben, wie wir dort la-gen unter den Sternen, der Nacht. Alles um uns herum war so still, als wäre plötzlich Friede auf Erden, als gäbe es keine Kriege mehr, weder Mann noch Mensch, der sich da bekämpfen wollte, nebeneinanderher ins Feld zu zie-hen um ein Dutzend Leben erlöschen zu las-sen. Es erinnerte an den Glauben der Menschen, die den Weg zur Wahrheit gefunden hatten. Es erinnerte daran, nicht in die Spuren der anderen treten zu müssen, um selber einen neuen Weg zu gehen und weiteres Leben zu finden. Wie wir so lagen, dort Arm in Arm, versunken in Gedan-ken, in Träumen zum Le-ben und über die Freiheit redeten, stand ich auf, um meine Füße das kalte Was-ser spüren zu lassen, doch setzte mich nicht weit entfernt von ihm dort unten auf einen großen Stein. Tränen liefen mir über die Wangen, ich weinte. Ich hatte Träume, wollte weg von

hier, weit weg wo

sich Probleme in Luft auflösen und Gedanken

an schmerzende Zeiten nicht vorhanden sind. In ein

Land voller Liebe, Zukunft und Träume. Ich wollte ein Vogel sein,

und über die immer kleiner werdende Landschaft gleiten, einfach so, ohne große Anstrengung oder sonderbaren Aufwand. Einfach wie ein Vogel, ein schnee-weißer Vogel, der durch die dunkle Nacht gleitet immer fort auf den Mond hinzu. Ich starrte auf meine Hände: Sie

sind klein und unglaub-lich schön, mein dunkles Haar glänzte im Schein des Mondes und ließ

meinen klaren Augen leuchten, auch wenn sie mit Tränen bedeckt waren. Sie schimmerten wie ein Fels, dessen Spitze vom Mond angestrahlt ward. Ich saß ganz still und rührte

Ein Kind steht unter dem Himmel / Tränen laufen ihm über die Wangen /

Es hat seine Hände zum Himmel emporge-streckt / Und es beginnt zu singen

Seine Stimme ist so wunderbar klar / Und seine Lieder so voller Hoffnung / Eine Sehnsucht breitet sich aus auf

seinem Gesicht.

Es kniet sich nieder / Noch immer hat es seine Hände zum Himmel emporgestreckt / Doch der Blick senkt sich

wieder

Das Kind richtet sich auf / Langsam verstummen auch die alten Lieder / Es senkt die Arme / Und

verschwindet in der Finsternis wieder.

Charlotte Heller

LyrikDORT

Traum einer anderen Welt

mich nicht. Schon lange saß ich nun hier ganz al-lein unter dem Mond und den leuchtenden Ster-nen, der Nacht. Und endlich spürte ich die Müdig-keit die sich langsam in mir ausgebreitet hatte. Ich erhob mich. Ohne Schuhe lief ich durch den von der Sonne warmgehaltenen Sand und spürte jeden einzelnen Stein. Ich ging sehr langsam, um dieses unglaubliche Gefühl nicht zu verlieren. Ich ging di-rekt auf das Meer zu um meine Füße das kalte Was-ser spüren zu lassen. Ich ließ es an mich heran, die kleinen Wellen überspülten meine Füße, als wäre es so selbstverständlich. Es tat mir gut, doch ich lief weiter, um auch dieses Gefühl hinter mir zu lassen

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und auf ein Neues zu warten. Ich hörte Musik und begann zu tanzen. Langsam und mal schnell liefen meine Füße durch den warmen Sand, meine Gedanken begannen zu schweben. Ebenso wie der weiße Vogel aus meinen Träumen. Ich spürte den Wind der an meinen Kleidern zerrte und leicht säuselnd weiter zog. Ich zog meine Jacke aus und begann zu laufen, immer zu am Meer entlang und ver-schwand nach Stunden in der endlosen Ferne. Ich dachte es war für immer. Als ich erwachte war ich allein. Die Nacht war vorüber und alles war vor-bei. Nur eine unglaubliche Erinnerung ist mir geblieben, die mir neuen Mut gab zu leben, und eine Kraft mit sich brachte, die wie ein Schwung war, der mich noch weit tragen sollte. Noch einmal dachte ich an die vergangene Nacht, an das Meer, welches mein Traum gewesen war, des-sen Pracht ich sehen wollte; mit seinen blauen Wellen. Doch nun hatte ich Sehnsucht nach einem zu Hause, einer hei-len Welt. Ich musste den Zug nehmen und der Weg dorthin war lang, doch ich hatte Hoffnung. Meine Füße schmerzten, mein

Kör-per brannte voll Sehnsucht, nur der Schwung, der mir durch die Erinnerung Mut gab trieb mich vorwärts. Und endlich erreichte ich eine mir unbekannte Stadt, und ich wusste, dass dort drin-nen mein Zug wartete, mein Glaube, meine Hoffnung auf eine heile Welt. Es vergingen Stunden doch plötzlich war ich da. Ich blickte auf einen leeren Bahnhof. Der Zug war schon abgefahren. So setzte ich mich

auf den grauen Stein mitten in einer mir unbekannten Stadt und weinte.

Die Grablegung

Eine sterbliche Hülle,so heißt es,

aber was war drin?Die Psyche,

sagen die Psychologen,die Seele,

die Seelsorger,die Persönlichkeit

sagen die Personalchefs.

Dazu noch die Anima,die Imago, der Dämon,

die Identität, das Ich,das Es und das Überich.

Der Schmetterling,der sich aus diesem Gedrängel

erheben soll,Gehört einer Art an,

von der wir nichts wissen.

Hans Magnus Enzensberger

Drinnen/Draußen

Schutzlos und kalt draußen? Geborgen und warm drinnen? Ich selbst, mein Sein drinnen.Mein Atem, mein Sehen draußen.

Isabella Bopp

TEXT & FOTOS: Charolotte Heller

01 | 2008 Blickwechsel42

Blickbewerb

Jeder Einsender erklärt sich bereit, Blickwechsel eine Lizenz zur Verwendung der Fotos unentgeltlich einzuräumen.

An dieser Stelle findet Ihr unseren Foto-Wettbewerb. Die Auf-gabe ist es, Identität fotographisch darzustellen. Ihr schickt uns ein Foto unter dem Titel Identität. Die interessantesten, einfallsreichsten und überzeugendsten drei Fotos werden in der nächsten Ausgabe abgedruckt und die Fotographen dür-fen sich über jeweils zwei Freikarten für eine Vorstellung ih-rer Wahl im Magazin Kino freuen.

GRAFIK: [email protected]

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Blickbewerb

Jeder Einsender erklärt sich bereit, Blickwechsel eine Lizenz zur Verwendung der Fotos unentgeltlich einzuräumen.

Blickkultur

Kann eine Frau von sich sagen, ihr ganzes Leben lang Kind geblieben zu sein? Kann es die Frau, die durch ihren einfachen,

grundsätzlichen und kindlichen Gerechtigkeitssinn und ihre phantasievolle Ausdrucksweise zu der be-kanntesten und angesehensten Kinderbuchautorin der Welt geworden ist?

Geboren am 14. November 1907, wuchs Astrid Ericsson im Süden Schwedens als Tochter eines Pfarrhofspächters und dessen Ehefrau gemeinsam mit drei Geschwistern auf. Sie verlebte eine sehr glückliche Kindheit. Ohne diese „Gebor-genheit und Freiheit“ mit der ihre Eltern sie erzogen, hätte sie wohl kaum so viel zu erzählen gehabt. Doch so geborgen ihre Kindheit war, destso unruhiger waren ihre Jugendjahre. In den 1920er Jahren begann sich das Bild der Frau in der Gesellschaft zu verändern. Die Frau gab sich nun sinnlich und betont selbstbewusst. So passte Astrid Ericsson mit ih-ren kurzen Haaren nicht mehr in das versteifte Frauenbild auf dem Land. Als eine Affäre mit ihrem Vorgesetzten bei der Lokalzeitung bekannt wurde und sie nun, unverheiratet und ohne abgeschlossene Ausbildung, im Alter von 18 Jah-ren schwanger wurde, beschloss sie vor der Ächtung auf dem Land zu fliehen und zog von Vimmerby nach Stockholm.

Am 4. Dezember 1926 brachte sie mit 19 Jahren ihren Sohn Lars in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen zur Welt. Lars, „Lasse“ genannt, lebte seine ersten Le-bensjahre bei dänischen Pflegeeltern und

anschließend bei Astrids Familie. Astrid Ericsson litt in diesen Jahren sehr unter Ar-

mut und Einsamkeit. Dies änderte sich ab 1927, als Astrid Ericsson zuerst An-gestellte in der Schwedischen Buchhan-

delszentrale und ab 1928 dann Sekretärin im Königlichen Automobilklub wurde. Dort

lernte sie auch ihren späteren Lebenspartner Sture Lindgren kennen, den sie 1931 heirate-te. Jetzt holte sie ihren „Lasse“ wieder zu sich und so zog die kleine Familie nach geschlos-sener Heirat gemeinsam ins Vasaviertel in Stockholm. Am 21. Mai 1934 gebar Lindgren ihre Tochter Karin. Im gleichen Jahr erschienen erste von ihr verfasste Märchen in schwedischen Zeitschriften. Doch auf den Erfolg musste die Schriftstellerin, die lange keine werden wollte: „ [...] Niemals würde ich ein Buch schreiben. […]“, noch zehn Jahre warten. Erstmal wurde sie 1937 Stenogra-fin für den schwedischen Professor für Kriminalistik, Harry Södermann und ab 1940 arbeitete sie für den schwedischen Nachrichtendienst, in der Abteilung für Briefzensur.Schriftstellerin wurde Astrid Lindgren eher zufällig. Sie er-fand die Figur des aufsässigen Mädchens mit den roten Zöp-fen als ihre Tochter Karin im Winter 1941 gesund gepflegt werden musste. Karin war es, die sich den Namen für die erste Kinderbuchfigur Lindgrens ausdachte: Pippilotta Vik-tualia Rollgardina Pfefferminz Efraims Tochter Langstrumpf. Doch wurden Pippi Langstrumpfs Abenteurer erst im zwei-ten Anlauf berühmt. Eine Abschrift der Manuskripte, die Astrid ihrer Tochter 1944 zum Geburtstag schenkte, reichte sie nun bei einem Verlag ein, der die Geschichte jedoch mit der Begründung ablehnte, die Fantasie Lindgrens sei geistes-krank und der Einfluss Pippi Langstrumpfs auf die Kinder sei gefährlich, wenn nicht sogar schädlich. Im gleichen Jahr reichte sie bei einem Wettbewerb für das beste Mädchenbuch ihre Geschichte „Britt-Mari erleichtert ihr Herz“ bei dem Verlagshaus „Rabén & Sjögren“ ein und gewann den zwei-ten Preis. Im darauffolgenden Jahr, 1945, gewann sie den Wettbewerb mit dem überarbeiteten Manuskript von „Pippi Langstrumpf“. Kurz darauf wurde sie als Lektorin eingestellt und baute die Kinderbuchabteilung des Verlags auf. Sie arbeitete bis zu ihrer Pensionierung 1970 für „Rabén & Sjögren“. Der gesamte Auftritt Pippi Langstrumpfs ist und bleibt das beste Beispiel des geglückten Versuchs, aus den Stereotypen der Gesellschaft auszubre-chen. Pippi Langstrumpf verkörpert Astrids Lindgrens Vorstellung des fantasievollen, kreativen, hinterfragenden und selbstbe-wussten Kindes. Doch machte Lindgren

Port

rait.

..

... Astrid Lindgren3 mal 3 = 101

01 | 2008 Blickwechsel44

sich „Sorgen um die Kinder, die ständig vor dem Fernseher sitzen. [...] Denn die Phantasien und Bilder, die sich Kinder in ihrem eigenen Kopf gestalten können sind entschieden lebendiger als Fernsehbilder“. Ihre Sorge um Kinder und Kindheit treibt sie zudem in ihrer Rede, die sie im Anschluss an die Auszeichnung mit dem „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ im Jahr 1978 hält, zu einer Verurteilung der gewaltsamen Kindererziehung durch Eltern. Ein Kind dür-fe niemals Opfer von gewaltsamer Erziehung werden. „Ein Kind, das von seinen Eltern liebevoll behandelt wird und das seine Eltern liebt, gewinnt dadurch ein liebe-volles Verhältnis zu seiner Umwelt und bewahrt diese Grundeinstellung sein Leben lang.“ Nach dem Erfolg ihres letzten Kinderbuches „Ronja Räubertochter“ (1981), wieder eine anarchistische Mädchenfigur, widmet sie sich der Öffentlichkeitsarbeit. Zuvor jedoch, 1976, nachdem die Steuern für Selbstständige, zu denen in Schweden auch Schriftsteller zählen, auf 100% angehoben werden, tritt sie aus der sozialistischen Partei aus, der sie seit den 30er Jahren angehört. Ein klares Zeichen, dass sie, wie sollte es anders sein, in Form eines „Märchens“ verarbeitet. „Pomperipossa in Monismanien“ wird sogar im Wahlkampf von der liberalen Partei genutzt. In der folgenden Wahl wird die sozialistische Partei, nach 40 Jahren Regierungstätigkeit abgewählt. Als die Angst gegenüber der wachsenden Anzahl an rechts-radikalen Jugendlichen steigt, nimmt sich Astrid Lindgren einen der „harten Jungs“ zur Brust und sagt zu ihm: „Du musst mit den Skinheadereien aufhören.“ Zu ihrem 80. Geburtstag bekommt sie von dem damaligen Ministerpräsidenten ein Gesetz zum Tierschutz „geschenkt“.

TEXT: Simon Berg - [email protected]: Pressemappe Oetinger Verlag

Damals das Härteste der Welt. Zuvor hatte sie sich gegen Massentierhaltung und für eine Reform der Landwirtschaft ausgesprochen. Das Gesetz trägt den Namen „Lex Lind-gren“. Astrid Lindgrens soziale Verdienste lassen sich immer weiter aufzählen, genau wie ihre Auszeichnungen. So ist sie „Schwedin des Jahrhunderts“ und Trägerin des Ehrenpreises des „alternativen Nobelpreises“ . Ihr größter persönlich Er-folg bliebt jedoch der, Kinder immer verstanden zu haben. Dies hat sie durch die Beliebtheit ihrer Erzählungen mehr

als bewiesen.Astrid Lindgren starb am 17. November 2002 in

ihrer Wohnung im Valsaviertel in Stockholm, im Kreise ihrer Familie.

Zu sagen, Astrid Lindgren ist immer Kind geblieben, ist so nicht ganz richtig. Auch wenn man besachtet, dass sie 1974 an dem 80. Geburtstag ihrer Freundin Elsa Olenius mit dieser zusammen auf einen Baum wett-kletterte und behauptete: „Es gibt

kein Verbot für alte Weiber, in die B ä u m e zu klettern.“. Oder als sie, zur „Schwedin des Jahres 1997“ gewählt, verkündete: „Ihr verleiht den Preis an eine Person, die uralt, halb blind, halb taub und total verrückt ist. Wir müssen aufpassen, dass sich das nicht rumspricht.“Was man jedoch sagen kann ist:

„Astrid Lindgren hat sich ihre Kindheit immer erhalten.“

www.blickwechsel-hamburg.de 45

Wer liegt an einem schwedischen Sommer t ag

unter einem Birnbaum, in einem schwedischen Provinzstädtchen, hört den Vögeln beim Zwitschern zu und denkt vor sich hin sprechend nach?Vor allem denkt er so nach, liegend und vor sich hin spre-chend, weil er einer Spur nachgeht, einem Kriminalfall und weil man so am besten nachdenkt.„Kalle Blomquist, Meisterdetektiv“ ist Astrid Lindgrens erste Buchveröffentlichung gewesen. Inspiriert von ihrer Tätigkeit als Stenotypistin für den schwedischen Professor für Krimi-nalistik Harry Södermann, verfasste sie drei Abenteuer über den jungen „Privatdetektiv“ Kalle Blomquist (im schwe-dischen Karl Blomkvist), die 1946 herausgegeben wurden.Die drei Kriminalromane spielen mit jeweils einem Jahr Ab-stand in dem ländlichen und abgelegenen Dorf Kleinköp-ping. Hier wohnen Kalle und seine besten Freunde, Anders und Eva Lotte. Kalle eifert seinen großen literarischen Vor-bildern, Sherlock Holmes, Hercule Poirot und Lord Peter Wimsley nach. Nur leider gibt Kleinköpping an Kriminalfäl-len nicht das her, was die Arbeitsplätze seiner Kollegen, Lon-don oder Chicago an Straftaten bereithalten. Also wird er von Freunden und Bekannten, wie dem Schutzmann Björk für sein Hobby eher belächelt und ausgelacht anstatt ernst-genommen. Dies ändert sich jedoch augenblicklich, sobald der aufgeweck-

te, selbstbewusste Junge, Juwelendieben oder Kidnappern nachstellt. Dann ist seine altkluge Art, sein „Riecher“ und

sein Mut gefragt. Doch ohne die Hilfe seiner Freunde wäre auch der Amateur-schnüffler nicht so erfolgreich. So stehen ihm Anders, der Sohn eines ärmlichen, oft gewalttätigen Schuhmachers und Eva-Lotte, Bäckerstochter und heimliche

Verehrte der Beiden in jeder Situation zur Seite.

Astrid Lindgren verkörpert in Kalle Blomquist die Idee eines den Erwachsenen überlegenen Kindes. Kalle ist Ausdruck des kindlichen Willens, den Eltern oder generell den Erwachse-nen voraus zu sein, auch selbst mal belehren zu dürfen.Doch genauso viel Wert legt Astrid Lindgren darauf, dass grundsätzliche Werte wie Freundschaft, Ehre, Wahrheit und Vertrauen übermittelt werden.

Kalle Blomquist ist Astrid Lindgrens Vorstellung eines ge-sunden Jungen, der sich mit Freunden trifft, seine Um-welt wahrnimmt und vor Lebensenergie strotzt.

„Alle Diebe zitternam Tage und bei Nacht,sehn sich hinter Gittern,und wer hat das vollbracht:Kalle Blomquist, der Meisterdetektiv,Kalle Blomquist, der Meisterdetektiv.“

Kalle Blomquist

TEXT: Simon Berg - [email protected]

13 Jahre alt, beheimatet im verschlafenen Kleinköpping in Schwe-den, Sohn eines Lebensmittelhändlers, Erdbeerbeetgießer, Fallen-steller und Meisterdetektiv.

01 | 2008 Blickwechsel46

Berlins Rhythmus

Im RevuetheaterFreitag, Friedrichstadtpalast

Einen kurzen Augenblick lang sehen sich zwei Menschen in die Augen, doch verlieren sie sich sofort wieder. Sie können den Anderen nicht vergessen. Eine Nacht und einen Tag su-chen sie einander in der großen Stadt, finden und verlieben sich. Um diesen Plot rankt sich die Revue „Rhythmus Ber-lin“ im Friedrichstadtpalast.Überwältigende Bühnenbilder, die ständig wechseln und immer wieder neue Szenerien aus dem Berliner Leben auf-greifen, untermalen die heftigen und intensiven Choreogra-phien der Tänzer. Die Solisten, die die Handlung vorantrei-ben, werden immer wieder von Artisten unterbrochen, die in mehreren Metern Höhe über die Bühne turnen.Unter dieser Fülle von Eindrücken rückt die Handlung in den Hintergrund, gerätaber niemals ganz in Vergessenheit. Es wird deutlich, dass ein Gefühl vermittelt werden soll und keine Geschichte. Die Bühne gerät derart in Bewegung, dass dem Zuschauer die Schnelllebigkeit und Geschäftigkeit einer Metropole vermittelt wird. Weniger durch das, was auf der Bühne getan wird, als das, wie es getan wird, erfährt der Tou-rist den Lebensalltag eines Berliners.

Berlins PegelUnterwegs in BerlinSamstag, Prenzlauer Berg

Einmal Berlins Nachtleben erfahren! war der Plan für Sams-tagabend. Also wurde ich von meiner Gastgeberin am Arm gepackt und mit auf eine Bartour durch den Prenz`l Berg genommen. Volle Bars, Cocktailgläser groß wie Bierhumpen und laute Musik sind mir in Erinnerung geblieben. Aber das finde ich in Hamburg doch auch, also was macht Ber-lins Nachtleben anders als das Hamburger? Vielleicht sind es das Stimmengewirr aus verschiedenen Sprachen, dass als so selbstverständlich betrachtet wird. Oder vielleicht sind es doch die Eineinhalblitercocktailgläser. Was soll man groß über Bars reden wenn man keine Unterschiede findet? Aber wenn man einen Unterschied findet, dann ist das der, dass sich Berlins Bars, Discos oder Tanzschuppen auf bestimmten Bezirke beschränken, so dass man sich abends entscheiden muss zwischen Kickern, Cocktailtrinken oder Tanzen, denn alles gibts nicht, dafür ist Berlin einfach zu groß.

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Berlins Wissen

Unterwegs in BerlinSonntag, Deutsches Historisches Museum Berlin

Wo geht man hin, wenn man schonmal in Berlin ist?Auf den Rat meiner Gastgeberin hörend, besuchte ich das Deutsche Historische Museum Berlin. Jedoch nicht die Ausstellungsräume die der deutschen Geschichte gewid-met sind, sondern die Räume, in denen wechselnde Aus-stellungen Platz finden. Da wären die Ausstellung „Novos Mundos - Neue Welten“, in der die Geschichte Portugals im Zeitalter der Entdeckungen gezeigt wird, „Karl May - Imaginäre Reisen“, quasi eine „ausgestellte Biographie“ mit massig Hintergrundinformationen und „Eye on Time - Zeit und Raum“, eine Ausstellung von Fotostrecken, die gleiche Plätze im Wandel der Zeit zeigen. Vor allem die unterschiedlichen Arten dem Besucher das Wissen näher zu bringen, sind mir neben den umfangreichen Ausstel-lungsobjekten in Erinnerung geblieben. Über Animati-onen, Originaldokumente oder Tonspuren wird der Be-trachter immer wieder anders angesprochen. Ein schöner Museumsbesuch, der Neugierde in Bezug auf die Themen aber auch mit Blick auf die Frage geweckt hat: Wie gehen Museen mit jungen Besuchern um, die selten einen Blick auf beschriebene Täfelchen werfen?

TEXT&FOTO: Simon Berg - [email protected]

01 | 2008 Blickwechsel48

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TEXT: Isabella B

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TEXT: Simon B

erg -

[email protected]

Türen ohne Klinke - Ein Totschläger erzählt seine Lebensgeschichte, H

arald Poschner, Katrin Rohnstock, Barbara O

rth, Schw

arzkopf & Schw

arzkopf, 2007ISBN

-10: 3896027565, 12,90 €

Die

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95 €

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ISBN

-10:

378

5730

462,

22,

90€

www.blickwechsel-hamburg.de 49

ChancentotW

er einmal anfängt hört nicht m

ehr auf? Einm

al Straftäter imm

er Straftäter?

Im

Falle Harald Poschners sind diese Fragen

mit „Ja“ zu beantw

orten. G

enau genomm

rn hat er sie selbst beant-w

ortet. In seiner von den Biografinnen Katrin

Rohnstock und Barbara Orth aufgeschriebenen

Lebensgeschichte: „Türen ohne Klinke - Ein

Totschläger erzählt seine Lebensgeschichte“. Aufgew

achsen in staatlichen Heim

en, erzogen von staatlichen Pädagogen und im

mer w

ie-der auf der Flucht vor der stattlichen G

ewalt,

schildert Poschner

von H

eimaufenthalt

zu H

eimaufenthalt, von H

aft zu Haft sein perspektivloses Leben. Er erzählt von Be-

ginn an. Vom Anfang seiner D

iebeskarriere, von seinen Fluchten und Fluchtversu-chen. Er beschreibt die Ausw

eglosigkeit seiner Situation, nichts ordentlich gelernt zu haben, die ihn in dem

Teufelskreis der Krim

inalität festhält.D

em Leser w

ird mit jedem

Gefängnisaufenthalt des Protagonisten klarer, w

ie ver-hängnisvoll sein Freiheitsw

illen mit seinen Taten verknüpft ist. Es w

ird mit jeder

Tat deutlicher, dass Poschner keine Chance auf ein „geordnetes“ Leben außerhalb

der Gefängnism

auern hat. Irgendwann fällt es dem

Leser dann gar nicht mehr auf,

weshalb H

arald Poschner im G

efängnis sitzt, es ist nur eine logische Folge seines Lebensstils.D

as Schicksal Poschners ruft beim Lesen sehr viel U

nmut hervor. D

er Leser wird

wütend auf die H

ilflosigkeit mit der er versucht seine (Straf)-Taten zu erklären.

Wird w

ütend über den Mord, der im

Nachhinein nur die Folge auf die sich im

mer

schneller drehende Spirale aus Drogen, K

riminalität, aus Verzw

eiflung und Erhal-tungszw

eck war.

Ein sehr empfehlensw

ertes Buch, das es in dieser Art noch nicht gab. „Türen ohne K

linke – Ein Totschläger erzählt seine Le-bensgeschichte“, gibt den Blick frei auf eine Lebensart, von der m

an sonst nur das Ende, den Ausschnitt in der Zeitung über die G

erichtsverhandlung kennt.

Nachtzug nach

Lissabon

Raim

und Gregorius ist Lateinlehrer, und

glücklich mit seiner Arbeit. Eines Ta-

ges trifft er auf einer Brücke eine schö-ne Frau. Sie hält einen Zettel in der H

and und dreht und w

endet ihn ständig hin und her. Nach

einigen Mom

enten wirft sie ihn von der Brücke

hinunter. Raim

und geht an ihr vorbei, da dreht sie sich um

, hält ihn fest und schreibt ihm eine

Telefonnumm

er auf die Stirn. Sie dürfe sie doch nicht vergessen, sagt sie. Es regnet. R

aimund

nimm

t sie mit in die Schule, gibt ihr einen Zet-

tel und versorgt sie. Sie hat einen südländischen Akzent. Als er fragt, w

as ihre Muttersprache sei, sagt sie: „Português“. Es ist dieses

Wort, das sein Leben verändert. Plötzlich w

ird ihm bew

usst wie schnell die Zeit

vergeht, und er fährt mit einem

Nachtzug nach Lissabon, im

Handgepäck nur ein

Portugiesisches Buch mit Texten von Am

adeo de Prado. Amadeo schreibt über Lie-

be, Freundschaft, Leben, Einsamkeit, Endlichkeit und Tod und diese Texte lassen

Raim

und einfach nicht mehr los. So m

achte er sich auf die Suche nach Amadeo,

der in fasziniert und dem er sich nicht entziehen kann. N

ach und nach, imm

er den Spuren Am

adeos folgend, verstrickt Raim

und sich imm

er tiefer in seine eigene G

eschichte und die des Autors. Personen kreuzen seinen Weg, und im

mer m

ehr w

ird er des Charakters, des Lebens Am

adeos gewahr. D

ie feine und spannende G

eschichte ist in einer angenehmen Sprache verfasst, die m

it einem K

ontrast zu den übersetzten Texten Prados spielt. Selbige sind oft sehr philosophisch und m

an braucht etw

as länger um sie ganz zu verstehen. D

er Leser wird in die G

eschichte m

it eingesogen, in diesen Strudel von Ereignissen, Personen und Verwicklungen.

Sensibel beschreibt Mercier die handelnden M

anschen, verleiht ihnen Persönlich-keit und haucht ihnen Atem

ein. Insgesamt ist das Buch recht einfach zu lesen,

schwierig an m

anchen Stellen und nicht im-

mer auf Anhieb verständlich.

TEXT: Isabella Bopp - isabella@

annettebopp.de

Nachtzug nach Lissabon

Pascal Mercier

Hanser Verlag, 2004

ISBN-13: 9783442734368, 9,50 €

TEXT: Simon Berg -

mail@

simonberg.eu

Türen ohne Klinke - Ein Totschläger erzählt seine Lebensgeschichte, H

arald Poschner, Katrin Rohnstock, Barbara O

rth, Schw

arzkopf & Schw

arzkopf, 2007ISBN

-10: 3896027565, 12,90 €

01 | 2008 Blickwechsel50

The Bourne Identity

Ach wie gut das niemand weiß...

„Ich kann ihnen sagen, das unsere Kellnerin Links-händerin ist [...] und in dieser Höhenlage kann ich eine halbe Meile rennen, bevor meine Hände anfan-

gen zu zittern. Also warum weiß ich das, wie kann ich das wissen und nicht wissen wer ich bin?“Jason Bourne, dass Gedächtnis verloren, fasttot und mit einer Kontonummer in der Hüfte, gerettet von italienischen Fi-schern vor der Küste von Madeira sucht seine Erinnerungen, sich selbst. Aber er ist nicht irgendwer, er ist ein „Soldat“ des amerikanischen CIA. Ein verloren gegangener Soldat, der sich leider nicht an seine fehlgeschlagenen Mission erinnern kann. So jagt er seiner Vergangenheit nach und wird selbst von einer Polizeimaschinerie gejagt, die es eigentlich gar nicht geben soll. Begleitet von Marie Helena Kreuz (Fran-ka Potente) kämpft sich Jason Bourne (Matt Damon) einen Weg durch Korruption, Lügen und Gewalt. Immer auf der Suche nach seiner Identität.Sehr spannend und unberechenbar windet sich die Geschich-te durch alle Tiefen der Staatsgewalt und zeigt so realistisch wie eigentlich kein Actionfilm das brutale Agentenleben. Franka Potente spielt groß auf neben einem Matt Damon, der hier das erste mal überraschend Actionheld-Qualitäten zeigt. Sehr zu empfehlen, genau wie der Soundtrack. Der Ti-telsong stammt von Moby.

Fear and Loathing in Las Vegas

“Wir waren irgendwo am Rande der Wüste, als die Drogen zu wirken begannen“

Raoul Duke (Johnny Depp), Sportjournalist, bekommt den Auftrag, über das „Mint 400“, ein Motorradren-nen in der Wüste vor Las Vegas zu berichten. Sein

Anwalt, Dr. Gonzo (Benicio Del Torro) plant sich geschickt ein und mit sich ein ganzes Arsenal an Drogen: „Wir hat-ten zwei Beutel Gras, 75 Kügelchen Meskalin, fünf Lösch-blattbögen extrastarkes Acid, Lacher, einen Liter Tequila, eine Flasche Rum, eine Kiste Bier, einen halben Liter Äther und zwei Dutzend Poppers.[…]“. So machen sich die beiden auf, den amerikanischen Traum zu finden und nebenbei drei Tage und zwei Nächte im Vollrausch Las Vegas unsicher zu machen - was ihnen auch gelingt. Unbezahlte Rechnungen, verwüstete Hotelzimmer, Flashbacks und verängstigte Mit-menschen säumen ihr Schlachtfeld. Der Film ist ein einziger Trip. Er beginnt harmlos, witzig und nachvollziehbar. Er endet in einem einzigen Wahn zwischen unkontrollierten Aggressionen und tiefen Depressionen. Das Werk ist eine Hommage und gleichzeitig eine kritische Betrachtung der 70er. Während man zu beginn des Films den Text vor lau-ter Lachen über so viel Dumpf- und Stumpfheit nicht mehr versteht, so schlägt es einem spätestens nach dem ersten ver-wüsteten Hotelzimmer aufs Gemüt. Benicio Del Torro und Johnny Depp schaffen es aber dennoch immer wieder mit noch abgedrehteren, hilfloseren Trips noch einen drauf zu setzen. Absolut empfehlenswert. Nur sollte man ihn nicht alleine gucken - sonst wirkt er zu abschreckend.

Der

Film

zum

Film

riß

Wer

bin

ich

eige

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h?

Drehbuch: Tony Gilroy, W. Blake Herron, Regie: Doug Liman, Musik: John Powell, Moby

Drehbuch: Hunter S. Thompson, Regie: Terry Gilliam, Musik: Ray Cooper, Michael Kamen, USA 1998

TEXTE: S

imon B

erg -

[email protected]

www.blickwechsel-hamburg.de 51

Janis Joplin -Greatest HitsJanis Joplin, the white girl who sang the blues…

Obwohl Janis Joplin sehr füh gestorben ist († 27), hat sie der Nachwelt doch sehr viel gegeben. Sie hat auf der einen Seite natürlich ihre Musik hinter-

lassen, die auf ihre Weise einzigartig und mit keiner anderen Sängerin oder Gruppe zu vergleichen ist, aber sie hat auch anderen weiblichen Sängerinnen den Weg geebnet, denn der Rock ´n`Roll war vorher nur den Männern vorbehalten ge-wesen. Janis Joplin´s Greatest Hits ist ein Querschnitt aus all ihren Alben. Man sollte sich auf eine Stimme gefasst machen, die nicht nur singt, sondern mit der Musik in der Musik ist. Ihre raue, auf Obertönen basierende Stimme lässt dich ihre Gefühle mitfühlen. Man kann sich gut mit den Texten identifizieren. Es heißt, Janis Joplin war immer ein wenig zu gefühlvoll beim singen. Zu wild, zu passioniert, zu wütend oder zu traurig. Aber sie sagte dazu:„Wenn ich mich zurückhalte, bin ich nicht gut. Es ist doch besser, wenn ich manchmal gut bin, als wenn ich mich die ganze Zeit zurückhalte“ Janis Joplin´s Greatest Hits beweist, dass sie sich nie zurück-gehalten hat.

Shlomo Artzi -Shfuim Anders, israelisch und erfolgreich.

Warum nicht mal was Neues erfahren, Musik in ei-ner unbekannten Sprache hören?Lasst euch auf neue Erfahrungen mit anderen

Kulturen ein und erlebt, wie eine 5000 Jahre alte Sprache ganz modern und aktuell sein kann!5 Jahre sind seit dem letzen Album des israelischen Sängers Shlomo Artzi ins Land gegangen. Nun gibt es ein neues Al-bum voller Lieder über das Leben, die Liebe und kleine Mo-mente.Shlomo Artzis musikalische Karriere begann in den späten 60ern. Er sang bei den Israelischen Volk-Festivals und ge-wann dort den ersten Platz dreimal in fünf Jahren. Er hat mehr Alben verkauft als irgendein anderer israelischer Sän-ger.Wer es gerne ein wenig fremdländisch und exotisch mag und außerdem gerne Neues entdecken möchte, liegt mit diesem Album genau richtig.Shlomo Artzis Musik verbindet Rock mit heimatlichen he-bräischen Merkmalen, deren immer wiederkehrendes Bild der Tanz ist, der ein Symbol für Leben und Vitalität ist.

TEXT: Nina-Marie K

ühn -

nina_5765@

yahoo.de

Shlomo Artzi - ShfuimGenre: RockShlomo ArtziHed-Artzi, 2007Preis: 8,95€

Janis Joplin´s Greatest HitsGenre: Rock, AlternativeJanis JoplinSony BMG, 1999Preis: 8,95€

TEXT: Nina-Marie K

ühn -

nina_5765@

yahoo.de

01 | 2008 Blickwechsel52

Dynamite Deluxe - TNTDynamite Deluxe sind back. Nach sieben Jahren Abstinenz meldet sich die Formation um Samy Deluxe wieder zurück und wie!

Mit ihrem neuen Album TNT beweisen Samy Deluxe (MC), Tropf (Beats) und DJ Dynamite (Beats) das sie immer noch die Besten sind. Der

Beginn des Albums, der „Erste Song“, spannt den Bogen zum letzten Song aus Deluxe Soundsystem, dem ersten und „Bis Dato“ einzigen Album der Drei. „Dies ist kein Come-back, eher ein Kreis der sich schließt“. Hier liegt die Idee des Sounds. Eine ausgewogene Synthese zwischen old und new school Rap, veredelt mit Beats in typischer Dynamite Deluxe Manier. Während sich Samy Deluxe als Gesellschaftskritiker oder als Abservierter gibt oder sich einfach nur selbst feiert (was ein wenig zu häufig passiert: „Noch ein, zwei Alben und ihr nennt mich Gott“, „Der Thron ist Meiner“ u.s.w.), bom-bardieren Tropf und Dynamite die Hörer mit bombastischen Beats. Dynamite und Tropf bedienen sich an unzählbar vie-len Musikstilen um Samy‘s seltene textliche Durchhänger zu überspielen. TNT ist das „bis hierher“ reifste und überzeu-gendste Album des deutschen HipHop. „Dann kam unser Album raus, ich meine das erste, das letzte, das Beste vom Besten, Dynamit Deluxe sind back!“

Dynamite Deluxe - TNTGenre: RapDynamite DeluxeEMI, 200814,95€

TEXT: Simon B

erg -

[email protected]

Playlist Redaktion -Blickwechsel Top10

1. Erster Song - Dynamite Deluxe, Simon 2. Banana Pancakes - Jack Johnson, Isabella 3. Never Win - Fisherspooner, Kim 4. Silth in the Beauty - Gazette, Hubertus 5. Proton Neutron Electrons - Cat Empire, Lukas 6. King of the Bongo - Manu Chao, Lilli 7. Lost - Michael Bublè, Shahin 8. You send me flowers - Selje ner Gaad, Hannah9. Cold As Ice (Rubberoy Rmx) - Starsplash, Samuel10. Shila - Eric Clapton, Sophia

Playlist Redaktion - Blickwechsel Top 10 Genre: MixBlickwechsel Records 2008Unbezahlbar

www.blickwechsel-hamburg.de 53

Ausblick

01 | 2008 Blickwechsel54

Kale

nder

Was Wo Kategorie Zeit Tag Datum

Febr

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Ausführliche Informationen findet ihr auf den Internet-

Seiten der einzelnen Veranstalter.

www.blickwechsel-hamburg.de 55

Was Wo Kategorie Zeit Tag Datum

Mär

zAusführliche Informationen findet ihr auf den Internet-

Seiten der einzelnen Veranstalter.

01 | 2008 Blickwechsel56

Was Wo Kategorie Zeit Tag Datum

Apr

ilAusführliche Informationen findet ihr auf den Internet-

Seiten der einzelnen Veranstalter.

www.blickwechsel-hamburg.de 57

Adressen der Veranstaltungsorte

AAltonaer TheaterMuseumsstraße 1722765 Hamburgwww.altonaer-theater.de

Abaton KinoAllendeplatz 3, Ecke Grindelhof 20146 HamburgKartenreservierung: 040-41 320 320 ca.15-22 Uhr:www.abaton.de

Alabama Kino Jarrestraße 20, Kampnagel 22303 Hamburg040 / 28 803070.www.kamnagel.de

DDeichtorhallenDeichtorstr. 1-320095 Hamburg040-32 10 30Di. – So. : 11°° - 18°°(Fotomaterial anmeldung nö-tig!!!)

EErnst Deutsch TheaterFriedrich-Schütter-Platz 122087 Hamburgwww.ernst-deutsch-theater.de / www.plattform-festival.de

Elbe KinoOsdorfer Landstraße 198, Osdorf 22549 HamburgKartenreservierung: 040 / 800 44 45www.elbe-kino.de

FFabrikBarnerstr. 3622765 Hamburg040-39 10 70www.fabrik.de

Fama Kino

Luruper Hauptstraße 247, Lurup 22547 Hamburg Karten: 040-832 54 41

GGrindel KinoGrindelberg 7a20144 HamburgKartenreservierung: ab 13 Uhr 040-44 93 33 www.ufa-grindel.de

KKultur Bühne Bugenhagen KBBBiedermannplatz 1922083 Hamburg040-639 470 41www.kbb-hamburg.de

KunsthalleGlockengießerwall 20095 HamburgDi. – So. 10-18°°Do. 10-21°°

Kulturhof DulsbergAlter Teichweg 200040-652 80 16www.dulsberg.de

KampnagelJarrestraße 2022303 Hamburg040- 270 949-49 www.kampnagel.de

Körber ForumKehrwieder 1220457 Hamburg U3 Baumwallwww.koerber-stiftung.de

Kultwerk West Gr. Bergstr. 162/ im Forum Alto-na040-82 74 84www.kultwerkwest.de

Kulturhaus III&70Schulterblatt 7320357 Hamburg 040-31 97 555 -15Mo-Do ab 9:00 // So ab 10:00 www.dreiundsiebzig.de

Koralle KinoKattjahen 1, Volksdorf22359 Hamburg040-64 20 89 39 18°°-19:30www.koralle-kino.de.vu

Kino 3001Schanzenstraße 75-77, St. Pauli 20357 HamburgKartenreservierung: 040 / 437 679, täglich ab 1530 Uhrwww.3001-kino.de

LLiteratushauscafeSchwanenwik 3822087 Hamburgwww.literatuhauscafe.de

Lesecafe DulsbergAlter Teichweg 200 / 1.Etage040-428 977 133Di.+Do. 10-12°° und 16-19°°www.dulsberg.de/info/lesecafe

LichthofMendelssohnstraße 1522761 Hamburgwww.lichthof-hamburg.de

MMuseum für KommunikationGorch-Fock-Wall 120354 HamburgDi. –Fr. 9-17°° Sa., So., Fr. 10-18°°www.museumsstiftung.de

MessehallenModering 1a22457 Hamburgwww.messe-hamburg-schnelsen.de

Molotow / Meanie BarSpielbudenplatz 5 (Reeperbahn)20359 Hamburg040-31 08 45www.molotowclub.com

Magazin KinoFiefstücken 8a22299 Hamburg040-511 39 20www.magazinfilmkunst.de

Metropolis KinoDammtorstraße 30a20354 Hamburg040-34 23 53www.metropolis-hamburg.de

SSchauspielhausKirchenallee 39www.schauspielhaus.de( Fotomaterial!!)

Studio Kino Bernstorffstraße 93-95, St. Pauli 22767 Hamburg040-43 215 315 www.studio-kino.de

TThalia TheaterAlstertor20095 Hamburgwww.thalia-theater.de(pressebereich anmeldung nö-tig)

WWerkstatt 3Nernstweg 32-3422765 Hamburgwww.werkstatt3.de

WaagenbauMax-Brauer-Allee 20422769 Hamburgwww.waagenbau.com

ZZeise KinoFriedensallee 7-9, Ottensen 22765 Hamburg040-390 87 70www.zeise.de

In allen Museen gilt: Kinder und Ju-gendliche unter 18 Jahren frei!

Für die Korrektheit aller Daten über-nimmt Blickwechsel keine Garantie!

Dieser Kalender ist uns nicht ganz so geglückt, wie geplant. Denn wer sucht nach welchen Kriterien welche Termine aus? Was ist für alle gleichermaßen interessant? Oder setzten wir unseren Lesern einfach unsere Terminauswahl vor? Es scheint uns nur eine befreidigende Antwort zu geben: Wir brauchen von euch, den Lesern, die Termine! Denn

was nützt ein Kalender, dessen Termine keiner will. Deshalb, AUGEN AUF - und wenn ein Termin an euch vorbeischwebt: einfangen, aufschreiben, einreichen! per Mail, mündlich, auf‘m Schmierzettel - egal, hauptsache einreichen.

Ansprechpartnerin: Hannah Zewu-Xose - [email protected]

01 | 2008 Blickwechsel58

Mission 1: Toleranz

Wir haben nun also unser Versuchskaninchen Hubi von der imaginären Leine gelassen, um ihn auf die ahnungslosen Hamburger zu hetzen, auf dass er ihre

Toleranz prüfe. Damit schließen wir den Kreis und kehren zum Titelthema zurück, denn Toleranz ist ja ein wesentlicher Aspekt der Identität (Darf der einfach anders sein?).

Probe 1: Die willkürliche Befragung hamburger Bürger.Demnach ist Toleranz:- Wichtig im zwischenmenschlichem Miteinander (ältere Passantin vor Saturn, 18.34 Uhr)- Isse nix genug (Kioskverkäufer, 19.06 Uhr)- Verständnis (Passant Spitalerstraße, 20.34 Uhr )- Gut ! (sehr beschäftigte Verkäuferin Mönckebergstrasse, 18.12 Uhr)- Modern (Schülerin in der Schanze, 20.04 Uhr)Hubi’s Fazit: In einer weltoffenen Stadt wie Hamburg scheint Toleranz ein oft gebrauchter Begriff zu sein. Das liegt wohl schon in der Geschichte begründet, denn schon immer sind es Handelsstädte gewesen, in denen sich verschiedene Kulturen und Gesellschaftsschichten mit-einander konfrontiert sahen. Allein im Namen der Stadt ist die Toleranz schon inbegriffen: freie Hansestadt.

Probe 2:Gezielte Provokation.Man stelle sich einen als Hip-Hopper verkleideten Halbstarken (Hubi) vor, der so gut wie alle Klischees auf sich zu vereinigen sucht. Das erstaunlich authentische Resultat schickten wir in ei-nen Laden, den sich die Punk-Szene zum Treff auserkoren hat und ließen in auf nervtötendste Art und Weise das Untragbare verlan-gen: Laut durch den ganzen Laden grölend wurde da nach XXXL Shirts verlangt. Die Musiklautstärke um Längen schlagend legte Hubi einen Freestyle-Diss auf die Verkäuferin hin, fachsimpelte im besten Hopperlatein über 2pac´s Einfluss auf die Punker - und Gothicszene und verließ den Laden letztendlich eine geschlagene Stunde später „ohne“ etwas gekauft zu haben.Hubi’s Fazit:Die Verkäuferin bekommt eine glatte 1,0 für ihr Engagement und Durchhaltevermögen, da sie mich Nervpille die ganze Zeit über rührend ertragen hat.

Probe 3:Achtung gegenüber dem Wunsch des anderen Menschen.Ganz und gar nicht gut schnitt daneben eine Frisöse aus Wandsbek ab, die es strickt verweigerte, Hubi einen Irokesen zu formen und zu schneiden. Mit den Worten: „Was willst Du denn? Geh doch zurück aufn Kiez, wenn Du nen Iro willst!“ wies sie Hubi mit ät-zendem Tonfall die Tür. Hubi’s Fazit:Verdiente 5.

Probe 4:Toleranz in der SchuleErschreckend ist unser letzter Test ausgefallen. Wir schickten Hubi emonisiert (geschminkt) in die Schule, um auch Reaktionen von Leuten einzufangen die ihn schon kennen. Die Lacher in der Klasse und die Sprüche über Tokio Hotel waren vorauszusehen und auch die etlichen Angebote, ihm ein Rasiermesserset zu kaufen blieben im Rahmen des Erwarteten. Also nicht weiter aufregend. Aber dass die Lehrer Sprüche brachten wie: „So, jetzt schminkst Du dich erst mal ab und dann darfst Du am Unterricht teilnehmen“ oder „Wie Du aussiehst, solltest Du erstmal lieber nach Hause gehen“, kamen doch etwas unerwartet und zogen den Zeiger auf der Toleranzskala deutlich nach unten... Hubi’s Fazit: Irgendwo im unteren A-Notenbereich... denn gerade an einer Schule, an der immer von Freiheit und persönlicher Entfaltung ge-redet wird, scheint mir das ein ungebührendes Verhalten.

Hubi’s Gesamtnote:Wir, Hubi kommen also zu dem Gesamtergebnis, dass es die Men-schen teils stark beunruhigt, wenn man ihre Vorstellung von dem verletzt, was gut und richtig ist. Doch hält sich diese Unruhe, wie nicht anders zu erwarten war, in unserer (d)ollen Stadt durchaus in Grenzen.

Herzlich, Euer und team

PS: Aus Hubi’s literarischem Sparschwein:Toleranz ist der Verdacht, dass der andere Recht hat. Kurt Tu-cholsky /// Toleranz bedeutet Respekt vor der Überzeugung ande-rer, nicht Verzicht auf die eigene Überzeugung. Walter Kasper /// Dieses laue Gefühl aus Ekel, Verachtung und Mitleid – genannt Toleranz. Harald Schmidt

Hubi probt!In dieser Rubrik, die, wie man gleich erkennt, wirklich das Allerletzte ist, widmen wir uns dem„Klingt komisch, is aber so“ - Effekt. Doch zuerst zum Titel. Wer zum Henker ist Hubi, werdet ihr euch fra-gen - gute Frage! Hubi ist ein nervtötender Querulant. Eingewandert aus dem fernen Süden/Bayern (...) fungiert er als obligatorisches Versuchskaninchen. Von Ausgabe zu Ausgabe wird er von Blickwechsel mit einer besonderen Mission betraut.

I

www.blickwechsel-hamburg.de 59

[email protected]/o Rummelsburger Str. 78, 22147 Hamburg

Redaktion- Alba Klußmann (Altona) 5 Hannah Zewu-Xose (Wandsbek)6 Hubertus Schwarz (Bergstedt)3 Kim-Fabian von Dall‘Armi (Wandsbek)1 Isabella Bopp (Wandsbek)2 Lukas Stolz (Bergstedt)- Lillian Senfft von Pilsach (Wandsbek)4 Nina-Marie Kühn (Nienstedten)- Pia Dombrowski (Bergedorf )9 Samuel Hartenberg (Harburg)8 Shahin Sharasbi (Harburg)0 Simon Berg (Wandsbek)7 Sophia Stöhr (Bergstedt)- Valentin Hoepfner (Altona)

AutorenAnne LutherAnuj AgarwalaCharlotte HellerDaniel SchmidtJamila Al-YousefJon HarmsLena SternbergMarius Krull Mona DoosrySophia Jänicke

LayoutPhilip [email protected]

DruckDrucktechnik Altona www.drucktechnik-altona.de

VerantwortlichKim-Fabian von Dall‘Armi (V.i.s.d.P.)Simon Berg

KontodatenBLZ: 200 505 50Kto. Nr. 1232411023Kontoinhaber: Simon Berg

Ein großer Dank für die finanzielle Unterstützung an:

Gemeinnützige Treuhandstelle •Hamburg (GTS) e.V.Landes-Arbeits-Gemeinschaft der •Hamburger Waldorfschulen Landes-Schüler-Rat Hamburg•Behörde für Bildung und Sport•

Ein weiterer Dank geht an:Frei & Willig – für mehr Jugenden-•gagement in HamburgRudolf-Steiner-Haus Hamburg•MAGAZIN Filmkunsttheater•

Sowie an alle Menschen, die mit Ihrem Zutun dazu beigetragen haben, dieses Projekt zu ermöglichen.

Blickwechsel ist eine nichtkommerzi-elle, unabhängige Jugendzeitung. Die Zeitung finanziert sich nicht durch Wer-bung, sondern über Fördergelder und Spenden sowie den Verkauf. Blickwechsel erscheint bis zu 4 mal im Jahr bei einer Auflagenstärke von 1000 Stück.Die nächste Ausgabe ist für Mai ’08 an-gesetzt.

MEDIA SERVICES

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Impressum

In Zusammenarbeit mit Media Services

Streitgespräch

Ja

Nein

Ja

Nein

Doch

Simon Berg

Arschloch!

Ausgabe 01 | 2008 | www.blickwechsel-hamburg.de | 2 €