Jüdische Identität im sozialistischen Jugoslawien

69
— VEDRANA MADŽAR, NATAŠA TEPAVČEVIĆ UND ZORKA OBRENIĆ JÜDISCHE IDENTITÄT IM SOZIA- LISTISCHEN JUGOSLA- WIEN, 1945— 1952

description

Nur 20 % der Mitglieder jüdischer Gemeinden des ehemaligen Jugoslawiens überlebten den Zweiten Weltkrieg. Die frühe Gedenkkultur zur besonderen Ehrung der jüdischen Opfer und der Jüdinnen und Juden, die gegen den Faschismus gekämpft hatten, ist bedeutsam. Zu den fundamentalen Forderungen jugoslawischer Ideologie gehört es, ethnischen Partikularismus zu vermeiden und eine supranationale jugoslawische Identität zu entwickeln.

Transcript of Jüdische Identität im sozialistischen Jugoslawien

— VEDRANA MADŽAR, NATAŠA TEPAVČEVIĆ UND ZORKA OBRENIĆ

JÜDISCHE IDENTITÄT IM SOZIA-LISTISCHEN JUGOSLA-WIEN, 1945—

1952

1

— VEDRANA MADŽAR, NATAŠA TEPAVČEVIĆ UND ZORKA OBRENIĆ

JÜDISCHE IDENTITÄT IM SOZIALISTISCHEN JUGOSLAWIEN, 1945—1952

2

3

VORWORT

– VEDRANA MADŽAR, NATAŠA TEPAVČEVIĆ UND ZORKA OBRENIĆ

Das Projekt Jüdische Identität im sozialistischen Jugoslawien, 1945-1952 welches durch die Stiftung Erinnerung, Zukunft und Verantwortung, im Rahmen der Ge-schichtswerkstatt Europa gefördert wird, behandelt die Frage jüdischer Identi-tät im sozialistischen Jugoslawien in den frühen Nachkriegsjahren.

Nur 20% der jüdischen Gemeinde Jugoslawiens überlebte den Zwei-ten Weltkrieg. Etwa die Hälfte dieser Überlebenden machten nach 1948 Ali-ja. Dadurch wurden die Juden eine winzige Minderheit im multinationalen Staat Jugoslawien. Dort wurde bereits in den späten 1940er- und frühen 1950er-Jahren die Opferrolle der Juden im Zweiten Weltkrieg stark betont, während beim Rest der Welt der Holocaust eher eine Marginalie in den so-zialen Debatten blieb (bis zum Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961). Diese frühe Gedenkkultur zur besonderen Ehrung der jüdischen Opfer und der Ju-den, die gegen den Faschismus gekämpft hatten, ist sehr interessant. Denn zu den fundamentalsten Forderungen jugoslawischer Ideologie gehört es, ethnischen Partikularismus zu vermeiden und eine supranationale jugosla-wische Identität vorzuziehen. Unser Projekt hat Ausprägungen, Formen, die Natur und den Charakter dieser Gedenkkultur aufzuzeigen versucht. Wir ha-ben untersucht, wie jüdische Identität innerhalb des multinationalen Staates in den frühen Nachkriegsjahren (re-)konstruiert wurde und welchen Platz diese in den konstituierenden Narrativen eines neuen Staates einnahm.

Den ersten Teil unserer Forschungsergebnisse präsentieren wir durch die schriftliche Denkmäler- und Museumsanalyse, und den zweiten in Form einer Ausstellung, bzw. eines mobilen Museums. Während der Arbeit an die-sem Projekt haben wir mehr als 16 Stunden Videomaterial aufgenommen, in welchem die heute in Israel lebenden ehemaligen Einwohner Jugoslawi-ens ihre persönlichen Erinnerungen, die mit tiefen Gefühlen und Selbstbe-wusstsein jedes Einzelnen über die damalige Zeit durchwoben sind, mit uns geteilt haben. Wegen der emotionalen Kraft dieses Materials, die oft in einer Bewegung oder einem Blick der sprechenden Personen außerhalb des Aus-gesprochenen steckt, wird dieses nicht transkribiert oder kommentiert. Die Aufnahmen werden in deren authentischer Form, ohne bedeutende Mon-tageeingriffe präsentiert, mit dem Ziel, eine menschliche und persönliche Wahrnehmung dessen, was für die „wahre Wahrheit“ gehalten wird oder wurde, zu bieten.

4

INHALT

FÜNF DENKMÄLER FÜR DIE JÜDISCHEN OPFER DES FASCHISMUS UND GEFALLENE KÄMPFER IM VOLKSBEFREIUNGSKAMPF — VEDRANA MADŽAR UND ZORKA OBRENIĆ

1. 7 Einleitung 2.8 Erinnerungskultur

im sozialistischen Jugoslawien am Beispiel der Denkmalarchitektur

3.11 Die jugoslawische Juden-

Gemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg

4. 13 Erste Initiativen für

das Gedenken an die Holocaust-Opfer in Jugoslawien

5. 15 Enthüllung der fünf

Denkmäler für die jüdischen Opfern des Faschismus und die gefallenen Kämpfer im Volksbefreiungskrieg 1952 - eine einzigartige Gedenkveranstaltung

6. 18 Finanzierung der

Einrichtung der Gedenkstätten, des Ausbaus der Denkmäler und der begleitenden Zeremonien

7. 20 Beschreibung und Analyse

der fünf Denkmäler

7.1 Denkmal in Zagreb

7.2 23 Denkmal in Đakovo

7.3 26 Denkmal in Novi Sad

7.4 28 Denkmal in Belgrad

7.5 30 Denkmal in Sarajevo

8. 33 Die Rolle der Denkmäler

im allgemeinen gesellschaftlich-politischen Kontext

9. 36 Literaturverzeichnis

5

GRENZEN DER KOLLEKTIVEN ERINNERUNG – MUSEUMSANALYSE — NATAŠA TEPAVČEVIĆ

1. 41 Einleitung

2. 42 Das jüdische historische

Museum in Belgrad – das erste jüdische Museum auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawiens

3. 44 Museum der Juden Bosnien

und Herzegowinas

4. 47 „Museum der Geschichte

Jugoslawiens“ und Analyse der Ausstellung „Holocaust in Serbien 1941-1944“

5. 51 Gedenkstätte Jasenovac –

Gedächtnismuseum

6. 55 Museum der Zweiten

AVNOJ-Sitzung

7. 58 Museum der Schlacht für die

Verwundeten an der Neretva

8. 61 Schlussfolgerung

9. 62 Literaturverzeichnis

65 Schlusswort

6

7

FÜNF DENKMÄLER FÜR DIE JÜDISCHEN OPFER DES FASCHISMUS UND GEFALLENE KÄMPFER IM VOLKSBEFREIUNGSKAMPF

— VEDRANA MADŽAR & ZORKA OBRENIĆ

1. EINLEITUNG

Die Geschichte des sozialistischen Jugoslawiens1 war bis zum Ausbruch der Kriege in den 1990er Jahren kein besonderer Gegenstand des Interesses unter Wissenschaftlern und Forschern. Anfangs weckte der tragische Zerfall von Jugoslawien das Interesse zahlreicher Autoren aus dem englischsprachigem Raum, die sich hauptsächlich mit den Ursachen und Folgen der Kriegsaus-brüche beschäftigten, wobei sie Jugoslawien als völlig künstliche Kreation darstellten, die früher oder später zum Untergang verurteilt war.2 Obwohl der von diesen Autoren eingesetzter intellektueller Aufwand und ihre For-schungsambitionen keinesfalls verleugnet werden können, ist erkennbar, dass in Wissenschafts- und Forschungsarbeiten, die auf Jugoslawien als „Pa-pierhaus“ (Thompson) oder „unmögliches Land“ (Hall) verweisen, oft Vor-aussetzunge und Diskurse eines ideologischen Paradigmas akzeptiert wer-den, dessen sich auch Ethno-Nationalisten der Jugoslawischen Teilstaaten in der Schaffung und Vertiefung der Mythen über nationale und ethnische Intoleranz und Zerstörung Jugoslawiens bedienten.3

Dennoch ist das Leben, und nicht der Tod Jugoslawiens das, was der brei-ten Weltöffentlichkeit mehr oder weniger fremd und unbekannt geblieben ist, vor allem wenn wir über die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sprechen.

Diese Arbeit stellt einen Versuch dar, den Bemühungen um die Erfor-schung der emanzipatorischen Politikrichtungen des sozialistischen Jugos-lawiens in seiner Frühgeschichte beizutragen. Dabei fokussieren wir uns auf die Erinnerungskultur im Kontext der Denkmalarchitektur und auf ein be-sonderes Ereignis im Jahr 1952, in dem in fünf jugoslawischen Städten fünf

1 Gemeint ist das Land, das von 1943 bis 1991 existier-te, und während dessen drei offizielle Namen hatte: Demokratisches Föderatives Jugoslawien (DFJ, 1943-1945), Föderative Volksrepublik Jugoslawien (FNRJ, 1945-1963), und schließlich Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ, 1963-1991).

2 Unter zahlreichen Beispielen, siehe: Thompson, Mark (1992): Paper House: Ending of Yugoslavia (Lon-don: Hutchinson); Hall, Brian (1994): The Impossible Country: A Journey through the Last Days of Yugoslavia (London: Secker & Warbury); Wachtel, Andrew (1998): Making a Nation, Breaking a Nation: Litera-

ture and Cultural Politics in Yugoslavia (Stanford: Stanford University Press); Lampe, John (1996) Yugoslavia as History: Twice There was a Country (Cambridge: Cambridge University Press); Ramet, Sabrina (2006): The Three Yugoslavias: State-Building and Legitimation, 1918-2005 (Bloomington: Indiana University Press).

3 Zur Schaffung des Mythos über den ethnischen Krieg, siehe: Philip Gagnon, Valère (2004): The Myth of Ethnic War: Serbia and Croatia in the 1990s (Ithaca: Cornell University Press)

8

4 Buden, Boris (2003): Još o komunističkim krvolocima, ili zašto smo se ono rastali. In Prelom br.5 (Beograd:Centar za savremenu umetnost), S.54.

Denkmäler für die jüdischen Opfer des Faschismus und gefallene Kämpfer im Volksbefreiungskampf (Narodno-oslobodilačka borba, NOB) errichtet wurden.

2. ERINNERUNGSKULTUR IM SOZIALISTISCHEN JUGOSLAWIEN AM BEISPIEL DER DENKMALARCHITEKTUR

Das Fundament der Geschichte des sozialistischen Jugoslawiens war der Volksbefreiungskampf, und daher wurde die Erinnerung an diesen Kampf besonders gepflegt. Neben der Pflege dieser Erinnerung wurde bei allen Ge-denkveranstaltungen auch der Sieg über den Faschismus sowie die „Brüder-lichkeit und Einheit“ aller jugoslawischen Völker gefeiert.

Da Jugoslawien bei der zweiten Sitzung des Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens (Anifašističko vijeće narodnog oslobođenja Jugoslavije, AVNOJ) am 29. und 30. November 1943 als übernationale, po-litisch emanzipierte staatliche Gemeinschaft geschaffen wurde, hatte die Ideologie des antifaschistischen Kampfes und innerhalb dieser die Brüder-lichkeit und Einheit den nationalen Diskurs übergewunden. Sich auf den ein-leitenden Text der bei dieser Sitzung getroffenen Beschlüsse berufend, erin-nert Boris Buden: „Betonen wir nochmals, damit es zu keiner Verwechslung kommt: die Menschen und Völker des ehemaligen Jugoslawiens vereinen sich nicht wegen irgendwelcher ethnischer Vertrautheit, bzw. Tradition und Perspektive des Jugoslawentums, sondern ausschließlich auf der Grundlage des gemeinsamen Kampfes gegen den Faschismus. Dieser Kampf und nicht irgendeine gemeinsame oder ethnisch vertraute Identität ist es, was sie zu einem jugoslawischen Volk macht. Das zweite, kommunistische Jugoslawi-en ist also eine rein emanzipatorische – und nicht identitätsorientierte - Ge-meinschaft.“4

Die Hervorhebung der grundlegenden Idee des sozialistischen Jugo-slawiens durch alle Arten der Gedenkveranstaltungen hatte die Festigung dieser (antifaschistischen) Gemeinschaft zum Ziel. Die Gedenkveranstal-tungen waren von wesentlicher Bedeutung im Prozess der gesellschaftlichen Integration des modernen jugoslawischen Staates, und hatten daher eine zweifache Rolle: Besinnung und Aufbau.

Neben Literatur, Malerei und Filmkunst, spielte die Errichtung von Denk-mälern eine wichtige Rolle in der Pflege der zwei öffentlichen Diskurse – Beto-nung der Zivilopfer bzw. „Opfer des Faschismus“ und der Verherrlichung der gefallenen Partisanen bzw. „gefallenen Kämpfern im Volksbefreiungskampf“.

9

5 Die genaue Anzahl der Denkmäler ist heute aus verschiedenen Gründen schwierig festzustellen. Viele von ihnen stehen überhaupt nicht unter Schutz, viele wurden zerstört oder schwer beschädigt während der Kriege in den 1990er Jahren, viele wurden durch unbekannte Täter zer-stört, und der Mangel an einschlägiger Literatur macht diese Situation sicherlich nicht leichter.

6 Das Denkmal wurde über ein ganzes Jahrzehnt lang nach dem Ideenentwurf des Bildhauers Vojin Bakić in Zusammenarbeit mit dem Architekten Berislav Šerbetić gebaut. Es wurde 1981 eröffnet, und in den Räumlichkeiten waren das Museum der Revolution, eine ethnografische Sammlung, ein Ausstellungs-raum, eine Bibliothek und ein unvollendeter multi-medialer Saal untergebracht.

7 Das Denkmal entstand nach dem Ideenentwurf von Vojin Stojić und Gradimir Vedaković in 1971.

8 Das Denkmal auf Kozara wurde 1972 feierlich eröff-net und ist Werk von Dušan Džamonja.

9 Dieser monumentale Komplex wurde 1971 errichtet, und sein Autor ist der Bildhauer Miodrag Živković.

10 SUBNOR wurde 1947 als gesellschaftlich-politische Organisation gegründet, die alle Kämpfer des Volks-befreiungskampfes NOB vereinigte, mit dem Ziel der Erhaltung ihres Vermächtnisses.

11 Vgl.: Karge, Heike (2010): Steinerne Erinnerung, versteinerte Erinnerung? Kriegsgedenken in Jugoslawi-en(1947-1970), (Wiesbaden: Harrassowitz Verlag)

12 Musabegović, Senadin (2009): Mit o pobjedi kao mit o revoluciji. In Kultura sjećanja:1945 (Zagreb: Disput), S.43

Im Zeitraum zwischen 1945 und 1991 wurden einige tausend Denkmäler errich-tet.5 Wenn man über sie nachdenkt, sind die ersten Assoziationen imposante, künstlerisch anspruchsvolle, moderne Denkmäler monumentaler Form und ab-strakter Gestaltung, die vor allem außerhalb von Städten und Dörfern errichtet wurden, im Offenen, auf authentischen Kampfschauplätzen, wie das Denkmal in Petrova Gora,6 das Denkmal in Kosmaj7, das Denkmal in Kozara8 oder der Denk-malpark Tjentište.9 Solche Denkmalkomplexe entstanden sehr oft auf Initiati-ve des Verbandes der Veteranenvereinigungen im Volksbefreiungskrieg (Savez udruženja boraca Narodno-oslobodilačkog rata, SUBNOR)10 oder verschiedener spezieller Staatskommissionen für Kennzeichnung bedeutender Orte, Ereignis-se und/ oder Daten aus dem Volksbefreiungskampf.11 Das abstrakte Design der Denkmäler hat die ideologische Botschaft nicht so offen vermittel,t wie das der Fall war mit massiven sozialistisch-realistischen Denkmälern, die in anderen Tei-len Osteuropas oder in der Sowjetunion errichtet wurden. Obwohl die offizielle jugoslawische Politik ihre Macht auf der Geschichte des Volksbefreiungskamp-fes aufbaute, hat sie nicht für die Glorifizierung des Krieges, sondern für die Idee des Friedens eingesetzt. Wie Senadin Musabegović betont: „Es geht darum, dass das Narrativ des Krieges, dessen mythologisierende Darstellung, die Richtung der Zukunft bestimmt und die Logik des Friedens strukturiert. So bestimmt die Macht, welche durch Darstellung der Vergangenheit formiert wird, die Zukunft oder anders ausgedrückt, die Projektion des Krieges durch rituelle Darstellung lenkt den Weg des Friedens, gestaltet die Entwicklungsrichtung der Gesellschaft, bildet die Logik des Alltags und bestimmt seine Formen und Tendenzen.“ 12

Dennoch war die Errichtung von Denkmälern im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg nicht Teil der offiziellen Politik des sozialistischen Jugo-slawiens. Obwohl man es nicht mit Sicherheit behaupten kann, man nimmt an, dass die Staatsspitze diese Art der Gedenkpraxis in Zeiten der Erneuerung des

10

13 Vgl.: Partizanski spomenici.Između revolucionar-ne politike i apstraktnog modernizma. In jugoLink Pregled postjugoslovenskih istraživanja Nr. 1 (http://jugolink.wordpress.com)

14 Kirn und Burghart, S. 9

15 Vgl.: Silič-Nemec, Nelida (1982): Javni spomenik na Primorskem, 1945-1978 (Koper: Založba Lipa)

16 Margalit, Avishai (2002): The Ethics of Memory (Cambridge: Harvard University Press)

17 Booth, James W. (2006): Communities of Memory: On Witness, Identity and Justice (Ithaca and London: Cornell University Press)

18 Pavićević Đorđe (2009): Pavićević Đorđe (2009): Zajednice pamćenja i režimi pamćenja: ka odgovornom pamćenju. In Kultura sjećanja:1945 (Zagreb: Disput), S.100

19 Pavićević, S. 98

20 Booth, S. 175

zerstörten Landes nicht als Priorität betrachtete. Trotzdem wurde nach Angaben von Gal Kirn und Robert Burghardt13 eine große Anzahl der Denkmäler gerade bis Mitte der 1950er Jahre gebaut. Sie führen weiter an: „Unmittelbar nach dem Zwei-ten Weltkrieg war die Errichtung von Denkmälern Teil einer breiteren Volksbe-wegung, ein wichtiger Teil der alltäglichen Praxis der Menschen. Etwa 80% aller Denkmäler, die im ersten Jahrzehnt errichtet wurden, wurden hauptsächlich auf eine sehr unkontrollierte, manchmal sehr spontane Weise gebaut.“14 Diese Denk-mäler waren sehr oft einfache Gedenktafeln und -steine oder kleine Skulpturen, die von lokalen Steinhauern und Künstlern auf Initiative der lokalen Gemeinde angefertigt wurden. Kunsthistoriker nannten sie „architektonische Volksdenk-mäler.“15 Für eine Debatte über eine geplante, organisierte und von der Staatsspit-ze initiierte Erinnerungspolitik im Kontext der Denkmalarchitektur im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg gab es also nicht viel Raum. Bedeutet dies, dass das kollektive Gedächtnis im ersten Jahrzehnt nach der Befreiung Jugoslawi-ens von der Okkupation zumindest teilweise unter ziviler Kontrolle stand?

Avishai Margalit16 und James W. Booth17 haben den Begriff „Gemeinden der Erinnerungen“ entwickelt, den Đorđe Pavićević bündig erläuterte: „Ge-meinden der Erinnerungen stellen eine ethische und/oder politische Möglich-keit des Lebens in Gemeinden dar, die durch Erzählungen als Artikulation der gemeinsamen Erfahrung, aufbewahrt in der Erinnerung, gestaltet sind. Was die Möglichkeit der Verwirklichung dieser Gemeinden anziehend macht, ist die Möglichkeit der Schaffung einer humanen menschlichen Gemeinschaft, die nicht nur durch unpersönliche moralische Forderungen vereint ist, sondern durch tiefere Verbindungen gegenseitiger Sorge und Solidarität.“18 Pavićević ist der Ansicht, dass unter idealen Umständen das kollektive Gedächtnis un-ter ziviler Kontrolle sein sollte, damit Gemeinschaften durch das soziale Netz die gemeinsame Vergangenheit organisieren können. Er führt weiter an, „dass Nationen kein guter Kandidat für die Gemeinde der Erinnerung sind“19 und ist sich mit James W. Booth einig, der schlussfolgert, dass „nationale Staaten um um 'Nationalisierung' des kollektiven Gedächtnisses und Verbot des Gruppen-gedächtnisses der Minderheiten, Immigranten und Schwachen bemüht sind.“20

Kann das sozialistische Jugoslawien als übernationale Erzeugung als „guter Kandidat“ für die Gemeinde der Erinnerung betrachtet werden?

11

21 Nach: Vajs, Albert (1954): Jevreji u novoj Jugoslaviji u Gru-pa autora (1965): Albert Vajs 1905 – 1964 Spomenica (Beo-grad: Savez jevrejskih opština Jugoslavije) S. 125 - 136

22 Vajs, S. 130

23 SJVOJ wurde 1919 als Reflexion des Bedürfnis-ses nach Vereinigung der Arbeit aller jüdischen Gemeinden im Königreich Jugoslawien (1918 – 1941) gegründet. Sein Sitz war in Belgrad.

24 Vgl.: Archiv des jüdischen historischen Museums (AJIM), Fonds Archiv von Pererin, Kasten Nr. 795

25 Vgl.: Gordiejew, Paul Benjamin (1999): Voices of Yugoslav Jewry (Albany: State University of New York Press) S. 104.

26 Ivanković, Mladenka (2007): Jevreji i Jugoslavija 1918-1953 (http://www.benevolencija.eu.org/con-tent/view/225/32/ ) , S. 13

27 Albert Altarac war kein gebildeter Rabbi, aber wäh-rend des Mangels am entsprechenden Kader hat er als meist gebildeter Kenner religiöser Fragen diese Pflicht in der Nachkriegszeit durchgeführt.

3. DIE JUGOSLAWISCHE JUDEN-GEMEINSCHAFT NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG

In Jugoslawien haben während des Zweiten Weltkriegs neben zwei Millionen anderer Bürger Jugoslawiens auch etwa 60.000 Mitglieder der jüdischen Ge-meinschaft, das sind etwa 80% der jugoslawischen Juden das Leben verloren. 21 In dieser Hinsicht, wie Albert Vajs hervorhob, bleibt die Tragödie der jugosla-wischen Juden „nur hinter der Tragödie der Juden im besetzten Polen.“22 Trotz der schwierigen Situation, in der sich die jüdische Gemeinschaft befand, wur-de die Arbeit des Verbandes der Gemeinden jüdischen Bekenntnis Jugoslawi-ens (Savez jevrejskih veroispovednih opština Jugoslavije, SJVOJ)23 weniger als zwei Monate nach der Befreiung Belgrads zum Sabbat, am 2. Dezember 1944, durch offiziell die Eröffnung der wieder aufgebauten und einzig verbliebenen Belgra-der Synagoge erneuert.24 Anwesend bei der Eröffnung der Synagoge und beim Gottesdienst waren Mitglieder des AVNOJ und der neuen jugoslawischen Re-gierung, deren Delegation von Moše Pijade geleitet wurde.25 Es ist ein durchaus seltener Fall, dass Regierungsmitglieder eines kommunistischen Landes einem Gottesdienst beiwohnen und damit auf die offizielle politische Haltung des Nachkriegsjugoslawiens hinsichtlich der jüdischen Gemeinschaft hindeuten. Mladenka Ivanković führt an: „Die Verordnungen der Verfassung aus dem Jahre 1946, die sich auf Trennung des Staates und der Kirche bezogen, hatten keinen so großen Einfluss auf die jüdische Gemeinschaft wie auf Angehörige der natio-nalen Mehrheiten in Jugoslawien und auf ihre Kirchen. Man könnte sagen, dass der Staat die Hauptgefahr in den drei Religionsbekenntnissen der Angehörigen der Bevölkerungsmehrheit: orthodox, katholisch und islamisch sah und weniger streng gegenüber Angehörigen der Minderheiten war. Das Problem der aktiven und öffentlichen Teilnahme an religiösen Ritualen wurde nie aufgeworfen, es gab auch keine Verfolgungen und Schikanen durch die Behörden.”26 Der erste jüdische Gottesdienst auf dem befreiten Territorium zeugt nicht nur von der Haltung des Staates gegenüber der jüdischen Gemeinschaft, sondern auch von der Haltung der jüdischen Gemeinschaft gegenüber dem sozialistischen Jugo-slawien. Das Gebet, das bei dieser Gelegenheit der Rabbi Albert Altarc27 sprach,

12

28 Vgl.: Archiv des jüdischen historischen Museums (AJIM), Fonds: Archiv von Pererin, Kasten Nr. 795

29 Nach: Ivanković, S 11-12

30 Vgl.: Vajs, S. 133 - 135

31 Vgl.: Archiv des Bundesministeriums für Auswär-tige Angelegenheiten, Belgrad, Fonds: politisches Archiv, Mappe 21/1945

32 Vajs, S.129

33 Vgl.: http://www.jimbeograd.org/muzej/index.html Abgerufen am: 09. Oktober 2012

illustriert sehr deutlich diese Haltung: „Allmächtiger Gott – Herrscher der Welt. [...] Heute erfüllst du dein Versprechen an unsere Urväter, als du sagtest: dir gebe ich das Land Kanaan [sic!]... Gib unseren Kämpfern Kraft, damit sie allen Versu-chungen widerstehen, damit sie den heiligen Boden der Heimat vom zornigen Feind erwehren. Amen. [...] Segne und bewahre den besten Sohn unserer Völker, beliebten Lehrer und Anführer, den Marschall von Jugoslawien Josip Broz Tito. Amen. [...] Gott segne unsere Heimat, die Föderative Volksrepublik Jugoslawien, ihre Regierung und ihre Leiter, damit sie stärker und zur Schutzmauer des Welt-friedens werden. Amen.“28.

Nach einer Zählung des SJVOJ im November 1946 betrug die Anzahl der Mitglieder der jugoslawischen jüdischen Gemeinschaft 12.495 Perso-nen.29 Albert Vajs führt dagegen die Zahl von 13.500 Überlebenden an, die nach Jugoslawien zurückgekehrt sind.30 Es ist durchaus möglich, dass die An-zahl der Mitglieder zu dieser Zeit leichte Abweichungen vorwies aufgrund or-ganisierter Wiedereinbürgerungen und individueller Rückkehr aus Konzen-trationslagern oder dem Exil. SJVOJ war vom Staat als offizieller Vertreter der jugoslawischen Juden anerkannt.31 Der SJVOJ war nach einem im Königreich Jugoslawien verabschiedeten Gesetz offiziel als religiöse Gemeinschaft an-erkant. Dieses Gesetz blieb auch in der frühen Nachkriegszeit in Kraft. Den-noch gab es immer weniger Gläubige unter den Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft. Wie Vajs hervorhebt, kam der Prozess des Laizismus, „bei der Jugend und bei Intellektuellen am schnellsten zum Vorschein.“32 Im Septem-ber 1952, bei der Sechsten Nachkriegskonferenz der jüdischen Gemeinden wurde aus dem Namen des Verbandes das „Religionsbekenntnis“ entfernt, womit sich das Wirken der nun als Verband der jüdischen Gemeinden Jugo-slawiens (Savez jevrejskih opština Jugoslavije, SJOJ) benannten Organisation auch formell an die Prinzipien des neuen politischen Regimes angepasst wur-de, also an die Trennung von Staat und Kirche.

Die Prioritäten des SJVOJ in der Nachkriegszeit waren Organisierung und Einrichtung der verschiedenen Aspekte der jüdischen Gemeinschaft wie Erneuerung und/oder Eröffnung von koscheren Suppenküchen, Altershei-men, Waisenhäusern für jüdische Kinder, Kindergärten, Erholungsstätten, die Gründung von Kulturgesellschaften und Sektionen, die Organisation von Vorlesungen, Veranstaltungen und Ähnlichem. Eine sehr bedeutende Akti-vität des SJVOJ war die Arbeit an der Gründung des Jüdischen historischen Museums in Belgrad, das bereits 1948 offiziell eröffnet wurde.33 Ivanković

13

34 Ivanković: S. 17

35 Siehe: Niewyk, Donald L.; Nicosia, Francis R. (2000): The Columbia Guide to the Holocaust (New York: Columbia University Press)

36 Vgl.: Novick, Peter (1999): The Holocaust in American Life (Boston: Houghton Mifflin), S. 63-123

37 Gitelman, Zvi (1997): „Politics and the Historiography of the Holocaust in the Soviet Union,” in Zvi Gitelman (ed.), Bitter Legacy: Confronting the Holocaust in the USSR (Bloomington: Indiana University Press), S 18

38 Zertal, Idith (2005): Israel’s Holocaust and the Politics of Nationhood (Cambridge: Cambridge University Press), S. 93-94.

schlussfolgert: „Wir können sagen, dass die Angehörigen der jüdischen Be-völkerung in Jugoslawien in der Nachkriegszeit alle Bedingungen hatten, um das Leben ihrer nationalen Gemeinschaft frei gestalten zu können, und das [sie] unter den gleichen Bedingungen wie Angehörige anderer jugoslawi-scher nationaler Gruppen [lebten].“34

4. ERSTE INITIATIVEN FÜR DAS GEDENKEN AN DIE HOLOCAUST-OPFER IN JUGOSLAWIEN

Bis zum Prozess gegen Eichmann in Israel 1961 war der Holocaust kein Ge-genstand der breiteren gesellschaftlichen Debatte. Den Begriff „Holocaust“ begann man erst in den 1960er Jahren zu verwenden.35 Sogar in Ländern mit hohem Anteil an jüdischer Bevölkerung in der Nachkriegszeit, wie den USA oder der Sowjetunion, wurde der Holocaust nicht so wie heute thematisiert. Peter Novick führt an, dass große amerikanisch-jüdische Organisationen die Erinnerung an den Holocaust unterdrückten, aus Angst, dass das Bestehen auf diesem Thema die Integration der Juden in die amerikanische Gesell-schaft behindern würde.36 Nach Zvi Gitelman bestand in der Sowjetunion neben der Unterdrückung des Bedürfnisses nach Erforschung der jüdischen Geschichte und nationalen Identität auch die „Politik der Unterdrückung des Holocaust.“37 Letztlich führt auch Idith Zertal an, dass sogar in Israel die Erinnerung an den Holocaust unterdrückt wurde, und zwar wegen der Ent-scheidung der Zionisten, den nationalen Mythos über dieses Land in die fer-ne Vergangenheit zu versetzen: „Der Staat Israel war im ersten, gestaltenden Jahrzehnt ein Denkmal der selektiven Amnesie und Löschung bestimmter Abschnitte der jüdischen Geschichte, welche seine formenden Bemühungen unterbinden und der staatlichen Geschichte von Kraft und Erneuerung wi-dersprechen könnten.“38.

In Jugoslawien gab es erste Initiativen für Gedenkveranstaltungen für die jüdischen Opfer bereits 1947. Bei der ersten Nachkriegskonferenz des SJVOJ am 29. und 30. März 1947 in Belgrad informierte der Delegier-te der jüdischen Gemeinde Sombor, Nikola Santo, die übrigen Mitglieder, dass diese Gemeinde auf dem jüdischen Friedhof in Sombor ein Denkmal und eine Denktafel errichtet hat, auf welcher die Namen von 920 Opfern

14

39 Bericht von der Ersten Konferenz des SJVOJ, ent-standen am 02. Januar 1948, AJIM, unsortiert, S. 18

40 Rede von Nikola Santo, stenografische Notizen von der Ersten Konferenz des SJVOJ, Kasten 748, Mappe 11g, Seite nicht nummeriert

41 Rede von Ruben Rubenović, stenografische Notizen von der Ersten Konferenz des SJVOJ, Kasten 748, Mappe 11g, Seite nicht nummeriert

42 Unter „fremden Besatzern“ verstand man deutsche, italienische, ungarische und bulgarische Streitkräf-

te, und unter „heimischen Verrätern“ kollaborieren-de Streitkräfte : kroatische Ustascha und Heimwehr, serbische Tschetnik, slowenische Weiße Armee und albanische Balli Kombetar.

43 Vgl.: Bericht von der Ersten Konferenz des SJVOJ, entstanden am 02. Januar 1948, AJIM, unsortiert, S. 17

44 AJIM, Bulletin des Verbandes der jüdischen Ge-meinden FNRJ 1952, Nr. 1-7, S. 17

45 AJIM, Bulletin des Verbandes der jüdischen Ge-meinden FNRJ 1952, Nr.9-11, S. 13

geschrieben wurden, „Männern, Frauen und Kindern – Mitgliedern der jü-dischen Gemeinde Sombor, die von den Faschisten in verschiedenen To-deslagern ermordet wurden,“ und dass der Enthüllung der Gedenktafel „die Delegation des SJVOJ, Vertreter übriger jüdischer Gemeinden, Vertreter des SUBNOR, Vertreter der Volksbehörden und die Jugoslawische Volksar-mee (Jugoslavenska Narodna Armija, JNA) beiwohnten.“39 Nikola Santo rief damals den SJVOJ zur organisierten Errichtung von Denkmälern auf, „für diejenigen, die durch die Hand der Faschisten ums Leben kamen,“40 wäh-rend der Delegierte aus Belgrad Ruben Rubenović hervorhob: „Wir sollten uns vor allem des Kampfes gegen den Faschismus erinnern.“41 Nach dem Bericht von dieser Konferenz hat der SJVOJ zahlreiche Vorschläge für die Errichtung von Denkmalen und für die Wiederherstellung der jüdischen Friedhöfe erhalten, die während des Zweiten Weltkriegs „durch fremde Besatzer und heimische Verräter“42schwer beschädigt oder völlig zerstört worden waren.43 Die Frage des Gedenkens der jüdischen Opfer wurde in der nächsten Zeit mit der Frage der Lösung von Problemen hinsichtlich der jü-dischen Friedhöfe untrennbar verbunden. Dennoch war die Errichtung von Denkmälern zu dieser Zeit keine Priorität in der Tätigkeit des SJVOJ, „we-gen materiellen und technischen Schwierigkeiten und wegen dringenderen Aufgaben.“44. Dies bedeutet aber nicht, dass das Gedenken den jüdischen Opfern eingestellt wurde. Im Gegenteil, bis 1952 wurden insgesamt 14 Denkmäler errichtet, „in verschiedenen Teilen unseres Landes, und jedes Denkmal wurde sehr feierlich enthüllt.”45 Obwohl diesen Veranstaltungen Vertreter des SJVOJ, der Jugoslawische Volksarmee (Jugoslavenska Narod-na Armija, JNA) und der Volksbehörden beiwohnten, das waren weiterhin nicht koordinierte Initiativen kleiner Gemeinden wie Stara Kanjiža, Mol, Senta, Bačko Petrovo Selo, Ada oder Čakovec, die keine große Publizität hatten.

Letztendlich wurde bei der Fünften Konferenz des SJVOJ, die am 23. April 1950 stattfand, die Entscheidung getroffen, dass Denkmäler „in zentra-len Städten derjenigen Volksrepubliken aufgebaut werden, auf deren Territo-rium die meisten Juden gelebt und ums Leben gekommen sind, und dass die-

15

46 AJIM, Bulletin des Verbandes der jüdischen Ge-meinden FNRJ 152, Nr. 1-7, S. 17

47 Vgl.: AJIM, Bulletin des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ 1952, Nr. 1-7.

48 Die jüdische Gemeinde Đakovo war sehr viel kleiner als die anderen und benötigte daher Hilfe bei der Organisation. Zur Hilfe kam natürlicherweise die am nähesten liegende jüdische Gemeinde Osijek.

se Aufgabe spätestens während des Jahres 1952 durchgeführt wird, denn vor zehn Jahren bzw. 1942 wurde der Hitler-Plan über die totale Vernichtung aller Juden verabschieden.46 In Übereinstimmung mit allen jüdischen Gemeinden entschied der Exekutivausschuss des SJVOJ, dass als Teil eines einheitlichen Aktes die Denkmäler auf jüdischen Friedhöfen in den Volksrepubliken: in Kroatien (in Zagreb und Đakovo), Serbien (in Novi Sad und Belgrad) und Bosnien und Herzegowina (in Sarajevo) errichtet und verschiedene beglei-tende Feierlichkeiten in Anwesenheit der breiteren jugoslawischen Öffent-lichkeit und Gästen aus dem Ausland organisiert werden sollten.47 Obwohl man es mit Sicherheit nicht behaupten kann, ist es durchaus möglich, dass die Entscheidung über die Errichtung der Denkmäler auf jüdischen Friedhö-fen als Antwort auf die Initiativen zur Lösung der Frage ihrer Vernachlässi-gung getroffen wurde. In jedem Fall jedoch gelang dem SJVOJ hat durch die-se getroffenen Entscheidungen die Lösung zweier wesentlicher Fragen: die Frage eines Gedenkens an die jüdischen Opfern, das die lokalen Bezüge über-schreiten und große Publizität haben würde, sowie die Frage nach der Wie-derherstellung der Friedhöfe, die in jüdischer Tradition als heilige Orte bzw. „Häuser der Ewigkeit“ (Beth Olam) betrachtet werden. Für die Vorbereitung und Organisation der Gedenk- und aller begleitenden Veranstaltungen wur-de der Irdische Ausschuss (Zemaljski odbor) gegründet. Der Vorsitzende des Ausschusses war Albert Vajs, Präsident des SJVOJ, und der Ausschuss hatte sechs Mitglieder des Exekutivausschusses des SJVOJ, jeweils einen Vertre-ter jeder der fünf jüdischen Gemeinden, in welchen die Denkmäler errichtet werden sollten (Zagreb, Đakovo, Novi Sad, Belgrad und Sarajevo), und einen Vertreter der Gemeinde Osijek48.

5. ENTHÜLLUNG DER FÜNF DENKMÄLER FÜR DIE JÜDISCHEN OPFERN DES FASCHISMUS UND DIE GEFALLENEN KÄMPFER IM VOLKSBEFREIUNGSKRIEG 1952 – EINE EINZIGARTIGE GEDENKVERANSTALTUNG

Planmäßig und in Einklang mit den Entscheidungen des Exekutivausschus-ses des SJVOJ wurden während 1952 fünf Denkmäler für „jüdische Opfer des Faschismus und gefallene Kämpfer im Volksbefreiungskrieg“ errichtet und fand ihre feierliche Enthüllung zusammen mit begleitenden Zeremonien in fünf jugoslawischen Städten in der Zeit zwischen dem 28. August und 11. Sep-

16

49 AJIM, Bericht über Enthüllung der fünf Denkmäler für die jüdischen Opfer des Faschismus und gefalle-ne Kämpfer in Jugoslawien, Bulletin des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ 1952, Nr. 9-11, S.13.

50 Filmske novosti wurde am Tag der Befreiung Bel-grads, am 20. Oktober 1944, als Filmsektion bei der Abteilung des Generalstabs der Volksbefreiungs-armee gegründet, und 1950 zum Centralni studio Filmskih novosti umbenannt.

51 Unter zahlreichen Beispielen siehe: “Spomenik Židovima palim u NOB-i,” Vjesnik (18 August 1952); “Spomenik Židovima—žrtvama fašizma,” Narodni list (21 August 1952); “Otkrivanje spomenika Jev-rejima—žrtvama fašizma,” Borba (27 August 1952); “Svečano je otrkiven spomenik palim Židovima—žrtvama fašističkog terora,” Riječki list (29 August 1952); “U nedjelju će se otrkiti spomenik židovskim žrtvama fašizma u Đakovu,” Glas Slavonije (29 August 1952); “Svečano otkrivanje spomenika palim

Židovima—žrtvama fašističkog terora,” Narodni list (30 August 1952); “Otkriven spomenik Jevreji-ma—palim borcima i žrtvama fašizma,” Slobodna Vojvodina (2 September 1952) “Svečano otkrivanje spomenika žrtvama fašizma i palim jevrejskim bor-cima Srbije,” Politika (5 September 1952); “Otkrivan-je spomenika Jevrejima—palim borcima i žrtvama fašizma u Sarajevu,” Oslobođenje (10 September 1952); “Svečano otkrivanje spomenika Jevrejima—palim borcima i žrtvama fašizma,” Oslobođenje (12 September 1952); etc.

52 Vollständige Liste der Gäste aus dem Ausland siehe im: Bericht über Enthüllung der fünf Denkmäler an die jüdischen Opfer des Faschismus und gefallene Kämpfer in Jugoslawien, Bulletin des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ 1952, Nr. 9-11, S. 31-32.

53 AFŽ war eine gesellschaftlich-politische Frauenor-ganisation, die während des Zweiten Weltkriegs, am 06. Dezember 1942, in Bosanski Petrovac gegründet wurde.

tember 1952 statt. Die Gedenkveranstaltungen wurden ohne einen Tag Pause nach folgendem Plan vollzogen:

28., 29. und 30. August in Zagreb,31. August in Đakovo,1. und 2. September in Novi Sad,3. bis 8. September in Belgrad,9., 10. und 11. September in Sarajevo.Wie im Bericht über die Enthüllung der Denkmäler angeführt wird, er-

hielten „diese Feierlichkeiten besondere Bedeutung und wurden zur großen Manifestation, die für immer bei uns allen in Erinnerung bleiben wird und die nicht nur in unserem Land, sondern weit über ihre Grenzen hinaus Wider-hall hatten.“49. Die Gedenkveranstaltungen erfuhren tatsächlich eine große Berichterstattung in den Medien. Centralni studio Filmskih Novosti50 filmte 200m Material, das die Gedenkveranstaltungen in allen fünf Städten festhielt. Die größten Radiosender in Jugoslawien berichteten mehrmals am Tag über ihren Verlauf, und Zeitungen mit der höchsten Auflage veröffentlichten zahl-reiche Artikel über die Errichtung der Denkmäler.51 Die Bedeutung dieser Er-eignisse widerspiegelte sich auch im Programm der Gedenkveranstaltungen in den einzelnen Städten, das in Übereinstimmung mit dem diplomatischen Pro-tokoll wichtiger politischer Ereignisse durchgeführt wurde, und nicht zuletzt auch in der Anzahl und dem Rang der Gäste. Neben zahlreichen Vertretern ver-schiedener jüdischer Organisationen aus New York, Paris, Genf, Rom, Buenos Aires, Tel Aviv, London und Los Angeles,52 nahmen an den Gedenkveranstal-tungen auch hohe Vertreter des Volksparlaments Jugoslawiens, Regierungsmi-nister, Parlamentsabgeordnete, Vertreter der Obersten Gerichte, der JNA, des SUBNOR, der Antifaschistischen Frauenfront (Antifašistički front žena, AFŽ)53,

17

54 SPJ wurde durch die Kommunistische Partei Jugoslawiens am 27. Dezember 1942 gegründet, und seine Mitglieder waren Kinder aus den ersten sieben Klassen der Volksschule.

55 AJIM, Bericht über Enthüllung der fünf Denkmäler für die jüdischen Opfer des Faschismus und gefalle-nen Kämpfer in Jugoslawien, Bulletin des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ 1952, Nr. 9-11, S. 14.

56 Vgl.: Seite 9 dieses Textes

des Studentenverbands und des Verbands der Pioniere Jugoslawiens (Savez pionira Jugoslavije, SPJ)54, Vereine und Verbände der Schriftsteller und bilden-den Künstler teil. An den Feierlichkeiten in allen fünf Städten haben, ohne Aus-nahme, auch hohe Vertreter der orthodoxen, katholischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften zusammen mit Vertretern der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (Komunistička partija Jugoslavije, KPJ) teilgenommen. Der Bericht über die Enthüllung der Denkmäler betont vor allem, dass „so eine Übersicht der Veranstaltungen, die Stimmung der Brüderlichkeit und Einheit aller jugoslawischen Völker, die mit besonderer Wärme und Verständnis die kleine jüdische Gemeinschaft umarmt haben, nicht zur Gänze widerspiegeln kann [...]”55.

Dass es sich um ein einzigartiges Ereignis nicht nur in Jugoslawien, sondern in der ganzen Welt der 1950er Jahre handelte, darauf deuten seine drei sehr interessanten Aspekte hin. Der erste ist, dass in der jugoslawischen Tradition bei der Errichtung der Denkmäler „für Opfer des Faschismus und gefallene Kämpfer im Volksbefreiungskampf“ der ethnische Partikularismus sehr streng vermieden wurde, während in diesem Fall dem offiziellen Schlag-wort der Gedenkveranstaltungen das ethnische Vorzeichen – „für jüdische Opfer des Faschismus und gefallene Kämpfer im Volksbefreiungskampf" – hinzugefügt wurde. Der zweite interessante Aspekt sind sicherlich der histo-rische Kontext und das Aussehen der Denkmäler, die ohne Zweifel jüdische Motive und Symbole tragen (darüber wird später im Text die Rede sein).

Schon früher erwähnte ich die Beziehung zur Erinnerung an den Ho-locaust, die in westlichen Verhältnissen bis zum Prozess gegen Eichmann dominant war.56 Sogar in Ländern, in denen in den 1960ern und 1970ern Jah-ren zahlreiche Denkmäler für die Opfern während des Zweiten Weltkriegs entstanden, waren die jüdischen Opfer nicht speziell hervorgehoben, son-dern sollten unter der rituellen Bezeichnungsweise der Opfern als „Opfer des Faschismus“ verstanden werden. Eines der bekanntesten Beispiele ist sicherlich das Denkmal in Babyn Jar, ein Stadtteil von Kiew, das 1976 enthüllt wurde. In diesem Ort, wo Nationalsozialisten innerhalb von nur zwei Tagen 1941 über 33.000 Juden ermordet haben, wurde das Denkmal den „sowjeti-schen Bürgern und Kriegsgefangenen, ermordet durch den nationalsoziali-stischen Besatzer“ errichtet und trug absolut keine Zeichen oder Motive aus der jüdischen Tradition, wie das der Fall war mit den Denkmälern, die 1952 in Jugoslawien errichtet wurden. Dies bringt uns schließlich zum dritten inter-essanten Aspekt der Ereignisse aus 1952. Sogar, als an das Leiden der Juden

18

57 Die Entscheidung über Gründung dieser Staats-kommission wurde bei der Zweiten Sitzung des AVNOJ am 30. November 1943 getroffen, und der Präsident des SJVOJ war Albert Vajs, sein gleichbe-rechtigtes Mitglied.

58 Vgl.:Levental, Zdenko (Eds.) (1952): Zločini fašističkih okupatora i njihovih pomagača protiv Jevreja

u Jugoslaviji (Belgrad: Savez jevrejskih opština Jugoslavije)

59 AJIM, Bericht über Enthüllung der fünf Denkmäler an die jüdischen Opfer des Faschismus und gefalle-nen Kämpfer in Jugoslawien, Bulletin des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ 1952, Nr. 9-11, S.37

immer mehr erinnert wurde und das Bewusstsein über den Holocaust und das Gedenken an ihn bedeutende Kennzeichen des modernen Judentums wurden, wurden sehr selten die aktive Rolle dieses Volks und sein Kampf ge-gen den Faschismus betont, wie das in Jugoslawien der Fall war.

Es ist auch interessant, auf die Dynamik der Gedenkveranstaltungen aus 1952 einen Blick zu werfen. Mit der Entscheidung, dass die Enthüllungen der Denkmäler zusammen mit zahlreichen begleitenden Zeremonien konti-nuierlich vom 28. August bis 11. September an in den drei größten jugoslawi-schen Republiken stattfinden sollten, sicherte der SJVOJ diesem einzigarti-gen Ereignis auch föderative Bedeutung. Darauf, wie strategisch durchdacht die Leitung des SJVOJ mit Albert Vajs an der Spitze den Prozess der Gedenk-veranstaltungen organisierte, weist auch die Tatsache hin, dass der SJVOJ im gleichen Jahr ein Buch in 4.000 Exemplaren veröffentlichte, das auf der Ar-beit der Staatskommission für Kriegsverbrechen der Besatzer und ihrer Hel-fer57 begründet war und in dem auch Dokumente über die Verbrechen gegen Juden begangen in Jugoslawien veröffentlich wurden.58 Der Bericht über die Errichtung der Denkmäler führt auch an, dass zu Beginn der Feierlichkeiten auch die ersten Exemplare des Buchs veröffentlicht wurden, „was auch zur Publizität und Bedeutung unserer Feierlichkeiten beigetragen hat.“59.

6. FINANZIERUNG DER EINRICHTUNG DER GEDENKSTÄTTEN, DES AUSBAUS DER DENKMÄLER UND DER BEGLEITENDEN ZEREMONIEN

Wie oben erwähnt, wurde im Rahmen des SJVOJ der Irdische Ausschuss ge-gründet, der sich mit Fragen der Koordination der Arbeiten aller jüdischen Gemeinden, die an der Organisation dieses Unterfangens teilgenommen haben, befasste. Die einzelnen Gemeinden waren für die Einrichtung der Kapellen und Friedhöfe sowie der Gedenkstätten, den Aufbau der Denkmä-ler und Organisation der begleitenden Zeremonien verantwortlich. Wie im Bericht über die Errichtung der Denkmäler angeführt wird: „Es war jedem Gemeinde-Veranstalter überlassen, im Rahmen der allgemeinen Richtlinien und Suggestionen des Verbandes, nach eigener Wahl und nach Möglichkei-ten ein Denkmal zu errichten, alle Mittel dafür zu sichern und die Feierlich-

19

60 AJIM, Bericht über Enthüllung der fünf Denkmäler an die jüdischen Opfer des Faschismus und gefalle-nen Kämpfer in Jugoslawien, Bulletin des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ 1952, Nr. 9-11, S.29

61 AJIM, Bericht über Enthüllung der fünf Denkmäler an die jüdischen Opfer des Faschismus und gefalle-

nen Kämpfer in Jugoslawien, Bulletin des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ 1952, Nr. 9-11, S.30

62 Zahlreiche Kopien der Empfangsscheine über erhaltene Finanzmittel von verschiedenen jugosla-wischen Unternehmen und Gewerkschaften, sowie Privatpersonen siehe im AJIM, unsortiert

keiten sowie alle Veranstaltungen zu organisieren.”60 Ein Dokument darüber, was eigentlich die „allgemeinen Richtlinien und Vorschläge“ des SJVOJ sind, war zwar nicht zu finden, doch vermuten wir, dass dies im Zusammenhang mit der Analyse der einzelnen Denkmäler klarer werden kann. Mit Ausnahme von Đakovo hatten alle anderen Gemeinden (Zagreb, Belgrad, Sarajevo und Novi Sad) eigene Finanzierungswege gefunden. Da die jüdische Gemeinde Đakovo klein war, hat der SJVOJ die Geldbeschaffung für die Einrichtung der Friedhöfe, die Errichtung der Denkmäler und die Organisation der Feierlich-keiten übernommen. Im Bericht über die Errichtung der Denkmäler wird angeführt: „Obwohl wir zweifellos das moralische Recht hatten, uns gerade in dieser Angelegenheit an die jüdischen Organisationen im Ausland um fi-nanzielle Hilfe zu wenden […] haben wir das nicht getan. Wir wären berech-tigt gewesen, jugoslawische Juden, die heute in anderen Ländern leben, um finanzielle Hilfe zu ersuchen, da wir diese Denkmäler zu Ehren der gemein-samen Opfer errichtet haben und weil diese Denkmäler für sie genauso wie für uns das gleiche Heiligtum darstellen. Jedoch haben wir das nicht getan, denn durch die lokal organisierte Finanzierung wollten wir den hohen Grad an Bewusstsein und Hingabe hinsichtlich einer so historischen Aufgabe zei-gen und beweisen.“61.

Die Mittel wurden von Mitgliedern der jugoslawischen jüdischen Gemeinschaft aufgebracht, da diese aber nicht ausreichend waren, haben einzelne Gemeinden und der SJVOJ von Privatpersonen und zahlreichen Organisationen aus ganz Jugoslawien Hilfe erhalten. Da wir im Archiv des jü-dischen historischen Museums keine offiziellen Dokumente über Forderung nach Mitteln gefunden haben, kann angenommen werden, dass Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft durch persönliche Kontakte mit Vertretern der Behörden, Arbeitergewerkschaften, verschiedenen Betriebsstätten und Un-ternehmen in allen jugoslawischen Republiken zu den benötigten Mitteln ge-langten.62 Letztendlich haben die Regierungen der Volksrepubliken Serbien und Kroatien große Geldspenden geleistet: die Regierung der Volksrepublik Serbien einen Betrag von 1.500.000 Dinar und die Regierung der Volksre-publik Kroatien im Betrag von 400.000 Dinar. Neben Geldspenden haben Volksbehörden durch Anschaffung von Material für den Bau der Denkmäler, Arbeitskraft für die Einrichtung der Friedhöfe, Gewährleistung breiter Publi-zität für die Gedenkveranstaltungen, Ermöglichung von 50% Ermäßigung für Bahnreisen (zum Zweck der Reise in die Städte, wo die Veranstaltungen statt-gefunden haben) und Hotelermäßigungen für Auslandsgäste Hilfe geleistet.

20

Warum haben die Volksbehörden mit so viel Energie die Schaffung ei-ner übernationalen Identität im Zuge des Gedenkens an die Opfer und Kämp-fer jüdischer Herkunft unterstützt? Wenn die Staatsleitung Jugoslawiens mit allen Mitteln jeden Ethnonationalismus erstickte um die Desintegration Ju-goslawiens zu verhindern, wie begründet sich dann die unzweifelhafte Beto-nung der Volkszugehörigkeit der Opfer und Kämpfer in diesem Fall? Wenn dieses Ereignis auf die tiefe Solidarität Jugoslawiens mit ihrer jüdischen Gemeinschaft hindeutete, mussten dann die staatlichen Autoritäten nicht fürchten, dass auch andere nationale Gemeinschaften die Errichtung von Denkmälern für die Angehörigen ihrer nationalen oder ethnischen Gruppe fordern könnten? Es ist daher interessant, auf die Gestaltung dieser Denkmä-ler und die Feierlichkeiten während ihrer Enthüllung zurückzublicken.

7. BESCHREIBUNG UND ANALYSE DER FÜNF DENKMÄLER

7.1 DENKMAL IN ZAGREB

Das Denkmal in Zagreb (Abbildung 7.1.1) wurde auf dem Zagreber Haupt-friedhof Mirogoj errichtet, in dem Teil des Friedhofs, wo Angehörige der jü-dischen Gemeinde beerdigt wurden. Das Denkmal stellt eine Skulptur des Moses im Moment eine kleinen aber entschiedenen Schrittbewegung dar. Die Dimensionen der Skulptur übertreffen die menschliche Größe. In einer Hand hält Moses die Tafel mit den Geboten Gottes und, auf sie blickend, zeigt er mit dem Zeigefinger der anderen Hand auf das Gebot: „Du sollst nicht tö-ten!“. Die Skulptur steht in der Mitte einer großen Steinterrasse. Die Terrasse ist mit einer niedrigen Mauer aus schwarzem Marmor umgeben, die eingra-vierte Beschriftungen in serbokroatischer und hebräischer Sprache lautet: „Jüdischen Kämpfern, gefallen im Kampf für die Befreiung der Völker Jugos-lawiens und jüdischen Opfern des Faschismus 1941-1945.“

Die Skulptur des Moses ist Werk eines der bedeutendsten Bildhauer aus dem jugoslawischen Raum, Antun Augustinčić (1900-1979). Sein welt-weit bekanntestes Werk ist das Standbild der Reiterin zu Pferd „Frieden“, das 1954 vor dem Gebäude der Vereinten Nationen in New York aufgestellt wur-de. Er ist auch als „Titos Bildhauer“ bekannt, denn er war sein enger Freund und Autor der berühmten Statue von Josip Broz Tito „Marschall Tito“, die 1948 in Kumrovac errichtet wurde. Die Skulptur des Moses hat er bereits 1932 als Auftrag für das Grab der Familie Glück in Zagreb angefertigt. Als die Lei-ter der jüdischen Gemeinde Zagreb ihre Mitglieder um Hilfe für die Finan-zierung der Denkmalerrichtung baten, hat die Familie Glück als Zeichen der Frömmigkeit und im Austausch für ein kleineres Denkmal die Skulptur des Moses zur Verfügung gestellt, die dann einfach den Standort wechselte, wäh-

21

63 Vgl.:Danon, Cadik (1996): Zbirka pojmova iz Judaiz-ma (Belgrad: Savez jevrsjskih opština Jugoslavije), S. 188.

rend die Terrasse und die Wand mit den eingravierten Beschriftungen dazu gebaut wurden.

Hinter der Skulptur des Moses befindet sich auch eine Grabstätte. Unter der Wand auf welcher sich die Beschriftung in hebräischer Sprache be-findet, ist ein Holzsarg (Abbildung 7.1.2) begraben. Im Sarg befinden sich die Charta über die Errichtung des Denkmals und zwei in Leder gebundene Bü-cher, welche die Liste der Namen der gefallenen jüdischen Kämpfer und bis dahin bekannter Zivilopfer des Faschismus im Territorium der Volksrepublik Kroatien dokumentieren. Die Beerdigung von Büchern ist Teil der jüdischen Tradition. Beschädigte Bücher, hauptsächlich die Tora, oder beschädigte Ge-betsbücher werden in weiße Tücher eingewickelt, auf Bretter oder in einen Sarg gelegt und unter Lesung von Gebeten begraben. In diesem Fall wurden allerdings zwei neue, für diese Gelegenheit geschaffene Bücher begraben. Die Zeremonie der Enthüllung des Denkmals in Zagreb 1952 begann mit der sym-bolischen Beerdigung. Die Begleitung des Verstorbenen zu seiner Grabstätte wird in der jüdischen Tradition als gute Tat (Mizwa) betrachtet.63 Der Sarg

Abbildung 7.1.1: Das Denkmal in Zagreb, 1952; Foto mit freundlicher Genehmigung: Jüdisches Historisches Museum in Belgrad

22

mit den Büchern und der Charta wurde im religiösen Ritual der Beerdigung und mit Chorbegleitung in die Grabstätte gelegt. Danach folgten feierliche Reden der Vertreter der jüdischen Gemeinde Zagreb, des Präsidenten des SJVOJ, der Vertreter der Volksbehörden und jüdischer Organisationen aus dem Ausland; der Zeremonie wurde mit der Abgabe von drei Ehrenschüssen der JNA-Einheit beendet.64 Obwohl bei der orthodoxen jüdischen Gemein-schaft die Niederlegung von Blumen verboten ist und bei den Reformisten oder der säkularen Gemeinschaft zumindest als ungewöhnlich betrachtet wird, denn dies wird als ein heidnischer Brauch angesehen, wurden zahlrei-che Kränze und Blumen auf das Denkmal gelegt. Diese Gesten weisen dar-auf hin, wie die eigentliche Gedenkveranstaltung ein einzigartiges Gleich-gewicht zwischen den Ritualen der jüdischen Tradition und des modernen jugoslawischen Staates darstellte, die nach Regel das Gedenkschlagwort „gefallene Kämpfer und Opfer des Faschismus“ verstanden, dreifachen Eh-renschuss der JNA-Einheit, lange und ehrenhafte Reden, Legung der Blu-men und Kränze.

64 Liste der Redner siehe im: AJIM, Bericht über Enthüllung der fünf Denkmäler an die jüdischen Opfer des Faschismus und gefallenen Kämpfer in

Jugoslawien, Bulletin des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ 1952, Nr. 9-11, S.14

Abbildung 7.1.2: Der Sarg, 1952; Foto mit freundlicher Genehmigung: Jüdisches Historisches Museum in Belgrad

23

65 Vgl.: http://www.radio-djakovo.hr/2012/06/dakovcako-zidovsko-groblje-jedinstveno-u-svijetu/ Abgerufen am: 17.10. 2012

In der Fortsetzung der Gedenkfeierlichkeiten während der nächsten beiden Tage wurden ein Klavierkonzert mit Antonija Geiger-Eichhorn, die Theatervorstellung „Für Frieden“ von Rudolf Zupčić und Marcel Kasović, gespielt von Kindern und Jugendlichen der jüdischen Gemeinde Zagreb, fei-erliche Sitzungen und ein Empfang der Mitglieder des SJVOJ sowie der Gäste aus dem Ausland im Volksparlament der Volksrepublik Kroatien organisiert.

7.2 DENKMAL IN ĐAKOVO

Der jüdische Friedhof in Đakovo besteht seit 1879. Nach Worten des Sekre-tärs der Jüdischen Gemeinde, Osijek Dragutin Kohn, ist der Friedhof einzig-artig in der Welt, weil die Namen von 569 Opfern des Konzentrationslagers der Ustascha, die auf diesem Friedhof begraben wurden, aufbewahrt und be-kannt sind, dank eines Totengräbers, der heimlich Buch führte.65 In Đakovo war nämlich während des Zweiten Weltkriegs ein Konzentrationslager für jüdische und serbische Frauen und Kinder untergebracht, das jedoch 1942 aufgelöst wurde, weil eine Typhusepidemie ausgebrochen war. Alle Überle-benden wurden in das Konzentrationslager Jasenovac verlegt. Mit den Mit-teln, welche der SJVOJ sammelte, wurde der Friedhof von Đakovo erneuert, und jedes bekannte Grab wurde mit einer eigenen Namenstafel gekenn-zeichnet.

Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Friedhofskapelle erneuert, in welche ein Denkmal gestellt wurde (Abbildung 7.2.1). Das Denkmal ist eine große, dunkelrote Urne aus Stein, die auf einem weißen, steinernen Gestell platziert ist. Die Urne hat scharfe Ecken und einen Deckel in pyra-midaler Form. Sie ist mit einfachen kreis- und halbförmigen Dekorationen geschmückt, und in ihrem zentralen Teil auf der Vorderseite ist die Be-schriftung „(den) Opfern des Faschismus 1941-1942“ in hebräischer und serbokroatischer Sprache eingraviert. Dieses Denkmal unterscheidet sich von dem in Zagreb nicht nur wegen schlichteren Dimensionen und weil es im geschlossenen Raum der Kapelle errichtet ist, sondern weil es zum Zei-chen der Erinnerung an die in einem bestimmten Zeitraum 1941-1942 um-gekommenen Frauen und Kinder im Konzentrationslager Đakovo errichtet wurde. Aus diesem Grund wurde aus dem Gedenkschlagwort der Teil „den gefallenen Kämpfern“ ausgelassen. Das Zagreber Denkmal hat nicht diesen lokalen Charakter, sondern erinnert an die Kämpfer und Opfer im Territori-um der ganzen Volksrepublik Kroatien im Zeitraum zwischen 1941 und 1945. Beim Denkmal in Đakovo ist die Ethnizität der Opfer nicht betont wie beim Zagreber Denkmal. Es kann nicht mit Sicherheit behauptet werden, aber man

24

66 Angabe über Umgekommene nach: Romano, Jaša (1980): Jevreji Jugoslavije 1941-1945. Žrtve genocida i učesnici Narodno-oslobodilačkog rata (Beograd: Savez jevrejskh opština Jugoslavije), S. 109

67 Liste der Denkmäler von Miroslav Vertačnik siehe: Jurinić, Polona (2012): Slovenske boje u hrvatskoj umjetnosti (Zagreb: Slovenski dom) S. 118

68 Vgl.: S. 13 dieses Textes

69 Levi, David (Eds.) (1969): Spomenica 1919-1969 (Be-ograd: Savez jevrejskih opština Jugoslavije), S. 135

nimmt an, dass dies ausgelassen wurde, weil im Konzentrationslager Đakovo neben den entdeckten 569 jüdischen auch über 20 serbische Frauen und Kin-der ihr Leben gelassen haben.66

Der Autor dieses Denkmals ist Miroslav Vertačnik (1913-1993), ein Flüchtling aus dem Konzentrazionslager, der am Anfang des Zweiten Welt-kriegs durch die Ustascha in Sarajevo, wo er den Wehrdienst leistete, gefan-gen genommen wurde. Nach dem Krieg war er einer der Schüler von Antun Augustinčić, dem Autor des Zagreber Denkmals. Vertačnik fertigte zahlrei-che Denkmäler mit der Thematik des Volksbefreiungskriegs an.67 Es bleibt unklar, warum gerade seine künstlerische Lösung für die Realisierung aus-gesucht wurde. Zudem bleibt auch unklar, ob überhaupt ein offener Wett-bewerb für die Anfertigung des Denkmals von Đakovo ausgeschrieben war; es ist daher nicht ausgeschlossen, dass sich die Leiter der Gemeinde Đakovo direkt an Vertačnik gewendet haben.

Schon früher wurde erwähnt, dass die jüdischen Gemeinden im Rah-men der „allgemeinen Richtlinien und Suggestionen“ des SJVOJ Autonomie in der Entscheidung hinsichtlich Auswahl und Ausarbeitung des Denkmals hatten.68 Die Entscheidung der Leiter der Gemeinde für eine große steinerne Urne als Denkmal wirkt eigenartig. Denn Urnen sind in der jüdischen Tradi-tion als Motiv und Symbol nicht gebräuchlich, noch weniger aber im Beerdi-gungsritus, da sie mit der Feuerbestattung in Verbindung gebracht werden. Die Verbrennung wird in der jüdischen Tradition als Beleidigung für den Menschen betrachtet, obwohl keine Vorschrift besteht, welche die Aufbe-wahrung von Asche in einer Urne und ihre Beerdigung auf einem jüdischen Friedhof verbieten würde. Im Gedenkbuch, das zum fünfzigsten Jahrestag der Gründung des SJVOJ veröffentlicht wurde, steht, „diese Denkmäler stel-len symbolisch die unbekannten Gräber derjenigen dar, die in faschistischen Todeslagern und anderen Massenvernichtungsstätten getötet wurden [...] und deren Asche und Knochen über viele bekannte und unbekannte Orte verstreut sind.“69 So kann diese Urne als symbolische Grabstätte der umge-kommenen Insassen des KZ Đakovo, deren Gräber unbekannt sind, betrach-tet werden. Wie im Fall des Denkmals in Zagreb wurden in die Urne zwei in Leder gebundene Bücher gelegt, welche die Namen aller bekannten Opfer des KZ Đakovo dokumentieren.

Die Gedenkzeremonie begann wie in Zagreb mit einer feierlichen Prozession der Einwohner von Đakovo, der Organisatoren, Volksbehörden

25

und Gäste, mit der Ehreneinheit der JNA an der Spitze. Die feierlichen Re-den wurden auch in Đakovo nicht ausgelassen, wobei hier neben Vertretern des SJVOJ, der Gemeinde Đakovo und der Volksbehörden, auch der Bischof der katholischen Kirche, sowie Vertreter der Kommunistischen Partei Jugo-slawiens Reden gehalten haben. Ungeachtet der Besonderheiten wurde bei der Gedenkveranstaltung von Đakovo der revolutionäre Diskurs ebenfalls nicht vermieden. Nach dem dreifachen Ehrenschuss und der Niederlegung von Blumen und Kränzen auf die Urne ist die Prozession zum christlichen Friedhof aufgebrochen, wo Kränze auf das Denkmal zur Erinnerung an die 187 Bürger von Đakovo, die als Kämpfer im Volksbefreiungskampf gefallen sind, gelegt wurden.

Abbildung 7.2.1: Das Denkmal in Đakovo, 1952; Foto mit freundlicher Genehmigung: Jüdisches

Historisches Museum in Belgrad

26

70 Liste der Arbeiten von Dejan Bešlin siehe in: Rajčević, Uglješa (2010): Vajar Dejan Bešlin (1897-1967). In Rad muzeja Vojvodine br. 52 (Novi Sad: Muzej Vojvodine), S. 281-293

71 66 Juden aus Novi Sad sind als Teilnehmer des Volksbefreiungskampf umgekommen. Nach: Romano, S. 251

7.3 DENKMAL IN NOVI SAD

Wie in Zagreb und Đakovo wurde das Denkmal in Novi Sad auf dem jüdischen Friedhof errichtet, der in dieser Stadt Anfang des 19. Jahrhunderts entstan-den ist. Das Denkmal (Abbildung 7.3.1) ist neben der Kapelle aufgestellt und zur Gänze aus weißem Marmor angefertigt. In seinem zentralen Teil befin-det sich eine Urne ohne Dekorationen, die auf einem Gestell platziert ist, das größer als die Urne ist. Auf dem Gestell dominiert das Relief der Menora, und auf seinem unteren Teil ist die reliefartige Beschriftung „1941-45“ eingraviert. Auf dem Boden unter dem Gestell befindet sich eine Tafel mit eingravierter Beschriftung in hebräischer und serbokroatischer Sprache: „Zur Erinnerung an die 4.000 Juden aus Novi Sad, die als Opfer des Faschismus 1941-1945 ge-storben sind.“. Die Urne, das Gestell und die Gedenktafel werden von einem von vier Säulen getragenen Altan geschützt, an dessen Architrav ein David-stern angebracht ist. Der Autor des Denkmals ist der Bildhauer Dejan Bešlin ( 1897-1967). Er fertigte vor allem Büsten berühmter Persönlichkeiten, Poli-tiker oder Künstler an.70 Auch in diesem Fall ist es schwierig zu bestimmen, warum gerade die Lösung von Bešlin für die Realisierung des Denkmals aus-gesucht wurde, denn Angaben über eine Ausschreibung ließen sich nicht fin-den. Angesichts der Tatsache, dass Bešlin in Novi Sad gelebt und gearbeitet hatte, könnte man annehmen, dass Bešlin von der jüdischen Gemeinde Novi Sad direkt kontaktiert wurde, doch ist das nur eine Vermutung.

Fest zu halten ist, dass die zentrale Figur seines Werkes, obwohl klein, wie im Falle des Denkmals von Đakovo ebenfalls eine Urne ist, und sich das Denkmal deshalb als symbolische Grabstätte für diejenigen deuten kann, „deren Asche und Knochen über viele bekannte und unbekannte Orte ver-streut wurden.“ Dennoch hat Bešlin, im Gegenteil zu Vertačnik, den jüdi-schen Charakter dieses Denkmals mit der Menora und dem Davidstern be-tont. Es besteht auch ein weiterer Unterschied zwischen den Denkmälern von Zagreb und Đakovo: Ähnlich wie das Denkmal von Đakovo, hat auch die-ses lokalen Charakters, denn es bezieht sich auf „4000 Juden von Novi Sad“, die als „Opfer des Faschismus umgekommen sind“, und es betont nicht spe-ziell die „gefallenen Kämpfer“, wie das Zagreber Denkmal bzw. trennt nicht die militärischen von den zivilen Opfern des Faschismus.71

Die Gedenkveranstaltung in Novi Sad begann mit einer Gedächtnis-feier in der Synagoge, wonach sich die feierliche Prozession zum jüdischen Friedhof begab, wo das Denkmal enthüllt wurde. Wie in den zwei früheren Fällen folgten feierliche Reden, der dreifacher Ehrenschuss der Einheit der

27

72 Das Denkmal „Frieden“ wurde 1951 errichtet, und sein Autor ist der Bildhauer Sreten Stojanović.

JNA, die Niederlegung von Blumen und Kränzen, wobei neben diesem festen Protokoll das Militärorchester der JNA die jugoslawische Hymne „Hej, Sla-wen“ und die israelische Hymne „Hatikve“ spielte.

In der Fortsetzung der Feierlichkeiten wurden ein Klavierkonzert, ein feierlicher Empfang bei den städtischen Behörden, Ausflüge undschließlich ein Besuch und Niederlegung von Blumen und Kränzen auf das Denkmal „Frieden“72, das in Erinnerung an die gefallenen Kämpfer des Volksbefrei-ungskampfs errichtet wurde, organisiert.

Abbildung 7.3.1: Das Denkmal in Novi Sad, 1952; Foto mit freundlicher Genehmigung: Jüdisches

Historisches Museum in Belgrad

28

73 In Belgrad gibt es auch ein aschkenasisches jüdisches Friedhof, das 1876 entstanden ist, aber Be-erdigungen werden nur zeitweise durchgeführt, auf Grabstellen derer, die lebende Nachfahren haben.

74 AJIM, Bericht über Enthüllung der fünf Denkmäler an die jüdischen Opfer des Faschismus und gefalle-nen Kämpfer in Jugoslawien, Bulletin des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ 1952, Nr. 9-11, S.20

75 AJIM, Bericht über Enthüllung der fünf Denkmäler an die jüdischen Opfer des Faschismus und gefalle-nen Kämpfer in Jugoslawien, Bulletin des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ 1952, Nr. 9-11, S.20

76 Liste der bedeutendsten Werke von Bogdan Bogdanović siehe unter: http://www.jusp-jasenovac.hr/Default.aspx?sid=5928 Abgerufen am: 20.10.2012

7.4 DENKMAL IN BELGRAD

Das Belgrader Denkmal (Abbildung 7.4.1) befindet sich auf dem sephardisch jüdischen Friedhof, der 1925 entstand.73 Es befindet sich im hinteren Teil des Friedhofs und ist vom Eingang direkt zu erreichen. Das Denkmal stellt eine architektonische Komposition aus drei Teilen dar. Der erste Teil ist ein aus Steinplatten zusammengesetzter Pfad, der mit zwei parallelen Mauern aus Bruchstein abgegrenzt ist. Diese Wände sind an der höchsten Stelle 1,5 Meter hoch, doch ist ihre Höhe entlang der Wandlänge stufenweise reduziert. Das Pfadende eröffnet den zweiten Teil der architektonischen Komposition, der gleichzeitig der dominante Teil des Denkmals ist. Er stellt zwei Flügel, die aus Bruchstein angefertigt sind, dar. Jeder Flügel misst im unteren (längeren) Teil 7 Meter, bei 10 Metern Höhe und 1 Meter in der Breite. Auf dem linken Flügel be-findet sich ein Davidstern und auf dem rechten das Akronym „הבצנת“ von “יהת was aus dem Hebräischen übersetzt bedeutet „möge ,”םייחה רורצב הרורצ ושפנseine Seele ewig leben”. Dieses Akronym ist auf jüdischen Grabmälern üblich. Das Akronym ist, wie der Davidstern, aus Schmiedeeisen gegossen. Auf den seitlichen Teilen der Flügel befinden sich Tafeln aus schwarzem Marmor, auf welchen in serbokroatischer und hebräischer Sprache eingraviert ist: „(Den) Jüdischen Opfern des Faschismus und gefallenen Kämpfern aus der Volksre-publik Serbien 1941-1945“. Der dritte Teil der Komposition ist wieder ein durch Mauern begrenzter Pfad, der bis zur Grabstätte führt, in welcher 197 entdeckte Opfer begraben sind. Wie im Bericht über die Errichtung des Denkmals ange-führt wird, stellt diese Grabstätte ein „Symbol für fast 30.000 jüdische Opfer im gesamten Territorium Serbiens“ 74 dar. Über der Grabstätte ist eine etwa 1,5 Meter hohe schmiedeeiserne Menora (Abbildung 7.4.2). Im selben Bericht wird weiter betont: „Das Denkmal wird aus großer Entfernung von verschiedenen Punkten aus in Belgrad gesehen, und seine Spitzen sogar aus Zemun.“75

Der Autor dieses Denkmals ist Bogdan Bogdanović (1922-2010), einer der bedeutendsten Architekten im jugoslawischen Raum. Er ist Urheber zahlreicher Denkmäler für die „gefallenen Kämpfer und Opfer des Faschismus“, die in ganz Jugoslawien errichtet wurden.76 Das Denkmal auf dem jüdischen Friedhof in Belgrad ist sein erstes Werk. Die architektonische Lösung, die Bogdanović ent-wickelte, wurde von einer Fachjury aus Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Bel-

29

Abbildung 7.4.1: Das Denkmal in Belgrad, 1952, Schauseite; Foto mit freundlicher Genehmigung: Jüdisches Historisches Museum in Belgrad

Abbildung 7.4.2: Das Denkmal in Belgrad, 2007, Rückseite; Foto: Marko Krojač

grad ausgewählt, und zwar nach einem ausgeschriebenem Wettbewerb, an dem neben Bogdanović noch sechs weitere Architekten teilgenommen haben. Die Jury hat ihre Entscheidung folgendermaßen erläutert: „Der Autor ist an das Lö-sen des Problems auf urbanistische Weise herangegangen, und hat entschieden, dass das Denkmal am Ende einer Allee gestellt wird, im Raum, der für den Aus-

30

77 AJIM, Bericht über Enthüllung der fünf Denkmä-ler an die jüdischen Opfer des Faschismus und gefallenen Kämpfer in Jugoslawien, Bulletin des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ 1952, Nr. 1-7, S.18

78 Manević, Zoran (1999): Leksikon srpskih arhitekata XIX i XX veka (Belgrad: Građevinska knjiga) S. 21

79 Siehe: Lukić, Sveta (1975): Socijalistički estetizam. In Umetnost na mostu (Belgrad: Ideje), S. 225–243.

80 Siehe: Trifunović, Lazar (1982): Enformel u Beogradu (Belgrad: Umetnički paviljon Cvijeta Zuzorić) S. 11–12

81 M.B.Protić (1980): Slikarstvo šeste decenije u Srbiji, u Jugoslovensko slikarstvo šeste decenije (Belgrad: Muzej savremene umetnosti), S. 33

gangskreislauf geschlossen ist, damit der Beobachter sich seinen Gefühlen ganz übergeben kann[...] Die Arbeit stellt eine ziemliche Reichweite dar, welche von der konventionellen Behandlung des Problems befreit ist und ohne Anlehnung an bekannte Vorbilder ein starkes und feierliches Erlebnis ermöglicht“ 77. Archi-tekturanalytiker Zoran Manević hat bemerkt: „Mit seinem ersten Denkmal hat Bogdan Bogdanović eine vollkommen neue Ästhetik unterschiedlich jenseits der bisherigen sozialrealistischen Tradition etabliert. Anstelle von Darstellungen entschiedener Kämpfer und leidender Opfer hat Bogdanović Symbole der hei-mischen Kultur und des jüdischen Volks aufgegriffen und weiterentwickelt.“78.

Der Sozialistische Realismus war nämlich bis zum Konflikt zwischen Tito und Stalin und der schließlichen Abkehr Jugoslawiens von der Leitung und Doktrin der Sowjetunion 1948, das ideologische Modell für die jugosla-wische Kunst. Als der Sozialisctische Realismus als „stalinistisch“ verworfen wurde, entstand in der jugoslawischen Kunstpraxis ein Phänomen, das der Literaturkritiker und Ästhetiker Sveta Lukić als „Sozialistischen Ästhetizis-mus“ bezeichnet.79 Der Kunsthistoriker Lazar Trifunović sieht im Soziali-stischen Ästhetizismus die Umwandlung der revolutionären in bürgerliche Kunst,80 während er für M.B. Protić „Aktivismus, Entwicklung der Freiheit und des Selbstbewusstsein und einen neuen Entwurf der Welt“81 bedeutete. Der Architekt B.Bogdanović wird als einer der frühen Vertreter des Sozialisti-schen Ästhetizismus betrachtet, und das Denkmal für die „jüdischen Opfer und gefallenen Kämpfer“ als sein frühes Beispiel.

Die Enthüllung des Denkmals haben nach üblichem Protokoll zahl-reiche feierliche Reden, dreifacher Ehrenschuss der Einheit der JNA, Legung von Blumen und Kränzen begleitet. In der Fortsetzung der Feierlichkeiten wurden Filmprojektionen, Veranstaltungen, Konzerte, Ausstellungen, feier-licher Empfang im Kabinett des Präsidenten der Volksrepublik Jugoslawien Josip Broz Tito und im Kabinett des Vizepräsidenten des Volksparlaments der FNRJ Moše Pijade organisiert.

7.5 DENKMAL IN SARAJEVO

Der jüdische Friedhof, der sich im südwestlichen Teil von Sarajevo, im Stadt-teil Kovačići-Debelo Brdo befindet, ist eines der größten jüdischen Sakralkom-

31

plexe in Europa. Das Denkmal wurde nahe der Spitze des Friedhofs auf einem Postament errichtet, den man von der Nordseite aus mit Treppen erreichen kann (Abbildung 7.5.1). Das Denkmal stellt eine stilisierte, symbolische Grab-stätte dar, welche die Form eines unregelmäßigen Quaders der Breite 3,5 Meter und Höhe 2 Meter (in seinem höchsten Teil) hat. In kleineren Dimensionen hatten alte sephardische Grabmäler eine solche Form. Das Denkmal wurde aus mehreren horizontal aufgestellten, weißen Kalksteinblocks gebildet, wäh-rend sich in seinem zentralen Teil auf allen vier Seiten ein Band aus schwarzem Granit mit eingravierten Beschriftungen befindet. Auf der nördlichen Seite des Denkmals ist die Beschriftung in hebräischer Schrift eingraviert: „Juden, gefallenen Kämpfern und Opfern des Faschismus Bosnien und Herzegowinas 1941-1945“. Auf der südlichen Seite befindet sich die eingravierte Beschriftung in serbokroatischer Sprache. Auf der östlichen Seite sind die Namen der Kon-zentrationslager eingraviert, in welchen Juden aus Bosnien und Herzegowina ums Leben gekommen sind: Jasenovac - Stara Gradiška - Đakovo - Jadovno und Oborgrad – Auschwitz – Bergen-Belsen, während sich auf der westlichen Seite die Beschriftung in serbokroatischer Sprache befindet: „Sterbt glorreich, wenn ihr sterben musst! Njegoš.“ Die Anführung der Verse aus dem Werk „Gorski vijenac“ von Petar II Petrović Njegoš (Dichter und zwischen 1831 und 1851 Vla-

Abbildung 7.5.1: Das Denkmal in Sarajevo, 1952; Foto mit freundlicher Genehmigung: Jüdisches Historisches Museum in Belgrad

32

dika, also Oberhaupt der montenegrinischen orthoidoxen Kirche) kann ange-sichts der Tatsache als Kuriosität wirken , dass das Werk zum ersten Mal 1847 – in einem völlig anderen historischen Kontext – veröffentlicht wurde. Es ist ein romantischer, heroischer und dramatischer Epos, auf dessen Analyse wir uns wegen der Komplexität des eigentlichen Werkes in diesem Zusammen-hang nicht einlassen können. Dennoch muss erwähnt werden, dass „Gorski vijenac“ zumindest im jugoslawischen Raum ein sehr bekanntes Werk ist, das Teil der Pflichtliteratur bereits in der Volksschule war. Die Verse „Sterbt glor-reich, wenn ihr sterben musst“ erscheinen im Teil des Werks, der vom Sieg der montenegrinischen über die türkische Armee bei Herceg Novi 1697 spricht. Sie werden von einem der Hauptpersonen des Epos, vom blinden Hegumen Stefan ausgesprochen, der in einem der philosophischen Pfeiler des „Gorski vijenac“ sein Verständnis der Natur und des Menschen darlegt, des Menschen, der, um Mensch zu bleiben, in den Prozess der ständigen Verteidigung von den äußeren Kräften des Bösen eingehen muss und somit auch im Tode seine Ehre bewahrt. Die Verse können auch als Erinnerung an die Geschichte der jugoslawischen Völker, die einen jahrhundertelangen Kampf gegen Eroberungsimperien füh-ren, gedeutet werden.

Autor dieses Denkmals ist der Architekt Jehiel Finci (1911-1977), Teil-nehmer am Volksbefreiungskampf und Träger der hohen Militärauszeich-nung „Partizanska spomenica 1941“, der zwischen 1945 und 1949 als Mitarbei-

Abbildung 7.5.2: Die Enthüllung des Denkmals in Sarajevo, 1952; Foto mit freundlicher Genehmigung: Jüdisches Historisches Museum in Belgrad

33

82 AJIM, Bericht über Enthüllung der fünf Denkmäler an die jüdischen Opfer des Faschismus und gefalle-nen Kämpfer in Jugoslawien, Bulletin des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ 1952, Nr. 9-11, S.26

83 Bienenstok, E.: Future of Yugoslav Jewry, The Jewish Chronicle (10. Oktober 1952)

ter des Ministers für Bauwesen der Volksrepublik Bosnien und Herzegowina tätig war, und danach als Universitätsprofessor. Bis zu seinem Lebensende arbeitete er an der Erneuerung und am Ausbau der städtischen Infrastruk-tur; Daher kann es angesichts der Tatsache, dass der Bau von Denkmälern nicht sein Spezialgebiet, merkwürdig erscheinen, dass gerade seine archi-tektonische Lösung für die Realisierung ausgesucht wurde. Da Angaben über die Ausschreibung eines offenen Wettbewerbs für die Realisierung dieses Denkmals nicht bestehen, kann angenommen werden, dass die Leiter der jü-dischen Gemeinde Finci direkt kontaktiert haben, da er Mitglied derselben war.

Die Enthüllung des Denkmals (Abbildung 7.5.2) verlief, wie in den an-deren vier Fällen, mit zahlreichen feierlichen Reden, der Niedrlegung von Blumen und Kränzen, dreifachen Ehrenschüssen der Einheit der JNA und be-gleitenden Gedenkfeierlichkeiten mit Filmprojektionen, der Eröffnung einer kleinen Ausstellung in den Räumlichkeiten der jüdischen Gemeinde Saraje-vo, Ausflügen, Besuchen der Grabstätten nationaler Helden und feierlichem Empfang im Volksparlament der Volksrepublik Bosnien und Herzegowina.82

8. DIE ROLLE DER DENKMÄLER IM ALLGEMEINEN GESELLSCHAFTLICH-POLITISCHEN KONTEXT

Nur einen Monat nach der Enthüllung dieser Denkmäler hat das angesehene Londoner Magazin „The Jewish Chronicle“ einen Artikel veröffentlicht, in dem sich sein Autor, der als Gast an den Gedenkfeierlichkeiten teilgenom-men hat, fragt: „Da war etwas eigenartig Surreales in der rasch und eifrig wiederhergestellten Aktivität der jugoslawischen jüdischen Gemeinschaft. Obwohl die Begeisterung und Hingabe des Gedenkens beeindruckend ist, musste man sich die Frage stellen [...]: Welche Absicht seht hinter der Aus-richtung von offiziellen Empfängen, der Einladung von Delegierten aus anderen Ländern und ihres Besuchs der Gedenkstätten in den Zentren der föderalen Teilstaaten, wenn es dort keine Juden gibt, um die Märtyrer zu be-trauern?“83. Auf die Gäste aus dem Ausland wirkten diese Zeremonien wahr-scheinlich als „viel Lärm um nichts“, vor allem wenn man sie ausschließlich als Gedenkveranstaltungen betrachtete. Doch sie waren viel mehr als das. Bei der Enthüllung des Denkmals in Zagreb vor der Statue des Moses stehend hob Albert Vajs hervor: „Die Opfer der jugoslawischen jüdischen Gemeinschaft [...] können von den zwei Millionen anderer Söhne und Töchter Jugoslawi-

34

84 AJIM, Rede von Dr. Albert Vajs, Präsidenten des Verbandes der jüdischen Gemeinden FNRJ (Haupt-inhalt), vom 28. August 1952, Kasten Nr. 1197.

85 Levi (Eds.), S.114.

86 AJIM, Bulletin des Verbandes der jüdischen Ge-meinden FNRJ 1952, Nr. 1-7, S. 7

ens nicht getrennt werden, auch nicht von den sechs Millionen der jüdischen Opfer [...]. Obwohl dieses Denkmal für die jüdischen Opfer des Faschismus und die gefallenen Kämpfer aus Kroatien errichtet wurde, ist es auch Denk-mal für alle anderen Opfer und Kämpfer.” 84. Ähnliches wird im Gebetbuch angeführt: „All diese Denkmäler und Beweise der Frömmigkeit für die Juden, gefallene Kämpfer und Opfer des Faschismus aus Jugoslawien [...] zeugen eindeutig davon, dass die Juden Jugoslawiens, die im Kampf gefallen sind oder als unschuldige Opfer des Faschismus getötet wurden, untrennbarer Teil der Opfer der jugoslawischen Völker sind.“85. Es handelt sich aber nicht nur darum, dass diese Denkmäler auch „Denkmäler für alle anderen Opfer und Kämpfer sind“, es handelt sich nicht nur um ihre zelebrierende und refle-xive Rolle, sondern auch um eine konstitutive. Symbole und Rituale sind vom Prozess der Herstellung und Erhaltung des Glaubens nicht zu trennen, und diese Symbole und Rituale, zu denen die oben besprochenen Denkmäler und deren zeremonielle Enthüllungen gehören, haben entscheidenden Anteil an der Konstruktion gesellschaftlicher Solidarität und Einheit und dem Ausbau der neuen jugoslawischen Gesellschaft. Bezugnehmend auf Finanzmittel, mit denen die Regierungen der Volksrepublik Serbien und der Volksrepublik Kroatien zum Bau der Denkmäler beigetragen haben, wird angeführt: „In ei-ner Zeit, in welcher in dieser oder jener Form, im Osten, aber auch im Westen inspiriert von der höchsten Stelle, Rassendiskriminierungen zu entflammen beginnen, zeigt unsere Staatsspitze auf diese Weise, dass sie den Worten, die auf der Flagge unserer Revolution und unseres Volksbefreiungskriegs stehen, treu und beständig bleibt. Diese Geste zeigt, dass dieses Denkmal eigentlich alle Völker unserer Heimat errichten, dass es nicht nur unser jüdisches ist, sondern für uns alle, und als solches wird es zu einer neuen Grundlage der Brüderlichkeit und Einheit aller Völker Jugoslawiens. Er zeigt die beständi-ge Solidarität aller unserer Völker im Guten und im Bösen, in Freude und in Trauer. Diese Verbundenheit im Gedenken den Schatten unserer Kämpfer und unsere Opfer macht uns einig wie das gemeinsam vergossenes Blut im Kampf gegen den gemeinsamen Feind und Eroberer (... ).“86 Es handelt sich hier um keine leere revolutionäre Rhetorik, sondern um den ernsthaften Glauben an das Projekt des sozialistischen Jugoslawiens. Sein konstituie-render Diskurs über den Volksbefreiungskampf und der „Brüderlichkeit und Einheit“ ist sicherlich nicht etwas, was die übelebenden Mitglieder der jugo-slawischen jüdischen Gemeinschaft in Frage stellen würden, da die Mehrheit von ihnen gerade durch die Teilnahme an diesem Kampf überlebt hat. Wenn man daran erinnert, dass die Teilnahme der Juden am Volksbefreiungskampf prozentual gleich war wie bei allen anderen jugoslawischen Völkern, dass aus

35

87 Ivanković, S.8

88 Kirn und Burghardt, S. 8f.

dem Volksbefreiungskampf 14 Generale und 10 Volkshelden jüdischer Her-kunft hervorgegangen sind, führt Ivanković an: „Die Volksbefreiungsbewe-gung war der einzige Rahmen, der einzige Ort, wo sie [Juden] sich frei und gleichberechtigt fühlen konnten, wo sie auf Solidarität rechnen konnten.“87. Nicht nur, dass die jüdische Gemeinschaft diesen Diskurs nicht in Frage stell-te, vielmehr nahm sie an seiner Stärkung aktiv teil, wie wir am Beispiel dieser Denkmäler sehen. Auch wenn ihre Enthüllungen mit den begleitenden Zere-monien gedenkfeierlichen Charakter hatten, waren sie gleichzeitig auch eine Bestätigung der wichtigsten Diskurse Jugoslawiens, Feier der Autonomie und des Wertes dieses Blockfreien Staates und seiner progressiven Politik, die sich inmitten des Kalten Krieges als unterschiedlich vom Osten und vom Westen erwies. Diese Denkmäler stellten ein Vermächtnis für eine bessere Zukunft dar.

Obwohl Jugoslawien in sieben neue Nationalstaaten zerfallen ist, und der Nationalismus der 1990er seine Diskurse löschte, existieren diese Denk-mäler noch heute. Mit Ausnahme des Denkmals in Sarajevo, desen südliche Seite während des Krieges von 1992-1995 beschädigt wurde, haben alle ande-ren die Folgen der Kriegswirkungen und der Nachkriegsvandalierungen der jugoslawischen Gedenkstätten überstanden. Für die neuen Staaten stellen sie nicht viel dar und wären wahrscheinlich völlig vergessen und verlassen, wenn die wenigen Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft, die während der Kriege in den 1990ern nicht nach Israel emigriert sind, sich nicht um die Denkmäler gekümmert hätten. In ihrem Schreiben über die jugoslawischen Denkmäler schlussfolgern Kirn und Burghardt: „Jugoslawien ist ein Land, dass heute, außer in Erinnerungen, nicht existiert und vielleicht spielt sich an diesen Orten der Erinnerung, durch das Vermächtnis ihrer außergewöhn-lichen Denkmäler, nochmals ein historisches Drama ab. Dieses Vermächtnis weist auf eine Vergangenheit hin, die mehr Zukunft beinhaltet als es der Fall mit der Gegenwart ist. [...] Es scheint, als hätte die vergangene Geschichte der Partisanen-Siege an diesen Orten der Erinnerung so stark Benjamins Ge-sicht der Unterdrückten erhalten, dass sie die Gegenwart verfolgt, und uns an die Geschichte als etwas Unvollendetes, nicht Vergangenes erinnert.“88.

36

Baldani, Juraj (1977): Revolucionarno kiparstvo (Zagreb: Spektar)

Booth, James W. (2006): Communities of Memory: On Witness, Identity and Justice (Ithaca und London: Cornell University Press)

Buden, Boris (2003): Još o komunističkim krvolocima, ili zašto smo se ono rastali. In Prelom Nr. 5 (Beograd: Centar za savremenu umetnost)

Danon, Cadik (1996): Zbirka pojmova iz Judaizma (Belgrad: Savez jevrsjskih opština Jugoslavije)

Dimitrijević, Nenad (2001): Slučaj Jugoslavija: Socijalizam, nacionalizam, posledice (Belgrad: Fabrika knjiga)

Džaja, Srećko M. (2002): Die politische Realität des Jugoslawismus (1918-1991), (München: Oldenburg Verlag)

Franković, Eugen (1966): Javnost spomenika. In Život umjetnosti (Zagreb: Institut za povijest umjetnosti)

Goldstein, Slavko (2007): 1941: Godina koja se vraća (Zagreb: Novi liber)

Gordiejew, Paul Benjamin (1999): Voices of Yugoslav Jewry (Albany: State University of New York Press)

Höpken, Wolfgang (1999): Vergangenheitspolitik im sozialistischen Vielvölkerstaat: Jugoslawien 1944 bis 1991. In Petra Bock & Edgar Wolfrum (Eds.): Umkämpfte Vergangenheit: Geschichtsbilder, Erinnerung und Vergangenheitspolitik im internationalen Vergleich (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht)

Ivanković, Mladenka (2007): Jevreji i Jugoslavija 1918-1953

Jurinić, Polona (2012): Slovenske boje u hrvatskoj umjetnosti (Zagreb: Slovenski dom)

Kardelj, Edvard (1949): Put nove Jugoslavije: Članci i govori iz Narodnooslobodilačke borbe, 1941-1945 (Belgrad: Kultura)

Karge, Heike (2010): Steinerne Erinnerung, versteinerte Erinnerung? Kriegsgedenken in Jugoslawien(1947-1970), (Wiesbaden: Harrassowitz Verlag)

9. LITERATURVERZEICHNIS:

37

Kirn, Gal i Burghart, Robert (2012): Partizanski spomenici.Između revolucionarne politike i apstraktnog modernizma. In jugoLink Pregled postjugoslovenskih istraživanja Nr. 1

Levental, Zdenko (Eds.), (1952.): Zločini fašističkih okupatora i njihovih pomagača protiv Jevreja u Jugoslaviji (Beograd: Savez jevrejskih opština Jugoslavije)

Levi, David (Eds.), (1969): Spomenica 1919-1969 (Beograd: Savez jevrejskih opština Jugoslavije)

Lukić, Sveta (1975): Socijalistički estetizam. In Umetnost na mostu (Beograd: Ideje)

Manević, Zoran (1999): Leksikon srpskih arhitekata XIX i XX veka (Beograd: Građevinska knjiga)

Margalit, Avishai (2002): The Ethics of Memory (Cambridge: Harvard University Press)

Musabegović, Senadin (2009): Mit o pobjedi kao mit o revoluciji in Kultura sjećanja:1945 (Zagreb: Disput)

Niewyk, Donald L.; Nicosia, Francis R. (2000): The Columbia Guide to the Holocaust (New York: Columbia University Press)

Novick, Peter (1999): The Holocaust in American Life (Boston: Houghton Mifflin)

Pavićević Đorđe (2009): Zajednice pamćenja i režimi pamćenja: ka odgovornom pamćenju. In Kultura sjećanja:1945 (Zagreb: Disput)

Protić, M.B. (1980): Slikarstvo šeste decenije u Srbiji. In Jugoslovensko slikarstvo šeste decenije (Beograd: Muzej savremene umetnosti)

Rajčević, Uglješa (2010): Vajar Dejan Bešlin (1897-1967). In Rad muzeja Vojvodine Nr. 52 (Novi Sad: Muzej Vojvodine)

Romano, Jaša (1980): Jevreji Jugoslavije 1941-1945. Žrtve genocida i učesnici Narodno-oslobodilačkog rata (Beograd: Savez jevrejskh opština Jugoslavije)

Sundhaussen, Holm (2004): Jugoslawismus. In Edgar Hösch, Karl Nehring & Holm Sundhaussen (Eds.), Lexikon zur Geschichte Südosteuropas (Wien: Böhlau)

Silič-Nemec, Nelida (1982): Javni spomenik na Primorskem, 1945-1978 (Koper: Založba Lipa)

Trifunović, Lazar (1982): Enformel u Beogradu (Beograd: Umetnički paviljon Cvijeta Zuzorić)

38

Vajs, Albert (1954): Jevreji u novoj Jugoslaviji in Grupa autora (1965): Albert Vajs 1905 – 1964 Spomenica (Beograd: Savez jevrejskih opština Jugoslavije)

Gitelman, Zvi (1997): Politics and the Historiography of the Holocaust in the Soviet Union. In Zvi Gitelman (Eds.), Bitter Legacy: Confronting the Holocaust in the USSR (Bloomington: Indiana University Press)

Zertal, Idith (2005): Israel’s Holocaust and the Politics of Nationhood (Cambridge: Cambridge University Press)

Archive:

Arhiv Jevrejskog istorijskog muzeja, BelgradArhiv Jugoslavije, BelgradArhiv Saveznog ministarstva inostranih poslova, BelgradHrvatski institut za povijest, ZagrebZeitschriften:Borba, BelgradBorba, Zagreb Bilten Saveza jevrejskih opština Jugoslavije, BelgradCrvena zvezda, Belgrad Delo, Ljubljana Dnevnik, Ljubljana Dnevnik, Novi Sad Glas Slavonije, Osijek Jedinstvo, Priština Narodni list, Zagreb Novi list, Rijeka Nova Makedonija, Skopje Oslobođenje, Sarajevo Politika, Belgrad Riječki list, Rijeka Slobodna Dalmacija, Split Slobodna Vojvodina, Novi Sad Večernje novosti, Belgrad Vjesnik, Zagreb

Internetverzeichnis:

http://jugolink.wordpress.comhttp://www.benevolencija.eu.orghttp://www.jimbeograd.orghttp://www.gradskagroblja.hr

39

40

41

89 „Das jüdische historische Museum” in Belgrad haben wir am 28.02.2012 besichtigt; bei dieser Gelegenheit haben wir mit Vojislav Radovanović – Museumsleiter, Branka Džidić – Archivarin und Barbara Panić – Kunsthistorikerin, gesprochen. Website des Museums: http://savezscg.org/muzej/

90 „Das Museum der Juden Bosnien und Herzegowinas” haben wir am 02.03.2012 besichtigt. Dieses Museum gehört zum „Museum Sarajevo“: http://muzejsarajeva.ba/

91 „Das Museum der Geschichte Jugoslawiens” in Belgrad haben wir am 29.02.2012 besichtigt. Dabei haben wir mit Aleksej Timofejev gesprochen – einem von drei Autoren der Ausstellung „Holocaust in Serbien 1941-1944“, die zu der Zeit im „Museum der Geschichte Jugoslawiens“ gezeigt wurde, und haben bei dieser Gelegenheit auch das “Haus der Blumen“ (Serbisch: „Kuća Cveća“) besichtigt – die Grabstätte Josip Broz Titos. Website des Museums: http://www.mij.rs/

92 „Das Museum der Zweiten AVNOJ-Sitzung” haben wir am 03.03.2012 besichtigt und mit dem Museumsleiter Enes Milak gesprochen. Ein virtueller Spaziergang ist unter folgendem Link möglich: http://www.muzejavnoj.ba/; Anm. d. Ü.: AVNOJ steht für „Antifaschistischer Rat der nationalen Befreiung Jugoslawiens“ http://www.muzejavnoj.ba/

93 „Das Museum der Schlacht für die Verwundeten an der Neretva“ haben wir am 04.03.2012 besichtigt und mit dem Kustos Ćamil Cero gesprochen. Website des Museums: http://www.muzej-jablanica.com/

94 „Das Museum und Gedenkstätte Jasenovac“ haben wir am 18.03.2012 besichtigt. Website des Museums: http://www.jusp-jasenovac.hr/Default.aspx?sid=5056

95 NOB ist Abkürzung für „Narodna Oslobodilačka Borba„ und steht für „Volksbefreiungskampf“

GRENZEN DER KOLLEKTIVEN ERINNERUNG – MUSEUMSANALYSE

— NATAŠA TEPAVČEVIĆ

1. EINLEITUNG

Die Rolle eines jeden historischen Museums ist es, für die Legitimität des Verständnisses einer geschichtlichen Einheit in dem gegebenen gesell-schaftspolitischem Kontext zu bürgen (zu garantieren). Die Politik der Mu-seumspräsentation (kuratorische Techniken und Taktiken) bzw. die Art und die Bedingungen, in welchen sich die Präsentation und Rezeption abwickeln, ist das, was die Faktualität konstituiert.

Die Präsentation der Geschichte, Kultur und des Lebens von Juden in Jugoslawien haben wir im Rahmen von Studienbesuchen im „Jüdischen his-torischen Museum“ in Belgrad89 und dem „Museum der Juden Bosnien und Herzegowinas“ 90 analysiert. Einsicht in die museologische Faktografie des „Museums der Geschichte Jugoslawiens“91, des „Museums der Zweiten AV-NOJ-Sitzung”92, des „Museums der Schlacht für die Verwundeten an der Neret-va“93, der Ausstellung „Holocaust in Serbien 1941-1944“ und des „Museums und Gedenkstätte Jasenovac“94, ist für das Verständnis der Präsentationspolitik des Zweiten Weltkriegs in den Museen, und insbesondere des Holocaust-Themas und des NOB95 (Narodna Oslobodilačka Borba/Volksbefreiungskampf-Dis-

42

96 Anm. d. Ü.: Serbische Abkürzungen für ver-schiedene Staatsnamen Jugoslawiens zwischen 1943 und 1992: Demokratisches Föderatives Jugoslawien (1943-1946), Föderative Volksre-publik Jugoslawien (1946-1963), Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (1963-1992)

97 Siehe: Mladenka Ivanković, Jevreji u Jugoslaviji (1944-1952) kraj ili novi početak, Belgrad, 2009, S.68 und Archiv des Jüdischen historischen Mu-seums, Bestand Pereras Archiv, Box-Nr. 795

98 „Die Grundlage für die Regelung von politi-schen Freiheiten und Bürgerrechten war noch in den Unterlagen der Zweiten AVNOJ-Sitzung im Jahre 1943 gelegt. In Artikel 8 dieser Deklara-tion wurde konstatiert, dass alle Bürger gleiche Rechte haben, unabhängig von Nationalität, Glauben oder Glaubensüberzeugung, und dass jegliche Begrenzung dieser Rechte aufgrund von Rassen-, National- oder Glaubensange-hörigkeit gesetzeswidrig ist. Mit Artikel 10

war die Freiheit des Glaubensbekenntnisses gewährleistet.“ S. Mladenka Ivanković, Jevreji u Jugoslaviji (1944-1952) kraj ili novi početak, Belgrad, 2009, S.58

99 AVNOJ – Antifaschistischer Rat der nationa-len Befreiung Jugoslawiens. AVNOJ war die politische Organisation der am 26. November 1942 gegründeten Volksbefreiungsausschüsse (Erste AVNOJ-Sitzung in Bihać) mit dem Ziel, die von ihnen eingenommenen Territorien während des Zweiten Weltkriegs zu verwalten. Bei der Zweiten AVNOJ-Sitzung in Jajce vom 21. bis 29. November 1943 hat Tito den AVNOJ zum Hauptführungsgremium ernannt. Hier wurde auch der Beschluss zur Gründung des föderati-ven Jugoslawiens gefasst (einer der wichtigsten Beschlüsse), welches die Gleichberechtigung der Völker Serbiens, Kroatiens, Sloweniens, Mazedoniens, Montenegros und Bosnien und Herzegowinas gewährleisten sollte. http://sh.wikipedia.org/wiki/AVNOJ

kurses) von großer Bedeutung. Am Beispiel der angeführten Institutionen kann man durch eine komparative Analyse zwischen dem Staatsapparat Ju-goslawiens (DFJ, FNRJ, SFRJ96) und den Museumspraxen, sowie den Muse-umsfunktionen im geänderten gesellschaftspolitischen Kontext der post-jugoslawischen Gesellschaft eine Verbindung entdecken. Auf den Spuren von sichtbaren oder auch unsichtbaren historischen Fakten können wir erfahren, wie die kollektive Erinnerung durch das Medium Museum kreiert wird/wurde.

2. DAS JÜDISCHE HISTORISCHE MUSEUM IN BELGRAD – DAS ERSTE JÜDISCHE MUSEUM AUF DEM TERRITORIUM DES EHEMALIGEN JUGOSLAWIENS

Man kann den Aufbau vom Jugoslawentum und den Wiederaufbau der jü-dischen Identität im Nachkriegsjugoslawien nur als eine untrennbare Ein-heit verstehen, deren Rahmen durch den „Hoffnungshorizont“ am Ende des Zweiten Weltkriegs festgesetzt wurde. Davon zeugt, dass die einzige „überlebende“ Belgrader Synagoge am 2. Dezember 1944 eingeweiht wur-de.97 Die Regierung des neuen Jugoslawiens hat mit ihren Beschlüssen und Rechtsakten die Abschaffung antisemitischer Gesetze proklamiert und das Recht auf Freiheit des Glaubensbekenntnisses garantiert.98 Bei der Einwei-hungsfeier war die Delegation der AVNOJ-Mitglieder99 mit deren Anführer Moše Pijade100 anwesend, welcher dabei eine mit Auszeichnungen beschmückte

43

100 Moša Pijade (1890-1957) - Revolutionär, Maler und Journalist jüdischer Herkunft. Seit 1920 Mitglied der Kommunistischen Partei und Staatspartei-funktionär nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Ersten Weltkrieg hat er 1914 die Druckplatte der Kopfzeile der Zeitung „Politika“ gerettet, als er Belgrad verlassen hat. Wegen kommunistischer Tätigkeiten zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Dort hat er Tito kennen gelernt. Im November 1943 hat er in Jajce die Telegrafische Agentur des neuen Jugosla-wiens – Tanjug gegründet und nach dem Krieg war er Vorsitzender des jugoslawischen Parlaments und hat die Verfassung geschrieben. http://elmundo-sefarad.wikidot.com/mosa-s-pijade und http://sh.wikipedia.org/wiki/Mo%C5%A1a_Pijade

101 Der Gebettext lautet: “OH ALLMÄCHTIGER GOTT – HERR DER WELT! Gesegnet seie dein Name und gesegnet seie dein Platz. Amen. Empfange unser Gebete in Gnade. Amen. Es freue sich der Himmel, es freue sich die Erde, lasse das Meer rauschen und die Macht, die es treibt, es freue sich das Feld und alles was auf ihm wächst. Amen. Heute hast du dein Versprechen erfüllt, das du unseren Urgroßvätern mit folgenden Worten gegeben hast: DIR GEBE ICH DAS LAND DER KANAANITER. Amen” Gib Kraft unseren Kämpfern für einen EDLEN KAMPF FÜR GROßE

IDEALE, FÜR FRIEDENSIDEALE, FÜR DIE IDEALE, UM WELCHE DIE BESTEN SÖHNE DER MENSCH-HEIT KÄMPFEN. Amen. LASSE DAS BLUT, DAS SIE FÜR DEN AUFBAU EINER BESSEREN ZUKUNFT GEGEBEN HABEN, NICHT UMSONST VERGOS-SEN SEIN. Amen. LASSE JEDES UNSERER OPFER MILLIONEN MENSCHENLEBEN KÜNFTIGER GENERATIONEN ERSPAREN! Lasse unsere Tränen und unseren Schmerz, unseren Kindern das Weinen ersparen und lasse unseren Kampf eine feurige Hymne DER GANZEN EHRLICHEN MENSCHHEIT werden, damit alles Böse und Schlechte zu Staub werde. Amen. SEGNE UND BEWAHRE DEN BESTEN SOHN UN-SERER VÖLKER, UNSEREN GELIEBTEN LEHRER UND FÜHRER, UNSEREN MARSCHAL JUGOSLA-WIENS, JOSIP BROZ TITO. Amen. GOTT, SEGNE UNSERE HEIMAT, DIE FÖDERATIVE VOLKSRE-PUBLIK JUGOSLAWIEN, IHRE REGIERUNG UND IHRE SPITZE, DAMIT SIE BLÜHE UND GEDEIHE UND EIN MÄCHTIGER FRIEDENSWALL IN DER WELT WERDE. Amen.“

102 „In Zagreb wurde im Rahmen des juristischen Sek-tors die museumshistorische Abteilung gegründet, die ihren Archivbestand im Jahre 1952 an Belgrad abgeben wird“. S. Vojislava Radovanović, Publikati-on Jevrejski Istorijski Muzej, Belgrad, 2010, S. 5

Uniform trug. Der Rabbiner Albert Altarac hatte für diese Gelegenheit einen als Gebet formulierten Text vorbereitet, der aus heutiger Sicht ein wichtiges histo-risches Zeugnis darstellt. Dieser befindet sich heute im Archiv des „Jüdischen historischen Museums“ in Belgrad.101 Mit dieser Geste hat die Regierung den jüdischen Opfern des Zweiten Weltkriegs Ehre erwiesen, aber auch ihre Einstel-lung zum Recht der Glaubensbekenntnis gezeigt. Die jüdische Gemeinschaft hat auf symbolische Weise, mit einem speziell vorbereiteten Gebettext diese Ehre und Zuneigung zu den AVNOJ-Mitgliedern erwidert, welche versprochen haben, den Staat auf dem Fundament einer im Volksbefreiungskampf emporgekeimten Einheit und Brüderlichkeit aufzubauen. Nach weniger als zwei Monaten, am 14. Dezember 1945, wurde die Arbeit der jüdischen Religionsgemeinde Belgrad „...durch die Zusammenführung der früheren jüdischen Gemeinden Belgrads: Der jüdischen sephardischen Religionsgemeinde und der jüdischen aschkenasi-schen Religionsgemeinde...“ offiziell erneuert, und damit „... aufgrund des bei der Bürgerversammlung gefassten Beschlusses...“, wie im Text seiner Gemein-deverordnung angeführt ist, das jüdische Kultur-, Bildungs- und Religionsleben fortgesetzt. In der Publikation „Jevrejski Istorijski Muzej/Jüdisches historisches Museum“ führt Vojislava Radovanović Folgendes an: „Der jüdische Gemeinde-verbund Jugoslawiens hat sich im Herbst 1945 an seine Mitglieder mit der Bitte gewendet, alle verfügbaren Daten zum Holocaust und der Teilnahme von Juden am Volksbefreiungskampf zu sammeln.“102 Es wurde mit dem Einsammeln von Materialien begonnen und es war gewiss, dass das „Jüdische historische Mu-

44

103 Ibid, S. 5

104 Das Bulletin wird ab 1949 auf serbokroatischge-druckt. Im Archiv des „Jüdischen historischen

Museums“ in Belgrad können alle Ausgaben vom Bulletin gefunden und dadurch die Geschichte und das Leben jugoslawischer Juden in Printausgaben verfolgt werden.

seum“ bald ins Leben gerufen wird. Diese Idee stammt noch aus dem Jahre 1921, als im Rahmen des ersten regelmäßigen, in Zagreb stattfindenden, Kon-gresses des Verbundes jüdischer Gläubigen aus den Gemeinden im König-reich der Serben, Kroaten und Slowenen, die Gründung des Museums, als Aufbewahrungsort für jüdisches Erbe und kulturelle Identität vorgeschlagen wurde.103 Im Januar 1948 haben die Vertreter des jüdischen Verbundes den damaligen Parlamentsvorsitzenden des FNRJ, Moše Pijade, besucht und ihm die Entscheidung zur Gründung eines zentralen jüdischen historischen Mu-seums in Belgrad mitgeteilt, sowie das Vorhaben, eine Datensammlung zu den am NOB teilgenommenen Juden und den Kontakten des Verbundes mit anderen jüdischen Verbunden in der Welt anzufangen. Dabei wurde die Ent-scheidung zur Gründung des ersten Blattes – des künftigen Bulletins – durch das offizielle Organ des Verbundes getroffen.104 Das Museum, dessen ständi-ge Ausstellung Hauptaspekte der jüdischen Geschichte, Kultur und Lebens-

Abbildung 2.1: Karte des ehemaligen Jugoslawiens im Jüdischen historischen Museum in Belgrad, 2012, Foto: Nataša Tepavčević

45

105 Im weiteren Textverlauf wird das „Jüdische histo¬rische Museum“ in Belgrad mit der Abkürzung JIM bezeichnet.

106 Den Begriff „Holocaust-Box“ benutze ich hier um auf die Museen zu zeigen, welche den Holocaust als zent-rales Thema in ihren Museumsaustellungen haben.

weise im jugoslawischen Raum darstellt, wird offiziell im Jahre 1948 eröffnet. Heute befindet sich das „Jüdische historische Museum“ (JIM)105 auf dem sel-ben Ort und wird durch den „Verbund jüdischer Gemeinden Serbiens“ finan-ziert – den ehemaligen „Verbund jüdischer Gemeinden Jugoslawiens“. In der obengenannten Veröffentlichung des „Jüdischen historischen Museums“, herausgegeben in 2010, hat die Museumsleiterin Vojislava Radovanović fol-gendes geschrieben: „Wegen schwieriger politischer und wirtschaftlicher Probleme, die seit 1992 Serbien plagen, wurden bisher die Bedingungen für die Ausarbeitung einer neuen, anders konzipierten Ausstellung nicht er-füllt“. Informationsqualität und die Wichtigkeit der Existenz der Institution JIM spiegelt sich in zwei Tatsachen wieder: Ein breiter, zeitlicher und räum-licher, Überblick über die jüdische Geschichte. Das Museum erklärt durch seine Ausstellung die Geschichte, Kultur und Lebensart der Juden von der klassisch-römischen Periode, am Anfang der Neuzeit, bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, auf dem Gebiet des ganzen ehemaligen Jugoslawiens, so dass die Einführung in die Ausstellung eine Karte des ehemaligen Jugosla-wiens, mit aufgezeichneten Migrationsabläufen jüdischer Bevölkerung, dar-stellt. Das große Potential dieser Ausstellung liegt in ihrer subtil durchdach-ten Konzeption, deren Schwerpunkt nicht auf dem Holocaust liegt. In diesem Sinne umgeht sie den weit verbreiteten „Trend“ von Museumsinstitutionen, die die ganze jüdische Identität bzw. Kultur und Geschichte auf den Mo-ment größten jüdischen Leids in der Weltgeschichte reduziert und dadurch jüdische historische Museen in „Holocaust-Boxen“106 verwandeln. Dieses Museum und besonders sein Archiv bieten ein breites Spektrum, vorwie-gend historischer und ethnologischer, Informationen, durch verschiedene Medien (Fotografien, geografische Karten, Ritualgegenstände, Skulpturen, Schriftkopien, Archivaufnahmen, Dokumentenkopien, Malerei...) an. Da das Museum nicht von der Republik Serbien finanziert wird, unterliegt es nicht den Regierungswechseln. Somit behält seine Ausstellung den ursprünglich entworfenen ( jugoslawischen) Charakter.

3. MUSEUM DER JUDEN BOSNIEN UND HERZEGOWINAS

Das zweite jüdische Museum unserer Recherchereise in Jugoslawien und zugleich das schönste jüdische historische Museum ist das „Museum der Juden Bosnien und Herzegowinas“. Das Poetische an dem Museum ist der Ort, in welchem es be-herbergt ist – in der ersten, nach der Ansiedlung sephardischer Juden in Bosnien,

46

107 Zum Museum und zur Geschichte von Juden in Bosnien und Herzegowina siehe unter: http://www.benevolencija.eu.org/content/view/25/32/

108 Die Synagoge wurde 1821 saniert.

109 http://bs.wikipedia.org/wiki/Muzej_Jevreja_Bosne_i_Hercegovine

110 Der unabhängige Staat Kroatien (NDH) ist ein politisches Produkt, das während des Zweiten Welt-krieges von 1941 bis 1945 auf dem Territorium vom heutigen Bosnien und Heregowina, dem größten Teil des heutigen Kroatiens und einem kleinen Teil des heutigen Serbiens bestand. Dieser war natürlich nicht unabhängig, sondern in zwei Kriegsbesatzungszonen aufgeteilt: Eine deutsche und eine italienische. An seiner Spitze war die faschistische Ustascha-Bewegung mit ihrem Anführer bzw. Oberhaupt Ante Pavelić. http://sh.wikipedia.org/wiki/NDH

erbauten Synagoge gegen Ende des 16. Jahrhunderts.107 Zuerst war die Synagoge ein zweistöckiges Gebäude, wobei nur die erste Etage genutzt wurde. In Bränden 1697 und 1788 brannte das Holzdach ab, so dass bei der Sanierung eine zusätzliche Etage gebaut worden ist.108 Die Synagoge existierte (erfüllte seine religiösen Auf-gaben) bis zum Zweiten Weltkrieg und wurde dann geschlossen, dann ein Gefäng-nis und später in ein Magazin umgewandelt.109 Laut Aussage des Museumsleiters wurde die Synagoge nach der Besatzung (1941) als Gefängnis genutzt und zwar als Sammelort für Juden, die von da aus in die Lager in den NDH110, aber auch in die Konzentrationslager Auschwitz u.a. deportiert wurden. An diesem Ort wur-de, auf Initiative der jüdischen Gemeinde in Bosnien und Herzegowina, im

Abbildung 3.1: Museum der Juden Bosnien und Herzegowinas, Sarajevo, 2012, Foto: Vedrana Madžar

47

111 Die aus Spanien vertriebenen sephardischen Juden siedelten sich 1566 in Sarajewo an.

112 Siehe Buch von Eli Tauber Kad su komšije bili ljudi – ein Buch vom Zusammenleben der Völker in Bos-

nien und Herzegowina, herausgegeben in Bosnien und Herzegowina 2008

113 Zur Geschichte des Museumkomplexes in Belgrad siehe unter: http://www.mij.rs/Onama1.aspx

Jahre 1966 das „Museum der Juden Bosnien und Herzegowinas“ gegründet. Während des letzten Krieges in Bosnien war das Museum geschlossen und hat in der Zeit als Abstellkammer für Wertgegenstände aus anderen Museen gedient, da die Gebäudearchitektur (dicke Mauern) dazu sehr geeignet war . Das Museum ist heute ein Teil des städtischen „Museums Sarajewo“. Es wur-de 2004 wieder eröffnet und hat seitdem eine zweifache Rolle: Die Rolle eines Museums aber auch die einer Synagoge – allerdings nur einmal im Jahr zum jüdischen Neujahrsfest.

Das Museum stellt die Ganzheit der Lebensumstände, der Kultur und Geschichte der Juden auf dem Territorium von Bosnien und Herze-gowina, die dort schon fünf Jahrhunderte111 in guten nachbarschaftlichen Beziehungen leben, wie die Vertreter der jüdischen Gemeinde bei unserem Besuch in Sarajewo bemerkten.112 Die Museumsausstellung ist im Erdge-schoss und auf beiden Galerien untergebracht. Neben Ritualgegenständen können im Museum auch Fotografien von Synagogen und alten jüdischen Friedhöfen, Dokumente, Bücher, Karten, Gemälde, Hinterlassenschaften prominenter jüdischer Wissenschaftler und Künstler sowie Belege aus den Konzentrationslagern während des Zeiten Weltkriegs gesehen werden. Die Ausstellung wurde seit 1966 bis heute stufenweise ergänzt, aber nie we-sentlich geändert.

4. „MUSEUM DER GESCHICHTE JUGOSLAWIENS“ UND ANALYSE DER AUSSTELLUNG „HOLOCAUST IN SERBIEN 1941-1944“

Das „Museum der Geschichte Jugoslawiens“ ist im Jahre 1996 durch die Zu-sammenschließung der „Erinnerungsstätte Josip Broz Titos“ und des „Muse-ums der Revolution der Völker und Völkerschaften Jugoslawiens“ gegründet worden.113 Es handelt sich eigentlich um einen historischen Komplex, beste-hend aus den Museen: „Altes Museum“, „Haus der Blumen“ und „Museum des 25. Mai“. Das „Alte Museum“ wurde 1964/65 gebaut. Seine Standardaus-stellung ist ein Teil der ethnografischen Sammlung des „Museums der Ge-schichte Jugoslawiens“. „Das Haus der Blumen” wurde 1982, zwei Jahre nach Titos Tod eröffnet. Das ist die Grabstätte des ehemaligen Staatspräsidenten Jugoslawiens, Josip Broz Tito, welche in der Zeitperiode zwischen 1982 und 2002 laut Evidenz der Zuständigen im „Museum der Geschichte Jugoslawi-

48

114 http://www.as-design.net/primeri/kuca-cveca

115 http://novitalas.com/2012/05/25/praznik-koji-smo-nekad-svi-slavili-danas-je-dan-mladosti-i-120-ro-dendan-josipa-broza-tita/

116 http://www.blic.rs/Vesti/Drustvo/325175/Titove-stafete-izlozene-u-Muzeju-istorije-Jugoslavije

117 „Seit dem Tod von Josip Broz 1980 waren die Gar-disten jahrelang die Hauptwächter vom „Haus der Blumen“(Serbisch: „Kuca cveća“). Eine der schwierige-ren Aufgaben war die Arbeit in Titos Erinnerungsstätte – führt Oberstleutnant Pajović an – weil man sich ums kleinste Detail kümmern musste. Es wurden sogar Zwillingsbrüder für die Ehrenwache ausgewählt, so

dass vor und hinter dem Grab Predrag und Nenad stan-den.“ Auszug aus dem Artikel: http://www.kalibar.rs/code/navigate.php?Id=108&editionId=18&articleId=70

118 Der Verband der Kriegsveteranenvereinigungen des Volksbefreiungskriegs (Abkürzung Serbisch: SUB-NOR) war die gesellschaftspolitische Dachorgani-sation in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, die die Veteranen der Volksbefrei-ungsarmee Jugoslawiens, sowie andere Teilnehmer des Volksbefreiungskampfes 1941-1945 versammelt hatte. Nach Zerfall des SFRJ wurde diese Organi-sation nach Republiken geteilt. Mehr Infos unter: http://sh.wikipedia.org/wiki/SUBNOR

119 http://www.mij.rs/Onama1.aspx

ens“ von 15.835.255 Menschen besucht wurde.114 Der „Tag der Jugend” war ein Feiertag zum 25. Mai – Titos Geburtstag. An dem Tag haben Jungen und Mädchen aus dem ganzen ehemaligen Jugoslawien Jugend-Stafetten an Tito übergegeben – eine Art Dankessymbols für seine Errungenschaften.115 Zur Zeit wird im „Haus der Blumen“ eine Sammlung von solchen Stafetten auf-bewahrt. Von zahlreichen Stafetten, die von 1945 bis Titos Tod 1980 teils ört-lich, teils im ganzen damaligen Jugoslawien von verschiedenen Völkern her-gestellt wurden, sind über 200 ausgestellt.116 Heute sind die Räumlichkeiten relativ vernachlässigt (es gibt keine Ehrenwache117 mehr, die das Grab über-wacht, keine frisch geschnittenen Blumen), aber immer noch gut besucht, obwohl viel weniger als früher. Und doch wird jedes Jahr zum 25. Mai ein Blu-menkranz von SUBNOR-Vertretern118 aller Republiken des ehemaligen Jugo-slawiens auf Titos Grab gelegt. „Das Museum des 25. Mai“ ist ein Geschenk der Stadt Belgrad an Tito zu seinem siebzigsten Geburtstag, was als offizielle Angabe auch heute auf der Webseite des Museums zu lesen ist. Es wurde am 25. Mai 1962 eröffnet. Es wurde geplant, an diesem Ort alle Geschenke aufzu-bewahren, die Tito im In-und Ausland bekommen hatte.

Durch Gründung der „Erinnerungsstätte Josip Broz Tito“ (1982-1996) – einer Institution, die die Aufgabe hatte, die Erinnerung an Josip Broz zu he-gen und pflegen, sowie Dokumente und Gegenstände in Bezug auf sein Leben und Werk zu bearbeiten und auszustellen, bekommt das „Museum des 25. Mai“ die Rolle des Durchgangsgebäudes im Rahmen des großen Museums-komplexes.119 Seit 1992 ist das „Museum des 25. Mai“ – wahrscheinlich aus finanziellen Gründen – gezwungen, unterschiedliche vorübergehende Aus-stellungen einzuladen, welche sehr oft keine thematischen Berührungspunk-te mit der Hauptfunktion des Museums haben. Durch eine solche, bis heu-te bestehende Praxis, wurde dieses Museum auch zum Ausstellungsort für die Ausstellung „Holocaust in Serbien 1941-1944“ (27.01.2012 - 01.04.2012) „ausgewählt“. Bis heute gibt es kein, dem Thema Holocaust gewidmetes Museum in Serbien. Seit Ende 2011, als Serbien gleichberechtigtes Mitglied

49

120 Arbeitsgruppe für internationale Zusammenarbeit im Bereich Bildung, Erinnerung und Forschung des Ho-locaust (Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research), Abkürzung: ITF. www.holocausttaskforce.org

121 Siehe: http://www.geschichtswerkstatt-europa.org/expired-project-details/items/ns-konzentrations-lager-belgrad.html und website hinweisen: http://www.starosajmiste.info/en2012/

122 http://www.politika.rs/rubrike/Beograd/Novi-pla-novi-za-Staro-sajmiste.lt.html

des ITF 120 geworden ist, wurde in serbischen Fachkreisen über die Initiati-ve gesprochen, ein Holocaust Denkmal am Ort des damaligen Lagers „Staro Sajmište“ aufzustellen, obwohl die Form des Denkmals noch nicht festgelegt wurde.121 Auf diesem Gelände haben sich bisher, und befinden sich immer noch, künstlerische Ateliers. Die Räumlichkeiten hatte Moša Pijade vor mehr als fünf Jahrzehnten dem „Verband bildender Künstler Serbiens“ zugeteilt, meinte Bildhauerin Olga Jevrić in einem Interview für die Zeitung Politika.122 Zu diesem Thema wurde am 27. Januar 2012, dem internationalen Holocaust-Gedenktag, die Ausstellung „Holocaust in Serbien 1941-1944“ im „Museum der Geschichte Jugoslawiens“ in Belgrad, unter Schirmherrschaft der Regie-rung der Republik Serbien, eröffnet. Die Materialien der Ausstellung, sowie fachliche Unterstützung kam aus fünfzig verschiedenen Institutionen, unter anderem auch Yad Vashem.123 Die Menge an angebotenen Informationen ist

Abbildung 4.1: Ausstellung „Holocaust in Serbien 1941-1944“, 2012, Foto: Vedrana Madžar

50

123 Die Auflistung der Institutionen befindet sich auf der letzten Seite des Ausstellungskatalogs, der diesem Link zu entnehmen ist: http://www.staro-sajmiste.info/blog/wp-content/uploads/2012/05/katalog-holocaust-in-serbia-1941-1944.pdf

124 http://www.starosajmiste.info/blog/izlozba-o-holo-kaustu-u-srbiji-problem-selektivnog-secanja-2/

125 Serbien (in einigen Quellen auch als Nedićs Serbien bekannt) war während des Zweiten Weltkriegs (1941-1945) ein Marionettenstaat und ein Protektorat unter der Militärbesatzung Nazi-Deutschlands. Die höchste Machtinstanz auf diesem Territorium war in Händen der sog. „Militärverwaltung in Serbien“, während zwei, dieser Militärverwaltung untergeordnete serbische Regierungen parallel dazu die einheimischen Quisling-Staatsorgane ausmachten: Die Kommissar-Regierung von Milan Aćimović (1941) und die Regierung der nationalen Rettung von Milana Nedića (1941-1944). http://sh.wikipedia.org/wiki/Nedi%C4%87eva_Srbij In Serbien wurden Rassegesetze eingeführt, Juden, Roma und Regimegegner systematisch verfolgt und in Konzentrationslagern ermordet. Die beiden größten Konzentrationslager auf dem Gebiet des heutigen Serbien waren das KZ Sajmište (damals zum Gebiet der Stadt Zemun und damit von 1941 bis 1944 zum Unabhängigen Staat Kroatien gehörend) in dem etwa 48.000 Menschen getötet wurden und das KZ Banjica, in dem etwa 4.200 Menschen getötet wurden. http://de.wikipedia.org/wiki/Serbien_im_Zweiten_Weltkrieg

Über die Rolle der Regierung von General Milan Nedić siehe auch den Text: Filip David, Reagovanje ćorave bake, in Jevrejski Pregled, Beograd 2012, S. 20

126 Die Jugoslawische Armee in der Heimat (Abkürzung Serbisch: JVuO) war eine Militärorganisation unter dem Kommando von Draža Mihailović, welche 1942 durch Zusammenführung mehrerer Tschetniks-Einheiten im besetzten Jugoslawien gebildet wurde. http://sh.wikipedia.org/wiki/Jugoslovenska_vojska_u_otad%C5%BEbini Dragoljub „Draža” Mihailović (27. April 1893 in Ivanjica, Königreich Serbien; † 18. Juli 1946 in Belgrad, Födera-tive Volksrepublik Jugoslawien) war der General der Tschetniks in Jugoslawien während des Zweiten Welt-krieges, bzw. der Jugoslawischen Armee im Vaterland (Jugoslovenska vojska u otadžbini - JVuO), und von 1941 bis 1943 Verteidigungsminister der jugoslawischen Exilregierung. Das Wort Tschetnik (auch Četnik; bulgarisch/serbisch четник/četnik, Mehrzahl: четници/četnici) hat seinen Ursprung im Wort чета (Tscheta, bzw. četa), was Kompanie (mil.), Truppe (mil.), Schar (mil.) oder Rotte (mil.) bedeutet. Tschetniken, oder die Tschetnik-Bewe-gung waren serbische, nationalistische und monarchis-tische paramilitärische Organisationen in der ersten Hälfte des 20. Jhs., die 1904 als Widerstandsbewegung gegen das Osmanische Reich gegründet wurden und an zwei Balkankriegen sowie dem I. und II. Weltkrieg teil-nahmen. Mehr über die Geschichte dieser Bewegung unter: http://en.wikipedia.org/wiki/Chetniks

genauso imposant wie die Unterstützung dieser Ausstellung. Zum inhaltlich komplexen Konzept der Ausstellung zitiere ich Milovan Pissari, der dies de-tailliert in seinem Text „Ausstellung über den Holocaust in Serbien 1941-1944 : Problem der selektiven Erinnerung“ auflistet: „Die Lage der jüdischen Ge-meinschaft vor dem Zweiten Weltkrieg, Antisemitismus und die, im Königreich Jugoslawien im Oktober 1940 proklamierten antijüdische Maßnahmen, die Ankunft des deutschen Besatzers und die Einführung der Nazi-Rassengesetze, die Anfänge des Pogrom, die Vernichtung der Juden in Serbien unter deutscher Besatzung und das Lager Sajmište, Plakate der Anti-Freimaurer-Ausstellung aus 1941/42, Vernichtung der Juden in anderen Regionen Serbiens unter der Be-satzung deutscher Verbündeter (ungarische Besatzung in Bačka, NDH in Srem, italienische Besatzung von Teilen des Kosovo), Zeugenaussagen von Personen jüdischer Herkunft, welche den Holocaust überlebt haben, Teilnahme der Ju-den am Krieg und schließlich der Zustand bestehender Gedenkstätten“.124 Des Weiteren können auch die rekonstruierten Zellen im Lager Banjica in Belgrad und im Lager Crveni Krst in Niš gesehen werden, sowie Namen der Gerechten aus Serbien u. v. m. Der größte Nachteil dieser Ausstellung liegt in der Tatsache, dass die Rolle der Quisling125-Mächte „verborgen“ bleibt. Die Tschetniks126 und Angehörige der serbischen Gendarmerie sind auf den ausgestellten Fotogra-

51

127 Die Auflistung der Fehler hat Milovan Pissari im Aufsatz Ausstellung über den Holocaust in Serbien: Problem der selektiven Erinnerung angeführt: http://www.starosajmiste.info/blog/izlozba-o-holokaustu-u-srbiji-problem-selektivnog-secanja-2/

128 Milan Nedić (kyrillisch: Милан Недић; * 2. September 1878 in Grocka; † 4. Februar 1946 in Bel-grad) war ein serbischer Militärangehöriger und Politiker. Er war serbischer Ministerpräsident in der anfänglichen Marionettenregierung (offizielle Bezeichnung: „Regierung der nationalen Rettung“, Влада Националног Спаса, Vlada Nacionalnog Spasa) im von der Wehrmacht besetzten Serbien. http://de.wikipedia.org/wiki/Milan_Nedi%C4%87

129 Der ganze Text unter folgender Webseite verfügbar: http://www.starosajmiste.info/blog/jos-jedan-osvrt-na-izlozbu-holokaust-u-srbiji-1941-1944/

130 Unabhängiger Staat Kroatien (kroatisch: Neza-visna Država Hrvatska, Abkürzung: NDH) ist die Bezeichnung für den kroatischen Vasallenstaat der Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg, der im April 1941 nach der Zerschlagung und Aufteilung Jugo-slawiens unter der Herrschaft der faschistischen Ustaša entstanden war. http://de.wikipedia.org/wiki/Unabh%C3%A4ngiger_Staat_Kroatien

131 Die Ustascha (kroatisch: Ustaša, deutsch: Der Auf-ständische - Kroatische revolutionäre Organisation war eine faschistische Bewegung, die kroatische Extremisten unter Führung von Ante Pavelić im italienischen Exil nach der Proklamation der Kö-nigsdiktatur in Jugoslawien im Januar 1929 bildeten. http://de.wikipedia.org/wiki/Ustascha

132 http://www.jusp-jasenovac.hr/Default.aspx?sid=5109

fien nicht einmal gekennzeichnet, was vor allem von museologischen Ver-säumnissen zeugt, mit welchen die ganze Ausstellung durchwoben ist.127 Das ist sehr problematisch, da der durchschnittliche Oberstufenschüler die Rolle der kollaboristischen Regierung in Serbien in der Periode nach der Besatzung Serbiens im Jahre 1941 anhand dieser museologischen Einrichtung nicht ver-stehen kann. Die bei der Ausstellung zu bemerkenden, unverzeihlichen Feh-ler deuten Nebojša Milikić und Nikola Radić Lucati, die Autoren von „Noch ein Rückblick auf die Ausstellung „Holocaust in Serbien 1941-1944“ (vs. zum verschwiegenen Antisemitismus und zur Kollaboration des Nedićs Staates, als einer Voraussetzung für die Lebensbejahung im heutigen Serbien)“ auf folgende Weise: „...ein und derselbe Staat kann nicht, aufgrund gefälschter Zeugenaussagen die Nedićs128 und andere Kriegsverbrecher und Kollabora-teure des Besatzers rehabilitieren und gleichzeitig wahrheitsgetreu über den Holocaust berichten.“129

5. GEDENKSTÄTTE JASENOVAC – GEDÄCHTNISMUSEUM

Der Unabhängige Staat Kroatien (NDH)130 ist am 10. April 1941 gegründet worden. Die Ustascha131-Bewegung hatte beim ersten Besuch Pavelićs bei Hitler, am 7. Juni 1941, vom Nazi-Deutschland die volle Unterstützung bei der Umsetzung der Vernichtungspolitik gegenüber den serbischen Bewoh-nern bekommen.132 Im Bericht der jugoslawischen Staatskommission zur Feststellung von Kriegserbrechen der Besatzer und deren Kollaborateure steht folgendes: „Das Lager Jasenovac zählt aufgrund seines fürchterlichen Regimes und der Anzahl der Opfer zu den schrecklichsten Folterkammern und Hinrichtungsstätten des Nazi-Faschismus während des Zweiten Welt-

52

133 Siehe: Jaša Romano, Jevreji Jugoslavije 1941-1945. Žrtve genocida i učesnici NOR, Belgrad, 1980, S. 114

134 Nataša Jovičić und Tea Benčić Rimay (Hrsg.), Geneza cvijeta Bogdana Bogdanovića, Zagreb 2009, S. 62-64

135 Foto des Denkmals zu sehen unter: http://www.jusp-jasenovac.hr/Default.aspx?sid=5904. Kontroverse Deutungen des „Blumen-Denkmals“ gibt es immer noch. Im Gegensatz zu anderen künstlerischen Ent-würfen für die Kennzeichnung des Lagers Jasenovac,

welche unterschiedliche Künstler der Regierung Jugoslawiens angeboten haben, und zwar in Richtung einer, für diesen Zweck bevorzugten „Ästhetik des Hässlichen“ (morbide Aufzeichnungen, unter anderem von Menschenschädeln), meint Bogdan Bogdanović zu seinem Entwurf Folgendes: „Mit der Blume von Jasenovac habe ich das Leben dargestellt – denn fürchterlich ist das Verbrechen, das sich in Ja-senovac abgespielt hatte, aber wichtig ist darzustellen, was danach kommt“. Gerade eine solche künstlerische Vision war die Lösung für das Rätsel der damaligen Regierung – wie kennzeichnet man Jasenovac.

kriegs“.133 In dem autobiografischen Buch „Genesis der Blume/ Geneza Cvi-jeta“, erinnert sich Architekt Bogdan Bogdanović an die Zeiten, als ihm die Aufgabe zugeteilt wurde, ein Denkmal zu entwerfen, das auf dem Gelände des ehemaligen Lagers Jasenovac stehen sollte. Er schreibt: „Tatsache ist, dass die Frage der Markierung dieses Vernichtungslagers um die Wende von den 50-ern zu den 1960-er Jahre auf einmal ziemlich aktuell geworden ist.“ Dann schreibt Bogdanović weiter: „Mit der Errichtung des Denkmals hat man auch aus dem Grund gezögert, da seine Errichtung und Enthüllung gleichzeitig ein Zugeständnis wäre, dass es sich um ein nationales Vernich-tungslager handelt“.134 Tito hatte während seiner Herrschaft die Jasenovac-Stätte nie offiziell besucht. Trotzdem wurde das Denkmal „Blume“ 135 1966 errichtet. Zwei Jahre danach, am 4. Juli 1968, wird das „Gedächtnismuseum

Abbildung 5.1: Denkmal „Blume“-Bogdan Bogdanović, Gedenkstätte Jasenovac, 2012, Foto: Vedrana Madžar

53

136 Die letzte Museums Ausstellung im Jahre 2006 erschien, als Kroatien Mitglied der Arbeitsgruppe für internationale Zusammenarbeit im Bereich Bildung und Forschung Erinnerung des Holocaust (Task Force for International Cooperation on Ho-locaust Education, Remembrance and Research), Abkürzung: ITF, war. Kroatien begann seine Koope-ration mit der Taskforce 2001. Im November 2005, während dem Vorsitz der Republik Polen, wurde die Republik Kroatien ein vollständiges Mitglied der Plenarsitzung in Krakau. http://www.holocaust-taskforce.org/membercountries/member-croatia.html Die Präsentation der neuen Museums Ausstellung der Gedenkstätte in Jasenovac konzentriert sich auf die Individualisierung der Opfer. Mehr dazu auf der Website: http://www.jusp-jasenovac.hr/Default.aspx?sid=5971 Zu allen drei ständigen Ausstellungen kann man mehr auf der offiziellen Webseite der Gedenkstätte Jasenovac finden: http://www.jusp-jasenovac.hr/Default.aspx?sid=5056

137 Ein Auszug aus dem Text von Vjeran Pavlaković: (Re)konstruktion der Vergangenheit: Museen im postkommunistischen Kroatien, Gedenkstätte Jasenovac – Zwischen dem Holocaustmuseum und postmodernis-tischem Mist (der Sammelband, für den der genannte Text geschrieben wurde ist ein Teil des Eunamus

Projektes (http://eunamus.eu/) über „Museen des Kommunismus“ (Museums of Communism), das auf der Zentraleuropäischen Universität (Central European University) in Budapest organisiert wurde) – der Text kann hier übernommen werden: http://www.starosajmiste.info/sr2012/aktivnosti/studijska-putovanja/obilazak-jasenovca-i-donje-gradine . Informationen über den Zustand des Museums während des Krieges übernimmt Vjeran Pavlaković aus dem Text von: Nataša Mataušić, The Jasenovac Concentration Camp, in Rimay, ed., Jaseno-vac Memorial Site, S. 54

138 Ibid. http://www.starosajmiste.info/sr2012/aktiv-nosti/studijska-putovanja/obilazak-jasenovca-i-donje-gradine

139 ITF wurde 1998 gegründet. Kroatien wurde 2005 Mitglied. „Die Mitgliedstaaten des ITF sind vorwie-gend europäische Staaten“. Auf diese Weise werden „europäische Erinnerungsstandards“ eingeführt. Siehe Text von Autorin Lj. Radonić, Verallgemei-nerung des Holocaust am Beispiel der kroatischen Geschichtspolitik, der dieser Seite zu entnehmen ist: http://www.starosajmiste.info/sr2012/aktivnosti/studijska-putovanja/obilazak-jasenovca-i-donje-gradine

der Gedenkstätte Jasenovac“ eröffnet. Die Museumsausstellung wird zwei Mal abgeändert: 1988 und 2006.136 Zu Beginn des Krieges 1991 sind, lt. Vjeran Pavlaković, „die Museumsgegenstände im Magazin in Banja Luka (Bosnien und Herzegowina) gelandet, woher sie 2000 nach Washington transportiert wurden, und zwar mit Unterstützung des „Holocaust-Gedächtnismuseums“ der Vereinigten Staaten von Amerika, um endlich, 2001, wieder nach Kroa-tien zurückgebracht zu werden.“137 Ab diesem Zeitpunkt beginnt man mit der Arbeit an der Revision des Museumsbestandes und der Dokumentati-on, welche 2004 beendet worden ist. Das Museum wurde am 27. November 2006 feierlich eröffnet. Vjeran Pavlaković schreibt weiter: „das Gedächtnis-museum in Jasenovac wurde der Lackmustest für die Bereitschaft Kroatiens für die Konfrontation mit dem schwarzen Kapitel seiner Geschichte, nach der Rehabilitation des extremen Nationalismus und der Ustascha während der Tuđman-Ära, welcher damit gedroht hatte, Jasenovac in einen Ort aller Kriegsopfer umzuwandeln“138 Im Rahmen unserer Studienbesuche war die vorgefundene Museumsausstellung natürlich die, die das neueste Konzept (seit 2006) verfolgt. Dazu folgt mehr im weiteren Textverlauf. Die Ausstel-lung wurde nach „europäischen Standards“139 von folgenden Personen vor-bereitet: Das Ideenkonzept und Szenario - Nataša Mataušić, künstlerische Lösung und Entwurf - Leonida Kovač, architektonischer Aspekt - Helena Paver Njirić. Die Grundidee der Museumsausstellung ist es, den Akzent auf

54

140 Deutsche Lager waren eine sog. „Todesindustrie“ und in Jasenovac wurde die sog. „Todesmanufak-tur“ organisiert. Hitlers Ideologie der Vernichtung schrieb vor, dass das Verbrechen unpersönlich sein musste, während in Jasenovac mit Schlagwaf-fen und Werkzeugen getötet wurde. „Nach den Folter- und Tötungsmethoden gehört Jasenovac zu den berüchtigtsten Lagern, und zwar nicht nur in Jugoslawien, sondern in Europa“, schreibt Jaša Romano. Siehe: Jaša Romano, Jevreji Jugoslavije

1941-1945. Žrtve genocida i učesnici NOR, Belgrad 1980, S. 114

141 http://www.youtube.com/watch?v=CS0y3NWZspE Der Film wurde 1945 gedreht. Der Dokumentarfilm dauert 16 Minuten und wurde von den kroatischen Drehbuchautoren und Bühnengestaltern Gustav Gavrin und Kosta Hlavaty gemacht.

142 http://www.ww2incolor.com/d/460713-1/greets

individuelle Opfer zu setzen (Auflistung von Opfern mit Angabe ihrer jewei-ligen Nationalität). Das ist die positive Seite des neuen Konzeptes, denn auf diese Weise wird zugegeben, dass in Kroatien Völkermord gegenüber den Juden, Serben und Roma, sowie gegenüber einzelnen Personen anderer Na-tionalitäten begangen wurde. Verschwiegen wird aber, dass neben den Nazis nur Ustaschas Lager gebaut haben; dass im Jasenovac-Lager keine Deut-schen waren; dass die Serben die größte Opfergruppe ausmachten; der Fo-cus auf die Opfer und deren Individualisierung einerseits und Auslassen der Angaben über die Täter andererseits – all das ist ein kurzer Eindruck über die Qualität der Informationen und über das durch die neue Ausstellung gebotene Erlebnis. Es gibt weder Fotos von Ustaschas, die das Lager gelei-tet haben, noch Fotos des damaligen Zustands oder der Organisation des Lagers. Die Holzhammer und Messer der Ustascha sind auch ausgelassen worden. Wie in Belgrad waren die Architekten der Innenausstattung und die Graphikdesigner bei der Ausstellungsvorbereitung am meisten beschäftigt. Die Ausstellung in Jasenovac ist sehr modern und in Bezug auf das Design beeindruckend, während der inhaltliche Teil ziemlich unleserlich und un-zugänglich ist – beispielsweise ist die Übersetzung ins Englische mit weißen Buchstaben auf grauem Hintergrund gedruckt. Ein durchschnittlicher Be-sucher ausländischer Herkunft oder ein Mittelschüler aus der Region ohne Vorkenntnisse kann sehr schwer begreifen, dass sich dieses Museum gera-de an dem Ort befindet, an welchem sich das Lager „Todesmanufaktur“ 140 befand. Die Re-Konzeptualisierung der Museumsausstellung in Jasenovac besteht darin, dass die vorherige Ausstellung mit Fotos der Tortur und mit dem Film141, von welchem die Grundschüler traumatisiert wurden, mit ei-nem neuen romantisiertem Ausstellungskonzept ersetzt wurde. Die neue Ausstellung trägt die Aussage, dass im Zweiten Weltkrieg größte Untaten gegenüber der Menschheit begangen wurden, aber der breitere Kontext, in welchem dies passiert ist, bleibt unklar bzw. ist nur durch eine einzige entscheidende Fotografie dargestellt worden: Das Foto zeigt Hitler, der die Hand seines „Untergeordneten“ Pavelić schüttelt.142 So müssen wir die sig-nifikanten Unterschiede zwischen der neuen permanenten Ausstellung des Museums und den letzten beiden Museums Ausstellungen unterstreichen. Früher bestand im Rahmen des Museums auch ein Kino. Dadurch war die Darstellung der Gräueltaten „garantiert“.143 Sollte der Besucher aufgrund

55

143 Im Kino wurden Dokumentarfilme gezeigt, am meisten „Evangelium des Bösen/Serbisch: Evanđelje zla“ von Gojko Kastratović und „Jaseno-vac 1945“ von Bogdan Žižić. http://www.jusp-jaseno-vac.hr/Default.aspx?sid=5076

144 Ein Messer mit dem Beinamen “Srbosjek”, oder “Serbcutter”, welches an die Hand gebunden wurde. Es wurde von der Ustascha-Miliz be-nutzt um die Häftlinge von Jasenovac mit hoher Geschwindigkeit zu töten. http://www.google.de/imgres?um=1&hl=en&sa=N&tbo=d&rlz=1C1AVSA_enDE456DE456&biw=1777&bih=820&tbm=isch&tbnid=1CH2YU7ZUQ88lM:&imgrefurl=http://en.wikipedia.org/wiki/File:Srbosjek_(knife)_

used_in_Croatia_-_1941%25E2%2580%25931945.jpg&docid=G0NuA5eAHGX_pM&imgurl=http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d8/Srbosjek_(knife)_used_in_Croatia_-_1941%2525E2%252580%2525931945.jpg&w=597&h=450&ei=Y6fPUI3zBon3sgbL-YHoDQ&zoom=1&iact=rc&dur=7&sig=102537983334115877509&page=1&tbnh=140&tbnw=182&start=0&ndsp=50&ved=1t:429,r:0,s:0,i:88&tx=93&ty=43---

145 Zur Innenausstattung des Saals während der Sitzung 1943 s. Šefik Bešlagić, Naše starine, Spomenici NOB-a u Jajcu i njihova zaštita, Sarajevo, 1958, S. 75 http://www.fmksa.com/download/zzs/1958/7-1958.pdf

der ausgestellten Gegenstände und Dokumente nicht in der Lage sein, sich ein Bild von dem Umfang der Verbrechen, die sich auf diesem Ort abgespielt haben, zu machen, würde eine filmische Darstellung jedes Dilemma aufklären. Die bei-den vorherigen Ausstellungen zeigten, im Gegensatz zu der neuen, die Waffen144, mit welchen die Ustascha Gefangene tötete. Auch wurde in den Texten und den, deren unterliegenden thematischen Legenden, der Kontext des Nationalsozia-lismus, sowie des Faschismus in Europa, als auch im NDH viel klarer erklärt. Die heutige museologische Darstellung kann, wie die Museumsleiter selbst anfüh-ren, den gesamten Museums- und Archivbestand der Gedenkstätte Jasenovac aufgrund von Raummangel nicht ausstellen, weswegen man auf multimediale Lösung zurückgegriffen hat. Ein paar Computer (sog. Suchmaschinen), die in die Museumsaustellung eingegliedert sind, haben den Zweck, die nicht gezeigten, unterdrückten Gegenstände und Dokumente zu ersetzen. Ein solcher Ansatz ist für ein Museum, welches sich auf dem authentischen Lagerplatz befindet, ein un-verzeihlicher Fehler, da das Internet jedem von uns heutzutage die Möglichkeit bietet, sich über alles zu informieren und zwar von jedem Punkt unseres Plane-ten aus, während das Museumsmedium gerade das Gegenteil anbieten sollte: Ein visuelles Erlebnis mittels der „Aura“ des jeweiligen Objekts.

6. MUSEUM DER ZWEITEN AVNOJ-SITZUNG

„Das Museum der Zweiten AVNOJ-Sitzung“ wurde 1953 unter Titos Anwe-senheit gegründet, zum zehnten Jahrestag – der Zweiten AVNOJ-Sitzung (29.11.1943) – als zentrale jugoslawische Museumsinstitution memorialen Typs. Der Zweck dieses Museums liegt in der Erhaltung der Erinnerung an das wichtigste Datum der jugoslawischen Geschichte – das „Geburtsdatum“ des „Zweiten Jugoslawiens“. Seine ständige Ausstellung beinhaltet das Gedenk-zimmer, in welchem das Ambiente145 der Sitzung aus dem Jahr 1943 wieder-belebt worden ist, als die Prinzipien festgelegt worden sind, auf welchen der

56

146 Die Gründung des „Museums der Zweiten AVNOJ-Sitzung“ wurde von der Kommission zur Kennzeich-nung wichtiger Kriegsdaten und Orte genehmigt, meinte der Museumsleiter Enes Milak bei unserem Besuch (03.03.2012)

147 Befreiung (Serbisch: Oslobođenje) , Blatt des SSSN von Bosnien und Herzegowina vom 01.12.1953

148 Šefik Bešlagić, Naše starine, Spomenici NOB-a u Jajcu i njihova zaštita, Sarajevo, 1958, S. 76 http://www.fmksa.com/download/zzs/1958/7-1958.pdf

künftige sozialistische Staat aufgestellt wurde. Das Museum befindet sich am historisch authentischen Ort in Jajce. Seine Gründung wurde durch die Kom-mission zur Kennzeichnung wichtiger Kriegsdaten und –orte genehmigt.146 Eine Rede zur Ausstellungseröffnung hielt Rodoljub Čolaković, stellvertre-tender Vorsitzender des Bundesexekutivrates, der bei dieser Gelegenheit, unter anderem, auch folgende Aussage machte: „...Im Museum werden alle Materialien, die sich auf dieses berühmte Datum unserer Geschichte (29. XI 1943) beziehen, aufbewahrt und ausgestellt. Das Museum soll dem Besucher ein wahrheitsgetreues Bild der Bedingungen zeigen, in welchen die Föderati-on der jugoslawischen Völker gegründet wurde. Und darüber hinaus soll das Museum unseren Besuchern, besonders unserer Jugend, als Ort dienen, an welchem sie mit jugoslawischen Patriotismus erfüllt werden können. Denn, wenn es einen Ort geben sollte, der jeden unserer tugendhaften Menschen mit einem Gefühl des gerechtfertigten Stolzes beleben muss, dass er ein Sohn dieses Landes ist, dann ist das dieser Ort, weil gerade diese Menschen in Kriegs- und Revolutionszeiten die lebensschaffende Eigenschaft von we-sentlichen Prinzipien bestätigt haben, die sowohl für ihre eigene als auch für die Zukunft der ganzen Menschheit wichtig sind...“147 Bei dieser Gelegenheit wurde, laut Šefik Bešlagić, die feierliche Sitzung des Bundesexekutivrates un-ter Titos Vorsitz abgehalten, während der Moša Pijade ein Referat zum The-ma „Über die Entwicklung des neuen Jugoslawiens auf dem Fundament his-torischer Entscheidungen der Zweiten AVNOJ-Sitzung“ vorgetragen hat und während der auch Petar Stambolić, im Namen der „Bundesvolksversamm-lung“ und des „Bundesexekutivrates“ Tito eine „Urkunde der Annerkennung und Dankbarkeit“ für seine Taten übergegeben hat und sich auch alle leben-den Mitglieder des AVNOJ getroffen und die Erinnerungen an das Jahr 1943 wiederbelebt haben.148 Heutzutage bestehen kaum Zeugnisse über die Arbeit des Museums im ehemaligen Jugoslawien. Das Museum besitzt nur eine Fo-tografie aus dem Jahre 1968, als das 25. Jubiläum der Zweiten AVNOJ-Sitzung gefeiert wurde, bei welcher Gelegenheit auch Tito das Museum besucht hat. Doch kann man aufgrund der Verluste, die das Museum in den 1990-er Jahren erlitten hat, zum Schluss kommen, dass es zu Zeiten Jugoslawiens viel besser funktioniert hat. Während des Krieges, zwischen 1992 und 1995, war das Mu-seum geschlossen, wurde verwüstet und geplündert. Mehr als die Hälfte al-ler Museumsexponate, bestehend aus 3672 archäologischen Gegenständen, 4820 Fotografien, 24 Kunstwerken u. v. m. ist verloren gegangen. „Alle drei Fraktionen haben während des letzten Bosnien-Krieges die Museumsexpo-nate aus Jajce weggetragen und für private Sammlungen genutzt”, meinte

57

149 http://www.politika.rs/rubrike/region/t53207.lt.htmlhttp://www.politika.rs/rubrike/region/t53207.lt.html

150 http://www.kons.gov.ba/main.php?id_struct=6&lang=1&action=view&id=1306

Milak in einem Interview für die Zeitung Politika.149 Die während des Krie-ges beschädigte Skulptur von Moše Pijade wurde zurückgebracht und steht heute am Museumseingang. Vier Stühle, unter anderem ein sehr wichtiges Museumsexponat, der Sessel, in dem Tito während der Sitzung 1943 geses-sen hatte, wurden ebenso zurückgebracht, sowie 10 von 846 Gemälden, ¼ der Bibliothek (früher war das Museum in Besitz von 10.000 und heute nur von 3.000 Büchern) und auch ein Großteil der Fotografien (3.000) und 100 Filme. Gerade wegen des Zustands, in dem sich das Museum 2002 befand, wurde es unter Denkmalschutz genommen und hat den Status eines natio-nalen Denkmals von Bosnien und Herzegowina bekommen.150 Nach der Re-staurierung des Gebäudes, und teilweiseder Sammlung, wurde das Museum am 29. November 2008 wiedereröffnet. Die Synopsis der neuen museolo-gischen Ausstellung hat Nataša Mataušić verfasst, und dazu kam noch das Vermächtnis der SUBNOR aus allen Republiken. Die auffälligste Änderung (bzw. Neuheit), die der heutige Besucher bemerken kann, sind Tafeln und Vitrinen, die jeweils von den SUBNOR der einzelnen neuentstandenen Staa-ten ausgearbeitet wurden, so dass jede der neuentstandenen Republiken die

Abbildung 6.1: Museum der Zweiten AVNOJ-Sitzung, 2012, Foto: Vedrana Madžar

58

Chance erhielt, die Ausstellung mit zu gestalten. „Das Museum ist heute das Stiefkind aller politischen Systeme“, meinte Milak zu uns. Zu Zeiten Jugosla-wiens waren im Museum 18 Personen beschäftigt, davon 5 Kuratoren. Heu-te sind hier nur 3 Personen angestellt, einschließlich des Museumsleiters. Früher gab es Schulexkursionen hierher und die Besucherzahl bewegte sich damals um die 180.000 jährlich, und heute sind es nur 12.000. Die schlechte finanzielle Lage macht eine ernsthaftere Forschungsarbeit unmöglich. Man muss anmerken, dass sich das Museum heute nur aus Mitteln Bosnien und Herzegowinas bzw. der Föderation finanziert. Die Föderation übernahm den Großteil der Restaurierungskosten, entsprechend den finanziellen Mög-lichkeiten unterschiedlich Slowenien, Montenegro, die Republik Srpska und Mazedonien, während Kroatien und Serbien sich nicht beteiligten. Seit 2008 wird am 29. November die Veranstaltung „AVNOJ-Tage“ organisiert, damit, so die Aussage Milaks „die Spannungen unter den Nationalitäten gemildert werden“. All das findet eher auf einer symbolischen Ebene statt, denn es ist sehr schwer eine Veranstaltung, mit ernsthaftem Inhalt, ohne finanzielle Mittel zu organisieren, und trotzdem kommen Leute aus allen Regionen Ju-goslawiens (am meisten aus Bosnien und Herzegowina, dann aus Slowenien und Kroatien, und aus anderen Regionen weniger). „Politiker sieht man bei dieser Veranstaltung nicht“, meinte weiter Milak, „wahrscheinlich, weil sie Angst haben die Gunst ihrer Wähler zu verlieren, falls sie sich als Bewunderer der Tradition, die im Museum der Zweiten AVNOJ-Sitzung aufbewahrt wird, zeigen würden“.

7. MUSEUM DER SCHLACHT FÜR DIE VERWUNDETEN AN DER NERETVA

Die Schlacht für die Verwundeten an der Neretva war eine Schlacht für die Rettung von über 4.000 Verwundeten, welche von Partisaneneinheit gegen die verbündeten deutschen und italienischen sowie Ustascha- und Tschet-niks-Mächte in Februar und März 1943 geführt und gewonnen wurde.151 Zu dieser Schlacht hat Tito eine historische Aussage gemacht, die mit der Zeit an Bedeutung und Erhabenheit gewonnen hat: „Die Schlacht an der Neretva war eine Schlacht für die Verwundeten – die menschlichste Schlacht in der Kriegsgeschichte“.

„Das Gedenkmuseum der Schlacht für die Verwundeten an der Ne-retva“ wurde in Anwesenheit des Josip Broz Tito am 12. November 1978, zum 35. Jahrestag der Schlacht an der Neretva, feierlich eröffnet. An der Eröffnung nahmen etwa 100.000 Menschen teil, was die größte Menschenversammlung

151 http://www.muzej-jablanica.com/bitka-na-neretvi.html

59

152 Anm. d. Ü.: Serbische Abkürzungen für: Volksbefrei-ungsarmee und Partisanenverbände Jugoslawiens

153 Gojko Jokić, Neretva – Makljen (Jablanica – Prozor), Sarajewo/Belgrad, 1979, S. 22

je in Jablanica darstellt. Die Museumsausstellung zu Zeiten Jugoslawiens hatte einen thematischen Charakter bzw. ihr Schwerpunkt war durch 182 Fotografi-en und 90 Dokumentenkopien zur Schlacht an der Neretva erklärt. Es gab fünf thematische Einheiten: „militärpolitische Umstände Ende 1942 und Anfang 1943 in Europa und Jugoslawien; die Vorbereitungen des deutschen und italie-nischen Besatzers und der Quisling-Kollaborateure für die Offensive auf „Titos Staat“ und die Pläne des Hauptstabes von NOV und POJ152 zum Zurückschla-gen des Feindes; Operation Weiss-1 bzw. feindlicher Angriff auf Bosanska Kraji-na, Banija, Kordun, Lika und Westbosnien (20. Januar - 20. Februar 1943); Kran-kenhäuser der Partisanen auf freiem Territorium von Bosanska krajina, Banija, Kordun und Lika und deren Umzug in der vierten Feindoffensive; die letzte thematische Ausstellungseinheit bezieht sich auf die Periode vom 9. Februar bis zum 23. März 1943. bzw. auf die Schlacht an der Neretva selbst.“153 Während des Krieges 1992-1995 wurde die Museumsaustellung zerstört und das Muse-um ziemlich beschädigt. Das Museumsgebäude wurde schnell saniert, aber die Museumsausstellung befindet sich immer noch in einem Erneuerungspro-

Abbildung 7.1: Museum der Schlacht für die Verwundeten an der Neretva, 2012, Foto: Nataša Tepavčević

60

154 NOB-Museen sind Museen zum Andenken an den Volksbefreiungskrieg. Lt. unvollständigen Angaben bestanden in Republik Jugoslawien etwa 150 Museen, welche NOB-Ausstellungen beinhalteten - davon 24 selbstständige Museen, 93 Museumsab-teilungen im Rahmen andersartiger Museen und 17 Memorialzentren usw. http://sr.wikipedia.org/wiki/%D0%9C%D1%83%D0%B7%D0%B5%D1%98%D0%B8_%D0%9D%D0%B0%D1%80%D0%BE%D0%B4%D0%BD%D0%BE%D0%BE%D1%81%D0%BB%D0%BE%D0%B1%D0%BE%D0%B4%D0%B8%D0%BB%D0%B0%D1%87%D0%BA%D0%B5_%D0%B1%D0%BE%D1%80%D0%B1%D0%B5

155 Zur Ausstellung „Völkermord gegenüber den Serben im 20. Jahrhundert“ (Serbisch: "Genocidu nad Srbi-

ma u 20. veku ") im „Memorialzentrum Mrakovica auf Kozara siehe: Darko Karačić, Tamara Banjeglav und Nataša Govedarica, Re:Vizija prošlosti: Politike sjećanja u Bosni Hercegovini, Hrvatskoj i Srbiji od 1990. godine, Sarajewo, 2012, S. 36, 37 und in der Zeitschrift Vacarme 59, S. 96, 97. Nach inoffiziellen Quellen wurde diese Ausstellung aus dem Mrakovica-Mus-seum im Sommer 2012 beseitigt.

156 Mit dem Begriff der Transformation meinte ich so-wohl die Transformation des politischen Systems, als auch der Wirtschaft und Kultur in Ost- und Südost-europa nach dem Mauerfall. Auf dem Gebiet des ehe-maligen Jugoslawiens ist der Übergangsprozess vom staatlichen Sozialismus in liberalen Kapitalismus eine schon zwei Jahrzehnte lang dauernde Phase.

zess, der laut Museumskustos Ćamil Cero nächstes Jahr zum 70. Jubiläum der Schlacht an der Neretva beendet werden solle.

Im Museum befinden sich neben der ständigen Ausstellung, welche dank den Mitarbeitern heute in einem fast unverändertem Zustand ist, auch der sog. „Kleine Saal“ für temporäre Ausstellungen. Bei unserem Museums-besuch im März 2012 haben wir hier die Ausstellung zu dem letzten Krieg in Bosnien und Herzegowina (1992-1995) aufgefunden, deren Konzept ein-deutig die Aussage trägt, dass in diesem Krieg, Serben den Völkermord an den Bosniern ausgeübt haben. Die Ausstellung wird laut Ćamil Cera in das „Kriegsmuseum“ in Mostar umziehen. Sie zeugt übrigens auch davon, dass die „rechte“ Politik sogar die „NOB-Museen“154 erreicht hat - und das ist kein Einzelfall. Ihre „Konkurrenz“ ist eine temporäre Ausstellung im „Erinnerungs-zentrum Mrakovica auf Kozara“ (auch ein „NOB-Museum“) welche sich, da sie auf dem Territorium der Republik Srpska liegt, nun an das Publikum mit dem umgekehrten Konzept wendet, dass hier die Serben die Opfer sind.155 Hier sind die Serben nicht nur als Opfer des Jugoslawienkrieges, sondern auch des Ersten und Zweiten Weltkrieges dargestellt. Aus diesen Beispielen ist die Rolle der Mu-seen in Gesellschaften, die sich in der Transformation156 befinden, leicht ersicht-lich. In anderen Worten: Der Blick auf die kommunistische Vergangenheit in den Museen der post-jugoslawischen Länder ist unvermeidlich mit heutigen gesell-schaftspolitischen Umständen gekoppelt. Die „NOB-Museen“, welche mit dem Ziel gebaut worden sind, den Diskurs der Einheit und Brüderlichkeit, auf dem Jugoslawien in der Nachkriegszeit bestanden hatte, zu festigen, sind heute ohne Berücksichtigung der traumatischen Periode des jugoslawischen Zerfalls nicht zu deuten. Obwohl ein historisches Museum eine gewisse historische Periode darstellen sollte, sprechen die aktuellen Präsentationstechniken und -methoden sowie deren Interpretationen immer vom heutigen Moment. Was wir „histori-sches Bewusstsein“ zu nennen pflegen, ist eigentlich die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart – sowie der zukünftigen Vergangenheit.

61

8. SCHLUSSFOLGERUNG

Aus dem gegebenen Überblick kann man zum Schluss kommen, dass sich die Tätigkeit der jüdischen historischen Museen im ehemaligen Jugoslawien im Vergleich zur heitigen Zeit nicht wesentlich geändert hat, da die jüdischen Gemeinden im ex-jugoslawischen Raum immer noch sehr eng zusammenar-beiten. Aufgrund der beiden genannten Beispiele in Bezug auf die Museali-sierung des Holocaust (Ausstellung „Holocaust in Serbien 1941-1944“ in Bel-grad und die neue Museumsausstellung in Jasenovac) kommt man zu dem Schluss, dass die Begegnung der serbischen und kroatischen Gesellschaft mit den Teilen der Vergangenheit, welche auf das Bestehen des Antisemitismus hinweisen, ein schmerzhaftes Thema darstellt, das im öffentlichen Diskurs durch die Methode der selektiven Erinnerung milde gesagt „vermieden“ wird. Zugleich wurden die Museen, die als „antifaschistische Tempel“ bzw. Wächter der NOB-Erinnerung gebaut worden sind, währen des Krieges 1992-1995 stark beschädigt, und nun stellte sich während deren Erneuerung die Frage, wie man sie neu konzeptualisieren soll.

62

Bešlagić, Šefik, Naše starine, Spomenici NOB-a u Jajcu i njihova zaštita, Sarajevo 1958

Filip David, Reagovanje ćorave bake, in: Jevrejski Pregled, Beograd 2012, S. 20

Ivanković, Mladenka, Jevreji u Jugoslaviji (1944-1952) - kraj ili novi početak, Beograd 2009

Jokić, Gojko, Neretva – Makljen (Jablanica – Prozor), Sarajevo/Beograd 1979

Jovičić, Nataša i Benčić Rimay, Tea, Geneza cvijeta Bogdana Bogdanovića, Zagreb 2009

Karačić, Darko, Banjeglav, Tamara i Govedarica, Nataša, Re: Vizija prošlosti: Politike sjećanja u Bosni Hercegovini, Hrvatskoj i Srbiji od 1990. godine, Sarajevo 2012

Radovanović ,Vojislava, Publikacija Jevrejski Istorijski Muzej, Beograd 2010

Romano, Jaša, Jevreji Jugoslavije 1941-1945. Žrtve genocida i učesnici narodnoosloboličkog rata, Beograd 1980

Tauber, Eli, Kad su komšije bili ljudi, Sarajevo 2008

Internetverzeichnis:

http://savezscg.org/muzej/http:// muzejsarajeva.ba/ http://www.mij.rs/ http://www.muzejavnoj.ba/ http://www.muzej-jablanica.com/ http://www.jusp-jasenovac.hr/http://elmundo¬sefarad.wikidot.com/mosa-s-pijade http://www. benevolencija.eu.org/content/view/25/32/ http://www.mij.rs/Onama1.aspx http://www.as-design.net/primeri/kuca-cveca http://novitalas.com/2012/05/25/praznik-koji-smo-nekad-svi-slavili-danas-je-dan-mladosti-i-120-ro¬dendan-josipa-broza-tita/ http://www.blic.rs/Vesti/Drustvo/325175/Titove-stafete-izlozene-u-Muzeju-istorije-Jugoslavije http://www.kalibar.rs/ code/navigate.php?Id=108&editionId=18&articleId=70 www.holocausttaskforce.org http://www.geschichtswerkstatt-europa.org/ expired-project-details/items/ns-konzentrations¬lager-belgrad.html und website hinweisen: http:// www.starosajmiste.info/en2012/ http://www.politika.rs/rubrike/Beograd/Novi-pla¬novi-za-Staro-sajmiste.lt.html http://www.staro¬sajmiste.info/blog/wp-content/uploads/2012/05/

9. LITERATURVERZEICHNIS:

63

katalog-holocaust-in-serbia-1941-1944.pdf http://www.starosajmiste.info/blog/izlozba-o-holo¬kaustu-u-srbiji-problem-selektivnog-secanja-2/ http://www.youtube.com/watch?v=CS0y3NWZspE http:// www.fmksa.com/download/zzs/1958/7-1958.pdf http://www.politika.rs/rubrike/region/t53207.lt.htmlhttp:// www.politika.rs/rubrike/region/t53207.lt.html http://www.kons.gov.ba/main.php?id_struct=6&lan g=1&action=view&id=1306

64

65

157 Siehe: Kalanj,R.(2010): Identität und Identitätspolitik (Politische Identität) in: Kroatische nationale Identität in der globalisierten Welt (Zagreb: Zentrum für Demokra-tie und Recht Miko Tripalo), S. 120

158 Smith, A.(1996): Memory and Modernity: Reflections on Ernest Gellner’s Theory of Nationalism in: Nations and Nationalism (London: European Institute), S. 383

SCHLUSSWORT

– VEDRANA MADŽAR, NATAŠA TEPAVČEVIĆ UND ZORKA OBRENIĆ

Die Auffassungen zur Identität sowie ihre Erscheinungs- und Diskursformen sind so vielfältig, dass der Ausdruck „Identität“ an sich laut R. Brubaker zu viele Bedeutungen mit sich trägt (falls zu breit gefasst), zu wenig Bedeutung hat (falls zu eng gefasst) oder doch gar nichts bedeutet (wegen seiner inne-ren Vieldeutigkeit). Diesbezüglich zieht R. Kalanj den Schluss, dass der Aus-druck relativ begriffen, jedoch nicht absolut abgeschafft werden kann. Man kann ihm Absolutheit zuordnen, vor der Relativität aber nicht retten.157

Wenn von kollektiver Erinnerung die Rede ist, wird sehr oft ihre Rol-le in der Schaffung der Identität erforscht. Und dies nicht ohne Grund, da die Verbindung zwischen der Erinnerung und der Identität einen konstitu-tiven Charakter hat (insbesondere wenn wir von einer nationalen Identität sprechen). In diesem Sinne führt auch A. Smith kurz und bündig an: „Kein Gedächtnis, keine Identität, keine Nation”158. Die Forschung der Identität als Konstrukt oder Manipulationskonzept mit einer bestimmten Funktion und/oder einem spezifischen Ziel, weist auf den Bedarf hin, politische Arti-kulationen und Praxen zu analysieren, durch welche eine Identität gestaltet wird. Das Ziel der Herstellung oder Wiederherstellung der Identität ist nie die Identität als solche. So war das Ziel der Schaffung nationaler Identitäten bei der Gründung neuer nationaler Staaten im Raum des ehemaligen Jugosla-wiens eigentlich die Konstituierung dieser nationalen Staaten. Dabei waren die Strategien der Identitätsdefinierung und –fragmentierung im Dienste des Geschichtsrevisionismus und der Zerstörung einer übernationalen Staats-struktur. Doch stellt sich die Frage, was die jüdische Identität bedeutet hatte und was für eine Position sie in der übernationalen Schöpfung Jugoslawien eingenommen hatte.

Wenn wir nochmals auf die Praxis der Etablierung der kollektiven Erinnerung durch die Eröffnung des „Jüdischen historischen Museums“ im Jahre 1948 in Belgrad und durch die Errichtung von fünf Denkmälern für jü-dische Opfer des Faschismus und NOB-Kämpfer 1952 zurückblicken, kann man den Schluss ziehen, dass diese bedeutend an der Gestaltung einer über-nationalen gesellschaftlichen Zukunft teilgenommen haben – egal wie para-dox das klingen mag.

66

Die Revision der Vergangenheit ist auf alle Fälle etwas, womit sich alle ehemaligen jugoslawischen Länder, welche eine zwei Jahrzehnte lange politi-sche und wirtschaftliche Transition durchmachen, auseinandersetzen. Nach den Ursachen dieser Revision sollte zuerst in den durch die aktuellen politi-schen Umstände aufgedrängten Forderungen gesucht werden. Eine der we-sentlichsten Strategien, mit welchen der Geschichtsrevisionismus sein Wei-terbestehen rechtfertigt und den Prozess der „Wahrheitssuche“ begeht, ist die Abweisung „ideologisierter Diskurse des sozialistischen Jugoslawiens“ und die Kennzeichnung des Kommunismus als ein schlechtes Extrem zum Faschismus. Die Ablehnung der Extreme sollte die Möglichkeit für die Ein-nahme der Position eines neutralen Schiedsrichters öffnen und damit auch die Perspektiven für eine „wahre Wahrheit“. Eine solche Strategie könnte man als „Neither-Norism“ bezeichnen, ein Begriff, den Roland Bartes in ei-nem etwas anderem Kontext eingeführt hat und der uns daran erinnert, dass es keine neutrale Position für den Schiedsrichter gibt. Bei der Arbeit an die-sem Projekt war uns die Suche nach der Wahrheit kein Ziel. Das Ziel war eher, die Mechanismen zur Herstellung der „wahren Wahrheit“ zu erörtern.

Die Regierenden haben schon immer ihre Legitimität in der Vergan-genheit gesucht und ihre Geschichtspolitik gestaltet. Doch sind sienicht all-mächtig, denn an was sich eine Gesellschaft erinnert, ist nicht nur durch die Politik bestimmt. Persönliche Erinnerungen, Andenken und Familienüber-lieferungen sind auch nicht unveränderlich, denn die werden immer wieder von neuen Inhalten geprägt, während manch andere Inhalte erlöschen. Aber in deren Fundament liegt etwas, was nicht so leicht ideologischen Änderun-gen unterliegt – das Gefühl. Die Aufbewahrung der Erinnerungen kann nie ein Monopol der Regierung oder einer bestimmten Ideologie werden, gerade wegen der Legitimität und emotionellen Kraft eines persönlichen Gedächt-nisses oder einer mündlichen Familientradition.

67

68

IMPRESSUM

Gestaltung und Titelbild: Damjan Ilić, ee-grupa.com

Übersetzungen ins Deutsche: Bojana Malović, Jelena Čolić

Berlin 2013

Alle Rechte vorbehalten© für die Texte bei der Autorinnen© für die Abbildungen bei den Urheber_innen