Brachtendorf- Zur Lehre Des Seins in Fichtes WL 1812- 2003

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  • Der erscheinende Gott

    Zur Logik des Seins in Fichtes Wissenschaftslehre 1812

    Johannes Brachtendorf (Tbingen)

    1. Transzendentalphilosophie und Metaphysik Die Stellung des Seins-Ge-dankens

    Transzendentalphilosophie und Metaphysik lassen sich auf vielfltige Wei-se voneinander abgrenzen. Im Kantischen Sinne knnte man etwa sagen,Metaphysik sei der Versuch, ontologische Bestimmungen ohne Kritik zugebrauchen1, d.h. erstens: ohne Bewutsein, da diesen BestimmungenFunktionen des menschlichen Denkens zugrunde liegen, das als solches aufdie synthetische Verarbeitung gegebenen Anschauungsmaterials einge-schrnkt ist, und zweitens: ohne eine Rechtfertigung dieser Bestimmungenaus der Analyse der Funktionsweise des Denkens heraus, durch die alleindie traditionellen Ansprche auf Universalitt und Objektivitt gegen dieEinwnde des Skeptizismus verteidigt werden knnen.

    Kants Bedenken gegen die Metaphysik lassen sich leicht auf Fichtesfrhe Kritik am Dogmatismus bzw. Realismus hin verlngern.2 Der Dogma-tismus, so Fichte, behandle das Ich wie ein bloes Ding, begreife dessenKonstitutionsleistungen nicht und meine daher, eine ontologische Theoriedes Seienden geben zu knnen, die auf die Prinzipfunktion von Subjektivitt

    1. Vgl. etwa Kants Stellungsnahme zur Philosophie Chr. Wolffs in Kritik der reinenVernunft B XXXVI f.; siehe auch B 303.

    2. Vgl. zum Folgenden ausfhrlicher: Brachtendorf, J., Fichtes Lehre vom Sein. Einekritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812, Paderborn 1995, S.78-90.

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    keinerlei Rcksicht zu nehmen braucht.3 Freilich verschrft Fichte die Kan-tische Position insofern, als er einen vorgegenstndlichen Widerhalt dersubjektiven Leistungen in der Wirklichkeit, also eine dem transzendentalenIch externe Quelle seines Anschauungsmaterials ablehnt. In der Theorie desDinges an sich, und um diese geht es hier, sieht Fichte nur einen Rest-Realismus, der einer konsequenten Durchfhrung der Deduktion letzterGegenstandsbestimmungen aus dem Ich im Wege steht. Das erkennendeIch ist nicht auf eine von ihm zwar geformte, nicht aber von ihm geschaffe-ne Gegenstandswelt bezogen, wie Kant meint. Vielmehr gilt nach Fichte:Was du siehst, bist immer du selbst.4 Der Unterschied zwischen Meta-physik und Transzendentalphilosophie entspricht in der Sicht der Wissen-schaftslehre demjenigen zwischen Realismus und Idealismus. Die Meta-physik halte Sein fr einen ersten, ursprnglichen und unmittelbarenBegriff, die Wissenschaftslehre aber fr ein im Ich begrndetes und aus ihmableitbares Konzept.5

    Legt man die Einschtzung des Seins-Gedankens als Kriterium derUnterscheidung von Metaphysik und Transzendentalphilosophie zugrunde,dann kann Fichtes spte Wissenschaftslehre als Metaphysik6 verstandenwerden. Nicht da Fichte je seine Theorie der Konstitution von Gegenstn-den aufgegeben htte. Seine Kritik am Begriff des Dinges an sich sowie ander gerade durch diesen Begriff bedingten Halbherzigkeit von Kants trans-zendentaler Deduktion der Kategorien hlt Fichte auch im Sptwerk durch.7

    3. Vgl. J. G. Fichte, Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre I 435-440 (I 4, 195-200). (Hier und im Folgenden bezieht sich die erste Stellenangabe auf Fichtes Werke, hrsg. v. I.H. Fichte, Berlin 1971. Die zweite, kursiv gesetzte Angabe bezieht sich auf die J. G. Fichte-Ge-samtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. R. Lauth, H. Jacob und H.Gliwitzky, Stuttgart 1962 ff.)

    4. Einleitungsvorlesungen 1813 (IX 78). Vgl. auch Die Bestimmung des Menschen (II228; 239). Zu Fichtes Kritik an der Konzeption eines Dinges an sich vgl. schon die Recensiondes Aenesidemus (I 17; I 2, 57). Fichte errtert das Thema wiederholt im Rahmen seiner Kritikan der These, Erkenntnis der Gegenstnde setze eine Affektion des Erkennenden durch ein un-abhngig vom Erkanntwerden Existierendes voraus: Zweite Einleitung in die Wissenschaftsleh-re (I 480-491; I 4, 232-244); Einleitungsvorlesungen 1813 (IX 58; 82). Vor allem in der Zwei-ten Einleitung bemht Fichte sich allerdings zu zeigen, da Kant wenn auch nicht dem Buch-staben, so doch dem Geiste seiner Schriften nach keine Affektionstheorie vertreten habe.

    5. Die Grundbehauptung des Philosophen, als eines solchen, ist diese: So wie das Ichnur fr sich selbst sey, entstehe ihm zugleich nothwendig ein Seyn ausser ihm; der Grund desletzteren liege im ersteren, das letztere sey durch das erstere bedingt: Selbstbewusstseyn und Be-wusstseyn eines etwas, das nicht wir selbst seyn solle, sey nothwendig verbunden. (I 457 f;I,4,212)

    6. In der Anweisung zum seligen Leben bezeichnet Fichte die Wissenschaftslehre alsdie tiefste Metaphysik und Ontologie (V 416).

    7. Zu Fichtes Kritik an Kants Deduktion der Kategorien vgl. Wissenschaftslehre novamethodo (S. 7, Nachschrift K. Chr. Fr. Krause 1798/99, hg. v. E. Fuchs, Hamburg 1982 =

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    Seit 1801 erweitert er aber schrittweise seine frhe zweistufige Hierarchievon Ich und Welt zu einer dreistufigen von Gott, Ich und Welt.8 Whrendim Frhwerk das Ich als letzter Grund des Seins und der Wirklichkeit galt,in dem die Wissenschaftslehre ihr Fundament zu nehmen habe, weil sichallein aus seiner inneren Struktur heraus die Wirklichkeit verstehen lasse,ordnet er nun dem Ich ein gttliches Eines ber. Zwar gilt das Ich weiterhinals Welt-Prinzip, doch bt es den Status der Absolutheit ein. Was das Ichselbst ist, sei keineswegs evident, sondern lasse sich nur verstehen, wenn esals Prinzipiat eines noch hheren Prinzips begriffen werde. Der Ausgangs-punkt der Philosophie beim Ich ist damit verlassen und das frhe Kriteriumder Bewutseinsimmanenz als gerechtfertigt darf nur gelten, was sich imBewutsein nachweisen lt9 wird zugunsten eines Transzendenzstand-punktes aufgegeben. In der WL 1812 gilt das Sein nicht mehr als vermittelterund ableitbarer Begriff10, sondern durchaus als ursprnglicher, nicht weiterhintergehbarer Charakter des Absoluten. Die fr Fichtes Sptwerk charakte-ristische Depotenzierung des Ich wirkt sich bis ins Vokabular hinein aus. DerAusdruck Ich kommt im Grundlegungsteil der WL 1812 kaum noch vor.An seine Stelle treten Termini, die die Abknftigkeit der vormals Ich ge-nannten Instanz von einem hheren Prinzip anzeigen. So spricht Fichte vomAbsoluten und seiner Erscheinung, oder vom Sein und dem Begriffdes Seins, oder von Gott und dem Bild Gottes.

    WLNM); Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre (I 478; I 4, 230); Wissenschaftslehre 1812(X 391).

    8. Zu diesem bergang vgl. Baumanns, P., J. G. Fichte, Kritische Gesamtdarstellungseiner Philosophie, Freiburg 1990, S. 201-272; Brachtendorf, J., Fichtes Lehre vom Sein, S.233-247; 265-272.

    9. In Fichtes frhen Werken finden sich divergierende Stellungnahmen zu diesem Kri-terium. In der WL 1794 hebt Fichte hervor, da das absolute Ich niemals im wirklichen Be-wutsein gegeben werden knne (I 277; I 2, 409; vgl. auch I 91f.; I 2, 255). Dagegen sieht er inder WLNM den Vorzug des idealistischen Immanenzgedankens vor dem Realismus gerade inder Aufweisbarkeit des Sich-selbst-setzens im Bewutsein: Der Idealist legt etwas wrklichim Bewustsein vorkommendes zu Grunde, der Dogmatiker aber etwas auser allem Bewustseinblo zu denkendes. (WLNM 16) Das Prinzip des Idealisten kommt im Bewustsein vor, darumheit auch seine Philosophie immanent. (WLNM 17) Ab 1800 verlt Fichte wiederum dasKriterium der Bewutseinsimmanenz. So stellt er in der WL 1804 unbefangen die Maximeauf, da das unmittelbare Bewutein berhaupt nicht [...] gelten solle. (X 210f.; II 8, 238)

    10. So noch in der Zweiten Einleitung (I 498f.; I 4, 251f.) und in der WLNM (41).

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    2. Fichtes Metaphysik und der Neuplatonismus

    Seine neue Prinzipienlehre entwickelt Fichte in der Einleitung zur WL181211. Diese Einleitung enthlt keineswegs Prliminarien oder propdeuti-sches Material in lockerer Darstellungsweise. Vielmehr wird hier dieGrundlage der WL gelegt und ihr, wie Fichte sagt, allererst ihr Objekt ge-geben12. Methodisch unterscheidet sich die Grundlegung von den folgen-den Teilen vor allem deshalb, weil die Prinzipien der WL, um deren Siche-rung es hier geht, nicht deduziert werden knnen, sondern als hchste Fak-ten aufzuweisen und hinzunehmen sind. Erst nach der Feststellung dieserFakten, also mit den Kapiteln eins und zwei beginnen die von Fichte be-kannten Deduktionen. Mit der Betonung der Faktizitt der Prinzipien willFichte offensichtlich dem Vorwurf des Nihilismus und der Einnahme ei-nes leeren Reflectir-Standpunktes begegnen.13 Trotz ihrer Faktizitt sinddie Prinzipien aber nicht voneinander unabhngig. Vielmehr stehen sie ineinem hierarchischen Zusammenhang, den Fichte mittels einer Logik desSeins expliziert. Diese Logik werde ich im Folgenden darstellen.

    Gleichzeitig werde ich metaphysikgeschichtliche Parallelen zur sp-ten WL insbesondere im Neuplatonismus ansprechen. Der Einflu des Neu-platonismus auf den deutschen Idealismus, insbesondere auf Hegel istjngst noch einmal ausfhrlich nachgewiesen und errtert worden.14 MaxWundt hat bereits 1929 in seinen Fichte-Forschungen auf die sachlicheNhe des spten Fichte zu Plotin hingewiesen.15 Dieser Hinweis lt sich,wie ich meine, durchaus unterfttern. Plotin vertritt ebenso wie Fichte einenontologischen Monismus derart, da die gesamte Wirklichkeit, sei sie intel-ligibel, sei sie sensibel, letztlich als aus einem hchsten Prinzip hervorge-

    11. Vgl. X 317-346.12. Vgl. X 344.13. Jacobi hatte in seinem Brief an Fichte (1799) diesen Vorwurf gegen die Wissen-

    schaftslehre erhoben (vgl. Friedrich Heinrich Jacobi, Werke Bd. 3, hg. v. F. Roth und F. Kp-pen, Darmstadt 1976, 1-57, bes. 44). In Die Bestimmung des Menschen antwortet Fichte darauf,indem er den nihilistischen Idealismus ad absurdum fhrt. Er versucht dabei den Eindruck zuerwecken, die Wissenschaftslehre sei von vornherein ber einen solchen Idealismus hinaus ge-wesen (vgl. bes. II 240-247; I, 6, 247-252). Die WL 1812 zeigt aber, wie ernst Fichte JacobisVorwurf genommen hat.

    14. Vgl. Halfwassen, J., Hegel und der sptantike Neuplatonismus. Untersuchungen zurMetaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung, Bonn1999 (Hegel-Studien, Beiheft 40), 27-43. Als Quellen kommen dabei in Frage: die PraeparatioEvangelica des Eusebios von Caesarea, sowie Jacobis Briefe ber die Lehre des Spinoza (insbe-sondere der Auszug aus Giordano Brunos De la causa, principio et uno, der der 2. Auflage 1789beigegeben war. (Vgl. Friedrich Heinrich Jacobi, Werke (Gesamtausgabe), hg. v. K. Ham-macher und W. Jaeschke, Bd. 1,1 Schriften zum Spinozastreit, 185-205).

    15. Wundt, M., Fichte-Forschungen, Stuttgart 1929 (Neudruck Stuttgart 1976), 169.

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    hend zu verstehen ist. Bei Plotin wie bei Fichte werden aber zwei vermit-telnde Zwischeninstanzen angesetzt, so da sich insgesamt eine Dreiheiteinander subordinierter Prinzipien ergibt. Schon in der Terminologie ver-weist Fichtes Konzeption von 1812 mit ihrer Abstufung von Gott bzw.dem Einen, seinem Bild und dem Bild des Bildes auf Plotins Hypo-stasen-Lehre. Plotin unterscheidet zwischen dem Einen (hen) als hchstemPrinzip, dem gttlichen nous als zweiter Instanz und der Seele (psyche) alsunterstem Prinzip. Der nous gilt dabei als Bild (eikon) des Einen; die psy-che ist wiederum Bild des nous und somit Bild des Bildes.16 Weitere Fichtemit Plotin verbindende Elemente sind, wie zu zeigen sein wird, erstens dieArtikulation der Prinzipientheorie im Rahmen der Lehre von Einheit undVielheit: das hchste Prinzip ist reine Einheit, die niederen Prinzipien las-sen zunehmende Grade an Mannigfaltigkeit zu; sowie zweitens die Rolle,die die Konzepte der Selbsterkenntnis und der Gotteserkenntnis fr die Zu-ordnung der drei Prinzipien spielen.

    Ein Unterschied des spten Fichte zu Plotin liegt allerdings in derVerwendung des Seins-Begriffes. Plotin lehnt es dezidiert ab, dem EinenSein zuzuschreiben. Sein komme nur dem nous und in abgestufter Weiseden unter diesem stehenden Instanzen zu; das Eine selbst sei hingegen, wieschon Platon sage, epekeina tes ousias, also jenseits des Seins.17 Fichtenimmt dagegen gerade die umgekehrte Perspektive ein, wenn er zu Beginnder WL 1812 festsetzt: Eins ist, und auer diesem Einen ist schlechthinNichts.18 Demnach wre gerade dem Einen, und nur ihm, Sein zuzuschrei-ben. Diese Differenz Fichtes zu Plotin lt sich sowohl systematisch alsauch historisch relativieren. Systematisch scheint es kaum mehr als eineFrage des Standpunktes zu sein, ob man das hchste Prinzip gegenber al-lem unter ihm Stehenden auszeichnet als dasjenige, das allein ist, oder alsdasjenige, das allein nicht ist, weil es ber allem steht. Fichte selbst wech-selt zwischen beiden Standpunkten hin und her. In den propdeutischenSchriften des Sptwerks etwa verwendet er, wie zumeist im Frhwerk, Seinim Sinne von Konstituiert-sein, so da vor allem die Gegenstandswelt ist,

    16. Vgl. Plotin, Enneade V 2 [11] 1, 1-18; V 1 [10] 7, 1; 10, 1-5; V 3 [49] 4, 20. ZumThema Bild bei Fichte vgl. Janke, W., Vom Bilde des Absoluten. Grundzge der Phnomeno-logie Fichtes, Berlin 1993. Janke geht kurz auf Plotin ein (vgl. 349), bringt Fichtes Theorie desBildes aber nicht mit dem Neuplatonismus, sondern eher mit Platon in Verbindung (vgl. 126-134, bes. 127).

    17. Platon, Politeia VI 509b; Plotin, Enn V 5 [32] 6, 1-14; VI 9 [9] 3, 36f. Vgl. dazuHuber, G., Das Sein und das Absolute. Studien zur Geschichte der ontologischen Problematikin der sptantiken Philosophie, Basel 1955, 55ff. Zur Seins-Transzendenz des Einen vgl. auchHalfwassen, J., Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Platon und Plotin, Stuttgart 1992,150-157.

    18. X 331.

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    whrend das Ich als Konstitutionsprinzip nicht ist.19 Historisch ist sowohlauf Plotins mittelplatonische Vorgnger als auch insbesondere auf seinenSchler und Herausgeber Porphyrios zu verweisen, der bei aller Treue zurGesamtkonzeption seines Lehrers doch dem Einen Sein zuschreibt, unddamit ber Augustinus die ganze mittelalterliche Theologie beeinflut, derGott als das Sein selbst (esse ipsum) gilt.20

    3. Das Sein und sein Begriff

    Dem bereits zitierten Satz: Eins ist, und auer diesem Einen ist schlechthinNichts21, erkennt Fichte hchste Bedeutung zu: Dies festgehalten, undnie einen Ausdruck der W.=L. so genommen, als ob diesem Satze wider-sprochen werden sollte.22 Sein sei hier zu verstehen als Negation desWerdens, d.h. als Wandellosigkeit, Einheit, Selbstndigkeit und die an-dern bekannten Folgerungen. So Spinoza so wir.23 Charakteristisch ist dernun folgende zweite Schritt der Prinzipientheorie. Fichte stellt einen Wider-spruch fest zwischen dem Inhalt der Seins-These und dem Sagen dieserThese. Das Sagen, d.h. das Aussprechen der These, gebe nmlich Zeug-nis von einer Reflexion auf oder einem Wissen um das Sein, das im Seinselbst nicht inbegriffen ist: Auer ihm [= dem Einen] ist seinem Begriffenach kein Sein: aber der Begriff ist, und ist auer ihm. Protestatio factocontraria! Indem gesagt wird, es sei Nichts auer ihm, ist Etwas, eben die-ses Sagen, auer ihm. [...]. Auer dem Sein ist also frs Erste sein Beg-riff.24 Fichte bezeichnet den Begriff des Seins auch als Erscheinungdes Seins bzw. Gottes, und zwar deshalb, weil in diesem Begriff das Seinerst zugnglich wird. Im Begriff zeigt sich das Sein; Gott erscheint in sei-

    19. Vgl. die Ausfhrungen ber die Freiheit als Grund des Seins in der Zweiten Einlei-tung (I 499; I 4, 252) und in der WLNM (51). In den Einleitungsvorlesungen 1813 spricht Fichtevon einer Genesis und Construction des Seins, die zeigen soll, da Sein einen Grundhabe, der ihm voraus liege (vgl. IX 43-45).

    20. Vgl. Porphyrios Parmenides-Kommentar XII 22-35, in: Hadot, P., Porphyre et Vic-torinus, Paris 1968, Bd. II 56-113. Siehe auch Hadot, P., Die Metaphysik des Porphyrios, in:Zintzen, C., (Hg.), Die Philosophie des Neuplatonismus, Darmstadt 1977., 208-237, bes. 228-237. Zu Augustinus siehe Confessiones 7.11.17; 17.23; 20.26.

    21. X 331.22. Ebd.23. X 326.24. X 327. Im Sptwerk versucht Fichte wiederholt, die These von einem an sich und

    unabhngig vom Denken bestehenden Sein mit dem Argument ad absurdum zu fhren, das blo-e Aussprechen der These zeige schon, da dieses Sein ein Gedachtes sei (vgl. WL 1804, X238f.; Einleitungsvorlesungen 1813, IX 43-45).

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    nem Begriff. Wie lt sich aber das Sein des Begriffs mit dem Grundsatzvereinbaren, der besagt: Nur Eins ist?

    Fichte weist drei Versuche, das Verhltnis von Sein und Begriff zubestimmen zurck, weil sie diesem Grundsatz nicht Genge tun, umschlielich eine vierte These zu prsentieren, derzufolge der Begriff Bilddes Seins ist. Der erste Versuch trennt die Erscheinung als zufllig und blofaktisch existierend vom Sein als notwendigem. Der Begriff des Seins kn-ne nmlich auch weggedacht werden, das Sein selbst aber nicht. Gottes E-xistenz hnge nicht davon ab, da um sie gewut wird.25 Fichte wendet da-gegen ein, der Begriff sei nur fr uns kontingent, an sich besitze er Not-wendigkeit. Wir finden den Begriff Gottes in uns vor, und insofern lehreuns die Erfahrung, da Gott erscheint. ber das Faktum dieser Erfahrungkann auch die WL nicht hinausgreifen, etwa indem sie aus einer Kenntnisdes Wesens Gottes heraus zu begreifen suchte, warum einer ErscheinungGottes stattfindet. Dazu wre nach Fichte ein realer Begriff vom Absolu-ten26 notwendig, den wir aber nicht besitzen. Die WL kann das Faktum derErscheinung Fichte spricht auch vom faktischen Sein oder vom Da-sein nicht konstruieren, sondern blo konstatieren. Insofern verweist siean das Leben27. Die Realitt kann aber eintreten nur in dem wirklichenErscheinen, nicht in der W.=L.28 Dennoch knnen wir Fichte zufolgeschlieen, da Gott notwendigerweise erscheint. Denn einem vollkomme-nen Wesen wie Gott, bei dem Existenz und Essenz zusammenfallen, knnekeine Indifferenz-Freiheit zugeschrieben werden. Wenn Gott erscheint und die Erfahrung lehrt uns, da er es tut dann mu dies mit Notwendig-keit geschehen.29

    Ein zweiter Versuch steht unter dem durch Jacobi an die romantischeBewegung vermittelten Titel hen kai pan.30 Demnach wre das Sein alsEinheit-Vielheit zu deuten, in die der Begriff vollstndig aufgenommenwerden knnte, so da das Problem seines vom Sein des Einen unterschie-denen Seins nicht mehr bestnde. Fichte lehnt auch diesen Versuch ab undzwar mit der Begrndung, hier werde ein Pluralittsmoment in das Absolu-te hineingetragen und somit dessen reine Einheit preisgegeben.31 Als einen

    25. Vgl. X 329-333.26. X 344.27. X 340.28. Ebd.29. X 343. Mit der aristotelischen Wissenschaftstheorie gesprochen: die WL besitzt

    nicht ein Wissen des Warum, sondern nur ein durch Erfahrung vermitteltes Wissen desDa (vgl. Analytica Posteriora I 13, 78a 22 79a 16).

    30. Jacobi, ber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn,in: Werke (Gesamtausgabe) 1,1, S. 205; 40. Bei Spinoza vgl. Ethik I, Prop. XV.

    31. X 331.

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    dritten Versuch weist Fichte den Partizipationsgedanken zurck. Das Seindes Begriffs knne nicht als auf einer Teilhabe am Sein des Einen gegrn-det verstanden werden, denn Seins-Teilhabe des Begriffs bedeutete Seins-Mitteilung und Zersplitterung des Einen. Fichte fordert: das Sein mssedurchaus nicht mitgetheilt, zertheilt, vervielfltigt werden, sondern in demEinen bleiben [;] fr das Glied des Gegensatzes msse eine ganz andereForm des Seins gefunden werden.32 Diese Form ist diejenige des Bildes.In der Konzeption des Bildes sieht Fichte den passenden Ausdruck fr denGedanken, da Gott sich uere und in der uerung ganz sei, wie er ist,und doch in ihm selbst auch ganz bleibe, wie er ist.33 Die Erscheinung soFichtes Lsung ist Bild Gottes.

    Inwiefern gilt nun vom Bild des Seins, da es nicht sei, wie es dieThese Nur Eins ist erfordert? Das Bild unterscheidet sich vom Einennicht wie das Zufllige vom Notwendigen; auch das Bild ist notwendig, je-doch nur bedingterweise. Die Erscheinung steht ja unter der Bedingung derExistenz Gottes, so da dieser absolut notwendig ist, die Erscheinung abernur bedingt notwendig. Anders formuliert: Gott existiert selbstndig, er ist ase, die Erscheinung hngt hingegen von Gottes Sein ab: sie ist ab alio. NurEins ist bedeutet demnach: Gott allein ist ontologisch selbstndig. DasBild Gottes ist nicht, heit, es existiert unselbstndig, denn obwohl notwen-dig bedarf es Gottes fr seine Existenz. Der so gefate Seinsbegriff dientFichte zur Bewahrung seines ontologischen Monismus: es gibt kein zweitesPrinzip neben Gott.

    Wie kann dann aber von der Erscheinung noch gelten, da sie ist? Inder Literatur ist verschiedentlich von einem dialektischen Verhltnis zwi-schen dem Einen und seiner Erscheinung gesprochen worden.34 Peter Bau-manns hat diese Deutung zurckgewiesen35, wie ich meine mit Recht.Baumanns erhebt seinerseits den Einwand, Fichte operiere mit einem dop-pelten Absoluten. Dieser Einwand lt sich m.E. abweisen, wenn man denSinn von Sein beachtet, den Fichte dort zur Geltung bringt, wo er vom Seinder Erscheinung spricht. Es handelt sich hier nmlich nicht mehr um Seinals Selbstndigkeit, sondern um Sein als Einheit. Fichte rangiert seine dreiPrinzipien ebenso wie Plotin nach dem Kriterium zunehmender Vielheit.Das Hchste mu reine Einheit sein. In der WL 1794 schreibt Fichte, werdas Ich bin berschreite, komme notwendig auf den Spinozismus.36 Nun

    32. X 333.33. WL 1810, 1 (II 696).34. Vgl. etwa Brggen, M., Fichtes Wissenschaftslehre. Das System in den seit 1801/02

    entstandenen Fassungen, Hamburg 1979, 116; 136.35. Vgl. Baumanns, P., 385.36. I 101.

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    berschreitet der spte Fichte offensichtlich das Ich bin, doch fhrt ihnder neuplatonische Einheitsgedanke auch ber das spinozistische hen kaipan noch hinaus. Nach Fichte ist hen kai pan kein Merkmal Gottes, sondernnur seines Bildes. Vom Bild Gottes gilt in der Tat: Dasselbe, was Eins ist,und ewig fort Eins bleibt, ist, ohne seine Einheit zu verlieren, auch ein Viel-faches, und ins Unendliche Mannigfaltiges, und ohne seine Mannigfaltig-keit zu verlieren, Eins.37 Plotin verwendet zur Charakterisierung seinerzweiten Hypostase das ganz hnliche, aus Platons Parmenides abgeleiteteKonzept des hen polla (Eines-Vieles).38 Ein hen polla weist zwar eineMehrzahl von Elementen auf, doch setzt es sich nicht additiv aus diesen E-lementen zusammen. Vielmehr sind zwei oder drei Elemente zusammennicht mehr als eines; jedes Einzelne ist soviel wie das Ganze.39 Trotz dernicht-additiven Zusammensetzung lt sich am zweiten Prinzip aber einEinheitsaspekt von einem Pluralittsaspekt unterscheiden. Als Einheitbringt die Erscheinung das Eine selbst zur Darstellung und kann, unterZugrundelegung des Verstndnisses von Sein als Einheit, seiend genanntwerden. Wenn Fichte sagt: Nur Eins ist, dann meint Sein Selbststndigkeit,die nur Gott, nicht aber sein Bild besitzt. Spricht Fichte vom Sein der Er-scheinung, dann deutet er Sein im Sinne innerer Einheit und Wandellosig-keit, die sowohl Gott als auch seinem Bild zukommt.

    4. Der Selbstbezug der Erscheinung

    An der bloen Tatsache des Sprechens ber das Eine hatte Fichte abgele-sen, da es eine Erscheinung des Einen gebe. Mit einem Hinweis auf dieseTatsache fhrt er nun auch die Erscheinung der Erscheinung oder dasBild des Bildes als dritte Instanz ein. Im Sagen des Seins besitzen wirnach Fichte nicht nur den Begriff des Sein, sondern auch ein unmittelba-res Bewutsein von diesem Begriff. Dieses Bewutsein sei als Reflexivittder Erscheinung zu deuten. Wir haben [...] darum vorgefunden, da dieErscheinung eben sich selbst erscheine, teils, da sie berhaupt sei formali-ter; teils, was sie sei, qualitativ.40 Zunchst ist die Reflexivitt der Er-scheinung ebenso als faktisch hinzunehmen wie der Begriff selbst. Die Er-scheinung erscheint darum zufolge des Faktums des Begriffes sich

    37. X 336.38. Vgl. Platon, Parmenides 142e; 144e 145c; Sophistes 248e ff.; 254d 257c.39. Vgl. Plotin, Enn V 1 [10] 8, 23-26; IV 2 [4] 2, 49ff. Der Gedanke einer nicht-additi-

    ven Einheit von Mehrerem wirkte sich prgend auf die Trinittstheologie des lateinischen Wes-tens aus. Vgl. etwa Augustinus, De Trinitate 5-7.

    40. X 337.

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    selbst.41 Doch lt sich die Notwendigkeit des Bildes vom Bild unter derBedingung, da Gott erscheine, wohl einsehen, und zwar mittels jener be-stimmtheitstheoretischen berlegungen, die schon in der frhen WL zu derThese gefhrt hatten, ein Ich knne nur gesetzt werden, wenn ein Nicht-Ichmitgesetzt werde.42 Fichte argumentiert, wenn das Absolute erscheine, dannmsse es als Absolutes erscheinen. Die Bestimmtheit, die die Partikel alsanzeigt, knne aber nur durch eine Gegeninstanz zum Absoluten entstehen.Es msse also ein Nicht-Absolutes mit-erscheinen, das den Kontrast liefere,durch den das Absolute erst als solches zum Vorschein komme. Dieses mit-erscheinende Nicht-Absolute sei die Erscheinung selbst. Dasjenige, dem alldies erscheine, knne aber ebenfalls nur die Erscheinung sein. Also mssedie Erscheinung sich selbst erscheinen, damit ihr das Absolute erscheinenknne. Die Reflexivitt der Erscheinung folgt somit notwendig aus demFaktum der Erscheinung Gottes. Die Erscheinung der Erscheinung unterlie-ge aber den gleichen bestimmtheitstheoretischen Gesetzen wie die Erschei-nung des Absoluten. Die Erscheinung kann sich nur erscheinen, indem siesich erscheint als sicherscheinend. Beachtenswert ist der gegenber der fr-hen WL vernderte systematische Rang des Reflexionssatzes. In der WL1794 sowie in der WLNM galt es als unmittelbar gewi, da das Ich sichnicht nur setze, sondern gleichsam als hchstes Faktum sich setze alssich setzend, weil dies eben zum Begriff des Ich gehre. Die Deduktion al-ler weiteren Ergebnisse erfolgt dann in Gestalt einer Frage nach den Bedin-gungen, die erfllt sein mssen, d.h. nach den Akten, die zu vollziehen sind,damit eine solche Selbstreflexion mglich wird. In der WL 1812 findetsich, gleichsam vom Reflexionssatz abwrts, das gleiche Verfahren. Fichteschreibt: Was liegt in diesem [...] Sicherscheinen? Das gesamte Systemdes Bewutseins. Dies daraus herzuleiten [ist] von nun an unsere Aufga-be.43 Aber dieser Satz drckt nun kein unhintergehbares Faktum mehr aus,sondern ist selbst nur noch Bedingung der Mglichkeit eines hheren Fak-tums, nmlich der Erscheinung Gottes.

    Fichte knpft die Selbstreflexion der Erscheinung an deren Mannig-faltigkeitsaspekt an. Der Erscheinung kommt Sein nur hinsichtlich ihres

    41. Ebd.42. Die WL 1794 bringt dies auf je verschiedene Weise im Satz der Teilbarkeit ( 3) so-

    wie in der Reflexionsformel zum Ausdruck: Das Ich mu wenn es ein Ich sein soll, sich set-zen, als durch sich selbst gesetzt; und durch dieses neue, auf ein ursprngliches Setzen sich be-ziehende Setzen ffnet es sich, dass ich so sage, der Einwirkung von aussen. ( 5, I 276; I 2,409). In der Zweiten Einleitung heit es: Die Grundbehauptung des Philosophen, als eines sol-chen, ist diese: So wie das Ich nur fr sich selbst sey, entstehe ihm notwendig ein Seyn ausserihm. (I 457f.; I 4, 212) So gewi also das Ich gesezt werden soll, so gewi mu ein Nichtichmitgesezt werden. (WLNM 37)

    43. X 387.

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    Einheitsmomentes zu. Mit der Selbstreflexion beginnt die Sphre der Ver-nderlichkeit, des Scheins und der Illusion. Denn wenn die Erscheinungsich erscheint als sich erscheinend, dann fat sie sich so auf, als kme ihreine Eigenttigkeit zu, eben die des Sicherscheinens, als wre sie ein in ei-gener Macht sich abbildendes Princip44, oder in Fichtes Umschreibungdes Ausdrucks Prinzip, ein von sich, aus sich, durch sich45. Dies istnatrlich ein bloer Schein, denn Prinzip in diesem Sinn ist allein Gott;doch der Schein der Selbstndigkeit der Erscheinung entsteht eben notwen-digerweise unter der Bedingung, da Gott erscheint: die Erscheinung istgebildet als Princip: ist denn die Erscheinung in der That Princip? Nein,sondern Sein aus und an Gott. Woher kommt uns nun dies? Vom Bildeschlechthin als Bilde: das Bild ist der absolute Schpfer aller dieser Glieder. Sie haben alles gewonnen, wenn Sie die absolute Schpferkraft des Bildesbegreifen.46 Die Schpfung der Selbstreflexion des Bildes ist jener Schein,der nicht nur eine Prinziphaftigkeit des Ich, sondern ber Projektionsme-chanismen, die schon aus der frhen WL bekannt sind, letztlich sogar eineSelbstndigkeit des sinnlich wahrnehmbaren Dinges vortuschen.

    Auch hier zeigen sich Parallelen zum Neuplatonismus. Plotin identi-fiziert den nous als Bild des Einen mit der intelligiblen Welt, dem kosmosnoetos.47 Als Bild des nous beinhaltet die dritte Hypostase das sogenanntedianoetikon, das diskursive Denkvermgen des Menschen.48 In dem Ver-such, seinen Ursprung zu erfassen, wendet sich dieses Denkvermgen derintelligiblen Welt zu, mu deren hen polla Struktur aufgrund seiner Diskur-sivitt aber in abstrakte, gegeneinander isolierte Bestimmungen zerlegen49und schafft letztlich die sinnlich wahrnehmbare Welt als inferiore, durchrumliche und zeitliche Trennungen gekennzeichnete Wiedergabe des kos-mos noetos. Hier findet die sinnliche Wahrnehmung statt, die in Wahrheitnur ein getrbtes Denken sei.50 hnlich wie Plotin deutet Fichte das Bilddes Seins als Geisterwelt, die sich aber unter dem Bemhen des Bildes,sich selbst zu reflektieren, in die durch abzhlbare Mannigfaltigkeit ge-kennzeichnete Sinnenwelt verwandelt. Die Erscheinung hat ihr ideales, nurdenkbares Sein durch Gott. Durch ihre Selbstreflexion knpft sich an dasideale Sein ein faktisches, anschaubares Sein. Als Bild Gottes ist sie abso-

    44. X 359.45. X 372.46. X 362f.47. Vgl. Enn VI 9 [9] 5, 15-24.48. Vgl. Enn V 3 [49] 4, 21-22; V 1 [10] 13-31.49. So etwa im Aufbau der Wissenschaften, die den Einheitscharakter der intelligiblen

    Welt nur noch insofern bewahren, als die Stze einer Wissenschaft einander implizieren. (Vgl.Enn IV 9 [8] 5)

    50. Vgl. Enn VI 7 [38] 7, 29.

  • Johannes Brachtendorf250

    lute Einheit, als Bild ihrer selbst ist sie unendliche Mannigfaltigkeit (X383f.).

    5. Der Zweck der Philosophie

    Auch in der Beurteilung der Lebensbedeutung der Philosophie stimmenFichte und Plotin weitgehend berein. Beide meinen nmlich, eine Einsichtin den Schein-Charakter der Sinnenwelt und eine Anerkennung der Realittdes Intelligiblen, Fichte spricht von Intelligiren51, sei fr ein gelungenesLeben unerllich. Die WL 1810 mndet ebenso wie Plotins Denken in ei-ne Weisheitslehre. Weise ist, wer die Nichtigkeit der Produkte des Bildesvom Bild erkennt und sich, geleitet von dieser Erkenntnis, auf den Stand-punkt des einfachen Bildes zu erheben vermag, von dem allein aus das Ei-ne, unverstellt durch die Mechanismen der Reflexion, so sichtbar wird, wiees berhaupt nur sichtbar werden kann. Heimkehr durch bewute Realisie-rung des Bildes Gottes in uns ist das zentrale ethische Postulat fr beideDenker. Wohl zielt Plotin auf ekstatische Erlebnisse der Entrckung zumnous52, wohingegen Fichte eher ein weltliches Leben im Lichte der Gewi-heit des Absoluten projektiert. Und whrend der heidnische Philosoph eherauf ein natrliches Vermgen des Aufstiegs zum Intelligiblen vertraut, hebtder Protestant die Ohnmacht des Individuums vor Gott und die Notwendig-keit der Gnade hervor, wenn er betont, der Mensch msse es erwarten, dadas gttliche Bild in ihm herausbreche.53 Dennoch steht die spte WLauch in der Frage der Lebensrelevanz der Philosophie der neuplatonischenMetaphysik nahe.

    Die Logik der Erscheinung des Seins lt sich nun noch um einenletzten Schritt voranbringen, durch den Fichte dem antiken Wort, die Philo-sophie sei das grte Geschenk der Gtter an den Menschen, einen beson-deren Sinn gibt. Gott kann nur Erscheinen, wenn die Erscheinung sichselbst als Prinzip erscheint. Gerade dadurch wird aber die Erkenntnis Gottesverstellt, denn zu seiner Absolutheit gehrt, da nur er selbstndig ist.Wenn die Erscheinung sich als seiend erscheint, verhindert sie gerade die

    51. Vgl. Die Thatsachen des Bewutseins (1813), IX 442; WL 1810, II 708f.52. Vgl. Enn III 8 [30] 8; V 3 [49] 4, 23-30. Siehe dazu Beierwaltes, W., Platonismus

    im Christentum, Ffm 1998, 179f. Ders., Selbsterkenntnis und Erfahrung der Einheit. PlotinsEnneade V 3, Ffm 1991, 106-108.

    53. Durch sich kann der Mensch Nichts thun: sich nicht sittlich machen, sondern ermu es erwarten, da das gttliche Bild in ihm herausbreche. [...] Aller eitler Stolz mu nieder-geschlagen, und rein erkannt werden, da in uns als eigene Kraft gar nichts Gutes ist. (Sitten-lehre 1812, XI 45f.)

  • Der erscheinende Gott 251

    Einsicht in die Wahrheit des Satzes: Nur Eins ist. Andererseits hat der gan-ze Vorgang der Selbstabbildung Gottes den Zweck, da Gott erscheint alsdas, was er ist. Das Ziel dieses Vorgangs kann nur dann erreicht werden,wenn durch eine weitere Reflexion Aufklrung ber die Scheinhaftigkeitdes sich reflektierenden Ich stattfindet. Diese Aufklrung findet in der WLstatt. Daher ist die WL selbst Teil, und zwar abschlieender Teil, jener Ak-tivitt Gottes ist, durch die er erscheint. Die Notwendigkeit der Erschei-nung, die aus der Vollkommenheit des Einen resultiert, schliet die Exis-tenz der WL als letzten Gliedes des Vorgangs der Erscheinung ein. Die WList nicht Projekt eines philosophierenden Ich, das Aufklrung ber sichselbst gewinnen will, sondern eine Veranstaltung Gottes zur Rettung desMenschen. Die WL wird zum Sakrament.54

    54. Der Idealismus fhre zu einem Leben im Geiste, nicht im Fleische (vgl. ber dasVerhltnis der Logik zur Philosophie oder transcendentale Logik 1812, IX 309 mit Anspielungauf Rm 8, 1-17); aus der WL fliee das Heil (vgl. Einleitungsvorlesungen 1813, IX 8). DieNachfolge des stumpf gewordenen Christentums antretend sei die WL ein neues Heilmittel frdas Menschengeschlecht, und das einzig brig bleibende (Einleitungsvorlesungen 1813, IX39). Wie der Apostel Paulus die Korinther vor dem Mibrauch des Altarsakramentes warnt(vgl. 1 Kor 11,27-29), so ermahnt Fichte seine Hrer: Also man versndige sich nicht amletzten Heilmittel durch leichtsinnigen und unvorsichtigen Gebrauch. (IX 36).