Brahms- Sextette - NDR · 2020. 11. 26. · Sextette KAMMERKONZERTE Samstag, 21.09.19 — 19.30 Uhr...

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Brahms- Sextette KAMMERKONZERTE Samstag, 21.09.19 — 19.30 Uhr Elbphilharmonie Hamburg, Kleiner Saal

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  • Brahms-Sextette

    K A M M E R K O N Z E R T E

    Samstag, 21.09.19 — 19.30 Uhr Elbphilharmonie Hamburg, Kleiner Saal

  • S TEFAN WAGNER

    ViolineRODRIGO REICHEL

    ViolineAL AN GILBER T

    ViolaJAN L ARSEN

    ViolaANDRE A S GRÜNKORN

    VioloncelloCHRIS TOPHER FR ANZIUS

    Violoncello

    JOHANNES BR AHMS (1833 – 1897)

    Streichsextett Nr. 1 B-Dur op. 18Entstehung: 1859 – 60 | Uraufführung: Hannover, 20. Oktober 1860 | Dauer: ca. 35 Min.

    I. Allegro ma non troppo II. Andante, ma moderato III. Scherzo. Allegro molto – Trio. Animato IV. Rondo. Poco Allegretto e grazioso

    Pause

    Streichsextett Nr. 2 G-Dur op. 36Entstehung: 1864 – 65 | Uraufführung: Boston, 11. Oktober 1866 | Dauer: ca. 38 Min.

    I. Allegro non troppo II. Scherzo. Allegro non troppo – Presto giocoso – Tempo primo III. Poco Adagio IV. Poco Allegro

    Ende des Konzerts gegen 21.15 Uhr

    Das Konzert wird am 15.11.19 um 20 Uhr auf NDR Kultur gesendet.

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  • Mit Serenaden klängen gegen den Beethoven-Komplex

    „Klingt nach Gilbert“ lautet das Motto des Festivals, mit dem der neue

    Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters seine Amtszeit

    einläutet. Und im heutigen Konzert klingt Alan Gilbert sogar im buch-

    stäblichen Sinn, wenn sich der gelernte Geiger zu den Kollegen seines

    Orchesters gesellt, um sich an der Bratsche zwei einzigartigen Stücken

    zu widmen, die zu den vielleicht schönsten Werken der Kammermusik-

    literatur gehören: Johannes Brahms’ Streichsextetten.

    Streichquartette gibt es in der Kammermusikliteratur wie Sand am

    Meer. Trios und Quintette sind schon weniger zahlreich, ernstzuneh-

    mende Duos und Sextette geradezu selten. Ein Grund dafür könnte

    darin liegen, dass die Kombination von Melodieton und begleitendem

    Dreiklang oder von Dreiklang und Bass ganz natürlich zum Quartett

    führt. Andere Besetzungen sind offenbar gerade wegen der Abwei-

    chung vom satztechnischen Ideal der Vierstimmigkeit weniger beliebt:

    Die Stimmen, die dem Duo fehlen, erscheinen beim Sextett überzählig,

    bloß dekorativ. Daher dienen Duos von Melodieinstrumenten oft nur

    als Etüden, etwa für Lehrer und Schüler, während dem Sextett und

    anderen großen Ensembles der Ruf oberflächlicher Serenadenmusik

    anhaftet. Nun kann man zwar die beiden Streichsextette von Johannes

    Brahms nicht gerade als ästhetische „Leichtgewichte“ bezeichnen,

    doch Bezüge zu den unterhaltsamen Nachtmusiken des 18. Jahrhun-

    derts lassen sie durchaus erkennen – etwa volkstümlich-tänzerische

    Elemente oder, im ersten Sextett, einen vergleichsweise schlichten

    Tonsatz, der Melodie und Begleitung deutlich trennt.

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  • Johannes Brahms (1864)

    Brahms hatte nach eigener Aussage schon mehr als 20 Streichquar-

    tette begonnen und wieder verworfen, bevor er als 40-Jähriger seine

    beiden Quartette op. 51 an die Öffentlichkeit gab. Dieses lange Zögern

    war einer fast schon krankhaft selbstkritischen Haltung geschuldet,

    einer tiefen Verunsicherung angesichts der kaum zu übertreffenden

    Leistungen Ludwig van Beethovens. Dagegen gelang ihm mit seinem

    ersten Streichsextett B-Dur op. 18 von 1859/60 schon früh und auf

    Anhieb ein großer Wurf, und das zweite Sextett op. 36 folgte recht

    bald nach der Publikation des ersten (1862): Die ersten drei Sätze des

    G-Dur-Werks schrieb Brahms im September 1864 in Lichtenthal bei

    Baden-Baden, das Finale im Mai 1865. Dieser vergleichsweise mühelose

    Entstehungsprozess korrespondiert mit dem geringeren ästhetischen

    Anspruch, den Musiker und Publikum an größere Kammermusikbeset-

    zungen stellten: In der Quartettkomposition erschien Beethoven als

    übermächtiges Vorbild, doch an Sextette konnte sich ein junger Kom-

    ponist viel unbefangener heranwagen, da die Besetzung nicht durch

    eine einschüchternde Tradition belastet war. Ganz ähnlich verlief übri-

    gens Brahms’ Entwicklung im Bereich der Orchestermusik: Seine ers-

    te Sinfonie vollendete er nach mehreren gescheiterten Anläufen erst

    1876. Doch schon 1857– 60 entstanden zwei Serenaden – durchaus

    ambitionierte Werke, die allerdings nicht den hohen Erwartungen der

    Zuhörer an eine Sinfonie ausgesetzt waren. Möglicherweise spielte

    bei der Wahl der Besetzungen ja auch Brahms’ Neigung zum dunklen

    Klang eine Rolle: In der zweiten Serenade fehlen die Violinen, und in

    den beiden Sextetten bewirkt die Kombination von je zwei Geigen,

    Bratschen und Celli gegenüber der üblichen Quartettbesetzung eine

    Verstärkung des mittleren und tiefen Registers.

    Walzer, Folia und Musette:Sextett Nr. 1 op. 18

    Formal orientierte sich Brahms in beiden Sextetten am klassischen

    viersätzigen Modell. So ist der erste Satz jeweils in der traditionellen

    Sonatenform gestaltet – im B-Dur-Sextett allerdings mit drei Themen

    anstelle der üblichen zwei. Das ausdrucksvolle, sanft strömende

    Hauptthema in der Grundtonart erklingt zunächst im ersten Cello, be-

    vor die erste Violine es übernimmt. Diese Art der Eröffnung hatte im

    Übrigen erst der Geiger und Komponist Joseph Joachim seinem Freund

    Brahms vorgeschlagen; dieser wollte den Satz ursprünglich mit dem

    Themeneinsatz der Violine (in Takt 11 der Endfassung) beginnen lassen.

    Von mehreren Instrumenten gleichzeitig wird bald darauf eine walzer-

    artige Melodie vorgetragen – allerdings in der „falschen“ Tonart A-Dur.

    Ein drittes Thema, nun im erwarteten F-Dur, lässt an einen Ländler,

    etwa von Schubert, denken; wieder hört man zuerst das Cello, dann

    die Geige. Neben den genannten ließen sich noch einige weitere ein-

    prägsame thematische Gestalten anführen, und tatsächlich ist ein

    solch ununterbrochenes Strömen herrlicher Melodien in Brahms’

    späterem Schaffen fast ohne Beispiel. Man überhört darüber beinahe,

    wie kunstvoll der Satz konstruiert ist: Aus wenigen Kernmotiven wie

    etwa dem Themenkopf des Hauptthemas oder dem Auftaktmotiv des

    dritten Themas lässt sich alles Übrige ableiten.

    Den zweiten Satz, das Andante in d-Moll, komponierte Brahms in

    seiner Lieblingsform, nämlich als Variationenfolge. Grundlage der fünf

    Variationen ist allerdings weniger die Anfangsmelodie als vielmehr –

    wie in einer barocken Chaconne oder Passacaglia – das ihr zugrunde

    liegende Harmonieschema. Es ähnelt auch auffallend einem Tanz und

    Satzmodell der Barockzeit, nämlich der „Folia“. In den ersten drei

    Variationen steigert sich die Lebhaftigkeit der Bewegung, gipfelnd in

    „Ich bin etwas nervös über das lange und sentimentale Stück.“Brahms vor der Uraufführung seines Sextetts Nr. 1 in Hannover

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  • Der Geiger und Brahms-Freund Joseph Joachim,

    der bei der Uraufführung des B-Dur-Sextetts die

    1. Violine spielte

    den auf- und abwogenden Zweiunddreißigstel-Läufen der Celli in Nr. 3.

    Die Variationen Nr. 4 und 5 stehen in Dur, wobei die fünfte nach Art

    einer Musette gestaltet ist, also an Dudelsack-Musik erinnert. In der

    knappen Coda wiederholt zunächst das erste Cello das Ausgangsthema,

    dessen stetig wiederholte Schlusswendung dann zum Satzende führt.

    Brahms arrangierte diesen Satz auch für Soloklavier; er schenkte die

    Bearbeitung Clara Schumann am 13. September 1860 zum Geburtstag.

    Im folgenden Scherzo liegt der scherzhafte Charakter nicht, wie sonst

    so häufig, im Rhythmischen, sondern in der Harmonik: Nachdem Brahms

    im ersten Abschnitt des Hauptteils durch stetiges Pendeln zwischen

    Tonika und Dominante die Grundtonart fest etabliert hat, gibt er

    dem zweiten völlig überraschende Wendungen. Ähnliches ereignet

    sich in den beiden Abschnitten des Trioteils, der das ohnehin rasche

    Tempo bis zur Ausgelassenheit steigert. Wie in der Scherzoform üblich,

    schließt sich ein Dacapo des Hauptteils ohne Wiederholungen an.

    Mit ihm sollte der Satz ursprünglich enden, doch Brahms’ nachträgliche

    Idee, noch eine Coda im lebhaften Tempo des Trios anzufügen, führt

    zweifellos zu einem effektvolleren Schluss, der zudem noch eine schöne

    Kontrastwirkung zum relativ gemächlichen Finale ergibt.

    Gerade dieser Schlusssatz schlägt nun einen typischen Serenadenton

    an; seine graziösen Verzierungen und die in sich geschlossenen,

    regelmäßig gegliederten Themen lassen an die Zeit des Rokoko den-

    ken. Brahms gestaltete das Finale als Rondo, gab ihm allerdings auch

    Züge der Variationenform: Der Ablauf folgt dem Schema A1-B1-A2-

    C-A3-B2-A4-Coda; das Refrainthema A wird bei jeder Wiederkehr

    geistvoll abgewandelt.

    „Im übermütig los-stampfenden Scherzo sind die losen Geister des rheinischen Weines entbunden. [Das Finalrondo] steuert stromaufwärts mit ei-nem Schiff voll lustiger Gesellen ... Es fährt sich doch auf dem Rhein nach Nonnenwerth und Rolandseck noch schöner als auf der Alster nach Uhlenhorst!“Der Brahms-Biograf Max Kalbeck über den 3. und 4. Satz des Sextetts op. 18,

    das während einer Rheinreise vollendet worden war

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  • Brahms-Haus in Lichtenthal bei Baden-Baden,

    wo das G-Dur-Sextett vollendet wurde

    Befreiung von der Liebe:Sextett Nr. 2 op. 36 Brahms schrieb häufig in rascher Folge zwei Werke gleicher Gattung:

    so etwa die Serenaden op. 11 und op. 16, die Streichquartette op. 51,

    die Sinfonie-Paare Nr. 1/2 und Nr. 3/4, die Ouvertüren op. 80 und op. 81

    oder die Klarinettensonaten op. 120. „Und immer“, so der Brahms-

    Biograf Hans Gál, „ist das nachfolgende Werk noch reicher, seine Technik

    noch sicherer, seine Form noch freier und großzügiger.“ Trifft das wohl

    auch auf die beiden Sextette zu? Nun, zumindest wirkt das zweite

    deutlich kammermusikalischer im Vergleich zum stellenweise eher

    orchestral tönenden ersten. Im B-Dur-Werk hatte Brahms oftmals noch

    mehrere Instrumente in Oktaven oder im Einklang spielen lassen. Im

    G-Dur-Sextett reduzierte er solche Unisono-Führungen; dafür spielt

    Kontrapunktik nach barocker Tradition eine wichtige Rolle: So erklingt

    etwa das Hauptthema des ersten Satzes auch in Umkehrung (seine

    aufsteigenden Quinten werden zu fallenden) sowie im vierstimmigen

    Kanon. Solche Gelehrsamkeit blieb allerdings nicht folgenlos für die

    Akzeptanz des Werks. Während die Uraufführung des ersten Sextetts

    Brahms den ersten großen Erfolg seiner Laufbahn bescherte, konnte

    sich das zweite nur allmählich im Konzertleben durchsetzen.

    Stimmungsvoll und durchaus eingängig wird man gerade das Haupt-

    thema des eröffnenden „Allegro non troppo“ aber dennoch nennen

    dürfen. Die charakteristischen Quinten der Melodie, der sofortige

    Wechsel in harmonisch weit entfernte Regionen und zurück, die geheim-

    nisvoll „murmelnde“ Begleitung durch die erste Viola mit einer zwischen

    zwei Saiten pendelnden Wechselnote G-Fis – alle diese Züge des

    Themas prägen dann auch den Mittelteil, über den Brahms’ Freundin

    Clara Schumann ihm schrieb: „Die Durchführung hat mich auch wieder

    entzückt – auf die kann man sich bei Dir noch immer ganz besonders

    „Das Thema [des ersten Satzes] könnte dir wohl gestohlen werden, aber was finge einer wohl damit an, der nicht ver-steht wie Du, es so aufs reizendste und geist-vollste mit Motiven zu umkleiden, die immer darum herum spielen und sich ineinander schlingen wie eine Kette lieblicher Gedanken.“Clara Schumann an Brahms, nachdem sie als erste das Manuskript des Sextetts op. 36 erhalten hatte

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  • freuen – sie sind nicht wie bei anderen das Resultat geistreicher Kom-

    binationen, bei denen mehr oder weniger das eigentliche Empfinden

    in den Hintergrund gedrängt wird, sondern es ist immer, als ob erst da

    bei Dir alle Motive zur innersten wärmsten Aussprache kämen und das

    ist dann so ganz entzückend.“ Während ein schwungvolles Seitenthema,

    das vom ersten Cello an die erste Geige weitergereicht wird, episodisch

    bleibt, spielt eine im Anschluss erklingende Passage eine besondere

    Rolle: Erste Violine und erste Viola bewegen sich hier doch einmal in

    Oktaven; sie spielen gleich mehrfach die Töne A-G-A-H-E, die den

    Namen „Agathe“ bilden, wenn auch ohne den „unmusikalischen“

    Buchstaben T. Bezieht man noch den Ton D mit ein, der in Violine II

    und Cello I das H der übrigen begleitet, dann ergibt sich der Wortsinn

    „Agathe, ade!“ Dazu erklärte Brahms angeblich seinem Freund Joseph

    Gänsbacher: „Da habe ich mich von meiner letzten Liebe losgemacht!“

    Er meinte damit seine Beziehung zu der Göttinger Professorentochter

    Agathe von Siebold, die von ihr im Frühjahr 1859 beendet wurde,

    nachdem er sich zu einer festen Bindung nicht entschließen konnte.

    „Man erkennt, was dennoch innerhalb der alten Formen erreicht werden kann, wenn jemand daherkommt, der damit umzugehen versteht.“Richard Wagner 1864 über Brahms’ Kunst des Variierens

    Eine noch länger zurückliegende Anregung griff Brahms im zweiten

    Satz auf: Im Hauptteil dieses Scherzos zitiert Brahms eine Gavotte in

    a-Moll, die er 1854 für Klavier komponiert hatte. Der Beginn mit seiner

    von Pralltrillern geschmückten Melodie klingt noch leicht ungarisch,

    doch schon bald weckt die Musik Assoziationen an eine barocke Fuge.

    Einen Kontrast zum geraden Metrum und den Mollklängen des Haupt-

    teils bildet der sehr schnelle Trio-Mittelabschnitt: Er steht in G-Dur

    und im wuchtigen Dreiertakt eines Ländlers.

    Den langsamen Satz, dieses Mal an dritter Stelle platziert, komponierte

    Brahms wieder als Variationenfolge. Allerdings präsentierte er das

    wehmütige, dreimal vier Takte umfassende Thema in e-Moll mit so

    selbständigen Gegenstimmen, dass es sich dem Hörer kaum als Melo-

    die mitteilt. Und von der Gestalt dieses Themas führen die folgenden

    Abschnitte so weit weg, dass der Kritiker und Brahms-Freund Eduard

    Hanslick nicht zu Unrecht von „Variationen über kein Thema“ sprach.

    Im Verlauf der ersten vier Variationen steigert Brahms systematisch die

    Lebhaftigkeit der Bewegung, bevor er sie für die ruhige fünfte (in E-Dur)

    und die Coda wieder zurücknimmt. Kaum überraschend kommen auch

    in diesem Satz ausgiebig die kontrapunktischen Techniken der Barock-

    zeit zum Einsatz – etwa kanonartige Imitation, Kombination mit Gegen-

    themen, Umkehrung oder rhythmische Verkleinerung der Melodie zu

    einer begleitenden Figuration.

    Das Finale gestaltete Brahms als Sonatenrondo mit drei Themen-

    blöcken. Der Beginn mutet mit seinen leise flirrenden Sechzehnteln

    ein wenig wie ein Mendelssohnsches „Elfen-Scherzo“ an. Ihm folgt

    eine weit ausschwingende Melodie der ersten Geige, teils in parallelen

    Sexten mit Cello oder Viola geführt. Und schließlich hört man, zunächst

    im Cello, noch das dritte, von fallenden Quinten geprägte Thema. Im

    kurzen Mittelteil erklingt das „Elfen-Thema“ fugiert, doch dafür wird es

    in der Reprise ausgelassen, um mit seinen Sechzehntel-Repetitionen

    erst wieder die lebhafte Coda zu prägen.

    Jürgen Ostmann

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  • AlanGilbert

    Die aktuellen Konzerte im Rahmen des Festivals „Klingt nach Gilbert“

    markieren den Amtsantritt von Alan Gilbert als neuer Chefdirigent des

    NDR Elbphilharmonie Orchesters. Der Amerikaner genießt in der inter-

    nationalen Musikwelt einen herausragenden Ruf als leidenschaftlicher

    Interpret eines breiten Repertoires vom Barock bis zur Gegenwart sowie

    als Künstler mit großem gesellschaftlichem Verantwortungsbewusst-

    sein. Dem NDR Elbphilharmonie Orchester ist er bereits seit langem

    eng verbunden; von 2004 bis 2015 war er dessen Erster Gastdirigent.

    2017 ging Gilberts achtjährige Amtszeit als Music Director des New York

    Philharmonic Orchestra zu Ende, wo es dem gebürtigen New Yorker

    gelungen ist, den Ruf des Orchesters nochmals auszubauen und dessen

    führende Bedeutung in der kulturellen Landschaft der USA zu unter-

    streichen. Gilbert ist außerdem Ehrendirigent des Royal Stockholm

    Philharmonic Orchestra, dessen Chef er acht Jahre lang war, Erster

    Gastdirigent des Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra und Gründer

    der Organisation „Musicians for Unity“, die mit Unterstützung und

    Führung der Vereinten Nationen Musiker aus aller Welt mit dem Ziel der

    Förderung von Frieden, Entwicklung und Menschenrechten vereint.

    Als international gefragter Gastdirigent kehrt Gilbert regelmäßig

    zu Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem Royal Concert-

    gebouw Orchestra, Cleveland, Boston Symphony und Philadelphia

    Orchestra, der Staatskapelle Dresden, dem Gewandhausorchester

    Leipzig oder dem Orchestre Philharmonique de Radio France zurück.

    Er hat Opernproduktionen an der Mailänder Scala, der Metropolitan

    Opera New York, Los Angeles Opera, Königlichen Oper Stockholm, am

    Opernhaus Zürich und an der Santa Fe Opera geleitet, zu deren erstem

    Music Director er 2003 ernannt wurde. Den gelernten Geiger verbindet

    außerdem eine enge künstlerische Partnerschaft mit Interpreten wie

    Frank Peter Zimmermann, Lisa Batiashvili, Leonidas Kavakos, Yo-Yo Ma,

    Emanuel Ax, Renée Fleming und Komponisten wie John Adams, Magnus

    Lindberg und Esa-Pekka Salonen. Gilberts Diskografie umfasst u. a.

    die CD-Box „The Nielsen Project“ und eine mit dem Grammy Award

    ausgezeichnete DVD mit John Adams’ „Doctor Atomic“ live aus der New

    Yorker Met. Der mit zahlreichen renommierten Preisen und Ehrungen

    ausgezeichnete Dirigent war darüber hinaus Leiter des Bereichs

    für Dirigier- und Orchesterstudien an der New Yorker Juilliard School.

    Neben den zahlreichen Konzerten mit dem NDR Elbphilharmonie

    Orchester wird Alan Gilbert in der Saison 2019/20 zum wiederholten

    Mal das Cleveland Orchestra, Tokyo Metropolitan Symphony, London

    Symphony und Royal Stockholm Philharmonic Orchestra sowie das

    Gewandhausorchester Leipzig und die Staatskapelle Dresden leiten.

    Darüber hinaus dirigiert er eine Produktion von Puccinis Oper „La

    fanciulla del West“ in Stockholm. Nach der Veröffentlichung der neuen

    Bruckner-CD mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester erscheint

    außerdem eine neue Einspielung von Beethoven-Klavierkonzerten

    mit der Academy of St Martin in the Fields und Inon Barnatan.

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  • Stefan Wagner ist seit 1993 Erster Konzertmeister des NDR Elbphilhar

    monie Orchesters. 1962 in Augsburg geboren, erhielt er seinen ersten

    Violinunterricht im Alter von sechs Jahren von seinem Vater. Er stu-

    dierte an der Münchner Musikhochschule bei Karoline Kraus und Kurt

    Guntner, wo er sein Studium mit Auszeichnung abschloss. Anschließend

    wurde er als Stipendiat in die Meisterklasse von Sergiu Luca an der

    Shepherd School of Music (Rice University) in Houston aufgenommen;

    abschließende Studien führten ihn noch zu Herman Krebbers nach

    Amsterdam. Von 1989 bis 1992 war der mehrfach bei internationalen

    Wettbewerben ausgezeichnete Geiger Erster Konzertmeister der

    Stuttgarter Philharmoniker. Als Solist ist Wagner u. a. mit dem NDR

    Elbphilharmonie Orchester, dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des

    SWR, den Münchner Symphonikern, den Stuttgarter Philharmonikern,

    dem Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra und dem Württember-

    gischen Kammerorchester Heilbronn aufgetreten. Allein mit dem NDR

    Elbphilharmonie Orchester hat er zwölf verschiedene Violinkonzerte

    aufgeführt. Neben seiner Tätigkeit als Konzertmeister widmet Wagner

    sich auch intensiv der Kammermusik; als Solist, Kammermusiker und

    Dozent ist er regelmäßig zu Gast bei Festivals in den USA, Europa,

    Japan und China. Gemeinsam mit Musikern des NDR Elbphilharmonie

    Orchesters hat er darüber hinaus das NDR Kammerorchester gegründet,

    dessen Leitung er von der Violine aus übernimmt. Er spielt eine Violine

    von Giovanni Battista Guadagnini aus dem Jahre 1745.

    Rodrigo Reichel

    Stefan Wagner

    Rodrigo Reichel studierte an den Musikhochschulen in München und

    Köln bei Kurt Guntner, Max Rostal und den Mitgliedern des Amadeus-

    Quartetts Violine und Kammermusik. Sein erstes Orchesterengagement

    führte ihn zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.

    Danach wechselte er zum NDR Elbphilharmonie Orchester, in dem er

    seit 1984 die Position des koordinierten Stimmführers der 2. Violinen

    bekleidet. Seine Unterrichtstätigkeit führt ihn u. a. zu der Shanghai

    Orchestra Academy, von der er regelmäßig als Dozent für europäische

    Orchesterkultur eingeladen wird. Reichel spielt sowohl solistisch als

    auch mit seinen Ensembles auf zahlreichen renommierten Festivals.

    Seine kammermusikalischen Wurzeln hat er gleichermaßen in der

    Klassik wie auch im Jazz. 1993 zählte er zu den Gründern des Ensemb-

    les „G-Strings“, mit dem er mehrere von der Kritik hoch gelobte

    CD-Einspielungen veröffentlicht hat. Darüber hinaus ist Reichel als

    Studiomusiker für Produktionen verschiedener Genres tätig. Mit dem

    Gitarristen Heiko Ossig und den Schauspielern Stefan Kurt und

    Steffen Groth hat er mehrere Projekte entwickelt, die beim Schleswig-

    Holstein Musik Festival großen Anklang fanden. Im Jahr 2000 wurde

    Reichel Primarius des heutigen fabergé-quintetts. Mit diesem Ensem-

    ble hat er ebenfalls viel beachtete und von der Kritik ausgezeichnete

    CDs eingespielt. Die aktuelle CD „Gran Sestetto“ mit Werken von

    Glinka, Tschaikowsky und Ljapunow wurde 2018 bei einem Konzert

    in der Elbphilharmonie vorgestellt.

    16 17V I O L I N E V I O L I N E

  • 1974 in Essen geboren, begann Jan Larsen im Alter von neun Jahren

    mit dem Geigespiel und wechselte mit 18 Jahren zur Bratsche. Nach

    kurzem Ausflug in die Medizin folgte das Musikstudium in Lübeck und

    Wien bei Barbara Westphal und Siegfried Führlinger. In diese Zeit fällt

    die Gründung des Trio Raro, zusammen mit Tilman Krämer (Klavier) und

    Jens Thoben (Klarinette). Das Ensemble konzertiert bis heute regel-

    mäßig im In- und Ausland. Seine Liebe zur Kammermusik führte und

    führt Larsen nicht nur durch die ganze Welt, sondern auch durch alle

    Epochen und Stilrichtungen. So ist er auf der einen Seite immer wieder

    in verschiedensten Besetzungen in den Kreisen der Alten Musik zu hö-

    ren, u. a. in regelmäßiger Zusammenarbeit mit Gottfried von der Goltz.

    Auf der anderen Seite ist er auch auf dem Gebiet des Pop und Jazz

    als Mitglied des renommierten Hamburger Ensembles „G-Strings“ zu

    finden, für welches er auch als Arrangeur tätig ist. Bekannt für den

    innovativen Umgang mit ihrem klassischen Instrumentarium sind die

    G-Strings eine feste Größe der internationalen Jazz- und Crossover-

    Szene. 1999 als Praktikant im NDR Elbphilharmonie Orchester gestar-

    tet, wurde er dort zwei Jahre später zunächst stellvertretender und

    im Jahr 2008 schließlich Erster Solo-Bratscher. Jan Larsen spielt eine

    Bratsche von Hubert Schnorr aus dem Jahr 1996.

    Andreas Grünkorn

    Andreas Grünkorn ist seit 2011 Erster Solo-Cellist des NDR Elbphil

    harmonie Orchesters. Er hat bei David Geringas in Lübeck studiert

    und 1989 nach Abschluss des Konzertexamens mit Auszeichnung den

    Förderpreis des Landes Schleswig-Holstein erhalten. 1999 debütierte

    er als Solist mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, dessen

    Erster Solo-Cellist er von 1996 bis 2011 war, unter Zdeněk Mácal in

    der Berliner Philharmonie. Seitdem hat er vor allem in Berlin, aber

    auch in Italien, der Schweiz, Südamerika und Asien mit Jonathan Nott,

    Andrey Boreyko, Hans Graf, Leif Segerstam, Gary Bertini, Neeme Järvi

    und Kent Nagano als Solist konzertiert. 2013 spielte er in Hamburg

    unter Alan Gilbert das Doppelkonzert von Johannes Brahms. Als be-

    geisterter Kammermusiker konzertierte Andreas Grünkorn mit Christian

    Tetzlaff, dem Hartog Quartett, den 12 Cellisten der Berliner Philhar-

    moniker, dem Trio Atrium sowie mit Emanuel Ax, Vladimir Ashkenazy

    und Alice Sara Ott. Dabei bereiste er die wichtigsten Musikzentren

    und Festivals weltweit .

    Jan Larsen

    18 19V I O L A V I O L O N C E L L O

  • Christopher Franzius studierte bei Prof. Klaus Storck und dem russi-

    schen Cellisten Daniel Shafran. Er war Stipendiat der Oscar & Vera

    Ritter-Stiftung, Jürgen Ponto-Stiftung sowie des Förderkreises des

    BDI (Bund der deutschen Industrie). Sein erstes Engagement erhielt

    Franzius als Solo-Cellist an der Deutschen Oper am Rhein. Später

    spielte er bei der Staatskapelle Dresden sowie beim WDR Sinfonieor-

    chester in Köln. Er ist außerdem Solo-Cellist des Bayreuther Festspiel-

    orchesters. Als Solist und Kammermusikpartner führt ihn seine musi-

    kalische Tätigkeit regelmäßig zu Gastspielen und Festivals in ganz

    Europa, Japan, den USA, Südamerika, China und Russland. Neben dem

    klassischen Repertoire und regelmäßigen Crossover-Abstechern hin

    zum Jazz widmet er sich immer wieder der zeitgenössischen Musik.

    Seine Diskografie umfasst u. a. auch fünf eigene Werke für Violoncello

    solo, die bei Wega erschienen sind. Als Dozent für Violoncello unter-

    richtete er an der Hochschule für Musik in Lübeck sowie bei der

    Orches terakademie NRW und des Schleswig-Holstein Musik Festivals.

    Seit 2004 bekleidet er die Position des Ersten Solo-Cellisten im

    NDR Elbphilharmonie Orchester, mit dem er in der Vergangenheit u. a.

    als Solist in Brahms’ Doppelkonzert unter Christoph von Dohnányi,

    Esa-Pekka Salonens Cellokonzert „Mania“, Tan Duns „Intercourse of

    Fire and Water“ oder in Strauss’ „Don Quixote“ unter Alan Gilbert zu

    hören war. Franzius spielt ein Instrument des altitalienischen Meisters

    Matteo Gofriller anno 1690.

    Chris-topher Franzius

    Herausgegeben vom N O R D D E U T S C H E N R U N D F U N K

    Programmdirektion HörfunkOrchester, Chor und Konzerte

    Rothenbaumchaussee 13220149 Hamburg

    Leitung: Achim Dobschall

    N D R E L B P H I L H A R M O N I E O R C H E S T E R

    Management: Sonja Epping

    Redaktion des Programmheftes Julius Heile

    Der Einführungstext von Jürgen Ostmannist ein Originalbeitrag für den NDR.

    Der Originalbeitrag von Alan Gilbert wurde von Andrea Kirchhartz ins Deutsche übersetzt.

    Fotos (Programmteil):AKG-Images (S. 6); AKG-Images / Art Institute of Chicago (S. 8); akg-images / Jost Schilgen (S. 11); Peter Hundert | NDR (S. 14);

    Christian Spielmann | NDR (S. 16, 17, 18, 19, 20 )

    Fotos (Festivalteil):Peter Hundert | NDR (Titel, S. 4, S. 13, S. 18/19); Christian Spielmann | NDR

    (S. 6, 8, 9, 11); Cooper Copter (S. 7); Philip Gatward (S. 14); Kirk Edwards (S. 15)

    NDR MarkendesignDesign: Kolle Rebbe, Realisation: Klasse 3b

    Druck: Eurodruck in der PrintarenaLitho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.

    Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

    20 21V I O L O N C E L L O I M P R E S S U M

  • „Musik überwindetGrenzen zwischenWIR und IHR.“

    A l a n G i l b e r t . C h e f d i r i g e n t .

  • Festival zum Amtsantrittdes neuenChefdirigenten

      32 

  • Der Beginn einer jeden Reise wird wohl von einer gespannten Er-wartung begleitet. Und so  verwundert es nicht, dass auch ich jetzt, wo ich im Begriff bin, mein neues Amt als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters anzutreten, eine wunderbar aufgeregte Vorfreude verspüre. Sie erinnert mich an Zeiten meines Lebens, in denen ich neue Kapitel aufgeschlagen habe: die ersten Tage an der Universität oder das Kennenlernen einer neuen Klasse von Studenten zu Beginn eines neuen Lehrjahres. Aber diesmal ist es anders, denn in das Unbekannte mischt sich das angenehme Gefühl, nach Hause zu kommen, zurückzukehren in eine zutiefst vertraute Situation.

    Denn ich kenne das NDR Elbphilharmonie Orchester jetzt seit etwa 18 Jahren. Weltweit ist es eines der Orchester, das ich wohl am besten kenne, und ganz sicher ist es eines der Orchester, das ich am meisten liebe. Wir haben gemeinsam zahlreiche Konzerte ge-geben, sind in und um Hamburg aufgetreten und haben etliche Tourneen unternommen. Meine Jahre als Erster Gastdirigent waren für mich glückliche Jahre, die mich dem Orchester immer näher gebracht haben. Viele Musiker haben in dieser Zeit für eine Stelle im Orchester vorgespielt, und ich bin stolz, Teil des Prozesses ge-wesen zu sein, der sie nach Hamburg gebracht hat. Seit langem 

    „Jedem Zuschauer möchte ich einen leidenschaftlichen, persönlichen, zutiefst musikalischen Moment ermöglichen“Alan Gilbert über seinen Amtsantritt als Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters

      54 

  • betrachte ich das NDR Elbphilharmonie Orchester als Familie, und es ist eine Ehre, in dieser neuen Funktion zurückzukehren.

    Was wir jetzt gemeinsam beginnen, ist die natürliche Fortsetzung einer langjährigen Beziehung. Die besondere Chemie, die zwischen uns besteht, basiert jedoch auch auf vielem, was neu ist: auf Umständen, die sich radikal und fundamental geändert haben. Das Orchester hat sich fantastisch entwickelt, und das musikali-sche Wirken seiner beiden letzten Chefdirigenten gehört nun zu seinem reichen Erbe. In den letzten Jahren war es mir eine Freude, das Orchester in Konzerten unter Christoph von Dohnányi und Thomas Hengelbrock zu erleben, und es ist deutlich spürbar, wie sehr die Art ihres Musizierens Teil der Orchester-DNA geworden ist. Es ist zweifelsohne schwer, von sich selbst ein klares Bild zu haben, aber ich wage zu behaupten, dass auch ich mich verändert habe: denn ich hoffe doch sehr, in meiner Zeit als Musikdirektor der New Yorker Philharmoniker dazugelernt zu haben. Und auch Hamburg hat sich verändert, vielleicht am offensichtlichsten mit der Eröff-nung der spektakulären Elbphilharmonie, die bereits Kultstatus hat und praktisch über Nacht das Hamburger Musikleben verändert und der Stadt einen bedeutenden Platz in der internationalen Musikszene erobert hat. Was es für das Orchester selbst bedeutet, einen so prachtvollen Saal als Residenzspielstätte zu haben, kann gar nicht überschätzt werden. Wie ein Orchester spielt, hängt ganz entscheidend mit dem Raum zusammen, in dem es spielt – es ist 

    Bei Alan Gilbert kommt vieles zusammen: musikalische Kompetenz, eine klare Schlagtechnik, vor allem aber die Fähigkeit, alles im Griff zu haben und dabei mit viel Emotion und Freude dabei zu sein.

    Simone CandottoSolo-Posaunist

      76 

  • eine Sammlung von Werken immer und immer wieder zu ergänzen, zu verändern, zu verwerfen und neu zu kombinieren, bis eine Spielzeit daraus entsteht. Es ist schwierig genug, das Programm eines einzigen Konzerts festzulegen. Nun stellen Sie sich vor, Sie müssten 25 unterschiedliche Programme mit vielfältigen Gast-dirigenten und Solisten, die jeweils ihre eigenen Wünsche und Be-dürfnisse mitbringen, festlegen. Würzen Sie diese Mischung noch mit dem Wunsch nach einer ansprechenden Bandbreite von Stilen und Genres, mit der Absicht, einzelne Stücke nicht zu oft zu wieder-holen, der Notwendigkeit, nicht mit anderen Konzerten am selben 

    Ort zu kollidieren (eine besondere Herausforderung an einem so vielbespielten Ort wie der Elbphilharmonie!) ... und Sie können sich vorstellen, was für eine komplizierte Denksportaufgabe es wird.Obwohl es nie die eine „richtige“ Lösung für dieses Puzzle gibt, ist es unglaublich wichtig, es „richtig“ zu machen, und das aus vieler-lei Gründen. Zuallererst bestimmt die Wahl des Programms das Erleben unseres Publikums – sie IST das Erleben des Publikums. Jedem Zuhörer möchte ich einen leidenschaftlichen, persönlichen, zutiefst musikalischen Moment ermöglichen. Ausgangspunkt für ein solches Erlebnis ist einleuchtender Weise die Auswahl von Werken, die beim Hören packend und bedeutsam sind. Ich muss gleich dazusagen, dass das nicht notwendigerweise die Wahl „großer“ 

    fast so, als ob der Saal eine Art Meta-Instrument ist, das zu einem wesentlichen Teil des Orchesterklangs wird.

    Der für mich bedeutendste Unterschied jedoch ist so augenfällig, dass es banal erscheint, ihn überhaupt zu erwähnen: Jetzt bin ich der Chefdirigent. Warum ist das so bedeutsam und worin liegt der Unterschied dazu, einfach nur mehr Konzerte mit demselben Orchester zu geben? Die ausführliche Antwort auf diese Fragen wäre lang und komplex und würde hier den Rahmen sprengen, aber ein Chefdirigent oder eine Chefdirigentin ist in gewissem Sinne verantwortlich für den musikalischen Zustand eines Orchesters, dafür zuständig, WIE es spielt. Er oder sie ist unmittelbar beteiligt, neue Musiker zu berufen, und dient weithin als öffentliches Ge-sicht des Ganzen. An anderer Stelle könnte es interessant sein, genau zu erforschen, was dieser Job wirklich alles beinhaltet. Für jetzt möchte ich mich auf ein paar Worte zu einem Aspekt dieser neuen Beziehung beschränken, den ich für besonders interessant und relevant halte: die Auswahl des Repertoires.

    Das Programmieren von Musik, die ein Orchester spielt, ist eine der komplexesten unter den Planungsaufgaben, aber auch eine der schönsten und spannendsten. Ich habe es schon immer geliebt, 

    Ich mag Alan Gilberts innere Ruhe und sein hochprofessionelles Arbeiten. Mit ihm erreichen wir Höchstleistungen und überraschen unser Publikum mit magischen Momenten. Besonders schätze ich seine Klangvorstellung und seine rhythmische Präzision. Mit ihm am Pult klingt das Orchester satt und transparent. Alan Gilbert überträgt Vertrauen und Sicherheit, und es herrscht höchste Aufmerksamkeit und Konzentration. Er hat stets den Überblick über das Ganze, übernimmt die Führung, wo es nötig ist, und lässt Freiraum für individuelle Interpretation. Man spürt einfach, dass er die Bedürfnisse eines jeden Orchestermusikers kennt und respektiert. Jeder Abend mit ihm ist einzigartig.

    Alan Gilbert hat Charisma, tritt aber gleichzeitig unprätentiös auf. Ich schätze seine Weltoffenheit und die Erfahrung, die er als Dirigent anderer Spitzenorchester mitbringt. Gilbert fordert von uns Musikern Aufmerksamkeit für den kollektiven Klang und gleichzeitig die Flexibilität, in einem großen Orchester kammermusikalisch zu reagieren. Er stellt musikalisches Vertrauen her, nicht nur zwischen sich selbst und dem Orchester, sondern auch zwischen den einzelnen Musikern, wobei er als Vermittler perfekt agiert. Er ist in praktisch jedem Werk und jeder Epoche so zuhause, dass sich der Musizierfluss auf alle Musiker zwingend überträgt.

    Benedikt KanyKontrabass

    Claudia StrenkertSolo-Hornistin

      98 

  • Werke aus dem sogenannten Kanon der Meisterwerke ist. Wieso? Es ist philosophisch betrachtet äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich, zu entscheiden, was genau „groß“ ist. Und „groß“ als Standard würde eine riesige Anzahl von lohnenden und wichtigen Werken ausschließen. Wichtig ist einzig, dass wir Werke präsentie-ren, an die wir hundertprozentig glauben. Das bedeutet, wir haben buchstäblich bei jedem Werk, das wir spielen, das Gefühl, es müsse unbedingt mit unserem Publikum geteilt werden, und es sei ein Werk, das unser Verständnis davon erweitert, was es bedeutet, Mensch zu sein.

    Das sind hochgesteckte und womöglich unerreichbare Ziele. Aber ich glaube, es ist ein sinnvolles Streben. Sinnvoll, weil die Motivati-onen hinter jeder möglichen Auswahl vielfältig sind und untrenn-bar verbunden mit der Kombination der Stücke innerhalb einer Programmzusammenstellung. Das heißt, die Art und Weise, wie wir Stücke zu einem Programm zusammenstellen, ist (fast) genauso wichtig, wie die einzelnen Stücke selbst. Ich liebe es, Stücke gegen-überzustellen, die jedem einzelnen Werk den bestmöglichen Rahmen geben, um leuchten zu können. Manchmal bedeutet das, Stücke zusammenzustellen, die einander ähnlich und verwandt sind, manchmal, grelle und scharfe Kontraste zu bilden, und manchmal, ein vorgegebenes Thema auszuloten – es gibt unzählige Arten, Programme zu machen.

    Unabhängig davon, was die Struktur eines Programms bestimmt, muss das Endergebnis dergestalt sein, dass auch die Ausführenden davon begeistert sein können. Zugegeben war das tatsächlich ein vorrangiges Ziel, als mein NDR Elbphilharmonie Orchester-Team und ich das Programm für dieses Festival, meinen ersten Konzert-monat, zusammengestellt haben. Es ist ein Monat mit Musik, die ich liebe, gespielt mit Kollegen, die ich bewundere und schätze. Ich hoffe, es lässt die Bandbreite an Musikstilen und -arten erken-

    nen, für die ich brenne. Die fantastischen Musiker des NDR Elb-philharmonie Orchesters und ich haben kürzlich Brahms, Bruckner, Beethoven und weiteres zentrales Repertoire des 19. Jahrhunderts aufgeführt – nach unseren jüngsten Aufnahmesitzungen zu Bruckners Siebter Sinfonie kann ich es kaum erwarten, die unglaub-liche Musik des Kernrepertoires weiter zu erforschen, das solch eine wichtige Rolle in der Geschichte des NDR Elbphilharmonie Orchesters gespielt hat. Die Erinnerung an die unvergesslichen Auf-führungen von Ligetis „Le Grand Macabre“, mit dem das Orchester im Frühjahr triumphierte, macht mich jedoch ebenso gespannt auf innovative zeitgenössische Musik, die wir erforschen wollen. 

    Ein Haydn-Programm in der Laeiszhalle und ein Kammerkonzert, in dem ich mich mit der Bratsche zu meinen Orchesterkollegen geselle, runden das Angebot dieses Monats ab – alles zusammen bildet die kaleidoskopische Momentaufnahme eines Musikenthusi-asmus’, den wir „Klingt nach Gilbert“ genannt haben. Ich empfinde diese scherzhaft verkürzte Bezeichnung als etwas vermessen, müsste es doch eigentlich „Klingt wie die Verbindung von Alan Gilbert und den Musikern des NDR Elbphilharmonie Orchesters“ heißen. Aber ich kann nicht leugnen, dass ich stolz darauf bin, Teil dieses Festivals zu sein – und dass ich es kaum erwarten kann, die Reise anzutreten. 

    Alan Gilbert liebt die Musik und die Musik liebt ihn. Er ist ein Kumpel auf Augenhöhe und gleichzeitig ein Zauberer am Taktstock, der mit unendlich viel musikali schem Geschmack, großem Einfühlungsvermögen und kleinsten Impulsen über hundert gebannte Musiker führen kann. Autorität ist ihm angeboren. Man hat Lust, seinen musikalischen Ideen zu folgen, weil sie intelligent und eindeutig sind. Trotzdem bleibt jedem Solisten im Orchester genügend Raum, individuelle Gestaltung zu zeigen. Darüber hinaus kann man mit Alan Gilbert herrlich auch über ganz andere, nicht musikbezogene Dinge plaudern. Er ist an so vielen Dingen der Welt interessiert.

    Boris Bachmann2. Violine

      1110 

  •   1312 

  • Yuja Wang Magnus Lindberg

    AL AN GILBERTDirigent

    KELLEY O’CONNORMezzosopran

    JOHANNES BR AHMSSinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68

    UNSUK CHINFrontispiecefor orchestra(Uraufführung, Auftragswerk des NDRmit Unterstützung der Freunde des NDR Elbphilharmonie Orchesters e. V.)

    LEONARD BERNSTEINSinfonie Nr. 1 „Jeremiah“

    CHARLES IVESThe Unanswered Question

    EDGARD VARÈSEAmériques

    Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal Freitag, 06.09.19 — 19 UhrSamstag, 07.09.19 — 19 Uhr

    AL AN GILBERT & SUSANNE STICHLERim Gespräch mit folgenden Gästen:

    MAGNUS LINDBERGKomponist

    PROF. DR. FRIEDRICH GEIGERUniversität Hamburg

    FLORIAN ZINNECKERDIE ZEIT

    Die neue Talkreihe des NDR bringt Gäste aus unterschiedlichen Bereichen mit Alan Gilbert zusammen. Kultur und Gesell-schaft, Musik machen in einer sich schnell verändernden Welt, aber auch aktuelle Ereignisse aus dem Umkreis und dem Innersten der Elbphilharmo nie sind die Themen. Dazu gibt es Livemusik.

    Thalia Theater Hamburg, NachtasylMittwoch, 11.09.19 — 20.30 Uhr

    In Kooperation mit dem Thalia Theater

    AL AN GILBERTDirigent

    YUJA WANGKlavier

    PEDRO MIGUEL FREIRETrompete

    MAGNUS LINDBERGKlavier

    GASPARE BUONOMANOKlarinette

    ANDRE AS GRÜNKORNVioloncello

    THOMAS SCHWARZSchlagzeug

    STEPHAN CÜRLISSchlagzeug

    JUHANI LI IMATAINENLive-Elektronik

    DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCH· Klavierkonzert Nr. 1 c-Moll op. 35· Klavierkonzert Nr. 2 F-Dur op. 102

    MAGNUS LINDBERGKraftfür Solo-Ensemble, Live-Elektronikund Orchester

    Elbphilharmonie Hamburg, Großer SaalDonnerstag, 12.09.19 — 20 UhrFreitag, 13.09.19 — 20 Uhr

    Einführungsveranstaltungenjeweils um 19 Uhr im Großen Saal

    06. / 07.09.

    Opening Night2019

    11.09. 11.09.

    IDEAS | On MusicTalk mit Alan Gilbert im Nachtasyl

    DAS! aus der Elbphilharmonie

    12. / 13.09.

    Kraft

    Das Festival im Überblick

    INK A SCHNEIDERModeration

    AL AN GILBERTGesprächsgast

    NDR ELPHCELLISTEN

    HORNQUARTET T DES NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTERS

    Jeden Abend nimmt im NDR Fernsehen in der Sendung „DAS!“ ein prominenter Gast auf dem Roten Sofa Platz. Am 11. September ist Alan Gilbert eingeladen – und „DAS!“ sendet aus diesem Anlass live aus dem Großen Saal der Elbphilharmonie. Karten werden über „DAS!“ sowie unter den Abonnent*innen und den Freunden des NDR Elbphilharmonie Orchesters e. V. verlost. Mitglieder des NDR Elbphilharmonie Orches-ters umrahmen die Sendung musikalisch.

    Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal Mittwoch, 11.09.19 — 18.45 Uhr

      1514 

  • Carolin Widmann

    AL AN GILBERTDirigent

    CAROLIN WIDMANNVioline

    LUDWIG VAN BEETHOVENOuvertüre zu „Egmont“ f-Moll op. 84

    ENNO POPPEViolinkonzert(Auftragswerk des Beethovenfests Bonn, finanziert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung)

    JÖRG WIDMANNCon brio – Konzertouvertüre für Orchester

    LUDWIG VAN BEETHOVENSinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92

    Elbphilharmonie Hamburg, Großer SaalDonnerstag, 26.09.19 — 20 UhrSonntag, 29.09.19 — 11 Uhr

    Einführungsveranstaltungen mit Alan Gilbertjeweils eine Stunde vor Konzertbeginn im Großen Saal

    Musik- und Kongresshalle LübeckFreitag, 27.09.19 — 19.30 Uhr

    Einführungsveranstaltung um 18.30 Uhr

    26. / 27. / 29.09.

    Beethoven trifftauf Poppe & Widmann

    AL AN GILBERTDirigent

    PAULUS VAN DER MERWEOboe

    VOLKER TESSMANNFagott

    ROL AND GREUT TERVioline

    CHRISTOPHER FR ANZIUSVioloncello

    JOSEPH HAYDN· Sinfonie C-Dur Hob. I:48 „Maria Theresia“· Sinfonia concertante B-Dur Hob. I:105für Oboe, Fagott, Violine, Violoncellound Orchester

    · Sinfonie Es-Dur Hob. I:99

    Laeiszhalle Hamburg, Großer SaalDonnerstag, 19.09.19 — 20 Uhr

    19.09.

    Haydnin der Laeiszhalle

    STEFAN WAGNERVioline

    RODRIGO REICHELVioline

    AL AN GILBERTViola

    JAN L ARSENViola

    ANDRE AS GRÜNKORNVioloncello

    CHRISTOPHER FR ANZIUSVioloncello

    JOHANNES BR AHMS· Streichsextett B-Dur op. 18· Streichsextett G-Dur op. 36

    Elbphilharmonie Hamburg, Kleiner Saal Samstag, 21.09.19 — 19.30 Uhr

    21.09.

    Brahms-Sextettemit

    Alan Gilbert

    Das Festival in den Medien

    Auf NDR Kultur

    06.09.19: live aus der Elbphilharmonie

    19.09.19: live aus der Elbphilharmonie

    26.09.19: live aus der Elbphilharmonie

    27.09.19: Aufzeichnung vom 12./13.09.

    15.11.19: Aufzeichnung vom 21.09.

    Im NDR Fernsehen

    11.09.19: „DAS!“ live aus der Elbphilharmonie

    Im Internet

    06.09.19: Livestream auf concert.arte.tv sowie auf ndr.de/eo und in der NDR EO App, danach als Video-on-Demand online abrufbar

    26.09.19: Livestream auf concert.arte.tv sowie auf ndr.de/eo und in der NDR EO App, danach als Video-on-Demand online abrufbar

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