Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

40
Erfolgsmodell mit Tradition und Zukunft 125 Jahre Raiffeisenkassen in Südtirol Freitag, 24. Oktober 2014 Raiffeisenhaus Bozen

description

Broschüre anlässlich der Jubiläumsfeier vom 24. Oktober 2014.

Transcript of Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

Page 1: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

Erfolgsmodellmit Tradition und Zukunft

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

Freitag, 24. Oktober 2014Raiffeisenhaus Bozen

Page 2: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

INHALTSVERZEICHNIS

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

Impressum

HerausgeberRaiffeisenverband Südtirol

Redaktion, Übersetzung und LektoratEx Libris Genossenschaft, Bozen

GrafikiD-Creativstudio, Meran

DruckEuroprint, Vahrn

Die Referate und Gesprächsrunden, die in dieser Publikation veröffentlicht sind, dokumentieren die Feier „125 Jahre Raiffeisenkassen in Südtirol“, die am 24. Oktober 2014 stattfand. Die Beiträge der Redner wurden leicht angepasst und gekürzt, ohne den Inhalt abzuändern.

Bozen, im Jänner 2015

Page 3: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

1 Heiner Nicolussi-Leck, Obmann des Raiffeisenverbandes Südtirol

Erfolgsmodell mit Tradition und Zukunft S. 4

2 Bischof Ivo Muser

Gedanken zur Bedeutung der Genossenschaftsarbeit S. 6

3 Landeshauptmann Arno Kompatscher

Der Lohn ist ein langes Leben S. 10

4 Konrad Palla, ehemaliger Direktor des Raiffeisenverbandes Südtirol

Napoleon, Raiffeisen und Tolomeis unerfüllte Forderung S. 12

5 Maurizio Gardini, Präsident der Confederazione Cooperative Italiane

Kohärenz und Großzügigkeit S. 18

6 Die Krise in eine Chance verwandeln Gesprächsrunde mit

» Alessandro Azzi, Präsident der Federcasse» Diego Schelfi, Präsident der Federazione Trentina della Cooperazione

» Alfons Pezzei, Obmann der Cassa Raiffeisen Val Badia S. 22

7 Gemeinsam finden wir Gehör Gesprächsrunde mit

» Andreas Pangl, Generalsekretär des Österreichischen Raiffeisenverbandes

» Alexander Büchel, Vorstandsmitglied des Genossenschaftsverbandes Bayern

» Arnulf Perkounigg, Geschäftsführer des Raiffeisenverbandes Tirol S. 28

8 Paul Gasser, Generaldirektor des Raiffeisenverbandes Südtirol

Eine Frage des Vertrauens S. 34

Page 4: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

4

Erfolgsmodell mit Tradition und ZukunftWarum hat ein Modell mit 125-jähriger Geschichte seine Zukunft noch vor sich? Raiffeisenverbandsobmann Heiner Nicolussi-Leck über das einfache wie zeitlose Erfolgsgeheimnis der Raiffeisenkassen.

Fast ein Jahr lang haben Wirtschafts-prüfer im Auftrag der Europäischen Zentralbank über hundert der größten Kreditinstitute in der Währungsunion nach eventuellen Altlasten und Kapitallücken durchforstet. 25 der 130 getesteten Banken haben nicht bestanden. Für positive Meldungen sorgen hingegen die Genossenschaftsbanken. In einem Bericht des deutschen Nach-richtenmagazins „Der Spiegel“ vom 20. Oktober 2014 wurden sie als eines von drei Geschäftsmodellen genannt, die sich in der Bankenwelt langfristig durchsetzen werden. Vor zehn Jahren sind Genossen-schaftsbanken für ihr etwas „bodenstän-diges“ Geschäftsmodell noch belächelt worden. Heute haben sie dagegen an Renommee gewonnen. Es ist daher nicht übertrieben zu sagen, dass die Zukunft der Genossenschaftsbanken mit ihrer über hundertjährigen Geschichte erst noch bevorsteht – in einer Zeit, in der ein Turbokapitalismus seinen Zenit bereits überschritten hat.

Genossenschaften entstehen nicht als Selbstzweck, sondern immer aus einer wirtschaftlichen oder sozialen Notwendig-keit heraus. Ihr geniales, ihr erfolgreiches wie einfaches Erfolgsgeheimnis ist im Grunde die Bündelung von Kräften. Dies gilt heute ebenso wie vor 125 Jahren. Speziell im Bereich der Fürsorge und Vorsorge, aber auch im Senioren- und Jugendbereich bietet sich heute für die Unternehmensform der Genos-senschaft ein großes Potenzial an neuen Betätigungsfeldern. Ein Potenzial, das auch wir als Genossenschaftsverband noch stärker ausschöpfen müssen.

„Genossenschaften entstehen nicht als Selbstzweck, sondern immer aus einer wirtschaftlichen oder sozialen Notwen-digkeit heraus.“Auch die ersten Spar- und Darlehens-kassen wurden aus purer Notwendigkeit gegründet. In Welschellen im Gadertal, wo am 9. Oktober 1889 Südtirols erster Spar- und Darlehenskassenverein in das Register der Genossenschaftsfirmen eingetragen wurde, war die Selbsthilfe beispielsweise eine konkrete Antwort auf den Wucher städtischer Händler und den Erhalt der Besitztümer. In den vergangenen 125 Jahren hat sich die Welt natürlich grundlegend geändert, ja gerade auch in den letzten Jahren. Diese enormen Veränderungen spiegeln sich auch bei den Raiffeisenkassen wider.

Heute vereinen die Raiffeisenkassen gemeinsam mit der Raiffeisen Landes-bank etwa die Hälfte der Marktanteile in Südtirol. Sie konnten trotz eines extrem schwierigen wirtschaftlichen Umfelds ein gutes Halbjahresergebnis 2014 erzielen. Wir sind uns jedoch der Herausforderun-gen der nächsten Jahre bewusst, auch wenn uns die Zahlen zuversichtlich stim-men. Der Erfolg der Raiffeisenkassen bestand über die Jahre und Jahrzehnte gerade darin, ein seit über 150 Jahren

Page 5: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

5

bewährtes Geschäftsmodell immer weiterzuentwickeln und den Bedürfnis-sen der Menschen im Tätigkeitsgebiet anzupassen. Im Kern unverändert geblieben sind die wesentlichen Prinzipien: Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Selbstverwaltung, Solidarität und Subsidiarität.

Wenn wir uns die Geschichte unseres Landes der vergangenen 125 Jahre vor Augen führen – vom Ersten Weltkrieg, vom Anschluss an Italien über den Faschismus bis hin zur Option, den Wie-deraufbau bis herauf zur Euroumstellung und der starken Verschuldung Italiens –, ist es keine Selbstverständlichkeit, dass sich das Geschäftsmodell der Genos-senschaftsbanken so stark entwickeln konnte und dass die Raiffeisenkassen nach wie vor erfolgreich dastehen.

Auch deshalb, weil es in der Geschichte der Raiffeisenkassen eben nicht nur um den Erfolg der einzelnen Kassen als Unternehmen ging. Im Mittelpunkt stand, dass die Raiffeisenkassen in den Tälern, Dörfern und Städten zu einer prosperie-renden Wirtschaft und zum Existenzauf-bau vieler Menschen beitragen konnten. Im Grunde sind die Raiffeisenkassen, so wie jede Genossenschaft, nichts anderes als ein Mittel zur Förderung der Mitglieder, der Kunden und des jeweiligen Gebietes, in dem sie tätig sind.

Man kann also durchaus behaupten, dass die Raiffeisenkassen ein Erfolgsmodellmit Tradition und Zukunft sind. Das125-Jahr-Jubiläum bietet Anlass, dankbar zu sein für das Erreichte, es bietet aber zugleich die Möglichkeit, über die großen Herausforderungen zu diskutieren, mit denen wir uns heute im Bankgeschäft auch als kleine Genossenschaftsbanken konfrontiert sehen.

„Im Kern unverändert geblieben sind die wesentlichen Prinzipien: Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Selbstverwaltung, Solidarität und Subsidiarität.“

Heiner Nicolussi-Leck

Geboren 1944 in Bruneck, seit 1973 Präsident des Aufsichtsrates der dortigen Raiffeisenkasse, seit 2003 Obmann des Raiffeisen-verbandes Südtirol. Aufsichtsrat mehrerer Gesellschaften und Genossenschaften, Träger des Verdienst- kreuzes des Landes Tirol.

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

Page 6: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

6

Wenn ich eingeladen wurde, zu diesem Jubiläum beizutragen, dann bestimmt nicht deswegen, weil ich ein Fachmann für Wirtschaft und für Bankenwesen wäre. Ich wurde vielmehr eingeladen, um einige Überlegungen zur Genossen-schaftsarbeit im Licht der Soziallehre der katholischen Kirche anzustellen. Und um von der christlichen Botschaft und vom christlichen Menschenbild ausgehend einige fragmentarische Überlegungen zur Bedeutung der Genossenschaftsarbeit anzubieten.

Rerum Novarum, die Sozialenzyklika von Papst Leo XIII., die am 15. Mai 1891 veröffentlicht wurde, gab die Initialzün-dung für die Soziallehre der Kirche. Als positive Reaktion auf dieses päpst-liche Lehrschreiben entstanden viele christlich-soziale Bewegungen, die das Genossenschaftswesen als besonders geeignetes Instrument zur Linderung von Not und zur konkreten Hilfe für Men-schen förderten. Durch Rerum Novarum kamen sich in der Frage der Genossen-schaftsarbeit auch die sonst streng ge-trennten christlichen Konfessionen näher.

So wurden zum Beispiel die Ideen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der ein überzeugter evangelischer Christ war, von Katholiken geteilt und übernommen. Nicht zuletzt Priester haben solche Genossenschaften gegründet. In kürzes-ter Zeit entstanden allein auf dem Gebiet des heutigen Südtirols 45 Raiffeisenkas-sen – angefangen bei der ersten Raiffei-senkasse in Rina/Welschellen, die unter der Leitung des Pfarrers Josef Dasser im kaiserlich-königlichen Kreisgericht in Bozen eingetragen wurde. Zwei Prinzipien liegen den Raiffeisen-genossenschaften zugrunde: die Solidarität und die Subsidiarität.

„Alle für einen, einer für alle“, lautet das Motto, mit dem Solidarität umschrieben werden kann. Dahinter stehen die zum Teil schmerzlichen und erniedrigenden Erfahrungen der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts. Die daraus resultieren-den Lehren: Man muss zusammenhalten, um etwas zu erreichen. Wir sind in solidum füreinander verantwortlich und nur in solidum können wir nicht übergan-gen werden.

Manchmal scheint es mir, als ob heute der alte Kampf zwischen den Werten Freiheit und Solidarität neu auflodern würde. Die Auseinandersetzung wird zunehmend härter, nicht zuletzt, weil die finanziellen Mittel geringer werden. Europaweit werden Arbeitslose und Empfänger von Sozialleis-tungen nicht selten pauschal als Schma-rotzer abgestempelt. Gruppen werden gegeneinander ausgespielt, zum Beispiel Ausländer gegen Einheimische. Slogans wie „Wir zuerst“ halte ich für äußerst gefährlich und auf jeden Fall nicht verein-bar mit dem christlichen Menschenbild. Solidarität bezieht ihre Kraft nicht zuletzt aus der Einsicht, dass Menschen nicht als isolierte Individuen leben, sondern aufei-nander angewiesen sind. Solidarität hat immer auch eine strukturelle Dimension: Es braucht Regeln, mit denen die politisch Verantwortlichen Solidarität innerhalb und zwischen Gruppen und Einzelnen, aber auch zwischen den Generationen organisieren und gestalten. Das Solida-ritätsprinzip ist deshalb zum einen eine Korrektur zugunsten des isolierten Indivi-duums in einer liberalistischen Wirtschaft, zum anderen auch die Korrektur einer von oben her verordneten Solidarität. Neben dem Grundbedürfnis der Selbst- und Arterhaltung hat der Mensch auch das Bedürfnis beziehungsweise die innere

„Solidarität bezieht ihre Kraft nicht zuletzt aus der Einsicht, dass Menschen nicht als isolierte Individuen leben, sondern aufeinander angewiesen sind.“

Gedanken zur Bedeutung der Genossenschaftsarbeit Solidarität und Subsidiarität: Auch die kirchliche Soziallehre beruft sich, wie Bischof Ivo Muser erklärt, auf die Grundprinzipien des Genossenschaftswesens, die im heutigen Gesellschaftsgefüge immer wichtiger werden.

Page 7: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

7

Neigung, für andere Sorge zu tragen. Dabei müssen es wohl die Erfahrungen in der Familie und in kleinen überschauba-ren Gemeinschaften sein, in denen diese Solidarität wachsen und eingeübt werden kann. In seinem apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium merkt Papst Franzis-kus an, Solidarität sei nicht ein Auftrag für einige wenige, sondern meine den Auftrag, „sowohl […] die strukturellen Ursachen der Armut zu beheben und die ganzheitliche Entwicklung des Menschen zu fördern als auch die einfachsten und täglichen Gesten der Solidarität ange-sichts des ganz konkreten Elends, dem wir begegnen. Das Wort Solidarität hat sich ein wenig abgenutzt und wird manch-mal falsch interpretiert. Doch es bezeichnet viel mehr als einige gelegentliche großherzige Taten. Es erfor-dert, eine neue Mentalität zu schaffen, die in den Begriffen der Gemeinschaft und des Vorrangs des Lebens aller ge-genüber der Aneignung der Güter durch einige wenige denkt“.

Unsere Gesellschaft ist ohne Zweifel von einer starken Individualisierungstendenz gekennzeichnet. Gleichzeitig sind aber gerade in den vielen Vereinen und regie-rungsunabhängigen Organisationen, eben auch in den Genossenschaften, sehr viele Formen der Solidarität entstanden.

Ein Staat, aber auch eine Provinz wie Südtirol lebt und steht mit der Solidarität der eigenen Bürger und Bürgerinnen. Sie können diese nicht selber herstellen, sondern müssen dankbar darauf zurück-greifen. Sie sollten sich dessen auch stets bewusst sein und entsprechende Förde-rungen für den Erziehungsbereich, für Sektoren wie Kultur, Bildung und Weiterbildung zur Verfügung stellen.

Die Werteerziehung, die wir so sehr brauchen, wird aber von den Familien und auch von religiösen und ideellen Gemeinschaften geleistet. Deswegen profitiert die ganze Gesellschaft – und auch die Wirtschaft – von einer Stärkung und Förderung der Familie. Wie wir alle wissen, kommt im Bereich der Werte- erziehung auch den Massenmedien eine große Verantwortung zu. Sie können bilden, aber auch verbilden, aufbauen, aber auch gnadenlos zerstören.

Es muss aber noch ein zweites Prinzip hinzukommen, nämlich die Subsidiarität. Dieses Prinzip ist eine Folge des Vor-rangs der Person vor den Strukturen und wurde von Papst Pius XI. in seiner Enzy-klika Quadragesimo Anno von 1931 zum

ersten Mal ausführlich formuliert. Man kann dieses Prinzip als ethisches Korrek-tiv zu totalitären Systemen verstehen, ins-besondere zum Nationalsozialismus und zum Kommunismus im 20. Jahrhundert. Ich möchte dieses Subsidiaritätsprinzip so formulieren: Mut zur Eigenverantwortung! „Vorfahrt für Eigenverantwortung“ heißt es in einem gemeinsamen Sozialwort der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das heißt, jede Struktur muss zuerst einmal das leisten, was sie leisten kann und wofür sie kompetent ist – angefangen bei der Familie bis zu den Verbänden und Gemeinden. Sie hat dafür einen Anspruch auf Hilfe, auf ein Subsidium, weil sie un-gemein kostengünstiger arbeitet.

Es geht also nicht um ein Delegieren von oben nach unten, mit dem Kompetenzen vom Staat oder vom Land auf darunter angesiedelte Strukturen übertragen wer-den sollen. Es geht auch nicht darum, dass von oben her einfach die Bedingungen festgelegt werden oder dass der Staat mit privaten Organisationen Konventionen abschließt, damit diese kostengünstiger gewisse Leistungen erbringen. Das Prinzip der Subsidiarität ist nicht vertikal, von oben nach unten, zu verstehen. Es meint vielmehr die Richtung von unten nach oben oder auch eine horizontale Zusammenarbeit zwischen Personen und Institutionen gleicher Würde.

Dies hat auch für die Wirtschaft Konse-quenzen. So ist es eine primäre Aufgabe der Wirtschaftstreibenden selbst, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und durch Investitionen und Innovationen Arbeits-plätze zu schaffen. Sie haben aber ein Recht auf verlässliche politische Rahmen-bedingungen und auf gewisse korrigie-rende Fördermaßnahmen, damit sie dieser Aufgabe nachkommen können. Auf die Globalisierung bezogen bedeutet der Gedanke der Subsidiarität, dass es neben der weltweiten Vernetzung auch eine Stärkung regionaler Integrationsprozesse braucht. Zwischeninstitutionen sind unbedingt notwendig: Europa braucht länderüber-greifende Europaregionen genauso wie einzelne Regionen und sogar einzelne Gemeinden. Dabei geht es nicht nur um verschiedene Ebenen öffentlicher Insti-tutionen, sondern auch um alle Formen eines Zusammenwirkens in Vereinen, Verbänden, Initiativen, Bürgerbewegungen – eben um all das, was wir unter Zivilge-sellschaft verstehen.

Bischof Ivo Muser Bischof Ivo Muser

Geboren 1962 in Bruneck, Studium der Philosophie und Theologie in Innsbruck, 1987 Priesterweihe, ab 1991 Privatsekretär von Bischof Wilhelm Egger, Dozent und Regens des Priesterseminars in Brixen. Ab 2002 Kanoni-kus, ab 2005 Dekan, 2011 zum Bischof der Diözese Bozen-Brixen geweiht.

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

Page 8: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

8

Werfen wir noch einen Blick auf die Sozi-alenzyklika Caritas In Veritate von Papst Benedikt XVI. Diese Enzyklika wagt zu behaupten: „Das Wirtschaftsleben kann nicht alle gesellschaftlichen Probleme durch die schlichte Ausbreitung des Geschäftsdenkens überwinden. Es soll auf das Erlangen des Gemein-wohls ausgerichtet werden, für das auch und vor allem die politische Gemeinschaft sorgen muss. Es darf daher nicht verges-sen werden, dass die Trennung zwischen der Wirtschaft, der die Aufgabe der Schaffung des Reichtums zukäme, und der Politik, die sich mittels Umverteilung um die Gerechtigkeit zu kümmern habe, schwere Störungen verursacht.“ Und weiter: „Der Bereich der Wirtschaft ist weder moralisch neutral noch von seinem Wesen her unmenschlich und an-tisozial. Er gehört zum Tun des Menschen und muss, gerade weil er menschlich ist, nach moralischen Gesichtspunkten struk-turiert und institutionalisiert werden. […] Vor uns liegt eine große Herausforderung, die von den Problemen der Entwicklung in dieser Zeit der Globalisierung her-vorgebracht und durch die Wirtschafts- und Finanzkrise noch weiter erschwert wurde: Wir müssen in unserem Denken und Handeln nicht nur zeigen, dass die traditionellen sozialethischen Prinzipien wie die Transparenz, die Ehrlichkeit und die Verantwortung nicht vernachlässigt oder geschwächt werden dürfen, sondern auch, dass in den geschäftlichen Bezie-hungen das Prinzip der Unentgeltlichkeit und die Logik des Geschenks als Aus-druck der Brüderlichkeit im normalen wirt-schaftlichen Leben Platz haben können

und müssen. Das ist ein Erfordernis des Menschen in unserer jetzigen Zeit, aber auch ein Erfordernis des wirtschaftlichen Denkens selbst.“ Wie weit sind wir noch davon entfernt!

Für bedenkenswert halte ich auch die folgenden Überlegungen und Mahnungen von Papst Benedikt: „In den vergange-nen Jahren war eine Zunahme einer kosmopolitischen Klasse von Managern zu beobachten, die sich oft nur nach den Anweisungen der Hauptaktionäre richten, bei denen es sich normalerweise um anonyme Fonds handelt, die de facto den Verdienst der Manager bestimmen. […] Man muss vermeiden, dass die finanziel-len Ressourcen zur Spekulation verwen-det werden und man der Versuchung nachgibt, nur einen kurzfristigen Gewinn zu suchen und nicht auch den langfris-tigen Bestand des Unternehmens, den Nutzen der Investition für die Realwirt-schaft und die Sorge für die angemesse-ne Förderung von wirtschaftlichen Initi-ativen in Entwicklungsländern.“ Insofern wäre es wichtig und notwendig, dass auf Weltebene ungedeckte Leerkäufe und Leerverkäufe von Wertpapieren endlich verboten würden.

Aus den kleinen Räumen, in denen der Raiffeisenverband wirkt, soll und kann ein Hoffnungszeichen ausgehen. Das ist meine Überzeugung. Vor allem in den so-genannten Entwicklungsländern braucht es Genossenschaften. Eine Entwicklung, die kleine Wirtschaftskreisläufe fördert und auch die kulturellen Ressourcen der Völker achtet und respektiert. Eine Förde-

Herbert Dorfmann, EU-Parlamentarier, und Bischof Ivo Muser

Page 9: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

9

rung der kleinen Wirtschaftskreisläufe ist auch ein Gegenpol zur Flucht in die Mi- gration, die ein erschreckendes Phäno-men unserer Tage geworden ist, und letzt-lich ein Beitrag für den globalen Frieden.

Abschließend möchte ich einige Anliegen und Wünsche anbringen, die für mich gültig bleiben – bei aller legitimen Weiter-entwicklung und Veränderung. Solidarität und Subsidiarität mögen die verbindlichen und verbindenden Leitideen für das Ge-nossenschaftswesen bleiben. Ebenso wie menschliche Würde vor jeder Form der Produktivität, menschliche Freiheit, Lohn-gerechtigkeit, Recht auf Mitbestimmung und Mitsprache der Mitarbeiter und Mit-arbeiterinnen. Die Gesetze des Marktes, der Wirtschaftlichkeit, der Effizienz, der Profitsteigerung sind sicher auch legitim, dürfen aber nicht die einzigen Kriterien sein, und sich vor allem nicht verselbstän-digen oder gar absolut gesetzt werden. Das Kapital muss im Dienst der Men-schen stehen und nicht umgekehrt.

Die christlichen Wurzeln und Werte haben eine große verbindende Bedeu-tung für die Gesellschaft, die Wirtschaft und das Zusammenleben der Men-schen. Nicht zuletzt auch in unserem Land mit seiner Geschichte und seiner historischen Brückenfunktion zwischen unterschiedlichen Sprachgruppen und Kulturräumen. Mit einem christlichen Gottes- und Menschenverständnis kann ich sagen: Das Sein des Menschen kommt vor seinem Tun, Leisten und Haben.

Haben wir eine große Ehrfurcht vor dem einzelnen Menschen und seiner Würde! Seien wir kritisch einer Mentalität ge-genüber, die sich vom unbarmherzigen Druck eines „immer mehr, immer schnel-ler, immer weiter, immer höher, immer reicher“ leiten lässt! Und vergessen wir nicht – auf allen Ebenen des Marktes, des Staates, unseres Landes und der gesamten Zivilgesellschaft: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch.

„Das Kapital muss im Dienst der

Menschen stehen und nicht

umgekehrt.“

Page 10: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

10

Der Lohn ist ein langes LebenRegelmäßige Bewegung, gesunde Lebensweise und die Einbettung in ein von Vertrauen geprägtes Beziehungsnetz: Das hält nicht nur Menschen, sondern auch Banken fit, findet Landeshauptmann Arno Kompatscher.

Mir ist bewusst, welche wichtige Funktion das Genossenschaftswesen in Südtirol einnimmt. Ich weiß dies als Landeshaupt-mann und als Wirtschaftslandesrat, als zuständiger Regionalassessor für das Genossenschaftswesen, aber auch als Mitbegründer einer Reihe von Genossen-schaften – die übrigens im Raiffeisen-verband beheimatet sind – sowie nicht zuletzt als Mitglied einer Raiffeisenkasse. Ich schätze daher auch die Funktion, die der Raiffeisenfamilie innerhalb des Genossenschaftswesens zukommt. Wie bereits von Bischof Ivo Muser hervorge-hoben, sind Genossenschaften in erster Linie Wertegemeinschaften, geprägt von Prinzipien wie der Solidarität und Subsi-diarität im Sinne der Eigenverantwortung, und natürlich auch von Vertrauen, Ehrlich-keit und Partizipation.

Bezogen auf Südtirol haben die Ge-nossenschaften auch wegen unserer spe-zifischen Wirtschaftsstruktur eine ganz besondere Bedeutung. Unsere kleinteilige Wirtschaft ist geradezu für Genossen-schaften geschaffen. Es ist diese Form der Organisation, nämlich der Hilfe zur Selbsthilfe, die es der Wirtschaft ermög-licht, wettbewerbsfähig zu sein und gemeinsam das zu schaffen, was einer allein nicht erreichen kann. So ist es auch kein Zufall, dass wir in Südtirol insgesamt über 1.000 eingetragene Genossenschaften haben, mit mittlerweile über 165.000 Mitgliedern, und unsere Wirtschaft ganz entscheidend vom Genossenschaftswesen geprägt wird.

125 Jahre: ein beachtliches Alter. Doch wie wird man so alt? Ich behaupte, dass die Rezepte ähnliche sind, wie sie laut der Medizin für Menschen gelten: regelmäßige Bewegung, gesunde Lebensweise und ein von Vertrauen geprägtes Beziehungsnetz. Alle Institutio-nen, egal ob sie in der Politik, im Bereich des Rechts, der Religion, der Wissen-

schaft, der Bildung, der Gesundheit oder der Wirtschaft beheimatet sind, mussten sich in den vergangenen 100 bis 150 Jahren mehr bewegen als in all den Jahr-hunderten zuvor. Sie waren enormen Veränderungen unterworfen, deren Rhythmus in den vergangenen Jahrzehn-ten nochmals schneller geworden ist und deren Radikalität zugenommen hat. Das zwingt alle Institutionen, die überleben wollen, zu Bewegung. Wer sich nicht bewegt, verschwindet früher oder später von der Bildfläche – auch wenn der Anpassungsdruck in den erwähnten Bereichen unterschiedlich groß ist. Besonders groß ist er dort, wo Wettbewerb herrscht. Ein Unternehmen, das 125 Jahre überlebt hat – den Ersten Weltkrieg und die Zerreißung Tirols, die Italianisierungspolitik, die Zwischenkriegs-zeit und Option, den Zweiten Weltkrieg, den Wiederaufbau sowie einige Wirt-schaftskrisen und die großen technologi-schen und gesellschaftlichen Umbrüche –, ein solches Unternehmen musste sich bewegen, musste sich immer wieder an-passen. Die Raiffeisenkassen in Südtirol haben genau das getan: sich gemäß den Herausforderungen der Zeit bewegt, sich angepasst und damit den Widrigkeiten getrotzt. Das Wichtigste ist aber, dass sie dabei nie ihre Werte aus den Augen verloren haben.

„Wer sich nicht bewegt, verschwindet früher oder später von der Bildfläche.“Wie bereits erwähnt ist neben dem In-Bewegung-Bleiben eine gesunde Lebensweise eine Voraussetzung, um ein hohes Alter zu erreichen. Wie auch immer wir auf Veränderungen, Entwicklungen

„Unsere kleinteilige Wirtschaft ist

geradezu dazu veranlagt,

Genossenschaften zu brauchen.“

Page 11: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

11

und Umbrüche reagieren, eines sollte stets unverändert bleiben: die Verpflichtung, sich an dem zu orientie-ren, was nach bestem Wissen und Gewis-sen für ein gesundes und menschenwür-diges Leben von Bedeutung ist. Die Raiffeisenkassen in Südtirol haben es stets verstanden, die Logik des Bankge-schäfts und ihrer Dienste in das Interesse ihrer Kundinnen und Kunden zu stellen. Gerade das Genossenschaftsmodell stellt die „Gesundheit“, also das Wohl der Genossenschaftsmitglieder, in den Mit-telpunkt des Handelns. Das erkennt auch die Republik Italien an, indem sie die sozi-ale Aufgabe des Genossenschaftswesens in Artikel 45 der italienischen Verfassung festschreibt. Bei Genossenschaften steht stets die gemeinsame Selbsthilfe zur Förderung der Mitglieder im Vordergrund. Deshalb kann die Genossenschaft im Unterschied zu vielen anderen Akteuren im Wirtschaftsleben eine langfristige und verantwortungsvolle Strategie verfolgen. Die Raiffeisenkassen in Südtirol – geleitet von den Grundsätzen des Genossenschaftspioniers Friedrich Wilhelm Raiffeisen – sind auf die genos-senschaftliche Förderung der Gegensei-tigkeit ohne private Kapitalspekulation ausgerichtet. Das unterscheidet das Modell Raiffeisen von anderen Bankin-stituten. Der Lohn für dieses verantwor-tungsvolle Handeln ist ein langes Leben.

Nun zum verlässlichen und vertrauens-würdigen Beziehungsnetzwerk als dritte Voraussetzung für langfristigen Erfolg. Charakteristisch für die Raiffeisenkassen in Südtirol sind ihre dezentrale Organisa-tion und die lokale Verankerung in den Dörfern, Tälern und Städten.Die Sozialwissenschaft geht davon aus, dass lokal verankerte Einrichtungen für das zwischenmenschliche Vertrauen weit förderlicher sind als zentralisierte Einrich-tungen. Im Besonderen gilt das für die Banken. Die vergangenen Jahre haben

Arno Kompatscher

Geboren 1971 in Völs am Schlern, von 2005 bis 2013 ebendort Bürgermeister, von 2011 bis 2013 zudem Präsident des Südtiroler Gemeinden-verbandes und seit Jänner 2014 Landeshauptmann von Südtirol.

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

einmal mehr gezeigt, wie wichtig Vertrau-en und Sicherheit sind. Im Bankgeschäft sind diese beiden Werte fundamentale Voraussetzungen für eine erfolgreiche Partnerschaft. Wer Vertrauen besitzt, verfügt in einer immer komplexer wer-denden Welt über einen unschlagbaren Vorteil. Ein Umfeld, dem man Vertrauen entgegenbringen kann, wirkt sich auch auf das Lebensalter positiv aus. Das können wir heute mit Freude feststellen.

Ich wünsche dem Genossenschafts- wesen insgesamt, aber ganz besonders dem Raiffeisenwesen, dem Raiffeisen- verband und den Raiffeisenkassen weiterhin eine erfolgreiche Zukunft. Ich bin davon überzeugt, dass sie ihre Grundwerte nicht aus den Augen verlieren und es deshalb weiterhin schaffen werden, Tradition und Moderne zu verbinden – denn diese Werte gewinnen gerade heute an Modernität.

„Der Lohn für dieses verantwortungsvolle Handeln ist ein langes Leben.“

Page 12: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

12

Napoleon, Raiffeisen und Tolomeis unerfüllte ForderungWas waren die Triebfedern, was der geschichtliche Hinter-grund der Entstehung des heutigen Raiffeisensystems? Ein historischer Streifzug zum 125. Jubiläum mit dem Grandseigneur des Raiffeisensektors Konrad Palla.

„Raiffeisen war vielleicht kein Denker

des Humanismus, aber er hat die

Menschlichkeit und das Handeln für die

Menschlichkeit hochgehalten.“

Bei Jubiläen richtet man die Scheinwer-fer gerne auf Ereignisse und Ursachen, die den Anschub für die Errichtung und Entwicklung einer Organisation gaben. Es gibt profunde Untersuchungen zur Geschichte und Entwicklung der Raiffei-senkassen. 2014 fallen nun zwei Daten zusammen: Wir feiern nicht nur das 125-jährige Bestehen der Raiffeisen-kassen in Südtirol, sondern wir schreiben auch das 150. Jahr, seit dem es Raiff-eisenkassen überhaupt gibt. 1864 hat Friedrich Wilhelm Raiffeisen die Banktä-tigkeit aus dem Heddesdorfer Hülfsverein ausgegliedert und dafür eine eigene Einrichtung geschaffen, den Spar- und Darlehenskassenverein von Heddes-dorf. Anlässlich unserer 100-Jahr-Feier haben wir Heddesdorf besucht, heute ein Stadtteil von Neuwied. Dort steht eine Bronzeplastik von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, die wir damals fotografiert haben und dann nach einem Negativ des Grödner Künstlers David Moroder in Vicenza gießen ließen. Diese Plastik steht nun vor dem Sitz des Raiffeisenverbandes in Bozen, überlebensgroß mit 2,20 Metern Höhe. Auf dem Sockel darunter steht: Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Humanist, Genossenschaftsgründer und Sozialre-former.

Besucher des Raiffeisenverbandes haben mich einmal darauf hingewiesen: Humanist? Was hat Raiffeisen mit den Humanisten zu tun? Ein Denker des Humanismus war er vielleicht nicht, aber er hat sicherlich die Menschlichkeit und das Handeln für die Menschlichkeit hochgehalten. Nach den Grundsätzen der

christlichen Nächstenliebe, wie er selber sagte, nicht der Soziallehre, denn diese entwickelte sich etwas später, etwa mit der päpstlichen Enzyklika Rerum Nova-rum.

2014 gedenken wir aber auch anderer historischer Ereignisse: dem 100. Jahrestag des Ausbruches des Ersten Weltkrieges sowie 75 Jahren Option. Das sind denkwürdige Daten, die auch die Entwicklung des Raiffeisensystems in unserem Lande stark und nachhaltig beeinflusst haben. Doch was waren die Triebfedern, was die Ursachen dafür, dass das System Raiffeisen überhaupt entste-hen konnte? Dazu müssen wir in das 19. Jahrhundert zurückgehen, das meiner Einschätzung nach eines der interessan-testen Jahrhunderte überhaupt ist.

Nachdem Napoleon I. vor fast 200 Jahren seine Schandtaten bei der letzten großen Schlacht, der Leipziger Völkerschlacht, zu Ende gebracht hatte, wurde er endlich aus Mitteleuropa vertrieben. Obwohl er halb Europa zugrunde gerichtet hat, steht er heute immer noch als großer Held da, ganz nach dem Motto: „Töte einen Menschen, und du bist ein Mörder. Töte Millionen, und du bist ein Eroberer. Töte alle, und du bist Gott.“ Auf dem Wiener Kongress trafen sich danach über 200 Monarchen und Vertreter von Fürstenhäusern, um die sogenannte Restauration umzusetzen: Man wollte in Europa die alten Verhältnisse, die vor Napoleon geherrscht hatten, wieder herstellen. Regie führten die großen Fürs-ten und Monarchen wie die Habsburger, die Preußen, die Engländer, die Schweden,

Page 13: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

13

Konrad Palla

Geboren 1944 in Brixen, nach der Matura 1965 Revisor im fünf Jahre vorher gegründeten Raiff-eisenverband, ab 1972 als Revisionsdienstleiter. Von 1978 bis 2008 Direktor des Raiffeisenverbandes Südtirol.

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

die Russen und auch die Spanier. Man schwor sich auf Solidarität und Legitima-tion ein, aber auch darauf, in Zukunft alle revolutionären und auch linksliberalen Agitationen im Keime ersticken zu wollen. Letzteres gelang nicht ganz, denn das 19. Jahrhundert war gekennzeichnet von einem Aufschwung, wie es wahrscheinlich keinen zweiten in der Geschichte gab.

Grund dafür waren die großen Erfindungen, allen voran die Dampfkraft. Die Dampfmaschine wurde in der industriellen Produktion, im Bergbau und überall dort eingesetzt, wo früher nur menschliche Muskelkraft oder Pferdestärke am Werk waren. Das hat der industriellen Produktion und damit der Realwirtschaft einen bisher ungekannten Anschub gegeben, erst recht, als man die Dampfmaschine dann auf schienengebundene Fahrzeuge aufsetzte. 1852 wurde sogar versucht, mit der Dampfkraft ein Luftschiff zu bauen, das ist dann nicht gelungen. Doch die Dampfloks haben die Welt und vor allem die Mobilität völlig verändert, ja durcheinandergebracht. 1841 wurde der Wiener Südbahnhof eröffnet, dort, wo heute der neue Zentralbahnhof für 1.000 Züge am Tag gebaut wird. 1857 hatten die Österreicher schon die Zugverbindung über Graz, Marburg, Celje, Ljubljana und Triest eröffnet. Man kann sich kaum vorstellen, wie das damals möglich war.

Ich bewundere heute noch die wunder-schönen Hoch- und Tiefbauten, die Bogenbrücken und Tunnels, die man damals innerhalb kürzester Zeit zu reali-sieren imstande war. Das hat einen außer-ordentlichen Mobilitätsschub ausgelöst. So fuhren vor der Eröffnung der Bahnlinie jährlich etwa 100.000 Menschen aus der gesamten Monarchie ans adriatische Meer, nach der Eröffnung waren es etwa drei Millionen.

„Raiffeisen sagte: Wir müssen Kapital nicht einsetzen, um es zu verzinsen, sondern wir müssen Garantien leisten, um das Kapital zu bekommen.“

Was meiner Ansicht nach in der Betrach-tung des 19. Jahrhunderts immer zu kurz kommt, ist die große Migration innerhalb der einzelnen Länder. So zählte man beispielsweise im Jahre 1850 in Wien 551.000 Einwohner. Damals sollen noch 60 Prozent der Wiener in der Landwirt-schaft gearbeitet haben. Im Jahr 1910, also 60 Jahre später, betrug die Einwoh-nerzahl Wiens 2.083.000. Eine unglaub-liche Bevölkerungszunahme, die der Landflucht geschuldet war. Unter der Abwanderung von Millionen von Menschen litt vor allem die Landwirt-schaft. Eben diese Schwierigkeiten der Landwirtschaft waren ausschlaggebend für die Gründung der Raiffeisenkassen.

Tirol war in Bezug auf die Grundherrlich-keit und die Verrichtung von Grunddiens-ten gegenüber den Grundherren schon historisch in einer besseren Situation als das restliche Europa. Doch die Migration – die Abwanderung der Landbevölkerung in die Industrie, in die Bauwirtschaft, aber auch zum Bürgertum als Hausmädchen, Köchinnen und dergleichen – hat die Landwirtschaft auch in Tirol sehr getrof-fen. Es entstanden neue Abhängigkeiten im Bereich der Versorgung und dafür brauchte es auch neue Geldflüsse. In Italien wurde 1854 in Turin die erste Genossenschaft gegründet, nämlich eine Genossenschaft zur Besorgung von

Page 14: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

14

Lebensmitteln für Industriearbeiter. In der Folge entstanden mehrere sogenannter Fürsorgemagazine.

In ganz Europa verlangte die soziale Lage nach Antworten. In diese Situation hineingeboren wurde im Jahr 1818 Friedrich Wilhelm Raiffeisen als Sohn ei-ner Bürgermeisterfamilie. Wie wir wissen, unterstützte er Bauern durch einen Hilfs-verein, der zum Vorläufer der Darlehens-kassen und des Genossenschaftswesens wurde. Im selben Jahr kam in Deutschland als Sohn eines Anwalts Karl Marx zur Welt, der die neuen sozialen Verhältnisse und Abhängigkeiten auf seine Art zu lösen versuchte. 1820 wurde Friedrich Engels geboren, als Sohn eines reichen Textilfabrikanten. Wie Marx lehnte er den Kapitalismus ab und schlug sich auf die Seite der Arbeitnehmer. Doch eine weitere Person muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden: Franz Hermann Schulze, geboren 1808 im sächsischen Delitzsch. Er stammte aus bürgerlichem Haus, war Jurist und gilt als Begründer des zweiten großen Genossenschaftsmodells neben Raiffeisen. In der Tat begann zwischen Friedrich Wilhelm Raiffeisen und

Hermann Schulze ein Systemstreit. Hermann Schulze war ein gebildeter Mann und linksliberaler Abgeordneter in der preußischen Nationalversammlung. So weit hat es Friedrich Wilhelm Raiffeisen nie gebracht. Raiffeisen hatte nicht studiert; er war ein Praktiker, der dort Hand anlegte, wo Not am Mann war. Eigentlich wollte er eine militärische Karriere einschlagen und hatte sich mit 17 Jahren freiwillig zum preußischen Artillerieregiment gemeldet. Wegen eines Augenleidens musste er mit 24 Jahren aufgeben, was ihn zeitlebens belastet hat.

Der Systemstreit mit Schulze-Delitzsch – den Namen Delitzsch hat Hermann Schulze erst als Abgeordneter der Natio-nalversammlung angenommen, um sich von einem Namensvetter zu unterscheiden – beruht auf der unbeschränkten Haftung. Schulze-Delitzsch wollte davon nichts wis-sen. Raiffeisen hingegen war der Auffas-sung: Wir müssen Kapital nicht einsetzen, um es zu verzinsen, sondern wir müssen Garantien leisten, um das Kapital zu bekommen. Leone Wollemborg, der 1883 in Loreggia bei Padua die erste Raiffeisen-kasse errichtete und mit Friedrich Wilhelm Raiffeisen korrespondierte, brachte dies

„Um die Auflösung verschuldeter Raiffeisenkassen zu verhindern, hat der italienische Staat 90 Prozent der Verluste aus Kriegs- anleihen durch eine Garantie abgedeckt.“

Page 15: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

15

folgendermaßen auf den Punkt: „Quel che ci serve è la garanzia del capitale, non il capitale di garanzia“. Das heißt: Wir müssen Haftung über- nehmen, damit wir Geld bekommen und nicht Geld als Garantiekapital einsetzen, das dann verzinst wird.

Dieser Ansatz bildete die Grundlage bei der Errichtung der vielen italienischen Raiffeisenkassen. Die moralische Aufgabe der unbeschränkten Solidarhaftung bildet die Basis der Raiffeisenkassen Italiens, von denen es um 1920 bereits 3.441 gab.

In Deutschland und in Österreich wurde der Systemstreit zwischen Raiffeisen und Schulze-Delitzsch dagegen nie beendet. Mein Eindruck ist es, dass Friedrich Wilhelm Raiffeisen in Österreich als Mitglied der evangelischen Kirche nicht übermäßig willkommen war. Im erzkatholischen Österreich und auch in Tirol gab es wohl Vorbehalte, sonst hätte das Raiffeisenmodell früher zum Zug kommen müssen. Stattdessen dauerte es einige Jahrzehnte, bis die Gedanken Raiffeisens in Österreich Einzug halten konnten. 1886 entstand die erste Raiffeisenkasse im niederösterreichischen Mühldorf bei Spitz in der Wachau. Im selben Jahr soll auch eine in Rossweil, einem Stadtteil des heutigen Maribor, errichtet worden sein. Doch dann kam es zum Stillstand, der bis zur Gründung der christlich-sozialen Bewegung durch den Wiener Bürgermeister Dr. Karl Lueger andauerte. Das war 1893.

„In Südtirol kam die Zeit der großen Auflösungen infolge der Weltwirtschaftskrise und durch den unseligen Optionsvertrag.“

In Tirol kam es zum katholischen Brüder-streit, weil die Katholisch-Konservativen und die Christlich-Sozialen sich gar nicht eins wurden und auch die päpstliche Enzyklika Rerum Novarum nicht wirklich gegriffen hat. Das hat auch dazu geführt, dass der Bischof von Brixen, Simon Aich-ner, 1904 das Handtuch geworfen und die letzten fünf Jahre im Kloster Neustift ver-bracht hat. Die Christlich-Sozialen haben sich hingegen um den Theologieprofessor Aemilian Schoepfer geschart. Zu diesem Kreis zählte auch der einflussreiche

Publizist Sebastian Rieger, besser bekannt als Reimmichl. Zusammen mit dem Bau-ernbund hatte die christlich-soziale Bewe-gung Einzug in Tirol gefunden. Dies war der Startpunkt für die dortige Verbreitung des Genossenschaftsgedankens.

1888 entstand die erste Raiffeisenkasse in Ötz in Tirol. Insgesamt 45 Raiffeisen-kassen wurden in den folgenden drei Jahren im seinerzeitigen Tirol südlich des Brenners gegründet. Es war jedoch keine einfache Zeit. Das hat mir bei der 100-Jahr-Feier der Südtiroler Raiffeisenkassen der Pfarrer von Untermoi bestätigt, als ich ihn fragte, ob er Josef Dasser noch kannte. Dasser, ein Kurat, war bekanntlich der Gründer der ersten Raiffeisenkasse 1889 in Wel-schellen im Gadertal. Interessant ist, dass die Gründung des Spar- und Darlehens-vereins laut Auskunft des Untermoier Pfarrers in den Kreisen seiner geistlichen Mitbrüder gar nicht gut angekommen ist. Ein Landsmann aus dem Gadertal, der Benediktinerpater in Muri-Gries war, hat Dasser schriftlich geraten, von solchen Unterfangen abzulassen: Das sei viel zu riskant und nicht Aufgabe der Kirche. Dasser antwortete dem Pater auf Italienisch: „Per fare e per disfare le cose ben fatte, il diavolo si serve delle donne e del frate“, also in etwa „Um Gutes zu bau-en und es zu zerhauen, bedient sich der Teufel der Pater und Frauen.“ So endete der Zwist, der zwischen diesen beiden Geistlichen ausgetragen wurde.

Aber auch in amtlichen Kreisen traf die Gründung des Spar- und Darlehensver-eins auf Ablehnung: Das k. u. k. Kreis-gericht gab dem Antrag auf Eintragung einer Raiffeisenkasse nicht statt und zwar mit einer etwas eigentümlichen Begründung: Die Gesuchsteller hätten von der Tragweite ihres Unternehmens ebenso wenig Kenntnis wie von der Nutzlosigkeit desselben, hieß es darin. Letztlich musste der Tiroler Landtag einschreiten, der dann auf die unbe-schränkte Solidarhaftung verwies und ein gutes Wort bezüglich des Funktionierens der Raiffeisenkassenvereine einlegte. Erst dann wurde die Eintragung verfügt.

In der Folge kam es zu einem wahren Aufschwung: Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entstanden insgesamt 86 Raiffeisenkassen im Land Tirol südlich des Brenners, bis zum Ersten Weltkrieg wurden dann noch weitere 40 gegründet, sodass es bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 126 Raiffeisenkassen waren. Während des Krieges kamen noch Pfatten

Page 16: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

16

und Pfeffersberg bei Brixen hinzu, und nach 1918 wurden weitere zehn Raiffei-senkassen errichtet – diese nun in einem anderen Staat, denn Südtirol war Teil Italiens geworden.

Das große Drama des Krieges für die Raiffeisenkassen war, dass 89 von 117 Kassen Kriegsanleihen an Österreich verliehen hatten. Insgesamt hatten sie 48 Millionen an Einlagen, die Kriegsanleihen machten zwölf Millionen aus. Das heißt, dass ein Viertel verloren war. Damals schien klar, dass den Raiffeisen-kassen nur die Liquidation blieb, doch Italien erwies sich als großzügig. Um die Auflösung dieser Raiffeisenkassen zu verhindern, deckte der italienische Staat 90 Prozent der Verluste aus Kriegsanlei-hen durch eine Garantie ab. In den Aktiva konnten die Kassen staatliche Garantie-leistung eintragen, das Bilanzbild war somit in Ordnung, aber natürlich waren die Mittel nicht da und die Rendite litt stark darunter. 1928, als Mussolini vollständig die Macht übernommen hatte, wurde diese Garantie in ein Darlehen umgewandelt, zu andert-halb Prozent Zinsen im Jahr. 1941 wurde daraus dann endgültig ein Verlustbeitrag.

Dabei wurde der Faschismus auch vonsei-ten der Raiffeisenkassen gefürchtet. Ettore Tolomei etwa hatte in seinem 32-Punkte-Programm die Auslöschung der deutschen Banken und die Errichtung einer italieni-schen Agrarbank gefordert. Umgesetzt wurde dies aber nie. Vielmehr hat sich der italienische Staat in einem weiteren Punkt großzügig gezeigt: bei der Währungsum-rechnung von Kronen in Lire. Hier das Ergebnis einer persönlichen Recherche: Vor dem Ersten Weltkrieg entsprach der Wert einer Lira an der Wiener Börse in etwa jenem einer Krone. Innerhalb 19. Oktober 1919 konnten die Raiffeisenkassen ihre Bilanzen auf Lire umbuchen, wobei sie 40 Centesimi für eine Krone einsetzen konnten. Das war aber nicht alles. Im September des Jahres 1919 hat der italienische Staat mit dem sogenannten Affidavit noch einmal 20 Centesimi draufgezahlt. Das heißt, dass man die Ersparnisse der Südtiroler zu 60 Prozent retten konnte, während die Österreicher ihren Wert völlig verloren haben. Ich habe noch für 1920 an der Wiener Börse einen Wechselkurs von 10,3 Centesimi gefunden. Noch etwas finde ich hochinteressant. Bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskri-se 1933 wurde in Südtirol keine einzige Raiffeisenkasse aufgelöst. In Italien sind

im selben Zeitraum 1.261 von insgesamt 3.441 Raiffeisenkassen aufgelöst worden. Danach noch einmal so viele, sodass vor dem Zweiten Weltkrieg nur noch 1.202 übrig blieben. In Südtirol kam die Zeit der großen Auflösungen hingegen infolge der Weltwirtschaftskrise und durch den unseli-gen Optionsvertrag. Damals haben 75.000 Menschen unser Land verlassen, darunter auch viele Mitglieder von Raiffeisenkassen. So mussten 78 von 135 Raiffeisenkassen schließen und die Raiffeisenkasse Cortina kam zu Belluno, sodass am Ende 55 Raiff-eisenkassen übrig blieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Zeit des wirtschaftlichen Wiederauf-baus und die Südtiroler waren mit voller Begeisterung dabei. Ausschlaggebend war, dass die Region Trentino-Südtirol mit Verfassungsgesetz von 1948 die primäre Zuständigkeit für die Genossenschafts-überwachung und -förderung bekom-men hatte. Auf dieser Grundlage war die Region für die Errichtung von neuen Raiffeisenkassen und auch für die Vergabe von Schaltern zuständig. Mit dem Autono-miestatut von 1972 erhielt dann das Land Südtirol diese Kompetenz. Damit hatten wir Raiffeisenkassen bessere Chancen auf die Errichtung neuer Schalterstellen. Die Verfahrensweise sah dafür eine amtliche Bedarfsprüfung durch das Land vor, doch in der Praxis verlief das so: Zweimal wurde zu Landeshauptmann Silvius Magnago gepilgert, und der hat dann die Gesuche von Raiffeisen, Volksbank und Sparkasse herausgezogen, hat geschaut, wer zuerst den Antrag gestellt hat und dann in etwa so entschieden: „Ja, dann geb’ ich euch halt Brixen. Und Lüsen geb’ ich dafür der Volksbank und die Sparkasse wird schon das nächste Mal drankommen.“ Das war die Bedarfsprüfung! Wir sind von dannen gezogen, sind aber auf diese Art schließ-lich zu 190 Schaltern in ganz Südtirol gekommen.

Der wirtschaftliche Aufschwung der 1970er- und 1980er-Jahre war dann von einer neuen Phase gekennzeichnet, in der die Technologie und vor allem die Informatik Einzug hielten. Dazu kam eine Fülle von neuen Bankdiensten sowie von aufsichtsrechtlichen Regelungen. All diese Herausforderungen haben die Raiffeisen-kassen nach meinem Ermessen sehr gut gemeistert.

In den 1990er-Jahren wurde der neue Ein-heitstext der Raiffeisenkassen beschlos-sen: das 385er-Gesetz von 1993. Auf dem nationalen Kongress in Sanremo versuchte ich entschieden, die unbeschränkte Haf-

„Einerseits waren wir wie alle anderen Banken, was wir im Prinzip

nie sein wollten, auf der anderen

Seite waren wir es doch nicht.“

Page 17: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

tung zu verteidigen. Doch es war klar, dass die Schlacht von vornherein verloren war. Der Systemstreit und die Unterschiede, die aufgrund der unbeschränkten Solidarhaf-tung gegenüber dem restlichen Banken-system bestanden, wurden per Gesetz einfach vom Tisch gefegt. Die Raiffeisen-banken wurden „cooperative di credito per azioni a responsabilià limitata, articolo 33 della legge bancaria, primo comma“ also nach Artikel 33 des Bankengesetzes „Genossenschaftsbanken auf Aktien mit beschränkter Haftung“. Ich muss ehrlich sagen, für mich ist eine Genossenschaft auf Aktien ein Widerspruch in sich. Noch dazu mit beschränkter Haftung, das ist der Widerspruch Nummer zwei.

Die neue Gesetzeslage stürzte unsere Raiffeisenkassen in eine Identitätskrise. Ich hatte den Eindruck, dass eine Art Orientierungslosigkeit um sich griff. Einer-seits waren wir wie alle anderen Banken, was wir im Prinzip nie sein wollten, auf der anderen Seite waren wir es doch nicht – und könnten es auch nie sein, weil wir von der Grundidee und vom Grundauftrag her anders strukturiert und organisiert sind. Das hat damals dazu geführt, dass die Selbstdarstellung teilweise überzogen wur-de. Manche Raiffeisenkasse hat gemeint, als Bank wie alle anderen müsste sie sich auch gegenüber Dritten so präsentieren.

Es wurde auch übermäßig investiert. Ich kann mich erinnern, bei einer Filial-eröffnung gesagt zu haben: Es kann nicht sein, dass ein Arbeitsplatz bei einer Raiffeisenkasse von den Investitionen her mehr als zehnmal so viel wie ein Arbeits-platz in der Industrie kostet. Das war aber der Fall, und das war meines Erachtens unverhältnismäßig.

Heute stehen wiederum andere Heraus-forderungen an, die vor allem aus Brüssel kommen: Wir kämpfen mit EU-Richtlinien wie Basel I, Basel II, Basel III und Solvency II. Im Mittelpunkt des Systems steht nur noch das Kapital, das wir im Prinzip nicht haben oder das wir nur verdienen können. Und wer es nicht verdienen kann, der muss sowieso das Handtuch werfen. Das sind die Rahmenbedingungen, die wir meistern müssen. Die Raiffeisenorganisation steht in Südtirol zwar solide da, doch sie hat noch vieles zu tun. Ein Appell zum Ab-schluss: Wenn auch der unmittelbare Nutzen der einzelnen Genossenschaften oder Raiffeisenkassen nicht immer sichtbar ist – ohne gemeinsame Arbeit im Verbundsystem haben wir keine Zukunft.

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

17

Florian Mussner, Landesrat, und Carl von Eyrl, Altobmann des Raiffeisenverbandes Südtirol

Page 18: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

18

Ich fühle mich geehrt, dass ich meinen Beitrag zu diesem Jubiläum beisteuern darf, das anlässlich der Eröffnung der ersten Raiffeisenkasse Südtirols gefeiert wird. Ich denke gerne an jenen Pfarrer aus Alta Badia, der ein Innovator und Pionier war, und an seine Mitstreiter, die einfache Leute, ja vielleicht Analpha-beten waren, sich aber dennoch durch ihre Wertvorstellungen auszeichneten. Ich denke gerne daran, wie unsere Banken und unsere Genossenschaften entstanden sind. Ich weiß, welche Kraftanstrengungen dazu nötig waren, dass es dazu Innovationsfähigkeit braucht und man Bedürfnisse erkennen muss. All dies unterscheidet ein genossen-schaftliches Unternehmen von anderen Unternehmen, und diese Unterschiedesollen uns helfen, unseren Weg zu erkennen und zu verstehen, wie wir uns in der derzeitigen Phase des Übergangs verhalten sollen.

Wir durchleben nämlich einen der schwie-rigsten Momente seit Bestehen des Genossenschaftswesens, einen Moment, der sogar die Nachkriegszeit in den Schatten stellt. Wir haben es mit der er-sten wirklichen Krise einer globalisierten Welt zu tun, in der das amerikanische und europäische Wirtschaftsmodell auf die neuen, aufstrebenden Wirtschaftsmächte stößt, die rasch Marktanteile dazugewin-nen. Alles wird schwieriger, weil wir als Bürger – in Europa und in Italien –,vor allem aber auch als aktive Protago-nisten des Genossenschaftswesens, den globalen Finanzmärkten ausgesetzt sind. Nach der Überwindung der derzei-tigen Krise wird die Finanzwirtschaft der Realwirtschaft noch mehr überlegen sein – eine Entwicklung, die das Großkapital zusätzlich befeuert. Es war schließlich das Großkapital, das uns diesen Prozess der Aushöhlung der Realwirtschaft durch die Finanzwirtschaft beschert hat – Kapital,

das nicht nur Investitionen steuert, sondern politische Prozesse und gesell-schaftliche Entwicklungen beeinflusst.Das Risiko, das in diesem Zusammenhang droht, ist der Grundsatz der Vereinheit-lichung, demzufolge Kulturen, Diversitäten und Erfahrungen ausschließlich in einem einzigen Modell Platz finden und einer einzigen Logik verpflichtet sein sollen. So gibt es in Europa und sogar in der italienischen Zentralbank Stimmen, die verlangen, dass auch die Genossen-schaftsbanken sich in klassische Kreditinstitute umwandeln und so wie diese arbeiten sollen.

Es herrscht kein Zweifel, dass sich unser Land derzeit schwer tut, seinen Kurs zu ändern. Italien bewegt sich auf einen Abgrund zu, es steuert, was sich nicht nur im Bruttoinlandsprodukt, sondern auch in anderen Wirtschaftsdaten widerspiegelt, auf eine Unterentwicklung zu: Das Wirtschaftswachstum liegt unter jenem der Nachbarländer. In Italien braucht es daher einen echten Wandel, der auf zwei Grundsätzen beruht: auf jenem der Subsidiarität und jenem des aktiven Bürgertums. Italien ist aber unter einem gewaltigen öffentlichen Schulden-berg begraben, sodass die Mittel, die für einen Wandel notwendig sind, nicht zur Verfügung stehen. Daher ist es unerläss- lich, dass wir Bürgerinnen und Bürger unseren Beitrag leisten. Es ist von entscheidender Wichtigkeit, dass wir zu Akteuren werden und lautstark für die Werte von Subsidiarität und Solidarität einstehen.

Und so führen mich meine Gedanken aufs Neue zu jenem Dorfpfarrer im Jahr 1889 zurück, dem seine Rolle als Pfarrer hätte genügen können, ohne sich darüber hinaus den Bürgerinnen und Bürgern seines Dorfes anzunehmen. Es ist gerade diese Großherzigkeit, die Genossenschaf-

„In Italien braucht es einen echten Wandel, der auf zwei Grundsätzen beruht: auf jenem der Subsidiarität und jenem des aktiven Bürgertums. In dieser schwierigen Zeit braucht das Land Menschen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind.“

Kohärenz und GroßzügigkeitLaut Maurizio Gardini, Präsident von Confcooperative, werden die Genossenschaften eine Zukunft haben, wenn sie es verstehen, mutig und innovativ zu sein. Die Zukunft Italiens hängt auch vom genossen-schaftlichen Modell der Solidarität ab.

Page 19: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

19

terinnen und Genossenschafter heute ihrem Land schulden. Es ist ihre Fähigkeit, die Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Betriebe zu erkennen, und ihr Wille, eine neue Form des Sozialstaates auf den Weg zu bringen und für Integration zu sorgen – denn dieses Land darf nicht auf den Grundsätzen der Ausgrenzung aufbauen, sondern es muss zurückkehren zu einem Gesellschaftsmodell, das alle mit einschließt und alle teilhaben lässt.

Eines ist klar: Alleine werden die Genossenschaften es nicht schaffen, Italien aus der Krise herauszuführen. Wir werden es auch nicht schaffen, unsere Wirtschaft zum Blühen zu bringen. Ich denke dabei an diese wunderbare Gegend, die mir so am Herzen liegt, dass ich in Südtirol am liebsten meinen Urlaub verbringe. Ich denke aber auch an die Herausforderungen, die uns erwarten, besonders in Bezug auf zu verhandelnde neue Regelwerke wie zum Beispiel das transatlantische Handels- und Investiti-onsabkommen TTIP. Es wäre schlimm, würde das Menschsein nur aus Regeln bestehen, auch wenn diese notwendig sind. Wehe uns, denn dann hätten wir sicherlich eine unmenschlichere Gesell-schaft, in der die Lebensmittelproduktion nur von wirtschaftlichen Grundsätzen geleitet wäre: Dann wäre alles erlaubt, solange Nahrungsmittel im Einklang mit einem bestimmten Regelwerk und innerhalb des herrschenden Wirtschafts-systems hergestellt werden, ganz egal, ob die Lebensmittel dem Menschen schaden oder gar Krebs fördern, ob sie die Umwelt schädigen oder weder wirtschaftlich noch ökologisch nachhaltig sind.

Für uns ist es wichtig, dass wir in dieser Übergangsphase aktiv an einem neuen Gesellschaftsmodell arbeiten und es in die Tat umzusetzen. Bei Begeg-nungen mit dem Staatspräsidenten und einzelnen Ministern haben wir – neben Wirtschaftsmaßnahmen wie sie im Stabilitätsgesetz enthalten sind, das wir als förderlich für den Arbeitsmarkt erachten – verlangt, dass man einen neuen Weg beschreiten möge und sich auf die Schaffung eines neuen Wohlfahrt-systems konzentrieren solle. Wir wollen ein subsidiäres System, das nicht von oben herab diktiert wird, sondern auf den Bedürfnissen der Menschen basiert und im Einklang mit der aktuellen Reform des Non-Profit-Bereichs steht, aus dem das Genossenschaftswesen nicht heraus-gelöst werden darf.

Maurizio Gardini

Geboren 1959, Landwirt aus Forlì, von 1996 bis 2013 Präsident des Fondo Sviluppo,ehemaliger Präsident der Confcooperative Emilia Romagna und seit 2013 Präsident von Confcoope-rative auf gesamtstaatlicher Ebene.

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

Page 20: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

20

Wir befinden uns somit in einer Zeit der Herausforderungen, für die es jenes aktive Bürgertum braucht, das ich bereits angesprochen habe. Es bedarf unserer Verantwortung, es bedarf der Fähigkeit, die Notwendigkeit des Wandels und die neuen Bedürfnisse zu erkennen, und es bedarf unserer Bereitschaft, unseren Beitrag zu leisten. Das ist die beste Antwort, die wir geben können, oder es ist viel eher die einzige, wenn wir jenem Grundsatz des Zusammenhalts weiter treu bleiben wollen, durch den sich das Genossenschaftswesen auszeichnet – ein Zusammenhalt, der nicht nur in den Debatten über das Sozial- und Genos-senschaftswesen zum Ausdruck kommen darf, sondern der in konkrete Maßnahmen übertragen werden muss: Es braucht die Bereitschaft, sich einzubringen.

Ob das Genossenschaftswesen Zukunft hat, ist unklar. Es gibt nämlich keine Garantie und auch keine Standortvorteile – nicht einmal in Südtirol, an diesem wunderbaren Flecken Erde, wo die Genossenschaftsbanken einen Markt-anteil von 50 Prozent halten, wo alles bestmöglich umgesetzt ist, auch was das Verhältnis zur Verwaltung betrifft, die das Wirtschaftswachstum unterstützt. Die Zukunft des Genossenschaftswesens hängt davon ab, ob es uns als Führungs-kräfte gelingt, selbstkritisch die neuen Herausforderungen anzunehmen, ob wir begreifen, in welche Richtung wir gehen müssen, ob wir weiterhin großzügig den Wettbewerb suchen und transparent sind. Und sie hängt davon ab, ob wir uns die Fähigkeit bewahren, die Bedürfnisse der Menschen zu erkennen, und ob wir uns den Traum einer besseren Welt nicht nehmen lassen und dafür arbeiten. Wir müssen den Beweis erbringen, dass sich die Grundsätze der Solidarität und Subsidiarität – unsere Wesensmerkmale – nicht durch die Bildung von Allianzen im Genossen-schaftswesen verwässern. Von einigen wird die Meinung vertreten, dass es die Genossenschaftskulturkatholischen Ursprungs in ihrer Rein-form nicht mehr gebe, weil sie mit der sozialistischen Genossenschaftskultur zusammenfließe. Ich denke, das ist eine oberflächliche und wenig zielführende Betrachtungsweise.

Ich bin stolz auf meine Geschichte, meine Entwicklung und jene unserer Genossenschaften sowie auf unsere Organisation. Und ich bin nicht bereit, meine Wertvorstellungen aufzugeben oder die Beweggründe zu vergessen,

„Die Geltendmachung unserer Grundsätze

darf sich nicht in den Debatten über

das Sozial- und Genossenschafts-wesen erschöpfen.

Sie müssen in konkrete Maßnahmen

übertragen werden und es muss die

Bereitschaft entstehen, sich einzubringen.“

die mich angespornt haben, nach Lösungen zu suchen, die nicht nur rein wirtschaftliche Bedürfnisse befriedigen. Das bedeutet nicht, dass ich all jenen, die andere Entwicklungen gemacht haben und die vielleicht ihr Handeln nicht mit dem Grundsätzen der Soziallehre begründen, aber dennoch aktiv wurden, nicht den gleichen Respekt zolle. Kann man ein Ast auf dem Baum des Genossenschaftswesens sein, wenn die eigenen Wurzeln andere sind? Das ist selbstverständlich möglich. Wesentlich dabei bleibt jedoch, dass man kohärent und großzügig ist. Diese sind also die Herausforderungen, die uns er-warten. Es sind große Herausforderungen, für die es Menschen mit Innovationsgeist und Mut braucht. Dann ist die Antwort auf die Frage nach unserer Zukunft eine andere: Ja, es wird eine Zukunft geben, wenn wir es verstehen, Mut und Innovati-onskraft zu beweisen.

Page 21: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

Paul Gasser, Generaldirektor des Raiffeisenverbandes, und Luigi Parisotto, Direktor der Banca d’Italia – Filiale Bozen

21

Page 22: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

22

Verena Gruber: Die wirtschaftliche Lage in Italien bleibt angespannt und auch das Genossenschaftswesen verspürt die Folgen dieser Krise. Wie schätzen Sie, Herr Azzi, grundsätzlich die Lage ein und insbesondere jene der Genossenschaftsbanken?

Alessandro Azzi: Ich freue mich, an diesem runden Tisch anlässlich des 125-Jahre-Jubiläums teilnehmen zu dürfen, zumal ich mir bewusst bin, dass die Raiffeisenkassen innerhalb des genossenschaftlichen Kreditwesens eine besondere Position einnehmen und stolz darauf sind. Und ich glaube, dass die Wertschätzung der eigenen Identität eine der Grundvoraussetzungen ist, damit wir keine Angst vor der Zukunft haben müssen, weil wir auf unsere Werte bauen können. Wir feiern eine Entwicklung, die sich über drei Jahrhunderte erstreckt, aber trotzdem müssen wir vermeiden, blind auf unseren Erfolg zu vertrauen. Es wäre falsch zu glauben, dass aufgrund unserer geschichtlichen Entwicklung, die Weltkriege und andere Katastrophen überwunden hat, und aufgrund der Tatsa-che, dass wir Träger von Werten sind, die andere zwar predigen, wir aber erfolgreich umsetzen, wir auf alle Zeit und in jedem Fall erfolgreich bleiben werden. Genauso wenig dürfen wir uns von dem derzeitigen globalen Wandel, insbesondere jenem des Finanz- und Bankensektors, an den Rand drängen lassen. Wir dürfen und wollen das nicht akzeptieren, auch weil wir uns bewusst und stolz darauf sind, Gemein-schaften zu vertreten, denen auch in einer globalisierten Welt Raum für Entwicklung und für neue Perspektiven eingeräumt werden muss.

Objektiv betrachtet, ist die Lage Italiens schwierig, und was bestimmte Berei-che betrifft, auch jene Europas. Dessen

sind wir uns alle bewusst. Auch heuer geht das Bruttoinlandsprodukt zurück und gegenüber einem leichten Anstieg der Importe stehen die Exporte still, die industrielle Produktion flacht weiter ab und die Jugendarbeitslosigkeit steigt weiter an. Die ursprüngliche Finanzkrise ist zu einer Wirtschaftskrise geworden und wird vielleicht noch zu einer sozialen Krise werden. Wer weiß, was noch kommen wird. Daher glaube ich, dass in diesem Kontext Genossenschaftsbanken, Volksbanken und Raiffeisenkassen im Vergleich zu früher größere Anstrengungen und Opfer erbringen müssen. Genauso glaube ich jedoch, dass uns dies auch neue Chancen eröffnen wird.

Verena Gruber: Herr Schelfi, wie stellt sich die Lage der Genossenschaftsbanken im Trentino dar?

Diego Schelfi: Wenn wir uns mit anderen Banken vergleichen, kann ich sagen, dass es um uns vergleichsweise gut bestellt ist. Die anderen Banken haben in den letzten Jahren 50 Milliarden Euro verloren. Wir konnten uns hingegen behaupten und unsere Position im Trentino – auch wenn wir klein sind – im Vergleich zu früher sogar stärken. Sicher, ich muss zugeben, dass wir teilweise unter dem Umstand gelitten haben, dass die Sparkasse von Trient und die Bank von Trient und Bozen plötzlich ihr Hauptgeschäftsfeld von Trient weg verlagert haben. Auf jeden Fall bin ich über unser genossenschaftliches Modell froh, obwohl wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich die Gemeinschaften, die Familien, die Beziehungen, ja zum Teil auch die Men-schen selbst, das Land und die Strukturen verändern. Eine Frage, die wir uns stellen müssen, lautet daher: Werden wir in fünf Jahren noch Genossenschaftsbanken sein? Wird die Gewinnspanne ausreichen? Heute können wir behaupten, dass die

Die Krise in eine Chance verwandelnUm die Krise zu überwinden, braucht es Bescheidenheit, Zusammen-arbeit und Effizienz: Das ist der Tenor des Runden Tisches zum itali-enischen Genossenschaftswesen mit dem Federcasse-Präsidenten Alessandro Azzi, dem Präsidenten des Trentiner Genossenschafts- verbandes Diego Schelfi sowie Alfons Pezzei, Obmann der Cassa Raiffeisen Val Badia, moderiert von der Journalistin Verena Gruber.

„Wir müssen vermeiden, blind auf unseren

Erfolg zu vertrauen.“Alessandro Azzi

Page 23: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

23

Alessandro Azzi

Geboren 1950 in Brescia, Rechtsanwalt. Seit 1991 Präsident von Federcasse (Vereinigung von über 400 italienischen Genossenschaftsbanken und Raiffeisenbanken), Berater und Mitglied des Direktoriums der italieni-schen Bankenvereinigung, Träger des Verdienstordens „Cavaliere del Lavoro“.

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

„Wir stehen zwar gut da; dennoch müssen wir alle zusammenarbeiten und noch effizienter werden.“ Diego Schelfi

Dinge gut laufen, aber damit dies auch in Zukunft so bleibt, ist es notwendig, zusam-menzuarbeiten und zu gewährleisten, dass unser Modell weiterhin so mutig und seiner Identität treu bleibt. Es stimmt schon, dass wir gut sind, aber wir müssen noch effizienter werden und dürfen die Weiter-bildung unserer Gesellschafter, Verwalter und Mitarbeiter nicht vernachlässigen. Darüber hinaus müssen wir unsere Ethik in Grundsatzfragen beibehalten und uns fragen: Tun wir Genossenschafter genug angesichts der Tatsache, dass es genug Menschen gibt, die keine Arbeit haben? Wenn wir uns darauf verstehen, uns mit Themen wie diesem auseinanderzusetzen und Antworten zu geben, habe ich keinen Zweifel, dass die Zukunft uns gehört.

Verena Gruber: Herr Azzi, wo gibt es Gemeinsamkeiten zwischen italienischen und europäischen Genossenschafts-banken und worin unterscheiden sich?

Alessandro Azzi: Wenn wir von Genos-senschaftsbanken sprechen, müssen wir zuallererst klarstellen, dass wir jene meinen, die in lokalen Verbänden zusammengefasst sind, die ihrerseits die Federcasse begrün-den. Die italienischen Genossenschafts-banken sind selbstverständlich Ausdruck des Landes, in dem sie entstanden sind.

Daher ist es klar, dass diese Banken unterschiedliche Entwicklungen durchge-macht haben und sich ihnen somit auch unterschiedliche Perspektiven eröffnen, auch wenn sie die Grundwerte des Genossenschaftswesens gemeinsam haben. Auch im restlichen Europa spiegeln die Entwicklungen von Genossenschafts-banken die Entwicklung der einzelnen Staaten wieder. In einigen Fällen lässt sich ein starker Hang zum Zentralismus erkennen, sodass sich auch die Genossen-schaftsbanken in Bezug auf ihre Organisa-tionsform zentralistischer entwickelt haben. Ein Beispiel hierfür ist die holländische Rabobank oder in Frankreich die Genos-senschaftsbanken des Crédit Agricole. Aber es gibt genauso bedeutende Beispiele, die Ausdruck einer völlig anderen Entwicklung sind. Man denke nur an Deutschland und Österreich, wo die Raiffeisenbanken auf lo-kaler Ebene stark präsent sind und weniger zentralistisch organisiert sind. Dieses Modell ist dem unseren näher und entspricht eher dem Grundsatz der Subsidiarität.

Klarerweise müssen die gesetzlichen Bestimmungen der Bankenunion berück-sichtigt werden. Diese lässt eine starke Tendenz zur Vereinheitlichung erkennen, mit der wir tagtäglich konfrontiert werden.

Page 24: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

24

Als italienische Genossenschaftsbanken müssen wir uns gemeinsam mit anderen Genossenschaftsbanken innerhalb der Europäischen Bankenvereinigung damit auseinandersetzen, insbesondere ge-meinsam mit jenen Banken, die ähnlich überschaubare und reduzierte Strukturen haben wie wir. Dass es eine solche Zu-sammenarbeit gibt, haben wir vor Kurzem bewiesen, als wir uns gemeinsam gegen einige europäische Bestimmungen gestellt haben. Es ging um den European Resolu-tion Fund (ERF), also jenen Fonds, der vor den Risiken schützen soll, wenn system- relevante Banken in die Krise schlittern. Mit nächstem Jahr wird dieser Fonds, den wir alle mitfinanzieren müssen, eingerichtet. Er kommt zum Deposit Guarantee Scheme (DGS) hinzu, also zu jenem obligatorischen Garantiefonds, der

die Einlagen der Bankkunden schützen soll. Die Einrichtung des neuen Fonds ist ein Eingriff, der sich in den Erfolgsrech-nungen all unserer Kassen niederschlagen wird. Wir aber sind keine systemrelevanten Banken und dennoch müssen wir in gleicher Weise für diesen Fonds aufkom-men, in den über einen Zeitraum von acht Jahren gewaltige Finanzmittel eingezahlt werden sollen, deren Höhe sich auf einige Milliarden Euro beläuft. Ich bekräftige meine Aussage, dass es sich beim ERF nicht um einen Fonds handelt, der für uns eingeführt wird. Daher erachten wir es für ungerechtfertigt, dass wir einen Beitrag in einem Ausmaß beisteuern müssen, der weder verhältnismäßig noch gerecht ist.

Bei dieser Gelegenheit muss ich anmer-ken, dass wir dank unserer politischen Ver-

Page 25: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

25

Diego Schelfi

Geboren 1951 in der Provinz Trient, Elektroingenieur. Bis 2003 Präsident des Verwaltungsrats des Gruppo Delta Informatica, seit 1990 Mitglied im Verwaltungsrat des Consiglio Nazionale Confcooperative, seit 2003 Präsident des Trentiner Genossen-schaftsverbandes (Federazione Trentina della Cooperazione).

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

treter in Brüssel unmittelbar Rückmeldung erhalten haben: Zwölf Europaparlamenta-rier – darunter zwei Vize-Präsidenten des europäischen Parlaments – haben ein Dokument unterzeichnet, das der Gefahr des Abdriftens in diese Richtung vorbeu-gen soll. Zudem haben wir gemeinsam mit dem polnischen, österreichischen und deutschen Kreditgenossenschaftsverband ein Dokument unterzeichnet.

Die Ergebnisse waren bescheiden: Banken unterhalb einer bestimmten Größe zahlen einen Pauschalbetrag und es wird ihnen ein Abschlag für den institutionellen Garantiefonds (IPS) gewährt, den Deutsch-land einrichten will. Diesen Fonds gibt es schon seit vielen Jahren in Österreich, während wir in Italien zwar schon an seiner Einführung arbeiten, aber mit dem bisher

Erreichten noch nicht ganz zufrieden sind. Abschließend sind wir der Meinung, dass die Bankenunion zwar wertvoll ist, nichtsdestotrotz muss auch sie den Pluralismus der Bankenformen garan-tieren, damit jemand seine Einlagen bei dem Kreditinstitut tätigen kann, das ihm am meisten zusagt. Und wenn eine solche Entscheidung zugunsten einer Bank wie der unseren ausfällt, will das heißen, dass für den Kunden der persönliche Bezug wichtiger als das Großkapital ist.

Verena Gruber: Nun zur Lage in Südtirol. Die erste Raiffeisenkasse Südtirols wurde 1889 in Rina/Welschellen gegründet. Herr Pezzei, was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Meilensteine in der Geschichte der Raiffeisenkasse, die nun seit 125 Jahren besteht?

Herbert von Leon, Vizeobmann des Raiffeisenverbandes Südtirol und Michael Grüner, Präsident der Raiffeisen Landesbank

Page 26: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

26

Verena Gruber, Moderatorin, und Alfons Pezzei, Obmann der Cassa Raiffeisen Val Badia

„Wir sind deshalb stark, weil wir klein sind und besonders

in schwierigen Momenten nah an den Menschen.

Das war vor 125 Jahren schon so und ist auch

heute nicht anders.“Alfons Pezzei

Page 27: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

27

Alfons Pezzei

Aus Corvara im Gadertal, Buchhalter und Hotelier, organisierte1972 die Fu-sion der Raiffeisenkassen des Gadertals, wo 1889 die erste Raiffeisenkasse Südtirols eröffnet wurde. Seit 1972 ist er Obmann der Cassa Raiffeisen Val Badia.

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

Alfons Pezzei: Tatsächlich war der Erste, der den Gedanken Friedrich Wilhelm Raiffeisens nach Südtirol trug, unser Pfarrer Josef Dasser aus Welschellen. Von dort aus entstand in der Folge ein Netz von Raiffeisenkassen über ganz Südtirol verteilt. 1989 haben wir unser 100-Jahr-Jubiläum in Sankt Vigil/Enneberg ge-feiert; in diesem Jahr konnten wir unser 125-jähriges Bestehen in Corvara feiern. In die Feierlichkeiten wurde das gesamte Tal einbezogen. Aber kehren wir zurück zur Geschichte der Bank: Im Jahre 1965, als ich zu arbeiten begonnen habe, gab es vier Raiffeisenkassen: die Ladinia von Kolfuschg, die Raiffeisenkasse von Abtei, die Raiffeisenkasse von St. Martin und die Raiffeisenkasse von Wengen. Früh schon fing man an, eine Fusion ins Auge zu fassen. Das war die richtige Strategie, um in Alta Badia (Hochabtei) das System der Raiffeisenkassen aufrechtzuerhalten. Es handelte sich nämlich um kleine Kassen, die alleine Mühe hatten, zu überleben. Eine der Kassen war sogar dabei, zu schließen, war sie doch die kleinste in ganz Südtirol.

„Wir wollen klein bleiben. Wir haben uns dazu entschieden, nicht weiter zu wachsen, damit wir die Nähe zu unseren Leuten bewahren können.“ Alfons Pezzei

Bei der Fusion haben wir uns entschlossen, den Sitz in Corvara zu gründen, wo auch ein Schalterdienst eingerichtet wurde. Es ging uns aber nicht nur um die Fusion, ohne die das Raiffeisenmodell wohl unterge-gangen wäre. Wir haben uns auch darum bemüht, uns auf alle Gemeinden des Tales auszuweiten. Wir haben es geschafft, uns bis nach Buchenstein (Livinallongo) in der Provinz Belluno vorzuarbeiten, wo es bereits eine alte Raiffeisenkasse gab. Trotzdem ha-ben wir beschlossen, uns nicht noch weiter zu vergrößern, sondern im Tal zu bleiben, um den Bedürfnissen unserer Leute nachzu-kommen. Diese unsere Bemühung hat zur Eröffnung von vier weite-ren Bankfilialen geführt, sodass wir heute in allen Gemeinden von Alta Badia präsent sind, in einigen sogar mit zwei Filialen.

Verena Gruber: Gibt es ein Ereignis, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Alfons Pezzei: Unter den zahlreichen Vorkommnissen und Ereignissen sind mir besonders die Sitzungen in Erinnerung geblieben, in denen wir die Mitglieder der einzelnen Kassen davon überzeugen mussten, für die Fusion zu stimmen. Im Tal gab es zwei verschiedene Lebens-realitäten: im unteren Teil des Tales eine eher landwirtschaftlich geprägte Bevölkerung und im oberen Teil eine eher touristisch geprägte. Mit der Fusion ist es uns gelungen, diese zwei Realitäten einander anzunähern.

Und dann erinnere ich mich noch gerne an eine zwar banale, aber bedeutende Anekdote. 1965 war ich der einzige Angestellte der Raiffeisenkasse Ladinia von Kolfuschg. Als der Winter näher rückte, brauchten im Tal alle Geld, damit die Wintersaison beginnen konnte. Wir waren aber so gut wie nicht liquide, schlimmer noch, teilweise standen wir vor leeren Kassen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich am Morgen auf dem Weg zur Arbeit einen Blick in meine Brieftasche geworfen habe, um mich zu vergewissern, noch über ausreichend Bargeld zu verfügen für den Fall, dass ein Kunde beim Schalter Bargeld abheben wollte. Ich wollte mich schließlich nicht blamieren.

Verena Gruber: Wenn Sie in die Zukunft blicken, was wünschen Sie sich für „Ihre“ Raiffeisenkasse sowie für alle anderen Raiffeisenkassen?

Alfons Pezzei: Wenn ich in die Zukunft schaue, wünsche ich mir, dass wir den bis jetzt eingeschlagenen Weg weitergehen und mit den Füßen auf dem Boden bleiben, dass wir nicht zu sehr wachsen wollen. Während zu Zeiten von Friedrich Wilhelm Raiffeisen Wucher und Armut an der Tagesordnung waren, gibt es heute Firmen am Rande des Konkurses, und Familien, die an ihre finanziellen Grenzen stoßen: Ihnen müssen wir helfen, damit sie sich weiterentwickeln und neuen Mut fassen können. Wir sind deshalb stark, weil wir klein sind und besonders in schwierigen Momenten nah an den Menschen. Das war vor 125 Jahren schon so und ist auch heute nicht anders.

Page 28: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

28

Gemeinsam finden wir GehörWas verbindet Südtirols Raiffeisenkassen mit ihren Schwestern in Österreich und Deutschland, wo liegen die gemeinsamen Herausforderungen? Antworten geben Andreas Pangl, Generalsekretär des Österreichischen Raiffeisenverbandes, Alexander Büchel, Vorstandsmitglied des Genossenschaftsverbandes Bayern und Arnulf Perkounigg, Geschäftsführer des Raiffeisen- verbandes Tirol im Gespräch mit Verena Gruber.

„Die Raiffeisenbanken werden auch weiterhin

eine wichtige Rolle für die Wirtschaft

ihrer Länder spielen, wenn wir uns auf

unsere Stärken, auf unser nachhaltiges

Geschäftsmodell konzentrieren.“

Andreas Pangl

Verena Gruber: Herr Pangl, in der vor-herigen Gesprächsrunde haben wir über die Situation der Genossenschaftsbanken in Italien, im Trentino und in Südtirol ge-sprochen. Wie sieht es mit den Raiffei-senbanken in Österreich aus?

Andreas Pangl: Nun, die Situation ist für unsere Raiffeisenbanken in Österreich ganz ähnlich wie für die Raiffeisenban-ken hier in Südtirol und wohl alle unsere befreundeten Genossenschaftsbanken in Europa. Wir stöhnen unter der Flut der Regularien, die auf eine Krise zurückzu-führen sind, für die wir regionalen Banken nicht verantwortlich sind. Aber wir sind nun einmal in einem geeinten Europa, wir arbeiten auf einem gemeinsamen Markt und ich bin zuversichtlich, dass wir auch diese Herausforderung meistern werden. Auch dank genossenschaftsfreundlichen EU-Abgeordneten wie Herbert Dorfmann ist es uns gelungen, unsere bewährten Verbundsysteme einigermaßen in den Regularien abbilden zu können. Was mir nur wehtut ist, dass der Kunde darin nicht vorkommt.

Verena Gruber: Wie sieht es mit der Situation der Genossenschaftsbanken in Bayern aus, Herr Büchel? Können Sie dasselbe feststellen wie Herr Pangl?

Alexander Büchel: Wir sind natürlich den gleichen Regularien ausgesetzt und haben die gleichen Schwierigkeiten mit deren Umsetzung. Zum Glück konnten aber, wie bereits erwähnt, einige Erleich-terungen erzielt werden. Insgesamt geht es den Volks- und Raiffeisenbanken in Bayern nach wie vor gut, die Geschäfts-entwicklung ist auch 2014 positiv. Sowohl im Einlagenbereich als auch bei Krediten

können wir deutliche Zuwächse verzeichnen. Wir stellen aber fest, dass sich das Kundenverhalten sukzessive verändert, was sich mittelfristig auch auf das Geschäftsmodell auswirken wird. Insgesamt wird 2014 kein Rekordjahr für die bayrischen Volks- und Raiffeisenban-ken, wie es die vergangenen drei Jahre waren, aber es sind doch erfreuliche Ergebnisse. Die Zinsspanne ist aufgrund der Politik der europäischen Zentralbank natürlich massiv unter Druck und wir versuchen auf der Kostenschiene dagegenzuhalten. Nur um eine Zahl zu nennen: Ich denke, dass die bayrischen Volks- und Raiffeisenbanken – das sind immerhin 287 selbständige Institute – gemeinsam ein Betriebsergebnis von 1,4 bis 1,5 Milliarden Euro erwirtschaften werden; das ist dann rund ein Prozent der Bilanzsumme.

Verena Gruber: Von erfreulichen Ergebnissen kann wohl Herr Perkounigg berichten. Der Raiffeisenverband Tirol hat sein 100-jähriges Jubiläum gefeiert. Wie geht es Ihnen denn in Tirol?

Arnulf Perkounigg: Wenn unser 100. Geburtstag angesprochen wird, darf ich vielleicht darauf hinweisen: Eigentlich feiern wir gemeinsam mit Südtirol die ursprüngliche Gründung vor 123 Jahren, die in Brixen erfolgt ist. Das war der erste Anwaltschaftsverband der deutsch-tirolischen Spar- und Dar-lehenskassen. Wir haben also eine sehr enge Verbundenheit, da wir aus einem Verband entstanden sind. Ich schließe mich den Aussagen meiner Kollegen an, es geht unseren Tiroler Raiffeisenbanken noch gut. Wenn ich „noch“ sage, meine ich damit, dass wir

Page 29: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

29

Andreas Pangl

Geboren 1959 in Wien, Studium der Rechts- wissenschaften an der Universität Wien, von 1999 bis 2014 Geschäftsführer des Fachverbandes der Raiffeisenbanken, seit 2014 Generalsekretär des Österreichischen Raiffeisenverbandes.

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

angesichts der aktuellen Rahmenbe-dingungen mit den Ergebnissen noch zufrieden sind. Doch wir stehen auch vor großen künftigen Herausforderungen: seien es die übermäßigen Kosten der Regulierungen, die uns sehr zu schaffen machen, seien es die einzelnen Fonds, die in Zukunft zu speisen sein werden, oder die damit verbundenen EDV-Kosten, Melde- und Anzeigevorschriften. Aber auch die Tatsache, dass wir für alles einen Beauftragten brauchen: einen Geldwäschebeauftragten, einen Sicher-heitsbeauftragten, einen Innenrevisions-beauftragten und so weiter. Das alles verursacht natürlich Kosten, die speziell bei den kleineren Einheiten sehr stark zu Buche schlagen. Und die dazu führen, dass unsere bestens ausgebildeten Mitarbeiter, allen voran die Geschäfts-leiter, mehr als die Hälfte ihrer Tätigkeit bürokratischen Aufgaben statt den Kunden widmen. So bleiben nicht nur die Kunden auf der Strecke, sondern auch die Ergebnisse.

„Ich glaube, in einem zusammenwachsenden Europa kann nur das ein zielführender Weg sein: über grenzüberschrei-tende Bündnisse unsere Interessen stärker zu konzentrieren und so Gehör zu finden.“ Alexander Büchel

Wir haben aber in Zukunft noch etwas zu berücksichtigen. Neben dem niedrigen Zinsniveau, das wohl noch längere Zeit anhalten wird und bei unserem Geschäfts-modell eine besondere Rolle spielt, dürfen wir die Augen nicht vor dem geänderten Verhalten der Kunden verschließen. Wenn ich an die heranwachsende Generation denke, dann stellt sich natürlich die Frage: Gibt es für sie noch ein Bedürfnis nach persönlichem Kontakt in den einzelnen Raiffeisenbanken? Die Herausforderung für die Raiffeisenkassen besteht also darin, das Bankgeschäft mit so viel Emotion zu verbinden, dass sich die Erhaltung der Bankstellen lohnt, weil sie für die Kunden auch in Zukunft attraktiv bleiben.

Page 30: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

30

Verena Gruber: Die Verankerung in der Region hilft dabei sicher – „In der Region, für die Region“, das ist doch ein ganz wichtiges Prinzip für die Genossen-schaftsbanken. Wandelt sich der Förde-rungsauftrag für das einzelne Mitglied hin zu einer Regionenförderung?

Arnulf Perkounigg: Das ist ein inte-ressanter Aspekt, der in den vergange-nen Jahren sehr aktuell geworden ist.Ursprünglich beinhaltet das Genossen-

schaftsgesetz den Auftrag, die Wirtschaft und den Erwerb des einzelnen Mitglieds zu fördern. Es gab aber bereits in den 1960er-Jahren in der Wissenschaft eine rege Diskussion, ob dieser Förderauftrag immer Einzelförderung sein muss bezie-hungsweise ob er sich immer materiell ausdrücken muss. Das waren die Vorläufer der Position von Prof. Theresia Theurl, die meines Wissens in Südtirol sehr bekannt ist. In Deutschland begann Prof. Holger Bonus diese Diskussion.

Verena Gruber, Moderatorin, und Arnulf Perkounigg, Geschäftsführer des Raiffeisenverbandes Tirol

Page 31: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

31

Er hat die Antwort von der Marktsituation abhängig gemacht: Diese könne sich in eine Richtung ent-wickeln, in der die Förderung einzelner Mitglieder einfach nicht mehr möglich sei. Ich glaube, in dieser Situation befinden wir uns heute. Wir haben in diesem Marktumfeld kaum mehr Möglichkeiten, das einzelne Mitglied zu fördern. Daher ist es notwendig, dem genossenschaftli-chen Auftrag eine andere Auffassung von Förderung zugrunde zu legen.

Diese Auffassung geht heute stark in die Richtung, die Region zu fördern, Einrich-tungen in der Region zu fördern, also eine wesentliche Rolle im regionalen Gefüge zu übernehmen. Damit lässt sich eine Brücke schlagen zwischen der Globalisierung auf der einen Seite und einer Identitätsfindung in der Region auf der anderen Seite. Dafür können wir als Genossenschaften einen wichtigen Beitrag leisten.

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

Alexander Büchel

Geboren 1970 im Saar-land, Studium der Rechts-wissenschaften, Rechts- anwalt, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Seit 2009 beim Genossen-schaftsverband Bayern tätig, ab 2012 als Vorstandsmitglied des Verbandes.

Page 32: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

32

„Im heutigen Marktumfeld ist es nötig, dem

genossenschaftlichen Auftrag eine neue Auf-fassung von Förderung

zugrunde zu legen: jene, die Region zu för-

dern, also eine wesentli-che Rolle im regionalen

Gefüge zu übernehmen.“ Arnulf Perkounigg

Letzten Endes heißt das natürlich, dass wir darauf achten müssen, eine möglichst hohe Anzahl von Einwohnern dieser Region als Mitglieder der Raiffeisenkasse zu gewinnen. Denn je mehr Mitglieder wir in der Region haben, desto mehr können wir zu Recht sagen: Die Förderung der Region ist indirekt auch eine Förderung des einzelnen Mitglieds.

Alexander Büchel, Vorstandsmitglied des Genossenschaftsverbandes Bayern, und Andreas Pangl, Generalsekretär des Österreichischen Raiffeisenverbandes

Page 33: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

33

Arnulf Perkounigg

Geboren 1953 in Steyr, Studium der Betriebs-wirtschaft. Steuerberater, Lehrbeauftragter der Universität Innsbruck und Fachbuchautor. Seit 1982 beim Raiffeisenverband Tirol tätig, ab 1990 als Geschäftsführer des Verbandes.

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

Verena Gruber: Herr Pangl, Sie sind seit dem 1. Oktober 2014 General- sekretär des Österreichischen Raiffeisenverbandes, der seit jeher freundschaftliche Beziehungen zum Raiffeisenverband Südtirol pflegt. Wird diese enge Zusammenarbeit auch unter Ihrer Führung fortbestehen?

Andreas Pangl: Selbstverständlich. Ich freue mich auf diese Zusammenarbeit und werde die Tradition fortsetzen. Dafür gibt es viele Beispiele. Der Revisionsdirektor des Südtiroler Verbandes, Robert Nicolussi, nimmt oft an unseren Sitzungen teil, wenn es um Revisionsfragen geht. Wir haben auch bei der Audit-Richtlinie eng zusammengear-beitet, im Bildungsbereich gibt es einen regen Austausch und vor Kurzem wurde auch mit der Raiffeisenzeitung, also im Medienbereich, ein gemeinsames Projekt gestartet. Wir werden gerne weiter zu-sammenarbeiten – das ist zu unser beider Vorteil.

Verena Gruber: Einen regen Austausch gibt es auch mit Bayern. Wie wichtig schätzen Sie, Herr Büchel, die grenzüber-schreitende Zusammenarbeit im Hinblick auf die europäische Integration ein – Stichwort Bankenunion?

Alexander Büchel: Sie ist meines Erachtens ganz entscheidend. Wir haben seit vielen Jahren mit dem Raiffeisenver-band Südtirols und jenem Tirols eine enge Kooperation, die in den 1990er-Jahren in weiser Voraussicht von unseren Amts-vorgängern ins Leben gerufen wurde. Denn man hat bereits mit der Gründung des europäischen Binnenmarkts erkannt, dass die Märkte immer stärker zusam-menwachsen und deswegen grenzüber-schreitende Bündnisse erforderlich sind – auch um die Interessen besser bündeln zu können.

Wir haben erst im März 2014 eine gemeinsame Stellungnahme an die Europäische Zentralbank abgegeben, in der wir noch einmal den Grundsatz der Proportionalität eingefordert haben. Ich glaube, in einem zusammenwachsenden Europa kann nur das ein zielführender Weg sein: über solche Bündnisse unsere Interessen stärker zu konzentrieren und so Gehör zu finden. Dabei spielt auch unser europäischer Dachverband, die Europäische Vereinigung der Genossen-schaftsbanken EACB, eine wichtige Rolle, damit Genossenschaftsorganisationen aus verschiedenen Ländern ihre Interes-sen gemeinsam vertreten können.

Nur so haben wir eine Chance, gegen die anderen Player auf dem Bankenmarkt zu bestehen.

Verena Gruber: Vielleicht führt uns das auch zur Beantwortung der nächsten Frage. Herr Pangl, werfen wir einen Blick in die Zukunft, machen wir eine Reise in das Jahr 2050. Wo stehen dann die Raiffeisenbanken? Welches symbolische Bild haben Sie vor Augen?

Andreas Pangl: Der Blick nach vorne ist immer schwierig, die Zukunft ist ungewiss. Aber ich bin sicher, dass die Raiffeisen-banken auch weiterhin eine sehr wichtige Rolle für die Wirtschaft ihrer Länder spielen werden, wenn wir uns auf unsere Stärken, auf unser nachhaltiges Geschäftsmodell konzentrieren. Und das Symbol dafür, das ich natürlich auch 2050 sehe, ist das hell strahlende Giebelkreuz.

Verena Gruber: Wunderbar. Herr Perkounigg, 125 Jahre Raiffeisenkassen in Südtirol, 100 Jahre Raiffeisenverband Tirol, 123 gemeinsame Jahre: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Raiffeisen-kassen in Südtirol und Tirol?

Arnulf Perkounigg: Ich glaube, wir brauchen hier keine Unterscheidung zwischen Südtirol und Tirol zu treffen. Ich wünsche uns beiden dasselbe. Wenn ich die letzten 125 Jahre betrachte, in denen viele große Herausforderungen zu meistern waren und erfolgreich gemeis-tert worden sind, kann man den Wunsch auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Ich wünsche den Raiffeisenkassen Südtirols und den Raiffeisenkassen Tirols, dass sie in 100 Jahren genauso frisch und erfolgreich das nächste Jubiläum feiern können.

Page 34: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

34

Eine Frage des VertrauensWas bleibt von 125 Jahren, was lehrt der Blick zurück? Wer Vertrauen schafft, gibt sich und anderen eine Chance auf eine bessere Zukunft, sagt der Generaldirektor des Raiffeisenverbandes Südtirol Paul Gasser.

Mein Vorgänger, Altdirektor Konrad Palla, schreibt in seinem Buch „100 Jahre Raiffeisenkassen in Südtirol“, das im Jubiläumsjahr 1989 herausgegeben wurde, in seinem Ausblick auf die Zukunft unter anderem Folgendes: „Es wird in der künftigen Entwicklung eine Rolle spielen, inwieweit Mitglieder und Führungskräfte in ihrer genossen-schaftlichen Geisteshaltung und Überzeugung mitwachsen werden oder ob sich die Raiffeisenkassen in ihrer Leistungsfähigkeit weiterentwickeln, in der die ökonomischen Grundsätze dominieren. Die Raiffeisenkassen bilden im elitären Bankensystem insofern eine Ausnahme, als sie nicht von oben dirigiert werden, sondern in Freiheit auf dem Prinzip der Demokratie aufbauen und von unten getragen und dirigiert werden. Selbstverständlich ist das nicht. Es ist aber eine großartige Errungenschaft un-serer Freiheit und Demokratie, die es zu pflegen und zu stärken gilt.“ Und weiter: „Es gilt nach wie vor und auch für die Zukunft, die Unterschiede der Raiffeisen-kassen gegenüber dem übrigen Banken-system zu unterstreichen und die ideellen Werte hervorzuheben.“

Auch wenn vor 25 Jahren in der Finanzwelt völlig andere Entwicklungs-perspektiven vorherrschten, haben sich diese Worte in der heutigen Situation und vor dem Hintergrund der Finanzkrise mehr als bewahrheitet. Wenn wir uns über 125 Jahre Raiffeisenkassen in Südtirol freuen dürfen, so beruht der Erfolg der Raiffeisenkassen nicht in erster Linie auf ihrer ökonomischen Schlagkraft, sondern auf der Kraft und Stärke der Gemein-schaft, der Nähe zu den Mitgliedern und Kunden gepaart mit Verlässlichkeit, Kompetenz und mit einer zeitgemäßen Form der Mitbestimmung und Mitver-antwortung. Jenen Geisteshaltungen also, die über die Zeit hinweg Vertrauen, Sicherheit und Stabilität garantierten

und garantieren. Stabilität und Sicherheit erreicht man nicht durch das starre Festhalten an überlieferten Werten, sondern durch ein bewusstes und innovatives Weiterentwickeln. In ihrer Geschichte haben sich die Raiffeisen-kassen dadurch ausgezeichnet, dass sie unternehmerisches Denken und Handeln mit den genossenschaftlichen Werten und einem klaren Bekenntnis zu sozialer Verantwortung in Einklang gebracht haben. Dies war seit jeher und besonders auch in den vergangenen Jahren die Grundlage des starken Vertrauenszu-spruchs.

Vertrauen haben sich die Raiffeisen-kassen in meinen Augen vor allem dadurch erworben, dass die Nähe zu den Kunden bei ihnen nicht nur durch die Präsenz von Geschäftsstellen zum Ausdruck kommt, sondern vor allem durch die Greifbarkeit der Entscheidungs- und Verantwortungsträger. Dass neben dem wirtschaftlichen Engagement das soziale und kulturelle Wohlergehen der örtlichen Gemeinschaft nie aus den Augen verloren wird. Dass ihre Verantwortungsträger ih-ren Lebensmittelpunkt im Tätigkeitsgebiet haben und Teil der öffentlichen Gemeinschaft sind. Dass man den technologischen Entwicklungen der Zeit aufgeschlossen gegenübersteht und den Kunden zeitgemäße Produkte und Dienste bietet. Dass man die Anliegen der Mitglieder und Kunden ernst nimmt und ihnen mit Kompetenz begegnet – und nicht zuletzt, dass die Einlagen der Mitglieder und Kunden sicher sind.

Wer Vertrauen schafft und wer Vertrauen hat, gibt sich und anderen eine Chance auf eine bessere Zukunft. Das 125-jährige Bestehen untermauert diese Aussage eindrucksvoll. In ihrer sehr wechselvollen Geschichte ist den Raiffeisenkassen das Vertrauen der Kunden nie abhandengekommen.

„Wenn die Leidenschaft, Freude und

Begeisterung für die genossenschaftliche

Arbeit erhalten und weitergegeben wird,

ist die Zukunft unserer Raiffeisenkassen

garantiert.“

Page 35: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

35

Dadurch konnten sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Menschen in diesem Lande die Voraussetzungen für eine bessere Zukunft schaffen. Diese Erkenntnis ist in meinen Augen Grund-botschaft und Auftrag für die Zukunft.

Die Referate und länderübergreifenden Gesprächsrunden sind dazu ein wichtiger Beitrag und geben Orientierung in einer Finanzwelt, die nicht zuletzt durch die Einführung der europäischen Bankenunion stark im Wandel ist. Es ist mir zum Abschluss ein Anliegen, ein Wort des Dankes an alle Referenten zu richten. Allen voran an Landeshauptmann Arno Kompatscher, nicht nur für sein Statement, sondern vor allem auch für die aufgeschlossene Haltung gegenüber den Anliegen der Raiffeisenkassen und des Genossenschaftswesens insgesamt. Mein Dank gilt auch Bischof Ivo Muser für seine klaren Gedanken zur Bedeu-tung der Genossenschaftsarbeit. Und wenn ein Vertreter einer Institution mit einer 2000-jährigen Geschichte vor einer Institution mit nur 125 Jahren spricht, sehen wir dies natürlich als besonderen Ansporn, die Geschichte der Raiffeisen-kassen auch für die Zukunft erfolgreich zu gestalten – und wer weiß, vielleicht einmal ein ähnliches Alter zu erreichen.

„Stabilität und Sicherheit erreicht man nicht durch starres Festhalten an überlieferten Werten, sondern durch bewusstes und innovatives Weiterentwickeln.“

Es gibt wohl niemanden in unserem Land, der die Entwicklung und Geschichte der Südtiroler Raiffeisenkassen so im Detail und in allen Nuancen kennt wie Konrad Palla. Ich danke ihm für seinen Rückblick und seine persönlichen Erinnerungen. Doch ich danke ihm vor allem dafür, dass er in seiner Zeit als Verbandsdirektor stets die Stabilität des Systems in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit gestellt hat.

Mein besonderer Dank gilt Maurizio Gardini, dem Präsidenten der Confederazione Cooperative Italiane, der die großen

Paul Gasser

Geboren 1959 in Vintl, Studium der Betriebs- wirtschaft in Verona. Von 1987 bis 1992 in der Volksbank Brixen tätig, anschließend Direktor des Raiffeisen Versicherungs-dienstes. Ab 2001 Leiter der Hauptabteilung Bank-wirtschaft und Vizedirektor, seit 2009 Generaldirektor des Raiffeisenverbandes Südtirol.

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

Herausforderungen veranschaulicht hat, vor denen das Genossenschaftswesen in Italien steht. Auch ich bin davon über-zeugt: Wir brauchen einerseits Mut und andererseits „großzügige Protagonisten“, was ich für eine sehr gelungene Definition halte. Bei dieser Gelegenheit danke ich auch den italienischen Zentralverbänden Confcooperative, Federcasse und Iccrea für ihre wertvolle Arbeit im Dienste des Genossenschaftswesens – nicht nur für die erbrachten Dienstleistungen, sondern insbesondere für ihr Verständnis gegen-über den Besonderheiten der Südtiroler Genossenschaften.

Bedanken möchte ich mich ebenso bei den Teilnehmern unserer Gesprächs-runden, die wichtige Einschätzungen zu den aktuellen Herausforderungen desGenossenschaftswesens und der Genossenschaftsbanken geteilt haben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich einmal mehr auf die gute Zusammenarbeit mit unseren Nachbarverbänden in München, Innsbruck und Trient verweisen und meine Dankbarkeit dafür zum Ausdruck bringen. Wir können uns auf gemeinsame wirtschaftliche, kulturelle und gesell-schaftliche Wurzeln berufen und auf ein festes Fundament enger institutioneller und freundschaftlicher Beziehungen bauen.

Laut Friedrich Wilhelm Raiffeisen sind Genossenschaften immer das, was menschliche Einsicht, geistige Kraft und persönlicher Mut aus ihnen machen. Ich wünsche mir, dass sich die Entscheidungsträger auf allen Ebenen unserer Genossenschaftswelt dieser Verantwortung bewusst sind und dass die Leidenschaft, Freude und Begeisterung für die genossenschaftliche Arbeit erhalten und weitergegeben wird. Wenn das der Fall ist, dann ist dieZukunft unserer Raiffeisenkassen garantiert.

Page 36: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

36

Page 37: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

37

Die Gastgeber mit den Referenten der Raiffeisen-Tagung (von links):

Paul Gasser, Generaldirektor des Raiffeisenverbandes Südtirol,

Alessandro Azzi, Federcasse-Präsident,

Diego Schelfi, Präsident des Trentiner Genossenschaftsverbandes,

Andreas Pangl, Generalsekretär des Österreichischen Raiffeisenverbandes,

Alfons Pezzei, Obmann der Cassa Raiffeisen Val Badia,

Bischof Ivo Muser,

Maurizio Gardini, Präsident von Confcooperative,

Alexander Büchel, Vorstandsmitglied des Genossenschaftsverbandes Bayern,

Konrad Palla, Altdirektor des Raiffeisen- verbandes Südtirol,

Arnulf Perkounigg, Geschäftsführer des Raiffeisenverbandes Tirol,

Heiner Nicolussi-Leck, Obmann des Raiffeisenverbandes Südtirol.

Page 38: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol
Page 39: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

125 Jahre Raiffeisenkassen

in Südtirol

Page 40: Broschüre 125 jahre raiffeisenkassen in südtirol

www.raiffeisenverband.it