Brückenertüchtigung - eine notwendige Voraussetzung für ein zuverlässiges Fernstraßennetz

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184 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Bautechnik 90 (2013), Heft 3 DOI: 10.1002 / bate.201300013 BERICHT Brit Colditz Brückenertüchtigung – eine notwendige Voraussetzung für ein zuverlässiges Fernstraßennetz 1 Güterverkehrsentwicklung und Entwicklung des Brückenbaus im Bereich der Bundesfernstraßen Der Verkehrsträger Straße entwickelte sich in der ersten Hälfte des 20. Jhs. zwar zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten für die beiden anderen Verkehrsträger Schiene und Binnenwasserstraße, stand aber Mitte der 60er-Jahre im Hinblick auf die abgewickelten Transport- leistungen im Güterfernverkehr noch an dritter Stelle (Bild 1). Diese Verteilung hat sich in den vergangenen Jahrzehn- ten sehr verändert. Die Bundesfernstraßen sind im Be- reich des Güterverkehrs heute mit Abstand der stärkste Verkehrsträger. Deutschland ist das Transitland Nr. 1 in Europa. Insge- samt zeigt die Güterverkehrsprognose seit Jahrzehnten einen unaufhaltsam ansteigenden Trend. Durch die Öff- nung der Grenzen nach Osteuropa Anfang der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde dieser Effekt noch verstärkt. Die derzeit gültige Verkehrsvorausschätzung ist die Verkehrsprognose 2025. Diese enthält die Aussage, dass auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf das Jahr 2004 im Güterfernverkehr – für die Verkehrsträger Straße, Bahn und Wasserstraße – die Transportleistung insgesamt um 74 % steigen wird. Der weitaus größte Anteil dieser Transportleistungen entfällt dabei auf das Bundesfernstraßennetz (Bild 2). Die Straßengüterverkehrsleistung – ausgehend von rd. 30 Mrd. tkm Mitte der 60er-Jahre – hat sich seitdem mehr als verzehnfacht. Obwohl das Bundesautobahn- und Bundes- straßennetz in dieser Zeit durch zahlreiche Neubaumaß- nahmen stark angewachsen ist und sich die Verkehrsleis- tungen somit in einem im Vergleich zu den 50er- und 60er-Jahren wesentlich größeren Netz abwickeln, ist ins- gesamt durch die enorme Zunahme des Schwerverkehrs Das prognostizierte Verkehrsaufkommen geht von einer star- ken Zunahme des Güterverkehrs auf den Straßen aus. Dies wird zukünftig zu einer noch stärkeren Auslastung und damit zu einer noch größeren Beanspruchung der Brücken führen. Viele ältere Brücken können den stetig wachsenden Anforderungen nicht mehr uneingeschränkt standhalten. Bei diesen Bauwer- ken, darunter auch zahlreiche große Tal- und Strombrücken, treten zunehmend Abnutzungserscheinungen und Schäden auf. Sie befinden sich fast ausschließlich in den alten Bundes- ländern. Es stellt sich die Frage, wie diese Brücken weiter ge- nutzt oder auch ertüchtigt werden können. Mit der vom Bun- desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ent- wickelten Strategie zur Nachrechnung und Ertüchtigung des Brückenbestandes wurde gemeinsam mit der Bundesanstalt für Straßenwesen und den Straßenbauverwaltungen der Län- der ein bundeseinheitliches Vorgehen erarbeitet. Dieses Kon- zept sieht vor, bei jeder einzelnen der betroffenen Brücken zu prüfen, ob sie den Anforderungen des heutigen und zukünfti- gen Schwerverkehrs noch genügt. Die eigens dafür erarbeitete so genannte Nachrechnungsrichtlinie bildet das Kernstück die- ser Aufgabe. Es gilt, sowohl den Bauwerkszustand der Stra- ßenbrücken zu verbessern als auch Defizite bei der Tragfähig- keit zu beseitigen. Ziel aller Anstrengungen muss es sein, um- fangreiche Verkehrseinschränkungen bis hin zur Sperrung einer Brücke zu verhindern. Keywords Brückenertüchtigung; Nachrechnung; Tragfähigkeit; Schwerverkehr Bridge strengthening – a necessary prerequisite for a reliable highway network The traffic forecast assumes a sharp increase in goods trans- port by road. In the future, this will result in an even higher traffic load and thus to an even higher degree of wear of the bridges. Many older bridges can no longer fully meet the con- tinually increasing requirements. These structures, including many large valley and river bridges, are affected more and more by wear and tear and damages. They are located almost exclusively in the old federal states. The question arises as to how these bridges can be used or even strengthened in the fu- ture. With the strategy for post-test calculations and strength- ening of the bridge stock developed by the Federal Ministry of Transport, Building and Urban Development a nationally uni- form approach was elaborated together with the Federal High- way Institute and the road construction administration of the federal states. This concept aims at examining for everyone of the individual bridges concerned whether it still meets the re- quirements of heavy-goods transport today and in the future. The so-called post-test calculation guideline specially devel- oped for this purpose forms the core of this task. What needs to be done is to improve the structural condition of the road bridges as well as to eliminate deficits of the load-bearing ca- pacity. The objective of all efforts has to be the prevention of extensive traffic restrictions up to the closure of a bridge. Keywords Bridge strengthening; post-test calculation; load-bearing capacity; heavy-goods transport

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184 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Bautechnik 90 (2013), Heft 3

DOI: 10.1002 / bate.201300013

BERICHTBrit Colditz

Brückenertüchtigung – eine notwendige Voraussetzungfür ein zuverlässiges Fernstraßennetz

1 Güterverkehrsentwicklung und Entwicklung desBrückenbaus im Bereich der Bundesfernstraßen

Der Verkehrsträger Straße entwickelte sich in der erstenHälfte des 20. Jhs. zwar zu einem ernstzunehmendenKonkurrenten für die beiden anderen VerkehrsträgerSchiene und Binnenwasserstraße, stand aber Mitte der60er-Jahre im Hinblick auf die abgewickelten Transport-leistungen im Güterfernverkehr noch an dritter Stelle(Bild 1).

Diese Verteilung hat sich in den vergangenen Jahrzehn-ten sehr verändert. Die Bundesfernstraßen sind im Be-reich des Güterverkehrs heute mit Abstand der stärksteVerkehrsträger.

Deutschland ist das Transitland Nr. 1 in Europa. Insge-samt zeigt die Güterverkehrsprognose seit Jahrzehnteneinen unaufhaltsam ansteigenden Trend. Durch die Öff-

nung der Grenzen nach Osteuropa Anfang der 90er-Jahredes vergangenen Jahrhunderts wurde dieser Effekt nochverstärkt. Die derzeit gültige Verkehrsvorausschätzung istdie Verkehrsprognose 2025. Diese enthält die Aussage,dass auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland inBezug auf das Jahr 2004 im Güterfernverkehr – für dieVerkehrsträger Straße, Bahn und Wasserstraße – dieTransportleistung insgesamt um 74 % steigen wird. Derweitaus größte Anteil dieser Transportleistungen entfälltdabei auf das Bundesfernstraßennetz (Bild 2).

Die Straßengüterverkehrsleistung – ausgehend von rd. 30Mrd. tkm Mitte der 60er-Jahre – hat sich seitdem mehr alsverzehnfacht. Obwohl das Bundesautobahn- und Bundes-straßennetz in dieser Zeit durch zahlreiche Neubaumaß-nahmen stark angewachsen ist und sich die Verkehrsleis-tungen somit in einem im Vergleich zu den 50er- und60er-Jahren wesentlich größeren Netz abwickeln, ist ins-gesamt durch die enorme Zunahme des Schwerverkehrs

Das prognostizierte Verkehrsaufkommen geht von einer star-ken Zunahme des Güterverkehrs auf den Straßen aus. Dieswird zukünftig zu einer noch stärkeren Auslastung und damit zueiner noch größeren Beanspruchung der Brücken führen. Vieleältere Brücken können den stetig wachsenden Anforderungennicht mehr uneingeschränkt standhalten. Bei diesen Bauwer-ken, darunter auch zahlreiche große Tal- und Strombrücken,treten zunehmend Abnutzungserscheinungen und Schädenauf. Sie befinden sich fast ausschließlich in den alten Bundes-ländern. Es stellt sich die Frage, wie diese Brücken weiter ge-nutzt oder auch ertüchtigt werden können. Mit der vom Bun-desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ent -wickelten Strategie zur Nachrechnung und Ertüchtigung desBrückenbestandes wurde gemeinsam mit der Bundesanstaltfür Straßenwesen und den Straßenbauverwaltungen der Län-der ein bundeseinheitliches Vorgehen erarbeitet. Dieses Kon-zept sieht vor, bei jeder einzelnen der betroffenen Brücken zuprüfen, ob sie den Anforderungen des heutigen und zukünfti-gen Schwerverkehrs noch genügt. Die eigens dafür erarbeiteteso genannte Nachrechnungsrichtlinie bildet das Kernstück die-ser Aufgabe. Es gilt, sowohl den Bauwerkszustand der Stra-ßenbrücken zu verbessern als auch Defizite bei der Tragfähig-keit zu beseitigen. Ziel aller Anstrengungen muss es sein, um-fangreiche Verkehrseinschränkungen bis hin zur Sperrungeiner Brücke zu verhindern.

Keywords Brückenertüchtigung; Nachrechnung; Tragfähigkeit;Schwerverkehr

Bridge strengthening – a necessary prerequisite for a reliablehighway networkThe traffic forecast assumes a sharp increase in goods trans-port by road. In the future, this will result in an even higher traffic load and thus to an even higher degree of wear of thebridges. Many older bridges can no longer fully meet the con-tinually increasing requirements. These structures, includingmany large valley and river bridges, are affected more andmore by wear and tear and damages. They are located almostexclusively in the old federal states. The question arises as tohow these bridges can be used or even strengthened in the fu-ture. With the strategy for post-test calculations and strength-ening of the bridge stock developed by the Federal Ministry ofTransport, Building and Urban Development a nationally uni-form approach was elaborated together with the Federal High-way Institute and the road construction administration of thefederal states. This concept aims at examining for everyone ofthe individual bridges concerned whether it still meets the re-quirements of heavy-goods transport today and in the future.The so-called post-test calculation guideline specially devel-oped for this purpose forms the core of this task. What needsto be done is to improve the structural condition of the roadbridges as well as to eliminate deficits of the load-bearing ca-pacity. The objective of all efforts has to be the prevention ofextensive traffic restrictions up to the closure of a bridge.

Keywords Bridge strengthening; post-test calculation; load-bearingcapacity; heavy-goods transport

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eine stärkere Belastung der Straßen und damit auch derBrückenbauwerke zu verzeichnen. Eine derartige Ent-wicklung hat niemand vorausgesehen.

Hinzu kommt, dass neue Fahrzeugkonzepte, verbundenmit höheren Gesamtgewichten (z.B. 60-t-Fahrzeuge), dis-

kutiert werden. Bei Untersuchungen wurde festgestellt,dass die Überladung von Fahrzeugen keine Seltenheit ist,was einerseits mit reell höheren Gesamtgewichten, ande-rerseits aber auch mit höheren Achslasten einhergeht.Hinzu kommt die überproportionale Zunahme des ge-nehmigungspflichtigen Großraum- und Schwerverkehrs(Bild 3).

Im Hinblick auf den Bauwerksbestand wirft diese Ent-wicklung konkrete Fragen auf. Der Brückenbau hat sichin den beiden Teilen Deutschlands sehr unterschiedlichentwickelt. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR warnach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verhältnismäßigwenig Bautätigkeit zu verzeichnen, was hauptsächlich aufdie dort herrschenden wirtschaftlichen Verhältnisse zu-rückzuführen ist [3, 5]. Hier sollen einige Ausführungeninsbesondere zur Rolle des Brückenbaus auf dem Gebiet

Bild 1 Güterverkehrsentwicklung in den Nachkriegsjahren [1]Development of goods transport in the post-war years [1]

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Mrd. tkm Verkehrsleistungen im Güterverkehr

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Bild 2 Prognose der Verkehrsleistung im Güterverkehr im Vergleich derVerkehrsträger Bahn, Straße und Binnenwasserstraße (Quelle [2])Forecast of goods transport comparing the rail, road and inland waterway modes (Data source [2])

Bild 3 Anhörungen nach §29 (3) StVO bei der Autobahndirektion Nord bayernHearings in accordance with Section 29 (3) of the German Road Traffic Regulations (StVO) at the Autobahndirektion Nordbayern

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der alten Bundesländer gemacht werden, da aufgrund derim Folgenden beschriebenen Entwicklungen heute dortder Schwerpunkt der Bauwerkserhaltung und -ertüchti-gung liegt [1]. Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegsführten zwangsläufig zu einer erheblichen Bautätigkeit.Es waren rund 1 500 Brücken im Zuge von Bundesfern-straßen zerstört worden, unter ihnen viele Großbrücken.Dazu zählten auch alle festen Überquerungen überRhein, Main, Weser und Donau. Man kann aus heutigerSicht sagen, dass der Wiederaufbau etwa zwei Jahrzehntein Anspruch genommen hat. Von den zerstörten Auto-bahnbrücken wurde als letzte die Lahntalbrücke bei Lim-burg Mitte der 60er-Jahre dem Verkehr übergeben.

Neben diesen erforderlichen Maßnahmen gewann aberauch der Neu- und Ausbau des Bundesfernstraßennetzesund damit der Brückenbau immer mehr an Bedeutung.Die Schaffung neuer Verkehrsachsen spielte eine wesent-liche Rolle. Außerdem wurden im Hinblick auf die Ver-kehrssicherheit zunehmend höhenfreie Kreuzungen reali-

siert. Gleiches gilt für höhengleiche Bahnübergänge, dienun verkehrssicherer gebaut wurden, indem man sie be-seitigte oder auch höhenfrei errichtete. Die statistischenFakten des Berichts des Bundesministers für VerkehrMitte der 60er-Jahre zur Verkehrspolitik in der Bundesre-publik Deutschland [1] belegt diese Entwicklung: Von1950 bis 1963 wurden rund 4 750 Straßenbrücken neu ge-baut (Beispiel Bild 4) und damit dreimal mehr Brückenerrichtet als 1945 zerstört waren. Die Hälfte der kriegs-zerstörten Brücken war bereits vor 1950 wiedererrichtet.Deshalb ergibt sich für die Zeit von 1950 bis 1963 einVerhältnis von fast sechs zu eins zwischen Brückenneu-bau und Wiederherstellung. Dem Neubau von Brückenkam damals bereits eine herausragende Bedeutung zu.Dieser Trend hielt auch in den folgenden Jahrzehnten an.

Entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung wurde inden alten Bundesländern in den folgenden Jahrzehntenmit dem Ausbau des Straßennetzes eine Vielzahl an Brü-cken neu gebaut. In den neuen Bundesländern erfolgteeine vergleichbare Entwicklung nach der Wiedervereini-gung ab 1990, was zu Neubaumaßnahmen in größeremUmfang führte. Die heutige Altersstruktur des Bauwerk-bestands zeigt das Bild 5.

Neben dem Neubau und der Erweiterung ist heute die Er-haltung des bestehenden Bundesfernstraßennetzes einewesentliche gesellschaftliche Aufgabe.

2 Neue Strategie zur Ertüchtigung von Straßenbrücken

2.1 Allgemeines

Während für den Bereich des Neubaus von Brücken aufdie Verkehrsentwicklung durch die Anpassung der beste-henden Lastmodelle reagiert werden kann, stellt sich fürdie hohe Anzahl vorhandener Brücken die Frage, wiederen Tragfähigkeit erhöht werden könnte. Bereits heute

Bild 4 Rudolf-Wissell-Brücke im Zuge der BAB 100 „Stadtring Berlin“, Fertigstellung 1961Rudolf-Wissell-Brücke along the A 100 federal motorway “StadtringBerlin”, completed 1961

Bild 5 Altersstruktur der Brückenbauwerke der Bundesfernstraßen [nach Brückenfläche der Teilbauwerke in %], Stand 01.09.2012Age structure of the bridges at federal highways [by total area of the bridge parts in per cent], as of 1 September 2012

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treten bei vielen Bauwerken zunehmend Abnutzungser-scheinungen und Schäden auf.

Da in der Vergangenheit die Erhaltung der Bauwerkewenig intensiv und mit einem relativ geringen Investiti-onsvolumen betrieben werden konnte, ist mittlerweileeine deutliche Verschlechterung der Zustandsnoten derBauwerke eingetreten. Die Entwicklung der Zustandsno-ten ist im Bild 6 dargestellt. In diese bundesweite Betrach-tung fließen sowohl die in der Regel guten Ergebnisse derBauwerksprüfungen nach DIN 1076 aus den neuen Bun-desländern, die durch die zahlreichen Neubaumaßnah-men nach 1990 zu erklären sind, als auch die im Durch-schnitt schlechteren Ergebnisse aus den alten Bundeslän-dern, die sich durch den in höherem Maße vorhandenen,in die Jahre gekommenen Brückenbestand erklären las-sen, ein.

Die in der Vergangenheit entwickelten und für die Be-messung von Brücken angewandten Lastmodelle bildendas reale Verkehrsaufkommen aus heutiger Sicht nichtmehr ausreichend ab. Diese Lastmodelle beinhaltetennach damaligen Erkenntnissen erhebliche Belastungsre-serven, die aber durch den heute vorhandenen Schwer-verkehr weitgehend aufgezehrt sind. Darüber hinaus spielen auch die festgestellten Schwächen der Konstruk -tion und der eingesetzten Werkstoffe (z.B. Koppelfu -gen bei Spannbetonbrücken, Spannungsrisskorrosion beiSpannstählen, Überbauten mit zu geringer Schubbeweh-rung) eine nicht unwesentliche Rolle [5].

Im Ergebnis der vorstehenden Betrachtungen kann manfeststellen, dass im Bereich der Bauwerkserhaltung eineneue Anforderung zu berücksichtigen ist: Brücken müs-sen über ihre ursprüngliche Tragfähigkeit hinaus ver-stärkt – also ertüchtigt – werden, um sie zukünftig nutzenzu können. Ohne Zweifel ist eine fachlich höchst an-spruchsvolle Aufgabe zu lösen. Die Ingenieure müssenumdenken und ab sofort Bauwerkserhaltung nicht mehrnur als Instandsetzung verstehen, die den planmäßigen

Zustand eines Bauwerks oder seiner Bauteile wiederher-stellt, sondern sich immer auch die Frage nach der Tragfä-higkeit und damit einer möglicherweise erforderlichenVerstärkung stellen.

Das für die Brücken im Bereich der Bundesfernstraßenzuständige Referat im Bundesministerium für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) hat sich in den ver-gangenen Jahren sehr intensiv mit diesen Fragen beschäf-tigt und zusammen mit der Bundesanstalt für Straßenwe-sen (BASt) zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungendurchgeführt. Die Ergebnisse wurden durch Veröffentli-chungen in der Fachpresse zugänglich gemacht(vgl.  [4, 5, 6]). Im vorliegenden Beitrag wird darauf auf-bauend die daraus abgeleitete Strategie zur Brückener-tüchtigung erläutert.

2.2 Phasen der Brückenertüchtigung

Mit der vom BMVBS entwickelten Strategie zur Nach-rechnung und Ertüchtigung des Brückenbestandes wurdegemeinsam mit der Bundesanstalt für Straßenwesen undden Straßenbauverwaltungen der Länder ein bundesein-heitliches Vorgehen erarbeitet. Die Strategie ist mittel- bislangfristig angelegt und lässt sich in die Phasen I, II undIII unterteilen (Bild 7). Die Phase I konzentriert sich aufdie Ertüchtigung von Brücken der Brückenklasse 60 undkleiner. Die Phasen II und III sehen visionär die Ertüchti-gung des Brückenbestandes auf das Lastniveau der Euro-codes vor.

2.3 Nachrechnungsrichtlinie und Ablaufder Nachrechnung

Die Strategie der Brückenertüchtigung sieht vor, bei jedereinzelnen der betroffenen Brücken zu prüfen, ob sie denAnforderungen des heutigen und zukünftigen Schwerver-kehrs noch genügt. Kernstück für diese Aufgabe ist die ei-

Bild 6 Zustandsnotenentwicklung der Brücken im Bereich der Bundesfernstraßen nach Brückenfläche (Datenquellen: Straßenbauberichte/Verkehrs -investitionsberichte des BMVBS)Development of the condition grades of the bridges along federal highways by bridge area (Data sources: road construction reports/transport invest-ment reports of the BMVBS)

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gens zu diesem Zweck erarbeitete „Richtlinie zur Nach-rechnung von Straßenbrücken im Bestand (Nachrech-nungsrichtlinie)“ [7]. Diese sichert eine bundesweit ein-heitliche Vorgehensweise bei der Analyse der Tragfähig-keit der Bauwerke im Bestand ab. DieNachrechnungsrichtlinie erfasst die Besonderheiten derbestehenden Brücken, welche durch die heute geltendenRegelungen der Bemessungsnormen nicht abgedecktsind.

Die Nachrechnungsrichtlinie wurde von einer dafür ein-gerichteten Arbeitsgruppe erarbeitet, in der Arbeitsgruppe„Schwerverkehr“ gespiegelt und den Ländern im Mai2011 vom BMVBS zunächst in einer Pilotphase zur An-wendung empfohlen. Es ist geplant, die Nachrechnungs-richtlinie auf Grundlage der gesammelten Erfahrungenregelmäßig fortzuschreiben. Neben Vertretern der Stra-ßenbauverwaltungen der Länder, der BASt und desBMVBS sind in diesen Prozess auch anerkannte Wissen-schaftler und qualifizierte Ingenieure der Praxis eingebun-den.

In der Nachrechnungsrichtlinie werden die aktuellen Be-rechnungs- und Bemessungsverfahren des europäischenKonzepts der Eurocodes (in Deutschland seit 2003 mitden DIN-Fachberichten 101 bis 104 für den Neubau vonBrückenbauwerken umgesetzt) zu Grunde gelegt. Dies er-fordert zum einen eine Verknüpfung von Materialkenn-daten verbauter älterer, heute nicht mehr eingesetzterBaustoffe (z. B. glatte Betonstähle) mit dem Bemessungs-konzept, zum anderen sollen aber auch am Objekt ge-wonnene spezifische Kenndaten Eingang in die Berech-nung finden können. Das geforderte Tragsicherheitsni-veau muss dabei in allen Punkten erfüllt sein. Einweiterer Aspekt bei der Bewertung von Bestandsbauwer-ken ist der aktuelle Bauwerkszustand, der als Ergebnisder Bauwerksprüfung nach DIN 1076 oder weiterer Un-tersuchungen am Bauwerk dokumentiert wird. Defizitebei Dauerhaftigkeit und Robustheit, resultierend aus Defi-ziten in früheren Regelwerken und/oder Defiziten be-dingt durch den Bauwerkszustand können Eckdaten zurEinschätzung einer Restnutzungsdauer liefern und Ein-

gang bei der Variantenuntersuchung im Rahmen derWirtschaftlichkeitsberechnung finden.

Bei der Nachrechnung von bestehenden Straßenbrückenwird ein gestuftes Verfahren angewandt, bei dem dieNachweisführung und gegebenenfalls der Untersuchungs-aufwand am Bauwerk unter Berücksichtigung der Sicher-heitsanforderungen modifiziert werden. Modifikationenkönnen die Einwirkungs- und die Widerstandsseite, aberauch die rechnerischen Nachweise und Bauwerksunter-suchungen selbst betreffen. Grundlage der Bewertungsind im Regelfall die rechnerischen Nachweise der Tragfä-higkeit, der Gebrauchstauglichkeit, der Dauerhaftigkeitund der Ermüdungssicherheit. Die Stufen 3 und 4, beidenen am Bauwerk ermittelte Messergebnisse oder auchwissenschaftliche Methoden zum Nachweis der Tragsi-cherheit herangezogen werden, sind jedoch nur im Son-derfall und in Abstimmung mit den Obersten Straßenbau-behörden der Länder anzuwenden.

Das Ziellastniveau als vertikale Verkehrseinwirkung wirdimmer durch die Straßenbauverwaltung festgelegt. Eswird bestimmt durch die Verkehrsstärke und die Ver-kehrszusammensetzung unter Berücksichtigung einerprognostizierten Verkehrsentwicklung.

Die Nachrechnungsrichtlinie eröffnet dem erfahrenenPlaner und Ingenieur einen erweiterten Handlungsrah-men und bietet die Möglichkeit, die Reserven des Trag-werks und der Baustoffe stärker auszunutzen. Aus derGesamtheit aller gewonnenen Erkenntnisse der Bau-werksanalyse und des Nachrechnungsprozesses muss derIngenieur ein Urteil für das betrachtete Einzelbauwerkabgeben. Durch die Straßenbauverwaltung wird auf derGrundlage der festgestellten und bewerteten Defizite ent-schieden, ob eine Machbarkeitsstudie zur Bauwerkser-tüchtigung veranlasst werden soll. Die Machbarkeitsstu-die legt dar, ob nach Durchführung einer Ertüchtigungs-maßnahme, die skizzenhaft darzustellen ist, weiterhinDefizite bestehen und wie sich diese auf die Tragfähigkeitdes Bauwerks auswirken. Außerdem umfasst sie eineKostenschätzung, die als Grundlage für die Wirtschaft-lichkeitsuntersuchung nach der „Richtlinie zur Durchfüh-rung von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen im Rahmenvon Instandsetzungs-/Erneuerungsmaßnahmen bei Stra-ßenbrücken“ (RI WI BRÜ) dient.

Im Ergebnis von Nachrechnung und Wirtschaftlichkeits-untersuchung werden letztendlich konkrete Maßnahmenfür jedes Bauwerk festgelegt. Einerseits geht es um Bau-maßnahmen wie die Durchführung einer Ertüchtigungs-maßnahme, die Errichtung eines Ersatzneubaus oder einezeitlich gestaffelte Kombination aus Beiden. Andererseitskönnen auch Kompensationsmaßnahmen, wie z.B. dieEinschränkung des Schwerverkehrs oder auch verkürztePrüfzyklen bei der Bauwerksprüfung nach DIN 1076,vorgesehen werden. Den schematischen Ablauf der Nach-rechnung eines Bauwerks und die darin enthaltenen Zu-ständigkeiten zeigt Bild 8.

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BK 60/30

BK 60/30

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Phase I

Phase III

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Bild 7 Mittel- bis langfristige Strategie zur Ertüchtigung des Brückenbe-standesMedium to long-term strategy for the strengthening of the bridgestock

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Das Vorgehen bei der Nachrechnung von Straßenbrü-cken des Bestands wird durch zahlreiche Forschungsvor-haben wissenschaftlich abgesichert. Weiterer Forschungs-bedarf besteht u.a. zu erweiterten Nachweisen für Quer-kraft und Torsion sowie kurzfristigen Lösungsansätzenfür diesen Bereich. Es soll außerdem eine Erfahrungs-sammlung zu bereits durchgeführten Verstärkungsmaß-nahmen erarbeitet werden.

2.4 Dringlichkeitsbewertung und Auswahl der zuuntersuchenden Brückenbauwerke

Auf der Grundlage einer bundesweiten Erhebung hat dieBASt im Jahr 2009 in Abstimmung mit den Ländern ausdem Brückenbestand von damals rund 38 000 Bauwer-ken bzw. rund 49 000 Teilbauwerken die Bauwerke ermit-telt, die näher zu untersuchen sind [6]. Als Basis dientendie Ergebnisse der bisher durchgeführten Forschungsvor-haben und Nachrechnungen. Für jedes Bauwerk wurdehierbei eine objektbezogene Prioritätszahl ermittelt unddie Bauwerke entsprechend der Dringlichkeitsreihungeiner Gruppe A (vordringlicher Untersuchungsbedarf)oder B (nachrangiger Untersuchungsbedarf) zugewiesen.In die oberste Priorität kamen dabei Bauwerke, die insbe-sondere folgenden Auswahlkriterien entsprechen:

– Spannbetonbrücken, die zwischen 1960 und 1985 ge-baut wurden,

– hierbei insbesondere die vor 1980 gebauten Talbrü-cken, bei denen u. a. der Temperaturlastfall noch nichtberücksichtigt wurde,

– Stahl- und Stahlverbundbrücken aus dieser Zeit,– Mehrfeldbauwerke mit Stützweiten > 30 m,– Brücken mit Zustandsnote > 3,0 und– Spannbetonbrücken mit bauzeitbedingten Defiziten

wie Koppelfugen, Gefährdung durch Spannungsriss-

korrosion oder Überbauten mit zu geringer Schubbe-wehrung.

Dadurch wurde eine Teilmenge von rund 2 200 Brücken(Teilbauwerke) festgelegt, die mit höchster Priorität unter-sucht werden muss. Rund 1 300 sind Brücken des Bun-desautobahnnetzes, rund 900 liegen im Bereich der Bun-desstraßen. Bezogen auf die vorhandene Gesamtbrücken-fläche sind dies etwa 25  % des Bestandes. Darunterbefinden sich zahlreiche Großbrücken aus den 60er-,70er- und 80er-Jahren mit der alten Brückenklasse 60, diesich fast ausschließlich in den alten Bundesländern befin-den. Der überwiegende Teil dieser Bauwerke sind Spann-betonbrücken. Darüber hinaus wurden mit Hilfe speziel-ler Auswahlkriterien für diese Bauweisen zusätzlich wei-tere etwa 300 Stahl- und Stahlverbundbrückenidentifiziert, die ebenfalls zu überprüfen sind. Die sechsam stärksten von dem Problem betroffenen Bundesländersind Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersach-sen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

3 Umsetzung der Strategie zur Ertüchtigungvon Straßenbrücken

3.1 Vorgehensweise und Länderkonzepte

Um festzustellen, ob und in welchem Umfang eine Er-tüchtigung oder alternativ auch eine Erneuerung eineskonkreten Bauwerks notwendig wird, hat das BMVBSauf Basis der Erhebungen der BASt die Straßenbauver-waltungen der Länder im Februar 2010 aufgefordert, ent-sprechende Untersuchungen zu den in oberster Prioritäteingeordneten Brückenbauwerken durchzuführen.

In welcher Reihenfolge die Bauwerke untersucht undnachgerechnet werden, bleibt im ersten Schritt den zu-ständigen Straßenbauverwaltungen der Länder überlas-sen, da es neben dem von der BASt bei der Auswahl derBauwerke angewandten Kriterienkatalog weitere Ge-sichtspunkte gibt, die die Reihung beeinflussen können.Außerdem kann die ursprünglich durch die BASt erstellteBauwerksliste durch die Länder ergänzt werden, wenn esgeboten scheint, weitere Brücken in die Untersuchungeneinzubeziehen, z.B. bei der Betrachtung von Streckenab-schnitten beim Autobahnausbau oder bei der Bildungvon Schwerverkehrskorridoren.

Die vordringlich näher zu untersuchenden Bauwerke be-finden sich zu einem großen Teil im Zuge hoch belasteterAutobahnen und Bundesstraßen. Deshalb werden neueMaßstäbe für das Bauen im Bestand zu setzen sein. Un-nötige Einschränkungen des Straßenverkehrs durchgleichzeitig eingerichtete, zahlreiche zusätzliche Baustel-len im Bundesfernstraßennetz gilt es zu vermeiden. Daserforderliche Zusammenspiel mit anderen Fachdiszipli-nen wie z.B. Baustellenmanagement, Verkehrsplanungund Baurechtsbeschaffung muss für den Bereich der Stra-ßen- und Bauwerkserhaltung deshalb sinnvoll struktu-riert werden. Auch im Hinblick auf den erforderlichen

Vorbetrachtungen / VoruntersuchungenFestlegungen

(insbesondere Ziellastniveau – LM-Ziel)– Straßenbauverwaltung / Ingenieurbüro –

Statische Berechnung– Straßenbauverwaltung / Ingenieurbüro –

Zwischenergebnisse und Bewertung– Straßenbauverwaltung / Ingenieurbüro –

Prüfung der Unterlagen– Straßenbauverwaltung, ggf. Prüfingenieur –

Abschließende Auswertung und Festlegung von Maßnahmen– Straßenbauverwaltung –

Bild 8 Ablaufdiagramm zur Nachrechnung [7]Post-test calculation flowchart [7]

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Ausbau der Bundesfernstraßen (z.B. BAB-Erweiterungvon vier auf sechs Fahrstreifen) gibt es Abstimmungsbe-darf, wenn in den davon betroffenen Streckenabschnittenzu untersuchende Bauwerke liegen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass es beim Ersatzneu-bau von Brücken heute in der Regel erforderlich wird, einaufwändiges Planfeststellungsverfahren durchzuführen,was einen enormen Zeitbedarf auslöst. Eine quasi alserste Phase durchgeführte Ertüchtigungsmaßnahme kanndann die Tragfähigkeit des bestehenden Bauwerks zu-nächst eine Zeitlang sichern, bis das Baurecht geschaffenist und der Ersatzneubau errichtet werden kann. In Bal-lungsräumen mit bereits jetzt stauanfälligen Streckenab-schnitten spielen sowohl verkehrliche Auswirkungeneiner längerfristigen Brückenbaustelle als auch die Betrof-fenheit von Anrainern bei bis an die Straße und damitauch an die Bauwerke heranreichender Bebauung einenicht unwesentliche Rolle bei der Planung einer Baumaß-nahme und dem damit zusammenhängenden Baurechts-verfahren.

Alle Bundesländer sind mit dem Thema Brückenertüchti-gung befasst. Die am stärksten betroffenen Länder habenaufgrund der großen Anzahl der zu untersuchenden Bau-werke und der zu beachtenden Randbedingungen eigeneKonzepte erarbeitet, die mit dem BMVBS abgestimmtwerden. Dem Bund kommt hier eine übergeordnete, län-derübergreifende Steuerungsfunktion zu.

Beispielhaft sollen im Folgenden einige Fakten und As-pekte aus dem von der Straßenbauverwaltung Nordrhein-Westfalen erarbeiteten Konzept gezeigt werden [vgl. 7]. Indiesem Bundesland sind vordringlich mehr als 600 Teil-bauwerke auf ihre Tragfähigkeit hin zu untersuchen, da-runter ein erheblicher Anteil an Großbrücken. Keine Re-gion ist ausgenommen, der Fokus liegt jedoch auf dem

Ruhrgebietsdreieck, der Rheinschiene, den Autobahnenim Sauerland (A45) und im Bergischen Land (A4). DasKonzept sieht mehrere, zeitlich parallel laufende Arbeits-ebenen vor, wobei das Land davon ausgeht, dass auf-grund der Vielzahl der zu untersuchenden Bauwerke einmindestens zehnjähriges Arbeitsprogramm zu bewältigenist.

Die erste Ebene befasst sich mit der Schaffung durchgän-giger Schwerverkehrskorridore in Ost-West und Nord-Südrichtung. Den Kern bildet dabei das Ruhrgebietsdrei-eck mit den Autobahnen A1, A 2, A 3 (Bild 9).

Übersichtskarte zur Ertüchtigungdes Brückenbestandes an BAB

BrückenbestandTransitkorridor SV

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A 3

A 1

A 1

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Bild 9 Schwerverkehrskorridore in NRW [8]Heavy goods transport corridors in North Rhine-Westphalia [8]

= 6-streifiger Ausbau= Arbeitsprogramm Transitnetz 2011

(vorh. bzw. Planung/Bau)

= Sauerlandlinie A45= Netzergänzungen

A 1

Bild 10 Ausbaumaßnahmen im BAB-Netz in NRW [8]Upgrading measures in the federal motorway network in NorthRhine-Westphalia [8]

Übersichtskarte zur Ertüchtigungdes Brückenbestandes an Bundesternstraßen

Jahr 2011Jahr 2012

Bild 11 Zu untersuchende Bauwerke gemäß BASt-Erhebungen [8]Structures to be examined in accordance with surveys of the Federal Highway Research Institute (BASt) [8]

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Bautechnik 90 (2013), Heft 3 191

B. Colditz: Bridge strengthening – a necessary prerequisite for a reliable highway network

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Die zweite Ebene berücksichtigt bestehende Ausbaupla-nungen im Autobahnnetz, die im Wesentlichen Maßnah-men zum sechsstreifigen Ausbau und das Arbeitspro-gramm zum Transitnetz 2011 umfassen (Bild 10).

In der dritten Ebene werden die auf Basis der BASt-Erhe-bungen vordringlich zu untersuchenden Bauwerke be-rücksichtigt (Bild 11). Die Straßenbauverwaltung desLandes Nordrhein-Westfalen hat sich zum Ziel gesetzt,jährlich 10 % der Bauwerke zu überprüfen.

Für die Aufgabe der Brückenertüchtigung wurde inNordrhein-Westfalen eine Projektgruppe eingerichtet,die für die Nachrechnung der Bauwerke und die darausabzuleitende Festlegung von Maßnahmen zuständig ist.Zu den Maßnahmen gehören dabei Sofortmaßnahmen,temporäre oder dauerhafte Verstärkungsmaßnahmensowie Ersatzneubauten. Die Umsetzung der Maßnahmenerfolgt durch die Autobahn- und Regionalniederlassun-gen.

Am Beispiel des Konzepts des Landes Nordrhein-Westfa-len sieht man deutlich, wie hochkomplex das Thema Brü-ckenertüchtigung ist. Das Land hat es sich zum Ziel ge-setzt, während der gesamten Phase der Ertüchtigung sei-ner Bauwerke den Verkehrsfluss, insbesondere denGüter- und Schwerverkehr, aufrecht zu erhalten.

Der Prozess der statischen Nachrechnung der Bauwerkeist seit Veröffentlichung der Nachrechnungsrichtlinie imMai 2011 verstärkt angelaufen. Die Länder berichtendem Bund halbjährlich über den Sachstand der Nach-rechnung und daraus abzuleitende Maßnahmen zur Brü-ckenertüchtigung. Bisher sind für rund 150 Brücken stati-sche Untersuchungen erfolgt oder in Bearbeitung. Fürrund 60 Brücken wurden Ertüchtigungsmaßnahmendurchgeführt oder sind in der Ausführung (Stand:01.10.2012 – Beispiele Bild 12).

Für die kommenden Jahre sind bereits jetzt zahlreiche Er-tüchtigungsmaßnahmen geplant. Weitere werden sukzes-sive hinzukommen. Ein Gesamtüberblick über alle ausder Strategie zur Nachrechnung der Bauwerke abgeleite-

ten erforderlichen Einzelmaßnahmen wird auch in abseh-barer Zeit nicht möglich sein. Vielmehr handelt es sichbei der Nachrechnung von Brücken um einen kontinuier-lichen Prozess, der mehrere Jahre in Anspruch nehmenwird.

3.2 Finanzierung

Neben dem Neubau und der Erweiterung ist die Erhal-tung des bestehenden Bundesfernstraßennetzes von he-rausragender Bedeutung. Dieses Langzeitziel erforderteine Erhaltungspolitik, die auf einen hohen Gebrauchs-und Sicherheitswert der Verkehrsinfrastruktur ohne Sub-stanzverzehr zu Lasten künftiger Generationen ausge-richtet ist. Angesichts der Zunahme des Verkehrs, insbe-sondere des Lkw-Verkehrs, und dem zunehmenden Alterder Straßeninfrastruktur wird der Finanzbedarf für dieErhaltung der Bundesfernstraßen in Zukunft weiter an-steigen und die Mittel für den Neu- und Ausbau der Bun-desfernstraßen begrenzen.

Ein genauer Brückenerhaltungs- und -ertüchtigungsum-fang mit objektbezogen festgelegten Maßnahmen undeiner daraus abzuleitenden genaueren Abschätzung desFinanzbedarfs kann nur sukzessive nach Durchführungder entsprechenden Untersuchungen und Abstimmungenzwischen dem Bund und den Ländern festgelegt werden.Insgesamt handelt es sich um einen kontinuierlichen Ar-beitsprozess. Ziel der konzeptionellen und planerischenArbeit ist eine bedarfsorientierte, finanziell untersetzteStraßen- und Brückenerhaltungsplanung.

Entsprechend einer Abschätzung der BASt aus dem Jahr2010 liegen die Kosten für die ursprünglich 2 200 vor-dringlich zu untersuchenden Bauwerke mit Ertüchtigungdurch moderate Instandsetzungen und Verstärkungenzur Sicherung einer weiteren Restnutzungsdauer von ca.10 bis 15 Jahren (untere Grenze) bei ca. 3,8 Mrd. € undbei einer zukunftsfähigen Ertüchtigung für 50 bis 70 Jahremit umfangreichen Verstärkungen oder auch teilweiseroder auch kompletter Erneuerung von Bauwerken (obereGrenze) bei 6,7 Mrd.€.

Bild 12 Schubverstärkungen an SpannbetonbrückenShear reinforcements at pre-stressed concrete bridges

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B. Colditz: Brückenertüchtigung – eine notwendige Voraussetzung für ein zuverlässiges Fernstraßennetz

Das BMVBS schätzt den Bedarf für die Erhaltung derBundesfernstraßen bis 2025 insgesamt auf über 3 Mrd. €jährlich ein. Der Anteil für die Erhaltung der Bauwerke(Brücken, Tunnel und sonstige Ingenieurbauwerke) ein-schließlich der Ertüchtigung der Brücken wird dabei vonanfangs rd. 30 % auf bis zu 45 % ansteigend abgeschätzt.

Für die Erhaltung der Bundesfernstraßen wurden imHaushalt 2012 Mittel in Höhe von insgesamt rd. 2,4 Mrd.€ bereitgestellt. Gemäß der aktuellen Finanzplanung sindhierfür in 2013 rund 2,5 Mrd. €, in 2014 rund 2,6 Mrd. €und in 2015 rund 2,7 Mrd. € eingeplant. Aus diesen Mit-teln ist von den ausführenden Straßenbauverwaltungender Länder auch die Erhaltung und Ertüchtigung der Brü-cken zu finanzieren. Im aktuellen von den Ländern ge-meldeten Erhaltungsprogramm wird der Anteil der Bau-werke (Brücken, Tunnel und sonstige Ingenieurbauwer-ke) mit rund 830 Mio. € in 2013, rund 950 Mio. € in 2014und rund 980 Mio. € in 2015 ausgewiesen. Es handeltsich dabei um Planansätze, die sich z. B. infolge des Pla-nungsfortschritts bei einzelnen Maßnahmen ändern kön-nen. Hier ist bereits erkennbar, dass sich die Erhaltungs-aufwendungen für Brückenbauwerke im Vergleich zumMittelwert vergangener Jahre damit mehr als verdoppelnwerden.

4 Zusammenfassung und Ausblick

Ein großer Teil der Brücken im Netz der Bundesfernstra-ßen ist älter als 40 Jahre. Diese Bauwerke weisen, neben

den durch die Bauart und das Alter bedingten Defiziteeine Tragfähigkeit auf, die den Anforderungen des heuti-gen und zukünftigen Güterverkehrs nicht mehr genügt.Aus diesem Grunde ist eine Strategie zur Ertüchtigungdes Bauwerksbestandes erforderlich. Angesichts der aktu-ellen Prognosen zur weiteren Zunahme des Verkehrs, ins-besondere des Güterverkehrs, sind die durch die Initiati-ve des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadt-entwicklung eingeleiteten Schritte zur Ertüchtigungälterer Brücken folgerichtig und notwendig. Jetzt ist es er-forderlich, diese Schritte mit oberster Priorität konse-quent weiterzuentwickeln und umzusetzen.

Alle Ingenieure in Verwaltung, Bauwerksprüfung, Pla-nung, Bauausführung und Wissenschaft tragen eine hoheVerantwortung bei der Gewährleistung der Sicherheit un-serer Brücken im Bestand. Der damit verbundene An-spruch an die fachliche Qualifikation der Bauingenieureist hoch. Auch die administrativ und politisch Verant-wortlichen sind aufgefordert, die für solch ein Jahrhun-dertprojekt erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfü-gung zu stellen.

Die Ertüchtigung des Brückenbestandes der Bundesfern-straßen stellt einen unverzichtbaren Beitrag zu einer leis-tungsfähigen Verkehrsinfrastruktur dar. Es gilt, umfang-reiche Verkehrseinschränkungen bis hin zur Sperrungeiner Brücke zu verhindern. Die ersten Weichen sind ge-stellt, das Bewusstsein für die anstehenden Aufgaben undfür die damit verbundene bauaufsichtliche Verantwor-tung muss jedoch weiter gefördert werden.

Literatur

[1] Bundesministerium für Verkehr (Hrsg.): Die Verkehrspolitikin der Bundesrepublik Deutschland 1949–1965. Schriften-reihe des Bundesministers für Verkehr, Band 29. Hof: Hoer-mann-Verlag, 1965.

[2] Intraplan, BVU: Prognose der deutschlandweiten Verkehrs-verflechtungen 2025. Abschlussbericht zum Forschungs-vorhaben Nr. 96.0857/2005 des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Berlin, 2007.

[3] VERCH, W.: 35 Jahre Spannbeton-Straßenbrückenbau in derDDR. In: STRITZKE, J. (Hrsg.): Tagungsband zum 9. Brü-ckenbausymposium am 11.März 1999 in Dresden. Dresden:Technische Universität Dresden, Institut für Massivbau,1999, S. 111–121.

[4] NAUMANN, J.: Brücken und Schwerverkehr – Wo sind dieGrenzen? Straße und Autobahn 58 (2007) H. 10, S. 545–551.

[5] NAUMANN, J.: Brücken und Schwerverkehr – Eine Be-standsaufnahme. Straße und Autobahn 60 (2009) H. 10, S.652–659.

[6] NAUMANN, J.: Brücken und Schwerverkehr – Strategie zurErtüchtigung des Brückenbestands in Bundesfernstraßen.Straße und Autobahn 61 (2010) H. 5, S. 301–307.

[7] Richtlinie zur Nachrechnung von Straßenbrücken im Be-stand (Nachrechnungsrichtlinie). Ausgabe Mai 2011. Bun-desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Abteilung Straßenbau (Hrsg.), Bonn, 2011.

[8] MAATZ, E.: Brückenertüchtigung in Nordrhein-Westfalen.Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung(Hrsg.): Tagungsband zur Informationsveranstaltung Brü-ckenertüchtigung am 29.11.2011 in Berlin, Bundesministe-rium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, 2011.

Dieser Bericht wurde erstmals im Rahmen des 23. DresdnerBrückenbausymposiums 2013 vorgestellt.

AutorinDipl.-Ing. Brit ColditzBundesministerium für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAbteilung StraßenbauReferat „Brücken, Tunnel und sonstige Ingenieurbauwerke“Robert-Schuman-Platz 153175 [email protected]