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50 Tibet und Buddhismus 1/09 ÜBER DAS LEBEN DES CHETSANG RINPOCHE Selten liest man ein Sachbuch mit der gleichen Spannung wie einen Krimi – bei dieser Lebensbeschreibung des Drikung Chetsang Rinpoche, dem Oberhaupt der Drikung-Kagyü-Tradi- tion des tibetischen Buddhismus, ist das der Fall. Die Nähe des Autors zu seinem Wurzellama hat zur Authenti- zität des Buches ungemein beigetragen. Seine schriftstellerische Leistung wird dadurch in keiner Weise gemindert. Im ersten Teil der Biographie des 7. Drikung Chetsang Rinpoche, der 1946 in Tibet als Enkel eines Nationalhelden in die berühmte Tsarong-Familie hin- eingeboren wurde, tauchen wir ein in das Leben der tibetischen Ober- schicht: Gut 200 Adelsfamilien teilen sich mit den Klöstern und dem Staat Grund und Boden, Leibeigene und einen riesigen Viehbestand – aus heu- tiger Sicht ein Missstand. Der Autor schildert dieses vernetzte Dasein, das auch im Exil weiter besteht, mit sei- nem Luxus und seinen Intrigen ohne die Überhöhungen, wie sie die Bio- graphien anderer Mitglieder dieser Fa- milie prägen. Das gilt auch für das Le- ben des aufgeweckten, immer zu Streichen aufgelegten jungen Rinpo- che, der eine große Liebe zu Pflanzen und Tieren entwickelt. Der hochinteressante mittlere Teil des Buches schildert das Leben des Rinpoche zwischen 1959 und 1975 in Lhasa. Der Drikung-Regent, der dort mit den Besatzern zusammenarbeite- te, hatte ihn als Adoptivsohn zu sich genommen und dafür gesorgt, dass er die Schule besuchte. Er lernt schnell, spricht fließend Chinesisch und ist be- geisterter Sportler. Zu religiösen Studi- en gibt es weder Zeit noch Gelegen- heit, aus der Politik hält sich der Rin- poche heraus. 1966 bricht die Kulturrevolution aus – ihre Blutspur erreicht auch Tibet, und Studenten der Lhasa-Mittelschule wer- den Rotgardisten. 1968 tritt die Revo- lution in eine neue Phase ein: Jugend- liche werden zu harter körperlicher Ar- beit in die Kommunen geschickt. Auch hier wird der Rinpoche, dessen wahre Identität nur wenige kennen, respek- tiert. Er fährt im Sommer Gülle und handelt im Winter in Lhasa mit Uhren – Perspektiven gibt es nicht. So ent- schließt er sich 1975 zur Flucht. Der von vielen Totgeglaubte reist über Dharamsala zunächst für drei Jahre zu seiner Familie in die USA, lernt Autofahren und Englisch, arbei- tet bei McDonalds und anderswo und beschäftigt sich mit der wechselvollen Geschichte seiner Tradition, die ein NEUE ÜBERSETZUNG DES TIBETISCHEN TOTENBUCHS Diese Prachtausgabe des Tibetischen Totenbuchs, herausgegeben von dem renommierten Tibetisch-Übersetzer Thupten Jinpa, ist eine wahre Fund- grube – und zwar für eine spezielle Gruppe von Praktizierenden des tibe- tischen Buddhismus: Für diejenigen, die dieses ausführliche System auf der Grundlage des Guhyagarbha-Tantra (Indien 6. Jh.) und seiner Interpreta- tion durch Padmasaµbhava und sei- nen tibetischen Schatzfinder Karma Lingpa (Tibet 14. Jh.) unter qualifizier- ter Anleitung üben können. Es wird schnell deutlich, dass die früher publizierten Ausgaben des Ti- betischen Totenbuchs, die im Westen so populär wurden, nur einen sehr be- schränkten Ausschnitt dieser Lehren zeigten. Hinter den 42 friedvollen und 48 rasenden Gottheiten, die uns nach dieser Lehre im Bardo-Zustand „der Wirklichkeit“ nach dem Tod begeg- nen, verbirgt sich ein komplettes tan- trisches System mit Vorbereitenden Übungen, Erzeugungsstufe und detail- lierter Einführung in die Natur des Geistes nach dem Dsogtschen-System der Nyingma-Schule. Der Dalai Lama weist in seinem 20-seitigen Vorwort dieses wichtigen Werkes auf wesentli- che Prinzipien des Tantra und der ver- schiedenen Schulrichtungen hin. Jedem Kapitel ist eine kurze Einführung vor- angestellt, die auf Unterweisungen hochrangiger Linienhalter zurückgeht. Viele Textstellen sind wunderbar poetisch formuliert, aber trotz ausführ- lichem Glossar wird man bereits bei der Lektüre der Vorbereitenden Übun- gen spüren, dass sie ohne qualifizier- ten Lama nicht wirklich verständlich sind. Besonders inspirierend lesen sich Kapitel 3 – die Wurzelverse der sechs „Bardos“, die uns dazu anregen, Le- ben, Traum, Meditation, Tod Zwi- schenzustand und Wiedergeburt zu unserer inneren Umwandlung zu nut- zen, – sowie Kapitel 4, das uns eine Ahnung von der Natur des Gewahr- seins gibt, die im Rahmen einer spe- ziellen Lehrer-Schüler-Beziehung zur direkten Erfahrung werden kann. Die speziellen Visualisierungen bleiben hingegen ohne Einweihung und langwierige Übung trocken, die Analyse der Todeszeichen und ihre Gegenmittel sowie die Anweisungen zur Herstellung von Amuletten („Be- freiung durch Tragen“) sind einem westlichen Geist wohl eher befremd- lich und benötigen erfahrene Interpre- tation. Insgesamt ein großartiges Werk, das vor allem großen Respekt und Demut verdient, da es uns Einblicke gibt, die eigentlich nur in langjährigen Lehrer- Schüler-Beziehungen voll zu würdigen sind. Möge es dazu beitragen, dass sich der eine oder andere dazu ent- schließt, nicht nur eine oberflächliche Neugier zu befriedigen, sondern sich die Essenz dieses Schatzes zu er- schließen, solange es noch qualifizier- te Linienhalter gibt. Cornelia Weishaar-Günter DAS TIBETISCHE TOTENBUCH. ERSTE VOLLSTÄNDIGE AUSGABE. HRSG. GRAHAM COLEMANN UND THUPTEN JINPA Arkana, München 2008. 736 Seiten, mit 16 Farbtafeln, 29,95 E Buchbesprechungen

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50 Tibet und Buddhismus 1/09

ÜBER DAS LEBEN DES

CHETSANG RINPOCHE

Selten liest man ein Sachbuch mit dergleichen Spannung wie einen Krimi –bei dieser Lebensbeschreibung desDrikung Chetsang Rinpoche, demOberhaupt der Drikung-Kagyü-Tradi-tion des tibetischen Buddhismus, istdas der Fall. Die Nähe des Autors zuseinem Wurzellama hat zur Authenti-zität des Buches ungemein beigetragen.Seine schriftstellerische Leistung wirddadurch in keiner Weise gemindert.

Im ersten Teil der Biographie des 7.Drikung Chetsang Rinpoche, der 1946in Tibet als Enkel eines Nationalheldenin die berühmte Tsarong-Familie hin-eingeboren wurde, tauchen wir einin das Leben der tibetischen Ober-schicht: Gut 200 Adelsfamilien teilensich mit den Klöstern und dem Staat

Grund und Boden, Leibeigene undeinen riesigen Viehbestand – aus heu-tiger Sicht ein Missstand. Der Autorschildert dieses vernetzte Dasein, dasauch im Exil weiter besteht, mit sei-nem Luxus und seinen Intrigen ohnedie Überhöhungen, wie sie die Bio-graphien anderer Mitglieder dieser Fa-milie prägen. Das gilt auch für das Le-ben des aufgeweckten, immer zuStreichen aufgelegten jungen Rinpo-che, der eine große Liebe zu Pflanzenund Tieren entwickelt.

Der hochinteressante mittlere Teildes Buches schildert das Leben desRinpoche zwischen 1959 und 1975 inLhasa. Der Drikung-Regent, der dortmit den Besatzern zusammenarbeite-te, hatte ihn als Adoptivsohn zu sichgenommen und dafür gesorgt, dass erdie Schule besuchte. Er lernt schnell,spricht fließend Chinesisch und ist be-geisterter Sportler. Zu religiösen Studi-

en gibt es weder Zeit noch Gelegen-heit, aus der Politik hält sich der Rin-poche heraus.

1966 bricht die Kulturrevolution aus– ihre Blutspur erreicht auch Tibet, undStudenten der Lhasa-Mittelschule wer-den Rotgardisten. 1968 tritt die Revo-lution in eine neue Phase ein: Jugend-liche werden zu harter körperlicher Ar-beit in die Kommunen geschickt. Auchhier wird der Rinpoche, dessen wahreIdentität nur wenige kennen, respek-tiert. Er fährt im Sommer Gülle undhandelt im Winter in Lhasa mit Uhren– Perspektiven gibt es nicht. So ent-schließt er sich 1975 zur Flucht.

Der von vielen Totgeglaubte reistüber Dharamsala zunächst für dreiJahre zu seiner Familie in die USA,lernt Autofahren und Englisch, arbei-tet bei McDonalds und anderswo undbeschäftigt sich mit der wechselvollenGeschichte seiner Tradition, die ein

NEUE ÜBERSETZUNG DES

TIBETISCHEN TOTENBUCHS

Diese Prachtausgabe des TibetischenTotenbuchs, herausgegeben von demrenommierten Tibetisch-ÜbersetzerThupten Jinpa, ist eine wahre Fund-grube – und zwar für eine spezielleGruppe von Praktizierenden des tibe-tischen Buddhismus: Für diejenigen,die dieses ausführliche System auf derGrundlage des Guhyagarbha-Tantra(Indien 6. Jh.) und seiner Interpreta-tion durch Padmasaµbhava und sei-nen tibetischen Schatzfinder KarmaLingpa (Tibet 14. Jh.) unter qualifizier-ter Anleitung üben können.

Es wird schnell deutlich, dass diefrüher publizierten Ausgaben des Ti-betischen Totenbuchs, die im Westenso populär wurden, nur einen sehr be-schränkten Ausschnitt dieser Lehrenzeigten. Hinter den 42 friedvollen und48 rasenden Gottheiten, die uns nachdieser Lehre im Bardo-Zustand „derWirklichkeit“ nach dem Tod begeg-nen, verbirgt sich ein komplettes tan-trisches System mit VorbereitendenÜbungen, Erzeugungsstufe und detail-lierter Einführung in die Natur des

Geistes nach dem Dsogtschen-Systemder Nyingma-Schule. Der Dalai Lamaweist in seinem 20-seitigen Vorwortdieses wichtigen Werkes auf wesentli-che Prinzipien des Tantra und der ver-schiedenen Schulrichtungen hin. JedemKapitel ist eine kurze Einführung vor-angestellt, die auf Unterweisungenhochrangiger Linienhalter zurückgeht.

Viele Textstellen sind wunderbarpoetisch formuliert, aber trotz ausführ-lichem Glossar wird man bereits beider Lektüre der Vorbereitenden Übun-gen spüren, dass sie ohne qualifizier-ten Lama nicht wirklich verständlichsind. Besonders inspirierend lesen sichKapitel 3 – die Wurzelverse der sechs„Bardos“, die uns dazu anregen, Le-ben, Traum, Meditation, Tod Zwi-schenzustand und Wiedergeburt zuunserer inneren Umwandlung zu nut-zen, – sowie Kapitel 4, das uns eineAhnung von der Natur des Gewahr-seins gibt, die im Rahmen einer spe-ziellen Lehrer-Schüler-Beziehung zurdirekten Erfahrung werden kann.

Die speziellen Visualisierungenbleiben hingegen ohne Einweihungund langwierige Übung trocken, dieAnalyse der Todeszeichen und ihreGegenmittel sowie die Anweisungen

zur Herstellung von Amuletten („Be-freiung durch Tragen“) sind einemwestlichen Geist wohl eher befremd-lich und benötigen erfahrene Interpre-tation.

Insgesamt ein großartiges Werk, dasvor allem großen Respekt und Demutverdient, da es uns Einblicke gibt, dieeigentlich nur in langjährigen Lehrer-Schüler-Beziehungen voll zu würdigensind. Möge es dazu beitragen, dasssich der eine oder andere dazu ent-schließt, nicht nur eine oberflächlicheNeugier zu befriedigen, sondern sichdie Essenz dieses Schatzes zu er-schließen, solange es noch qualifizier-te Linienhalter gibt.Cornelia Weishaar-Günter

DAS TIBETISCHETOTENBUCH. ERSTEVOLLSTÄNDIGE AUSGABE. HRSG. GRAHAMCOLEMANN UNDTHUPTEN JINPAArkana, München2008. 736 Seiten,mit 16 Farbtafeln,29,95 E

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Spiegelbild der Jahrhunderte langenMachtkämpfe in Tibet zwischen denverschiedenen Schulen ist. Und er be-greift: Die Jahre in Lhasa waren einePraxis in Geduld und Mitgefühl.

1978 geht er nach Indien und La-dakh und widmet sich dem Aufbauder dortigen maroden Drikung-Klös-ter. Er macht das klassische Drei-Jah-res-Retreat in Lamayuru und erhältnach und nach alle Belehrungen, Ein-weihungen und Ermächtigungen, dieer zur Ausübung seiner Funktion

braucht. In Dehra Dun baut er einneues Stammkloster, eine große Bib-liothek und zuletzt ein Kolleg.

Er interessiert sich für Sprachstudi-en, veröffentlicht unbekannte Manu-skripte aus den Höhlen von Dunhuangund anderswo und kümmert sichauch um den Wiederaufbau seinerKlöster in Tibet. Seine unermüdlichenAktivitäten, Ausdruck von Körper,Sprache und Geist eines vollendetenMeisters, wie der Autor schreibt, füh-ren zur weltweiten Anerkennung des

Drikung-Ordens mit heute etwa 200Klöstern und 80 Zentren in aller Welt. Egbert Asshauer

ELMAR GRUBER: AUSDEM HERZEN TIBETS.DAS FASZINIERENDELEBEN DES DRIKUNGCHETSANG RINPOCHESuhrkamp/EditionO.W. Barth, Frankfurt2007. 432 S., 24,90 E

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51Tibet und Buddhismus 1/09

LANDKARTE FÜR DEN GEIST

Der Buddhismus wird manchmal die„Wissenschaft vom Geist“ genannt.Hellmuth Hecker zeigt mit seinemBuch in eindrucksvoller Weise, wasmit dieser inneren Wissenschaft ge-meint ist. Auf der Basis der Lehrredendes Påli-Kanons stellt er akribisch dieverschiedenen Geistesfaktoren zusam-men, welche die vielgestaltige innereWelt ausmachen. Dabei geht es Heckernicht um bloße Wissensvermittlung,sondern darum darzulegen, welcheKräfte an das Leiden binden und wel-che vom Leiden befreien.

Der Autor teilt die Geistesfaktorenin Anlehnung an die frühen Schriftenin Gruppen ein: die grundlegendenGeistesgifte („Triebe“) wie Gier, Hassund Verblendung, „die Zehn Fesseln“– sowohl in Form von Hindernissenauf anfänglichen und höheren Stufender Praxis –, die „Hemmungen“ und„die Triebflüsse“. Jeder einzelne Geis-tesfaktor in jeder Gruppe wird aus-führlich erklärt anhand des Begriffs,

der Definition, der Bedeutung undder Gleichnisse aus den S•tras desBuddha.

Dieses Buch ist wie eine Landkartezur Erkundung des eigenen Geistes,insbesondere um die Geistesgifte inihren zahlreichen Schattierungen auf-zuspüren. Die Faktoren auf der heilsa-men Seite kommen leider etwas kurz.Eine Kategorie wie die Elf Heilsamen,die Asa‡ga im Rahmen seiner 51 Geis-tesfaktoren nennt, fehlt leider. Dabeiwäre es sehr nützlich, sich auch mitBegierdelosigkeit, Hasslosigkeit usw.vertraut zu machen.

Manchmal fällt die Abgrenzung derFaktoren nicht leicht: Was unterschei-det die Begierde in der Gruppe derTriebe von der Begierde innerhalb derHemmungen? Was mit dem Faktor„Überschätzen von Tugendwerk“ ge-meint ist, wird nicht ganz klar. Klar istnur, dass Hecker den Abschnitt darübernutzt, um gegen religiöse Rituale undkaritatives Handeln zu polemisieren.

Im Abendland, so Hecker gering-schätzig, zeige sich dieser Bewusst-seinszustand in „sozialen, karitativen

und politischen Geschäftigkeiten“. Erlässt sich sogar zu der Aussage hinrei-ßen: „Was als Friedensdemonstrationbegann, endet nur zu oft in Krawal-len.“

Obwohl Hecker zuvor Liebe undMitgefühl als Mittel gegen den Hass insFeld führt, bleiben diese Tugendendoch etwas abstrakt. Jeder hat sich umsein eigenes Heil zu kümmern. Dazujedenfalls bietet Hecker – trotz dieserWermutstropfen – eine systematischeund fundierte Anleitung auf der Basisintensiven Studiums und lebenslangerPraxis.Birgit Stratmann

HELLMUTH HECKER:DIE PSYCHOLOGIE DERBEFREIUNG. DERBUDDHA UND DIETRIEBE. Verlag Beyerlein &Steinschulte,Stammbach 2006.310 S., 18 E

40 JAHRE TIBET-INSTITUT RIKON

Der tibetische Buddhismus hinterfragtauf grundsätzliche Weise die Geistes-haltung der westlichen Moderne, undumgekehrt wird er ebenso von derwestlichen Denkweise herausgefor-dert, so lesen wir im Vorwort des Bu-

ches Tibetisches Juwel. Gemeint istmit diesem Juwel nicht nur der Schatzder tibetischen Kultur, sondern spe-ziell das Tibet-Institut Rikon in derSchweiz. Ohne Übertreibung lässt sichsagen, dass diese namhafte Institutioneines der ersten und bis heute wichtig-sten Klöster des tibetischen Buddhis-

mus im Westen ist. Seit seiner Grün-dung und Einweihung durch die bei-den Hauptlehrer des Dalai Lama, LingRinpoche und Trijang Rinpoche vornunmehr 40 Jahren, ist es ein Ort desDialogs zwischen dem Buddhismus ti-betischer Prägung und der westlichenDenk- und Vorstellungswelt. Dem Ti-

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bet-Institut als Ort dieses Dialogs istnun anlässlich des 40-jährigen Jubilä-ums das vorliegende Werk gewidmet.

Der thematische Bogen spannt sichvon der Schilderung des Lebens imKloster, den Dienst des Instituts an derGemeinschaft der Tibeter im west-lichen Exil über den Dialog mit demWesten bis hin zum Tibet-Institut alsStätte der Forschung, der Auseinander-setzung der Mönche und des Buddhis-mus mit den Naturwissenschaften. Daerzählen tibetische Mönche, was sieüber das Leben im Westen denken,

über das Christentum und darüber, wiedie Lehren des Buddha hier aufgenom-men werden. Tibeter in der Schweizerzählen von ihrem ganz persönlichenBezug zu dem Kloster. Ein Beitrag the-matisiert den Dialog zwischen Bud-dhismus und Christentum. Ein Artikelüber die zukünftigen Herausforderun-gen im Gespräch zwischen Buddhis-mus und Naturwissenschaften stammtaus der Feder des Chemie-Nobelpreis-trägers 1991 Richard Ernst.

Das ansprechend gestaltete Buchbietet auch mit zahlreichen Abbildun-

gen ein lebendiges Bild des facetten-reichen Lebens am Tibet-Institut, die-ser hochinteressanten Schnittstellezwischen tibetischem Buddhismusund westlicher Moderne.Olaf Lismann

TIBET INSTITUT RIKON,SCHWEIZ (HRSG.):TIBETISCHES JUWEL.BUDDHISMUS UNDWESTLICHE WELT IMGESPRÄCH. Werd Verlag, Zürich2008. 191 S., 36,30 E

KRIMI AUS DEM WAHREN

BUDDHISTISCHEN LEBEN

Leser lieben Regionalkrimis, und dasseit Jahren. Endlich ist einer erschie-nen, der regionales Flair mit einerWeltanschauung verbindet, die Bud-dhisten nahe steht: Tödliches Karma,der Erstlingskrimi der Journalistin undRundfunkautorin Ingrid Strobl, lässtuns eintauchen in die Gefühls- und Ge-dankenwelt der Protagonistin: KatjaLeichter lebt als Freie Journalistin inKöln und hat im tibetschen Buddhis-mus ihren spirituellen Weg gefunden.Sie bemüht sich nach Kräften, den Dhar-ma in ihren Alltag zu integrieren, medi-tiert mehr oder weniger regelmäßig undversucht, ihre Wut und ihren Ärger mit

dem Gegenmittel der Geduld zu zügeln.Ihr Herz schlägt Bodhisattva-mäßig

kräftig zum Wohle aller Wesen. Dochwie für die meisten von uns ist auchfür Katja die buddhistische Theorieerst mal nur grau beziehungsweise ro-benrot, und sie findet sich non stoppden Verlockungen des Saµsåra ausge-setzt. Sie raucht – nicht nur Zigaret-ten, trinkt – nicht nur Bier –, träumt –nicht unbedingt vom Nonnendasein:Katja ist alles andere als buddhistisch-fromm. Schnoddrig, pragmatisch undselbstironisch stolpert sie den Pfadbuddhistischer Tugend entlang – mit-ten in einen Mordfall hinein.

Turbulent, aktionsreich und mit sehrviel Hintergrundwissen (als Journalistinhat Ingrid Strobl sehr intensiv im Dro-gen- und Prostituiertenmilieu recher-

chiert), entführt uns die Autorin nichtzuletzt auch in die Psyche heutiger Bud-dhisten, die hin- und hergerissen zwi-schen der neuen Sicht auf Geist undWirklichkeit und alter (kleinbürgerli-cher) Konditionierungen einen Eier-tanz zwischen Achtsamkeit, Bodhisatt-vagedanken, Mantrarezitation und auf-müpfigen Widerstandsgedanken gegenGott, Buddha und die Welt vollführen.Andrea Liebers

INGRID STROBL:TÖDLICHES KARMA.Emons Verlag, Köln2008. 256 Seiten,9,90 E

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52 Tibet und Buddhismus 1/09

BUDDHISTISCHE HILFESTELLUNG

(NICHT NUR) FÜR TEENAGER

Ein wirklich informatives und inspirie-rendes Buch, das alle wichtigen Aspek-te der buddhistischen Belehrungen be-handelt und nicht nur für Teenager,sondern durchaus auch für Erwachse-ne lesenswert ist.

Verständlich und mit Beispielen ver-sehen, beginnend mit der Lebensge-schichte Buddhas, erfährt der Leser vielüber die grundlegenden buddhistischenLehren. Auch Fragen danach „Wie wer-

de ich Buddhist“ oder „Wie kann ichmeditieren“ werden behandelt. DasWichtigste an diesem Buch sind The-men wie Sexualität, starke Emotionenund der Umgang damit, das Zusammen-leben mit anderen, den rechten Lebens-unterhalt zu finden, sich als Buddhistauch sozial zu engagieren. In dieserBandbreite bekommen Jugendliche einewirklich fundierte Grundlage, um mitihrer Situation zu arbeiten. Dieses Buchkann als Ratgeber durch alle Höhenund Tiefen der Pubertät hilfreich sein.

Schade nur, dass es von der Aufma-chung – und manchmal auch von der

Wortwahl her – etwas bieder rüber-kommt und deswegen vielleicht wenigansprechend für die anvisierte Altersgrup-pe ist. Etwas mehr „Pep“ würde hier guttun, um die jungen Leser zu erreichen.Ariane Will

DIANA WINSTON:SIDDHARTA WIRDERWACHSEN – WIEMAN MIT BUDDHISMUSDIE PUBERTÄT ÜBERLEBTO.W. Barth, 349 S.,13,90 E

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53Tibet und Buddhismus 1/09

TIBET: WISSEN WAS STIMMT?

Knapp, kompakt und dabei das Wich-tigste auf den Punkt gebracht, das istder Anspruch der Herder-Reihe „Wis-sen was stimmt“, in der das Buch desSchriftstellers und Buddhisten UliFranz über Tibet erschienen ist. DerBand überzeugt zunächst durch seineHerangehensweise: Fakten von Projek-tionen zu unterscheiden ist ein wich-tiges Anliegen des Autors. So prüft er,wie Tibet im Abendland wahrgenom-men wurde, wie Reisende, aber auchvorbelastete Ideologen, etwa die Theo-sophen oder die Nazis, das Land fürsich in Anspruch nahmen. Danach folgtein Kapitel über die Tibeter im Exil. Eshat seine Stärken, wenn Franz in dieGeschichte eintaucht, um etwa die ti-betische Nationalfahne zu erklären oderwenn er die Lehren des Dalai Lamakurz zusammenfasst. Es wird jedochoberflächlich, wenn es um die aktuel-len Strukturen im Exil geht. Mit denverschiedenen politischen Gruppie-rungen und Auseinandersetzungenscheint Franz kaum vertraut zu sein.

Der tibetische Kulturraum machtden Hauptteil des Büchleins aus. Kul-tur, Religion, Geschichte, Medizin, derAlltag unter der chinesischen Besat-zung und deren Folgen werden dar-gestellt. Dabei macht der Autor ausseiner Sympathie für das tibetischeVolk keinen Hehl. Zur großen Stärkedes Buches gehört dabei, dass es nichtsverschweigt, aber gleichzeitig daraufverzichtet, die Tibeter ausschließlichals Opfer zu sehen.

Andererseits enthält der kleineBand aber auch viel – zu viel – Be-fremdliches. Das fängt bei den Begrif-fen an: Von „Rotchinesen“ sprachenkalte Krieger in den 1960er Jahren;„lebende Buddhas“ ist ein Begriff derchinesischen KP; dass der Dalai Lamakein „Gottkönig“ ist und Heinrich Har-rer nicht sein „ausländischer Lehrer“war, sollte sich zumindest unter Tibet-Kennern herumgesprochen haben.Ganz abwegig wird es dann, wenn z.B.behauptet wird, der Dalai Lama selbsthabe zu der Delegation gehört, die imMai 1951 in Peking das 17 Punkte-Ab-kommen paraphiert habe, und ebenso

wenig traf der Dalai Lama bei seinerFlucht 1959 in „Himachal Pradesh“ein. Tezpur im Bundesstaat Assam warseine erste Station in Indien.

Fehler dieser Art sind zahlreich, undsie schmälern die Lust an der Lektüreerheblich. Der Verdacht drängt sichauf, dass der Band nach den Unruhenin Tibet vom März 2008 auf dieSchnelle produziert wurde, weil manvon der großen medialen Aufmerk-samkeit für Tibet profitieren wollte.Dabei ist leider einiges an „Wissen wasstimmt“ auf der Strecke geblieben.Klemens Ludwig

ULI FRANZ: TIBET.WISSEN WAS STIMMTHerder Verlag,Freiburg 2008. 127 S., 7,95 E

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