Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie€¦ · Burnout, existential Analysis and...
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Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie Abschlussarbeit für die Ausbildung in Logotherapie und existenzanalytischer Beratung und Begleitung Mai 2008 Eingereicht bei: Frau Chistine Wicki, CH-6314 Unterägeri Frau Therese Jones, CH-3032 Hinterkappelen Angenommen: am am Vorgelegt von: Ernst Bai Mattenstrasse 74 CH-8330 Pfäffikon Burnout – aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai.
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Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie Zusammenfassung / Abstract Ausgehend von einer persönlichen Erfahrung mit Burnout, geht es zunächst um
grundlegende Gedanken zur Existenzanalyse und Logotherapie, speziell in Bezug
auf Burnout. Nebst den vier Grundmotivationen, werden Definition und Symptome
von Burnout unter allgemeinen und existenzanalytischen Gesichtspunkten
dargestellt. Es wird aufgezeigt, wie es aus existenzanalytischer Sicht zur
Erschöpfung und zum Erfüllungsdefizit kommen kann. An einem Praxisbeispiel wird
deutlich, wie bei einem Burnout alle vier Grundmotivationen betroffen sind. Bei der
Beratung und Prophylaxe geht es zunächst um verhaltenstherapeutische
Massnahmen, dann um die existenzanalytische Behandlung von Burnout. Wichtige
Aspekte sind dabei: Sinnerfüllung und Werteverwirklichung, Leben mit Zustimmung,
Stimmigkeit und innerer Erfüllung. Am Schluss wird hingewiesen auf die
psychotherapeutische Methode der Personalen Existenzanalyse (PEA), mit deren
Hilfe die Ressourcen der Person unmittelbar mobilisiert werden.
Schlüsselwörter: Burnout. Existenzanalyse und Logotherapie. Der Burnout-Prozess. Grundmotivationen. Nicht-existentielle Lebenshaltung. Erfüllungsdefizit vs.
Erfüllung. Hingabe. Existentieller Sinn. Existentielles Vakuum. Beratung und
Prävention. Verhaltensorientierte Massnahmen. Sinnerfüllung und
Werteverwirklichung. Leben mit Zustimmung. Stimmigkeit. Innere Erfüllung.
Abstract Based on a personnel experience with burnout issues need to be considered first the
fundamental ideas about Existential Analysis and Logotherapy, especially how they
relate to burnout situations. In addition to the four fundamental motivations,
definitions and symptoms of Burnout are defined in general and Existential Analysis
perspective. It is from this perspective how physical depression and deficit in
fulfillment can be explained. A practical experience is used to show how in burnout
situations all four fundamental motivations are involved. The goals of counselling and
prevention are first behavioral measures, then an Existential Analytical treatment of
burnout. Important aspects are: Meaningful life and realization of values, living in
accordance with the inner self, congruency and inner fullfillment. In closing it is
Burnout – aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai.
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shown how psychotherapeutic methods of the Personal Existential Analysis (PEA),
will be used to mobilize the resources of the person himself. Key Words: Burnout, existential Analysis and Logotherapy, The Process of Burnout, Fundamental
Motivations, non-existential attitude in life, Fullfillment vs. Deficit in Fullfillment, inner
commitment, Existential Meaning, Existential Vacuum, Counselling and prevention,
Behavioural Measures, Meaningful life and realization of values, Living in accordance
with the inner self, Congruency, Inner Fullfillment.
___________________________________________________________________
Gedicht von Eugen Roth "Ich geh' in meinen Pflichten auf!"
Doch bald darauf, nicht mehr so munter,
geht er in seinen Pflichten unter!
Burnout – aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai.
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Inhaltsverzeichnis
Seite: 1. Einleitung: Was mich zu diesem Thema motivierte 1
2. Vorbemerkungen: Grundlegende Gedanken zur Existenzanalyse und
Logotherapie, speziell in Bezug auf Burnout 2 3. Definition und Symptome von Burnout unter allgemeinen
Gesichtspunkten 5 4. Definition und anthropologische Hinweise von Burnout unter
existenzanalytischen Gesichtspunkten 7 5. Wie kommt es aus existenzanalytischer Sicht zur Erschöpfung,
zum Erfüllungsdefizit? 8 5.1. Hergabe statt Hingabe 8
5.2. Zweckgerichtetheit statt Erfüllung 9
5.3. Schein-Sinn statt existentiellem Sinn 9
5.4. Das existentielle Vakuum 10
5.5. Defizite im Bereich der vier Grundmotivationen 11
5.6. Praxisbeispiel: Herr Xaver 12
6. Beratung und Prophylaxe 14 6.1. Verhaltensorientierte Massnahmen 14
6.2. Existenzanalytische Behandlung von Burnout 15
6.2.1. Sinnerfüllung und Werteverwirklichung 15
6.2.2. Leben mit Zustimmung 17
6.2.3. Stimmigkeit und innere Erfüllung. (Authentisch leben) 17
7. Schlussbemerkung 18 8. Literaturverzeichnis 20
Burnout – aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai.
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1. Einleitung: Was mich zu diesem Thema motivierte Es sind zwei Gründe, die mich zu diesem Thema motiviert haben. Zunächst werde
ich in meiner Tätigkeit als Lebensberater, die ich im Kontext der ERF Medien1
ausübe, immer wieder mit diesem Thema konfrontiert. Im Weiteren ist es eine
Burnout-Erfahrung, die ich selber vor etlichen Jahren gemacht habe. Die
herausfordernde und jahrelange Aufgabe als Pfarrer in einer freikirchlichen
Gemeinde hat mich mehr beansprucht als ich wahrhaben wollte. Ich liebte meine
Arbeit. Den nahen Kontakt zu den Gemeindegliedern erlebte ich einerseits als schön
und erfüllend. Anderseits gab es gewisse Anzeichen von Erschöpfung, die ich jedoch
kaum beachtete. Ich war ja gesund und trieb regelmässig Sport. Zudem gab es
Erfolge bei der Arbeit. Das spornte mich an, mein Bestes zu geben. Es war der
positive Stress (Eustress), der mich antrieb. Diese Art von Stress erlebte ich, wenn
ich eine Situation als Herausforderung ansah. Und Herausforderungen gab es in
meinem Beruf viele. Dabei meinte ich die Dinge im Griff zu haben. --- Im Gegensatz
zum Eustress2 steht der Distress. Er wird als der negative Stress bezeichnet, der uns
schadet und zur Krankheit führt. Dieser Stress entsteht in jenen Situationen, die wir
gemäss unserer Einstellung nicht unter Kontrolle haben, also dann, wenn uns die
Situation im Griff hat. Ziel wäre nun, vom negativen zum positiven Stress zu
kommen. Aber Achtung! Auch der positive Stress ist nicht nur positiv. Er kann sich
ebenfalls negativ auswirken. Auf Dauer werden auch hier die Reserven erschöpft und
es kann zum Burnout und zur Krankheit kommen. Das ist mir zugestossen. Im Alter
von 39 Jahren erlitt ich einen Herzinfarkt. Waren dafür die Erschöpfungssymptome
verantwortlich? Habe ich mich zu sehr verausgabt? Hatte ich ein Burnout aufgrund
aufgebrauchter Ressourcen, oder waren es mehr die genetischen Faktoren, die dazu
geführt haben? (Bereits mein Vater hatte mit massiven Herzproblemen zu kämpfen,
und starb dann auch an einem Infarkt.) Letzte Fragen bleiben offen. Die vorliegende
1 ERF (Evangelium in Radio und Fernsehen). ERF Medien umfassen in der Schweiz die grösste Fachredaktion im Bereich Glaube und Gesellschaft. Als internationales Medienunternehmen produzieren sie TV- und Radiobeiträge für das In- und Ausland zu Themen rund um den christlichen Glauben. ERF Medien betreibt das Kabelradio Life Channel. 2 "Wie auch die Stressforschung (u.a. Mitterauer und Harrer 1983) zeigt, haben wir zwischen "Eustress" und "Distress" zu unterscheiden. Während ersterer lebenserhaltend und lustvoll wirken kann, die Vigilanz und damit die Leistungsfähigkeit erhöht (die auch nötig ist, um Ziele und Werte zu verwirklichen), wirkt der "Distress" leistungshemmend und wird als Unlustgefühl wahrgenommen" (Längle, Probst 1993, 68).
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Arbeit, und damit die Auseinandersetzung mit dem Thema Burnout aus
existenzanalytischer Sicht, haben mich sensibilisiert für einen noch aufmerksameren
Umgang mit den eigenen Ressourcen auf mögliche Überlastungen und
Überforderungen, sowie auf eine nicht-existentielle Lebenshaltung.
2. Vorbemerkungen: Grundlegende Gedanken zur Existenzanalyse und Logotherapie, speziell in Bezug auf Burnout. Existenzanalyse (EA) wird erlebnisbezogen definiert als „ein psychotherapeutisches Verfahren, das zum Ziele hat, den Menschen zu befähigen, mit innerer Zustimmung
zum eigenen Handeln und Dasein leben zu können" (Längle 2001, Lehrbuch 1, 10).
Der Mensch erlebt sein Leben als erfüllt, wenn er es mit Zustimmung leben kann. Mit
Hilfe der EA soll der Mensch seinen Platz im Leben finden, damit er seine
Fähigkeiten optimal entfalten kann. Er soll sich fühlen können, wie ein Fisch im
Wasser. Das erleichtert ihm die Zustimmung zu dem, was er tut und letztlich zum
Leben selbst. Kriterium der Existenz ist es somit: "sich in das Leben hineingeben zu
können, sich einlassen und engagieren zu können, mit Hingabe leben zu können, die
Sache zu seiner machen zu können, wie Karl Jaspers es formulierte" (Längle 2001,
Lehrbuch 1, 10). Wie aber kommt es zu einem erfüllten Leben, zu einer erfüllten
Existenz? Dazu nötig ist der dialogische Austausch mit der Welt. "Ein gutes (erfülltes)
Leben hat man nicht aus sich heraus, aber auch nicht ohne sich"… "Existenz kann
also als erfüllt angesehen werden, wenn der Mensch mit seiner Welt in einem
dialogischen Austausch steht und auf der Grundlage dieses Austausches sich so
verhält und handelt, dass er zu sich selbst und zu seinem Tun eine innere
Zustimmung geben kann" (Längle 2001, Lehrbuch 1, 16f). Was sind die
Voraussetzungen für eine erfüllte Existenz? Sie lassen sich durch vier einfache
Fragen feststellen, die zugleich die Zugänge zu den vier Grundmotivationen von
A. Längle beschreiben:
"Kann ich (so) leben? (Warum nicht? Was fehlt? Was bräuchte ich? Was habe ich?)
Mag ich (so) leben? (Fragen wie oben)
Darf ich (so) leben? Ist es richtig? (Fragen wie oben)
Soll ich (so) leben? Will ich so leben? (Fragen wie oben)" (Längle 2001,
Lehrbuch 1, 18). Aufgabe der Existenzanalyse ist es, die existentielle Wirklichkeit des
Menschen zu erhellen. Analyse meint „Erhellung, Klärung der Lebensumstände auf
lebenswerte Möglichkeiten hin. Ihre Verwirklichung nennen wir Existenz" (Stumm,
Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 2
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Wirth 1994, 187). Im Zentrum der EA steht der Mensch, der für das Gelingen der
verschiedenen Lebensbereiche selbstverantwortlich ist. Die Existenzanalyse ist von
daher ein wirksames Instrument, um Haltungen und Lebenseinstellungen bewusst zu
machen, die zu einem Burnout führen können. Zugleich verhilft sie dazu, mit
Zustimmung leben zu können. Sie ist Analyse auf ein lebenswertes Leben hin.
Logotherapie (LT) (logos = Sinn) ist Begleitung und Mithilfe in der Sinnsuche. Logotherapie darf deshalb nicht verwechselt werden mit "Logopädie", einem
Sprachheilverfahren. „Frankl bezeichnete die Logotherapie als ‚Sinnlehre gegen die
Sinnleere’“ (Längle, Probst 1993, 13). Logotherapie ist demnach "sinnzentrierte
Psychotherapie" (Frankl); (Stumm, Wirth, 1994, 188). Heute gilt die Logotherapie als
Spezialgebiet der Existenzanalyse. Viktor Frankl, dem Begründer der LT, lag diese
Therapieform besonders am Herzen. Er betonte besonders stark die noetische3
Dimension des Menschen. Die Stärke der LT liegt in der Hilfe für die Bewältigung von
Krisen, zum Beispiel bei Burnout, belastenden Lebenssituationen, unheilbaren
Krankheiten und schweren Verlusten (Todesfall). Angewandt wird sie aber auch in
verschiedenen Lebensphasen: Pubertät, Midlife-Crisis, Pensionierung. Ein grosses
Anwendungsgebiet ist die Prophylaxe psychischer Störungen und Sinnverluste, wie
zum Beispiel bei Burnout und existentiellem Vakuum.4 Die theoretischen
Ausführungen zur Logotherapie sind an Frankl selbst hart erprobt worden. „Er wurde
als Jude von den Nazis in vier Konzentrationslager verschleppt. Nur knapp entkam er
mehrmals dem Tod, verlor aber seine ganze Familie bis auf eine Schwester. Dass
Frankl überlebt hatte, war auf seinen unbedingten Lebenswillen und seinen
unerschütterlichen Sinnglauben zurückzuführen“ (Längle, Probst 1993, 14). Trotz der
äusserst harten Lebensbedingungen hat Frankl erfahren, dass sein Leben dennoch
sinnvoll sein kann, weil er ein „Wofür“ zum Leben hatte. „So fand der Satz von
Nietzsche seine Bestätigung 'Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie’
– ein Leitmotiv der Logotherapie“ (Längle, Probst 1993, 14). --- "Kurz gesagt, geht es
in der Existenzanalyse um ‚Lebensfindung’ und in der Logotherapie um ‚sinnvolle
Lebensgestaltung’“ (Längle 1999a, 42). Die lebenspraktische Definition von
EA und LT:
EA: „Das Ja zum Leben finden.“ LT: „Trotzdem Ja zum Leben sagen.“ (Längle, Lehrbuch 1, 11) 3 Gemeint ist die geistige Dimension, die den Menschen über das Tier erhebt. (Vgl. dazu Pkt 4. S. 7) 4 Das existentielle Vakuum ist ein tiefes Sinnlosigkeitsgefühl. (Vgl. dazu Pkt 5,4. S. 10)
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Theoretisch stützt sich diese Abschlussarbeit auf das Konzept der Existenzanalyse
und Logotherapie nach V. Frankl, sowie deren Weiterentwicklung durch A. Längle.
Durch ihn wurde das Konzept von V. Frankl ausgestaltet, die Grundbedingungen
erfüllter Existenz systematisiert und Methoden für die praktische
psychotherapeutische Arbeit entwickelt. Gemäss A. Längle hat Existenz im
eigentlichen Sinn vier Grundbedingungen. Sie werden auch bezeichnet als die vier
existentiellen Grundmotivationen des Menschen. Die folgenden vier Punkte sind
zitiert aus dem Buch (Längle, Sulz 2005, 46-51):
1. Grundfrage der Existenz (Dasein-Können) "Ich bin - kann ich sein?" Die Frage zielt darauf ab, ob wir unter diesen Bedingungen und mit diesen Möglichkeiten in "unserer Welt" überhaupt Platz nehmen können? Dafür braucht der Mensch Schutz, Raum und Halt. - Fehlen diese, entstehen Unruhe, Unsicherheit, Angst. Durch die Erfahrung von Schutz, Raum und Halt erhalten wir Vertrauen in die Welt, aber auch in uns selbst, vielleicht sogar in Gott.
2. Grundfrage des Lebens (Wertsein-Mögen) "Ich lebe - mag ich aber leben?" Ist es gut, dazusein? Es sind nicht immer nur die Belastungen und Leiden, die die Lebensfreude nehmen. Oft sind es die Flachheit des Alltags und die Unachtsamkeit der Lebensführung, die das Leben schal machen. Um das Leben mögen zu können, um es lieben zu können, brauchen wir wiederum dreierlei: Beziehung, Zeit und Nähe. --- Das Erleben von Nähe, Zeit und Beziehung bringen ein Schwingen mit der Welt und mit sich selber, in der die Tiefe des Lebens spürbar wird. Diese Erfahrungen bilden den Grundwert des Daseins, das tiefste Gefühl für den Wert des Lebens.
3. Grundfrage des Personseins (Sosein-Dürfen) "Ich bin ich - darf ich so sein?" Habe ich das Recht, so zu sein, wie ich bin, und mich so zu verhalten, wie ich mich verhalte? Es ist die Ebene der Identifikation, der Selbstfindung und Ethik. Um sie zu bewältigen braucht der Mensch Beachtung, Rechtfertigung und Wertschätzung. - Fehlt ihm dieses, so entstehen Einsamkeit, sich Verstecken hinter der Scham, und es entwickelt sich Hysterie. - Hat der Mensch diese drei Bedingungen, dann findet er zu seiner Authentizität, zu Trost und Selbstrespekt.
4. Sinnfrage der Existenz (Den Sinn finden) "Ich bin da - wofür ist es gut?" Dafür braucht der Mensch dreierlei: Ein Tätigkeitsfeld, einen Strukturzusammenhang und einen Wert in der Zukunft. - Fehlt uns dies, so entstehen Leere, Lebensfrustration, sogar Verzweiflung und nicht selten eine Sucht. Ist es da, ist man fähig zur Hingabe und zum Handeln, schliesslich zu einer Form von Religiosität. Die Summe dieser Erfahrungen machen den existentiellen Sinn des Lebens aus, führen zur Lebenserfüllung.
Der Mensch ist stets bemüht, sich diese vier Grundbedingungen zu erhalten, weil er
ohne sie einen Verlust an Existentialität (und Lebensqualität) erfährt. Kommt es in
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diesen Bereichen zum Defizit, so kann dies zu einem Burnout führen. Vergleiche
dazu Pkt. 5,5 Seite 11 (Defizite im Bereich der vier Grundmotivationen.)
3. Definition und Symptome von Burnout unter allgemeinen Gesichtspunkten Es war der deutschstämmige amerikanische Psychoanalytiker Herbert
Freudenberger, der 1974 in einem Aufsatz den Begriff "Burnout" prägte. Dieser
Begriff wurde darauf hin in den USA rasch populär. Freudenberger wurde auf eine
Problematik aufmerksam, die sich hauptsächlich auf professionelle Helfer bezog. Er
beobachtete, wie aus opferbereiten, pflichtbewussten und engagierten Helfern häufig
Mitarbeiter wurden, die den Klienten gegenüber leicht reizbar und zynisch wurden.
Besonders auffallend waren die Symptome der Erschöpfung. Diese Veränderung
wurde als "Burnout" (= "Ausbrennen") bezeichnet. Er beschrieb Burnout als „einen
Energieverschleiss, eine Erschöpfung aufgrund von Überforderungen, die von innen
oder von aussen – durch Familie, Arbeit, Freunde, Liebhaber, Wertsysteme oder die
Gesellschaft – kommen kann und einer Person Energie, Bewältigungsmechanismen
und innere Kraft raubt“ (Freudenberger, North (1992, 27). Zum Burnout kann es
kommen, "wenn sich der Betroffene auf einen Fall, eine Lebensweise oder eine
Beziehung einlässt, die den erwarteten Lohn nicht bringt" (Freudenberger, Richelson
1983, 34). Es handelt sich also nicht um eine gewöhnliche Arbeitsmüdigkeit, sondern
um eine tiefgreifende chronische Erschöpfung. Burnout tritt da ein, wo ein Mensch
über lange Zeit zu viel Energie abgibt bei ungenügendem Energienachschub. Es ist
wie bei einem Auto, bei dem die "Batterie" nicht nachgeladen wird. Irgendwann geht
das Licht aus, das Radio, die Scheibenwischblätter und alle möglichen Funktionen
versagen ihren Dienst. Ein Warnlicht macht den Fahrer auf den Mangel aufmerksam.
Da beim Menschen ein solches Warnlicht fehlt, merkt er oft lange Zeit nicht, dass
seine Batterie nicht ausreichend nachgeladen wird. Stattdessen arbeitet er immer
weiter, zerrt von den noch vorhandenen Reserven und beutet diese aus. Betroffene
merken zwar, dass irgendetwas nicht stimmt und es ihnen nicht gut geht. Aber sie
denken, durch vermehrte Kraftanstrengung wieder alles in den Griff zu bekommen.
Und irgendwann ist dann der Punkt erreicht, wo nichts mehr geht. Idealismus,
Arbeitseifer und Begeisterung verwandeln sich in einen Zustand chronischer
Erschöpfung. Das geschieht oft über die Jahre hinweg. Gekennzeichnet ist der
Erschöpfungszustand durch Antriebs- und Leistungsschwäche,
Gedächtnisstörungen, Niedergeschlagenheit und Müdigkeit. Hinzu kommt eine
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erhöhte Anfälligkeit für Infektionen und verschiedene psychosomatische
Beschwerden. Prof. Dr. M. Burisch (2005), einer der Burnout-Experten im
deutschsprachigen Raum, hat die Symptome in sieben Gruppen zusammengefasst: 1. Warnsymptome der Anfangsphase
• Gesteigerter Einsatz für Ziele, Zunahme der Überstunden. Erschöpfung oder vegetative Überreaktion.
2. Reduziertes Engagement
• Reduzierte soziale Interaktion, negative Einstellung zur Arbeit, Konzentration auf den eigenen Nutzen.
3. Emotionale Reaktionen
• Insuffizienzgefühle, Pessimismus, Schuldzuschreibung an Andere bzw. an „das System“.
4. Abbau und Verflachung
• Abbau von kognitiven Fähigkeiten, Motivation, Kreativität und Differenzierungsfähigkeit. Verflachung des emotionalen und sozialen Lebens und kognitiver Interessen.
5. Psychosomatische Reaktionen
• Spannung, Schmerzen, Schlafstörungen. In der Freizeit ist keine Erholung mehr möglich, Veränderte Essgewohnheiten. Medikamentmissbrauch.
6. Existentielle Verzweiflung
• Gefühl von Sinnlosigkeit, negative Lebenseinstellung, Depression, Suizidgedanken oder -absichten.
Diese Auflistung kann als Werkzeug für die Selbstreflexion von Arbeitsbelastungen
und Ressourcen dienen: Sehe ich gewisse Anzeichen bei mir? Wie oft kommt das
vor? In welchen Situationen? Aus welchen der beschriebenen Phasen stammen die
Anzeichen, die ich bei mir wahrnehme? Weiterführend kann überlegt werden, welche
Strategie zur Reduktion der Belastungen führen könnte. --- Zusammenfassend kann
gesagt werden: Zum Burnout-Syndrom gibt es weder ein einheitliches Verständnis,
noch eine abschliessende Definition. Und was die finanziellen Folgen anbetrifft
macht das Seco folgende Angaben.5
5 Gemäss einer Studie des Staatssekretariates für Wirtschaft (Seco), kommen Burnout und Stress die Schweiz teuer zu stehen. Das Seco schätzt die volkswirtschaftlichen Kosten auf 4,2 Milliarden Franken pro Jahr. Darin enthalten sind 2,4 Milliarden für Arbeits- und Produktionsausfall, 1,4 Milliarden für Arztkosten und 0,4 Milliarden für Medikamente (Bilanz).
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4. Definition und anthropologische Hinweise von Burnout unter existenzanalytischen Gesichtspunkten. "Unter Burnout verstehen wir einen arbeitsbedingten anhaltenden
Erschöpfungszustand" (Längle 1997, 12). Heutige Definitionen werden weiter
gefasst. Nebst den Helferberufen, zeigt sich Burnout in allen Berufsarten und
Beschäftigungsstufen. Als gefährdet gelten Personen, deren Tätigkeit ein hohes
Mass an Kommunikation und menschlicher Zuwendung erfordert. Dazu zählen unter
anderem Ärzte, Pflegende, Sozialarbeiter, Lehrer, aber auch Familienfrauen und
berufstätige Mütter. Auch die Angst vor Arbeitsplatzverlust fördert Stress- und
Burnoutsymptome. Die Ursachen sind vielfältig, z.B. Unter- oder Überforderung, zu
wenig Lob für Leistungen, das Gefühl ungerecht behandelt zu werden, Verlust des
Gemeinschaftserlebens, Erleben von Kontrollverlust oder Wertekonflikte. Von der
Erschöpfung betroffen ist zunächst das eigene Befinden, und in unmittelbarer Folge
das Erleben, und dann auch die Entscheidungen, Einstellungen, Haltungen und
Handlungen. Betroffen sind alle drei Dimensionen des Menschseins, wie sie Frankl
(1959) in seiner Anthropologie beschrieben hat:
Somatische Dimension: körperliche Schwäche, funktionelle Störungen (z.B. Schlaflosigkeit) bis zu Krankheitsanfälligkeiten. Psychische Dimension: Lustlosigkeit, Freudlosigkeit, emotionale Erschöpfung, Reizbarkeit. Noetische Dimension: Rückzug von Anforderungen und Beziehungen, entwertende Haltungen zu sich und zur "Welt". --- Unter dem Noetischen versteht Frankl die geistige Dimension des Menschen, und zwar "die Dimension der spezifisch menschlichen Phänomene" (Frankl 1987, 230). Konkret gehören dazu, das Streben nach Sinn, die Freiheit und Verantwortlichkeit, die Fähigkeit des Menschen, Stellung zu beziehen und aus dieser heraus in Beziehung treten zu können. Weil der Mensch ein geistiges Wesen ist, ist er in seinen Handlungen nicht festgelegt. Person ist somit „das Freie im Menschen“ (Frankl 1990, 226). --- Das Noetische ist nicht zu verwechseln mit dem Intellekt. Bei anhaltender Störung zeigt sich eine verminderte Lebenskraft, die einhergeht mit
einem Gefühl der inneren Leere und einer geistigen Orientierungslosigkeit. Zur Leere
hinzu, kommt früher oder später ein Sinnlosigkeitsgefühl, das sich auf das ganze
Leben auswirken kann, also auf Arbeit, Freizeit und Privatleben. Schliesslich wird das
ganze Leben davon erfasst.
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5. Wie kommt es aus existenzanalytischer Sicht zur Erschöpfung, zum Erfüllungsdefizit? Allgemein gesehen, wird Burnout oft mit einer Überlastung oder Überforderung
erklärt. Und das führt dann zur emotionalen Erschöpfung, zur Versachlichung der
Beziehung und zum Verlust des Selbstvertrauens, verbunden mit einer
Leistungseinbusse. „Existenzanalytisch fragen wir natürlich nach der spezifischen
Haltung dem Leben gegenüber, die sich dahinter findet“ (Längle 1997, 15). Egal ob
uns die Haltung bewusst oder unbewusst ist, sie zeigt die subjektive Auffassung dem
Leben gegenüber. Die Überforderung geschieht also nicht von ungefähr, sondern
aufgrund der Haltung und des Lebensentwurfes. Die folgenden Punkte sollen diesen
Sachverhalt verdeutlichen.
5.1. Hergabe statt Hingabe Unter "Existenz" verstehen wir das wirklich vollzogene "ganze" Leben. "Ganz" ist der
Mensch gemäss Existenzanalyse nicht aus sich selbst. „Ganz Mensch ist der
Mensch eigentlich nur dort, wo er ganz aufgeht in einer Sache, ganz hingegeben ist
an eine andere Person“ (Frankl 1987, 201). „Darin unterscheidet sich das
Menschenbild der EA von jenen psychotherapeutischen Menschenbildern, die diese
existentielle Dimension des Menschseins ausblenden" (Stumm, Wirth 1994, 187).
Leben mit Hingabe bedeutet, dass ich mich „hin“ gebe, es ist lokalisierbar. Es ist
auch das Wort „Gabe“ darin enthalten. Ich gebe mich hin, zum Beispiel der Natur, der
Musik, dem Kochen oder Wandern. Ich weiss wo ich bin, und wo ich mich hingebe.
Es ist aktiv. Ich unterwerfe mich den Bedingungen der Situation. Ich nehme das
Risiko auf mich. Ich setze mich ein, und damit auch aus. Und zwar mit dem Risiko
verkannt und verletzt zu werden. Im Gegensatz dazu steht die Hergabe. Ich tue
dabei etwas, vielleicht der Sache zuliebe, aber ohne innerlich wirklich dabei zu sein.
Ich tue etwas ohne meine innere Überzeugung, vielleicht weil ich dazu überredet
worden bin oder weil es von mir erwartet wird. Oder weil ich dazu instrumentalisiert
worden bin. Solche Arbeit bereitet einem keine Freude. Ich gebe her, und gehe dabei
leer aus. Ich bin passiv, innerlich nicht wirklich dabei, und darum macht es mich leer,
weil ich mich verliere. Die Folge davon kann ein Burnout sein.
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5.2. Zweckgerichtetheit statt Erfüllung Es liegt im Trend unserer Zeit, dass alle über Ziele sprechen, die es zu erreichen gilt.
Grundsätzlich ist nichts gegen eine zielgerichtete Lebensorientierung einzuwenden.
Problematisch wird es jedoch da, wo die Zielgerichtetheit vor der Wert-Orientierung
steht. Viele meinen, es komme im Leben nur auf das Erreichen von Zielen an, und
nur dann sei das Leben wertvoll und lebenswert. Was für eine Illusion. Wer nur
seinen Zielen nachjagt, geht am eigentlichen Leben vorbei, verliert den Blick für die
erfüllenden Werte seiner Existenz. Es geht dann nicht mehr um bewusst erlebte
Inhalte, sondern nur noch um das Erreichen von gesteckten Zielen, die durch den
Mangel an innerer Beziehung ohne Leben sind. Und so verliert das eigene Leben an
Lebenswert. Es kommt zur reduktionistisch zweckorientierten Lebenseinstellung.
Fazit: Die Tätigkeit wird Mittel zum Zweck, längst bevor die Burnout-Symptome
sichtbar werden. Der Eigenwert wird zum Nutzwert. Die Freude an der Arbeit geht
verloren. Es ist die zielorientierte, nicht existentielle Lebenshaltung, die einen
innerlich unerfüllt lässt, und den "emotionalen Tod" zur Folge hat. Die Arbeit wird
zwar getan, aber ohne inneren Bezug. Sie wird "erledigt", um sie weg zu haben.
Vielleicht ist sie auch Ersatz für die fehlende Nähe und das Berührtsein von Werten.
Und so wird der Mensch leblos, leer. Der eigentliche Schaden ist die
Beziehungslosigkeit, den die Person sich selbst und der Umgebung zufügt. Es
kommt zu einem Verlust an Lebens-Werten, und mündet ein in die Depression.6
5.3. Schein-Sinn statt existentieller Sinn „Logotherapeutisch betrachtet, kann das Burnout mit einem Defizit an echtem,
existentiellem Sinn erklärt werden. Ein existentieller Sinn hat nämlich die
Charakteristik, dass er zu innerer Erfüllung führt“ (Längle 1997, 13). Doch, was
verstehen wir unter existentiellem Sinn? Es ist das, was unser Leben erfüllt, was uns
eine tiefe innere Befriedigung gibt. Trotz Müdigkeit und Erschöpfung hält diese
Befriedigung an, weil sie von uns als wert- und sinnvoll empfunden wird. Im
Gegensatz dazu steht das Leben, das nur einem scheinbaren Sinn nachgeht. Dazu
gehört zum Beispiel das Verfolgen der eigenen Karriere, sozial anerkannt und
akzeptiert werden usw. Wer auf dieser Schiene fährt, geht erlebnismässig in die
6 "Ein echtes Burnout" sagt Wulf Rössler, Leiter des Lehrstuhles für klinische und soziale Psychiatrie an der Universität Zürich "lässt sich kaum von einer Depression unterscheiden" (Bilanz, S. 82).
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Leere. Ein solches Leben wird kräfteraubend und stressig. Statt Freude und innere
Erfüllung über das Geschaffene wird bestenfalls Stolz über die Leistung empfunden.
Stolz aber wärmt und nährt nicht. Selbst Erholung und Entspannung ersetzen dann
die Leere nicht, in die man sich immer wieder neu hineinmanövriert.
Logotherapeutisch gesehen, fehlt der existentielle Sinn für sein Handeln. "Was zu
kurz kommt, ist die personale Erfüllung. Burnout kann daher als eine Störung der
Befindlichkeit bezeichnet werden, die aus einem Erfüllungsdefizit entsteht“ (Längle
1997, 13).
5.4. Das existentielle Vakuum Frankl schreibt, dass der heutige Patient nicht mehr so sehr wie zur Zeit von Alfred
Adler an einem Minderwertigkeitsgefühl leidet, sondern an einem abgründigen
Sinnlosigkeitsgefühl.
"Dieses Sinnlosigkeitsgefühl geht nun mit einem Leeregefühl einher, das ich
als "existentielles Vakuum" bezeichnet habe" (Frankl 1987, 202).
Wir leben in einer Zeit der Individualisierung, wo sich uns eine Fülle von
Möglichkeiten und Freiheiten anbieten. Nur schon das Freizeitangebot ist enorm, und
wir stehen vor der Qual der Wahl. Welches Ferienziel soll ich wählen? Und was soll
ich dort machen? Wir sind zwar frei zu entscheiden, aber ohne zu wissen "wozu"
diese Freiheit gut sein soll, kommen wir auf die Dauer zu einem unerträglichen
Leeregefühl, das zur Qual werden kann. Frankl sprach in diesem Zusammenhang
von der "Sonntagsneurose", "Weekenddepression", die dann zum Vorschein kommt,
wenn die berufliche Betriebsamkeit für eine gewisse Zeit zum Stillstand kommt.
Frankl hat dieses Leeregefühl, das gepaart ist mit einem abgründigen
Sinnlosigkeitsgefühl, "existentielles Vakuum" genannt. Davon betroffen sind auch
Jugendliche und Arbeitslose, die trotz grosser Bemühungen keinen Job finden. Sie
geraten leicht in eine existentielle Frustration. Es ist gerade die Not, in der der
Mensch vermehrt nach dem Sinn fragt. Das frustrierende Leeregefühl hat auch zu
tun mit dem Rückgang an religiösen Bindungen und Traditionen, mit dem Verlust von
konstanten Beziehungen (Familie).
"Im Gegensatz zum Tier sagen dem Menschen keine Instinkte, was er muss,
und im Gegensatz zum Menschen von gestern sagen dem Menschen von
heute keine Traditionen mehr, was er soll. Nun, weder wissend, was er muss,
noch wissend, was er soll, scheint er oftmals nicht mehr recht zu wissen, was
Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 10
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er im Grunde will. So will er denn nur das, was die anderen tun -
Konformismus! Oder aber er tut nur das, was die anderen wollen -
Totalitarismus" (Frankl 1985, 13; zitiert in Längle 1987, 29).
Das existentielle Vakuum ist zwar keine Krankheit. Hält es jedoch an, findet der
Mensch über längere Zeit keinen Sinn, so wirkt sich das krank machend aus. Es
kann zum Burnout führen.
5.5. Defizite im Bereich der vier Grundmotivationen Grundlegende Entstehungsbedingung für ein Burnout ist eine nicht-existentielle
Lebenshaltung, die meistens in einem Defizit personal-existentieller
Fundamentalstrebungen gründet. Es geht um eine latente Bedürftigkeit im Bereich
der vier Grundmotivationen.7
1. GM: Dasein-Können. Aus dem erlebten Mangel an Raum, Halt und Schutz entstehen die Gefühle von Verunsicherung und Bedrohung. Eine Folge davon kann
sein, dass jemand überangepasst lebt, verbunden mit der Tendenz zu erhöhter
Gehorsamsbereitschaft. So funktioniert z.B. der Mechaniker völlig widerspruchslos
an seinem Arbeitsplatz. Er ist empfänglich für starr gewordene Tätigkeiten. Er findet
seinen Halt im Angenommensein durch das System. Er klammert sich an die
geordneten Tätigkeiten, um darin Halt zu finden, und sich diesen "gesicherten
Lebensraum" erhalten zu können.
2. GM: Wertsein-Mögen. Der hier empfundene Mangel führt zu Beziehungsangst und blockierter Emotionalität. Selbst bei emotionaler Überlastung fühlt man sich
verpflichtet. Es zeigt sich ein starkes Verantwortungsgefühl, wie es oft vorkommt bei
Menschen in helfenden Berufen. Eigene Bedürfnisse werden hinten angestellt. Man
spürt sich und den eigenen Wert nicht mehr. Anstelle der Hingabe an eine Sache, an
eine Aufgabe, kommt es zur Hergabe und zum Helfersyndrom. Was dabei fehlt, ist
das innere Ja zum Tun und zum Leben, das der Mensch führt. Diese
Beziehungslosigkeit führt in die Leere.
3. GM: Sosein-Dürfen. Der Mangel in diesem Bereich tangiert die Anerkennung des
Eigenen. Die Rechtfertigung der eigenen Existenz vor sich und Anderen gerät in
Gefahr, ebenso der Selbstwert. Daraus erwächst die Bereitschaft, auf
selbstwertsteigernde Angebote einzugehen, also z.B. Karriere zu machen, viel Geld
zu verdienen, sich nebenberuflich oder ehrenamtlich zu betätigen. Mangel an
7 Grundlegende Informationen zu den vier Grundmotivationen: Seite 4
Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 11
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Selbstwert kann den Menschen in eine Sucht nach Anerkennung treiben, was zu
Distress oder Eustress führen kann. Ziel ist es, die eigene Existenz vor sich und
Anderen zu rechtfertigen. Bei Fremdbestimmung und Unfähigkeit zur Abgrenzung,
und wenn Entscheidungen nicht gewissenhaft getroffen werden, wird die personale
Sinnfindung verhindert. Daraus resultiert das von Frankl beschriebene "existentielle
Vakuum“ (Frankl 1987, 31ff). Die in unserer Zeit zunehmenden Sinnlosigkeitsgefühle,
"hängen oft mit Störungen der Ich- und Selbstbildung bzw. Selbstwertbildung"
zusammen (Längle 1999b). „Defiziente Selbstfindung, Selbstentfremdung, fehlende
Identifikation und mangelnde Authentizität führen zu innerer Leere“ (Petzold, Orth
2005, 6). Diese Probleme werden als Grundlage für das „existentielle Vakuum“
angesehen.
4. GM: Den Sinn finden. Kommt es zur Bedürftigkeit in diesem Bereich, der ja die drei vorangehenden Grundmotivationen zur Voraussetzung hat, so versteht der
Mensch den übergreifenden Kontext nicht, in den er eingebunden ist. Es droht die
Gefahr, sich einem Scheinsinn oder Sinnersatz zuzuwenden, also zum Beispiel
Modeströmungen, gesellschaftlich anerkannten Zielen, Ideologien usw. Apathie und
Verzweiflung können die Folge sein, wie sie etwa auch Freudenberger & North
(1992) für die letzten Stadien des Burnout-Zyklus beschrieben haben.
5.6. Praxisbeispiel: Herr Xaver Ein körperlich behinderter Mann (Xaver, 50) kommt in die Beratung, weil er - wie er
selber sagt - an psychosomatischen Störungen leidet. Von seinen Eltern wurde er
nicht gerade liebevoll behandelt. Körperkontakt gab es kaum. Bei aller Pflege, die er
brauchte, wurde er kalt und distanziert behandelt. Musste er zu einem Arztbesuch,
wurde er in den Bus gesteckt, ohne Begleitung. Sein Vater sagte mehr als einmal zu
ihm „Du bist uns eine Last.“ Der Vater war zudem sehr fordernd. Er setzte ihn immer
wieder unter Druck. "Gib dir Mühe, sonst schaffst du es nicht. Du musst…" In der
Schule musste er Bestleistungen erbringen, was ihm trotz allen Bemühungen nicht
gelang. Und so ist das Leben dieses Mannes ein ständiger Kampf ums Dasein. Er
entwickelte überhöhte Ansprüche an sich, so neigte er zum Perfektionismus. Obwohl
er behindert ist, arbeitet er zu 100%, und verzichtet bewusst auf eine IV. Er ist
überaus aktiv und tüchtig. Er gönnt sich kaum Ruhe. Er hat das Gefühl, dauernd
schuften und arbeiten zu müssen. "Ich muss mehr leisten, um auf den gleichen Level
wie die Gesunden zu kommen." Er arbeitet auch am Feierabend. Aus Angst, seine
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Stelle verlieren zu können, nimmt er jeweils Arbeitsunterlagen mit nach Hause, um
bis in die Nacht hinein daran zu arbeiten. In seinen Ferien besucht er oft
Tagesschulen und Weiterbildungskurse. Dabei hat er sich überfordert. Eine weitere
Überforderung zeigt sich bei ihm darin, dass er sich am Arbeitsplatz nicht abgrenzen
kann. Er wird zum Helfer für jedermann, auch was persönliche Anliegen und Sorgen
der Mitangestellten betrifft. Damit fühlt er sich überfordert. Er wird krank und zeigt
psychosomatische Störungen. Alles deutet auf ein Burnout hin. Es ist, als wäre ein
Sklaventreiber in seinem Innersten, der ihn dauernd zu Höchstleistungen antreibt,
und ihm keine Ruhe gönnt. Aber wer nie zur Ruhe kommt, wer nicht Sein kann, und wer nicht Sein-lassen kann, lebt gefährlich (1. GM). Betrachten wir dieses Beispiel anhand der 4 Grundmotivationen, so sind alle vier
Grundmotivationen tangiert:
1. GM: Raum, Schutz und Halt hat Xaver in seiner Kindheit nur mangelhaft erfahren. Er wurde weitgehend sich selber überlassen. Weil er nicht Sein kann, nicht Dasein
kann, kommt er innerlich nicht zur Ruhe. Sichtbar wird ein Aktivismus, der zum
Perfektionismus führt und der ihm Halt vermittelt. Es folgt die Überforderung, und
schliesslich das Burnout.
2. GM: Betroffen ist auch der Lebenswert. Er entsteht durch Zuwendung und Nähe, wodurch die emotionelle Wärme im Subjekt entsteht. Störungen auf dieser Ebene
zeigen sich in blockierter Emotionalität, in Beziehungsangst und emotionaler
(depressiver) Überlastung. Solche Menschen sind empfänglich für helfende Berufe.
Burnout ist die Sinnkrise der Helfenden. Xaver meint, allen Mitarbeitenden helfen zu
müssen (Helfersyndrom). Als Folge kommt es zur Überforderung. Ersichtlich wird
zudem eine mangelhafte Ausbildung des Grundwertes. Niemand gab ihm je das
Gefühl "Es ist gut, dass es dich gibt."
3. GM: In diesem Bereich geht es um die Anerkennung des Eigenen, des Selbstwertes und der Rechtfertigung der eigenen Existenz vor sich und Anderen.
Xaver vergleicht sich ständig mit den Gesunden, und kann nicht zu sich und seinen
Grenzen stehen, kann sich nicht schätzen. Es wird deutlich: Wie ich bin, ist es nicht
gut. Als Folge davon, strengt sich Xaver über die Masse an, um diese Anerkennung
einzufordern.
4. GM: Hier geht es um das Finden von Sinn, um die Einordnung des eigenen Lebens in einen grösseren Zusammenhang, in dem man sich selbst verstehen kann.
Xaver erlebte seine Bemühungen weitgehend als sinnlos. Er zweifelte an sich, an
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den Mitmenschen und an Gott. Er kann die 4. GM nicht leben. Voraussetzung dazu
wäre, dass die GM 1-3 erfüllt sind.
Fazit: "Hinter jedem Burnout steht eine Dynamik, deren Wurzeln existenzanalytisch mit den personal-existentiellen Grundmotivationen im Zusammenhang stehen.
Dadurch sind die Voraussetzungen für ein existentielles Leben nicht gegeben, und
der Mensch kann nicht mit innerer Zustimmung leben. (Ein solches Leben bringt
Stress mit sich). Beschreibt man Stress existentiell, so liegt ihm allemal ein fehlendes
Einverständnis mit der unmittelbaren Tätigkeit zu Grunde. Dies ist existenzanalytisch
die tiefste Wurzel von Stress: etwas zu tun, ohne es wirklich zu wollen und mit dem
Herzen dabei zu sein ("dis-konkordantes Leben")“ (Längle 1997, 16).
6. Beratung und Prophylaxe 6.1. Verhaltensorientierte Massnahmen Als Grundregel kann genannt werden:
1. Auf seinen Körper hören
Das bedeutet ausreichend schlafen, gesund essen, sich häufig bewegen (wandern,
joggen, schwimmen usw.), Pausen während der Arbeit einlegen und lernen „Nein-zu-
Sagen.“ Als hilfreich erweisen sich meditative Praktiken oder Entspannungsübungen.
Entspannen heisst nicht irgend etwas tun, sondern nichts tun, sich loslassen,
innehalten und verweilen können. Sich auf sich selbst besinnen, bei sich ankommen,
stille werden. Die Muskeln entspannen, den Atem ruhig werden lassen. Bei sich, bei
einem inneren Bild oder Wort verweilen. Das Wort wiederholen, das Bild meditieren.
2. Abwechslung und soziale Kontakte
Abwechslung und soziale Kontakte verhelfen zu einem ausgewogenen Spannungs-
und Entspannungserlebnis.
3. Klare Abmachungen im Bezug auf die Arbeitssituation. Zeitmanagement.
Zur Verbesserung der Arbeitssituation sollen klare Abmachungen getroffen werden
(Stellenbeschrieb), Aufklärung über die Geschäftsgänge), dies verhindert Über- oder
Unterforderungszustände. Spekulationen über einen eventuellen Arbeitsverlust
können so zum Vornherein ausgeräumt werden. --- Zeit und Arbeit sorgfältig planen,
sind weitere Massnahmen. Viele Menschen haben eine Abneigung gegen das
Verplant-Sein. Aber nur sorgfältiges Planen ermöglicht es, sich Erholungsräume
freizuhalten, und sich die Zeit für Reflexion zu nehmen. Je hektischer der Alltag,
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umso wichtiger sind Phasen der Ruhe. Dadurch lassen sich die Dinge aus einer
souveränen Distanz betrachten.
6.2. Existenzanalytische Behandlung von Burnout Zunächst werden, wie oben erwähnt, die verhaltensorientierten Massnahmen
angewendet. In einem weiteren Schritt werden die Defizite im Bereich der
Grundmotivationen erhellt und behandelt. "Damit verlagern wir die Aufmerksamkeit
von den äusseren Bedingungen auf die Haltung zum Leben und auf die Sinnstruktur,
nach der das subjektive Leben ausgerichtet wird" (Längle 1997, 18). Konkret geht es
um die Anleitungen zu einem sinnvollen, authentischen Leben. In erster Linie arbeitet
die Existenzanalyse an existentiellen Haltungen und situativen Einstellungen. In
diesem Zusammenhang sind folgende Aspekte wichtig:
6.2.1. Sinnerfüllung und Werteverwirklichung Wie bereits ausgeführt, ist es gerade die mangelnde Sinnerfüllung, die ein Burnout
auslösen kann.8 Umgekehrt gilt: Sinnerfüllung ist die beste Prophylaxe vor Burnout.
Wichtige Voraussetzung zur Sinnerfüllung ist jedoch, dass die GM 1-3 erfüllt sind.9
Bei der Prävention und Behandlung von Burnout geht es darum, die Lebenshaltung
und die Einstellung zum Leben genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei
wegweisend sind die typischen existenzanalytischen Fragen:
• Wozu mache ich das?
• Mag ich das tun? Erlebe ich, dass es gut ist, so dass ich es gerne tue?
• Gibt mir die Tätigkeit auch jetzt etwas?
• Will ich dafür leben – will ich dafür gelebt haben? (Längle 1997, 18)
Bei einem Radio-Interview10 zum Thema Burnout fragte ich Dr. med. René Hefti, ob
er vielleicht selber von einem Burnout-Syndrom betroffen sein könnte. Er antwortete:
"Ich habe leichtere Burnout-Phasen erlebt, bei denen ich mich erschöpft gefühlt
habe. Ein schweres Burnout habe ich bis heute nicht entwickelt, und es ist mir nicht
klar, weshalb nicht. Ich habe meine Frau gefragt, warum das so ist, und sie
antwortete spontan: 'Du hast immer noch Spass an deiner Arbeit'. Damit hat sie
recht, sie hat den Punkt getroffen, und vor allem sehe ich auch einen Sinn dabei." An 8 Vgl. S. 9, Pkt. 5.3. Schein-Sinn statt existentieller Sinn 9 Vgl. S. 12: 4. GM: Denn Sinn finden 10 Radiosendung auf Life Channel
Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 15
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diesem Beispiel wird deutlich, wie Prävention von Burnout aussehen kann: Zunächst
ist es der Spass, also die Freude an der Arbeit. Damit soll nicht gesagt werden, dass
Arbeit immer - und unter allen Umständen - Freude bereiten muss. Längle (1997, 18)
stellte dazu die Faustregel auf: "Wer mehr als die Hälfte der Zeit mit Dingen
beschäftigt ist, die er nicht gerne tut, wo er nicht mit dem Herzen bei der Sache ist
oder woran er keine Freude hat, der muss früher oder später mit einem Burnout
rechnen." --- Zurück zum Beispiel von oben: Zur Freude hinzu kommt der Sinn. Wer
die Frage nach dem Sinn seines Tuns beantworten kann, der hat schon viel getan
gegen Burnout. Dieses Ziel erreicht man jedoch nicht durch ein paar
Entspannungsübungen, sondern über Wachstumsprozesse. Viktor Frankl, der
Begründer der sinnzentrierten Psychotherapieform, hat mit Nachdruck darauf
hingewiesen, dass Sinn oder Glück nicht "gegeben" oder "verschrieben" werden
kann, sondern sich ereignet und einstellt, wenn persönliche Werte verwirklicht
werden. Frankl spricht von der "Vollzugswirklichkeit" absichtlichen Handelns. "Erst
die gefühlsmässige Intention von Werten kann dem Menschen wahre Freude
machen" (Frankl 1987, 72). Es hängt letztlich vom Menschen selbst ab, ob sein
Leben existentiellen Sinn hat. Frankl beschreibt in der Logotherapie drei
"Hauptstrassen" zum Sinn. Er weist darauf hin, dass der Mensch in allen
Lebenssituationen und unter allen Bedingungen Sinn finden kann. Allen "Strassen"
gemeinsam ist, dass es sich um Werte handelt.
1. Schöpferische Werte Bei den schöpferischen Werten, geht es um das „Setzen einer Tat oder Schaffen eines Werkes“ (Längle 2001, 234). Damit kann vieles gemeint sein, wie zum Beispiel für jemanden eintreten, eine Arbeit ausführen, ein Bild malt, einen Kuchen backen usw. Im Vordergrund steht die konkrete Tat. Wenn der Mensch erlebt, dass dadurch etwas Wertvolles entsteht, dann erlebt er Sinn. 2. Erlebniswerte Bei den Erlebniswerten geht es um die Hingabe an die Schönheit von Natur, Kunst oder Musik. Was wir als schön, wertvoll, packend und beglückend erfahren, empfinden wir in der Regel als sinnvoll. Dazu gehört auch der Kontakt zu anderen Menschen, und damit verbunden die Liebe, beides macht für uns Sinn. 3. Einstellungswerte Um eine konstruktive Einstellung zum Leiden, um die Haltung wie Tapferkeit im Leiden, geht es bei den Einstellungswerten. Bei unheilbarer Krankheit, Tod von Angehörigen, vollzogene Trennung vom Partner usw. stehen wir in der Gefahr, alles als sinnlos zu bezeichnen. Diese Haltung kann überwunden werden durch eine veränderte Einstellung dazu. Durch sie soll das Unglück eingedämmt werden, damit es nicht noch mehr Schaden anrichtet. Nicht mehr
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Arbeit oder Erleben ist hier gefragt, sondern einzig die Haltung zum Leben. Wie gehen wir mit dem Leid um? Und für wen kann es noch von Bedeutung sein? --- Diese drei "Hauptstrassen" bilden die grundsätzlichen Möglichkeiten des Menschen, Sinn im Leben zu finden (Frankl 1987, 81ff).
6.2.2. Leben mit Zustimmung Wie bereits erwähnt, geht es bei der EA darum, den Menschen zu befähigen, dass er
mit innerer Zustimmung leben und handeln kann.11 Die Realität des Lebens zeigt
jedoch, dass es immer wieder Situationen gibt, wo wir ohne innere Zustimmung
leben. Vielleicht tun wir gewisse Dinge aus übersteigertem Pflichtbewusstsein, oder
wir können nicht Nein sagen. Es besteht dabei die Gefahr, dass wir uns selber
übergehen. Die Folge ist eine nicht-authentische Lebensweise. Ich mache etwas,
damit es gemacht ist, damit die Sache "erledigt" ist. Aber wer viel erledigt, ist bald
einmal selbst "erledigt". Es ist ein Leben ohne Hingabe.12 Ich bin passiv, innerlich
nicht wirklich dabei, und darum macht es mich leer, weil ich mich verliere. "Die
Entleerung, das Erfüllungsdefizit, die psychische Bedürftigkeit und der Verlust des
Lebensgefühls haben existenzanalytisch gesehen einen gemeinsamen Ursprung. Sie
entstehen letztlich, weil ohne innere Zustimmung13 zum Inhalt der realen Tätigkeit
gelebt wird. Burnout und Stress entstehen durch ein Leben ohne innere Zustimmung
zum Inhalt der Tätigkeit" (Längle 1997, 16).
6.2.3. Stimmigkeit und innere Erfüllung. (Authentisch leben) Mit Stimmigkeit meint die Anthropologie der EA zunächst ein Handeln, das in
Übereinstimmung steht mit sich selbst. "So ist es in meinen Augen richtig - das passt
zu mir. Es ist der schöpferische Akt des sich selbst Schaffens in der je konkreten
Situation" (Längle, 1999b, 24). Es geht um die Abstimmung auf das eigene Wesen.
Zweitens geht es auch um die Stimmigkeit im Bezug auf die anderen Menschen. Wie
verhalte ich mich ihnen gegenüber? Wie würden sie an meiner Stelle, in meiner
Situation entscheiden? Würden sie dasselbe als richtig ansehen, wie ich? Es geht
um subjektive Gewissheit, "sich mit seiner Entscheidung und seinem Verhalten in der
Gemeinschaft mit den anderen Menschen zu wissen" (Längle, 1999b, 24). Drittens
geht bei der Stimmigkeit um eine Über-ein-stimmung zwischen mir und den situativen
Anfragen des Lebens. --- Je häufiger es einem Menschen gelingt, mit innerer
11 Vgl. S. 2. Pkt. 2: Vorbemerkungen: Grundlegende Gedanken zur EA und LT 12 Vgl. S. 8. Pkt. 5.1.: Hergabe statt Hingabe 13 Vgl. S. 14: Fazit: Hinter jedem Burnout steht eine Dynamik…
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Stimmigkeit zu leben, desto stabiler kann seine psychische Verfassung werden. Und
desto weniger gerät er in ein Burnout. Burnoutprophylaxe beginnt also dort, wo wir
einem Menschen dazu verhelfen, ganz bei sich zu sein, still zu werden, mit sich im
Gespräch zu sein. Nötig ist zudem die Arbeit an der Lebenshaltung, zum Beispiel,
dass man es sich wert ist, für sich einzutreten, seine Wünsche und Ansprüche zu
leben. Wo mit Stimmigkeit gelebt wird, kommt es zu einer authentischen,
existenziellen Haltung. Und damit zu einem erfüllten Leben.
7. Schlussbemerkungen Zum Schluss will ich noch auf die psychotherapeutische Methode der Personalen
Existenzanalyse (PEA) hinweisen. Mit Hilfe der PEA können die Ressourcen der
Person unmittelbar mobilisiert werden, was im Zusammenhang mit Burnout von
besonderer Bedeutung ist. Die EA sieht die Grundvoraussetzung für ein gelingendes
Leben darin, dass der Mensch in einer guten Beziehung zu sich selbst und zur Welt
um ihn herum lebt. Im Fokus stehen somit zwei Bereiche, mit denen der Mensch
ständig im Dialog steht. Die "Eigenwelt" und die "Aussenwelt". Zur "Eigenwelt"
gehören der Leib, Selbstbezug, Identität, Gefühlswelt (Psyche), und die
Lebensgeschichte. Zur "Aussenwelt" gehört alles, was auf uns zukommt, was uns
fordert und herausfordert, eine bestimmte Arbeit oder Aufgabe. Ziel der PEA ist es,
den Menschen in einen offenen und dialogischen Austausch zu führen mit den
jeweiligen Gegebenheiten, also mit sich selbst und mit seiner "Aussenwelt". Die
folgende Skizze soll dies verdeutlichen.
2. Stellungnahme
Person
1. Eindruck 3. Ausdruck 1) Im Zentrum steht die Person. Sie ist erreicht durch den Eindruck, von dem sie berührt ist. Sie ist ansprechbar (Eindrucksebene). 2) Die Person wird erkennbar in der Stellungnahme, die sie zu den sie berührenden Eindrücken trifft. Sie ist verstehend (Ebene der Stellungnahme). 3) Die Person ist erlebbar in dem, was sie zum Ausdruck bringt, wie sie antwortet (Ausdrucksebene).
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Beispiel: Jemand fühlt sich ständig unter Stress, ist verärgert über sich und den
Arbeitgeber, weil dieser zu viel fordert.
1. Eindruck: Hier geht es darum, Fühlung zu sich aufzunehmen. Was für Gefühle
bekommen Sie dabei? Was ärgert Sie? Warum ärgert Sie das eigentlich?
2. Stellungnahme: Verstehen Sie, was Sie so ärgert und stresst, warum sich der
Arbeitgeber so verhält? Was halten Sie davon, was er tut und wie Sie reagieren?
Finden Sie es richtig, wie Sie damit umgehen? Was wollen Sie tun?
3. Ausdruck: Was könnten Sie konkret tun? Und wie können Sie das realisieren? Mit
welchen Mitteln können Sie es umsetzen? Wann? Wie viel auf einmal?
(Fragestellungen aus Lehrbuch der EA 4, 116).
Mit Hilfe der PEA wird die Person zu einem authentischen und eigenverantwortlichen
Verhalten mobilisiert. Wenn die Person das tut, wird sie sich selbst. Die PEA ist somit
eine effiziente Methode, um an die eigenen Ressourcen zu gelangen. Zudem kann
sie auf Lebenseinstellungen und Haltungen einwirken und diese verändern.
Seelische Gesundheit, ein sinnerfülltes und gutes Leben wird durch ein
authentisches Handeln bewirkt. Sowohl die PEA als auch die EA wollen dazu
verhelfen, dass der Mensch aus vollem Herzen auch zu dem stehen kann, was er tut.
Und das sind wichtige Voraussetzungen, um ein Burnout zu vermeiden.
__________________________________________________________________
Das Schreiben dieser Abschlussarbeit hat mir Freude gemacht. Ich genoss es, mich
nochmals vertieft mit dem Inhalt der EA und LT auseinander zu setzen. Mein Leiden
begann dort, wo ich beim Schreiben feststellte, dass ich zu viel „Stoff“ hatte. Es blieb
mir nichts anderes übrig, als mir wichtig scheinende Passagen wegzulassen. Das
Positive dabei: Ich musste mich auf das Wesentliche beschränken, die
Kernaussagen beachten und entsprechend einbringen. Sollte dennoch etwas
Wichtiges fehlen, so sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt, dass ich keinen
Anspruch auf Vollständigkeit erhebe.
Beeindruckend war für mich die Feststellung, wie hoch relevant die ausgeführte
Thematik für meine Beratungstätigkeit ist. Immer wieder stosse ich auf Menschen
(vergleiche Beispiel von Herr Xaver), die an einem Erfüllungsdefizit leiden und starke
Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 19
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Burnot-Symptome zeigen. Die theoretischen Ausführungen konnte ich somit immer
gleich in der Praxis erproben. Das empfand ich als besonders hilfreich.
Hilfreich war für mich auch, während dem Schreiben nochmals gründlich meine
eigene Lebenssituation reflektieren zu können. Dabei habe ich bemerkt, wie schnell
ich dazu geneigt bin im Pflichtbewusstsein aufzugehen, und dabei mich selber zu
übergehen. Die nicht-existentielle Lebensweise ist mir bekannt. Im Alltag habe ich
mir selbst immer wieder mal über die Schultern geguckt und mir gesagt: "Was
machst du gerade? Wie geht es dir dabei? Wie kommst du damit zurecht?" Diese
Übung der Selbstwahrnehmung hat mich sensibilisiert auf mögliche Überlastung und
Überforderung. Ich denke, dass ich heute aufmerksamer und sorgsamer mit mir
umgehe. Ich habe gelernt, vermehrt auf meine Stimmigkeit zu achten und öfters auch
Nein zu sagen. Und damit hat sich erfüllt, was ich mir schon ganz am Anfang meiner
Ausbildung in EA und LT gewünscht habe: Eine bessere Lebensqualität!
8. Literaturverzeichnis Bücher: Burisch M (2005): Das Burnout-Syndrom. Theorie der inneren Erschöpfung. Springer-Verlag: Berlin. Frankl V (1987): Aerztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main. Frankl V (1990): Der leidende Mensch. Anthropologische Grundlagen der Psychotherapie. Piper, München. Freudenberger H, Richelson G (1983): Mit Erfolg leben. München, Heyne Freudenberger H., North G (1992): Burn-out bei Frauen. Über das Gefühl des Ausgebranntseins. Krüger-Verlag. Längle A (1987): Sinnvoll leben. Logotherapie als Lebenshilfe. Herder spektrum. Längle A (2001): Viktor Frankl. Ein Porträt. Piper Artikel in Büchern: Längle A, Probst Ch (Hrsg) (1993): Süchtig sein. Entstehung, Formen und Behandlung von Abhängigkeiten. Erweiterter Tagesbericht 1/1993 der GLE. A. Längle: Das Ja zum Leben finden. Wien. 13-32).
Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 20
-
Längle S, Sulz M (Hrsg) (2005): Das eigene Leben. Ein Lesebuch zur Existenzanalyse. A. Längle: Spiritualität in der Psychotherapie? 41-56. Petzold H G, Orth I (Hrsg) (2005): Sinn, Sinnerfahrung, Lebenssinn in Psychologie und Psychotherapie. Bd. II. Bielefeld/Locarno: Aisthesis, pp. 403-460. A. Längle: Das Sinnkonzept V. Frankls - ein Beitrag für die gesamte Psychotherapie. 1-36. Stumm G, Wirth B (Hrsg) (1994): Psychotherapie, Schulen und Methoden. Eine Orientierungshilfe für Theorie und Praxis. A. Längle: Existentiell orientierte Ansätze. Wien: Falter-Verlag, 2. überarb. Auflage. 185-192. Artikel in Zeitschriften: Längle A (1997): Burnout – Existentielle Bedeutung und Möglichkeiten der Prävention. Originalarbeiten. In: Existenzanalyse GLE 2/97, 11-19. Längle A (1999a): Existenzanalyse – Die Zustimmung zum Leben finden. Psychotherapeutisches Seminar. In: Fundamenta Psychiatrica. Schattauer Verlagsgesellschaft. 37-44. Längle A (1999b): Die anthropologische Dimension der Personalen EA (PEA). In: Existenzanalyse GLE 1/99, 18-25. Längle A, (2001): Lehrbücher der Existenzanalyse und Logotherapie, 1-4. Bilanz (19/2007): In "Das Schweizer Wirtschaftsmagazin". Spezial, Stress/Burnout, 82-89. Audio-CD: Radiosendung Life Channel www.lifechannel.ch vom 5.3.2007 zum Thema "Burn-out - am Ende der Kraft". Ernst Bai im Gespräch mit Dr. med. René Hefti.
Burnout - aus Sicht der Existenzanalyse und Logotherapie. Ernst Bai. Seite 21
http://www.lifechannel.ch/