BVDW LF Digitale Pflege 20170301 · Entwicklung und Prognose der Pflegebedürftigen in Deutschland...

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Digitale Pflege Digitalisierung als Schlüssel für ein gutes Leben in einer älter werdenden Gesellschaft

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Digitale PflegeDigitalisierung als Schlüssel für ein gutes Leben in einer älter werdenden Gesellschaft

Der besondere Dank für die Entstehung dieser Publikation gilt den beteiligten Experten.

Digitale PflegeDigitalisierung als Schlüssel für ein gutes Leben in einer älter werdenden Gesellschaft

4 INHALT

VORWORT: DIGITALE PFLEGE 5

DIE DEMOGRAFISCHE HERAUSFORDERUNG 6

DIE CHANCEN DER DIGITALISIERUNG 7

Effizienz, Transparenz und Koordination der Pflegeanbieter 8

Soziale Teilhabe der Pflegebedürftigen 9

Schutz und selbstbestimmtes Leben für Pflegebedürftige 10

Privatsphäre und Datensouveränität schützen 10

Entlastung für Angehörige 11

DIGITALE PFLEGE KONKRET: AUSGEWÄHLTE PRAXISBEISPIELE 12

penrose (USA) und Lindera (Deutschland): der persönliche Pflegeexperte für die moderne Familie 12

eCaring und HomeHero (USA): Vernetzung von Arzt, Patient und Pfleger 12

JUUNA (Deutschland): digitales Aufgaben- und Organisationsmanagement für pflegende Angehörige 13

Raphael dual (Deutschland): maximaler Bewegungsraum bei Demenz 13

Careship (Deutschland): ein Netzwerk an Alltagshelfern 14

Alice (Niederlande): ein liebenswürdiger Pflegeroboter 14

ePEN (Deutschland): effiziente und vernetzte Dokumentation 15

Memore (Deutschland): Zocken gegen Demenz 16

Buurtzoorg (Niederlande): wirkungsvoll, persönlich und digital in den Prozessen 17

Weisse Liste (Deutschland): Wegweiser im Gesundheitswesen 17

AUTOREN 18

BUNDESVERBAND DIGITALE WIRTSCHAFT (BVDW) E.V. 20

FORUM DIGITALE TRANSFORMATION RESSORT IM BVDW 21

IMPRESSUM 22

5VORWORT

DIGITALE PFLEGE

DIGITALISIERUNG ALS SCHLÜSSEL FÜR EIN GUTES LEBEN IN EINER ÄLTER WERDENDEN GESELLSCHAFT

„Ein echter Mensch wäre mir lieber“, sagte die ältere Dame skeptisch, als ihr die Wissenschaftler den kleinen Pflegeroboter Alice an den Tisch setzten. Verständlich, denn kann eine digitale Lebens-gefährtin wirklich fehlende menschliche Zuwendung wettmachen? Wie wird die Mensch-Maschi-ne-Interaktion funktionieren? Bei dem Pilotprojekt in den Niederlanden ließ sich die ältere Dame dennoch auf das Experiment ein – und mit der Zeit wuchs Alice ihr tatsächlich ans Herz.

Ein echter Mensch wäre uns wohl allen lieber. Aber die Zahl der Pflegebedürftigen steigt und an Fachkräften herrscht Mangel. Jede Entlastung des Pflegesystems können wir daher mehr als be-grüßen. Hier können und sollen digitale Dienste und Technologien den Menschen sicherlich nicht ersetzen, aber doch sinnvoll und wertvoll ergänzen. Als Schlüssel für ein gutes Leben in einer älter werdenden Gesellschaft hilft die Digitalisierung, Effizienz und Qualität in der Pflege zu verbessern, Pflegekräfte ebenso wie Angehörige zu entlasten und den Pflegebedürftigen ein selbstbestimmtes Leben auch im höheren Alter zu ermöglichen.

Bereits heute ist die Pflege ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der im demografischen Wandel noch an Bedeutung gewinnen wird. Bei der Digitalisierung hinkt die Pflege aber deutlich hinterher. Dabei könnten digitale Innovationen viele neue Chancen eröffnen.

Das Lab Digitale Pflege im Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V. (BVDW) beschreibt in dieser Broschüre sehr eingängig anhand praktischer Beispiele, wie die Digitalisierung hilft und helfen kann, die demografische Herausforderung in der Pflege zu meistern. Dabei zeigt sich klar: Die Alternative heißt nicht „Maschine oder Mensch“, sondern „Mensch und Maschine“. Ich bin mir sicher: Wenn wir die digitalen Chancen erst einmal nutzen, werden sie uns sehr schnell ans Herz wachsen.

Marco JunkGeschäftsführer Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V. (BVDW)

6 DIE DEMOGRAFISCHE HERAUSFORDERUNG

DIE DEMOGRAFISCHE HERAUSFORDERUNG

Deutschland wird älter. Die Lebenserwartung steigt. Immer mehr Menschen können sich über immer mehr gewonnene Lebensjahre freuen. Doch der demografische Wandel bringt auch Herausforderungen für das Pflege- und Gesundheitssystem mit sich. Denn eine älter werdende Gesellschaft heißt auch: Es werden mehr Menschen im Alter auf Pflege angewiesen sein. Schon heute meldet das Statistische Bundesamt rund 2,9 Millionen Pflegebedürftige. Bis zum Jahr 2030 wird diese Zahl vermutlich auf über 3,5 Millionen ansteigen. 1

Zugleich verschärft sich der Mangel an Fachkräften. Der wachsende Bedarf an Pflege durch Familien und professionelle Dienstleister sowie der berechenbare Mangel an ausgebildeten Pflegekräften stellen Gesell-schaft und Gesundheitswesen vor große Herausforderungen. Schon jetzt fehlt oftmals Zeit für fachgerech-te und zuwendungsorientierte Pflege und Betreuung. Pflegekräfte aus dem Ausland, der Einsatz von gering qualifiziertem Personal sowie Arbeitsverdichtung für die Pflegekräfte werden die Probleme nicht auf Dauer auffangen können.

Bereits heute merken wir, dass der Pflegesektor an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stößt: Wichtige Dienstleistungen und Unterstützungen, die auf Kommunikation beruhen – beispielsweise Angehörigenge-spräche, Beratungsleistungen, Case Management –, werden für viele Pflegebedürftige immer mehr zum Luxus. Transparenz über Angebot, Verfügbarkeit und Qualität von pflegerischen Dienstleistungen ist Man-gelware; dies gilt sowohl für professionelle Anbieter im ambulanten und stationären Bereich als auch für Angebote der Selbsthilfe und für komplementäre Betreuungsangebote. Für spezielle und personalintensive Pflegebedarfe, etwa demenziell erkrankte, aber mobile Menschen, wird es künftig besonders schwer, qua-litativ hochwertige Versorgungslösungen anzubieten. Der Austausch von Betroffenen, um sich gegenseitig zu unterstützen, beruht meist allein auf persönlichen Anlaufstellen. Digitale Lösungen werden hierfür kaum genutzt. Private Hilfe bei Alltagserledigungen für Pflegebedürftige mit körperlichen Einschränkungen ist für viele nicht greifbar, sodass oft unmittelbar auf professionelle Hilfe zurückgegriffen werden muss. Körperli-che Beeinträchtigungen – beginnend bei der Herausforderung, sich ein Glas Wasser einzuschütten – führen schließlich bis hin zum faktischen Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben und zu starken Einbußen an Lebensqualität.

1 Statistisches Bundesamt (2017): Pflegestatistik 2015. Prognose: Berechnung des Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2015)

Der demografische

Druck auf das

Pflegesystem wächst.

Pflegeanbieter wollen

Veränderung und

stehen der Digitalisierung

offen gegenüber,

weil sie wissen,

dass das aktuelle System

am Limit ist.

Entwicklung und Prognose der Pflegebedürftigen in Deutschland

Quelle: Statistisches Bundesamt (2017): Pflegestatistik 2015.Prognose: Berechnung des Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2015).

In Mio. 4

3

2

1

0

2,1 Mio.2,3 Mio.

2,9 Mio.

3,5 Mio.

2003 2009 2015 2030Prognose

7DIE CHANCEN DER DIGITALISIERUNG

DIE CHANCEN DER DIGITALISIERUNG

Die digitale Transformation bietet neue Antworten auf den demografischen Wandel – mit dem Men-schen im Mittelpunkt. Die großen Trendthemen wie Smart Home, Sprachassistenten, digital gestütztes und vernetztes Arbeiten und lebenslanges Lernen, Gamifizierung, d.h. der Einsatz spielerischer Elemente in spielfremden Kontexten, oder selbstfahrende Autos werden auch den Pflegesektor prägen. Der am 8. März 2017 veröffentlichte Bericht der EU-Kommission zur „Smart Silver Economy“2 unterstrich jüngst die Potenziale zur sozialunternehmerischen Nutzung digitaler Technologien und Dienste für gesundes und emanzipiertes Altern in Europa.

Die digitale Transformation hat bereits eine Branche nach der anderen umgewälzt und die Märkte etwa für Musik, Reisen, Versicherungen und Finanzdienstleistungen transparenter, vergleichbarer und zugänglicher gemacht. Allerdings ist diese Entwicklung am deutschen Pflegemarkt, in dem jährlich mehr als 33 Milliarden Euro umgesetzt werden3, bisher fast vollständig vorbeigegangen.

Ein Beispiel: Angehörige bewerten ihren Pflegedienstleister und damit die persönliche Pflegesituation bis-her nicht öffentlich im Netz. Das Vergleichsportal 24h-Pflege-Check.de hat in mehr als zwei Jahren zwar eine Übersicht mehrerer Anbieter, aber keine nennenswerte Anzahl an Bewertungen von pflegenden An-gehörigen generiert. Im Unterschied zu anderen Sektoren wie Hotels oder Restaurants hinterlassen An-gehörige im Netz bisher kaum Spuren zu ihrer individuellen Pflegesituation – wohl auch deshalb, weil dies das Vertrauensverhältnis zwischen Pflegekraft und Pflegebedürftigem stören könnte.

Zudem ist die ältere Generation noch wenig mit der Digitalisierung vertraut. Zwar haben inzwischen mehr als 50 Prozent der Generation 60plus das Netz für sich entdeckt und mit dem Eintritt der nächsten Ge-neration in den Ruhestand sinkt der Anteil der Offliner rapide.4 Doch heute hört man in Gesprächen mit älteren Menschen immer noch oft: „Ach, für mich ist das nichts mehr“, wenn es um die Anschaffung von smarten Helfern oder um digitale Services im Alltag geht. Eine Ausnahme sind mittlerweile Lieferservices, wie sie etwa der Rewe-Online-Supermarkt anbietet. Hier zählen die Älteren inzwischen zu den stärksten Kundengruppen.

Die meisten gesetzlichen Pflegekassen befinden sich gerade in einer frühen Orientierungsphase bei der Digitalisierung. Bislang sind beispielsweise die Produkte der Kategorie „Ambient Assisted Living“ (AAL, Altersgerechte Assistenzsysteme) nicht oder zusammen mit analogen Hausnotrufsystemen und Bild-schirmlesegeräten gelistet.5 Wenn neue Technologien und Services nicht im Leistungskatalog oder Hilfsmit-telverzeichnis aufgenommen sind, reagieren Patienten zögerlich, da Anschaffungen im Gesundheitswesen in Deutschland gewohnheitsmäßig von den Kassen getragen werden. Bei der bevorstehenden Neufassung des Hilfsmittelverzeichnisses sind moderne Technologien dringender denn je zu berücksichtigen. Hierbei sollten übrigens Privatversicherte nicht vergessen werden. Mit knapp neun Millionen Menschen ist das Potenzial der Betroffenen entsprechend hoch.

Einen weiteren wesentlichen Faktor für den Erfolg der digitalen Transformation in der Pflegewelt stellt die Bildung bei den Betroffenen und Pflegenden dar. Das Wissen um das „Wie“ der Pflege muss im Sinne leicht verständlicher Anweisungen in eine strukturierte Vermittlung überführt werden. Einzelne Angebote, wie etwa die „Pflege-Akademie“ der AOK Nordost, weisen in die richtige Richtung.

2 http://www.smar tsilvereconomy.eu/ (15.2.2017) 3 Vgl. Statista (2016). Kennzahlen zum Pflegemarkt in Deutschland im Jahr 2011. http://de.statista.com/statistik/daten/

studie/198240/umfrage/kennzahlen-zum-pflegemarkt-in-deutschland/ (15.02.2017) 4 Initiative D21: D21-Digital-Index 2016. Jährliches Lagebild zur Digitalen Gesellschaft. Berlin 20165 BMG: Abschlussbericht zur Studie Unterstützung Pflegebedürftiger durch technische Assistenzsysteme. Berlin 2013

Die Demografiestrategie

braucht eine digitale

Agenda!

Lösungen sind verfügbar,

kommen aber am

„Point of Care“ nicht an.

Pflegekassen machen um

die Digitalisierung heute

eher noch einen Bogen.

Bei Neufassung des Hilfs-

mittelverzeichnisses

sollten auch digitale

AAL-Angebote

berücksichtigt werden.

8 DIE CHANCEN DER DIGITALISIERUNG

Andere Länder sind beim Thema Digitalisierung in der Pflege weiter, etwa im Hinblick auf Pilot- projekte mit Krankenkassen und die Akzeptanz von neuen Lösungen. Aus gutem Grund, denn es kann nicht oft genug wiederholt werden: Die Digitalisierung eröffnet enorme Chancen, die Herausforderungen für die Pflege in einer älter werdenden Gesellschaft besser zu meistern. Beispiele aus dem Ausland belegen, dass smarte Helfer und Services Familien entlasten. Inzwischen zeigen auch deutsche Anbieter neue Wege auf – selbst wenn diese sich aktuell noch in Nischen bewegen und oftmals am langwierigen Weg zur Kas-senzulassung scheitern.

Die möglichen Vorteile und Nutzwerte der Digitalisierung sind noch kaum erschlossen. Digitale Techno-logien können und wollen die menschliche Zuwendung durch Pflegekräfte und Angehörige oder durch persönliche Beratung durch Experten nicht ersetzen – aber sinnvoll unterstützen und ergänzen. Zunächst bietet es sich an, an „ge- und erlernten“ Digitalisierungsinstrumenten anzuknüpfen. Ein mögliches Leitbild in der Pflege könnte die Orientierung an gewohnten Diensten bringen, wie beispielsweise das erfolgreiche soziale Best-Ager-Netzwerk „Wize Life“6 nach dem Vorbild von Facebook oder auch Skype-„Telefonzel-len“, wie sie bereits in einzelnen Heimen eingesetzt werden. 7

Die digitale Vernetzung ist inzwischen tägliches Instrument von Millionen von Anwendern. Der häufig ge-forderte und nur unterdurchschnittlich entwickelte Austausch unter den pflegenden Angehörigen ist ele-mentar geeignet für eine digital vernetzte Welt – und bietet sich gerade im Pflegebereich besonders an. Als niedrigschwelliges Angebot eröffnet der digitale Austausch gerade jenen Menschen neue Möglichkeiten der Kommunikation, die ihre Angehörigen nicht alleine lassen können. So können Menschen in ähnlichen (Pflege-)Situationen und mit ähnlichen Problemen zusammengebracht und ein anonymer Austausch zu besonders sensiblen Fragestellungen ermöglicht werden.

EFFIZIENZ, TRANSPARENZ UND KOORDINATION DER PFLEGEANBIETER

Digitale Lösungen können Arbeitsprozesse verbessern und verschlanken: Arbeits- und Einsatzplanung, Pfle-geplanung, Belegmanagement, Dokumentation, Qualitätsmanagement und Abrechnungsprozesse – all dies kann dank digitaler Systeme deutlich effizienter organisiert werden. Das entlastet das Pflegepersonal und spart Zeit und Ressourcen, die der direkten Betreuung und menschlichen Zuwendung für die Pflegebe-dürftigen zugutekommen.

Ein solches digitales Case Management kann mehr Transparenz schaffen, sowohl betriebsintern als auch für die Kundinnen und Kunden. So gewinnen Angehörige einen transparenten Überblick über die einzelnen Leistungen, etwa was die pflegerische und medizinische Versorgung in einem Heim betrifft. Diese Transpa-renz sucht man heute noch vielerorts vergebens. Ob eine angegebene Leistung erbracht wurde, lässt sich anhand meist handschriftlicher, monatlich erstellter Listen im DIN-A4-Querformat im Nachhinein kaum noch nachprüfen.

Mit einer digitalen Pflegeplanung und -dokumentation nahezu in Echtzeit lassen sich alle Schritte nachvoll-ziehen und bei Bedarf auch nachprüfen. Diese Transparenz der Pflegeleistung kann auch die Versorgung und somit die (Lebens-)Situation des Pflegebedürftigen verbessern.

Zugleich verbessern digitale Systeme den Austausch und die Koordination zwischen professionellen Dienstleistern, Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften – und natürlich den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Das erhöht die Versorgungsqualität und gibt den Menschen das Gefühl, dass sie gut und sicher aufgehoben sind. Insbesondere, wenn Angehörige weit weg wohnen oder nur zeitversetzt erreicht werden können, kann dadurch der Informationsaustausch spürbar verbessert werden. Gerade mobile Apps erlauben es, die Koordination der Pflege leichter in den Alltag zu integrieren.

6 Vgl. http://www.horizont.net/medien/nachrichten/Nach-Aerger-mit-Facebook-Seniorbook-heisst-jetzt-Wize.life-143332 (15.2.2017)7 Vgl. http://www.lindera.de/2015/12/16/ein-gastbeitrag-von-caroline-ruenger-ueber-skype-telefonzellen-und-stolperfallen/(15.2.2017)

Digitale Dienstleistungen

wie Vernetzungen,

Beratungen und Case

Management sind in den

Katalog der Regelleistungen

der Gesetzlichen und

Privaten Pflegekassen

aufzunehmen.

Kassen sind gefordert,

übergreifend zusammen-

zuarbeiten, um gemeinsam

Innovationen zu testen

und auf den Markt

zu bringen.

Wir brauchen ein

Facebook für die Pflege.

Digitalisierung in der

Pflege muss bedeuten:

mehr Zeit für Zuwen-

dung und menschliche

Nähe.

9DIE CHANCEN DER DIGITALISIERUNG

SOZIALE TEILHABE DER PFLEGEBEDÜRFTIGEN

Die Teilhabemöglichkeit der Pflegebedürftigen am familiären und gesellschaftlichen Leben sinkt, wenn Pflegebedürftigkeit und/oder kognitive Einschränkungen zunehmen. Viele Pflegeheime wurden einst am Stadtrand errichtet – weit weg von Familien und sozialem Leben. Zudem ist der familiäre Zusammenhalt bisweilen schwach ausgeprägt, sei es durch räumliche Entfernung oder berufliche Belastung. Die Anzahl der Pflegebedürftigen, die vor Ort keinen Angehörigen haben, der in die Versorgung integriert ist, ist laut Pflege-Thermometer 2016 zuletzt um 46,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. 8

Digitale Lösungen können hier neue Möglichkeiten zur Teilhabe eröffnen. Auch wenn der persönliche Kon-takt wichtig bleibt, vielleicht auch qualitativ überlegen sein mag, so bieten digitale Medien doch eine groß-artige Chance zur Teilhabe an Ereignissen in der Familie, bei Freunden und vor Ort – über altbewährte Möglichkeiten wie das klassische Telefongespräch oder die Tonübertragung von Gottesdiensten hinaus.

Die Möglichkeiten sind vielfältig:

• bidirektionales Live-Streaming beispielsweise von Stadtfesten und politischen Veranstaltungen

• Video-Sprechstunden bei Ämtern und Behörden

• virtuelles Mehrgenerationenhaus

• spezielle Apps für kognitiv eingeschränkte Menschen

• Apps, die das Wohlbefinden pflegebedürftiger Menschen messen und Familienangehörigen

und (professionell) Pflegenden mitteilen

Diese Lösungen sind nicht ausschließlich als Unterhaltungsangebote zu sehen. Viele Heime ähneln heute eher Palliativeinrichtungen als Seniorenheimen. Sie weisen einen hohen Case-Mix und niedrige Verweil-dauer auf. Teilhabe definiert sich bei Menschen in der letzten Lebensphase anders und wird durch die gesundheitliche Situation erschwert. Daraus ergeben sich besondere Anforderungen an unterstützende Lösungen. Zu prüfen ist, inwieweit die Kosten für solche Lösungen von den Pflegekassen in Teilen erstat-tungsfähig sein sollten.

8 dip: Pflege-Thermometer 2016. Eine bundesweite Befragung von Leitungskräften zur Situation der Pflege und Patientenversor-gung in der ambulanten Pflege. Köln 2016, S. 60

Die Familie lebt oft weit

weg. Die Digitalisierung

bietet Chancen für mehr

soziale Teilhabe.

10

SCHUTZ UND SELBSTBESTIMMTES LEBEN FÜR PFLEGEBEDÜRFTIGE

Insbesondere alleinlebende, pflegebedürftige Menschen sind dem Risiko ausgesetzt, bei Krankheit oder Unfall nicht rechtzeitig Hilfe zu erhalten. Digitale Lösungen können hier Abhilfe schaffen, indem sie au-tomatisiert und situationsgerecht Alarm auslösen und Hilfe herbeirufen, beispielsweise den Notarzt, ein Familienmitglied oder den Nachbarn. Im Gegensatz dazu müssen analoge Notfall-Lösungen aktiv vom Pfle-gebedürftigen bedient werden oder lösen erst mit Zeitverzögerung automatisch einen Alarm aus – dann kann es aber schon zu spät sein.

Digitale Angebote sind über die genannten Szenarien hinaus in der Lage, Vitalfunktionen und Bewegungen des Menschen zu überwachen. Sie können beispielsweise Alarm schlagen, wenn ein demenzkranker Mensch zu ungewöhnlichen Zeiten die Wohnung verlässt, oder auch Stürze detektieren und automatisch Hilfe rufen. Solche Systeme erhöhen die Sicherheit für die Pflegebedürftigen – und ermöglichen es, länger selbst-bestimmt in den vertrauten vier Wänden zu leben.

Ein Beispiel: Eine Smartwatch-App, die an der Binghamton University im Staat New York entwickelt wur-de, bringt Notrufe direkt aufs Handgelenk der Pflegekräfte und informiert sofort, welche Hilfe genau gebraucht wird. Auch in der stationären Pflege kann dies helfen: In Pflegeheimen zeigen bisweilen lediglich Lichtsignale am Zimmer an, dass hier jemand Hilfe benötigt. Das Personal kann daher erst spät reagieren und die Patientinnen und Patienten bringen sich mitunter selbst in Gefahr, indem sie beispielsweise selbst den Gang zur Toilette suchen anstatt auf Hilfe zu warten.9

Zudem bieten sich digitale Lösungen zum Schutz vor Brand- und Wasserschäden an: Der Pflegebedürftige trägt ein RFID-Band, welches in der Küche Geräte wie Herd, Toaster und Kaffeemaschine oder auch den Wasserhahn nutzbar schaltet. Verlässt der Betroffene die Küche, werden die Gerätschaften nach einer de-finierbaren Zeit wieder deaktiviert.10Alternativ gibt es auch Strommessgeräte, die charakteristische Span-nungen von Haushaltsgeräten detektieren und bei Abweichungen Alarm schlagen, etwa wenn vergessen wurde, den Herd auszuschalten.11

PRIVATSPHÄRE UND DATENSOUVERÄNITÄT SCHÜTZEN

Bei allen Systemen und Angeboten, bei denen personenbezogene, teilweise sensible private Daten erfasst werden, ist die Datensouveränität der betroffenen Menschen das oberste Gebot. Die Pflegebedürftigen müssen die größtmögliche Hoheit über ihre eigenen Daten besitzen: Sie müssen auch weiterhin selbst entscheiden können, welche ihrer Daten erfasst und verarbeitet werden dürfen. Dabei ist auch auf die IT-Sicherheit verstärkt Wert zu legen. Die Bundesregierung hat mit dem E-Health-Gesetz zwar einen Fahr-plan für die Einführung einer digitalen Infrastruktur mit höchsten Sicherheitsstandards entwickelt. Digitale Dienstleistungen wie Vernetzung, Beratungen und Case Management sind jedoch in den Katalog der Regel-leistungen der Gesetzlichen und Privaten Pflegekassen noch nicht aufgenommen worden.

9 Binghamton University: Smar twatch interface could improve communication, help prevent falls at nursing homes. Press release, 01/08/2016

10 Vgl. http://www.drk-karlsruhe.de/angebote/senioren/herdabschaltung.html (15.2.2017)11 Diverse Möglichkeiten zeigen Projekte des Offis Instituts unter www.ideaal.de und www.living-care.de

Die Menschen müssen

die Hoheit über ihre

Daten bewahren.

Die Digitalisierung

stärkt die

Selbstbestimmung

pflegebedürftiger

Menschen.

DIE CHANCEN DER DIGITALISIERUNG

11

ENTLASTUNG FÜR ANGEHÖRIGE

Digitale Unterstützungsangebote für die häusliche Pflege ermöglichen Information und Beratung von Pfle-gebedürftigen und Angehörigen zeit- und ortsunabhängig – nicht nur zu den eingeschränkten Öffnungszei-ten, sondern 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche; nicht nur in Städten, sondern auch in ländlichen Regionen. Darüber hinaus bieten digitale Systeme auch eine Unterstützung aus der Ferne: Wenn Eltern und erwachsene Kinder in großer räumlicher Distanz zueinander wohnen und leben, kann auf digitale Angebote zurückgegriffen werden, um eine regelmäßige Kommunikation aufrechtzuerhalten, Wissen und Informatio-nen zu teilen sowie gemeinsame Entscheidungen zu treffen und auf diese Weise die Pflegeorganisation zu bewerkstelligen.

Digitale Unterstützungsangebote wie Terminplanungsassistenten, beispielsweise in Form von mobilen Apps, erleichtern die Integration der Pflegeaufgaben in den Alltag. Aufgaben wie das rechtzeitige Nachbestel-len von Pflegehilfsmitteln werden nicht mehr vergessen. Die einfache Teilbarkeit von Informationen oder Dokumenten erleichtert es, mehrere Personen an der Pflege eines Angehörigen zu beteiligen und alle gleichermaßen auf dem aktuellen Stand zu halten.

Digitale Systeme stellen für viele Betroffene eine geringere Hemmschwelle dar als eine persönliche Be-ratung, da diese ein gewisses Maß an Anonymität gewährleisten: Wenn Informationen und unabhängige Beratungen leicht zugänglich sind, also beispielsweise keine Registrierung oder keine umfassende Abfrage von personenbezogenen Daten nötig ist, können digitale Hilfsangebote pflegende Angehörige in ihrer per-sönlichen und individuellen Pflegesituation punktuell und zielgerichtet als Unterstützung dienen.

Familien leben heute

nicht immer im Mehr-

generationenhaus vor

Ort zusammen. Wenn

pflegende Angehörige

im Berufsleben stehen,

können sie sich werktags

nicht intensiv kümmern.

Doch für arbeitende

Angehörige ist das

Pflegesystem nicht

gemacht.

DIE CHANCEN DER DIGITALISIERUNG

12 DIGITALE PFLEGE KONKRET: AUSGEWÄHLTE PRAXISBEISPIELE

DIGITALE PFLEGE KONKRET: AUSGEWÄHLTE PRAXISBEISPIELE

PENROSE (USA) UND LINDERA (DEUTSCHLAND): DER PERSÖNLICHE PFLEGEEXPERTE FÜR DIE MODERNE FAMILIE

In den USA bietet das Start-up Penrose seit 2014 für Angehörige, gerade wenn sie nicht vor Ort leben, eine strukturierte Begleitung der Pflegesituation zu Hause.12 Nach unangemeldeten Vor-Ort-Besuchen gibt Penrose den Familien regelmäßig versiertes Feedback aus der Pflegesituation und versendet die Berichte bequem und nachvollziehbar direkt auf das Smartphone. Mit der mobilen Gutachter-App und gegen eine monatliche Gebühr untersucht der Pflegeexperte die Pflegequalität anhand von sieben Bewertungsklassen mit mehr als 150 Merkmalen. Das Penrose-Modell fußt auf dem persönlichen Expertenbesuch vor Ort mit einem mehr als 70-köpfigen Gutachternetzwerk in aktuell 20 US-Bundestaaten.

Das deutsche Start-up Lindera möchte diesen Weg auch in Deutschland gehen. 13Voraussetzung ist die Kooperation mit Leistungserbringern wie beispielsweise den Pflegediensten oder die Anerkennung als niedrigschwellige Betreuungsleistung im Sinne des Pflegestärkungsgesetzes (PSG) II. Allerdings: Erstattungs-anträge müssen bisher für jedes Bundesland einzeln gestellt werden. Einige Bundesländer sind sogar dazu übergegangen, Anträge bei jeder Kommune einzeln stellen zu lassen. Diese Hürden erschweren bundes-weite digitale Services. Pflegedienste zeigen sich indes offen für neue Ansätze, denn viele von ihnen eint ein systemisches Problem: Die Einbindung von Angehörigen ist im deutschen Pflegesystem nicht vorgesehen. So teilen viele Anbieter den Wunsch nach cleveren Lösungen, um ihre Arbeitsqualität nach außen hin zu zeigen und strukturiertes Feedback an Angehörige zu geben.

eCARING UND HOMEHERO (USA): VERNETZUNG VON ARZT, PATIENT UND PFLEGER

Auf die bessere Kommunikation zwischen Pflegebedürftigen, Ärzten und Angehörigen sowie auf Kosten-einsparungen für die Behandlungen setzen auch die US-amerikanischen Start-ups eCaring 14 und Home-Hero.15 Beide sammeln die Daten zu Erkrankungen und Diagnosen des jeweiligen Patienten und stellen sie anschaulich dar. Mit der Einwilligung des Patienten können die fortwährenden Analysen zur Medikation oder Therapien mit den behandelnden Patienten und Pflegern geteilt werden. Der Vorteil an dieser Lösung ist, dass alle Parteien den gleichen strukturierten und aktuellen Kenntnisstand erhalten.

12 Vgl. https://penroseseniorcareauditors.com/ (28. August 2016) 13 Vgl. www.lindera.de (28. August 2016) 14 Vgl. http://ecaring.com/ (15.2.2017) 15 Vgl. TechCrunch (2016). „HomeHero wants to work with hospitals to connect in-home caregivers to seniors“. Aus https://tech-

crunch.com/2016/03/01/homehero-works-with-hospitals-to-connect-in-home-caregivers-to-seniors / (15.2.2017)

Digitale Pflegevermittlung

Quelle: www.lindera.de © Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V.

13DIGITALE PFLEGE KONKRET: AUSGEWÄHLTE PRAXISBEISPIELE

JUUNA (DEUTSCHLAND): DIGITALES AUFGABEN- UND ORGANISATIONSMANAGEMENT FÜR PFLEGENDE ANGEHÖRIGE

Pflegesituationen treten oft plötzlich und unerwartet auf. In diesen Fällen kann das digitale Unterstützungs-portal JUUNA der vitacare GmbH aus München den Angehörigen zeitlich und örtlich ungebunden eine grobe Orientierung und Struktur geben.16 Durch Formularvorlagen und Checklisten werden die Angehö-rigen sowohl im bevorstehenden Pflegealltag als auch beispielsweise bei der Beantragung von Leistungen unterstützt. Konkrete Hilfestellung zu allen individuellen Fragen beantwortet sowohl ein umfassendes evi-denzbasiertes Pflegelexikon als auch eine individuelle Telefonberatung.

JUUNA ist auf die Hilfe zur Selbsthilfe ausgerichtet. Das Portal bietet nicht nur reine Wissensvermittlung, sondern unterstützt die pflegenden Angehörigen dabei, die komplexe Planung der Pflege mit Hilfe des In-ternets einfach, zielgerichtet und effizient zu bewältigen. Durch einen interaktiven Wochen- und Finanzplan sowie ein Aufgabenmanagement wird die Organisation der Pflege vereinfacht.

RAPHAEL DUAL (DEUTSCHLAND): MAXIMALER BEWEGUNGSRAUM BEI DEMENZ

Menschen mit einer demenziellen Erkrankung benötigen Aufsicht und Begleitung im Alltag. Eine Hilfestel-lung bietet hier das Raphael-dual-System der Martin Elektrotechnik GmbH,17 das Menschen im Frühstadi-um einer Demenz, in dem die Orientierungsfähigkeit abzunehmen beginnt, einen maximalen Bewegungs-raum erhält. Ein GPS-Tracker schlägt Alarm, wenn der Betroffene das Gebäude verlässt oder zu lange weg bleibt. So kann sich der Pflegebedürftige weiterhin ohne verschlossene Türen und ohne ständige Aufsicht eigenständig bewegen, wird aber trotzdem schnell gefunden, wenn er die Orientierung verliert. Er kann außerdem selbst bestimmen, welche Gebiete als sicher definiert werden.

16 https://www.juuna.de/ (15.2.2017) 17 Vgl. http://www.mar tin-elektrotechnik.de/#!gps-fuer-demente/c1hxb (15.2.2017)

Digitales Pflegemanagement

Quelle: www.juuna.de © Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V.

14

CARESHIP (DEUTSCHLAND): EIN NETZWERK AN ALLTAGSHELFERN

Eine Unterstützung für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bietet Careship aus Berlin. Die Vision von Careship ist es, allen Familien Zugang zu individuellem, qualifiziertem und legalem Pflege- und Betreuungs-personal zu geben, uneingeschränkt von Ort und Zeit. Careship hat hierzu eine digitale Plattform bereit-gestellt und bietet online buchbare Betreuung und Pflege an, bis hin zu haushaltsnahen Dienstleistungen. Im Nachgang zu der Buchung werden alle Parteien über die Plattform koordiniert und auf dem Laufen-den gehalten. Damit sollen Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen ein reichhaltiges, selbstbestimmtes und sozial eingebundenes Leben führen, während Angehörige Entlastung erfahren. Das Angebot ist sehr breit gefächert: Angefangen von Stundenbetreuung über gemeinsame Spaziergänge, kul-turelle Angebote, leichte Pflege, Begleitdienste bis zur Haushaltshilfe ist ein weites Leistungsspektrum ab-gedeckt. Auch ein ausführlicher Ratgeber hinsichtlich der einzelnen Leistungen bzw. Finanzierung steht zur Verfügung. Beispielsweise ist bei Vorliegen einer Pflegestufe der Aufwand auch über die Pflegeversicherung abrechenbar. Derzeit wird Careship in Berlin, Hamburg, Frankfurt und Düsseldorf angeboten.

ALICE (NIEDERLANDE): EIN LIEBENSWÜRDIGER PFLEGEROBOTER

Eine Entwicklung zur Kompensierung des aufkommenden fehlenden Pflegepersonals sind sogenannte „Pfle-geroboter“. Der niederländische Dokumentarfilm „Ik ben Alice“18 („Ich bin Alice“) stellt einen Modellver-such mit einem Roboter und drei älteren Damen vor. In dem Film wird aufgezeigt, wie gut die Interaktion zwischen Mensch und Maschine schon funktioniert. Der Roboter animiert die Seniorinnen, beispielsweise durch Abfragen des aktuellen Wetterberichts im Internet, zu einem Spaziergang. Solche digitalen Wegge-fährten können und sollen den Menschen am Ende nicht ersetzen, sondern den Pflegebedürftigen im Alltag als technische Assistenten zur Seite stehen und menschliche Begegnungen fördern.

18 http://www.ikbenalice.nl/ (15.2.2017)

DIGITALE PFLEGE KONKRET: AUSGEWÄHLTE PRAXISBEISPIELE

Ik ben Alice - Der Film über Pflegeroboter

Quelle: www.ikbenalice.nl © Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V.

15

ePEN (DEUTSCHLAND): EFFIZIENTE UND VERNETZTE DOKUMENTATION Unter Zeit- und Kostendruck müssen Pflegedienste und Sozialstationen zahlreiche Vorgaben und Normen einhalten und in Pflegeplänen, Leistungsnachweisen und Protokollen verschriftlichen. Der ePEN – der digitale Stift – erleichtert die Dokumentationspflichten.19 ePEN-Formulare können mit einem digitalen Stift ausgefüllt werden, in dem eine kleine Miniaturkamera integriert ist, die Schrift und Markierungen auf dem Formular scannt und direkt in einer Auswertungsdatenbank speichert. Das Ausfüllen der Fragebögen verändert sich ansonsten nicht. In der Anwendung ist somit überhaupt keine Umstellung erforderlich, was die Benutzung gerade für nicht technisch-affine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleichtert.

Bei Auswertung von Tourenplänen ermöglicht der ePEN eine gezielte Planung und damit eine höhere Wirt-schaftlichkeit. Durch den integrierten Zeitstempel wird eine lückenlose Kontrolle des Vor-Ort-Einsatzes gewährleistet. Es entsteht eine eindeutige, persönliche und aktuelle Dokumentation. Der ePEN sorgt für eine übersichtliche Darstellung der Statusberichte und unterstützt so die Zusammenarbeit zwischen Pfle-gekräften, anderen Dienstleistern und Angehörigen. Die Pflegeberichte stehen umgehend chronologisch zur Verfügung und sichern somit die Qualität und Kontinuität der Versorgung.

19 http://www.epen.berlin/ (15.2.2017)

Erleichterung für Pflegekräfte

Quelle: www.epen.berlin © Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V.

DIGITALE PFLEGE KONKRET: AUSGEWÄHLTE PRAXISBEISPIELE

16

MEMORE (DEUTSCHLAND): ZOCKEN GEGEN DEMENZ

In mehreren Senioren- und Pflegeheimen Hamburgs schwingen sich die Bewohner nach dem Mittagskaffee aufs Motorrad, spielen Tischtennis oder kegeln – und tun damit etwas für ihre Gesundheit. Das ist selbst im hohen Alter von 95 Jahren noch möglich – weil es virtuell geschieht. Die Menschen stehen oder sitzen vor dem Fernseher und steuern durch die Bewegungen ihrer Arme oder ihres (Ober)körpers das Motorrad, den Tischtennisschläger oder die Kegelkugel vor sich auf dem Fernsehbildschirm. Möglich macht dies ein Sensor der MemoreBox20, der die Gesten der Spieler direkt auf den Bildschirm ins virtuelle, aber lebens-nahe Geschehen überträgt.

Die MemoreBox für Senioren, die an jeden handelsüblichen Fernseher angeschlossen werden kann, ist das erste Produkt des Hamburger Start-ups RetroBrain R&D, einer Ausgründung der Humboldt-Universität zu Berlin, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, therapeutische Übungen zu „gamifizieren“, also in ein Spiel zu übertragen, das Spaß bringt. Dieser Spaß animiert die Heimbewohner zu Bewegungsabläufen, die sie wohl eher selten oder gar nicht machen würden, wenn sie vom Arzt oder vom Pflegepersonal als Übung empfohlen würden. Erwartet wird, dass die Senioren durch die regelmäßigen spielerischen Bewegungen Koordinationsfähigkeit, Beweglichkeit, Gleichgewichtssinn, Reaktionsvermögen, aber auch ihre Kognition trainieren und so beispielsweise ihre Sturzgefahr reduzieren. Die Folge von Stürzen sind oft schlimme Ver-letzungen und lang andauernde Bettlägerigkeit; dazu kommen Folgeerkrankungen wie etwa Altersdepressi-on. Auch eine beginnende Demenz kann durch Videospiele verlangsamt werden. Die Heime, die an diesem Projekt beteiligt sind, erhoffen sich mehr Gesundheit und Lebensqualität für ihre Senioren und gleichzeitig eine Entlastung des Pflegepersonals. Die MemoreBox ermuntert zur Teilnahme am öffentlichen Heimleben und sozialer Interaktion und leistet damit einen Beitrag zu Lebensqualität und Gesundheit im Alter.

In Kooperation mit der Barmer (GEK ist seit Anfang des Jahres nicht mehr Teil der Firmierung) und der Humboldt-Universität Berlin wird seit Mitte 2016 ein Modellvorhaben nach § 20g SGB V durchgeführt. Dabei werden die Auswirkungen auf Sturzwahrscheinlichkeit, Kognition und Lebensqualität untersucht. An der Studie nehmen rund 150 Probanden teil. RetroBrain und die Barmer GEK setzen mit diesem Modell-vorhaben die erste Kooperation von Start-up und Krankenkasse nach Vorgaben des neuen Präventions-gesetzes um. Darüber hinaus fördert die Stiftung Charité eine Studie zu den positiven Auswirkungen der MemoreBox in der stationären Akutgeriatrie.

20 Wie Videospiele gegen Altersdemenz helfen, Welt.de vom 6.7.2016; siehe auch https://memore.de/ (15.2.2017)

RetroBrain R&D

Quelle: Hospital zum Heiligen Geist, RetroBrain © Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V.

DIGITALE PFLEGE KONKRET: AUSGEWÄHLTE PRAXISBEISPIELE

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BUURTZOORG (NIEDERLANDE): WIRKUNGSVOLL, PERSÖNLICH UND DIGITAL IN DEN PROZESSEN

„Buurtzoorg“ 21(dt.: Nachbarschaftshilfe) ist ein ambulanter Pflegedienst, der im Jahr 2007 gegründet wur-de und aktuell circa 10.000 ambulante Pflegekräfte beschäftigt. Er begleitet Patientinnen und Patienten zum Erhalt ihrer Unabhängigkeit, baut informelle Netzwerke aus Angehörigen, Nachbarn und Freunden auf, bietet pflegefachliche Tätigkeiten und koordiniert Ärzte, Spezialisten und weitere Dienste. Die innovative Organisationsstruktur verhalf Buurtzoorg zur höchsten Patientenzufriedenheit im Vergleich zu 307 Mit-wettbewerbern und zum Titel „Attraktivster Arbeitgeber in den Niederlanden“.

Ähnliche Modelle gibt es auch in Deutschland, so etwa die Plattform www.pflege-auf-augenhöhe.de. Am-bulante Pflegedienste und freie Pflegefachkräfte ebenso wie wissenschaftliche Mitarbeiter und Blogger können ihre Dienste anbieten und sich vernetzen. Ferner gibt es eine Plattform für Veranstaltungen aus den verschiedenen Interessensbereichen sowie einen geschützten Mitgliederbereich für den internen Aus-tausch.

WEISSE LISTE (DEUTSCHLAND): WEGWEISER IM GESUNDHEITSWESEN

Das Internetportal „Weisse Liste“, ein gemeinsames Projekt der Bertelsmann Stiftung und der Dachver-bände der größten Patienten- und Verbraucherorganisationen, versteht sich als Wegweiser im Gesund-heitswesen. Das unabhängige und gemeinnützige Angebot unterstützt Verbraucher insbesondere bei der Auswahl passender Gesundheitsanbieter. Dazu gehören eine Krankenhaussuche sowie eine Arztsuche. Die bislang betriebenen Suchmodule zu Pflegeanbietern wurden Anfang 2017 mangels verlässlicher und aussagekräftiger Datengrundlage bis auf weiteres vom Netz genommen. Stattdessen bringt sich die Weisse Liste mit Studien und Vorschlägen für ein nutzerorientiertes digitales Public Reporting im Pflegebereich ein und arbeitet an digitalen Lösungen zur Vernetzung und Unterstützung von Angehörigen Pflegebedürftiger. 22

21 http://www.buurtzorg-in-deutschland.org/buurtzorg/ (15.2.2017) 22 www.weisse-liste.de (15.2.2017)

Unterstützung für Verbraucher

Quelle: www.weisse-liste.de © Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V.

Checkliste Pflegeheimauswahl

weisse-liste.de

DIGITALE PFLEGE KONKRET: AUSGEWÄHLTE PRAXISBEISPIELE

18 AUTORINNEN UND AUTOREN

AUTORINNEN UND AUTOREN

STEFANIE BERGGeschäftsführerin, Health Care Rheinland e.V. (HCR)Stefanie Berg, Rechtsfachwirtin und Versicherungsfachfrau, hat seit 2013 die Geschäftsführung von Health Care Rheinland e.V., Köln, inne. Health Care Rheinland e.V. ist ein branchenübergreifender Zusammenschluss von Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im Rheinland und darüber hinaus. Ziel ist es, die Kommunikation zwischen den Beteiligten aufrechtzuerhalten und zukunftsweisende Kooperationsprojekte anzustoßen. Hierbei ist das Thema Pflege ein besonderes Anliegen.

WOLFGANG GRÜNDINGERReferent Digitale Transformation, Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V. (BVDW)Wolfgang Gründinger ist Referent Digitale Transformation beim Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V. (BVDW) und verfasste mehrere Bücher zu den Themen Digitalisierung und demografischer Wandel. Er promovierte in Politikwissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin, absolvierte die Internet Leadership Academy der Oxford University und wurde unter anderem mit dem De-mografiepreis ausgezeichnet.

DIANA HEINRICHSCEO und Gründerin, Lindera GmbHAls CEO und Gründerin verantwortet Diana Heinrichs die Produktentwicklung, das Personalwesen und das Marketing bei Lindera GmbH. Zuvor war sie sechs Jahre bei Microsoft Deutschland als PR Professional und Business Development Manager tätig.

INGA LÜHRSProduktmanagerin, vitacare GmbHInga Lührs bringt über zehn Jahre Erfahrungen aus der Pflege mit. Sie ist gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin und hat auf orthopädischen, internistischen und intensivmedizinischen Stationen gearbeitet. Während des Studiums zur Pflegewissenschaftlerin und Gesundheitsmanagerin entdeck-te sie, welche grandiosen Möglichkeiten die Digitalisierung für die Gesundheit bereithält. So trug unter anderem ihre Masterarbeit den Titel „Internet – der moderne Fitnesstrainer“. Ihre heutige Arbeit als Produktmanagerin bei der vitacare GmbH vereint nun diese interdisziplinären Fachrich-tungen.

19AUTORINNEN UND AUTOREN

MANOUCHEHR SHAMSRIZICo-Founder und Geschäftsführer, RetroBrain R&DDer Politik- und Kulturwissenschaftler Manouchehr Shamsrizi, M.P.P., ist Co-Founder und Ge-schäftsführer der RetroBrain R&D in Hamburg, Co-Founder des gamelab.berlin am Exzellenzcluster Bild|Wissen|Gestaltung der Humboldt-Universität sowie Ariane de Rothschild Fellow of Innovative Entrepreneurship der University of Cambridge und Global Justice Fellow der Yale University. Er wurde als Global Shaper des Weltwirtschaftsforums, Fellow der Royal Society of Arts, Ashoka-IT-4Change-Stipendiat sowie Leader of Tomorrow der Universität St. Gallen ausgezeichnet und als einziger Teilnehmer aus Deutschland zu Präsident Obama‘s Global Entrepreneurship Summit nach Stanford eingeladen.

JOSIP STJEPANOVIC Projektmanager, Weisse Liste gemeinnützige gGmbHJosip Stjepanovic ist Projektmanager bei der Weisse Liste gGmbH, einer Ausgründung der Ber-telsmann Stiftung, und verantwortet dort die Bereiche Online-Marketing und Analyse. Nach dem Studium der Volkswirtschafts- und Politikwissenschaften an der Universität Bielefeld war er unter anderem als freier Mitarbeiter beim Evangelischen Pressedienst (epd) und im Bereich Gesundheits-politik/Presse- und Öffentlichkeitsarbeit einer gesetzlichen Krankenversicherung tätig.

JOHANNES STROTBEKProjektmanager, Weisse Liste gemeinnützige gGmbHJohannes Strotbek ist Projektmanager der Weisse Liste GmbH, einer Ausgründung der Bertelsmann Stiftung, und verantwortet dort den Bereich Pflege. Zuvor war er neun Jahre Unternehmensberater im Gesundheitswesen und speziell für Akutkrankenhäuser im Einsatz. Nach seinem Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, Jura und Politik (Magister) arbeitete er im Medi-enbereich und leitete die Öffentlichkeitsarbeit der Landesarbeitsgemeinschaft für Gesundheitsför-derung in Berlin.

20 BUNDESVERBAND DIGITALE WIRTSCHAFT (BVDW) E.V.

BUNDESVERBAND DIGITALE WIRTSCHAFT (BVDW) E.V. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. ist die zentrale Interessenvertretung für Unternehmen, die digitale Geschäftsmodelle betreiben oder deren Wertschöpfung auf dem Einsatz digitaler Technologien beruht. Mit Mitgliedsunternehmen aus unterschiedlichsten Segmenten der Internetindustrie ist der BVDW interdisziplinär verankert und hat damit einen ganzheitlichen Blick auf die Themen der Digitalen Wirtschaft.

Der BVDW hat es sich zur Aufgabe gemacht, Effizienz und Nutzen digitaler Angebote – Inhalte, Dienste und Technologien – transparent zu machen und so deren Einsatz in der Gesamtwirtschaft, Gesellschaft und Administration zu fördern. Außerdem ist der Verband kompetenter Ansprech-partner zu aktuellen Themen und Entwicklungen der Digitalbranche in Deutschland und liefert mit Zahlen, Daten und Fakten wichtige Orientierung zu einem der zentralen Zukunftsfelder der deutschen Wirtschaft.

Im ständigen Dialog mit Politik, Öffentlichkeit und anderen, nationalen und internationalen Interessen- gruppen unterstützt der BVDW ergebnisorientiert, praxisnah und effektiv die dynamische Ent-wicklung der Branche. Fußend auf den Säulen Marktentwicklung, Marktaufklärung und Markt- regulierung bündelt der BVDW führendes Digital-Know-how, um eine positive Entwicklung der führenden Wachstumsbranche der deutschen Wirtschaft nachhaltig mitzugestalten.

Gleichzeitig sorgt der BVDW als Zentralorgan der Digitalen Wirtschaft mit Standards und verbind-lichen Richtlinien für Branchenakteure für Markttransparenz und Angebotsgüte für die Nutzerseite und die Öffentlichkeit.

Wir sind das Netz.

www.bvdw.org

21FORUM DIGITALE TRANSFORMATION

FORUM DIGITALE TRANSFORMATIONRESSORT IM BVDW

Das Internet der Dinge wird den Alltag der Menschen bereichern. Gleichzeitig entsteht eine Fülle von Daten, deren Prozesse zur Erfassung, Auswertung und Verwendung gesichert sowie standardi-siert werden müssen und Content und Services mehrwertstiftend zur Verfügung gestellt werden können. Ziel muss es sein, die Menschen über Nutzungsmöglichkeiten und -anforderungen auf-zuklären sowie Unternehmen in Fragen der digitalen Transformation von Geschäftsmodellen und Innovationen zu begleiten.

Der BVDW hat seine Aktivitäten im Bereich der digitalen Transformation und des Internets der Dinge in einem Forum gebündelt, um die Digitalisierung der Lebens-, Konsum- und Produktionswelt mitzugestalten.

Dabei bringt der BVDW Unternehmen klassischer Branchen mit digitalen Vorreitern zusammen und fördert den Austausch von digitaler Kompetenz. Der Verband ermöglicht mit dieser Austauschplatt-form eine unternehmens- und branchenübergreifende Meinungsbildung und vertritt seien Mitglie-der gemeinsam gegenüber Politik und Öffentlichkeit.

Weitere Informationenwww.bvdw.org/themen/digitale-transformation-und-internet-of-things

FORUM DIGITALE TRANSFORMATION UND INTERNET OF THINGSRESSORT IM BVDW

DIGITALE PFLEGE

Erscheinungsort und -datumDüsseldorf, März 2017

HerausgeberBundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V.Berliner Allee 5740212 DüsseldorfTelefon 0211 600456-0Telefax 0211 600456-33E-Mail [email protected] www.bvdw.org

GeschäftsführerMarco Junk

PräsidentMatthias Wahl

VizepräsidentenThomas DuhrThorben FaschingAchim HimmelreichMarco Zingler

KontaktWolfgang GründingerReferent Digitale [email protected]

VereinsregisternummerVereinsregister Düsseldorf VR 8358

RechtshinweiseAlle in dieser Veröffentlichung enthaltenen Angaben und Informationen wurden vom Bundesver-band Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. sorgfältig recherchiert und geprüft. Diese Informationen sind ein Service des Verbandes. Für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität können weder der Bundes- verband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. noch die an der Erstellung und Veröffentlichung dieses Werkes beteiligten Unternehmen die Haftung übernehmen. Die Inhalte dieser Veröffentlichung und / oder Verweise auf Inhalte Dritter sind urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung von Informationen oder Daten, insbesondere die Verwendung von Texten, Textteilen, Bildmaterial oder sonstigen Inhalten, bedarf der vorherigen Zustimmung durch den Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. bzw. die Rechteinhaber (Dritte).

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22 IMPRESSUM

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