C 60 : Supraleitung bei 117 K, Tendenz steigend

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massiven Schwarzen Lochs im Zen- trum der Milchstraße hin. Damit steht uns ein einzigartiges Labora- torium in nur 8 kpc Entfernung zur Verfügung, in dem die Physik in un- mittelbarer Umgebung einer extrem hohen Masse im Detail überprüft und weiterentwickelt werden kann. Dieses Laboratorium lässt sich nun durch moderne Großteleskope über weite Bereiche des elektromagne- tischen Spektrums hinweg erschlie- ßen. Andreas Eckart [1] F. K. Baganoff et al., Nature 413, 45 (2001) [2] A. Eckart, R. Genzel, Phys. Bl., Januar 1998, S. 25; R. Genzel et al., MNRAS 317, 348 (2000); A. Ghez et al., Nature 407, 439 (2000). [3] F. Melia, H. Falke, Ann. Rev. Astro. Astroph. 39, im Druck [4] J.-H. Zhao, G. C. Bower, W. M. Goss, ApJ 547, L29 (2001) [5] F. K. Baganoff et al., eingereicht bei ApJ, astro-ph/0102151 [6] R. Genzel, A. Eckart, T. Ott, F. Ei- senhauer, MNRAS 291, 219 (1997). C 60 : Supraleitung bei 117 K, Tendenz steigend Bewegung auf dem Gebiet der „konventionellen“ Supraleiter: Nach der Supraleitung bei 52 K in Löcher-dotierten Fullerenen [1] und der völlig überraschenden Ent- deckung von Supraleitung bei 39 K in der einfachen binären Verbin- dung MgB 2 [2] wurde jetzt ein wei- teres spektakuläres Resultat erzielt: Dem Team um Bertram Batlogg von den Bell Laboratorien ist es gelun- gen, die Sprungtemperatur in Fulle- ren-Supraleitern auf 117 K zu er- höhen [3]. Damit übertreffen die Fullerene viele der Kuprate, sind also nach allen Kriterien echte Hochtemperatur-Supraleiter. Zudem scheint es möglich, die Sprungtemperatur systematisch weiter zu erhöhen. Es handelt sich bei diesen Supra- leitern jedoch nicht einfach um neue Materialien, die man nur ab- kühlen muss, damit sie supraleitend werden, sondern vielmehr um Bau- teile, in denen erst durch das Anle- gen einer äußeren Spannung die Voraussetzungen für die Supralei- tung geschaffen wird. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass ein reiner Kristall aus C 60 -Mo- lekülen ein Halbleiter mit einer Bandlücke von etwa 2,3 eV ist. Man kann damit also einen ge- wöhnlichen Feldeffekt-Transistor (FET) aufbauen, wobei allerdings enorme experimentelle Schwierig- keiten zu überwinden sind. Schon die geringste Imperfektion des Kris- talls oder der Isolatorschicht unter der gate-Elektrode führt zum Ver- sagen des Bauteils. Wie bei jedem FET lässt sich durch Anlegen einer gate-Spannung die Ladungsträger- Dichte im Kanal variieren, wobei die Polarität die Art der Ladungs- träger bestimmt. Für den C 60 -FET findet man, dass der source-drain- Widerstand bei tiefen Temperaturen verschwindet, wobei die Sprung- temperatur T c von der Ladungsträ- gerdichte, d.h. von der gate-Span- nung, abhängt. Für Elektronen-Do- tierung beträgt der maximale Wert von T c 11 K, für Löcher-Dotierung 52 K. Bei den neuen Experimenten wurden statt reinem C 60 nun Kris- talle verwendet, bei denen Chloro- form (CHCl 3 ) oder Bromoform (CHBr 3 ) Moleküle in das C 60 -Gitter eingelagert (interkaliert) sind. Wie kommt man auf die Idee, C 60 -Kristalle mit interkalierten Fremdmolekülen zu untersuchen? Dazu ist ein Blick auf die Vorge- schichte hilfreich. Die ersten Fulle- ren-Supraleiter waren Ionenkristal- le vom Typ A 3 C 60 , wobei A für ein Alkalimetall steht. Die Alkaliatome geben dabei ihr Valenzelektron an die C 60 -Moleküle ab und füllen das C 60 -Leitungsband zur Hälfte auf: Die Alkali-dotierten Fullerene sind metallisch und werden bei tiefen Temperaturen supraleitend. Neben der Dotierung mit Elektronen führen die Alkaliatome im Kristall- gitter zu einem größeren Abstand zwischen den C 60 -Molekülen, der natürlich vom Platzbedarf der Alka- liatome abhängt. Man findet, dass T c mit dem Abstand der C 60 - Moleküle wächst: Während die Sprungtemperatur für K 3 C 60 bei 19 K liegt, steigt T c bei Dotierung mit größeren Alkalis auf bis zu 33 K für RbCs 2 C 60 . Dieses Verhalten lässt sich schon im Rahmen der klassi- schen Theorie der Supraleitung, der BCS-Theorie, verständlich machen: In den Fullerenen wird die effektive Anziehung der Elektronen, die zur Bildung von so genannten Cooper- Paaren führt, durch Eigenschwin- gungen der einzelnen C 60 -Moleküle (sog. Einstein-Phononen) vermit- telt. Die Elektron-Phonon-Kopp- lung V ist daher praktisch unabhän- gig von der Gitterkonstante. Ande- rerseits stehen nur Elektronen in Physikalische Blätter 57 (2001) Nr. 11 Im Brennpunkt 23 Dr. Erik Koch, Max- Planck-Institut für Festkörperforschung Heisenbergstraße 1 70569 Stuttgart Prof. Dr. Andreas Eckart, I. Physikali- sches Institut, Uni- versität zu Köln, Zülpicher Str. 77, 50937 Köln einem schmalen Intervall um die Fermi-Energie zur Cooper-Paarung zur Verfügung. Daher ist die elek- tronische Zustandsdichte N(0) am Fermi-Niveau für die Supraleitung von entscheidender Bedeutung: Im Rahmen der BCS-Theorie ist die Sprungtemperatur T c proportional zu exp(–1/(VN(0))). Vergrößert man nun in Gedanken die Gitter- konstante eines C 60 -Kristalls, so werden die elektronischen Bänder immer schmaler (im Limes unendli- cher Gitterkonstante findet man die scharfen Molekülniveaus des iso- lierten Moleküls). Da die Zahl der Zustände sich natürlich nicht än- dert, nimmt also die Zustandsdichte in den Bändern und damit auch T c mit wachsender Gitterkonstante zu. Es lohnt sich deshalb, Kristalle mit möglichst großem Abstand zwi- schen den C 60 -Molekülen zu unter- suchen. Dies ist also der Grund für den Ansatz von Schön et al. Wie weit lässt sich T c auf diese Weise noch erhöhen? Von den Al- kali-dotierten Fullerenen weiß man, dass T c nicht weiter ansteigt, wenn die Gitterkonstante einen gewissen Wert überschreitet. In diesem Be- reich sinkt die Sprungtemperatur sogar mit wachsendem Abstand der Moleküle, was auf die Nähe zu ei- nem Mott-Übergang zurückgeführt wird [4]. Ein solcher Übergang von einem Metall zu einen Mott-Isola- tor tritt auf, sobald die Coulomb- Abstoßung zwischen zwei Elektro- nen auf demselben Molekül über die kinetische Energie, die mit wachsender Gitterkonstante sinkt, dominiert. Auch für die Löcher- dotierten FET-Supraleiter sollte schließlich ein solcher Mott-Über- gang auftreten. Nimmt man jedoch an, dass der Übergang in beiden Materialien bei vergleichbaren Mo- lekülabständen auftritt, so scheint das Limit noch nicht erreicht: Extrapoliert man etwa die in den Löcher-dotierten FETs gefundene Beziehung zwischen Molekülab- stand und Sprungtemperatur auf einen Wert, welcher der Gitterkon- stante von RbCs 2 C 60 entspricht, so ergibt sich bereits ein T c von 150 K. Die Supraleitung in Fullerenen bleibt also ein „heißes“ Thema. Erik Koch [1] E. Koch, Phys. Bl., Feb. 2001, S. 16 [2] W. Weber, Phys. Bl., April 2001, S. 22 [3] J. H. Schön, Ch. Kloc, B. Batlogg, Science, 293, 2432 (2001) [4] P. Dahlke et al., J. Am. Chem. Soc. 122, 12352 (2000)

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massiven Schwarzen Lochs im Zen-trum der Milchstraße hin. Damitsteht uns ein einzigartiges Labora-torium in nur 8 kpc Entfernung zurVerfügung, in dem die Physik in un-mittelbarer Umgebung einer extremhohen Masse im Detail überprüftund weiterentwickelt werden kann.Dieses Laboratorium lässt sich nundurch moderne Großteleskope überweite Bereiche des elektromagne-tischen Spektrums hinweg erschlie-ßen.

Andreas Eckart

[1] F. K. Baganoff et al., Nature 413,45 (2001)

[2] A. Eckart, R. Genzel, Phys. Bl.,Januar 1998, S. 25; R. Genzel et al.,MNRAS 317, 348 (2000); A. Ghez et al., Nature 407, 439(2000).

[3] F. Melia, H. Falke, Ann. Rev.Astro. Astroph. 39, im Druck

[4] J.-H. Zhao, G. C. Bower, W. M.Goss, ApJ 547, L29 (2001)

[5] F. K. Baganoff et al., eingereichtbei ApJ, astro-ph/0102151

[6] R. Genzel, A. Eckart, T. Ott, F. Ei-senhauer, MNRAS 291, 219 (1997).

�C60: Supraleitung bei 117 K,Tendenz steigend

Bewegung auf dem Gebiet der„konventionellen“ Supraleiter:Nach der Supraleitung bei 52 K inLöcher-dotierten Fullerenen [1]und der völlig überraschenden Ent-deckung von Supraleitung bei 39 Kin der einfachen binären Verbin-dung MgB2 [2] wurde jetzt ein wei-teres spektakuläres Resultat erzielt:Dem Team um Bertram Batlogg vonden Bell Laboratorien ist es gelun-gen, die Sprungtemperatur in Fulle-ren-Supraleitern auf 117 K zu er-höhen [3]. Damit übertreffen dieFullerene viele der Kuprate, sindalso nach allen Kriterien echteHochtemperatur-Supraleiter.Zudem scheint es möglich, dieSprungtemperatur systematischweiter zu erhöhen.

Es handelt sich bei diesen Supra-leitern jedoch nicht einfach umneue Materialien, die man nur ab-kühlen muss, damit sie supraleitendwerden, sondern vielmehr um Bau-teile, in denen erst durch das Anle-gen einer äußeren Spannung dieVoraussetzungen für die Supralei-tung geschaffen wird. Um das zuverstehen, muss man wissen, dassein reiner Kristall aus C60-Mo-lekülen ein Halbleiter mit einerBandlücke von etwa 2,3 eV ist.

Man kann damit also einen ge-wöhnlichen Feldeffekt-Transistor(FET) aufbauen, wobei allerdingsenorme experimentelle Schwierig-keiten zu überwinden sind. Schondie geringste Imperfektion des Kris-talls oder der Isolatorschicht unterder gate-Elektrode führt zum Ver-sagen des Bauteils. Wie bei jedemFET lässt sich durch Anlegen einergate-Spannung die Ladungsträger-Dichte im Kanal variieren, wobeidie Polarität die Art der Ladungs-träger bestimmt. Für den C60-FETfindet man, dass der source-drain-Widerstand bei tiefen Temperaturenverschwindet, wobei die Sprung-temperatur Tc von der Ladungsträ-gerdichte, d.h. von der gate-Span-nung, abhängt. Für Elektronen-Do-tierung beträgt der maximale Wertvon Tc 11 K, für Löcher-Dotierung52 K. Bei den neuen Experimentenwurden statt reinem C60 nun Kris-talle verwendet, bei denen Chloro-form (CHCl3) oder Bromoform(CHBr3) Moleküle in das C60-Gittereingelagert (interkaliert) sind.

Wie kommt man auf die Idee,C60-Kristalle mit interkaliertenFremdmolekülen zu untersuchen?Dazu ist ein Blick auf die Vorge-schichte hilfreich. Die ersten Fulle-ren-Supraleiter waren Ionenkristal-le vom Typ A3C60, wobei A für einAlkalimetall steht. Die Alkaliatomegeben dabei ihr Valenzelektron andie C60-Moleküle ab und füllen dasC60-Leitungsband zur Hälfte auf:Die Alkali-dotierten Fullerene sindmetallisch und werden bei tiefenTemperaturen supraleitend. Nebender Dotierung mit Elektronenführen die Alkaliatome im Kristall-gitter zu einem größeren Abstandzwischen den C60-Molekülen, dernatürlich vom Platzbedarf der Alka-liatome abhängt. Man findet, dassTc mit dem Abstand der C60-Moleküle wächst: Während dieSprungtemperatur für K3C60 bei19 K liegt, steigt Tc bei Dotierungmit größeren Alkalis auf bis zu 33 Kfür RbCs2C60. Dieses Verhalten lässtsich schon im Rahmen der klassi-schen Theorie der Supraleitung, derBCS-Theorie, verständlich machen:In den Fullerenen wird die effektiveAnziehung der Elektronen, die zurBildung von so genannten Cooper-Paaren führt, durch Eigenschwin-gungen der einzelnen C60-Moleküle(sog. Einstein-Phononen) vermit-telt. Die Elektron-Phonon-Kopp-lung V ist daher praktisch unabhän-gig von der Gitterkonstante. Ande-rerseits stehen nur Elektronen in

Physikalische Blätter57 (2001) Nr. 11

Im Brennpunkt

23

Dr. Erik Koch, Max-Planck-Institut fürFestkörperforschungHeisenbergstraße 170569 Stuttgart

Prof. Dr. AndreasEckart, I. Physikali-sches Institut, Uni-versität zu Köln,Zülpicher Str. 77,50937 Köln

einem schmalen Intervall um dieFermi-Energie zur Cooper-Paarungzur Verfügung. Daher ist die elek-tronische Zustandsdichte N(0) amFermi-Niveau für die Supraleitungvon entscheidender Bedeutung: ImRahmen der BCS-Theorie ist dieSprungtemperatur Tc proportionalzu exp(–1/(V N(0))). Vergrößertman nun in Gedanken die Gitter-konstante eines C60-Kristalls, sowerden die elektronischen Bänderimmer schmaler (im Limes unendli-cher Gitterkonstante findet man diescharfen Molekülniveaus des iso-lierten Moleküls). Da die Zahl derZustände sich natürlich nicht än-dert, nimmt also die Zustandsdichtein den Bändern und damit auch Tc

mit wachsender Gitterkonstante zu.Es lohnt sich deshalb, Kristalle mitmöglichst großem Abstand zwi-schen den C60-Molekülen zu unter-suchen. Dies ist also der Grund fürden Ansatz von Schön et al.

Wie weit lässt sich Tc auf dieseWeise noch erhöhen? Von den Al-kali-dotierten Fullerenen weiß man,dass Tc nicht weiter ansteigt, wenndie Gitterkonstante einen gewissenWert überschreitet. In diesem Be-reich sinkt die Sprungtemperatursogar mit wachsendem Abstand derMoleküle, was auf die Nähe zu ei-nem Mott-Übergang zurückgeführtwird [4]. Ein solcher Übergang voneinem Metall zu einen Mott-Isola-tor tritt auf, sobald die Coulomb-Abstoßung zwischen zwei Elektro-nen auf demselben Molekül überdie kinetische Energie, die mitwachsender Gitterkonstante sinkt,dominiert. Auch für die Löcher-dotierten FET-Supraleiter sollteschließlich ein solcher Mott-Über-gang auftreten. Nimmt man jedochan, dass der Übergang in beidenMaterialien bei vergleichbaren Mo-lekülabständen auftritt, so scheintdas Limit noch nicht erreicht:Extrapoliert man etwa die in denLöcher-dotierten FETs gefundeneBeziehung zwischen Molekülab-stand und Sprungtemperatur aufeinen Wert, welcher der Gitterkon-stante von RbCs2C60 entspricht, soergibt sich bereits ein Tc von 150 K.Die Supraleitung in Fullerenenbleibt also ein „heißes“ Thema.

Erik Koch

[1] E. Koch, Phys. Bl., Feb. 2001, S. 16 [2] W. Weber, Phys. Bl., April 2001, S.

22 [3] J. H. Schön, Ch. Kloc, B. Batlogg,

Science, 293, 2432 (2001) [4] P. Dahlke et al., J. Am. Chem. Soc.

122, 12352 (2000)