C M Y CM MY CY CMY K MUSIK ORUM - Deutscher Musikrat...2004/12/23  · Jazz-Harmonielehre...

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MUSIK ORUM Musik leben und erleben in Deutschland. m 7,40 DAS MAGAZIN DES DEUTSCHEN MUSIKRATS Der Klang im Internet Elektro-akustische Räume im Netz Sound-Datenbanken, Geräusch- installationen und interaktive Projekte 63280 januar–märz 2005___1 3. jahrgang

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  • Probedruck

    C M Y CM MY CY CMY K

    MUSIK�ORUMMusik leben und erleben in Deutschland.

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    Der Klang im InternetElektro-akustische Räume im Netz

    Sound-Datenbanken, Geräusch-

    installationen und interaktive Projekte

    63280

    januar–märz 2005___13. jahrgang

  • Studienbuch Musik

    Anselm ErnstLehren und Lernen im InstrumentalunterrichtEin pädagogisches Handbuch für die Praxis232 Seiten, broschiert, 17,0 x 24,0 cmISBN 3-7957-8718-1 (ED 8718)€ 19,95 / sFr 35,–

    Frank HartmannQigong für MusikerDie ganzheitliche Methode für entspanntes und gesundes Musizieren122 Seiten, broschiert, 14,8 x 21,0 cmISBN 3-7957-8728-9 (ED 8728)€ 14,95 / sFr 26,90

    Der kleine HeyDie Kunst des SprechensNach dem Urtext von Julius Hey104 Seiten, broschiert, 14,8 x 21,0 cmISBN 3-7957-8702-5 (ED 8702)€ 14,95 / sFr 26,90

    Axel JungbluthJazz-HarmonielehreTheoretische Grundlagen und praktische Anwendung178 Seiten, broschiert, 17,0 x 24,0 cmISBN 3-7957-8722-X (ED 8722)€ 19,95 / sFr 35,–

    Renate KlöppelDie Kunst des MusizierensVon den physiologischen und psycho-logischen Grundlagen zur Praxis288 Seiten, broschiert, 17,0 x 24,0 cmISBN 3-7957-8706-8 (ED 8706)€ 19,95 / sFr 35,–

    Gerhard MantelEinfach üben185 unübliche Übe-Rezepte für Instrumentalisten186 Seiten, broschiert, 17,0 x 24,0 cmISBN 3-7957-8724-6 (ED 8724)€ 17,95 / sFr 31,80

    Andreas MohrHandbuch der Kinderstimmbildung246 Seiten, broschiert, 17,0 x 24,0 cmISBN 3-7957-8704-1 (ED 8704)€ 19,95 / sFr 35,–

    Konrad RagossnigHandbuch der Gitarre und Laute326 Seiten, broschiert, 17,0 x 24,0 cmISBN 3-7957-8725-4 (ED 8725)€ 26,95 / sFr 47,20

    Cornelius L. ReidFunktionale StimmentwicklungGrundlagen und praktische Übungen84 Seiten, broschiert, 14,8 x 21,0 cmISBN 3-7957-8723-8 (ED 8723)€ 17,95 / sFr 31,80

    Margot Scheufele-OsenbergDie AtemschuleÜbungsprogramm für Sänger, Instrumentalisten und SchauspielerAtmung · Haltung · Stimmstütze179 Seiten, broschiert, 14,8 x 21,0 cmISBN 3-7957-8705-X (ED 8705)€ 17,95 / sFr 31,80

    Mit der Reihe

    wird dem Bedarf an Texten zum Studium der Musik undder Musikwissenschaft in preisgünstigen Ausgaben Rechnung getragen.

    Neben Neuerscheinungenwerden in der Reihe er-folgreiche und bewährteTitel des bisherigen Verlags-programms, teilweise in überarbeiteter und ergänzter Form, neu aufgelegt.

    Für Schüler, Studenten,Musikpädagogen und Hochschullehrer, für interessierte Laien zur Fort- und Weiterbildung, für das private Studium.

    Studienbuch Musik

  • MUSIK�ORUM 3

    Christian HöppnerRedaktionsleitung

    EDITORIAL

    NEUE MUSIK – ein Schwerpunkt, der einige unerwartete Herausforderungen für die

    Redaktion bereithielt. So sehr gerade die Neue Musik einen Raum für Kreativität öffnet,

    so unterschiedlich sind die Meinungen, die über sie, ihren Wert und ihre Notwendigkeit in

    Umlauf sind.

    Im Entstehungsprozess dieses Themenhefts ist die Redaktion auf ein ebenso weit ver-

    zweigtes wie dichtes Netz solcher Meinungen, Beziehungen und Abhängigkeiten gestoßen

    – so dicht, dass es einer Doktorarbeit bedürfte, um die spannenden Verbindungen, die

    Zusammenhänge, aber auch die vielgestaltigen Abhängigkeiten, die in diesem Netzwerk

    bestehen, deutlich herauszuarbeiten. Gerade letztere scheinen immerhin so stark, dass

    einige der zugesagten Positionierungen nicht oder in nur stark abgeschwächter Form auf

    dem Redaktionstisch landeten – aus Furcht vor unliebsamen Resonanzen?

    Suchen, Finden und Erfinden sind zentrale Eigenschaften, die über die Zukunftsfähig-

    keit unserer Gesellschaft entscheiden. Noch immer wird – zumindest in der öffentlichen

    Wahrnehmung – gerade dieses Potenzial zur Entwicklung von Kreativität, das sich eng mit

    der Neuen Musik verbindet, nicht ausreichend wahrgenommen. Freilich stellt sich auch

    die Frage, ob die Neue Musik die Rolle als Botschafter der Kreativität überhaupt akzeptiert.

    Das Prinzip l’art pour l’art wird in unserer Verwertungsgesellschaft als Geistes- und

    Handlungsgrundlage vergangener Tage belächelt. Nützlichkeitsdenken entscheidet heute

    über Sein oder Nichtsein. Eine Entwicklung, die zwar Freiräume für kreative Prozesse ein-

    schränkt, in der Folge aber nicht dazu führen darf, sich nicht mehr oder nur halbherzig um

    gesellschaftliche Akzeptanz zu bemühen.

    Dieser Zustimmung bedarf nun einmal auch die Szene der Neuen Musik, die sonst

    schwerlich für sich reklamieren könnte, den Nerv der Zeit zu treffen. Eine Akzeptanz, die

    man sich gesellschaftlich erwerben muss – und die letztlich, über kreativen Respons, wieder

    dem Publikum zu Gute kommt. Und all jenen, die mit und von der Neuen Musik leben.

    Ihr

    Christian Höppner

    DER WERT DER

    Kreativität

  • MUSIK�ORUM4

    13

    Der Klang im InternetSabine Breitsameter über neueelektroakustische Räume im Netzder Netze und die Entwicklunginteraktiver Soundproduktionen. 44

    Peilton durch Kunst ersetztwww.imaginary-soundscapes.net –die Entstehung eines Musikprojektsauf der Datenautobahn. 48

    IM FOKUS:NEUEMUSIKFUNKTION,ENTWICK-LUNG,VER-MITTLUNG

    Mannheim setzt aufPopmusikSusanne Fließ berichtet über Marketingder innovativen Art: Eine Stadt positio-niert sich als Wiege von Trends undTalenten. 54

    Kehrtwende imUrheberrecht?Referentenentwurf für die nächsteGesetzesnovelle stellt die Rechte undInteressen von Urhebern nicht mehrin den Vordergrund. 58

    t i t e l themen

    8

    INHALT

    wir t schaf t

    Neue Musik, Staat und ManagementIn der Lücke zwischen U und E wächst das Bedürfnis nach Sinngebungund Wahrnehmbarkeit. Frank Schneider mit Skizzen aus der „Szene“.

    „…das Gefühl, gebraucht zu werden“Komponist Paul-Heinz Dittrich im Interview zur Situation der zeit-genössischen Musik in Deutschland.

    Warum Papa keinen Lachenmann mag„Response“: Bernhard König über einen Klassiker der Musikvermittlung.

    Der Weg ist das Ziel…Neue Musik an der Schule? Es geht, beweisen Pädagogen in Zeuthen.

    „Es ist blamabel, dass wirvon unserer Identität nichtswissen wollen“Dirigent Peter Gülke äußert sich zum„Orchester als Instrument“, zur Erosionin der deutschen Klangkörper-Land-schaft und zum Umgang der Gesell-schaft mit ihrer Kultur. 52

    16

    por t rä t

    18recht

  • MUSIK�ORUM 5

    Beiträge

    Statements zur Lage der Neuen Musik ab 12

    Britisches Kulturradio: „Die Deutschenkümmern sich um ihre Musik“ 30

    Klangerzeugung der experimentellenArt: Deutsche Gesellschaft für ektro-akustische Musik als Sammelbeckenkünstlerischer Grenzgänger 32

    Get together: Ziele und Projekte derGesellschaft für Neue Musik 34

    Kompositionswettbewerbe in „D“ 37

    Medien der Neuen Musik 40

    b i ldung. forschungWie kommt das Neuein die Welt?Institut für Kulturelle Innovations-forschung in Hamburg erfasst undfördert Zukunftspotenziale. 56

    präsent ier tProjekte im deutschen Musikleben:Das McNally Smith College of Musicin Lübeck. 62

    rubr ikenEditorial 3Nachrichten 6Rezensionen: CDs und Bücher 63Finale, Impressum 66

    Weichen gestellt für eine europäische Kultur-ChartaDie Berliner Konferenz „Europa eine Seele geben“ verkündete die Absicht, einen Impulszu setzen, um Kultur als Teil des politischen Handelns in der Europäischen Union wirk-samer als bisher ins Spiel zu bringen. Für Bundeskanzler Gerhard Schröder ist „pluraleVielfalt das Ziel“. 60

    dokumentat ion

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    januar–märz 2005___1

    DAS

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    fokus

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    04.6

    RT

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    Neue Musik als Reflexion ihrer ZeitGesellschaftliche Realität in der Experimentierwerkstatt. Von Ulrike Liedtke.

    Die Vermutung, Kunst könne Menschen bessernZwischen Rückblick und Perspektive: Komponist und MusiklehrerGeorg Katzer stellt Betrachtungen zur Gegenwartsmusik an.Nina Noeske über Katzers „D-Dur-Musikmaschine“. 27

    Anstoß zur Suche nach wirklich NeuemMartin Christoph Redel zum JMD-Bundeswettbewerb „Komposition“.

    Unbequeme Kunst von Kulturfeindlichkeit betroffenGerhard Baum zu Rundfunkpolitik und Neuer Musik.

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  • MUSIK�ORUM6

    wir trauernHerbert Saß †

    Sir Simon Rattle (Bild), Chef-dirigent der Berliner Philharmo-niker, ist in Berlin mit dem Come-nius-Preis ausgezeichnet wor-den. Er erhielt die Auszeichnungfür sein „leidenschaftliches undbeispielhaftes Engagement, mitdem er seit Jahren Kinder undJugendliche mit der Welt derMusik vertraut macht“. +++Am 1. Dezember 2004 vollendete Prof.Dr. Reinhold Kreile, GEMA-Vorstands-vorsitzender und Präsident der Vereinigungder europäischen VerwertungsgesellschaftenGESAC sein 75. Lebensjahr. Die GEMAehrte den Jubilar mit einem festlichen Emp-fang im Kaisersaal der Münchner Residenz.+++ Im Rahmen der Haushaltsdebatten im

    Deutschen Bundestag sprach sichKulturstaatsministerin ChristinaWeiss für eine Verankerung vonKultur als Staatsziel im Grundge-setz aus. Weiss: „Eine Kulturnationwie Deutschland kann und darfes sich nicht leisten, diesen essen-tiellen Bereich in ihrer Verfassungunerwähnt zu lassen.“ Kultur seieine der lebensnotwendigen

    Grundlagen unseres Zusammenlebens. +++Der Senat der Freien und Hansestadt Ham-burg hat den Hamburger MusikverlegerProf. Dr. Hans Wilfred Sikorski mit derSenator-Biermann-Ratjen-Medaille ausge-zeichnet. Damit würdigte die Hansestadtdie Verdienste von Sikorski um das Musik-leben in Hamburg.

    personalia

    Der langjährigeund erste Gene-ralsekretär desDeutschen Musik-rats, Herbert Saß,ist am 2. Oktoberim Alter von 89Jahren verstorben.Saß hat das deutsche Musikleben bisin die späten 70er Jahre maßgeblichmitgeprägt und gehört zu den Ideen-gebern des Wettbewerbs „Jugendmusiziert“.

    Wendelin Müller-Blattau †

    Im Alter von 81 Jahren verstarb am1. Juni Prof. Dr. Wendelin Müller-Blattau. Einen Namen machte er sichals Präsident des Saar-Sängerbundesund in verschiedenen Gremien desDeutschen Musikrats.

    NACHRICHTEN

    Bundespräsident besuchtedie Popakademie

    Im Rahmen seines Antrittsbesuchs inBaden-Württemberg unternahm Bundespräsident Horst Köhler eine Stippvisitein der Popakademie Baden-Württem-berg (Bild rechts).

    Nach einem Livemusik-Programm derStudenten und einem Rundgang durchden Neubau der Lehrstätte lobte Köhlerbei einem Gespräch mit Mitarbeitern, Do-zenten und Studenten die Bemühungender jungen Akademie: „Es geht erst einmaldarum, das kreative Potenzial zu fördern,sich auszuprobieren und dann auf dieWirtschaftlichkeit der Popmusik zu set-zen.“

    Wichtig sei, die Vernetzung auf euro-päischem Level voranzutreiben. Köhlersprach damit ein aktuelles Projekt an, das

    die Entwicklung eines europäischen Studi-ums im Rahmen des Leonardo-Programmsder EU vorantreibt. In den nächsten zwei-einhalb Jahren wird unter Projektleitungder Popakademie Baden-Württemberg ge-meinsam mit elf Partnereinrichtungen insechs Europäischen Ländern ein Popmu-sikstudium auf ECTS-Basis entwickelt.

    MIT GROSSER SORGE reagierte die Rek-torenkonferenz der deutschen Musikhoch-schulen auf die geplante Schließung desMünchener Rundfunkorchesters und die Dis-kussion um die Zusammenlegung des Rund-funk-Sinfonieorchesters Saarbrücken mit demSWR-Rundfunkorchester Kaiserslautern.

    In einer Presseerklärung betonen dieRektoren, dass sowohl die komplette Schlie-ßung eines Orchesters als auch die Zusam-menlegung zweier Orchester ein völlig fal-

    sches Signal in einer Zeit sei, in der alle Ver-antwortlichen immer wieder auf die bedenk-liche Entwicklung im Bereich der musikali-schen Erziehung und des kulturellen Lebenshinwiesen. Die Rektoren fordern die Verant-wortlichen eindringlich auf, ihre Entschei-dung – besonders vor dem Hintergrund dermangelnden Wertschätzung musikalischerGrundbildung – zu überdenken und sich ih-rer Verantwortung für die kulturellen Werteunseres Landes bewusst zu machen.

    ˜ Musikhochschulrektoren besorgt um Orchesterlandschaft

    DEUTLICHE ERLEICHTERUNGEN für Eh-renamtliche in steuerlichen und rechtlichenFragen hat die Bundesvereinigung Deut-scher Musikverbände (BDMV) gefordert.

    Mehr als 18000 ehrenamtlich geführteOrchester kämpften täglich mit „nicht mehrdurchschaubaren bürokratischen Hürden“.Andererseits seien immer weniger Menschenbereit, sich neben der kulturellen Breitenar-beit auch noch mit den komplexen Fragendes Steuer, Haftungs- und Urheberrechtsoder der Sozialversicherung zu beschäfti-gen.

    ˜ Bürokratie abbauen!

  • MUSIK�ORUM 7

    Wahl des künstlerischenGeschäftsführers fiel aufTorsten Mosgraber

    Aufsichtsrat und Gesellschafterversamm-lung der Projektgesellschaft des Deut-schen Musikrats haben Torsten Mosgraberals neuen Künstlerischen Geschäftsführerausgewählt.

    Mosgraber, der sein Amt zum 1. Januarangetreten hat, war zuvor u. a. Intendant derDresdner Festspiele und künstlerischer Be-triebsdirektor des Theatre de la Monnaie inBrüssel.

    DMR-Präsident MartinMaria Krüger freute sichüber die Entscheidung:„Damit ist die Neustruktu-rierung des Deutschen Mu-sikrats abgeschlossen. Un-ser Land braucht einenstarken Musikrat als Dach-verband des deutschenMusiklebens, der bei derBewältigung der gesell-schaftlichen Herausforde-rungen aktiv mitwirkenkann. Wir sind überzeugt,dass Torsten Mosgraber un-seren Projekten, die hierzueinen entscheidenden Bei-trag leisten, wichtige Impul-se geben wird.“

    aus dem musikrat

    BuJazzO eröffnete Kultur-wochen in Südafrika

    Anlässlich der Feierlichkeiten zum 10.Jahrestag des freien, demokratischenSüdafrikas und dem Ende der Apartheidging das Bundesjazzorchester (BuJazzO)im Oktober auf seine zweite Konzert-und Begegnungsreise nach Südafrika.

    Unter der Leitung von Peter Herbolz-heimer eröffnete das Orchester in Wind-hoek, der Hauptstadt Namibias, die vomAuswärtigen Amt initiierten Deutschen Kul-turwochen in Südafrika. Weitere Stationender Tournee waren: Kapstadt (Auftritte inder Nationalgalerie und in zwei stadtbe-kannten Jazzclubs), East London (Auftritteim Mercedes Benz-Werk für die Werksan-gehörigen und in einer Schule für die Zu-lieferer), in Durban (Jazzdepartment derNatal Universität), Johannesburg (Music

    Dr. Schaff, Kulturattaché der deutschenBotschaft in Pretoria gratulierte PeterHerbolzheimer zur erfolgreichen Südafrika-Tournee des Bundesjazzorchesters nacheinem Konzert am Hektor-Pieterson-Memorial im Johannesburg-TownshipSoweto.

    Academy Benoni, Music Hall in New-town, Hector-Pieterson-Memorial in So-weto) und Pretoria (DaimlerChrysler South-africa Headquarters). Alle Konzerte warenmit persönlichen Begegnungen mit jungenschwarzen, südafrikanischen Musikern ver-bunden, wobei die gemeinsamen Work-shops wertvolle Erfahrungen brachten.

    Aufbruch zu neuen UfernDer Deutsche Musikrat (DMR) hat sich imRahmen seiner zweitägigen Jahrestagungim Berliner Abgeordnetenhaus auf einKonzept der strategischen Ausrichtungverständigt.

    Der Vorsitzende der Strategiekommissi-on, Generalsekretär Christian Höppner,stellte der Mitgliederversammlung das Kon-zept der musikpolitischen und inhaltlichen

    Arbeit vor und benannteals Schwerpunkte der Ar-beit für 2005 die ThemenKulturelle Identität und in-terkultureller Dialog undMusikvermittlung.

    „Ob Quotendiskussion,die drohende Erosion beiden Rundfunkklangkör-pern, die Entflechtungsde-batte oder die Situationder musikalischen Bildungin Schule und Musikschu-le“, so Höppner, „überallist der Deutsche Musikratals gesellschaftliche Kraftgefragt. Wir müssen, stär-ker als bisher, das Bewusst-sein für den Wert der Kre-ativität schärfen. Denn Be-

    wusstsein schafft Ressourcen.“ Anlässlich derTagung wurden mit der GEMA, der GVLund dem Bundesverband Deutscher Privat-musikschulen e. V. drei neue Mitglieder auf-genommen. Dazu DMR-Präsident MartinMaria Krüger: „Es sind bedeutende neueMitglieder hinzugekommen, die das Ge-wicht des Deutschen Musikrats weiter ver-stärken.“

    Seminar zu MusikkritikIm Anschluss an ihr Engagement beimWarschauer Herbst haben der DeutscheMusikrat gGmbH und die Ernst-von-Sie-mens-Musikstiftung zur Förderung derbilateralen Kulturbeziehungen zwischenDeutschland und Polen das Projekt„Musikjournalist“ ins Leben gerufen.

    Es ermöglicht vier jungen ausgewähltenpolnischen Musikwissenschaftlern, Praktikain Kulturredaktionen namhafter polnischerund deutscher Zeitungen zu absolvieren.Damit verfolgen die Institutionen das Ziel,hoch qualifizierte, mehrsprachige Musik-journalisten heranzubilden und kulturpoliti-schen Nationalismus und Partikularismus zuüberwinden. Die erste Arbeitsphase der Sti-pendiaten begann Anfang November inBonn mit einem Seminar zu den Themen„Musikkritik und Öffentlichkeitsarbeit“.Torsten Mosgraber

  • FOKUS

    MUSIK�ORUM8

    Diese mäzenatische Rolle des Adels wur-de seit dem 19. Jahrhundert weitgehend vomBürgertum übernommen und als Kultur-pflicht des Staates – durch Subventionen deröffentlichen Hand in der Verantwortung derKommunen und Bundesländer – bis heuteerhalten. Auch Neue Musik, die in aller Weltnicht von vornherein begrüßt und geliebtwird, findet in Deutschland ein noch immeropulentes und differenziertes Netzwerk voninstitutionellen Strukturen vor, in das sie sichintegrieren kann.

    Seit dem 19. Jahrhundert hat sich – vonDeutschland aus – die Idee der musikali-schen Festspiele über die Welt verbreitet. Siewaren und sind oftmals besonders attraktiveGelegenheiten zur Förderung Neuer Musik.

    Eine Skizze aus der Szene zeitgenössischer Klänge. Von Frank Schneider

    In aller Welt wird den Deutschen ein besonders inniges Verhältnis zurMusik, ein tiefes Verständnis für sie nachgesagt und als besondersliebenswerte Eigenschaft gerühmt. Nicht zuletzt die jahrhundertelangepolitische Zersplitterung in unzählige Kleinstaaten hatte den musikalischenVorzug einer dezentralen und flächendeckenden Musikpflege, weil bei-nahe jeder Landesherr mit Opernhäusern, Orchestern und berühmtenMusikern glänzen wollte, um durch Kunstsinn seine Unabhängigkeit,Machtfülle und Konkurrenzfähigkeit zu demonstrieren.

    Erinnert sei hier (abgesehen von den ins 19.Jahrhundert zurückreichenden, jährlichenMusikfesten des Allgemeinen DeutschenMusikvereins) an die vom Fürsten Max Egonzu Fürstenberg seit 1921 geförderten Donau-eschinger Kammermusiktage, die ihre Fortset-zung 1927 bis 1929 in Baden-Baden undihr vorläufiges Ende 1930 in Berlin fanden.Nach kurzen Intermezzi 1934 „unter vor-wiegend nationalistischen“ und 1946/47„unter vorwiegend provinziellen Gesichts-punkten“ (Ulrich Dibelius) begannen dann1950 in Zusammenarbeit mit dem Süd-westfunk jene bis heute ununterbrochenstattfindenden Oktober-Tage der Neuen Mu-sik, die als auch international wichtigster Ortfür Uraufführungen der Avantgarde und

    Treffpunkt ihrer Protagonisten und AdeptenGeschichte gemacht haben.

    Vernachlässigt man die seit 1922 jährlichstattfindenden Musikfeste der Internationa-len Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) undmit ihnen eine seit den 20er Jahren grassie-rende, regelmäßige Festivalbewegung auf re-gionaler und lokaler Ebene, so wurden nachdem Krieg für die Bundesrepublik, nebenDonaueschingen, vor allem die InternationalenFerienkurse in Darmstadt zu einem signifi-kanten Dauerereignis der jüngeren Musikge-schichte. Denn hier bündelten sich kreativeEnergien, die international unter dem proble-matischen Begriff einer so genannten Darm-städter Schule die vielfältigen Entwicklun-gen avancierter Musik so unmittelbar wienachhaltig beeinflussten. Dies getragen vonder organisatorischen, dokumentarischen,wissenschaftlichen und publizistischen Ar-beit des Internationalen Musikinstituts Darm-stadt (seit 1948) in der unvergleichlichenKombination von kompositorischem Expe-riment, theoretischem Diskurs und auffüh-rungspraktischem Training.

    Weitere wichtige Förderinitiativen lassensich auflisten, so – im Gebiet der alten Bun-desrepublik – die vielen Konzertreihen derRundfunkanstalten und großen Städte (etwader Studios für elektronische Musik in Kölnund München, die vom WestdeutschenRundfunk veranstalteten Wittener Tage fürneue Kammermusik, die Musica viva-Reihe,die Biennale für experimentelles Musiktheaterin München, das neue werk in Hamburg undMusik der Zeit in Köln) oder – für die DDR– die Musikfeste in den Bezirken und in derHauptstadt mit dem rigide konzipiertenWechsel von Musik-Biennalen und DDR-Musiktagen. Demgegenüber könnte dieDresdner Gründung eines Instituts für zeit-genössische Musik im Jahr 1987 – wie manchandere Gründung seither – als verspäteter

    STAAT UND MANAGEMENTNeue Musik,

    Informationszentrum der zeitgenössischenMusik: Das Internationale Musikinstitut

    Darmstadt (IMD) beherbergt mitüber 30 000 Partituren eine

    der weltweit umfangreichs-ten Notensammlungen zur

    Neuen Musik. Konzeptio-nell wie organisatorisch istdas IMD verantwortlich fürdie seit 1946 in Darmstadt

    stattfindenden „Interna-tionalen Ferienkurse“.

  • MUSIK�ORUM 9

    International wichtigsterOrt für Uraufführungen:

    die Musiktage in Donau-eschingen. Im Bild: das SWR

    Vokalensemble unterLeitung von Hans Zender

    bei der Aufführung desStücks Triptychon von

    Rebecca Saunders.

    Das „klassische“Publikum beharrt aufder Reproduktion desBekannten und zeigtkaum Neugier aufklanglich Neues

    und kaum noch gravierender Akt eines lo-kalen Patriotismus gelten, der im nunmehrsehr dicht geknüpften Netz lediglich eineLücke gestopft haben wollte: die Lücke desschlechten Gewissens einer europäischenKunststadt ohne institutionelles Bekenntniszu Neuer Musik. Die Tage der zeitgenössi-schen Musik finden in Dresden immer nochstatt – wie andernorts unter teils bedrängen-den Finanzierungsproblemen.

    Zurzeit gehören neben Darmstadt, Donau-eschingen und Witten die Berliner März-Musik im Rahmen der bundesfinanziertenFestspiele und das gemeinsam vom Deutsch-landRadio und dem heutigen RBB veranstal-tete UltraSchall-Festival, die Kölner Musik-Triennale, die Tage der neuen Musik in Han-nover, die Stuttgarter Tage für neue Musik,die Tage Neuer Musik in Weimar und dieWürzburger Tage der Neuen Musik zu denwichtigen Treffpunkten der Szene und ihrerBeobachter.

    Der Fülle der Veranstaltungen entsprichteine Vielzahl von Ensembles für Neue Mu-sik, unter denen das 1980 gegründete, inFrankfurt/Main ansässige „Ensemble Mo-dern“ (mit festen Zuschüssen aus öffentli-chen Mitteln nur unzureichend finanziert)zur internationalen Spitzenklasse interpreta-

    torischer Virtuosität gehört. Insgesamt sind88 Ensembles für zeitgenössische Musik re-gistriert, darunter so hervorragende Grup-pen wie das „Boris-Blacher-Ensemble“ unddas „Kammerensemble Neue Musik“ ausBerlin, das Dresdner „Musica-viva-Ensem-ble", die „musikFabrik NRW“, das „ensemblerecherche“ aus Freiburg/Br., das „trio basso“aus Köln, das „Ensemble Avantgarde“ ausLeipzig, das Münchner „Ensemble für expe-rimentelle Musik“ oder das „Ensemble fürIntuitive Musik“ aus Weimar. Ihre Initiativenund Aktivitäten tragen erheblich dazu bei,

    dass das deutsche Musikleben nicht in mu-sealem Glanz erstarrt, sondern den kreati-ven Impulsen aus aller Welt genügend Fo-ren bietet, um den alten Ruf vom MusiklandDeutschland immer wieder erneuern undder Neuen Musik genügend Zukunftschan-cen bieten zu können.

    Die existenziellen Probleme der NeuenMusik rühren auch heute nicht in erster Li-nie vom mehr oder weniger großzügig aus-geprägten Engagement des Staates, der Län-der oder Gemeinden und ihrer Förderpoli-tik her. Doch wird die Präsenz der NeuenMusik im öffentlichen Raum labil und fragil,wenn sie als Sondersparte ohne massenhaf-te Publikumsgunst und ohne nennenswerteLobbys an den Rand der sinnlichen Wahr-nehmung und des ästhetischen Diskursesgedrängt wird.

    Dies gilt insbesondere im Fall von Etat-kürzungen der öffentlichen Hand bei denreproduzierenden Institutionen und der da-mit verbundenen Orientierung der künstle-rischen Entscheidungsträger auf konservati-ve Bedürfnisbefriedigung und sichere Ein-nahmeerfolge. Ihre fortgesetzte Marginalisie-rung ist dabei nur das Vorzeichen von pre-kären Tendenzen bei allen gesellschaftlichenGruppen, die am reproduktiven Akt des

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    Sorgt dafür, dass dasdeutsche Musikleben nichtin musealem Glanz erstarrt:

    das Leipziger„Ensemble Avantgarde“

    Musizierens beteiligt sind und die mitt-lerweile die Klassik-Szene insgesamt betref-fen.

    Man muss – auf das heutige Konzertlebenschauend – kein Prophet sein, um pessimis-tisch zu werden, nimmt man doch die Symp-tome einer Krise schon zum gegenwärtigenZeitpunkt aufgrund alltäglicher Beobachtun-gen wahr. Das Publikum für klassische Mu-sik wird nicht nur immer älter, sondern auchträger in seinen Bedürfnissen: Es beharrt aufder Reproduktion des Bekannten, neigt zurVerführbarkeit durch glamouröse Sonder-Events und zeigt kaum Neugier auf klang-lich substanziell Neues. Es darf bezweifeltwerden, ob die Musik des 20. Jahrhundertsgleichberechtigt dem klassischen Kanon zuintegrieren sein wird. Elternhäuser und Schu-len versagen weithin bei den notwendigenerzieherischen Ansätzen. Mit der Folge, dasssich die Jugend – zumeist im Banne modi-scher Pop-Kultur – auf einen völlig anders-gearteten ästhetischen Trip begibt und fürdie klassische oder gar die Neue Musik nurnoch schwer zu gewinnen ist.

    Den traditionellen Orchestern, zur tarif-vertraglichen Bequemlichkeit verführt,schrumpft das Repertoire durch Spezialen-sembles. Von der qualitativen Konkurrenzdurch medial vermittelte Interpretationsstan-dards und deren universelle, immer mühe-losere und vergleichsweise billige Zugäng-lichkeit gar nicht zu reden. Und dort, wo einPublikumsschwund sich abzeichnet, reagiertdie Politik sofort mit Schließung oder Fusio-nierung von Einrichtungen, sodass generelleine Minderung und Veränderung des tradi-tionellen Konzertangebots zu erwarten ist.

    Die Aufgabe der Produzenten von Mu-sik besteht normalerweise nicht darin, die„Teufelchen“ einer Musikkrise an die Wandzu malen (obwohl sie schon gehörig zwi-cken), sondern ihnen trotz wachsender struk-

    tureller Schwierigkeiten durch praktischeMaßnahmen entgegenzuwirken. Es gilt, Subs-tanz zu erhalten und – unter kulturpolitischund rezeptiv schwierigen Voraussetzungen– dennoch Angebote für gesellschaftlich not-wendige, wenn sich auch wandelnde Be-dürfnisse zu machen, von deren Notwen-digkeit und Richtigkeit man noch überzeugtist. Angebote, für die sich ein qualifiziertesMinderheitenpublikum – es war nie anders– weiterhin gewinnen lässt.

    Verantwortlichkeit für einenBildungsauftrag beimischen

    Auch für das musikalische Angebot gilt(nach Luther und Brecht), dass man zwardem „Volk aufs Maul schauen“, ihm abernicht „nach dem Munde reden“ soll. Zwarwird es unvermeidlich sein, sich im Angebotdem Geschmackswandel und sinkenden ästhe-tischen Bildungsniveau anzupassen. Dochmuss dem wachsenden Anspruch auf unan-gestrengte Zerstreuung auf intelligente undsinnlich frappierende Weise ein Ferment derVerantwortlichkeit für einen gewissen Bil-dungsauftrag beigemischt bleiben. Schließ-lich haben wir präsent zu halten, was maneinerseits als das Vermächtnis der Toten auseiner tausendjährigen europäischen Musik-geschichte, andererseits als Anspruch kom-ponierender Zeitgenossen auf Verbreitungihrer Produktion gerade durch öffentlich sub-ventionierte Institutionen bezeichnen kann.Politik muss dann aktiv steuernd eingreifen,wenn sich – wie seit längerem – die Gefahrabzeichnet, dass mit großem materiellen Auf-wand einseitig das Bedürfnis nach repräsen-tativer Hochglanz-Verpackungskultur befrie-digt wird.

    Natürlich wird die Gesellschaft solcherqualitativ hochkarätiger Spitzen-Events auchin Zukunft bedürfen, wofür die entspre-

    chenden Orchester und Einrichtungen jaauch zur Verfügung stehen. Aber umsodringlicher ist die Spitze mit einer gehörigenBreite und Tiefe des Angebots auszubalan-cieren – als unverzichtbare Pflicht zur gleich-sam demokratischen Rück-Sicht auf denReichtum und die Vielfalt der geschichtlichproduzierten Musik sowie zur Vor-Sicht ge-genüber dem aktuellen kompositorischenAngebot, auch wenn dafür nur ein manifes-tes Interesse von Minderheiten aus Minder-heiten festzustellen ist.

    Es ist weniger notwendig, die längst durch-gesetzten Selbstläufer – das relativ kleine,aber hochbegehrte Segment der so genann-ten klassischen Meisterwerke – mit öffentli-chen Mitteln zu stützen. Vielmehr verdientgefördert und beachtet zu werden, wasdurch die robusten Mechanismen des Mu-sikbetriebs im engen Zusammenspiel mitden regressiven Neigungen der Ohren allzuschnell verdrängt und vergessen wird: DasWissen um das riesige kreative Potenzial derVergangenheit bis zum heutigen Tag solltelebendig bleiben, die Neugier auf historischwie aktuell Unbekanntes muss geweckt wer-den – auch wenn dies nicht sogleich mehr-heitsfähig ist und zu partiellen Aggressionendes Publikums führen kann.

    Selbstverständlich muss beispielsweise je-des Orchester zunächst seinem Publikummit dem immer gleichen und stets wiederbegehrten Kanon der Meisterwerke willfah-ren. Aber jenseits des Kernrepertoires gibtes für die Orchester ein weites und – wennman will – spezifisches Feld von möglichenEntdeckungen und Revivals oder des Enga-gements für die zeitgenössische Musik. Hierkann und muss neben der interpretatori-schen Stilistik und der Handschrift von Diri-genten im Bereich der Programmgestaltungdas individuelle Profil eines Orchesters ge-schärft werden.

    FOKUS

  • MUSIK�ORUM 11

    Es wächst ein Bedürfnisnach Sinngebung undWahrnehmbarkeit inden Lücken zwischenUnterhaltungsdeliriumund Klassikrausch

    Angebote für ein qualifiziertesMinderheitenpublikum sindwichtiger denn je: das Ensemble„musikFabrik NRW“.Foto: Rudolph

    Diese Profilierung weiter zu betreiben,sich durch Schwerpunkte unverwechselbarund attraktiv zu machen, scheint – geradeim Fall von auf engem Raum konkurrieren-den Ensembles – unvermeidlich und nütz-lich zu sein, um politischer Ranküne vorzu-beugen. Freilich muss auch die Arbeit mitdem Publikum auf eine völlig neue, profes-sionelle, Barrieren beseitigende und Interes-se weckende Art und Weise organisiert wer-den, wofür den Einrichtungen zurzeit aller-dings meist die Mittel und das geschulte Per-sonal fehlen.

    Große Orchester und Konzerthäusermüssen durchaus für interpretatorische Ex-klusivität sorgen, weil von daher heute derMagnetismus auf das Publikum wirkt. Abersie sollten daneben auch die vermeintlichschwächeren Aspekte des Kulturbetriebs zuihrer unverzichtbaren Stärke machen. DieManager sollten einer nicht alltäglichen undexquisiten Programmvielfalt den Vorzug voreinem glanzvollen Mainstream geben, demHegels geschichtsnotorische Furie des Ver-schwindens regelmäßig auf dem Fuße folgt.Und sie sollten darauf hoffen, trotz derzeitstagnierenden Zuspruchs des Publikums, dasssich diese Strategie im doppelten Sinne aus-zahlt: als Gewinn für ein weiterhin musik-interessiertes, sich verjüngendes Publikumund als politischer Wille, solchen Zuwachsan ästhetischem Kapital mit den dafür leiderunverzichtbaren monetären Zuwendungenauch zukünftig zu ermöglichen.

    Trotz theoretischer Skepsis dürfte für dienächste Zukunft gleichwohl noch ein wenigpraktischer Optimismus Platz greifen. Immer-hin besitzt das originäre Konzerterlebnis –auch wenn es mit schwindender Sachkom-petenz einhergeht – noch hinreichend An-ziehungskraft und eine einzigartige Aura dererstaunlichen Vergnügung, namentlich imhistorisch-festlichen Ambiente. Was durchalternative, moderne Aneignungsweisen wieRadio, Fernsehen, CD, CD-ROM oder garInternet nicht zu ersetzen ist. Wenn neue,offenere, entritualisierte Konzertformen undbegleitende Veranstaltungen entwickelt

    werden, die das Verstehen auch fremder –also namentlich Neuer Musik – erleichtern,möchte man gern an bisher ungeweckteBedürfnisse glauben. Wenn die Programm-inhalte, Rahmenbedingungen, Serviceleis-tungen und Kontaktformen für potenzielleHörer flexibilisiert werden, sind schlummern-de Interessen sicher zu wecken. Die Mög-lichkeiten, Publikum für klassische und NeueMusik zu binden, muss man nicht für ausge-schöpft halten. Eher schon die Berechenbar-keit der Politik, die manches auch in Zu-kunft tun wird, um die künstlerische Szenein Katastrophen zu stürzen – vermutlich eherund heftiger als es jene generellen Umbrü-che im Bedürfnisspektrum und Zuwendungs-verhalten gegenüber entwickelter Musik ver-mögen, die unsere Zeit über kurz oder langauch noch bereithalten kann.

    Den wichtigsten Beitrag zu ihrer Integra-tion in funktionierende Strukturen scheinendie Neue Musik und ihre internationale Sze-ne derzeit selbst zu betreiben, indem sie sichvon den jahrzehntelang gepflegten Paradig-men einer splendid isolation löst und neueproduktive Verhältnisse anstrebt – sowohlim Hinblick auf die Traditionen elitärer undpopulärer Klangwelten als auch in Rücksichtauf die sich verändernden Bedürfnisse ihrerAdressaten.

    Resümierend war die deutsche Musikge-schichte seit dem Ende des Zweiten Welt-kriegs eingebettet in die Geschichte eines

    großen und langen kalten Kriegs zwischenWest und Ost. In Europa ging die Frontliniemitten durch Deutschland, wobei diese Front1989 endgültig zusammenbrach, weil nichtzuletzt ein Grundwiderspruch seine Lösungerzwang: „Westwärts schweift der Blick,ostwärts treibt das Schiff“ singt schon – ganzunpolitisch – der Steuermann zu Beginn vonWagners Tristan. Auch die Entwicklung derNeuen Musik und das Denken der Musikerwar von einem Grundwiderspruch der bei-den Systeme geprägt: von einer populisti-schen Doktrin der musikalischen Effizienzim Osten und von Ideen einer zweckfreien,autonomen Avantgarde in der westlichenWelt, die sich gegenseitig ausschlossen, sichlangwierig bekämpften, aber schließlich vorden komplexen Realitäten kapitulieren muss-ten. Und die Fragestellungen nach Avantgardecontra Popularität sind als Fortschrittskrite-rien ebenfalls längst Teil der Geschichte.

    Das Komponieren heute weist, gemes-sen an den Postulaten vor einem halbenJahrhundert, vielleicht Züge von Regression,maßstabloser Pluralität und Orientierungs-schwäche auf. Gleichzeitig wächst aber einpraktisches Bedürfnis nach neuer sozialerSinngebung und Wahrnehmbarkeit in denzunehmend schmal gewordenen Lückenzwischen Unterhaltungsdelirium und Klas-sikrausch. So ist heute eben kaum verbind-lich zu sagen, wer kompositorisch musikali-schen Fortschritt verbürgt, wo er zu suchenund wie er zu bestimmen ist. Elite-Avantgar-dismus und Populär-Realismus als konzep-tive Alternativen musikalischer Weltverän-derung haben ihre alte Autorität längst ein-gebüßt und Alleinvertretungsansprüche preis-geben müssen. Wenn aber nicht kopflos Mit-telmäßigkeit und Allbeliebigkeit das Erbe an-treten und in Zukunft allein noch das quod-libethaft Neue in der Musik bestimmen sol-len, dann müsste schließlich eine orientie-rende, soziologisch-politisch fundierte Theo-rie wieder gefragt sein, die den sachlichenGegebenheiten gegenüber nicht abstraktbleibt und nicht vor lauter post-modernerBreite und Vielfalt abdankt. Wie immer sie

  • MUSIK�ORUM12

    zu denken wäre oder zu funktionieren hät-te: Der kritischen Erinnerung und vorurteils-freien Bilanz von Erfahrungen – besondersder problematischen in Vergangenheit undGegenwart – dürfte sie sich nicht entziehen.Dann könnte deutlicher als schon jetzt her-vortreten, dass beide Lager, die sich damalsfeindlich gegenüberstanden, in der alten,stark politisch determinierten Kontroverseum musikalischen Fortschritt Vorwärtswei-sendes und Rückschrittliches, Gewinne undVerluste posthum zu bedenken haben wür-den.

    Wenn jedoch heute, als schnelles Fazit,für Fortschritt gehalten wird, was ein biss-chen Avantgarde mit ein bisschen Populari-tät vermengt, dann kann das gewiss nichtalles sein, was wir zukünftig brauchen. Dennso etwas gab es immer schon und besonderszwischen den extremen Orientierungen inder Neuen Musik des vergangenen Jahrhun-derts! Schönberg nannte es kurz und bündigund immer noch treffend den „Segen derSauce“. Wie aber nun gutes Fleisch wächst,das weiß wohl Theorie derzeit vorgreifendnicht zu sagen.

    Umso sicherer kann sie jedoch davonausgehen, dass auch in Zukunft das Kom-ponieren in einem weiten und differenzier-ten Sinne politisch geprägt bleibt – soweit essich als Teil öffentlicher Angelegenheitenkundgibt und ziemlich unabhängig davon,ob staatliche Obrigkeiten ihm freundlich oderfeindlich gesinnt sind.

    Der Autor:

    Prof. Dr. Frank Schneider absolvierte

    ein Kapellmeister-Studium in Dresden

    und studierte Musikwissenschaften an

    der Berliner Humboldt-Universität, wo

    er auch promovierte. Nach einer Tätig-

    keit als Dramaturg an der Komischen

    Oper war er ab 1980 Wissenschaftli-

    cher Mitarbeiter am Institut für Ästhe-

    tik und Kunstwissenschaften der Aka-

    demie der Wissenschaften der DDR in

    Berlin. Seit 1992 ist er Intendant des

    Konzerthauses Berlin und des Berliner

    Sinfonie-Orchesters.

    FOKUS

    Die einschneidenden Veränderungenim allgemeinen kulturellen Umfeld sindunmittelbar spürbar, wenn man als freierKomponist und Klangkünstler ohne jeg-liche institutionelle Anbindung arbeitet.Viele kulturelle Einrichtungen verschwin-den bzw. kämpfen ums Überleben, fürkünstlerische Projekte stehen immerweniger finanzielle Mittel zur Verfügung.Umbruch bedeutet in vielen Fällen Ab-bruch ohne neuen Aufbruch, Kontinuitätals Voraussetzung nachhaltiger künstleri-scher Arbeit wird damit fast unmöglich.

    Diese Situation erzeugt erheblichenErfolgsdruck und die Versuchung liegtnahe, mit äußerlichem Aufwand dieWichtigkeit eines Projekts, wenn es dennzustande kommt, bei den Geldgebernund kulturpolitisch Verantwortlichen zusuggerieren.

    Oft wird so die Verpackung wichtigerals der Inhalt, damit verschieben sichauch die Proportionen der finanziellenAufwendungen innerhalb eines Projektsentsprechend. Es ist auch zu fragen, obdie Neue Musik gut beraten ist, wennsie sich von „Marketing-Profis“ zu einemexotischen Zweig der Spaßkultur umfunk-tionieren lässt. Sicher müssen Konzerteund Festivals professionell organisiertwerden, doch es geht ja nicht darum,eine faule Ware schmackhaft zu machen,sondern Kunst als Ergebnis spielerischerErfindung und kritischen Diskurses zupräsentieren.

    Unabhängig davon, was einen Besu-cher veranlasst, in ein Konzert mit NeuerMusik zu gehen, wäre es wichtig, dass eram Ende das Gefühl hat, etwas gewon-nen – und nicht nur das Eintrittsgeldverloren zu haben. Die Zahl derer, diesich für Neues interessieren ließen, istsicher größer als die, die gegenwärtigerreicht wird. Um Zuhörer zu gewinnen,sollte deshalb nicht nur mehr, sondernauch etwas anderes getan werden.

    Vielleicht sollte man sich mehr daraufbesinnen, was Musik eigentlich bedeu-tet, was sie kann, was sie für einen Wertdarstellt – nicht nur im Sinne der Kennt-nis eines klassischen Motivs, mit demman Bildung zur Schau stellen kann,sondern als eine sinnlich wirkende, flüch-tige und doch direkt ansprechendeErfahrung.

    Wir sehen uns hier als Künstler in derPflicht, durch Kreativität und Authentizi-tät zu überzeugen. Dabei sind wir immerwieder auf bereitwillige und kompetentePartner angewiesen, da sonst nicht diekünstlerische Arbeit, sondern die Organi-sation und das Rennen nach potenziellenGeldgebern die meiste Zeit in Anspruchnimmt. Denn nur mit solchen Partnernist es möglich, eine individuelle künstle-rische Position zu entwickeln, zu ver-öffentlichen und zu behaupten. Durchdie Vielzahl solcher individuellerkünstlerischer Positionen schließlichkann eine lebendige, sich ständigwandelnde und interessante Musikland-schaft bestehen.

    Susanne Stelzenbach und Ralf Hoyerarbeiten als freie Komponisten und

    Klangkünstler in Berlin und sind in der

    jüngsten Zeit vor allem mit Konzert- und

    Klanginstallationen sowie Musiktheater-

    projekten hervorgetreten. Sie sind Initia-

    toren und künstlerische Leiter des

    ensemble „pianoplus“ und der „Pyrami-

    dale“ in Berlin-Hellersdorf.

    www.hoyerstelzenbach.de

    Susanne Stelzenbach und Ralf Hoyer,Komponisten und Klangkünstler in Berlin:

    »Verpackung oft wichtiger als der Inhalt«

  • MUSIK�ORUM 13

    Hand aufs Herz: Neue Musik wird heute in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

    Selbst im klassischen Konzertbetrieb spielt sie nur eine marginale Rolle.

    Komponist Paul-Heinz Dittrich äußert sich im Gespräch zur Situation in Deutschland

    Neue Musik findet statt inetablierten anerkanntenZentren und Festivals wie Darm-stadt, Donaueschingen, Stuttgart,Berlin, Dresden. Als „Event“ ver-marktete, oft mit großem Aufwandauf höchstem künstlerischenNiveau produzierte Aufführungen,wie etwa die von StockhausensLicht-Zyklus oder LachenmannsMädchen mit den Schwefelhölzern,bringen ausverkaufte Häuser.

    Jüngere Komponisten und Interpretenschaffen sich mit kleineren, experimentellausgerichteten Festivals und Künstlerinitiati-ven, wie etwa der „Kryptonale“ in Berlin oderden „Randspielen“ in Zepernick, gemeinsameine Plattform für Öffentlichkeit. Doch hängtihre Existenz in der Regel von kleinsten För-dersummen ab.

    Über diese „Schieflage“ unterhielt sich Bri-gitte Kruse mit Komponist und Hochschul-lehrer Paul-Heinz Dittrich.

    Befriedigt Sie die Situation der NeuenMusik in Deutschland?

    Paul-Heinz Dittrich: Ganz klar: nein!Dass sich die zeitgenössische Musik inDeutschland – und international ist dasähnlich – auf wenige Zentren konzentriert,ist unbefriedigend, weil viele Initiativenund Kompositionen überhaupt nicht mehrwahrgenommen werden und es für jungeKomponisten außerordentlich schwierig ist,im großen Festival Fuß zu fassen. JederKomponist braucht aber Öffentlichkeit.Das, was er zu sagen, anderen mitzuteilenhat, ist für ihn außerordentlich wichtig,weil er natürlich ein Feedback haben muss,um sich zu finden und weiter seinen Wegzu suchen.

    Die Möglichkeiten der kleinen Zentrensind überhaupt nicht zu vergleichen mitdenen der großen. Was dort, in diesenkleinen Zentren, geschieht – der Name„Randspiele“ sagt es ja schon –, wer nimmtdas heute noch wahr? Die Öffentlichkeitdort sind meist Freunde und Bekannte.Rundfunkstationen sind nicht mehr vertre-ten, die Musikkritik kaum präsent. Oft

    kommt der Komponist aus dem Kreis, dener sich dort geschaffen hat, kaum heraus –und das ist verderblich für sein Schaffen.

    Ich weiß, es ist eine Geldfrage. Und daist der nächste Widerspruch: Die immergeringer ausfallenden Fördersummen wer-den in immer mehr kleine Positionen zer-splittert – und jedes dieser kleinen Projektebraucht das Geld natürlich zum Überleben.So bleibt nur für ganz wenige die Chance,eine große Aufgabenstellung zu realisieren.

    Die Frage, was „musikalischer Fort-schritt“ sei, stellt heute kaum noch jemand.Es gibt einen Pluralismus unterschiedlichsterkompositorischer und ästhetischer Orientie-rungen. Sehen Sie darin mehr Unverbindlich-keit, die in Beliebigkeit mündet, oder wirklicheschöpferische Vielfalt? Was sollte Neue MusikIhrer Meinung nach leisten?

    Dittrich: Was ist musikalischer Fort-schritt? Das ist eine der zentralen Fragenund nicht ganz einfach zu definieren. DerPluralismus der gegenwärtigen Postmoder-ne ist für mich eine schwer vorstellbareMasse, eine Lawine kompositorisch-ästhe-

    »DER KOMPONISTMUSS DAS

    GEFÜHL HABEN,

    gebrauchtZU WERDEN UND

    NICHT ALS BETTLERDAZUSTEHEN«

    Paul-Heinz Dittrich:

  • MUSIK�ORUM14

    (Paul-Heinz Dittrich nach der Wende 1989)

    »Auf das Wort anpassen reagierte ich wie ein Stier auf das rote Tuch«

    FOKUS

    tischer Orientierungen, die auf uns zurolltund sehr viel Unverbindlichkeit in sich birgt.

    Das hängt aber auch mit der erstenFrage zusammen: Wenn dem Komponistennicht Alternativen mit größeren Aufgaben-bereichen gestellt werden, dann kann essein, dass er sich in solch einem Pluralismusverliert und nach einer kompositorisch-ästhetischen Orientierung gar nicht mehrfragt. Nur um etwas Geld zu verdienen,macht er eben dieses und jenes.

    Bei mir selbst kann ich zurzeit geradeden umgekehrten Prozess konstatieren.Neben meiner Arbeit als Hochschullehrerhatte ich immer Aufträge. Ich habe darinauch meine Aufgabe gesehen, sie zu erfül-len. Und ich glaube, gerade im Bereich derKammermusik habe ich eine ziemliche Viel-falt geschaffen. Was mich auch immer sehrbefriedigt hat. Jetzt bin ich aus Altersgründennicht mehr Hochschullehrer und auch dieFrage der Auftragserteilung spielt für michkeine Rolle mehr. Weil mir niemand mehreinen Auftrag erteilt und ich auch nichtmehr jede Aufgabenstellung erfüllen möchte.Ich stelle mir meine Aufträge selbst.

    Und ich merke Tag für Tag, wie schweres ist, abseits vom Trend Neue Musik zuproduzieren, namentlich, wenn es um grö-ßere Arbeiten geht, die einen langen Atemverlangen. Arbeiten, die – und das ist dieKehrseite der Medaille – niemand eigent-lich verlangt. Du hast dann zwar keinenAuftrag, du schreibst aber etwas nach demMotto: Irgendwann spielt es ja doch ein-mal jemand. Und dieses Irgendwann, Irgend-wie, Irgendwas – das ist sehr sehr unbefrie-digend. Deswegen müssen gerade bei jün-geren Kollegen Auftragsstellungen, Auftrags-vorgaben gegeben sein, weil sie eine exis-tenzielle Verbindlichkeit auslösen und dieMusik dann auch gebraucht wird.

    Der Komponist muss das Gefühl haben,dass er gebraucht wird, dass man von ihmetwas will und nicht, dass er als Bettler da-steht. Und nur, wenn man ihn mit neuenDingen beauftragt, wird er sich in ästheti-scher Hinsicht bewegen und andere Wegesuchen. Und da sind wir wieder bei derNotwendigkeit einer Förderung und derleidigen Geldfrage. Aber anders kann es inder Kunst nicht sein.

    In einem früheren Interview habenSie die Notwendigkeit betont, über den geis-tigen Anspruch, die geistige Haltung des Kom-ponisten zu sprechen. Ist das für Sie nochimmer ein wichtiges Kriterium des Komponie-rens? Finden Sie es in aktuellen kompositori-schen Strömungen wieder? Und: Gibt es dasBedürfnis bzw. ausreichende Möglichkeiten,sich über ästhetische Fragen aktueller Entwick-lungstendenzen der Neuen Musik, der Künsteüberhaupt, zu verständigen?

    Dittrich: Das ist für mich – und ichdenke: nicht nur für mich – eine sehr wich-tige Frage. Der Komponist sollte sich überdie ästhetischen Fragen und die Entwick-lungstendenzen in der Musik bewusst sein,er sollte sie kennen, aus diesen Dingenheraus seinen eigenen geistigen Horizontabstecken und sich klar werden, was er willund was er nicht will. Es gibt leider schreck-liche Beispiele für manieristisches Kompo-niergehabe bei jungen Leuten, weil sieirgendwelchen Dingen nachrennen, die viel-leicht up to date sind, aber nicht Bestandhaben. Ich habe das in früheren Interviewsgesagt, dass die Notwendigkeit für einengeistigen Anspruch heute ebenso bestehtwie damals. Und die geistige Haltung desKomponisten ist für mich eine ganz wich-tige Ausgangsposition. Das hat nichts mitHeute und mit Übermorgen zu tun, das istimmer aktuell.

    Meine geistige Haltung zum Komponie-ren ist – wenn ich das so sagen darf – einewirklich exklusive. Ich nehme einfach fürmich in Anspruch, dass ich das erreiche,was ich erreichen will, und dass anderesfür mich gar nicht erst in Betracht kommt.So bleibt ein gewisses Ziel übrig, das ichanvisieren muss mit meinen Möglichkeiten,

    mit meinem geistigen Rüstzeug. Es ist einAusschluss von bestimmten Dingen, diemir nicht wichtig erscheinen, es ist eine Aus-lese. Unabdingbar ist für mich – und hierist mein Denken dem meines FreundesLuigi Nono eng verbunden – der gesell-schaftliche Zeitbezug , den der Komponistniemals zu vergessen hat und niemals ver-gessen darf.

    Sie haben lange Jahre als Professorfür Komposition an der Hochschule für Musik„Hanns Eisler“ gearbeitet, haben das Branden-burgische Colloquium für Neue Musik insLeben gerufen und dort jungen Komponisten,vor allem aus Osteuropa, ein Arbeitsforumgegeben. Wie schätzen Sie die Entwicklungund die Arbeitsmöglichkeiten der jüngerenGeneration heute ein?

    Dittrich: Über das BrandenburgischeColloquium für Neue Musik in Rheinsberghaben wir nach der Wende Leute erreicht,

    die in der Vergangenheit nicht die Mög-lichkeit hatten, sich mit der Entwicklungder westeuropäischen Musik nach 1945auseinander zu setzen. Das war eine sehraufregende und sehr produktive Zeit. Dassdas aus finanziellen Gründen nicht weiter-gegangen ist, habe ich sehr bedauert. MeinAugenmerk damals richtete sich speziellnach Osteuropa, weil ich wusste, dass dortin den vergangenen Jahrzehnten nichtsNeues passiert ist. Auch gegenwärtig liegtin Moskau, St. Petersburg und anderswonoch vieles im Argen, weil die alten Lehrerimmer noch an den Hochschulen unter-richten. Noch heute bekomme ich vieleBriefe und Statements von jungen Kompo-nisten wie Olga Rajeva aus Moskau undAnton Safronov, in denen sie betonen, wiewichtig diese erste Anregung in der neuenZeit für sie war, um weiter zu arbeiten.

    Die Schulen und Hochschulen könnennicht alles leisten, was wir zusätzlich geradein Rheinsberg an der Musikakademie ge-macht haben. Auch das Meisterschüler-Prinzip, das wir in der DDR hatten, abzu-schaffen, halte ich für falsch, weil es genaudie Orientierungshilfen bot, die ein Kompo-nist nach fünf Jahren Hochschulstudiumdringend benötigt.

  • MUSIK�ORUM 15

    Dittrichs Affinität zu Poesie und Literatur˜ Paul-Heinz Dittrich (*1930) studierte Kom-position an der Musikhochschule Leipzig

    und war von 1958 bis 1960 Meisterschüler

    von Rudolf Wagner-Régeny an der Akade-

    mie der Künste Berlin. 1976 aus der Hoch-

    schule für Musik „Hanns Eisler“ aus politi-

    schen Gründen entlassen, wurde er 1978

    Professor für Komposition und 1983

    Ordentliches Mitglied der Akademie der

    Künste Berlin. Er war Gastprofessor an der

    Hochschule für Musik Freiburg/Breisgau

    (1978), am Arnold-Schönberg-Institut und

    der Universität Los Angeles (1980) sowie in

    Israel, Südkorea und Russland. 1983/84

    arbeitete er auf Einladung von Pierre Boulez

    am IRCAM und der Pariser Sorbonne. 1991

    erhielt er eine Professur für Komposition

    an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“

    Berlin und wurde im gleichen Jahr Mitglied

    des Präsidiums der Akademie der Künste.

    Zwischen 1976 und1986 leitete er Kompo-

    sitionsseminare der Geraer Sommerkurse,

    von 1991 bis zum Jahr 2000 war er künstleri-

    scher Leiter des von ihm gegründeten Bran-

    denburgischen Colloquiums für Neue Musik.

    Eine enge Zusammenarbeit verbindet ihn

    mit verschiedenen elektronischen Studios,

    etwa dem Experimentalstudio des Südwest-

    funks in Freiburg/Breisgau.

    Die Vielzahl seiner Kompositionen (da-

    runter 14 Kammermusiken, acht Klaviermusi-

    ken, vier szenische Musiken) verrät eine

    starke Affinität zu Poesie und Literatur und

    mehrschichtig-komplexem Denken.

    Die Sopranistin Elizabeth Keusch in Dittrichs szenischer Musik Zerbrochene Bilder(nach Texten u. a. von Heiner Müller), ein Auftragswerk der Musikakademie Rheinsberg,uraufgeführt am 3. Juni 2001 im Schlosstheater Rheinsberg.

    Ihre komplexen Partituren, aber nichtnur Ihre, verlangen exzellente Musiker.Finden Sie die? Wie sehen Sie die Situationder Interpreten für Neue Musik und wird inder Ausbildung genügend getan?

    Dittrich: Diese Frage kann ich mit ei-nem Ja und mit einem Nein beantworten.Sie sprechen von komplexen Partituren,das ist richtig – und man braucht wirklichexzellente Musiker dafür. Es gibt heute En-sembles in Deutschland, die diese Musikerhaben: ensemble modern, ensemble rechercheund viele andere. Zurzeit erlebe ich gerade,wie ein junges Trio, Musiker des modernart sextets Berlin, mein Streichtrio, das ichfür ensemble recherche geschrieben habe unddas bis jetzt nie wieder aufgeführt wurde,mit großer Neugier und Begeisterung, mitAusdauer und vorbildlichem Einsatz erar-beitet. Anders geht es nicht. Wenn manheute in schnellen Probenabläufen die Inter-pretation der Neuen Musik durchzieht –ich will das mal so salopp ausdrücken –,schadet es den Interpreten und schadet eseiner guten Entwicklung der Neuen Musik.

    Ob in der Ausbildung genügend getanwird? Wir haben an den Musikhochschulenhervorragende junge Leute. Sie werden oft-mals nicht für Neue Musik ausgebildet oderherangezogen. Wie vor 50 oder 100 Jahrenwird an den Musikhochschulen immer nochdas klassische Repertoire überbetont. Her-vorragende junge Leute, die aus Korea,Japan und dem asiatischen Raum hierher-kommen, instrumental hoch begabt sind,können aber mit neuen Partituren oftmalsnicht umgehen. Und wenn sie fertig sind,wollen sie es auch nicht, weil sie glauben,ihre große Karriere als Stars in der klassi-schen Musik machen zu können. Und dortist es besonders schwer, sich durchzusetzen,weil der Markt gesättigt ist. In der NeuenMusik werden die Interpreten genauso be-friedigende, große Interpretationen liefernkönnen, wenn sie einmal gerade in solchenkomplexen Partituren einen neuen Horizontgefunden haben, den sie aufarbeiten. Fazit:Die Ausbildung ist hervorragend, aber nichtausreichend in Bezug auf Neue Musik.

    Als Komponist, der sich an der west-europäischen Avantgarde orientierte, hattenSie in der DDR aus kulturpolitischen Gründenoft Schwierigkeiten, aufgeführt und verlegt zuwerden. Schwierigkeiten, die bis zum zeitwei-ligen Aufführungsverbot gingen. Geht es Ihnenim vereinten Deutschland besser?

    Dittrich: Danke für diese Frage! Damuss ich etwas weiter ausholen. Nach derWende dachte ich, jetzt habe ich das er-schreckende Mittelmaß der DDR-Kultur-

  • So geschehen bei einem KölnerResponse-Projekt, nachdem je einKomponist und ein Interpretzeitgenössischer Musik überein halbes Jahr hinweg regel-mäßig mehrere Schulklassenaufgesucht hatten, sie spiele-risch auf dem Weg zu eigenenKompositionen begleitet hattenund mit ihnen nun, zum Ab-schluss, ein Konzert mit NeuerMusik in der Kölner Philharmo-nie besuchten.

    Unter den vielen Modellenzur schulischen Vermittlungzeitgenössischer Musik istResponse sicherlich daserfolgreichste und ambesten erprobte.Anfang der 80erJahre in Englandentwickelt und1988 vom „En-semble Modern“nach Deutschlandgebracht, belegenseither viele Einzel-projekte – u. a. in Berlin,Bremen, Düsseldorf, Frankfurt oder amBodensee – immer wieder, dass dieseProjektform in hohem Maße geeignet ist,über ihren handlungsorientierten Zugangbei Schülern und Schülerinnen Verständ-nis für Neue Musik zu wecken.

    Wenn Kinder ein halbesJahr lang selbst kom-poniert haben, dann kann esschon einmal passieren, dass sieam Ende begeistert, voller ge-spannter Neugierde und mitgespitzten Ohren ein Orchester-stück von Helmut Lachenmannverfolgen – während ihreEltern verstört danebensit-zen und die Welt nichtmehr verstehen.

    MUSIK�ORUM16

    Dittrich gehörte zu den Schülern von PaulDessau (links), der sich neben seiner kompo-sitorischen Arbeit für Film und Musiktheaterauch immer für die musikalische Avantgardeeinsetzte.

    politik hinter mich gebracht.Dieser Optimismus hat nichtlange angehalten. Vor 1989haben sich die westlichenVerlage um die Stücke vonmir förmlich gerissen. Dasbrachte mir Konflikte mitden zuständigen DDR-Be-hörden ein, dem Kultur-ministerium und auch demMfS, für die es nicht sein durfte, dassStücke aus der DDR woanders aufgeführtwerden. Das belegen heute zahlreiche MfS-Akten. Die kulturpolitischen Schwierigkeitenwaren 1989 weg und ich atmete auf. Abernach kurzer Zeit hatte ich nun ökonomi-sche Schwierigkeiten, denn der Verlag, dermich betreute (Breitkopf & Härtel), sagtemir nach kurzer Zeit, ich müsste mich denkapitalistischen Bedingungen des Verlegensvon Neuer Musik anpassen: „Ihre Stückeverkaufen sich so schwer.“

    Auf das Wort „anpassen“ reagierte ichwie ein Stier auf das rote Tuch. Ich habemich 40 Jahre lang anpassen müssen ausganz anderen Gründen. Ich habe es nichtgetan und hatte meine Schwierigkeiten.Und ich dachte, das wäre jetzt zu Ende undnun sollte ich mich anpassen aus ökonomi-schen Gründen. Ich habe mich auch jetztnicht angepasst und komponiere weiter.Heute, in meinem 74. Lebensjahr, arbeiteich genauso viel wie früher. Und ich frageauch keinen Verlag mehr. Ich weiß, dassman jetzt ökonomisch rentablere Dingevorzieht. Ein Beispiel: Ich hatte einen Auf-trag von der musica viva in München, eingroßes Orchesterstück. Der Auftrag wurdevor Jahren honoriert. Das Stück ist bis heutenicht aufgeführt worden, weil kein Verlagda ist, der das Material herstellt. Der Veran-stalter fragt nun, ob ich das Material nichtselbst herstellen könne. Das würde bedeu-ten: Ich bekam für die Komposition einnicht gerade üppiges Honorar. Das Orches-termaterial kostet etwa 20 000 Euro. Daszu finanzieren, ist mir nicht möglich und soliegt das Stück nach wie vor im Schrank –bis heute nicht aufgeführt.

    Und nun sage ich: Ich beauftrage michselbst. Mittlerweile liegen in meiner Schub-lade mehrere Partituren, die geschriebensind, die niemand aufgeführt hat und diewahrscheinlich auch noch eine Weile liegenwerden. Ich muss konstatieren: Es findeteine regelrechte Ausgrenzung statt, was ichin einem wiedervereinten Deutschland nichterwartet habe. So teile ich Heiner MüllersResumée: „... aber ich möchte nicht in einemanderen Zeitalter leben mit dem Bild vondem, was ich für ein neues Zeitalter halte.

    Vielleicht wird dieses Zeitalter nie kommen,aber es existiert als Utopie.“ (aus: HeinerMüller: Gesammelte Irrtümer I).

    Neue Musik hat ihr Publikum unddieses Publikum ist erfreulich jung und inter-national. Schaut man jedoch in die Schulen,dann werden eklatante Defizite deutlich. Hierspielt Neue Musik, E-Musik überhaupt, nureine untergeordnete Rolle, wenn denn über-haupt Musikunterricht stattfindet. Aber brauchtes nicht ein gesellschaftliches Klima, den Wil-len, die Werte und Inhalte der mehr als 2000-jährigen Kultur weiterzugeben? Haben nichtauch die Medien eine Verantwortung dafür?

    Dittrich: O ja, das haben sie! Sie habendiese Verantwortung – sie nehmen sienicht wahr. Die jüngste Tagung der Akade-mie der Künste hat gezeigt, dass den Kolle-gen die Problematik klar ist. Man machtimmer wieder neue Ansätze. Ob die genü-gen, kann ich hier nicht beantworten. Meinalter, lieber Freund Josef Tal, Komponistaus Israel, hat auf dieser Tagung etwasWichtiges gesagt: Die Erziehung, die Ausbil-dung in den Schulen beginnt damit, wie mandie Lehrer ausbildet, um neue Möglichkei-ten und Präsenz bei den Kindern zu finden.Bis heute werden die Lehrer an den Univer-sitäten und Hochschulen nicht zielgerichtetausgebildet. Man beschäftigt sich mit vielwissenschaftlichem, methodischem Krims-krams, der nicht notwendig ist und kommterfahrungsgemäß nicht zu den Fragen, dieuns alle auf den Nägeln brennen. Die zweiteentscheidende Antwort: Man muss vielmehr die geistige Potenz der Schüler stei-gern und entwickeln und dazu gehört ausmeiner Sicht in erster Linie die Literatur.

    Zum Schluss noch einmal Heiner Müller:„Was die Leute interessiert, ist das, was sienicht brauchen, und das, was sie brauchen,interessiert sie nicht. Man muss wirklichWege finden, das zu machen, was sie brau-chen, obwohl sie sich dagegen wehren.“

    FOKUS

    Warum

  • PAPA KEINEN LACHENMANN MAGvergangenen 20 Jahre aufbauen zu können,müssen sie stets wieder bei „Null“ beginnen.

    Um diesem Mangel abzuhelfen, habensich die erfahrensten Response-Initiativenaus ganz Deutschland zusammengetan undein „Response-Startpaket“ konzipiert. MitHilfe verschiedener Medien und eines Kon-tingents an Start-Workshops sollen regio-nale Initiativen, die vor Ort neue Projekteins Leben rufen wollen, die dafür nötigen

    Impulse erhalten – Anregungen und Hilfe-stellungen für die praktische Umsetzungsowie Tipps und Materialien, um örtlicheGeldgeber und Kooperationspartner fürdiese Projektform zu begeistern.

    Dabei werden selbstverständlich auchdie Teilnehmer zurückliegender Projekteausführlich zu Wort kommen – Kompo-nisten und Lehrerinnen, Musikerinnen undSchüler. Denn manches, was von außen

    Bernhard König über „Response“ – einen Klassiker der Musikvermittlung für Kinder

    Bei so vielen positiven Erfahrungen ver-wundert es, dass bislang jegliche überregio-nale Vernetzung, Bestandsaufnahme undsystematische Gesamtdarstellung von Res-ponse fehlt. Das macht den Start für neueInitiativen, die auf dieses bewährte Modell

    zurückgreifen wollen,häufig sehr schwer:

    Statt auf die Er-fahrungen der

    betrachtet schwer nachvollziehbar seinmag, erschließt sich leicht, wenn man Res-ponse schon einmal miterlebt hat. So hattedenn auch beim Kölner Lachenmann-Kon-zert eine Viertklässlerin anschließend einesehr einleuchtende Erklärung dafür parat,warum ihre Eltern sich so gar nicht mitdem Gehörten anfreunden mochten: „Naklar hat’s dem Papa nicht gefallen. Der hatja auch noch nie selber komponiert!“

    Informationen zum geplanten Response-Startpaket: Büro für Konzertpädagogik,Postfach 300 302, 50773 Köln,Tel. 0221/139 09 23, Fax 222 58 52,[email protected]

    www.konzertpaedagogik.de

    Response begleitetKinder spielerisch aufdem Weg zu eigenen

    Kompositionen.

    Fotos: Büro fürKonzertpädagogik

    MUSIK�ORUM 17

  • Was für ein schöner Traum –eine Schule, die nichtSpezialschule für Musik ist, undsich trotzdem der „ernsten“ undauch noch der Neuen Musikschwerpunktmäßig widmet, einerrelativ massen-unpopulären undwenig medienwirksamen Musik…

    FOKUS

    So eine Einrichtung wäre beständig in Er-klärungsnot, warum sie das tut, was sie tut.Schließlich wäre das weder marktrelevantnoch massenkompatibel, weder leichtver-daulich noch mit minimalem Zeitaufwandmachbar. Aber Musik ist nun mal nicht nurein Konsumprodukt, sondern auch Kunst –und stößt, wie jede Form von Kunst, aufProbleme bei Rezeption und Konsumtion.Musik muss im Spannungsfeld von Tradi-tion und Moderne gesehen werden, soll Mit-tel sein, eigene Identität zu erfahren bzw. zufinden. Solch eine Schule würde also Inhaltelehren, die gelehrt werden müssen, um ver-ständlich zu sein und goutiert werden zu kön-nen.

    Für den Lehrer an dieser Schule fangendie Probleme schon damit an, dass er seineSchüler – wie man so schön sagt – dort ab-holen muss, wo sie sind, ohne sich an dieserStelle festhalten zu lassen oder gar von ih-nen abgeholt zu werden. Andererseits bleibtder Biologe in seiner Lehrtätigkeit auch nichtbeim Pantoffeltierchen, der Mathematikernicht beim kleinen Einmaleins und der Phy-siker nicht bei den Aggregatzuständen vonWasser stehen, der Literat gar beim Abzähl-reim und der bildende Künstler beim Aus-malbuch. Das Ziel dieses Lehrers muss essein, seinen Schülern die Komplexität derDinge zu zeigen, sie zum Hinterfragen zu ani-mieren, ihr Bedürfnis nach Verständnis –nicht Einverständnis – zu wecken, um somitRadikalität vorzubeugen. Darüber hinausmöchte er seine eigenen Erfahrungen mitdem Medium vermitteln, die natürlich ausungleich stärkerer Beschäftigung damit her-rühren als bei seinen Schülern. Der Unter-

    richt würde noch weiter an Qualität gewin-nen, wenn aktive Musiker und Musikwis-senschaftler zur Lehrtätigkeit herangezogenwerden könnten.

    Traum erfüllt?

    Ging der Traum von einer solchen Schu-le am 19. Dezember 1979 in Erfüllung? Andiesem Tag erhielt die Polytechnische Ober-schule 1 in Zeuthen den Namen „Paul Des-sau“ verliehen, denn der Namenspatron hat-te 14 Jahre lang mit Kindern dieser Schuleaktiv musiziert. Dazu gehörten auch dasKomponieren, die rhythmische Erziehungund Gehörbildung. Paul Dessau schriebdazu: „Ich bin bei den Zeuthener Kindernnie auf unüberwindliche Hindernisse gesto-ßen und stehe auf dem unerschütterlichenStandpunkt: Jedes Kind ist musikalisch; daseine mehr, das andere weniger; und mitAusdauer und bei guter Anleitung lässt sich

    IST DAS ZIEL…

    Der Weg

    Dem Musiktheater verpflichtet:Der Chor der Paul-Dessau-Schule

    bei der Aufführung von MozartsBastian und Bastienne in der

    Turnhalle. Foto: Paul-Dessau-Chor

    MUSIK�ORUM18

  • »…ich pfeif mir mein VERFEINERUNG und zeig Dir, wo der Himmel sitzt!« Peter Rühmkorf in: „Ganz entschiedenes Ausweiche-Lied“

    Neue Musik an der Schule? Wie junge Menschen anungewohnte Klänge herangeführt und dafür begeistert werden

    können, beschreiben Sigrid und Matthias Schella und Marina

    Eggerath am Beispiel der Paul-Dessau-Schule

    alles erlernen. Dadurch, dass die Kinder an-gehalten werden, sich produktiv mit derMusik zu beschäftigen, wird ihr Genussbeim Anhören von Musik gesteigert seinund ihre Freizeitgestaltung eine neue Quali-tät erreichen. Denken ist erste Bürgerpflicht.Auch in der Musik. Und: Kritisches Denkenist noch besser.“ *

    Aus Anlass der Namensgebung wurdeein Schulchor zusammengestellt, der die Fei-erlichkeiten umrahmte. Dieser Chor, einmalvorhanden, wurde nun auch weitergeführt.Die Regisseurin Ruth Berghaus, Dessaus Le-bensgefährtin, regte den damals noch gleich-stimmigen Chor an, zum 90. Geburtstagvon Dessau sein Singspiel Rummelplatz zuerarbeiten. Diese Anregung wurde mit gro-ßem Erfolg realisiert, inszeniert von einemMeisterschüler von Ruth Berghaus. Über dieErarbeitung des Singspiels hinaus wurdeDessaus Geburtstag zum Anlass genommen,

    sich mit den von Dessau vertonten Liedernvon Brecht zu beschäftigen, mit Tierverse,Kleines Bettellied, Der Pflaumenbaum, DerGottseibeiuns und anderen. Bemerkenswertdabei war, wie gut und erstaunlich schnelldie 10- bis 14-Jährigen diese Musik erlernthaben und wie viel Freude sie daran hatten.Die beteiligten Lehrer befürchteten weitausgrößere Probleme bei der Annahme dieserArt Musik durch die Kinder.

    In Anerkennung dieser Arbeit wurde demChor von Ruth Berghaus der Name „PaulDessau“ verliehen. Von nun an entwickeltesich der Paul-Dessau-Chor zum gemischtenKinder- und Jugendchor, steigerte seine Qua-lität immer weiter und fühlte sich dem Mu-siktheater verpflichtet. Alle paar Jahre wid-mete er sich nicht nur seiner „üblichen“ Chor-arbeit mit Werken verschiedenster Epochenund Stilrichtungen, sondern erarbeitete Sing-spiele, eine Oper und mehrere Lehrstücke.Der Oper Bettina (von Friedrich Schenker)1987 folgte 1989 Eisenbahnspiel (Robert Seitz/Paul Dessau), 1994 Bastian und Bastienne(Wolfgang Amadeus Mozart), Ausnahme undRegel (Bertolt Brecht/Paul Dessau) und Or-pheus und der Bürgermeister (Robert Seitz/Paul Dessau), 1997 Der Jasager (BertoltBrecht/Kurt Weill) und 2002 Das BadenerLehrstück vom Einverständnis (Bertolt Brecht/Paul Hindemith). Mit Der Jasager wurde derChor sogar 1997 an das Berliner Ensemblezu einem Gastspiel eingeladen und hat esdort mehrmals aufgeführt. Darüber hinauswurde 1999 ein Liederabend mit Werkenvon Paul Dessau erarbeitet. Außerhalb deserfolgreichen Konzerts entstand eine CD mitdiesen Liedern. Die musikalische Erarbei-tung aller Stücke erfolgte im Rahmen derMusikausbildung der Schule, inszeniert wur-den sie aber von namhaften Regisseurenwie z. B. Maxim Dessau und Steffen Kaiser.Gerade die Arbeit mit den Regisseuren be-reicherte die inhaltliche Auseinandersetzungmit den Stoffen.

    Akzeptanz für andere Musikmuss entwickelt werden

    Die Erarbeitung dieser Werke setztenicht nur eine Auseinandersetzung mit Neu-er Musik voraus, sondern auch mit den Tex-ten und Inhalten. Die Schüler wurden ange-regt, ihre Kenntnisse in Geschichte, Literaturund Politik praktisch bei der Auseinander-setzung mit diesen Werken anzuwenden undzu erweitern. In diesem Sinne ist die Erarbei-

    Mit „Der Jasager“von Brecht und Weillgastierte der Paul-Dessau-Chor sogarschon im BerlinerEnsemble.Foto: Maria Steinfeldt

    MUSIK�ORUM 19

  • tung fast wichtiger als die Aufführung, alsoder Weg das Ziel. Und dieser Weg ist nichtunproblematisch.

    Die Hörgewohnheiten unserer Schülerliegen im Bereich von commercial music, dieAkzeptanz für andere Musik muss erst ent-wickelt werden. Nach unserer Erfahrung ge-lingt uns das heute schneller als noch vorzehn oder gar 20 Jahren, als wir begonnenhatten, Schüler damit zu konfrontieren. Ei-nen wesentlichen Grund dafür sehen wirdarin, dass die älteren Schüler mit ihrer Er-fahrung mit dieser Musik die jüngeren be-einflussen. Das Beispiel der Älteren und de-ren Begeisterung für andere, auch NeueMusik erleichtert den Jüngeren den Einstieg.Ein anderer Grund ist die Vielfalt der Be-schäftigung mit Musik an unserer Schule.

    Nach 1989 bemühten wir uns im Ergeb-nis der Erfahrungen in der Arbeit mit demChor, den Schülern weitere Möglichkeitenzur Beschäftigung mit Musik zu erschließen.1991 begannen wir, außerhalb des Schul-unterrichts eine Instrumentalausbildung, Un-terricht in Musiktheorie, Musikgeschichtesowie Gehör- und Stimmbildung anzubieten.

    1994 wurde unsere Schule zur musikbeton-ten Gesamtschule mit gymnasialer Oberstu-fe, Musik nun im Wahlpflichtbereich I (abKlasse 7) angeboten. Schüler, die dieses Wahl-pflichtfach gewählt haben, erhalten Unter-richt in den genannten Bereichen und sindMitglieder eines Chors oder Instrumental-ensembles. Schon bald wurde ein Nachwuchs-Chor gegründet, der die jüngeren Schüler vor-bildet, bevor sie in den Paul-Dessau-Choraufgenommen werden können. Konnte 1991Unterricht nur in Klavier und Gitarre erteiltwerden, so hat sich das Angebot inzwischenum weitere zehn Instrumente erweitert. DieSchüler können zu Beginn der Ausbildung einInstrument wählen, um dann mindestensvier Jahre lang an diesem Instrument unter-richtet zu werden, oder sie setzen eine schonbegonnene Ausbildung an einem Instru-ment an der Schule fort. Schüler unsererSchule haben in den vergangenen Jahrenimmer wieder mit guten Erfolgen am Wett-bewerb „Jugend musiziert“ teilgenommen.

    In einem fachübergreifenden Projekt setz-ten sich Musikschüler der Sekundarstufe II

    mit dem Film LuigiNono – Il canto sospesoauseinander. Auch die-ses Projekt erweitertedie Vielfalt der Beschäf-tigung mit Neuer Mu-sik an unserer Schule(siehe Artikel von Mar-garita Dittrich im Kas-ten rechts!)

    Fazit unserer Arbeitmit den Schülern ist,dass sich die Schülerdurchaus an diese Mu-sik heranführen und – mehr noch – dafürbegeistern lassen. Speziell bei Aufführungenvon Musiktheater ist zu spüren, dass dieSchüler im Laufe ihrer Beschäftigung mitdem Werk viel dazugelernt, viel verstandenhaben. Vor allem in der zweiten Hälfte derErarbeitung des Werks wachsen Verständ-nis und Begeisterung. Leider trifft die Begeis-terung der Schüler für das Werk und seineUmsetzung dann nicht immer auf die Ak-zeptanz des Umfelds. Um die Schüler nichtzu entmutigen, müssen sie aufgefangen,

    manchmal regelrecht getröstet werden. Esist auch häufig ein Problem, solche Projektemedienwirksam in der Öffentlichkeit darzu-stellen, da das Sujet häufig als außerordent-lich unpopulär empfunden wird.

    Schüler, die sich noch nie vorher mitMusiktheater beschäftigt haben, stehen die-sem Vorhaben meist reserviert gegenüber,aber während der Proben wächst ihr Ver-gnügen an Spiel und Gesang. Beim Verlas-sen der Schule sind sie dann regelrecht trau-rig darüber, den Chor zu verlassen. Ein ehe-maliger Schüler formulierte es so: „Spezielldie Arbeit an Werken des Musiktheaters hatuns enger zusammenrücken lassen. Darüberhinaus haben fast alle durch die Auseinan-dersetzung mit diesem Genre die Musikschätzen gelernt und haben begonnen, sichinsgesamt mehr Gedanken um die Welt zumachen. Diese Möglichkeit, uns auszupro-bieren und Dinge zu tun, an die wir frühernie gedacht hätten, werden wir wohl kaumje wieder in unserem Leben haben.“

    Bei allen positiven Effekten ist der Zeit-aufwand natürlich riesig für alle Beteiligten.

    Die Schüler müssen viel von ihrer Freizeitopfern, was nicht selbstverständlich ist. DerLehrstoff in allen Schulfächern muss bewäl-tigt werden – trotz zusätzlicher Proben auchan Wochenenden. Die zeitliche Belastung istfür Schüler nicht nur problematisch wegendes Wegfalls von Freizeit, sondern auch we-gen teilweise fehlender Akzeptanz von Fach-lehrern. In der intensivsten Phase der Erar-beitung ist Rücksichtnahme von Kollegenauf die Mehrbelastung der Schüler erforder-lich, aber nicht immer vorhanden.

    Wie nah sind wir also dem anfangs skiz-zierten Traum? Vor 25 Jahren hatten wirkeine Vorstellung, wie sich die Dinge anunserer Schule weiter entwickeln werden.Rückblickend auf das Erreichte, auf Erfolgewie auf Probleme, können wir aber feststel-len, dass wir auf einem steinigen Weg dochsehr weit gekommen sind. Träume gibt esnoch viele, aber aus den vorhandenen Mög-lichkeiten haben wir mit viel Engagement,also Zeit und Kraft, Ansehnliches geschaf-fen. Wir haben viele Schüler erreichen kön-nen und ihnen Erfahrungen mit Musik undmit sich selbst vermittelt, die sie oft ein Le-ben lang begleiten werden.

    Mit einer solchen Arbeit riskieren wir es,nicht nur unsere Schüler – weit über dieSchulzeit hinaus – zu beeinflussen, sondernmit ihnen vielleicht auch die nächste Gene-ration und das Publikum. Das könnte dazuführen, dass wir dafür mitverantwortlich sind,wenn in 30 Jahren noch immer Orchester,Theater, Chöre etc. die öffentlichen Haus-halte belasten. Denn wir hätten eine künstli-che Nachfrage nach Musik, auch NeuerMusik geschaffen. Um von solch einem Er-gebnis träumen zu können, braucht es aberan der Schule „Überzeugungstäter“, die be-reit sind, all ihre Kraft und viel Zeit in dieBildung und Erziehung künftiger Generatio-nen zu investieren.

    * Paul Dessau: Musikarbeit in der Schule, Berlin 1967.

    MUSIK�ORUM20

    FOKUS

    »Wir haben die Musik schätzen gelernt und begonnen, uns Gedanken um die Welt zu machen«

    Ehemaliger Schüler an der Paul-Dessau-Schule

    Werke des Musiktheaters erleichtern Schülern den Zugang zu neue-rer Musik. Foto: Marina Eggerath

  • Mich beschäftigt immer häufiger dieFrage, ob die klanglichen Möglichkeitendes großen symphonischen Klangkörpersnicht in nah abzusehender Zukunft aus-gereizt sind. Damit in engstem Zusam-menhang stellt sich die Frage, ob dasIdeal der frontalen „Konfrontation“Publikum – Künstler für die Neue Musiküberhaupt noch interessant ist.

    Betrachtet man die Entwicklung derletzten Jahre, so verstärkt sich der Trendzum kleineren, flexiblen Ensemble. Dieserfordernd und ebenso dadurch bedingt,verweben sich die verschiedenen Künsteimmer stärker miteinander, oft bestehendie klaren Trennlinien zwischen denKünsten nicht mehr. Durch die Möglich-keiten der Technik werden diese Tenden-zen noch verstärkt und unterstützt. Umdas alles kombinierbar und praktikabel zulassen, muss die Musik sehr flexibel sein.

    Desgleichen wird die Behandlung desInstrumentariums immer individueller, dieInstrumente werden quasi zu Individuen;somit werden auch die Anforderungen andie Musiker immer spezieller. So sehr iches für nötig erachte, dass Musiker in allenEpochen der Musikgeschichte zu Hausesind, ist es doch nicht von der Hand zuweisen, dass viele Techniken speziell fürdie Neue Musik erlernt werden müssen.Auch die Herangehensweise an die NeueMusik muss oft (nicht immer) unter ganzanderen Vorzeichen stehen als bei derMusik vorhergehender Epochen.

    Der große symphonische Klangkörperwird als eine ein reiches Instrumentariumzur Verfügung stellende Institution ge-braucht werden, die sich aber schon mitBeginn des „Musikmachens“ in ihre ver-schiedenen individuellen und flexiblenTeile auflöst.

    Jürgen Bruns, Dirigent:

    Neue Musik undKlangkörper

    Jürgen Bruns ist Künst-lerischer Leiter der Kam-

    mersymphonie Berlin;

    europaweite Gastdirigate

    mit Schwerpunkt „Klassi-

    sche Moderne“; div. CD-

    Einspielungen, TV- und

    Rundfunkproduktionen.

    1998 befasste sich eine Lehrergruppeder Paul-Dessau-Schule mit dem FilmLuigi Nono – II canto sospeso, der fürSchulprojekte an allgemein bildendenSchulen konzipiert war.

    Der Film thematisiert das durch Kriegverursachte Leid und stellt den Schmerzder Menschen mit einer Collage vonWerken der politisch-engagierten Kunstund mit Dokumentarmaterial aus demZweiten Weltkrieg dar. Die Filmbilderwerden musikalisch wie ein cantus firmusbegleitet von der Konzertaufführung vonIl canto sospeso nach Briefen von zumTode verurteilten Antifaschisten – einWerk der klassischen Moderne, das LuigiNono in den 50er Jahren des 20. Jahrhun-derts komponierte.

    Die Entscheidung, das Projekt fach-übergreifend zu unterrichten, lag nahe. Eswar eine verlockende, da sehr komplexeAufgabe. Im Musikunterricht der Schulewurde das Projekt in den Mittelpunkt ei-nes Kursthemas für die Sekundarstufe IIgestellt und lenkte die Aufmerksamkeitnach vorbereitenden Schritten auf dieKomposition von Nono. Erst danachlernten die Schüler den Film kennen.

    Im Zuge des Kursthemas und nachder Auseinandersetzung mit dem Filmhäuften sich Fragen, die auch durch an-dere Fachbereiche zu beantworten wa-ren. Die Musikschüler wurden von Leh-rern aus den Fachbereichen Deutsch,Geschichte und Kunst in jeweils dreistün-digen Seminaren außerhalb des schuli-schen Stundenplans unterrichtet. The-men wie Hyperions Schicksalslied von

    Hölderlin, Thomas Manns Vorwort zumBuch Und die Flamme soll euch nicht ver-sengen, der italienische Faschismus, Picas-sos Bild Guernica bildeten eine wertvolleBereicherung für die Musikschüler. Imnormalen Unterrichtsplan hätten sie da-von kaum etwas erfahren.

    Das Projekt wurde in fünf aufeinanderfolgenden Jahren in der Sekundarstufe IIfortgesetzt. Notwendige Voraussetzungfür eine erfolgreiche Arbeit mit den Schü-lern waren deren gute Musikgrundkennt-nisse. Alle Schüler hatten bis zur 10. Klas-se das Fach Musik als erstes Wahlpflicht-fach belegt. Trotzdem musste man das Ver-ständnis für die Musik von Nono schritt-weise aufbauen – durch Exkursionen in dieVergangenheit auf den Spuren der Neu-en Musik, um die Traditionsbezüge vonbestimmten kompositorischen Verfahrenzu verdeutlichen. Auch Erläuterungen zuGrenzerscheinungen, wie z. B. Lautdich-tung des 20. Jahrhunderts, trugen dazubei, das Verständnis für den besonderenUmgang mit Sprache in dem Werk vonNono zu stärken.

    Das Projekt Il canto sospeso motivierteSchüler und Lehrer. Die Unterrichtsfor-men und die Lerninhalte waren vielfältigund immer wieder wurde hierbei der Be-zug zu unserer Zeit deutlich.

    Wenn man Schüler heute fragt, wasfür sie Neue Musik ist, hört man allzu oftdie Antwort: Die Musik der jungen Leuteheute. Ist diese enge Auffassung nichtauch die Folge einer großen Wissens-lücke in Bezug auf Entwicklungen in derMusik des 20. Jahrhunderts?

    Margarita Dittrich

    MUSIK�ORUM 21

    Die Autoren:

    Sigrid Schella ist Leiterin der Musikausbildung an der Musikbetonten Gesamtschule

    Paul-Dessau; seit 1979 leitet sie den Paul-Dessau-Chor.

    Matthias Schella ist Orchestermusiker am Staatstheater Cottbus, war selbst Schüler der

    Dessau-Schule und arbeitet heute als Chorleiter an dieser Schule.

    Marina Eggerath ist Mitglied des Fördervereins für Musikausbildung e.V. an der Musikbe-

    tonten Gesamtschule Paul Dessau mit gymnasialer Oberstufe.

    Margarita Dittrich ist Musikwissenschaftlerin und unterrichtet seit Beginn der 90er Jahre

    Musiktheorie für die Schüler der Musikausbildung in den Sekundarstufen I und II an der

    Paul-Dessau-Schule.

    AUF DEN SPUREN NEUER MUSIK

    Fachübergreifendes Schulprojekt mit Musik von Luigi Nono

  • FOKUS

    Kultur steckt in einer Krise, weil einer-seits „gerechte“ Kulturpolitik gegenüber denKulturausübenden aussichtslos geworden istund andererseits Voraussetzungen zur brei-ten Rezeption der Kulturfülle fehlen. ZumDilemma mangelnder Kulturfinanzierung*gesellt sich also die Frage, für wen denn Kul-tur zu finanzieren sei.

    Das Positive zuerst:Täglich erscheinen neue Namen von

    Komponisten auf den Spielplänen. Zu kei-nem anderen Zeitpunkt gab es so viele Spe-zialensembles für Neue Musik. Die Suchenach dem neuen (fernen) Klang bewegt jun-ge Leute im Spiel mit Soundkarten am Com-puter zu Hause, Hausmusik. Das Hören vonMusik steht an der Spitze der Freizeitbe-schäftigungen von Schülern. Zu den Kate-gorien des Wettbewerbs „Jugend musiziert“gehört zeitgenössische Musik. Die Anzahlder Festivals für Neue Musik nimmt zu.Neue Musik hat Publikum. Es gibt sie noch,die kleinen Verlage und Labels für NeueMusik. Uraufführungen haftet nach wie vor

    * Beklagenswerte Zustände sind aus derUckermark zu vermelden, wo durch die Kom-mune alle Musikschullehrer entlassen wordensind. Im Landkreis Ostprignitz-Ruppin wirdderzeit heftig über die Streichung aller Kultur-gelder debattiert, weil der Landkreis die Bus-Beförderung der Kinder zu den wenigen nochvorhandenen Schulen ermöglichen muss,ansonsten würde selbst die Schulpflicht inDeutschland gegenstandslos werden.

    NEUE MUSIK ALS

    Was an den Rand geredet wird, steht auch irgendwann dort:

    Z u all dem Alten, Bewahrenswerten aus verschiedenen Kulturkreisenkommen neue Kunstwerte hinzu. Für jede noch so spezielle Kunst-richtung entstehen wieder Gruppen von Fachleuten und der Andrang aufentsprechende Studienplätze steigt verständlicherweise. Noch nie war soviel Kunst zu fördern, noch nie waren so viele Künstler und Kunstwissen-schaftler zu finanzieren wie jetzt.

    der Reiz des Besonderen an. Musik ist „in“,neue Klänge sind es auch.

    Es war verlockend, ausgehend von derwissenschaftlich-technischen Revolution im20. Jahrhundert, auch an eine sich linearvollziehende Kunstentwicklung zu glauben.Aber täglich entdecken Wissenschaftler alteKunst wieder, die Anzahl der Museen steigtunaufhörlich an. Jede neue Information überbisher Unbekanntes führt künstlerische Blü-tezeiten an unterschiedlichen Standortenvor Augen, die nur schwer oder gar nicht ingeschriebene Kunstgeschichte hineinpassen.Wolfgang Welsch geht davon aus, dass mitder „Grundlagenkrise“ in der Mathematikim Ergebnis der einsteinschen Relativitäts-theorie „Wirklichkeit nicht mit Totalitätsan-sprüchen, sondern nur mit pluralen Model-len und situationsspezifischen Theorien bei-zukommen ist. Die Wirklichkeit ist nichthomogen, sondern heterogen, nicht harmo-nisch, sondern dramatisch, nicht einheitlich,sondern divers strukturiert. Sie hat – kurzgesagt – ein postmodernes Design.“1

    Musik reflektiert auf ihre Weise gesell-schaftliche Realität, heterogen, dramatisch,divers strukturiert – gelegentlich auch amRande gesellschaftlicher Kenntnisnahme.Hat nicht das Desinteresse von Zuhörern undMusikmarkt an der so genannten neuenernsten Musik zur Folge, dass der Kompo-nist völlig „frei“, unabhängig von Vorgaben,weil auch unbeachtet schöpft? Man kannalso eh komponieren, was man will? Wo en-det das Experiment, wo beginnt die Orien-tierungslosigkeit?

    Musikalische Neuansätze bedürfen derExperimentierwerkstatt, ebenso aber auchder gesellschaftlichen positiven oder negati-ven Resonanz. Das setzt einen selbstver-ständlichen Umgang mit Neuer Musik vo-raus – normale Existenzberechtigung in derSchule, im Konzertrepertoire, in den Me-dien –, keine noch so gut geförderte Isola-tion. Was an den Rand geredet wird, stehtauch irgendwann dort.

    „Alles“ kann zum kompositorischen Ma-terial werden, unwichtig, ob auf dem Noten-papier oder am Computer, später musiziertim Konzertsaal oder dargeboten im Club.Wolfgang Rihm: „Es kann keine Vorgabegeben, was Material zu sein hätte. Es kommtdarauf an, was jemand damit macht, unddamit wird etwas zum Material.“2 Die Un-terschiede liegen im Kompositionsverfahrenund Strukturierungsgrad des Ergebnisses, si-cher auch in der Konsequenz, mit der einkompositorisches Anliegen umgesetzt wird.Wie zu anderen Zeiten auch ist nicht allesgut, was komponiert wird.

    Reflektieren – einschließlich aller Unvoll-kommenheiten – heißt Rückbesinnen, Nach-denken über eigenes Tun, in Frage stellen,vergleichen, sich messen am Besseren, auchentscheiden, was richtig oder möglicherwei-se falsch ist. Wer sich nicht mehr reflektiertoder reflektieren lässt, wird der Oberfläch-lichkeit anheim fallen. Kulturgeschichtlich

    Ulrike Liedtke über individuelle und gesellschaftliche Funktion,über Entwicklung und Vermittlung zeitgenössischer Tonkunst

    MUSIK�ORUM22

  • Komponist Wolfgang Rihm:„Es kann keine Vorgabe geben,was kompositorisches Material

    zu sein hätte.“Foto: Universal Edition/Eric Marinitsch

    Reflexion ihrer Zeit

    folgt Vergessen, Gleichgültigkeit – eindeuti-ge Anzeichen eines drohenden Untergangs.Fehlende gesellschaftliche Reflexion verbin-det sich demzufolge mit dem Abbau vonZivilisation. Nicht zuletzt um dies zu verhin-dern, entspricht Musikförderung, insbesonderedie der nicht populären Kompositionen, ei-ner Investition in gesellschaftliches Entwick-lungspotenzial.

    Aber speziell Neue Musik verlangt dasbewusste Hören des Einzelnen, nicht vorder-gründig als gesellschaftliches Ereignis. DieLosgelöstheit des Einzelnen von Vorurtei-len, sein Freisein für Neues und sein Einzeln-seinkönnen werden zu Voraussetzungen fürdas Hören. Da neue Musik nicht „nebenbei“zu konsumieren ist, besser über den direk-ten Zugang wirksam wird, gewinnt das Mu-sizieren aus dem Moment heraus an beson-derer Bedeutung, also live, von Mensch zuMensch. Tausend einzelne kleine Konzertebewirken mehr als eine große Veranstaltungmit tausend Besuchern. Ein Plädoyer fürmutige kleine Projekte.

    Die Chancen für zeitgenössisches Musik-theater stehen bei visuell geprägtem Rezep-tionsverhalten nicht schlecht. Schließlich kannkeine Kunstform multimediale Aktionen sogut in genreübergreifenden Formen präsen-tieren wie Theater. Die Kunstsymbiose vonMusik, Sprache, Theater, Tanz, BildenderKunst und elektronischen Medien ist längstnicht ausgereizt. Nur scheint zurzeit alles in-teressanter zu sein als Theater im Theater.Zeitgenössisches Musiktheater meidet aus-getretene Wege des Guckkastentheaters,braucht verwandelbare Räume, entwickeltIdeen auch aus Spiel-Räumen heraus. Klangbricht den Guckkasten auf. Dank hoch ent-wickelter Computertechnik ist es heute mög-lich, ein komplexes Bild von nahezu jederbekannten kunsthistorischen Zeit herzustel-len. In der Konsequenz gehört das Konzertmit der Alten Musik in den aus gleicher Zeit

    stammenden Saal und das zeitgenössischeStück in ein architektonisch neues Gebäu-de, es wird bewusst für einen vorhandenenRaum komponiert oder ebenso bewusst derWiderspruch zwischen Musik und Raumprovoziert.

    Auch wenn es auf den ersten Blick nichtso scheint, erweisen sich die Stoffe des zeit-genössischen Musiktheaters durchaus alsaktuell, wenn auch Texte oft den Umwegschriftstellerischen Erbes seit der Antike ent-langgeschickt werden (was deren Kenntnisvoraussetzt – oft ein Irrtum!). Das offenbartvielleicht eine gewisse Sprachlosigkeit. Stof-fe zu aktuellen Themen – Klimawandel, Gen-manipulation, Hirnforschung – oder zu ge-sellschaftlich relevanten Themen wie demKampf oder Dialog der Kulturen bleibeneher selten.

    Abgesehen von selbst gemachten Proble-men bedarf Neue Musik, um tatsächlichWirklichkeit zu reflektieren, noch zu schaf-fender Voraussetzungen:

    ” Seit gut 50 Jahren bleibt eine Neuent-wicklung in den Kinderschuhen stecken, weildie Spezialensembles für Neue Musik keinekontinuierliche Förderung erhalten können.Von ca. 230 Ensembles in Deutschland kön-nen