Caritas Schweiz: Themenheft Hunger

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Hunger Seite 1 Hunger ist die schlimmste Form von Gewalt Mahatma Gandhi Das Problem sind nicht die Talsperren. Es ist der Hunger. Es ist der Durst. Es ist die Dunkelheit in den Städten. Es sind die Städte und die ländlichen Hütten ohne fliessendes Wasser, Licht Recht auf Nahrung wird gebrochen Jeder achte Mensch auf der Welt leidet an Hunger. Täglich sterben 25 000 Menschen an den Folgen von Unterernährung, drei Viertel davon sind Kinder. Hun- ger ist ein täglicher Skandal der Ungleichheit auf dieser Welt, eine schleichende Katastrophe, die leicht verges- sen geht. Der weltweite Hunger steht in Widerspruch zum «Recht auf Nahrung», das seit 60 Jahren als Men- schenrecht anerkannt ist. 920 Millionen mal wird die- ses Recht täglich gebrochen. Für diese erschreckende Anzahl von Menschen ist das eine individuelle Tragö- die. Der Kampf gegen Hunger ist ein Einstehen für die unteilbare Würde jedes einzelnen Menschen auf dieser Welt. Hungernden Menschen wird Gewalt angetan, die schlimmste Form von Gewalt, wie Mahatma Gandhi gesagt hat. Die Beseitigung des Hungers ist aber auch ein ent- wicklungspolitisches Gebot. Hunger bremst die wirt- schaftliche Entwicklung von armen Ländern nachweis- lich massiv. Wer nicht genug zu essen hat, kann nicht lernen und keine vollwertige Arbeit verrichten. Hunger zu tolerieren ist ökonomisch unsinnig. Schätzungen gehen davon aus, dass die Folgen der Unterernährung in den Entwicklungsländern jährliche ökonomische Schäden von 500 Milliarden Franken und mehr verur- sachen. Millenniumserklärung Die Staatengemeinschaft hat sich in der UNO-Millen- niumserklärung zum Ziel gesetzt, den Hunger und die Armut in der Welt bis ins Jahr 2015 zu halbieren. Heute ist bereits klar, dass dieses Ziel nur mit einem deutlich verstärktem Engagement erreicht werden kann. Die Zahl der hungernden Menschen weltweit steigt wie- der an. Für einen wirksamen Kampf gegen den Hun- ger fehlt es an politischem Willen, an der Solidarität der reichen mit den armen Ländern und nicht zuletzt am Geld. Mit den Millenniumszielen ist zwar die Zusage verbunden, 0,7 Prozent des Bruttoninlandprodukts für die Entwicklungshilfe einzusetzen. Die meisten Staa- ten, darunter auch die Schweiz, haben dieses Verspre- chen aber bisher nicht eingelöst. Caritas Schweiz engagiert sich seit Jahrzehnten welt- weit in der Hungerbekämpfung. Mit diesem Themen- heft werden die verheerenden Zusammenhänge der Hungerproblematik aufgezeigt. _Themenheft Hunger Hunger darf nicht sein

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Jeder achte Mensch auf der Welt leidet an Hunger. Jeden Tag sterben 25000 Menschen an den Folgen von Unterernährung. Hunger ist ein täglicher Skandal. Diese Themenheft liefert Fakten zum Kampf gegen den Hunger.

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Hunger Seite 1

Hunger ist die schlimmste Form von Gewalt Mahatma Gandhi Das Problem sind nicht die Talsperren. Es ist der Hunger. Es ist

der Durst. Es ist die Dunkelheit in den Städten. Es sind die Städte und die ländlichen Hütten ohne fliessendes Wasser, Licht

Recht auf Nahrung wird gebrochenJeder achte Mensch auf der Welt leidet an Hunger. Täglich sterben 25 000 Menschen an den Folgen von Unterernährung, drei Viertel davon sind Kinder. Hun-ger ist ein täglicher Skandal der Ungleichheit auf dieser Welt, eine schleichende Katastrophe, die leicht verges-sen geht.

Der weltweite Hunger steht in Widerspruch zum «Recht auf Nahrung», das seit 60 Jahren als Men-schenrecht anerkannt ist. 920 Millionen mal wird die-ses Recht täglich gebrochen. Für diese erschreckende Anzahl von Menschen ist das eine individuelle Tragö-die. Der Kampf gegen Hunger ist ein Einstehen für die unteilbare Würde jedes einzelnen Menschen auf dieser Welt. Hungernden Menschen wird Gewalt angetan, die schlimmste Form von Gewalt, wie Mahatma Gandhi gesagt hat.

Die Beseitigung des Hungers ist aber auch ein ent-wicklungspolitisches Gebot. Hunger bremst die wirt-schaftliche Entwicklung von armen Ländern nachweis-lich massiv. Wer nicht genug zu essen hat, kann nicht lernen und keine vollwertige Arbeit verrichten. Hunger zu tolerieren ist ökonomisch unsinnig. Schätzungen gehen davon aus, dass die Folgen der Unterernährung in den Entwicklungsländern jährliche ökonomische Schäden von 500 Milliarden Franken und mehr verur-sachen.

MillenniumserklärungDie Staatengemeinschaft hat sich in der UNO-Millen-niumserklärung zum Ziel gesetzt, den Hunger und die Armut in der Welt bis ins Jahr 2015 zu halbieren. Heute ist bereits klar, dass dieses Ziel nur mit einem deutlich verstärktem Engagement erreicht werden kann. Die Zahl der hungernden Menschen weltweit steigt wie-der an. Für einen wirksamen Kampf gegen den Hun-ger fehlt es an politischem Willen, an der Solidarität der reichen mit den armen Ländern und nicht zuletzt am Geld. Mit den Millenniumszielen ist zwar die Zusage verbunden, 0,7 Prozent des Bruttoninlandprodukts für die Entwicklungshilfe einzusetzen. Die meisten Staa-ten, darunter auch die Schweiz, haben dieses Verspre-chen aber bisher nicht eingelöst.

Caritas Schweiz engagiert sich seit Jahrzehnten welt-weit in der Hungerbekämpfung. Mit diesem Themen-heft werden die verheerenden Zusammenhänge der Hungerproblematik aufgezeigt.

_Themenheft Hunger Hunger darf nicht sein

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DefinitionNach einer Definition der UNO hungert ein Mensch, wenn er weniger zu essen hat, als er täglich braucht, um sein Körpergewicht zu erhalten und zugleich leich-te Arbeit zu verrichten. Je nach Wohngegend, Beruf, Alter und Geschlecht ist die täglich benötigte Nah-rungsmenge unterschiedlich.

Gemäss der UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) liegt sie im Durchschnitt bei etwa 1900 Kalorien. Alles, was unter diesem Wert liegt, führt langfristig zu Unterernährung. Bei weniger als etwa 1400 Kalorien pro Tag spricht man von ext-remer Unterernährung und chronischem Hunger. Die-se Menge braucht der Körper im Durchschnitt, um seinen Stoffwechsel und seine Organfunktionen auf-recht zu erhalten, ohne zu zusätzlichen körperlichen Aktivitäten in der Lage zu sein.

AuswirkungenDer Körper gleicht unzureichende Ernährung damit aus, dass er körperliche und geistige Aktivitäten ein-schränkt. Hunger raubt den Menschen ihre Initiative und Konzentrationsfähigkeit und lässt sie apathisch werden. Unterernährung bringt eine akute Bedrohung der Gesundheit mit sich. Betroffene sind anfällig für alle möglichen Krankheiten. Wachstumsstörungen, Muskelschwäche, Durchfallerkrankungen, Anämie, Organschäden, Schwächung des Immunsystems: Die Liste der Krankheitsfolgen ist lang. Die kleinste In-fektion kann tödliche Folgen haben. Unterernährung verschlimmert und beschleunigt den Verlauf von le-bensbedrohlichen Krankheiten wie AIDS, Tuberkulose und Malaria.

Bei Kindern, die an Hunger leiden, sind die Schädi-gungen oft bleibend. Ihre geistige und körperliche Entwicklung ist unumkehrbar beeinträchtigt. Hun-gernde Kinder sind kleiner, als dies für ihr Alter normal wäre. Selbst wenn sie eine Schule besuchen können, ist ihre Aufnahme- und Lernfähigkeit so stark einge-schränkt, dass sie kaum davon profitieren.

MangelernährungMangelernährung bedeutet, dass die Zusammensetzung der Nahrung unzurei-

chend ist, also Vitamine, Mineralstoffe, Protein-Energieträger (Kohlehydrate und

Fette) fehlen. Weltweit sind nach Schätzungen der FAO bis zu 1,7 Milliarden Men-

schen von Eisenmangel betroffen, 740 Millionen Menschen leiden gemäss der

Weltgesundheitsorganisation WHO an Jodmangel. 100 bis 140 Millionen Kinder

leiden an Vitamin-A-Mangel was zu Erblindung führen kann. Mangelernährung ist

aber nicht nur ein Problem der armen Länder. Sie tritt auch in den Wohlstandsge-

sellschaften des Nordens auf, nicht selten in Kombination mit Übergewicht.

_Themenheft Hunger Was ist Hunger ?

oder sanitäre Einrichtungen. Es ist die Zeit, die beim mühsamen Wasserholen vergeudet wird. Nelson Mandela zur Veröffentlichung

des Abschlussberichts der World Commission on Dams (WCD), November 2000 Die schlimmsten Formen des Terrorismus sind

Wenn der Tagesbedarf nicht gedeckt ist

1400354

700 mg10 mg

0.7 mg0 mg

70 mg0 mg

Kalorien

Calcium

Vitamin A

Vitamin C

Empfohlener Tagesbedarf eines 6-jährigen Mädchens Tägliche Tagesration in Mali bei schlechter Ernte: 100g Hirse

Die Messung des Armumfangs gibt Aufschluss darüber, ob ein Kind mangelernährt ist.

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Weltweit leiden gemäss der FAO (2008) 923 Millionen Menschen an Hunger. Das sind mehr Menschen als in der Europäischen Union, den USA und Kanada leben. Der Hunger ist denn auch in andern Regionen der Welt zuhause: Über 95 Prozent der an chronischer Unterer-nährung leidenden Menschen leben in Entwicklungs-ländern.

Betroffene Bevölkerungsgruppen 50 Prozent aller Hungernden sind Kleinbauernfami-lien, die von dem leben, das sie selber anbauen. Sie sind arm und können bei Ernteeinbussen nicht genü-gend Nahrung hinzu kaufen.

20 Prozent sind landlose Landarbeiter mit sehr unre-gelmässiger Beschäftigung zu minimalen Löhnen.

Weitere 20 Prozent der Hungernden leben beschäf-tigungs- und perspektivenlos in städtischen Elends-vierteln.

10 Prozent schliesslich sind Fischer und Viehzüchter, denen die Lebensgrundlagen weitgehend entzogen werden.

China 123

Indien 231Asien / Pazifik 189

Naher Osten / Nordafrika 33

Lateinamerika / Karibik 45

Afrika südlich der Sahara 212 Industrieländer 16

Unterernährte Menschen nach Kontinenten1

_Themenheft Hunger Wer hungert auf der Welt ?

Gleichgültigkeit, Hunger und Krankheiten. Wenn wir diese nicht überwinden, werden wir nie in Frieden leben. Harry Belafonte

Auch Hunger ist Krieg! Willy Brandt, 1973, UNO-Vollversammlung Das zunehmende Wohlstandsgefälle zwischen dem reichen

Frauen und Kinder sind besonders von chronischer Unterernährung betroffen. Frauen sind in vielen Län-dern weniger gut gebildet, leisten zwar grosse Arbeit, erzielen dafür aber ein geringes oder gar kein Einkom-men. Sie sind oft nicht in der Lage, den erhöhten Nah-rungsmittelbedarf während der Schwangerschaft oder der Stillzeit zu decken. Mit fatalen Folgen: Gemäss Welthungerhilfe kommen jährlich rund 20 Millionen un-terernährte Kinder zur Welt. Das sind 15 Prozent aller Neugeborenen. Sie erben den Hunger von ihren Müt-tern. 27 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren weltweit sind unterernährt, sechs Millionen sterben jährlich an den Folgen davon. Überleben sie diese Altersschwel-le, sind sie körperlich zurückgeblieben und leben als Erwachsene meist in Armut. Eine Weltbankstudie hat aufgezeigt, dass Hunger während der Schwanger-schaft und den ersten beiden Lebensjahren am schäd-lichsten ist. Der dadurch verursachte Rückstand ist in späteren Lebensjahren nicht mehr aufzuholen.

1 (FAO 2008) in Millionen

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Hunger Seite 4

Hungerweltkarte

Das Bild des Hungers ist stark mit Afrika verbunden. Dies geht zurück auf Hungersnöte wie jene in der Sa-helzone und in Äthiopien in den 70er Jahren, welche 50 Millionen Menschen betraf und eine Million Todes-opfer forderte. Die Gleichung «Hunger gleich Afrika» ist aber falsch. Der eigentliche Hungerkontinent ist Asien. Hier leben eine halbe Milliarde chronisch unterernährte Menschen, über 200 Millionen davon allein in Indien, weitere 150 Millionen in China. Das sind zweieinhalb Mal mehr Betroffene als in Afrika.

Unterernährung

sehr niedrig < 4%

mässig niedrig 5–19%

mässig hoch 20–34%

sehr hoch > 35%

keine Daten

_Themenheft Hunger Wer hungert auf der Welt ?

Norden und dem armen Süden gefährdet den Weltfrieden. Es verweigert den ärmsten Menschen und Völkern die Befriedi-

gung der elementarsten Lebensbedürfnisse, die wir für uns im reichen Norden als selbstverständlich hinnehmen.

Jürg Krummenacher, Direktor Caritas Schweiz

Afrika ist jedoch der Kontinent, in dem der Anteil der Menschen, die an Hunger leiden, im Verhältnis zur Ge-samtbevölkerung am grössten ist. In den Ländern süd-lich der Sahara ist ein Drittel der Bevölkerung betroffen. In Ländern wie Eritrea, Demokratische Republik Kongo und Burundi liegt der Anteil bei bis zu 70 Prozent.

Eng mit dem Hunger verbunden ist die fehlende Ver-fügbarkeit von Wasser. 1,2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Quelle: www.welthungerhilfe.de

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Das Wichtigste vorweg: Hunger existiert nicht deshalb, weil auf der Welt zuwenig Nahrungsmittel zur Verfü-gung stehen. Gemäss einem Bericht der UNO kann die weltweite Landwirtschaft heute problemlos 12 Milli-arden Menschen ernähren. Dennoch leiden 854 Millio-nen Menschen an Hunger. Nachfolgend sind die wich-tigsten Gründe aufgeführt, wieso es dazu kommt:

UngleichheitHunger ist in erster Linie die Folge sozialer und wirt-schaftlicher Ungleichheit. Wer im Süden nicht über ei-genes Land oder ein gesichertes Einkommen verfügt, ist von Ausbeutung, Armut und Vertreibung bedroht. Der Zugang zu sauberem Wasser, zu produktivem Land, zu Arbeit und Bildung bleibt für viele unerreich-bar. So ist Trinkwasser immer häufiger in Privatbesitz – die Armen haben kein Recht darauf und kein Geld dafür.

Gewaltkonflikte und Katastrophen2005 wurden weltweit 24 Gewaltkonflikte gezählt. Die Folge davon sind zahllose zivile Opfer, die Vertreibung von Menschen in Flüchtlingslager oder die Zerstörung von Produktionsanlagen und landwirtschaftlich genutz-ter Böden. Ganze Landstriche verarmen, die Menschen leiden an Unterernährung und Hunger. Seit jeher führen auch Naturkatastrophen zu Not und Hunger. Dies gilt einerseits für akute Katastrophen wie Erd- oder See-beben (Tsunami), Wirbelstürme oder Überschwem-mungen, welche die Lebensgrundlage Hunderttausen-der Menschen vernichten. Noch grösseres Leid aber bewirken die schleichenden, nicht rückgängig zu ma-chenden Katastrophen wie Dürre, Verwüstung, Über-nutzung, Umweltverschmutzung, Vernichtung von landwirtschaftlicher Nutzfläche oder Fischgründen. Die sozial Schwächsten sind am meisten von den Folgen solcher gravierender Veränderungen betoffen.

Weltwirtschaft und RegierungsführungDie globalisierte Weltwirtschaft orientiert sich in ers-ter Linie an der Gewinnmaximierung. Ist ein Standort nicht attraktiv, ein Markt nicht entwicklungsfähig, wird nicht investiert, wird die Produktion verlagert. Beschäf-tigungslosigkeit und Armut werden bewusst in Kauf genommen. Viele Entwicklungsländer sind hoch ver-schuldet und müssen einen grossen Teil ihrer Wirt-schaftsleistung für Zinszahlungen aufbringen. Die Län- der des Nordens schaffen sich durch Importzölle Vor-teile für ihre eigene Binnenwirtschaft. Zusätzlich führen

eine liberale Wirtschaftspolitik zugunsten der reichen inländischen Oberschicht und internationaler Konzerne sowie Korruption vielfach dazu, dass kaum staatliche Mittel für Entwicklung und Armutsbekämpfung zur Ver-fügung stehen.

Leben in den SlumsDie Städte im Süden wachsen unaufhörlich, in 25 Jah-ren werden zwei Drittel der Menschheit in den Städ-ten leben. In Afrika leben heute 42 Prozent der Stadt-bevölkerung unter der Armutsgrenze, in Asien sind es 23 Prozent, in Lateinamerika 27 Prozent. Die Armut resultiert aus zahlreichen öffentlichen Defiziten in den

Armutsvierteln, zum Beispiel bei der Abwasser- und Müllentsorgung, der Versorgung mit Trinkwasser und den sanitären und medizinischen Einrichtungen. Zu-wanderern stehen bestenfalls schlecht bezahlte Er-werbsmöglichkeiten offen. Fehlendes oder zu geringes Einkommen bedeutet schlechte Unterkunft und Man-gelernährung.

BevölkerungswachstumDie Weltbevölkerung hat sich im letzten Jahrhundert nahezu vervierfacht. Mitte 2007 umfasste sie 6,6 Mil-liarden Menschen, bis 2025 wird sie auf über 8 Milli-arden anwachsen. Besonders im Süden wächst die Bevölkerung. Schätzungen zufolge wird sie dort von 5 Milliarden auf 6,8 Milliarden zunehmen. Da in vielen Entwicklungsländern der Produktions- und der Agrar-sektor bzw. die Vermarktungsstrukturen schlecht ent-wickelt sind, wird das Bevölkerungswachstum zu ei-nem eklatanten Armuts- und Hungerrisiko werden.

Kinder in den Slums von Delhi sammeln Abfall. Foto: Andreas Schwaiger

_Themenheft Hunger Ursachen des Hungers

Es ist für die Abschaffung des Hungers heute von entscheidender Bedeutung, dass man die Ursachen von Hungersnöten

angemessen und vollständig versteht und sich nicht darauf beschränkt, sie im Rahmen irgendeines mechanischen

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Hunger Seite 6

Langfristige Lebensmittelhilfe ist keine Lösung für das weltweite Hungerproblem. In Katastrophensituationen kann sie zwar der richtige Weg sein, Menschen das Überleben zu sichern. Doch leben nicht einmal 10 Pro-zent der hungernden Menschen in akuten Katastro-phengebieten. Doch Bereitstellung von häufig impor-tierten Nahrungsmitteln schädigt die lokalen Märkte und bringt oft Menschen in Not, die eigentlich in der Landwirtschaft oder im Handel ein Auskommen hät-ten. Es bedarf anderer Strategien, um den Hunger nachhaltig zu bekämpfen.

Kampf gegen ArmutDie nachhaltige Sicherung der Ernährung und die Re-duzierung der Armut ist die vordringlichste Aufgabe des 21. Jahrhunderts. Sie zu meistern, bleibt eine grosse Herausforderung für Politik und Wirtschaft. Es ist mög-lich, das notwendige Wissen zu erarbeiten und die In-strumente und Mittel bereitzustellen. Dies verlangt ver- stärkte und lösungsorientierte internationale Anstren-gungen im Interesse aller. Die Millenium Development Goals der Vereinten Nationen zeigen Wege dafür auf.

Steigerung der NahrungsproduktionDie Nahrungsproduktion im Süden muss nachhaltig er-höht werden, in erster Linie durch Produktivitäts- und Leistungssteigerungen auf bestehenden Kulturflächen. Dabei ist dem ökologischen und nachhaltigen Anbau grosses Gewicht beizumessen. Zu berücksichtigen sind dabei die Gefahren von Wasserknappheit, Über-nutzung der natürlichen Ressourcen, abnehmender Artenvielfalt (Biodiversität) und höherer Krankheitsan-fälligkeit.Gleichzeitig ist der wirtschaftspolitische Rahmen so zu gestalten, dass Bauern Anreize erhalten, ihre Produk-tion zu steigern und für den einheimischen Markt zu produzieren.

Beschäftigung und Einkommen fördernEine zentrale Aufgabe ländlicher und städtischer Ent-wicklung bleibt die Förderung von angepassten Tech-nologien in Landwirtschaft und Gewerbe. In den Städ-ten ermöglichen arbeitsintensive Kleingewerbe- und Dienstleistungsformen eine breitere Beschäftigung. Aus serlandwirtschaftliche Aktivitäten bieten zusätzliche Beschäftigung in ländlichen Gebieten und wirken einer Abwanderung in die Städte entgegen. So werden Ein-kommen geschaffen, die für die Ernährungssicherung unentbehrlich sind und Entwicklungsimpulse frei setzen.

Bevölkerungspolitische InvestitionenDie Bevölkerung in den Entwicklungsländern wächst nach wie vor mit über 70 Millionen Menschen pro Jahr. Nötig sind Investitionen in die Gesundheitsversorgung, in Schulen, in eine verbesserte Hygiene durch die För-derung des Händewaschens oder den Bau von Brun-nen, dörfliche Wasserversorgung und Abwasserbe-seitigung. Dabei ist eine prioritäre Ausrichtung dieser Programme auf Frauen und Mädchen wichtig.

Gute RegierungsführungIn vielen Ländern regieren Machteliten, die sich nicht um die Armen kümmern, diese sogar oft systematisch diskriminieren. Sie wollen verhindern, dass die Armen sich politisch äussern oder organisieren und damit den Machterhalt der Machtinhaber gefährden. «Gute Re-gierungsführung» muss einen Schwerpunkt in der Ent-wicklungszusammenarbeit bilden, mit aktivem Einbe-zug der Armen in den Entwicklungsprozess.

FriedensförderungGewaltkonflikte werfen Gesellschaften und Staaten um Jahrzehnte zurück und verhindern ihre Entwick-lung. Ein verstärktes internationales friedensförderndes Engagement ist ein dringend notwendiger Schritt im Kampf gegen die weltweite Armut. Insbesondere dort, wo Hunderttausende Opfer – vergessen von Medien und Weltöffentlichkeit – in Armut und Elend leben und an Hunger und Krankheiten leiden.

1950

: 510

0m

2

1975

: 340

0m

2

1995

: 260

0m

2

2025

: 170

0m

2

Verfügbare landwirtschaftliche Nutzfläche pro Kopf

_Themenheft Hunger Wie kann der Hunger bekämpft werden ?

Gleichgewichts von Nahrung und Bevölkerung zu betrachten. Für die Analyse des Hungers wiederum ist entscheidend die

substanzielle Freiheit des einzelnen und der Familie, sich ausreichend Nahrung zu verschaffen. Das kann geschehen, indem

Quelle: Terra global. Welternährung zwischen Mangel und Überfluss. Gotha, 2004.

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Hunger Seite 7

Millenniumsziel der UNOHungersnöte und Unterernährung zählen zu den Kons-tanten der Menschheitsgeschichte. Immer wieder sind wegen Katastrophen, kriegerischen Auseinanderset-zungen, klimatischen Veränderungen und Misswirt-schaft Menschen an Hunger gestorben. Mit dem star-ken Wachstum der Weltbevölkerung schoss die Zahl der von Hunger betroffenen Menschen in astronomi-sche Höhen. In den 1980er Jahren lag sie weltweit bei 920 Millionen. Ein Drittel der Weltbevölkerung war be-troffen. Seither hat die Hungerbekämpfung gewisse Erfolge erzielen können. Angesichts des ungebrems-ten Bevölkerungswachstums hat sich der prozentuale Anteil der Hungerbetroffenen in den vergangenen 30 Jahren halbiert. Die absolute Zahl der chronisch Unter-ernährten steigt allerdings nach einem leichten Rück-gang seit den 90er Jahren wieder an.

Das erste Millenniumsziel, das die UNO-Mitgliedstaa-ten im Jahre 2000 in einer feierlichen Zeremonie verab-schiedeten, sieht die Halbierung von Hunger und Ar-mut bis ins Jahr 2015 vor. Würde dieses Ziel erreicht, müssten dann nur noch 412 Millionen Menschen an Hunger leiden. Doch im Herbst 2006 stellte die FAO fest, dass in der Erreichung dieses Ziels noch keine Fortschritte erzielt werden konnten. Sie erachtete zu diesem Zeitpunkt eine Reduktion auf 585 Millionen als realistisch.

Hunger könnte beseitigt werdenMuss die Idee, dass der Hunger in dieser Welt zu be-seitigen wäre, angesichts dieser ernüchternden Ent-wicklung als unrealistisch eingestuft werden? Dies, obwohl weltweit mehr als genügend Nahrungsmittel produziert werden, um weltweit alle Menschen ausrei-chend zu ernähren? Der indische Ökonom und Nobel-preisträger Amartya Sen widerspricht dieser pessimisti-schen Sicht. Aufgrund seiner wissenschaftlichen Arbeit ist er überzeugt davon, dass der Hunger aus der Welt zu schaffen wäre. Im Süden produzieren die Kleinbau-ernfamilien rund 80 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte und sichern so die lokale Ernährung. Bedroht wird diese Produktion insbesondere durch undemo-kratische Machtverhältnisse, ungerechte Weltmarkt-strukturen, Naturkatastrophen und kriegerische Kon-flikte. Um die Ernährungssituation zu verbessern, muss deshalb primär diese kleinbäuerliche Landwirtschaft gestärkt werden.

Grundvoraussetzungen dafür sind ein gesicherter Zu-gang zu fruchtbarem Land und zu sauberem Wasser, Zugang zu Bildung, angepasste Technologien für die Bewirtschaftung des Landes und günstige Kredite. Darüber hinaus braucht es Gesundheitsanstrengun-gen und eine minimale soziale Sicherheit, welche die Menschen von der Abwanderung in die Städte abhal-ten. Und es braucht ein gerechtes Welthandelssystem, dass den Kleinbauern eine Chance gibt, ihre Produk-te zu vermarkten, und ihre Arbeit nicht durch Han-delsschranken und die Subventionierung der Land-wirtschaft in den hoch entwickelten Ländern wertlos macht.

Caritas-Projekte gegen den HungerCaritas Schweiz führt Projekte in rund 50 Ländern in Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa durch. Die Sicherung der Lebensgrundlagen ist dabei ein primäres Ziel, sei es durch Mikrokreditsysteme, Ein-kommensförderung, ökologische Landwirtschaft oder Verbesserung der Bildungschancen. Alle diese Mass-nahmen sind ein wichtiger Beitrag dazu, dass betrof-fene Bevölkerungsgruppen Hunger und Mangelernäh-rung langfristig überwinden können.Ein Auswahl aktueller Projekte der Caritas Schweiz zur Hungerbekämpfung finden sich im Internet unter

www.caritas.ch/weltweit•

_Themenheft Hunger Den Hunger beseitigen – eine Utopie ?

man selbst Nahrung erzeugt – wie es die Bauern tun – oder indem man sie auf dem Markt käuflich erwirbt – wie es alle tun,

die nicht selbst Nahrung erzeugen. Ein Mensch kann trotz ausreichend vorhandener Nahrung zu hungern gezwungen sein,

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Hunger Seite 8

Literatur zum Thema Hunger

Hunger. Ursachen, Folgen Herausforderungen.• Ein Positionspapier der Caritas Österreich, Juli 2006www.caritas.at/ueber-uns/standpunktePositionspapier Hunger (pdf)

Jean Ziegler:•

Wie kommt der Hunger in die Welt.Goldmann Verlag, München 2002.

Beate Wörner:•

Gesichter des Hungers: der Hunger ReportHerausgegeben von Brot für die WeltBrandes & Apsel, Frankfurt am Main 2005

Terra global. Welternährung •

zwischen Mangel und ÜberflussSII ArbeitsmappeKlett-Pethes Verlag, Gotha und Stuttgart 2004

Geert van Dok, Erika Staudinger:•

Weltinnenpolitik. EntwicklungspolitischeHerausforderungen an das 21. Jahrhundert.Caritas-Verlag, Luzern 2003.

Richard Gerster:•

Globalisierung und Gerechtigkeith.e.p. Verlag, Bern 2001.

Weiterführende Links zum Thema Hunger im Internet:

www.alliancesud.ch/globalia •

Linksammlung der Dokumentationszentren von Alliance Sud, mit Themenbereich Hunger

www.welthungerhilfe.de•

Deutsche Welthungerhilfe

www.allianz-hunger.ch•

Schweizerische Allianz gegen den Hunger

www.fao.org (nur Englisch)•

UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO)

www.wfp.org•

UNO-Welternährungsprogramm (WFP)

www.ifpri.org•

International Food Policy and Research Insitutute

_Themenheft Hunger Literaturtipps, Links

wenn er sein Einkommen verliert, zum Beispiel durch den Verlust seiner Arbeitsstelle oder den Zusammenbruch des

Marktes, auf dem er seine Produkte verkauft und damit seinen Lebensunterhalt sichert. Amartya Sen: Ökonomie für den Menschen.

Wege zur Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft. München, Hanser-Verlag 2000, Seite 197.

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