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k Elsevier Gmbh, München – Pflege Heute, 6.A., 2014 15 Sofortmaßnahmen in der Pflege Nicole Menche Herbert Renz-Polster Matthias Richter (15.15) Unter Mitarbeit von Christine Keller 15.1 Was ist ein Notfall? . . . . . . 576 15.2 Die ersten Maßnahmen im Notfall . . . . . . . . . . . . . . 577 15.3 Die ersten Maßnahmen im Detail . . . . . . . . . . . . . . . 577 15.3.1 Prüfung des Bewusst- seins . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 15.3.2 Prüfung der Atmung . . . . . 578 15.3.3 Notruf . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 15.3.4 Maßnahmen, wenn nicht reanimiert werden muss . . 579 15.4 Die kardiopulmonale Reanimation . . . . . . . . . . . . 579 15.4.1 Herz(druck)massage . . . . . 579 15.4.2 Atemspende . . . . . . . . . . . . 581 15.4.3 Defibrillation . . . . . . . . . . . 582 15.4.4 Notfallmedikamente . . . . . 583 15.4.5 Abbruch der Reanimation . . . . . . . . . . . . 584 15.4.6 Kühlung nach Reanimation . . . . . . . . . . . . 584 15.4.7 Besonderheiten der Reanimation bei Kindern . . 584 15.4.8 Notfallausstattung einer Normalstation . . . . . . . . . . 585 15.5 Versorgung von Verletzungen . . . . . . . . . . . 585 15.5.1 Suche nach Verletzungen . . . . . . . . . . . 585 15.5.2 Wundversorgung . . . . . . . . 585 15.5.3 Versorgung von Knochenbrüchen . . . . . . . . 586 15.6 Vorgehen bei Schock . . . . 587 15.6.1 Erstmaßnahmen bei Verdacht auf Schock . . . . . 587 15.6.2 Volumenmangelschock . . 587 15.6.3 Septischer Schock . . . . . . . 588 15.6.4 Kardiogener Schock . . . . . 588 15.6.5 Anaphylaktischer Schock . . . . . . . . . . . . . . . . 589 15.7 Erste Hilfe bei Intoxikationen und Rauschzuständen . . . . . . . 589 15.7.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . 589 15.7.2 Alkoholintoxikation . . . . . . 591 15.7.3 Benzodiazepin- vergiftung . . . . . . . . . . . . . . 591 15.7.4 Vergiftungen bei Kindern . . 591 15.8 Erste Hilfe bei Verätzungen . . . . . . . . . . . 591 15.9 Erste Hilfe bei Verbrennungen und Kälteschäden . . . . . . . . . . . 592 15.9.1 Verbrennungen . . . . . . . . . 592 15.9.2 Kälteschäden . . . . . . . . . . . 594 15.10 Erste Hilfe bei Strom- unfällen . . . . . . . . . . . . . . . 595 15.11 Erste Hilfe bei Ertrinken . . 595 15.12 Erste Hilfe bei epileptischen Anfällen . . . 596 15.13 Erste Hilfe bei Verschlucken . . . . . . . . . . . 596 15.14 Erste Hilfe bei Nadelstich- verletzungen . . . . . . . . . . . 597 15.15 Massenanfall von Verletzten, Erkrankten und Beteiligten (MANV) . . 597 15.15.1 Aufbauorganisation bei einem MANV, Einsatzorte und Tätigkeiten von Pflegenden und Mitarbeitern von Gesund- heitsfachberufen . . . . . . . . 598 15.15.2 Psychische Hilfe bei MANV . . . . . . . . . . . . . . 599 Literatur und Kontaktadressen . . . 600

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Elsevier Gmbh, München – Pfl ege Heute, 6.A., 2014

15Sofortmaßnahmen in der Pfl egeNicole MencheHerbert Renz-PolsterMatthias Richter (15.15)Unter Mitarbeit von Christine Keller

15.1 Was ist ein Notfall? . . . . . . 576

15.2 Die ersten Maßnahmen im Notfall . . . . . . . . . . . . . . 577

15.3 Die ersten Maßnahmen im Detail . . . . . . . . . . . . . . . 577

15.3.1 Prüfung des Bewusst-seins . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577

15.3.2 Prüfung der Atmung . . . . . 578

15.3.3 Notruf . . . . . . . . . . . . . . . . . 578

15.3.4 Maßnahmen, wenn nicht reanimiert werden muss . . 579

15.4 Die kardiopulmonale Reanimation . . . . . . . . . . . . 579

15.4.1 Herz(druck)massage . . . . . 579

15.4.2 Atemspende . . . . . . . . . . . . 581

15.4.3 Defi brillation . . . . . . . . . . . 582

15.4.4 Notfallmedikamente . . . . . 583

15.4.5 Abbruch der Reanimation . . . . . . . . . . . . 584

15.4.6 Kühlung nach Reanimation . . . . . . . . . . . . 584

15.4.7 Besonderheiten der Reanimation bei Kindern . . 584

15.4.8 Notfallausstattung einer Normalstation . . . . . . . . . . 585

15.5 Versorgung von Verletzungen . . . . . . . . . . . 585

15.5.1 Suche nach Verletzungen . . . . . . . . . . . 585

15.5.2 Wundversorgung . . . . . . . . 585

15.5.3 Versorgung von Knochenbrüchen . . . . . . . . 586

15.6 Vorgehen bei Schock . . . . 587

15.6.1 Erstmaßnahmen bei Verdacht auf Schock . . . . . 587

15.6.2 Volumenmangelschock . . 587

15.6.3 Septischer Schock . . . . . . . 588

15.6.4 Kardiogener Schock . . . . . 588

15.6.5 Anaphylaktischer Schock . . . . . . . . . . . . . . . . 589

15.7 Erste Hilfe bei Intoxikationen und Rauschzuständen . . . . . . . 589

15.7.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . 589

15.7.2 Alkoholintoxikation . . . . . . 591

15.7.3 Benzodiazepin-vergif tung . . . . . . . . . . . . . . 591

15.7.4 Vergiftungen bei Kindern . . 591

15.8 Erste Hilfe bei Verätzungen . . . . . . . . . . . 591

15.9 Erste Hilfe bei Verbrennungen und Kälteschäden . . . . . . . . . . . 592

15.9.1 Verbrennungen . . . . . . . . . 592

15.9.2 Kälteschäden . . . . . . . . . . . 594

15.10 Erste Hilfe bei Strom-unfällen . . . . . . . . . . . . . . . 595

15.11 Erste Hilfe bei Ertrinken . . 595

15.12 Erste Hilfe bei epileptischen Anfällen . . . 596

15.13 Erste Hilfe bei Verschlucken . . . . . . . . . . . 596

15.14 Erste Hilfe bei Nadel stich-verletzungen . . . . . . . . . . . 597

15.15 Massenanfall von Verletzten, Erkrankten und Beteiligten (MANV) . . 597

15.15.1 Aufbauorganisation bei einem MANV, Einsatzorte und Tätigkeiten von Pfl egenden und Mitarbeitern von Gesund-heitsfachberufen . . . . . . . . 598

15.15.2 Psychische Hilfe bei MANV . . . . . . . . . . . . . . 599

Literatur und Kontaktadressen . . . 600

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15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege

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Vorsicht – Therapie gegen den Willen des PatientenAuch im Notfall darf keine Therapie gegen den Willen des Patienten durchgeführt werden, selbst wenn dies zum Tod führen kann. Das konkrete Vorgehen in der Praxis ist dadurch erschwert, dass es im Augen-blick des Notfalls in aller Regel nicht mög-lich ist, den Willen des Patienten zu erfra-gen. Vor allem drei Situationen sind anzu-treffen: • Beim Patienten liegt eine Störung der

Bewusstseinslage oder eine Bewusst-losigkeit vor, z. B. nach einem Unfall oder bei einem Schlaganfall auf der In-tensivstation, es besteht unmittelbare Lebensgefahr, und der Wille des Pati-enten ist nicht bekannt. Hier liegt ein rechtfertigender Notstand vor, und der Arzt muss die notwendigen, lebensret-tenden Maßnahmen ergreifen. Wichtig: Die Aussage z. B. der Ehefrau, ihr Mann habe schon seit längerem sterben wollen und würde lebensret-tende Maßnahmen ganz bestimmt ab-lehnen, gilt nicht als Willenserklärung des Patienten – nur der betroffene Er-wachsene selbst kann die Entschei-dung treffen, nicht seine Angehörigen. Es muss also mit der Reanimation be-gonnen werden

• Beim Patienten liegen wiederum eine Störung der Bewusstseinslage und un-mittelbare Lebensgefahr vor, der ein-willigungs- und willensfähige Patient hat aber vorher bestimmt, dass im Not-fall nicht reanimiert werden soll, z. B. in einer rechtlich verbindlichen Patienten-verfügung (  11.2.2) oder auch münd-lich dem Arzt gegenüber. Hier muss die Ablehnung der lebensrettenden Maß-nahmen akzeptiert werden. Einwilligungs- und willensfähig ist ein Patient immer dann, wenn er über den nötigen Verstand, Kritik- und Urteilsfä-higkeit verfügt sowie sich über Umfang, Bedeutung und Konsequenzen seines Entschlusses im Klaren ist. Zu dieser Feststellung reicht die Beurteilung des behandelnden Arztes aus

• Hat der Patient einen Vorsorgebevoll-mächtigten eingesetzt, kann dieser für den Patienten entscheiden. Existiert zusätzlich eine Patientenverfügung, hat diese Willensbekundung Vorrang vor den Äußerungen des Bevollmäch-tigten.

Medizinische Notfälle treten gehäuft dort auf, wo kranke Menschen behandelt werden und sind damit in medizinisch-pfl egerischen Einrichtungen ein vorhersehbares Ereignis. Hingegen ist der Massenanfall von Verletz-ten, Erkrankten und Beteiligten (MANV) ein unvorhersehbares Großschadensereignis,

das sich jederzeit an jedem Ort ereignen kann (  15.15).

Erste Hilfe bezeichnet die Hilfsmaßnah-men, die an Ort und Stelle erfolgen, bevor der Betroff ene in ärztliche Behandlung kommt. Sie ist eine ethische wie rechtliche Verpfl ichtung.

Richtlinien zur Ersten HilfeDieses Kapitel orientiert sich an den Leitli nien des European Resuscitation Council von 2010 und den darauf basierenden Empfehlungen für Deutschland, herausgegeben von der Bun-desärztekammer ( [1] [2], [7]).

VorsichtRichtlinien geben den aktuellen wissen-schaftlichen Stand wieder und sind zu-gleich Lernhilfen. Der Erfolg der Ersten Hilfe hängt wesentlich davon ab, wie gut das Vorgehen bei einem Notfall vorbereitet und trainiert wird! Regelmäßiges Notfalltraining gehört deshalb zur modernen Pflege im häuslichen wie im stationären Bereich.

Fallbeispiel  Lernerfolgskontrolle  

15.1 Was ist ein Notfall?Notfall: Akut lebensbedrohlicher Zu-

stand, bei dem die Vitalfunktionen (le-benswichtigen Körperfunktionen) des Pa-tienten gestört sind oder eine solche Stö-rung unmittelbar droht.

Der Ausfall der Vitalfunktionen zeigt sich auf drei Ebenen:

Störungen des Bewusstseins. Alle schweren Störungen lebenswichtiger Or-gane führen letzten Endes zur Fehlfunk-

tion des Gehirns und damit zu Störungen des Bewusstseins bis zur BewusstlosigkeitStörungen der Herzaktion und des Kreislaufs. Hierdurch kommt es zu einer unzureichenden Versorgung der Körper-zellen mit Sauerstoff und Nährstoff en (Schock  15.6). Zugrunde liegen kann:

– Eine Krankheit des Herzens, etwa ein akuter Myokardinfarkt

– Eine primär den Kreislauf betreff ende Störung, etwa bei Blutverlust, Sepsis oder Anaphylaxie

Störungen der Atmung. Eine unzurei-chende Atmung entsteht durch:

– Verengung oder Verlegung der Luft we-ge, etwa durch Insektenstich oder Zu-rückfallen der Zunge beim Bewusstlo-sen, aber auch bei Asthma bronchiale

– Funktionsverlust des Lungengewebes (etwa bei Lungenentzündung)

– Erkrankungen der Pleura (etwa durch Brustkorbverletzungen oder einen gro-ßen Pleuraerguss)

– Zudem beeinträchtigt jede schwere Kreislaufstörung (Schock) auch die Atmung.

Die meisten Notfälle beim Erwachsenen sind durch Herzversagen bedingt. Bei Kin-dern entstehen Notfallsituationen weitaus häufi ger durch Störungen der Atemfunkti-on, etwa bei Fremdkörperaspiration.

Einen Notfall rasch erkennenEinige typische Zeichen helfen, einen Not-fall schnell und ohne Hilfsmittel zu erken-nen (  Tab. 15.1).

Abgrenzung zum TodesfallAuch muss der Notfall stets vom bereits ein-getretenen Todesfall unterschieden werden:

TBL

Typische Zeichen Typische Ursachen

Störungen des Be-wusstseins

Leichtere Störungen: Verlangsamung, (leichte) Schläfrigkeit, VerwirrtheitSchwerere Störungen: Zunehmende Schläfrigkeit mit immer geringeren Reak-tionen bis zur Bewusstlosigkeit

VergiftungenAlle Formen des SchocksAkute HypoglykämieSchwerer SchlaganfallSchädel-Hirn-TraumaEpilepsie

Störungen der Herz-aktion und des Kreis-laufs

Veränderungen des Pulses bis zur Puls-losigkeitVeränderte Hautfarbe (weiß, grau oder blau)Bewusstseinsstörungen

Herzinfarkt, Herzinsuffi zienz, HerzrhythmusstörungenBlutungen (nach innen oder außen)Sepsis, Anaphylaxie

Störungen der Atmung

Insuffi ziente (schwache, schnappende oder fehlende) AtmungÜbermäßige AtemanstrengungenAbnorme Atemgeräusche (z. B. Stridor)Veränderte Hautfarbe (grau oder blau)

Hochgradige Verengung/ Verlegung der AtemwegeKardiogener SchockLungenembolieBrustkorbverletzungenVergiftungenAspiration

Tab. 15.1 Die typischen Zeichen und Ursachen von Notfällen.

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15.3 Die ersten Maßnahmen im Detail

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Findet man einen Patienten ohne Vitalzei-chen, jedoch mit sicheren Todeszeichen (To-tenfl ecken, Totenstarre  11.3.3) vor, unter-bleibt eine Reanimation.

„Psychische Erste Hilfe“Akut verunglückt oder lebensbedrohlich er-krankt zu sein, ist für den Betroff enen eine extreme Ausnahmesituation mit äußerster Hilfl osigkeit und Stressreaktionen. Angst und Panik aber können z. B. einen Schock verschlimmern und durch gesteigerten Sau-erstoff verbrauch zum Versagen der Vital-funktionen beitragen.

Die Pfl egekraft versucht daher, dem Pati-enten das Gefühl der Angst und des Allein-seins zu nehmen.

Beruhigung und Beistand sind auch dann unabdingbar, wenn der Patient so weit gestört ist, dass er keine Reaktionen mehr zeigt. Seine Wahrnehmung kann noch erhalten sein, auch wenn sein Reak-tionsvermögen stark vermindert ist.

Vorbereitung auf einen NotfallAuf jeder neuen Station, insbesondere vor Nachtdiensten, sollten zur Vorbereitung

auf einen Notfall die folgenden Fragen ge-klärt werden:

Welche Hilfsmittel gibt es im Haus? Wie funktionieren sie, z. B. Notfallkoff er/-wa-gen, Sauerstoff quellen/-anschlüsse, EKG-Defi brillator-Einheit, Absauggerät, trag-barer Monitor?Welche Patienten könnten bedrohlich er-kranken?Welche Notfälle könnten auft reten?Welche Maßnahmen sind dann möglich und angezeigt? Welche Maßnahmen und Medikamente sind vom Arzt für den Notfall angeordnet? Für welche Maßnah-men besteht pfl egerische Kompetenz (z. B. Defi brillation)Welche Patientenverfügungen wurden ge-troff en? Soll bei Notfällen interveniert werden? Wenn ja, mit welchen Maßnah-men?Wer soll im Notfall benachrichtigt wer-den, z. B. allgemeiner Notruf, Dienst ha-bender Arzt?

Auszubildende in der Pflege werden bei jedem neuen Einsatz frühzeitig mit Notfall-protokoll und Notfallausstattung der Sta-tion vertraut gemacht.

15.2 Die ersten Maßnahmen im NotfallBei einem Notfall verschafft sich der Helfer als Erstes einen Überblick über die lebens-wichtigen Körperfunktionen des Patienten:

Er kontrolliert das Bewusstsein durch laute Ansprache und leichtes Rütteln an der Schulter (  15.3.1)Erfolgt keine Reaktion, ruft der Helfer laut um Hilfe (Hilferuf)Anschließend prüft er die Atmung (  15.3.2)Ist keine normale Atmung vorhanden, wird sofort der Rettungsdienst alarmiert (Notruf). Ist der Helfer allein und ohne Handy, muss er dazu evtl. den Patienten für kurze Zeit allein lassen (  15.3.3)Danach wird schnellstmöglich mit der Herzdruckmassage begonnen (kardio-pulmonale Reanimation  15.4)Nach 30 Th oraxkompressionen werden zwei Atemspenden gegebenDie Wiederbelebung durch jeweils 30 Th oraxkompressionen und zwei Atem-spenden wird mindestens bis zum Ein-treff en des Rettungsdienstes fortgesetzt.

 Abb. 15.1

Vorsicht bei evtl. Wirbelsäulenschä-digungIst eine Wirbelsäulenschädigung zu ver-muten, darf der Ersthelfer die Lage des Verletzten grundsätzlich nicht verändern, bis Arzt oder das Rettungspersonal zur Stelle sind (  15.5.3). Ist ein Transport un-vermeidbar (z. B. zur Rettung aus der Ge-fahrenzone), wird die Körperhaltung des Verletzten möglichst nicht verändert. Also Transport durch möglichst viele Helfer, Kopf nicht beugen oder strecken, Kopf und Rumpf stets en bloc bewegen.

15.3 Die ersten Maßnahmen im Detail15.3.1 Prüfung des BewusstseinsGlasgow Coma Scale (GCS)  Tab. 34.2

Bewusstlosigkeit: Schwere Bewusst-seinsstörung, bei der der Mensch nicht orientiert ist (  34.2.10). Der Bewusstlose hat die Fähigkeit der räumlichen und zeit-lichen Orientierung verloren und reagiert weder auf Fragen noch auf Berührungen.

Prüfung des BewusstseinsEin bewusstlos erscheinender Patient wird als Erstes kurz angesprochen („Wie heißen Sie?“). Reagiert er nicht, berührt der Ersthel-

Abb. 15.1 Vom Erkennen des Notfalls bis zur Reanimation – die ersten Maßnahmen bei einem Not-fall beim Erwachsenen. [Foto: J787]

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15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege

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fer ihn, rüttelt ihn z. B. an der Schulter, da Schwerhörigkeit eine Bewusstseinsstörung vortäuschen kann. Erfolgt auch hierauf keine Reaktion, ist der Patient bewusstlos, und es liegt ein schwerwiegender Notfall vor. Der Ersthelfer ruft dann sofort und laut um Hilfe.

Unklare BewusstlosigkeitDie Ursache der Bewusstlosigkeit ist in der Regel zunächst unklar.

Ursächliche Störungen innerhalb des ZNS sind z. B.:

Durchblutungsstörungen oder Blutun-gen des Gehirns (  34.6)Entzündungen des Gehirns oder der Hirnhäute (  34.9.1,  34.9.2)Schädel-Hirn-Verletzung (  34.12.1)Hirntumoren/-metastasen (  34.11.1)Epileptische Anfälle (  34.8).

Auch Störungen außerhalb des ZNS können zu Bewusstlosigkeit führen, z. B.:

Schwere Ateminsuffi zienzVergift ungen (  15.7)Stoff wechselentgleisungen, z. B. bei Dia-betes mellitusSchock, etwa durch einen akuten Myo-kardinfarkt.

15.3.2 Prüfung der AtmungZur Prüfung der Atmung (   Abb.  15.2) wird der Kopf des in Rückenlage gebrachten Verunglückten nackenwärts gebeugt („über-streckt“) und das Kinn dabei nach oben (himmelwärts) angehoben. Dieses Freima-chen der Atemwege wird deshalb empfoh-len, weil bei Bewusstlosen die Muskulatur häufi g erschlafft ist, sodass die Zunge zu-rückfallen und die Atemwege verlegen kann.

Der Ersthelfer beugt nun seine Wange dicht über Mund und Nase des Verletzten und blickt gleichzeitig auf dessen Brust-korb. Atmet der Patient, so kann der Helfer dies sehen (atemsynchrone Th oraxexkursi-on), hören (Atemgeräusche) und fühlen (Luft bewegung an seiner Wange). Die Prü-fung der Atmung darf nicht länger als 10 Sek. in Anspruch nehmen.

VorsichtWenn der Verunglückte „nach Luft schnappt“, ist dies keine normale At-mung, sondern oft das Zeichen eines Herz-stillstands!

Die früher empfohlene Inspektion des Munds zur Erkennung von Fremdkörpern wird heute nur noch geschultem Personal bei Notfällen im Krankenhaus empfohlen. Dazu wird nach Überstreckung des Kopfs kurz in den Mund geschaut. Eventuell sicht-bare Fremdkörper, z. B. Erbrochenes, wer-den dann entfernt – durch Ausräumung mit dem Finger, bei Verfügbarkeit auch mit Magill-Zange und Tupfer oder durch Ab-saugen.

Eine Prüfung des Kreislaufs vor Beginn der Wiederbelebung wird nicht mehr emp-fohlen. Es hat sich nämlich gezeigt, dass die Prüfung des Pulses oft falsche Ergebnisse erbringt und dabei zudem wertvolle Zeit vergeudet wird.

Ist die Atmung normal, schließen sich weitere Maßnahmen nach Notwendigkeit an (  15.3.4), z. B. die korrekte Lagerung.

15.3.3 NotrufZeigt sich bei der Prüfung der Atmung, dass der Patient nicht normal atmet, folgt unver-züglich der Notruf (phone fi rst). Der Euro-notruf 112 gilt in ganz Europa; in Öster-reich und der Schweiz kann der Rettungs-dienst auch unter 144 erreicht werden. Die Priorität des Notrufs vor allen weiteren Maßnahmen gilt auch, wenn nur ein Helfer verfügbar ist und der Patient damit eine Zeit lang allein gelassen werden muss.

Inhalt des Notrufs • Wo? Wo ist der Notfall passiert? Bei

schwierigen Wegverhältnissen genaue Beschreibung/Orientierungsmarken

• Was? Was ist passiert (z. B. Verkehrs-unfall, Stromunfall) – wichtig für die Frage, ob evtl. weiteres Fachpersonal erforderlich ist, etwa die Feuerwehr

• Wie viele Verletzte/Erkrankte?

• Welche Erkrankungen oder Verletzun-gen – wichtig für den Entscheid Ret-tungsdienst – Notarztwagen. Notarztin-dikationen sind v. a. eine wesentliche Beeinträchtigung oder Fehlen der Vital-funktionen und starke, akute und/oder zunehmende Schmerzen

• Warten auf Rückfragen, z. B. Handy-, Telefonnummer.

In medizinisch-pflegerischen Einrichtungen: • Bei allen lebensbedrohlichen Notfällen

das Wort „Reanimation“ verwenden • Immer Station/Bereich und Zimmer nen-

nen. Angaben am besten wiederholen, um Missverständnisse zu vermeiden.

Abb. 15.2 Prüfung der Atmung. Zunächst wird der Hals nackenwärts gebeugt („überstreckt“) und das Kinn angehoben, um die Atemwege freizumachen (links). Dann prüft der Helfer die Atmung durch Sehen, Hören und Fühlen (rechts). [L190]

Korrekte Lagerung bei ...Atemnot, kardiogenemSchock

Brustkorb-verletzung

Bauchverletzung

Wirbelsäulenverletzung

Schock,Blutvolumenmangel,

Kreislaufschwäche

Schock und Bewusstlosigkeit

Unverletzte Seiteoben

Bauchmuskulaturentspannt

Stabile Seitenlage

Abb. 15.3 Korrekte Lagerungen in Abhängigkeit von der Krankheitsursache. [L138]

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15.4 Die kardiopulmonale Reanimation

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15.3.4 Maßnahmen, wenn nicht reanimiert werden mussBei normaler Atmung muss zunächst nicht reanimiert, d. h. mit Th oraxkompressionen begonnen werden. Stattdessen:

So rasch wie möglich Notruf tätigen (pho-ne fast,  15.3.3), ggf. dafür sorgen, dass ein externer Notdienst ins Haus kom-men kann (z. B. Pforte aufschließen las-sen)Dem Erkrankten gegenüber beruhigend und sicher auft reten, in Einrichtungen/im Krankenhaus Bett evtl. „umschieben“ (z. B. zum Sauerstoff anschluss)Patienten mit erhaltenem Bewusstsein je nach Notwendigkeit lagern, z. B. bei Herzinsuffi zienz und Atemnot mit er-höhtem Oberkörper (  Abb. 15.3), be-wusstlose Patienten mit ausreichender Atmung und Herz-Kreislauf-Funktion in stabiler Seitenlage (  Abb. 15.4). Letzte-re soll verhindern, dass infolge abneh-mender Schutzrefl exe Mageninhalt (z. B. bei Erbrechen) oder Blut (z. B. bei Na-senbluten) tief in die Atemwege gelangenPatienten möglichst nicht alleine lassenRegelmäßig Vitalzeichen kontrollieren (mindestens alle 5 Min. bis zum Eintref-fen des Rettungsdienstes/Arztes), in Ein-richtungen/im Krankenhaus ggf. Blutzu-cker kontrollierenEvtl. für den Notfall verordnete Medika-mente verabreichen, z. B. Nitro-SprayIn Einrichtungen/im Krankenhaus au-ßerdem:

– Infusionen vorbereiten (z. B. 0,9 % NaCl), Notfallkoff er mit Notfallmedi-kamenten in Griff weite stellen oder Notfallwagen in die Nähe des Patien-tenzimmers, wenn nötig auch ins Zim-mer fahren (lassen)

– Bei Atemnot O2-Gabe vorbereiten (Na-sensonde) und selbstständig durchfüh-ren (z. B. 4 l/Min.)

– Patientenakte bereitlegen – Verlauf sowie alle Maßnahmen auf ei-

nem Protokollblatt dokumentieren.

15.4 Die kardiopulmonale Reanimation

Kardiopulmonale Reanimation (car-diopulmonale Reanimation, CPR, Herz-Lungen-Wiederbelebung): Maßnahmen zur Wiederbelebung. Beginnt immer dann, wenn die Prüfung der Vitalfunktionen eine vitale Bedrohung des Betroffenen ergibt (unzureichende Atmung, nicht vorhande-ner Kreislauf).

Die kardiopulmonale Reanimation (   Abb.  15.5,   Tab.  15.2) wird unterteilt in:

Die auch von Laien durchzuführenden Basismaßnahmen der Reanimation (Basisreanimation, Basis-CPR, Basic Life Support, BLS)

– Vitalzeichenkontrolle (  15.3.1,  15.3.2)

– Herzdruckmassage (  15.4.1) – Atemspende (  15.4.2)

Die von medizinischem Fachpersonal anzuwendenden erweiterten Maßnah-men der Reanimation (Advanced Life Support, ALS)

– Defi brillation (  15.4.3). Sie wird aller-dings teilweise auch im Rahmen der Laienhilfe angewendet (  Abb. 15.11)

– Drugs = Medikamente (  15.4.4).

Rolle der Pfl egendenPfl egende führen als Ersthelfer die Basis-maßnahmen der Reanimation selbstständig durch und sind – je nach Ausbildung – auch an den erweiterten Reanimationsmaßnah-men beteiligt. Nach Eintreff en des Arztes übernehmen sie zudem Assistenzleistun-gen, etwa Anreichen benötigter Materia-lien.Immer gelten folgende Regeln:

Eigenschutz beachten: Handschuhe tra-gen, ggf. Unfallstelle sichern; Vermei-dung von Nadelstichen und Sekretsprit-zernMöglichst rasch für die zur Reanimation benötigte Ausrüstung sorgen: Notfallkof-fer, harte Unterlage (Reanimationsbrett), EKG bzw. EKG-Defi brillator-GerätGefäß- oder intraossären Zugang, Infusi-onen und Medikamente vorbereitenBasisreanimation dabei nicht unterbre-chen. Ein Abbruch der Reanimation ist nur durch einen Arzt statthaft Für eine ausreichend warme Umgebung sorgen, dies gilt insbesondere für Kin-derAlle Maßnahmen, Medikamente, Notruf- und Eintreff zeiten (nach-)dokumentie-renWenn möglich Ablauf nachbesprechen, psychische „Nachsorge“ im Team.

15.4.1 Herz(druck)massageBesonderheiten der Herzdruckmassage bei Kindern  15.4.7Sobald feststeht, dass der Betroff ene be-wusstlos ist und nicht ausreichend atmet, beginnen Ersthelfer mit der Herzdruck-massage (Th oraxkompression).

Den weiter entfernten Arm über dieBrust des Betroffenen heranholen.Arm beugen, Handrücken an die Wange des Bewusstlosen legen.

Mit einer Hand den Handrücken desBewusstlosen an der Wange fixie-ren. Mit der anderen Hand das wei-ter entfernte Bein am Knie fassen, hochziehen (Knie gebeugt, Fuß am Boden) und den Betroffe-nen zu sich herüberdrehen.

Hüfte und Knie des oben gelegenen Beins beugen.Zum Freihalten der Atemwege den Kopf des Betroffenen nackenwärtsbeugen, Position ggf. mit der unter der Wange gelegenen Hand sichern.

Den zugewandten Arm des Bewusstlosen rechtwinklig absprei-zen. Den Arm so beugen, dass die Handfläche nach oben zeigt.

Abb. 15.4 Durchführung der stabilen Seitenlage . [L138]

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15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege

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Defibrillator/EKG anschließen

Defibrillation: 1 Schock

EKG beurteilen/durch AEDbeurteilen lassen

Weiter kardiopulmonaleReanimation für 2 Min.

Defibrillierbare Störung(z.B. Kammerflimmern)

Nicht-defibrillierbare Störung(z.B. Asystolie)

Bewusstloser Patientohne normale Atmung

Notruf/Alarmierungdes Reanimationsteams

Sofortiger Beginn der kardiopulmonalen Reanimation:30 Thoraxkompressionen und 2 Atemspenden im Wechsel

Parallel dazu: Sauerstoffgabe, Atemwegssicherung, Legen eines intravenösen/intraossären Zugangs, Gabe von Notfall-medikamenten, Feststellung und Therapie von Ursachen

Fortsetzung der Thorax-kompressionen und derAtemspenden im Rhythmus 30 : 2, Unter-brechungen minimieren

Abb. 15.5 Basismaßnahmen (rot) und erweiterte Maßnahmen (blau) der Reanimation im Überblick, vereinfacht und verändert nach [1]. Die Reani-mation erfolgt so lange, bis Spontanatmung und -kreislauf wieder einsetzen oder der Arzt abbrechen lässt. [J787, L143] TBL

Maßnahmen Ersthelfer ArztVitalzeichen prüfen Ansprechen, ggf. Schütteln an der Schulter

Atemwege freimachen und Atemtätigkeit überprüfenFortlaufende, umfassende Kontrolle der Vitalpara-meter, meist apparativ assistiertGezieltes Absaugen mit GerätEndotrachealer Tubus

Herzdruckmassage Thoraxkompressionen; „Arbeitsfrequenz“ mindestens 100/Min.

Atemspende Freimachen der AtemwegeMund-zu-Nase-Beatmung oder Mund-zu-Mund-Beatmung

Beutelbeatmung mit Maske, über supraglottische Atemhilfe oder EndotrachealtubusMaschinelle Beatmung

Defibrillation Falls ein automatischer externer Defibrillator (AED,  Abb. 15.12) vorhanden und der Laienhelfer entsprechend geschult ist

Defi brillationSchrittmachertherapie

Drugs (Medikamente) Adrenalin, evtl. Amiodaron

Tab. 15.2 Das Vorgehen bei der kardiopulmonalen Reanimation im Überblick.

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15.4 Die kardiopulmonale Reanimation

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Voraussetzung ist eine harte Unterlage (z. B. Reanimationsbrett, Fußboden, Bett-brett), da auf einer weichen Unterlage (z. B. Matratze) die Druckbewegungen auf den Brustkorb „verpuff en“ – der Betroff ene wird lediglich tiefer in die weiche Unterlage hineingedrückt.

Die Pfl egenden entkleiden den Brustkorb des Betroff enen, um die richtige Lokalisation für die Herzmassage aufzufi nden: Der Druck-punkt befi ndet sich beim Erwachsenen in der Mitte des Brustkorbs (  Abb. 15.6).

Der Helfer kniet sich in Brustkorbhöhe seitlich neben den Betroff enen, legt den Handballen der einen Hand auf den Druck-punkt und den anderen Handballen auf den Handrücken der unteren Hand. Nun drückt er den Brustkorb mit gestreckten Armen 5–6 cm ein. Danach nimmt er den Druck vollkommen weg, damit sich das Herz wie-der mit Blut füllen kann, lässt aber die Hän-de auf dem Brustkorb.

Die Herzdruckmassage beim Erwachse-nen erfolgt mit einer „Arbeitsfrequenz“ von mindestens 100 Kompressionen/Min. Durch die Pausen für die Atemspenden er-gibt sich eine effektive Frequenz von ca. 80 Kompressionen/Min.

Herzmassage und Atemspende erfolgen im rhythmischen Wechsel. Die Helfer begin-nen beim Erwachsenen grundsätzlich mit der Herzdruckmassage. Das empfohlene Verhältnis von Herzkompressionen zu Atemspende beträgt 30 :  2, d. h. auf 30 Kompressionen des Brustkorbs folgen zwei Atemspenden.

Viele Laien trauen sich eine Atemspende nicht zu. Sie sollten auf jeden Fall die Herz-massage ununterbrochen durchführen! Un-geübte Laien unterbrechen zudem die Herz-druckmassage für die Beatmung oft weitaus länger als die empfohlenen 5  Sek., sodass der Kreislauf immer wieder zum Stillstand kommt, was den Erfolg der Wiederbele-bung in Frage stellt. Für geübte Helfer bleibt die Wiederbelebung durch Herzdruckmas-sage und Atemspende die bevorzugte Me-thode!

Ein-Helfer-Methode Ein einzelner Helfer beginnt die Reanima-tion mit 30 Brustkorbkompressionen und führt anschließend zwei Beatmungen durch. Diesen Rhythmus behält er bei. Da die Ein-Helfer-Methode sehr anstrengend ist, sollte ein Einzelhelfer möglichst schnell eine zwei-te Person dazu holen (z. B. durch Rufe).

Zwei-Helfer-Methode Bei der Zwei-Helfer-Methode beatmet der eine Helfer, der andere führt die Herzmas-sage durch. Auch hier ist das Verhältnis 30  :  2. Da die Herzmassage sehr anstren-gend ist, sollten sich die beiden Helfer im Abstand von 2 Min. abwechseln. Die Th o-raxkompressionen werden für den Positi-onswechsel nur so kurz wie möglich unter-brochen.

Die geglückte Wiederbelebung erkennt der Helfer daran, dass die Atmung einsetzt und der Puls am Hals tastbar wird. Die Hautfarbe des Reanimierten sollte sich nor-malisieren und die Pupillen klein werden.

15.4.2 AtemspendeBesonderheiten der Atemspende bei Kindern

 15.4.7Nach den 30 Th oraxkompressionen erfol-gen sofort zwei Atemspenden, ohne Hilfs-mittel als Mund-zu-Nase- oder Mund-zu-Mund-Beatmung, baldmöglichst aber als Beutel-Masken-Beatmung mit Maske und Beatmungsbeutel, z. B. Ambu -Beutel. Letztere birgt nicht nur eine geringere In-fektionsgefahr, sondern ist vor allem eff ek-tiver.

Ist ein (erfahrener) Arzt anwesend, so wird der Patient evtl. intubiert und mit der Intubationsbeatmung begonnen. Sie beugt zusätzlich einer Aspiration (  13.6.5.7) vor, kann sie jedoch nicht ganz ausschließen (sog. stille Aspiration ist auch bei Intubation möglich) . Alternativen sind supraglotti-sche Atemhilfen, v. a. Larynxtubus oder -maske. Gerade der Larynxtubus kann ver-gleichsweise leicht platziert werden (auch durch gut geschulte nichtärztliche professi-onelle Helfer) und die Herzmassage muss nicht unterbrochen werden.

Mund-zu-Nase- und Mund-zu-Mund-Beatmung

Als Erstes überstreckt der Helfer den Kopf des NotfallpatientenDer Helfer verschließt bei der Mund-zu-Nase-Beatmung den Mund durch Druck des Daumens auf die Unterlippe in Rich-tung Oberlippe (  Abb. 15.7). Ansonsten kann die gerade eingeblasene Luft ent-weichen. Bei der Mund-zu-Mund-Beat-mung wird die Nase mit Daumen und Zeigefi nger der auf der Stirn liegenden Hand verschlossen. Gleichzeitig wird das

Arme gestreckt

Finger verschränkt

Abb. 15.6 Herzdruckmassage. Der Druckpunkt befi ndet sich nach den neuen Richtlinien „im Zentrum der Brust“. Ersthelfer legen den Hand-ballen der einen Hand auf. Der andere Hand-ballen legt sich auf den Handrücken der ersten Hand, die Finger werden miteinander ver-schränkt (oben). Die Arme des Helfers sind ge-streckt (unten). [L138]

Verschluss des Mundesdurch Druck desDaumens auf dieUnterlippe inRichtungOberlippe

Beugen desKopfes nackenwärts

(„überstrecken”)

Einblasen derAusatemluftin die Nase

Abb. 15.7 Mund-zu-Nase-Beatmung. Das leich-te Anheben des Brustkorbs ist ein sicheres Zei-chen dafür, dass die eingeblasene Luft auch die Lunge erreicht. [L138]

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Kinn nach oben gezogen, um die Atem-wege freizuhaltenDer Helfer bläst seine Ausatemluft eine Sekunde lang vorsichtig in Nase bzw. Mund ein. Das anschließende Luft holen erfolgt am besten zur Seite hin. Dies er-laubt einen gleichzeitigen Blick auf die Th oraxbewegung. Bei richtiger Beat-mungstechnik hebt und senkt sich der Brustkorb des Betroff enenDanach setzt der Helfer die Beatmung nach seinem eigenen Atemrhythmus fort (entspricht ca. 12-mal pro Minute beim Erwachsenen).

Bleibt bei den Atemspenden die He-bung des Brustkorbs aus, so inspiziert der Ersthelfer die Mundhöhle und entfernt er-reichbare Fremdkörper. Fest sitzende Zahnprothesen werden belassen, lockere herausgenommen. Oberste Priorität hat in diesem Fall die unverzügliche Fortsetzung der Thoraxkompressionen.

Die Inspektion des Mundes wird bei Notfällen im Krankenhaus schon im Rah-men der Prüfung der Atmung durchge-führt, sofern der Helfer entsprechend ge-schult ist.

Beutel-Masken-Beatmung Korrekt durchgeführt kann eine Beutel-Masken-Beatmung genau so effi zient sein wie die Intubationsbeatmung:

Individuelle Auswahl der Maskengröße. Die Maske muss Nase und Mund dicht umschließen, darf Mundöff nung und Nase jedoch keinesfalls verlegen oder zu-sammenquetschenNackenwärtsbeugen („Überstrecken“) des Kopfes wie bei der Mund-zu-Mund-BeatmungFixation und „Hochziehen“ des Unter-kiefers mit dem III.–V. Finger (bei Rechtshändern: der linken Hand), Auf-setzen der Maske, „C-Griff “ mit Zeige-fi nger und Daumen (  Abb. 15.8)

Rhythmisches Zusammenpressen und Sich-entfalten-lassen des Beatmungsbeu-tels. Insbesondere bei Kindern wird der Beutel nicht vollständig, sondern nur so stark komprimiert, dass sich der Brust-korb hebt, um eine Überblähung der Lunge zu verhindernIst eine ausreichende Beatmung so nicht möglich, kann entweder ein zweiter ent-sprechend geschulter Helfer die Atem-wege durch den Esmarch-Handgriff (  Abb. 15.9) weiter öff nen und so die Zunge aus dem Weg räumen, oder es kann ein Guedel-Tubus (  Abb. 15.10) in den Mund eingelegt werden. Dies ist ein an der Zahnreihe fi xiertes, bis in den Rachen reichendes gebogenes Gummi-rohr, das die eingeblasene Luft an der zurückgefallenen Zunge vorbeiführt. Al-ternative z. B. bei Mundverletzungen ist der über die Nase eingeführte Wendl-Tubus.

Risiken der Beutel-Masken-BeatmungEin Teil der insuffl ierten (eingeblasenen) Luft gerät zwangsläufi g über die Speiseröh-re in den Magen und bläht diesen auf. Da-durch wird:

Das Zwerchfell nach oben gedrückt, was die Lungenausdehnung und damit die Atemfunktion behindertDer Mageninhalt in die Speiseröhre ge-presst, was eine Aspiration begünstigt.

Langsames Zusammendrücken des Beat-mungsbeutels (etwa über 2 Sek.) mindert vor allem das Risiko der Aspiration. Auch kann bei entsprechender Ausbildung bei bewusstlosen Patienten das Sellick-Manö-ver angewendet werden: Der Ringknorpel wird von einem weiteren Helfer mit Dau-men und Zeigefi nger seitlich umfasst und nach posterior (hinten) gedrückt, wodurch der Ösophagus komprimiert wird.

Beenden der BeatmungDie Beatmung muss so lange fortgeführt werden, bis der Patient wieder selber atmet, fachliche Hilfe eintrifft oder ein approbier-ter Arzt die Beatmung abbrechen lässt (  15.4.5).

InfektionsschutzDie Hilfe in Notsituationen kann für den Helfer ein Infektionsrisiko darstellen, wenn er nicht bestimmte Grundregeln be-achtet. Eine Infektion mit Hepatitis-B-, -C- oder HI-Viren setzt zumeist einen Blut-zu-Blut-Kontakt voraus, z. B. über Nagelfalz-verletzungen des Helfers.

Deshalb: grundsätzlich Einmalhand-schuhe tragen! Die Mund-zu-Mund- oder Mund-zu-Nase-Beatmung des Laienhel-fers kann bei Blutungen im Gesichtsbe-reich problematisch sein. Bis heute ist al-lerdings noch keine Infektion mit Hepati-tis- oder HI-Viren durch Mund-zu-Mund-Beatmung bekannt geworden. Das minimale Infektionsrisiko kann außerdem durch die Verwendung eines Taschentu-ches oder einer Mullkompresse weiter ge-senkt werden. Werden Kanülen, Skalpelle etc. eingesetzt, so gelten dieselben Prinzi-pien zur Verletzungsvermeidung wie im klinischen Alltag.

15.4.3 Defi brillationEine der häufi gsten Ursachen des Herz-Kreislauf-Stillstands beim Erwachsenen ist der Herzinfarkt, nicht selten verbunden mit Kammerfl immern (  18.7.2). Dabei sind die Zuckungen der Herzkammern so schnell und unkoordiniert, dass kein ausreichender Blutauswurf zustande kommt.

Kammerfl immern kann weitaus am ef-fektivsten durch einen Stromstoß von au-ßen unterbrochen werden. Eines der wich-tigsten Verfahren in der Notfallmedizin ist deshalb heute die Defi brillation: Aus ei-nem batteriebetriebenen Ladegerät wird ein

Abb. 15.8 Beutel-Masken-Beatmung mit C-Griff . [L138]

Abb. 15.9 Esmarch-Handgriff . Beide Hände fas-sen das Kinn des Verletzten und schieben den Unterkiefer so nach vorne, dass die untere Zahnreihe vor die obere kommt. Da durch die-sen Griff die Atemwege auch ohne „Überstre-cken“ des Halses geöff net werden, wird er bei vermuteter HWS-Verletzung zur Öff nung der Atemwege bevorzugt . [L138]

Abb. 15.10 Der Guedel-Tubus reicht vom Mund in den Rachen (Oropharyngealtubus) und soll die oberen Atemwege off en halten. [G053]

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15.4 Die kardiopulmonale Reanimation

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Stromimpuls abgegeben, der über Klebe-elektroden oder mit der Hand gehaltene Paddel auf dem Brustkorb des Betroff enen in das Herz eingeleitet wird. Dadurch wird der Herzmuskel für kurze Zeit elektrisch „stumm“. Im Idealfall übernimmt dann der Sinusknoten wieder die Führung.

Deshalb wird raschestmöglich ein Elek-trokardiogramm (EKG) des Patienten abge-leitet, etwa über die Elektroden des Defi bril-latorgeräts oder automatisierten externen Defi brillators (AED). Zeigt das EKG ein Kammerfl immern oder eine pulslose ventri-kuläre Tachykardie (ventrikuläre Tachykar-die mit so geringem Blutauswurf, dass kein Puls mehr in der Körperperipherie „an-kommt“), erfolgt eine Defi brillation.

Notfall Bis ein Defibrillator einsatzbereit ist, wird mittels Thoraxkompressionen und Atem-spenden reanimiert. Bei der Defibrillation wird nur ein einzelner Schock abgegeben, die Herzdruckmassage wird dafür so kurz wie möglich unterbrochen (< 5 Sek.). Da-nach werden sofort (also ohne weitere Prü-fung der Vitalzeichen) Thoraxkompressio-nen und Atemspenden für 2 Min. wieder-aufgenommen. Erst dann wird der Herz-rhythmus erneut analysiert und ggf. abermals defibrilliert.

Wichtig bei der Durchführung der Defi bril-lation (  Abb. 15.11):

Klebeelektroden gegenüber Paddeln vor-ziehenPaddel mit Elektrodengel bestreichen. Elektroden/Paddel unter Druck unter-halb des rechten Schlüsselbeins und un-terhalb der linken Brustwarze aufk leben bzw. anpressen. Bei Trägern von Herz-schrittmachern auf mindestens 10 cm Abstand vom Schrittmacher achtenAuslösung des Stromstoßes immer für die anderen Helfer ankündigenWährend des Stromstoßes Patienten nicht berühren, Sicherheitsabstand halten.

Automatisierte externe Defi brillatoren (AED  Abb. 15.12) ermöglichen heute auch nichtärztlichen professionellen Helfern und geschulten Laien die Defi brilla tion. Klebe-elektroden werden auf dem Brust korb des Patienten befestigt. Das Gerät analysiert dann selbsttätig den Herzrhythmus und lei-tet den Helfer bei Indikation zur Defi brilla-tion durch Piktogramme und/oder Sprach-anweisungen zur Schockabgabe an. Auch AEDs sind aber nur zusammen mit den Ba-sismaßnahmen sinnvoll.

15.4.4 NotfallmedikamenteUm rasch Notfallmedikamente (engl. drugs  = Arzneimittel) geben zu können, legt der Arzt einen venösen Zugang (z. B. Braunüle ). Einige Notfallmedikamente (z. B. Adrenalin, Amiodaron, Atropin) kön-nen mithilfe spezieller Kanülen auch in ei-nen Knochen (intraossär) verabreicht wer-den (  17.4). Die Applikation über den Be-atmungstubus wird nicht mehr empfohlen.Sauerstoff  13.2.5.8

AdrenalinAdrenalin (z. B. Suprarenin ) stimuliert das sympathische Nervensystem und för-dert dadurch Schlagkraft , Schlagfrequenz, Reizleitung und Erregbarkeit des Herzens. Alle diese Eff ekte sind erwünscht, um das Herz maximal zu stimulieren.

Adrenalin kommt insbesondere bei feh-lendem Herzschlag (Asystolie) und nach erfolgloser Defi brillation bei Kammerfl im-mern zum Einsatz. Die Standarddosis zur intravenösen oder intraossären Gabe für Erwachsene ist 1 mg. Adrenalin kann un-verdünnt oder mit NaCl 0,9 % auf 10 ml Ge-samtvolumen verdünnt gegeben und die Gabe alle 3–5 Min. wiederholt werden.

AmiodaronLässt sich ein Kammerfl immern durch drei-malige Defi brillation nicht beheben, so

kann das Antiarrhythmikum (   Pharma-Info 18.3) Amiodaron (z. B. Cordarex ) in-travenös oder intraossär in einer Einzeldo-sis von 300 mg eingesetzt werden. Eine wei-tere Indikation ist die hämodynamisch un-stabile (pulslose) ventrikuläre Tachykardie. Amiodaron dämpft die Erregungsleitung und die Bildung von Extrasystolen in der Herzkammer.

Natriumbikarbonat 8,4 %Natriumbikarbonat kann die bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand automatisch ent-stehende metabolische Azidose (   30.11.1) abpuff ern. Da die Routinegabe jedoch keinen Vorteil gezeigt hat, wird Natriumbikarbonat nur noch bei Kreislaufstillstand infolge Hy-perkaliämie (  30.10.3) oder Überdosierung von trizyklischen Antidepressiva gegeben.

Indiff erente InfusionslösungenIndiff erente Infusionslösungen wie etwa Ringer- , isotone Kochsalz- (NaCl 0,9 %) oder Glukose-Lösung 5 % sind Trägerlösun-gen für Arzneimittel und halten venöse Zu-gänge frei. Wird ein Arzneimittelbolus über einen periphervenösen Zugang gegeben, werden ca. 20 ml der Trägerlösung nachge-spritzt oder nachinfundiert, um das Arznei-mittel in Herznähe zu bringen.

Abb. 15.11 Defi brillation, hier mit Paddeln. Das Aufbringen von Elektrodenpaste soll die Stromüberleitung an der Haut verbessern. Dann setzt man die Paddel unter Druck unterhalb des rechten Schlüsselbeins und unterhalb der linken Brustwarze auf. Während der Defi brillation jede Berührung mit dem Patienten oder dem Bett vermeiden! [J747]

Abb. 15.12 Beim automatischen externen Defi -brillator führen Piktogramme und Sprachan-weisungen den ungeschulten Ersthelfer durch den gesamten Vorgang. [V083]

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15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege

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15.4.5 Abbruch der ReanimationDer Abbruch der Reanimationsbemühun-gen kann grundsätzlich nur von einem ap-probierten Arzt angeordnet werden. Ab-bruchkriterien können sein:

Länger als 30 Min. nach Beginn einer ordnungsgemäß durchgeführten Reani-mation bestehender zerebraler Kreislauf-stillstand (weite, lichtstarre Pupillen, Be-wusstlosigkeit, fehlende Spontanat-mung). Ausnahme ist die Reanimation bei Unterkühlung oder Intoxikation, da hier die Überlebenszeit des Körpers län-ger istLänger als 30 Min. bestehende Zeichen des Herztods im EKG (Asystolie).

15.4.6 Kühlung nach ReanimationPatienten, die einen Herz-Kreislauf-Still-stand überlebt haben, aber komatös sind, werden heute möglichst rasch nach Rück-kehr der Herz-Kreislauf-Tätigkeit leicht un-terkühlt. Die Absenkung der Körpertempe-ratur auf etwa 32–34 °C erfolgt heute über-wiegend durch äußere Kühlelemente. Diese therapeutische Hypothermie hat sich v. a. zur Reduktion neurologischer Folgeschä-den als günstig erwiesen, da sie den Gehirn-stoff wechsel und auch den Gewebeunter-gang verlangsamt.

15.4.7 Besonderheiten der Reanimation bei KindernIm Gegensatz zum Erwachsenen sind Notfall-situationen beim Kind am häufi gsten bedingt durch Atemstörungen (etwa bei Fremdkör-peraspiration), gefolgt von Störungen des Kreislaufs (etwa bei Volumenmangelschock).

Ablauf der ReanimationErsthelfer ohne spezielle Ausbildung gehen bei Kindern genau so vor wie bei der Reani-mation Erwachsener (   Abb.  15.13). Ent-sprechend geschulte Helfer berücksichtigen folgende Besonderheiten:

Die rasche Wiederherstellung der Atem-funktion hat bei Kindern höchste Priori-tät. Deshalb wird bei Kindern nach Fest-stellung des Atemstillstands sofort mit fünf Atemspenden begonnenHebt sich bei dieser anfänglichen Atem-spende der Brustkorb nicht, so wird der Mund des Kindes geöff net und sichtbare Fremdkörper entfernt (kein blindes Her-umfi ngern im Mund!). Auch wird darauf geachtet, dass der Nacken nicht zu sehr nach hinten gebeugt ist. Öff nen diese Maßnahmen die Luft wege nicht, so wird der Kiefer im Kieferwinkel angehoben (Esmarch-Handgriff  Abb. 15.9). Blei-ben fünf Versuche zur eff ektiven Atem-spende erfolglos, so wird mit der Herz-massage begonnen

Nach der ersten Beatmungsserie wird ge-prüft , ob ein Kreislauf vorhanden ist: da-zu achtet der Helfer darauf, ob das Kind sich bewegt, hustet oder eine normale Atmung hat. Sind solche Lebenszeichen vorhanden, so wird ein normaler Kreis-lauf angenommen. Eine schnappende oder unregelmäßige Atmung zählt nicht als Lebenszeichen. Eine Pulskontrolle ist auch bei Kindern für Laien nicht vorge-sehen (die durch professionelle Helfer mögliche Pulskontrolle ist unten erklärt)Sind keine Kreislaufzeichen zu bemer-ken, so beginnt der Helfer mit Brust-kompressionen. Bei Kindern werden da-bei 15 Herzkompressionen mit jeweils zwei Atemspenden abgewechselt (15 : 2). Bei Neugeborenen wird im Verhältnis von drei Th oraxkompressionen zu einer Beatmung (3 : 1) reanimiertUnd noch einen Unterschied gibt es: Falls der Ersthelfer alleine ist und einen Notruf nur tätigen kann, wenn er das Kind kurz verlässt, wird der Notruf erst nach der initialen Atemspende sowie zwei Zyklen Herzmassage getätigt (phone fast).

Atemspende bei KindernBei Neugeborenen und Säuglingen wird der Kopf nicht überstreckt, sondern nur der Unterkiefer angehoben („Schnüff elstel-lung“,  Abb. 15.14). Der Atem wird dabei über 1–1,5 Sek. eingeblasen. Bei Säuglingen umschließt der Helfer Mund und Nase des Kindes mit seinem Mund, bei älteren Kin-dern wird die Mund-zu-Mund-Beatmung bevorzugt (Nase wird dabei mit den Fin-gern zugedrückt) und der Kopf zur Beat-mung wie beim Erwachsenen überstreckt. Säuglinge und kleine Kinder können zur Beatmung auf den Arm genommen werden. Je kleiner das Kind ist, desto weniger Luft wird pro Atemzug eingeblasen.

Abb. 15.13 Die Besonder-heiten der kardiopulmona-len Reanimation beim Kind. Ersthelfer ohne spe-zielle Ausbildung gehen wie beim Erwachsenen vor (  Abb. 15.1). [L190]

Abb. 15.14 Beatmung beim Säugling . [L138]

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15.5 Versorgung von Verletzungen

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Herzdruckmassage bei Kindern Auch bei Kindern liegt der beste Druck-punkt in der unteren Hälft e des Brustbeins. Um diesen Druckpunkt zu fi nden, wird der Punkt aufgesucht, an dem sich die untersten Rippen in der Mitte (d. h. am Brustbein) treff en. Der Druckpunkt liegt ein Finger-breit darüber. Der Brustkorb soll bei jeder Kompression etwa um ein Drittel einge-drückt werden.

Bei Säuglingen nimmt der Helfer für die Herzdruckmassage lediglich zwei gestreckte Finger – den Zeige- und Mittelfi nger (   Abb.  15.15). Alternativ kann der ganze Brustkorb mit beiden Händen umfasst und mit den auf das Brustbein gesetzten Dau-men eingedrückt werden.

Bei älteren Kindern wird entweder nur ein Handballen auf das Brustbein aufgesetzt oder aber wie beim Erwachsenen mit zwei Händen gedrückt. Der Brustkorb wird um mindestens ein Drittel seines Durchmessers eingedrückt.

Pulskontrolle bei KindernDer kurze, „speckige“ Hals des Säuglings eignet sich nicht für eine Pulstastung an der A. carotis. Beim Säugling wird die A. brachialis an der Arminnenseite in der Mitte zwischen Ellenbogen und Schulter oder die A. femoralis in der Leiste getastet. Bei älteren Kindern kann der Puls an der A. carotis oder der A. femoralis geprüft wer-den.

Die Pulsprüfung soll nie länger als 10 Sek. dauern. Bei einem sicheren Puls > 60/Min. wird nun mit der alleinigen Atemspende, bei Pulslosigkeit oder nicht sicher fühlba-rem Puls mit der kardiopumonalen Reani-mation begonnen.

15.4.8 Notfallausstattung einer NormalstationDie Notfallausstattung einer Normalsta-tion muss an einem gut zugänglichen Platz aufb ewahrt werden. Bewährt haben sich Notfallwagen, die sich im Bedarfsfall rasch

in ein Patientenzimmer fahren lassen. Ihre Ausstattung muss regelmäßig von der da-für vorgesehenen Person überprüft wer-den. Im Krankhaus umfasst sie die folgen-den Materialien (in Pfl egeeinrichtungen und in der ambulanten Pfl ege fällt sie ge-ringer aus):

Arzneimittel und Infusionen • Sauerstoff: Sauerstoffflaschen mit An-

schlussmöglichkeiten für Beatmungs-beutel und Sauerstoffbrillen

• Ringer-Lösung oder eine andere Infu-sionslösung: als Trägerlösung von Arz-neimitteln, zum Volumenersatz und Freihalten der venösen Zugänge

• Adrenalin, Amiodaron, Atropin, Na-trium bikarbonat 8,4 %

• Evtl. weitere Medikamente, z. B. Dobut-amin, Dopamin, Glukose, Magnesium-sulfat, Midazolam, Prednisolon, Theo-phyllin

Materialien und Geräte • Handschuhe, Desinfektionsspray,

Schere, Pflaster • Stauschlauch, Spritzen und Kanülen • Venenverweilkatheter, evtl. zentrale

Venenkatheter • Materialien zum Legen eines venösen

Zugangs • Flowmeter für Sauerstoff-Wandan-

schluss oder Sauerstoffflasche • Beatmungsbeutel mit Ventilen und

Sauerstoffschlauch, Gesichtsmasken • Reservoirbeutel für den Beatmungs-

beutel, Sauerstoffschlauch • Sauerstoff-Nasensonden und -masken • Guedel-Tuben

• Gegenstände zur Intubation: Laryngo-skop mit diversen Spateln, Batterien

• Trachealtuben, Führungsstäbe für Tra-chealtuben; Kombitubus

• Absauggerät mit sterilen Kathetern • Blutdruckmessgerät • Defibrillator, EKG-Elektroden • Reanimationsbrett • Perfusoren und Infusiomaten, dazu

passendes Infusionsmaterial • Einmal-Tragetuch aus speziellem

Plastikmaterial (bis 100 kg Körperge-wicht).

15.5 Versorgung von Verletzungen15.5.1 Suche nach VerletzungenVerletzungen können sichtbar, aber auch unter Kleidung verborgen oder ganz ver-deckt sein. So ist z. B. ein geschlossener Kno-chenbruch von außen oft nur an einer Fehl-stellung der Extremität oder einer Schwel-lung über der Fraktur zu erkennen. Bei der Suche nach Verletzungen muss deshalb der ganze Körper abgesucht und eventuell Klei-dung entfernt werden (möglichst mit atrau-matischer Schere). Bei einem Unfall wird am besten nach Verletzungen gesucht, wenn der Patient umgelagert wird, z. B. zur Einleitung der Reanimation. Die frühe Suche ist insbe-sondere bei Blutungen wichtig, um rechtzei-tig Maßnahmen zur Blutstillung einzuleiten.

15.5.2 WundversorgungBei der Wundversorgung sind schwerwie-gende Fehler möglich, sie ist deshalb Arzt-aufgabe. Der Ersthelfer beschränkt sich auf Wundbedeckung und Blutstillung (bei stark blutenden Wunden schon im Rahmen der Basismaßnahmen). Zum Selbstschutz vor einer Infektion trägt der Ersthelfer bei der Versorgung blutender Wunden grund-sätzlich Einmal-Handschuhe.

Bei Verbrennungen ausgiebig mit Was-ser kühlen, evtl. mit metallbeschichteten Folien abdecken (  15.9.1)Bei Verätzungen mit Wasser spülen (  15.8)Wundverbände nur zur Abdeckung der Wunde oder zur Blutstillung anlegen.

Diese Maßnahmen dienen der Minderung der Infektionsgefahr, dem Kälteschutz, der Ruhigstellung und damit der Schmerzver-meidung.

Wundversorgung im Notfall Für den Ersthelfer gilt: • Wunde nicht berühren (es sei denn,

dies ist zur Blutstillung erforderlich) • Fremdkörper nicht entfernen • Wunde nicht auswaschen (gilt auch für

Bisswunden) • Keine Puder, Salben, Sprays oder Des-

infektionsmittel auftragen.

Wundabdeckung Off ene Wunden werden zum Schutz vor Umgebungskeimen keimfrei bedeckt und anschließend verbunden.

Die Wundaufl age besteht aus einer oder mehreren Lagen sterilen Verbandmulls oder Kompressen, die steril auf die Wunde

Abb. 15.15 Herzmassage beim Säugling . Links Zwei-Finger-Technik. Rechts thoraxumfassende Tech-nik (wenn zwei Helfer zur Verfügung stehen). [L138]

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15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege

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aufgebracht werden. Die Wundaufl age wird anschließend z. B. mit Pfl asterstreifen oder einem Dreiecktuch befestigt (Vor-sicht – nicht über der Wunde knoten!).

Ideal zur Wundbedeckung sind auch Verbandpäckchen. Sie bestehen aus einer sterilen Wundaufl age und einer Mullbinde zur Befestigung. Allerdings muss eine Blut-stauung durch zu festes Anwickeln der Mullbinde vermieden werden.

Befi nden sich große Fremdkörper in der Wunde (z. B. bei Pfählungsverletzungen), werden diese belassen und nur vorsichtig mit sterilem Verbandmull umpolstert, um keine weiteren Blutungen zu provozieren.

Brust- und BauchwundenAuch Wunden an Thorax oder Abdomen mit Eröffnung von Brust- bzw. Bauchhöhle werden lediglich steril bedeckt. Ein „luft-dichter“ Verband von Thoraxwunden wird nicht mehr empfohlen.

Blutstillung durch DruckverbandBei starken Blutungen der Arme und Beine eignet sich ein Druckverband (  Abb. 15.16) zur Blutstillung . Der Helfer legt eine sterile Wundaufl age auf die Wunde und fi xiert sie mit einer Mullbinde (2–3 Bindengänge kreis-förmig um die Extremität). Danach legt er ein elastisches Druckpolster, z. B. ein Ver-bandpäckchen oder eine noch zusammenge-wickelte Mullbinde, auf den Wundbereich. Weitere kreisförmig darübergewickelte Bin-dengänge sorgen für den erforderlichen Druck. Der Verband muss fest genug sein, um die Blutung zu stillen, andererseits darf er die Blutzufuhr nicht vollständig abschnüren.

Abschließend wird die verbundene Ex-tremität möglichst hochgelagert. Dies senkt den Druck im blutenden Gefäß und damit die Nachblutungsgefahr.

Versorgung von Amputationsverletzungen Abgetrennte Körperteile, z. B. Finger, kön-nen durch rechtzeitige chirurgische Maß-

nahmen oft mals wieder funktionsgerecht „eingepfl anzt“ (replantiert) werden. Solche Operationen sind allerdings nur erfolgreich, wenn das abgetrennte Körperteil (Ampu-tat) lediglich gering geschädigt ist und zwi-schen Unfall und Replantation nicht mehr als einige Stunden vergangen sind.

Erstmaßnahmen am Unfallort bei trau-matischer AmputationFolgende Maßnahmen dienen der even-tuellen Replantation der abgetrennten Gliedmaße: • Amputat gezielt suchen (lassen) • Amputat wie vorgefunden (nicht säu-

bern oder abwaschen!) in ein trocke-nes, steriles Verbandtuch oder sterile Kompressen einwickeln, in eine saube-re, wasserdichte Plastiktüte geben und diese verschließen

• In eine zweite Plastiktüte Eis-Wasser-Gemisch füllen und Amputattüte hin-einhängen. Zweite Tüte ebenfalls ver-schließen (  Abb. 15.17). Auf keinen Fall Amputat direkt mit Eis oder Wasser in Kontakt bringen!

• Das so verpackte Amputat schnellst-möglich mit dem Patienten in die Klinik transportieren

• Den Stumpf steril abdecken und hoch-lagern. Bei Blutungen Gefäß zur Not manuell komprimieren, nicht abklem-men oder Extremität „abbinden“.

15.5.3 Versorgung von Knochenbrüchen Bei Schonhaltung, Bewegungseinschrän-kung, Schmerz oder Schwellung nach einer Verletzung besteht Verdacht auf eine Fraktur (Knochenbruch), bei klaren Formabwei-chungen, herausstehenden Knochenteilen, abnormer Beweglichkeit oder Lage oder Knochenreiben ist sie sicher. Der geschlos-sene Bruch zeigt keine sichtbare Wunde, während der off ene Bruch mit einer sicht-baren Wunde im Bereich der Bruchstelle einhergeht (  26.5.2).

Maßnahmen bei Verdacht auf Knochen-bruch:

Bruchstelle wegen der Gefahr von Schock und Fettembolie (Verlegung der Gefäßkapillaren durch Fett-Tropfen aus Gewebe oder Knochenmark) nicht mehr bewegen als unbedingt nötigBeim off enen Bruch die Wunde frühest-möglich mit einer sterilen Wundaufl age abdeckenFraktur in einer anatomisch günstigen Stellung ruhig stellen. Umgelagert wird nur, wenn keine Nerven oder Gefäße verletzt sind, keine mechanischen Wi-

derstände vorhanden sind und der Pa-tient keine besonderen Schmerzen äu-ßert. Brüche von Arm und Hand können mit einem um den Hals geknoteten Drei-ecktuch versorgt werden. Bei anderen Brüchen, z. B. der Beine, ist es zweckmä-ßig, den Bruch mit geeignetem Material, etwa fest gerollten Kleidungsstücken, Decken, Kissen, Sandsäcken oder Ähnli-chem, zu umpolstern.

Zusätzlich wird bei größeren Frakturen, insbesondere des Oberschenkels und des Beckens, wegen der Schockgefahr durch Blutverlust eine Schockbekämpfung (z. B. mit Infusionen) eingeleitet (  15.6.1).

Erstmaßnahmen bei Verdacht auf WirbelsäulenverletzungenJede Bewegung des Patienten mit instabiler Wirbelsäulenfraktur, insbesondere Drehen und Beugen der Wirbelsäule, birgt die Ge-fahr, dass sich die Fragmente verschieben und Rückenmark oder Nervenwurzeln schädigen. Daher bei jeglichem Verdacht auf Wirbelsäulenverletzung als Ersthelfer:

Absolute Immobilisation des Verletzten anstreben

– Verunfallten auff ordern, sich nicht zu bewegen. Ihn von vorne ansprechen, damit er nicht den Kopf dreht

– Verletzten nur bei absoluter Lebensge-fahr von der Unfallstelle retten (z. B. Explosionsgefahr). Maßnahmen, bei denen die Wirbelsäule (mit-)bewegt wird, nur bei vitaler Gefährdung durchführen. Ansonsten mit Rettung, Transport und Lagerung warten, bis

Abb. 15.16 Druckverband. [L190]

Abb. 15.17 Transport eines Amputats. Das Am-putat darf keinesfalls direkt mit dem Eis in Be-rührung kommen, da das Gewebe dadurch ge-schädigt würde. [L190]

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15.6 Vorgehen bei Schock

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der Rettungsdienst mit Hilfsmitteln (z. B. Stifneck , Schaufeltrage, Spine-board, Vakuummatratze) da ist

Rettungsdienst anfordern, Verdacht mit-teilenBis zur Ankunft des Rettungsdienstes Vi-talzeichen des Verletzten engmaschig kontrollieren, evtl. Patienten zur motori-schen Funktionsprüfung die Faust schließen oder die Zehen bewegen las-sen, zur Prüfung auf Sensibilitätsstörun-gen Finger oder Zehen berühren („Wel-chen Finger fasse ich an?“). Alle Befunde mit Uhrzeitangabe dokumentieren.

15.6 Vorgehen bei SchockSchock: Generalisiertes Kreislaufver-

sagen, bei dem der Körper den Durchblu-tungsbedarf einzelner oder aller Organe nicht mehr decken kann. Durch den dar-aus resultierenden Sauerstoffmangel le-benswichtiger Gewebe kann der Schock zur Bewusstlosigkeit, aber auch zum Or-ganversagen (z. B. der Nieren) und damit zum Tode führen.

Vier häufi ge Schockformen mit jeweils un-terschiedlichen Ursachen sind zu unter-scheiden:

VolumenmangelschockKardiogener SchockSeptischer SchockAnaphylaktischer Schock.

Die bei älteren Menschen bei weitem häu-fi gste Schockform ist der kardiogene Schock, z. B. durch Herzinfarkt, Herzrhyth-musstörungen oder Lungenembolie. Bei Kindern steht der Volumenmangelschock im Vordergrund.

15.6.1 Erstmaßnahmen bei Verdacht auf Schock

Erkennen des SchocksZeichen eines Schocks, die aber nicht im-mer alle und nicht gleichzeitig auft reten müssen, sind:

Angst, Unruhe, Teilnahmslosigkeit, Ver-wirrung, Bewusstseinstrübung bis zur BewusstlosigkeitSchneller (über 100 Kontraktionen/Min.) und schwächer werdender, schließlich kaum noch tastbarer PulsSinken des systolischen Blutdrucks unter 80 mmHg. Schockindex > 1 (Achtung: nur beim hypovolämischen Schock)Kalte Haut, fahle Blässe (bei Sepsis oft fehlend), feinperliger Schweiß auf der Stirn, Frieren

Rasche oder erschwerte Atmung (Ta-chypnoe bzw. Dyspnoe)Verminderte Urinmenge (Oligurie).

Die Dekompensation des Kreislaufs kann beim hypovolämischem Schock durch den Schockindex erfasst werden.

systolisch

PulsSchockindex

RR

Bewertung: • Schockindex beim Gesunden  0,5 • Schockindex bei Schockgefahr/

Schock > 1.

Schock wahrscheinlich beiSchweiß 3  ×  k (kalt, klebrig, kleinper-lig) + Tachykardie + Apathie

Erstmaßnahmen bei SchockBei unzureichender Atmung oder Kreis-laufstillstand Notruf und kardiopulmo-nale ReanimationBeseitigung der Schockursache (z. B. Blutstillung)Lagerung:

– Schockpatienten mit erhaltenem Be-wusstsein und ausreichender Atmung (außer solche im kardiogenen Schock

 15.6.4) werden in der Autotransfu-sionslage gelagert. Diese besteht in ei-ner Flachlagerung von Kopf und Ober-körper sowie Lagerung der Beine schräg nach oben durch Unterschieben eines geeigneten Gegenstands unter die Beine (  Abb. 15.3). Hierdurch fl ießt das in den Beinvenen gespeicher-te Blut in den Körperkreislauf und hilft , den Blutdruck aufrechtzuhalten. Mehr als ca. 45° sollten die Beine we-gen einer möglichen Beeinträchtigung der Lungenfunktion jedoch nicht hochgehoben werden. Bei Atemnot oder Schmerzen im Bauchraum wird der Betroff ene nach Wunsch gelagert, z. B. halb sitzend bei Atemnot

– Der bewusstlose, spontan atmende Pa-tient wird in der stabilen Seitenlage (  Abb. 15.4) gelagert

– Bei Patienten mit kardiogenem Schock wird der Körper 30–45° hoch gelagert, die Beine werden gleichzeitig nach un-ten gelagert (Herzbettlagerung

 Abb. 15.3,  Abb. 18.1)Venöser Zugang: Sobald wie möglich werden mehrere periphervenöse Zugän-ge gelegt und je nach Schockform Flüs-sigkeit, z. B. isotone Kochsalzlösung, und Medikamente nach Erfordernis gegeben. Ist keine Vene zu fi nden, können Infu-

sionen und Medikamente im Notfall auch über einen intraossären Zugang verabreicht werden (  17.4)Gabe von Sauerstoff , bei unzureichender Atmung manuelle oder maschinelle Be-atmungRegelmäßige Kontrolle/fortlaufendes Monitoring von Bewusstsein, Atmung, Puls, Blutdruck und Hautzustand (z. B. Zyanose).

Sofortdiagnostik bei SchockManchmal ist die Schockform aufgrund der Anamnese und der Symptome klar, z. B. spre-chen starke Blutungen für einen Volumen-mangelschock oder ein Insektenstich für ei-nen anaphylaktischen Schock. Mitunter ist die Ursache des Schocks zunächst unbekannt.

Die Sofortdiagnostik im Krankenhaus hat zum Ziel, so rasch wie möglich die Ursa-che des Schocks herauszufi nden, um eine kausale Th erapie beginnen zu können:

EKG: Herzinfarkt, Herzrhythmusstörun-gen?Röntgen-Th orax: Lungenödem, Pneu-monie, Pneumo-/Hämatothorax?Blutuntersuchung: BGA, (großes) BB, CRP, BSG, Gerinnung, BZ, Kreatinin, Elektrolyte, CK/CK-MB, AST, LDH, Lak-tat, Lipase, Amylase, Troponine, Blut-gruppe und Kreuzblut, evtl. Alkoholspie-gel, toxikologische Untersuchungen, BlutkulturZVD: Bei Rechtsherzversagen und Lun-genembolie erhöht, bei Volumenmangel-schock erniedrigtRöntgenleeraufnahme des Abdomens: Spiegel als Ileuszeichen (  21.6.1), freie Luft als Zeichen der Perforation eines Hohlorgans (  21.2.3)?Sonografi e und CT: Cholezystitis, Harn-stau, Abszesse, Milzvergrößerung, Aor-tenaneurysma?Urinstatus, Urinkultur: Harnwegsinfekt?Evtl. Liquorpunktion und -untersuchung (  34.3.2).

15.6.2 VolumenmangelschockDer Volumenmangelschock (hypovolämi-scher Schock) entsteht durch Verluste von:

Blut (z. B. nach Unfällen, bei gastrointes-tinalen Blutungen)Plasma (z. B. nach einer Verbrennung

 15.9.1)Wasser und Elektrolyten (z. B. bei starken Durchfällen oder Erbrechen, Transpira-tion).

Ab einem Verlust von über 10 % des Gesamt-blutvolumens ergreift der Körper Gegen-

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15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege

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maßnahmen, um die Sauerstoff versorgung lebenswichtiger Organe zu gewährleisten (   Abb.  15.18): Das Nebennierenmark schüttet vermehrt die Hormone Adrenalin und Noradrenalin aus, die zur Vasokonstrik-tion (Gefäßverengung) in nicht lebensnot-wendigen Organen wie z. B. Haut und Mus-kulatur führen. Das Flüssigkeitsvolumen in den Gefäßen wird dadurch umverteilt (zen-tralisiert). Durch Sympathikusstimulation steigt die Herzfrequenz. Beide Mechanismen lassen den Blutdruck steigen, und die unmit-telbar lebenswichtigen Organe wie Herz und Gehirn werden zumindest eine Zeitlang mit Blut versorgt.

Die Kreislaufzentralisation zeigt sich an folgenden Symptomen: • Marmorierte (fleckig-weiße), später

blasse und kaltschweißige Haut • Eingefallenes Gesicht des Patienten • Kollabierte Halsvenen • Frieren des Patienten • Reaktionen auf Umweltreize verlang-

samt.Durch den Flüssigkeitsverlust hat der Pa-tient außerdem Durst.

Wird der Schock in diesem Stadium nicht eff ektiv bekämpft und sinkt der systolische Blutdruck unter 80 mmHg, wird die Nieren-durchblutung vermindert und die Urinaus-scheidung geht zurück (Oligurie, Anurie

  30.2.1). Gleichzeitig kommt es auch in anderen Organgebieten zu Durchblutungs-störungen, Sauerstoff mangel und letztlich Organschäden:

Die Zellen stellen ihren Stoff wechsel von aerob (mit Sauerstoff ) auf anaerob (ohne Sauerstoff ) um, wodurch eine metaboli-sche Azidose (  30.11.1) entstehtDie Azidose schädigt die Zellen und stört die Sauerstoff abgabe ins Gewebe, was

den Sauerstoff mangel verstärkt. Die Funktion lebenswichtiger Organe ver-sagt, oft ist ein Multiorganversagen die Folge, wobei Lungenversagen (ARDS,

 20.14) und akutes Nierenversagen (  30.5.7) besonders häufi g sind.

ErstmaßnahmenDie Erstmaßnahmen umfassen:

Patienten beruhigen, hinlegen und in Autotransfusionslage bringen (  15.6.1). Ausnahme: Blutungen an Kopf, Lunge und oberem Magen-Darm-TraktSauerstoff (100 %) 6–8 l/Min. geben, ggf. reanimierenStarke Blutungen durch Druckverband oder Abdrücken zuführender Arterien stillenGroße zentralvenöse Zugänge (evtl. ZVK) legen. Großzügig Infusionen zum Volumenausgleich geben, z. B. isotone Kochsalzlösung (  17.4.1), bei Blutver-lust evtl. auch Transfusion von Erythro-zytenkonzentraten (  24.5.7)Kreislauf durch Gabe von Katecholami-nen (  18.6.1) unterstützenAzidose und Elektrolytverluste je nach Laborbefunden ausgleichenLaufendes Monitoring der Vitalparame-ter durchführen.

15.6.3 Septischer SchockZum septischen Schock kommt es vor allem bei schweren bakteriellen Infektionen. Die Freisetzung von mikrobiellen Produkten, insbesondere Bakterientoxinen (   27.5,

  27.6.1), verursacht eine Weitstellung der Gefäße und somit trotz in der Frühphase ho-hen Herzminutenvolumens einen relativen Flüssigkeitsmangel in den peripheren Blut-

gefäßen. Blutströmung und Austauschpro-zesse in den peripheren Kreislaufgebieten (Mikrozirkulation) sind darüber hinaus durch weitere Prozesse gestört:

Vom Körper freigesetzte vasoaktive (ge-fäßaktive) Substanzen führen über eine Erhöhung der Gefäßwanddurchlässigkeit zu einem Flüssigkeitsverlust ins Gewebe und verstärken den Flüssigkeitsmangel in den GefäßenErythrozyten und Th rombozyten ballen sich in peripheren Gefäßen zusammen (aggregieren) und führen zu Mikroem-bolien (Verschluss kleiner Gefäße)Das Gerinnungssystem wird aktiviert, Gerinnungsfaktoren werden massiv ver-braucht (Verbrauchskoagulopathie

 24.9.2).Häufi ge Ursachen des septischen Schocks sind:

Infektionen der ableitenden Harnwege (  30.4.1)Pneumonien (  20.4.4)Gallenwegsinfektionen (  22.5.4), Peri-tonitis (  21.8)Katheterinfektionen (z. B. durch ZVK).

Besonders gefährdet sind abwehrge-schwächte Patienten, z. B. bei Diabetes mel-litus (   23.6), Verbrennungen (   15.9), Tumoren, nach großen Operationen oder bei Einnahme bestimmter Arzneimittel (z. B. Glukokortikoide   Pharma-Info 23.1, Zytostatika  24.5.1).

Der Patient hat oft hohes Fieber, evtl. Schüttelfrost. Die Haut ist anfangs warm und gut durchblutet. Das rosige Aussehen kann über den Ernst der Erkrankung hin-wegtäuschen. Typische Hauteinblutungen (Petechien,  Abb. 24.24) treten als Zeichen von Gerinnungsstörungen auf.

ErstmaßnahmenDie gestörte Mikrozirkulation wird durch großzügige intravenöse Flüssigkeitszufuhr, z. B. mit isotoner Kochsalzlösung, behan-delt (Volumenersatztherapie wie beim Vo-lumenmangelschock). Einer Verbrauchs-koagulopathie wird, je nach Stadium, durch Heparingabe vorgebeugt. Zusätzlich begin-nen die (intravenöse) Antibiotikatherapie und die Suche und Sanierung der Infek-tions quelle (Blutkulturen, Abstriche).

15.6.4 Kardiogener SchockDer kardiogene Schock (  18.5.2) ist durch Pumpversagen des Herzens gekennzeich-net. Häufi ge Ursachen sind:

Akuter Myokardinfarkt (  18.5.2)Herzrhythmusstörungen (  18.7)

Blutverlust

Abb. 15.18 Pathophysiologische Mechanismen und bei Schock am Beispiel des Volumenmangel-schocks. Im Verlauf des Schockgeschehens entwickeln sich mehrere „Teufelskreise“ – das Ge-schehen verselbstständigt sich und kann zunehmend schlechter beherrscht werden. [L190]

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15.7 Erste Hilfe bei Intoxikationen und Rauschzuständen

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Akut dekompensierte Herzinsuffi zienz (  18.6)Lungenembolie (  20.10.1)Myokarditis (  18.8.2).

Abweichend von den Symptomen des Volu-menmangelschocks ist die Haut durch den oft starken Abfall der Sauerstoff sättigung des Blutes oft grau bis zyanotisch. Eventuell sind die Halsvenen gestaut. Bei Linksherz-insuffi zienz (  18.6.2) kommen Symptome des Lungenödems (  18.6.3) wie brodelnde Atmung hinzu. Der Patient versucht sich meistens aufzusetzen und ringt nach Luft („aufrechte“ Atmung = Orthopnoe).

ErstmaßnahmenZiel ist es, das Herz zu entlasten und die Herzleistung zu steigern.

Oberkörperhoch-, Beintiefl agerung (nur bei systolischem RR > 100 mmHg)Sauerstoff gabe (100 %, z. B. 6–8 l/Min.), ggf. kardiopulmonale ReanimationUnterstützung der Pumpleistung des Herzens durch Dopamin- bzw. Dobut-aminperfusor. Evtl. Diuretikagabe, z. B. FurosemidTh erapie von Herzrhythmusstörungen (ggf. externe Stimulation des Herzens oder Einschwemmkatheter)Behandlung der Ursache, ggf. Beginn der Antikoagulanzien- oder Lysetherapie (  19.6)Analgosedierung (reduziert den Sauer-stoffb edarf)Wärmeerhalt – der Patient darf nicht frieren (erhöht den Sauerstoff verbrauch).

15.6.5 Anaphylaktischer SchockDer anaphylaktische Schock ist die Schwerstform der allergischen Typ-I-Reak-tion (   28.2). Starke Histaminfreisetzung führt u. a. zu Vasodilatation mit Blutdruck-abfall, Abnahme des Herzminutenvolu-mens, Bronchokonstriktion und Erhöhung der Kapillarpermeabilität.Häufi g auslösende Allergene sind:

Antibiotika (z. B. laufende Kurzinfusi-on!), andere Arzneimittel (z. B. Infusion von HAES), RöntgenkontrastmittelTransfusionenInsekten- und Schlangengift eAllergene bei Hyposensibilisierungsthe-rapie.

Der anaphylaktische Schock beginnt rasch nach dem Allergenkontakt mit Unruhe, Juckreiz, Niesen und Quaddelbildung auf der Haut. Es folgen Schwindel, Übelkeit, Er-brechen, Durchfall, Fieber, Schüttelfrost,

Angstgefühl sowie Luft not mit Broncho-spasmus (   20.6) und Larynxödem sowie Gefäßweitstellung mit reaktiven relativen Volumenmangel.

ErstmaßnahmenUnterbrechung der Allergenzufuhr (z. B. der Infusion)Volumenersatztherapie, evtl. mit Druck-infusionenGlukokortikoide hoch dosiert i. v.Adrenalin i. v. zur KreislaufstabilisierungEvtl. Antihistaminika i. v. (z. B. Tavegil )Bei Bronchospasmus Inhalation von Sal-butamol (z. B. Salbutamol AL ) bzw. Terbutalin (z. B. Bricanyl ) i. v.Bei Larynxödem evtl. Inhalation von Adrenalin (verdünnt)Autotransfusionslagerung: Beine um 45 ° hochlagern (wie beim Volumenmangel-schock,  15.6.2)Wärmeerhalt oder Wärmesubstitution mittels WärmedeckeO2-Gabe (100 %) mit 6 l/Min., bei unzurei-chender Atmung frühzeitige Intubation.

15.7 Erste Hilfe bei Intoxikationen und Rauschzuständen15.7.1 Überblick

Intoxikation: Vergiftung des Körpers durch Aufnahme giftiger Substanzen. Ent-weder vorsätzlich (in Suizidabsicht) oder versehentlich (z. B. Kinder, die Reini-gungsmittel trinken, Arbeitsunfälle, Über-dosierung von Rausch- und Genussmit-teln). Toxine (Gifte) können über Ver-dauungstrakt, Atemwege, Blutbahn oder Haut/Schleimhaut aufgenommen werden. Auf allen vier Wegen gelangt die giftige Substanz in das Blut, sodass eine Schädi-gung des gesamten Organismus möglich ist (  Abb. 15.19).

Vergiftungserscheinungen Folgende Symptome weisen auf eine akute Vergift ung hin:

Zentralnervöse Störungen wie Schwindel, Erregung, Bewusstseinstrübung bis zur Bewusstlosigkeit, Krämpfe, LähmungenPsychische Störungen wie Aggressivität, Fantasieren, DepressionenGastrointestinale Störungen wie Übel-keit, Erbrechen, DurchfallAtem- und Kreislaufstörungen wie Schock, Kreislaufstillstand, Atemläh-mung, Tachykardie oder Bradykardie.

Hinzu treten lokale Schäden durch die toxi-sche Substanz, z. B. eine Speiseröhrenverät-zung nach oraler Aufnahme von Säuren (  15.8).

VorsichtDie Kombination von Bewusstseinsstörun-gen und Erbrechen kann für den Vergifteten gefährlich werden: Durch die Bewusstlo-sigkeit und die gleichzeitige Verminderung der  Schutzreflexe kann es zur Aspiration (  13.6.5.7) von Erbrochenem kommen.

Durch die toxische (gift ige) Wirkung der eingenommenen Substanzen drohen neben der akuten Störung der Vitalfunktionen oft auch Spätschäden, z. B. der Leber, des Ge-hirns oder der Nieren.

Schweregrad einer VergiftungDie Schwere bzw. Bedrohlichkeit einer Ver-gift ung ist nicht immer leicht einzuschät-zen, da manche Gift e erst mit zeitlicher Ver-zögerung wirken (z. B. Eisenvergift ung) oder nur schwer erkennbare, aber evtl. ge-fährliche Symptome verursachen (z. B. Herzrhythmusstörungen). Bei Gift en, die das ZNS unterdrücken, ermöglicht evtl. die Komatiefe (   34.2.10) die Beurteilung des Vergift ungsgrads. Jede Intoxikation wird deshalb so lange als akuter Notfall angese-hen und behandelt, bis eine vitale Gefähr-dung des Patienten ausgeschlossen ist.

Behandlungsstrategie

VorsichtBei Vergiftungen Eigenschutz nicht ver-gessen: Handschuhe und Schutzkleidung tragen, sowohl zum Schutz vor dem Gift als auch vor Infektionen (z. B. HIV, Hepati-tis B/C,  15.14).

Giftaufnahme über …

Abb. 15.19 Möglichkeiten der Giftaufnahme. [A400]

Page 16: Ch15-9783437267741 · k Elsevier Gmbh, München – Pfl ege Heute, 6.A., 2014 15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege Nicole Menche Herbert Renz-Polster Matthias Richter (15.15)

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15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege

15

Elsevier Gmbh, München – Pfl ege Heute, 6.A., 2014

Und: Aggressionen und Entzugssyndrome seitens intoxikierter Patienten sind mög-lich. Zur Gewaltabwehr sollten immer mehrere Personen anwesend sein.

Elementartherapie bei VergiftungenBei Vergift ungen hat sich folgende Elemen-tartherapie bewährt:

Bei Gas- oder Dampfi nhalation Rettung des Betroff enen aus der Gefahrenzo-ne – Eigensicherung (Schutzkleidung, Schutzmasken) beachtenSicherung der Vitalfunktionen, evtl. kar-diopulmonale Reanimation (  15.4)Anruf bei der Gift informationszentraleDiagnosesicherung (Sicherstellung von Material wie z. B. Tablettenresten, Glä-sern, Flaschen, Urin oder Erbrochenem)Im Krankenhaus evtl. Verringerung der Gift resorption (primäre Gift eliminati-on) v. a. durch Gabe von Adsorbenzien wie AktivkohleGabe von Antidoten (Gegengift en)Beschleunigung der Gift ausscheidung nach erfolgter Resorption (sekundäre Gift elimination) durch Hämodialyse (  30.1.6), Blutaustauschtransfusion oder forcierte Diurese.

Notrufnummern von Giftinformations-zentralenBerlin 030/19240Bonn 0228/19240Erfurt 0361/730730Freiburg 0761/19240Göttingen 0551/19240 (Bevölkerung),

0551/383180 (Konsiliar, Be-ratung Fachpersonal)

Homburg (Saar) 06841/19240Mainz 06131/19240München 089/19240Nürnberg 0911/3982451Wien (0043)1/4064343Zürich (0041)1/2515151 (aus dem

Ausland, sonst 145)

Beim Anruf folgende Informationen bereithalten: • Wie alt ist der Vergiftete (ungefähr)? • Was wurde wahrscheinlich eingenom-

men? Wirkstoff? Evtl. gezielt nach Hin-weisen suchen, z. B. Tablettenschach-teln im Papierkorb

• Wie viel wurde maximal/minimal ein-genommen?

• Wann ist die Einnahme wahrscheinlich erfolgt?

• Was ist bisher beobachtet worden? • Was ist bisher unternommen worden? • Welche Vorerkrankungen bestehen

(z. B. Epilepsie oder Herzrhythmusstö-rungen)?

Zum Routinelabor bei Vergift ungen gehört neben der Bestimmung von Blutbild, Elek-trolyten, Blutzucker und Gerinnung ein Drogen-Screening: Das Serum wird auf häufi ge Toxine untersucht, z. B. Opiate. Drogen-Screening ist darüber hinaus in Urin, Stuhl und Mageninhalt möglich.

Induziertes Erbrechen und MagenspülungObwohl die Verringerung der Gift resorp-tion unmittelbar einleuchtend ist, hat sich herausgestellt, dass dies nicht nur schwer zu erreichen, sondern evtl. auch gefähr-lich für den Vergift eten ist. So besteht beim induzierten (absichtlich herbeige-führten) Erbrechen die Gefahr einer Aspi-ration, eine Magenspülung darf bei be-wusstseinsgetrübten Patienten aus dem gleichen Grund nur unter Intubations-beatmung durchgeführt werden. Studien konnten die Wirksamkeit des induzierten Erbrechens und der Magenspülung nicht sicher belegen. Zudem verzögern sie die Gabe von Aktivkohle. Heute werden in-duziertes Erbrechen und Magenspülung daher nur noch im Einzelfall unter be-stimmten Voraussetzungen (beispielswei-se bei lebensbedrohlicher Vergift ung, Gift -einnahme von Ausnahmen abgesehen vor höchstens einer Stunde) und nach sorgfäl-tigem Abwägen der Chancen und Risiken angewendet.

Aktivkohle und GlaubersalzAktivkohle (medizinische Kohle) bindet fast alle wasser- und fettlöslichen Substan-zen im Magen-Darm-Trakt und wird des-halb zur Gift adsorption (Gift bindung) ver-wendet. Als Erstdosis wird 0,5–1 g Kohle (am besten Kohlepulver) pro kg Körperge-wicht in Wasser aufgeschwemmt und oral oder über eine Magensonde gegeben. Die Gabe kann im weiteren Verlauf mit geringe-rer Dosis wiederholt werden.

Bleibt Kohle länger als 24 Std. im Magen-Darm-Trakt, besteht allerdings die Gefahr, dass bereits gebundene Gift e durch die Ver-dauungssäft e wieder freigesetzt und resor-biert werden. Deshalb wird die Darmpassa-ge oft beschleunigt durch gleichzeitige Gabe z. B. von Glaubersalz (Natriumsulfat) oder Sorbitol, das zudem den Geschmack der Kohleaufschwemmung etwas verbessert.

Durch dieses Abführen wird auch der en-terohepatische Kreislauf durchbrochen: Manche Gift e (z. B. Alkylphosphate, Toxine des Knollenblätterpilzes) werden über die Galle ausgeschieden, gelangen wiederum in

den Darm, werden dort nochmals resorbiert und führen zu einer erneuten Vergift ung.

DarmeinlaufBei sehr schweren Vergift ungen wird (ggf. mehrfach) ein Darmeinlauf mit Kohle und Glaubersalz durchgeführt, um auch den Dickdarm von möglichen Gift stoff en zu rei-nigen (Durchführung  13.7.2.5).

Forcierte DiureseBei der forcierten Diurese wird die Urin-produktion durch Zufuhr großer Mengen an Infusionslösungen in Kombination mit Diuretika massiv beschleunigt. Sie wird ein-gesetzt bei Intoxikationen mit nierengängi-gen Substanzen (z. B. Barbiturate, Lithium), um die Ausscheidung zu beschleunigen, so-wie bei Hyperkalzämie (  30.10.4).

Da es sich um sehr hohe Flüssigkeits- und damit auch Urinmengen handelt, er-hält der Patient zur Entlastung und zur ex-akten Bilanzierung in aller Regel einen Bla-sendauerkatheter, evtl. auch einen ZVK zur ZVD-Kontrolle. Puls und Blutdruck sowie Elektrolyte müssen engmaschig überwacht werden, da die Gefahr von Kreislaufüber-lastung und Elektrolytverschiebungen be-steht. Fehlende Elektrolyte werden durch Zusatz zu den Infusionslösungen ergänzt. Kontraindiziert ist die forcierte Diurese bei Herz- und Niereninsuffi zienz, Hirnödem und der Intoxikation mit Substanzen, die nicht über die Niere ausgeschieden wer-den.

AntidotgabeFür einige toxische Substanzen, z. B. Heroin und andere Opioide sowie Benzodiazepine (z. B. Valium ), stehen spezifi sche Antidote (Gegenmittel) zur Verfügung (  Tab. 15.3). Je nach Applikationsform (s. c., i. m. oder i. v.) tritt die Wirkung unterschiedlich rasch ein.

TBL

Giftige Substanz

Antidot

Methylalkohol Ethylalkohol

Benzodiazepine (z. B. Diazepam)

Flumazenil, z. B. Anexate

Heroin, Opiate Naloxon, z. B. Narcanti

Paracetamol (z. B. ben-u-ron )

N-Acetylcystein, z. B. Fluimucil

Alkylphosphat Atropin, z. B. Atropinsulfat Braun

Kumarine (z. B. Marcumar )

Vitamin K, z. B. Konakion

Tab. 15.3 Giftige Substanzen und ihre spezifi-schen Antidote. Fluimucil ##B978-3-437-26774-1.00015-3#idx118 Atropinsulfat Braun ##B978-3-437-26774-1.00015-3#idx121 Konakion ##B978-3-437-26774-1.00015-3#idx123

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15.8 Erste Hilfe bei Verätzungen

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Pfl ege bei Intoxikation

Patientenbeobachtung • Bewusstsein, Reaktionsvermögen,

Stimmungslage • Atmung • Puls, Blutdruck • Temperatur • Flüssigkeitsbilanz • Pupillengröße und -reaktion • Haut.

Neben der allgemeinen (Intensiv-)Pfl ege beachten die Pfl egenden:

Patienten mit einer Alkoholintoxikation neigen zum Auskühlen und müssen da-vor geschützt werden, ebenso neigen sie zur HypoglykämieBei Patienten mit bekannter Abhängig-keit von Drogen, Alkohol oder Arznei-mitteln muss mit Entzugssymptomen (  35.8.3) gerechnet werdenDie Dekubitusprophylaxe (  13.5.1.4) steht im Vordergrund bei Patienten mit Barbituratvergift ungen (heute sehr sel-ten), die typische Hautläsionen in Form von Blasen verursachen.

15.7.2 Alkoholintoxikation

Alkoholintoxikation (Alkoholvergif-tung): Vergiftung durch übermäßige Alko-holaufnahme innerhalb weniger Stunden (bei Erwachsenen meist über 100 g). Sehr häufig. Vor allem bei zu später oder aus-bleibender Behandlung tödlicher Ausgang möglich.

Die Alkoholintoxikation ist in Deutsch-land die häufi gste Vergift ung überhaupt. Trotz individueller Unterschiede gibt es ei-ne grobe Beziehung zwischen der Alkohol-konzentration im Blut (in Promille = ‰) und Symptomen:

Ab ca. 0,3 ‰ gehobene Stimmung, be-ginnende Enthemmung, Rededrang, Be-einträchtigung von Konzentration, Reak-tion und Aufmerksamkeit, Anstieg der Risikobereitschaft Bei ca. 0,5 ‰ Grenze der Fahrtüchtigkeit (diese ist jedoch schon darunter einge-schränkt)Ab ca. 0,8 ‰ Störungen von Gleichge-wicht und Feinmotorik, Störung des räumlichen Sehens, beginnende Blick-feldverengung, deutliche Beeinträchti-gung von Konzentration, Reaktion und Aufmerksamkeit, SelbstüberschätzungAb ca. 1,2 ‰ ausgeprägte Gleichge-wichtsstörungen, zunehmende Sprach-, Orientierungsstörungen

Ab ca. 2 ‰ zunehmende Bewusstseins-einschränkung bis zum KomaAb ca. 3 ‰ tödlicher Ausgang möglich.

Weitere typische Zeichen sind:Geruch nach Alkohol (Alkoholfötor)Erhöhte Wärmeabgabe durch Erweite-rung der peripheren Gefäße (gerötetes Gesicht), häufi g mit nachfolgender Un-terkühlungErbrechen, erhöhter Harnfl uss (Polyurie, da Alkohol die Sekretion des antidiureti-schen Hormons ADH hemmt).

Die Behandlung alkoholvergift eter Patien-ten läuft folgendermaßen ab:

Bei bewusstlosen Patienten Notruf und evtl. kardiopulmonale Reanimation. Er-brechen ist häufi g, deshalb nicht reani-mationsbedürft ige Patienten in stabiler Seitenlage lagernIm Krankenhaus Stabilisierung der Vi-talfunktionen sowie Infusionstherapie mit einer glukosehaltigen Kochsalzlö-sung wegen der häufi gen Hypo glyk-ämien (  23.6.5)Bei Übererregung oder aggressivem Ver-halten evtl. Haloperidol i. v. (z. B. in Hal-dol ).

Abgesehen von der sehr unterschiedlichen Alkoholtoleranz der Patienten (das klini-sche Stadium kann über den tatsächlichen Vergift ungsgrad des Organismus täuschen) bestehen bei Alkoholkranken oft gleichzei-tig weitere Ursachen für ein Koma – v. a. Hy-poglykämien (   23.6.5), Mischintoxikatio-nen (z. B. mit Tabletten oder injizierten Opio iden) und traumatisch bedingte Hirn-blutungen. Entsprechend müssen die obigen Behandlungsstrategien modifi ziert werden.

Besteht nicht nur eine akute Alkoholver-gift ung, sondern zugleich eine Alkoholab-hängigkeit, entwickeln sich innerhalb von Stunden die Symptome des Alkoholent-zugsdelir (  35.8.3).

15.7.3 Benzodiazepin -vergif tungBenzodiazepine wie Diazep-ct und Adum-bran gehören zu den meistverordneten Arzneimitteln in der Allgemeinmedizin und der Psychiatrie. Sie werden nicht selten in Suizidabsicht überdosiert eingenommen.

Der Patient erscheint benommen, seine Muskeln sind schlaff und entspannt, er läuft  – so weit noch möglich – ataktisch (al-so unkoordiniert, schlaksig). Bei starker Überdosierung treten Bewusstlosigkeit, Atemdepression und Blutdruckabfall hinzu.

Aufgrund der langsamen Resorption zählt die Benzodiazepinvergift ung zu den

Intoxikationen, bei denen eine Magenspü-lung, sofern sie überhaupt indiziert ist, auch noch 6 Std. nach Einnahme sinnvoll ist. Als Gegengift steht der Benzodiazepinantago-nist Flumazenil (Anexate ) zur Verfügung, der i. v. gegeben wird.

Die weiteren Maßnahmen bei Benzodia-zepinvergift ung richten sich nach dem Zu-stand des Patienten.

15.7.4 Vergiftungen bei KindernVon Vergift ungen sind meist Kinder zwi-schen sechs Monaten und drei Jahren be-troff en („Unvernünft ige auf Entdeckungs-reise“).

Die am häufi gsten eingenommenen Sub-stanzen sind Haushaltschemikalien (z. B. Spülmittel) und Arzneimittel (z. B. Schmerz-mittel). Besonders schwere Vergift ungen entstehen bei Einnahme eisenhaltiger Prä-parate, z. B. Multivitaminpräparate mit Ei-senzusatz.

Bei Verdacht auf Verätzungen von Mund  und Speiseröhre sollte das Kind möglichst rasch zur Verdünnung Wasser oder Milch trinken (  15.8).

Die Erstmaßnahmen bei kindlichen Vergif-tungen decken sich mit denen bei Erwach-senen.

15.8 Erste Hilfe bei VerätzungenVerätzungen werden durch Laugen und Säuren hervorgerufen. Sie treten vor allem in Mund, Speiseröhre und Magen sowie an Augen und Haut auf.

Beim Trinken einer ätzenden Substanz kommt es zu heft igen Schmerzen und Spei-chelfl uss. Die Schleimhäute sind durch Be-läge, Verquellungen oder Blutungen verän-dert.

Als Erstmaßnahme werden dem Verun-glückten etwa 200 ml Flüssigkeit, z. B. Lei-tungswasser oder Tee, in kleinen Schlucken zu trinken gegeben (nicht mehr, da sonst die Gefahr des Erbrechens besteht).

VorsichtNiemals den Betroffenen zum Erbrechen bringen! Dies würde die Schädigungen der Schleimhäute, insbesondere der Speise-röhre, nur verschlimmern.

Bei Verätzungen der Haut, z. B. durch Che-mikalien, werden alle benetzten Kleider entfernt. Daraufh in muss der betroff ene Be-reich unter fl ießendem Wasser ausgiebig

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15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege

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gespült werden. Ist kein Wasser vorhanden, wird der Schadstoff abgetupft . Dabei ist da-rauf zu achten, dass die Finger des Helfers den Ätzstoff nicht berühren und die Tupfer möglichst oft gewechselt werden.

15.9 Erste Hilfe bei Verbrennungen und Kälteschäden15.9.1 Verbrennungen

Verbrennung: Zerstörung der Haut (und evtl. der Hautanhangsgebilde) durch thermische oder chemische Einwirkungen oder elektrischen Strom.

Verbrühung: Gewebeschädigung durch heiße Flüssigkeiten (z. B. kochendes Was-ser).

Bei einer Verbrennung wird die Haut durch Hitze- oder chemische Einwirkung oder durch elektrischen Strom geschädigt. Bei Gewebeschädigung durch heiße Flüssig-keiten spricht man auch von Verbrühung.

Entscheidend für Verlauf und für Pro-gnose einer Verbrennung sind u. a. Flächen-ausdehnung, Tiefenausdehnung (Schwere-grad) und Alter des Patienten.

FlächenausdehnungJe größer der verbrannte Hautanteil, desto bedrohlicher die Verbrennung. Sind mehr als 10–15 % der Hautoberfl äche betroff en, so droht ein Volumenmangelschock, da große Mengen an Körperwasser über die geschädigte Haut verloren gehen. Verbren-nungen über 50 % der Körperoberfl äche en-den oft tödlich.

Zur Abschätzung des verbrannten Haut-anteils hat sich die Neuner-Regel bewährt: Beim Erwachsenen lässt sich die Kör-peroberfl äche in elf „Neun-Prozent-Stück-chen“ auft eilen. Bei Kindern  –  und v. a. Säuglingen – mit ihrem relativ großen Kopf gelten modifi zierte Regeln (   Abb.  15.20). Generell gilt auch: die Handfl äche des Pa-tienten entspricht 1 % seiner Körperoberfl ä-che.

TiefenausdehnungJe tiefer der Verbrennungsdefekt reicht, desto größer sind die zu erwartenden Was-serverluste und toxinvermittelten Allge-meinschäden. Man unterscheidet drei Schweregrade .

Verbrennung 1. Grades: Lokale Schwel-lung und Rötung. Die Schädigung ist auf die Oberhaut (Epidermis) beschränkt.

Die Haut schuppt später ab; es bleiben keine NarbenVerbrennung 2. Grades: Zusätzliche Bildung von Brandblasen mit starken Schmerzen. Auch die Lederhaut (Kori-um) ist betroff en. Je nach Tiefenausdeh-nung erfolgt die Abheilung ohne oder mit NarbenbildungVerbrennung 3. Grades: Komplette Zer-störung der Haut mit den Hautanhangs-gebilden – Verkohlung. Eine Selbsthei-lung ist nicht mehr möglich.Die schwere drittgradige Verbrennung kann auch Unterhaut, Knochen, Sehnen und Muskulatur betreff en und heißt dann auch Verbrennung 4. Grades.

Bei der Verbrennung 3. Grades werden die Hautanhangsgebilde (Haare, Schweiß-drüsen) und die Schmerzrezeptoren der Haut zerstört. Je geringer die Schmerzan-gaben bei Verbrennungen, desto schwerer ist möglicherweise die Schädigung.

ErstmaßnahmenKleiderbrände sofort löschen. Hierzu die brennende Person, die aus Panik meist davonläuft , unbedingt aufh altenWenn verfügbar, brennende Person mit Wasser übergießen oder in Wasser ein-tauchen. Steht kein Wasser zur Verfügung, die Flammen mit Tüchern ersticken oder den Brennenden in Wolldecken einhül-len oder auf dem Boden wälzen („stop, drop and roll“). Auch Feuerlöscher kön-nen eingesetzt werden (nicht ins Gesicht spritzen!)

Bei Schmerzen kann das verbrannte Areal zur Schmerzlinderung nach dem Löschen mit lauwarmem Wasser (ca. 20 °C) für ca. 10 Min. gekühlt werden (betroff ene Stellen mit dem Wasser übergießen, Extremitäten hineintau-chen). Länger dauernde Kühlung, etwa bei längerer Anfahrtszeit des Rettungs-dienstes, darf nur bei kleinfl ächigen Ver-brennungen erfolgen. Ansonsten ist das Risiko eines Wärmeverlust zu hoch (Ab-sinken der Körperkerntemperatur ver-schlechtert die Prognose). Aus diesem Grund wird bei Kindern generell nur im Bereich der Extremitäten gekühlt ( [3])Kleider und Schmuck möglichst rasch entfernen, jedoch nur, wenn sie nicht an der Haut kleben bzw. sich leicht abneh-men lassenBrandwunden steril oder zumindest sau-ber abdecken. Ansonsten bleibt die Wunde unbedeckt. Keinesfalls Salben, Puder oder Sprays verwenden! Auch in die Haut eingebrannte Materialien, z. B. Teer, nicht entfernen; Brandblasen nicht öff nenSchock und Schmerzen bekämpfen, evtl. Reanimation (  15.4) beginnen.

Oft sieht die Verbrennung zunächst un-dramatisch aus: Blasen bilden sich erst nach einer gewissen Zeit, Gewebedefekte sind anfänglich schwer einzuschätzen, z. T. sind Verbrennungen auch unter Klei-dern verborgen.

Verbrennungen >  10 % der Körperober-fläche (bei Kindern > 5 %) müssen im Kran-kenhaus behandelt werden. Verbrennun-gen 2. Grades > 20 % bzw. Verbrennungen

Erwachsener Kind Säugling

Abb. 15.20 Figurensche-ma zur Neuner-Regel und zur Abschätzung der ver-brannten Körperoberfl ä-che bei Kindern und Säug-lingen. Faustregel: Der Handteller des Verletzten entspricht etwa 1 % seiner Körperoberfl äche. [A300]

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15.9 Erste Hilfe bei Verbrennungen und Kälteschäden

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3. Grades > 10 % der Körperoberfläche (bei Kindern oder alten Menschen Verbrennun-gen 2. und 3. Grades > 10 %), Verbrennun-gen im Gesicht, an Händen, Füßen und im Genitalbereich sowie Inhalationstraumata sollten in spezialisierten Verbrennungs-zentren behandelt werden.

Vorsicht bei InhalationsschädenInsbesondere bei Explosionen oder Brand in geschlossenen Räumen sowie bei Brandmarkierungen im Gesicht an eine Lungenbeteiligung denken (Schleimhaut-schwellung, Lungenödem). Die Schädi-gung des Respirationstrakts äußert sich durch Heiserkeit, Husten, Ruß im Sputum und Atemnot. Der Inhalationsschaden kann bis zum Lungenversagen führen. Bei Inhalationstrauma ist oft die sofortige In-tubation nötig.

Weitere Behandlung und Verbrennungskrankheit

Verbrennungskrankheit: Bei Ver-brennungen ab etwa 15 % der Körperober-fläche Schädigung des Gesamtorganis-mus durch Eiweißzerfallsprodukte, Flüs-sigkeits- und Salzverluste mit den lebens-bedrohlichen Komplikationen: • Schock (  15.6) • Organversagen (v. a. der Nieren und

Lunge) durch Überschwemmung des Körpers mit toxischen Substanzen aus dem zerstörten Gewebe

• Infektionen.

Die Verbrennungskrankheit wird in drei Phasen mit jeweils typischen Komplikatio-nen eingeteilt:

In der Akutphase (Frühphase, die ersten 48 Std.) dominieren Flüssigkeits-, Elek-trolyt-, Eiweiß- und Wärmeverluste über die ausgedehnten Wundfl ächen. Da-durch ist die Gefahr eines Schocks und Organversagens erhöhtWährend der Intermediärphase kommt es gehäuft zu Infektionen durch bakteri-elle Besiedelung der Wunden und zu ge-steigerter Stoff wechselaktivität durch die einsetzende WundheilungIn der Rehabilitationsphase ist die aku-te Lebensbedrohung abgewendet, und die optische und funktionelle Wieder-herstellung der Haut sowie die Mobilisa-tion des Patienten stehen im Vorder-grund.

WundbehandlungKonservative Wundbehandlung. Die Brand-wunde wird anfangs konservativ mit folgen-den Zielen behandelt:

Primäre Wundheilung bei Verbrennun-gen 1. und 2. GradesSaubere (sterile) Wundverhältnisse für die spätere chirurgische Wundbehand-lung bei Verbrennungen ab 3. Grad.

Der schwerbrandverletzte Patient wird 2- bis 3-mal pro Woche in sterilem, körper-warmem Wasser gebadet, in der Regel in Allgemeinanästhesie. Anschließend erfolgt die geschlossene oder off ene Wundversor-gung.

Chirurgische Wundbehandlung. Bei Verbrennungen 3. Grades ist eine Erneue-rung der Haut nicht mehr möglich, da alle regenerationsfähigen Hautzellen zerstört sind. Die Wunde muss deshalb durch Haut-transplantation abgedeckt werden. Zuvor werden Nekrosen chirurgisch abgetragen

(Nekrosektomie). Spalthaut wird mithilfe eines Elektroder-

matoms (chirurgisches Schneidegerät zur Ge-winnung von Hautlappen) von nicht ver-brannten Hautbezirken des Patienten ent-nommen. Sie eignet sich für die Transplan-tation kleiner, tiefer Verbrennungen. Ist nicht genügend Spalthaut für alle Wunden vorhanden, so wird aus kosmetischen Grün-den zumindest im Gesicht Spalthaut trans-plantiert.

Zur Abdeckung großfl ächiger Wunden wird aus Spalthaut Meshgraft (engl.: Ma-schentransplantat) hergestellt (   Abb. 15.21). Hierbei wird der Spalthautlappen durch eine Messerwalze gitterförmig ge-schlitzt. Dieses Maschengitter lässt sich bis auf die dreifache Größe dehnen. Der kosme-tische Erfolg ist jedoch nicht so gut wie bei der Spalthauttransplantation.

Die Zellkulturepidermis (in Kulturen ge-züchtete Hautzellen) stellt eine weitere Möglichkeit dar, die Fläche der gewonne-nen Haut zu vergrößern. Hierzu werden Ke-ratinozyten (hornhautbildende Zellen) aus der nicht verbrannten Haut des Patienten

entnommen und in eine spezielle Nährlö-sung gelegt. Nach drei Wochen steht eine tausendfach größere Hautfl äche als die ur-sprünglich entnommene zur Transplantati-on zur Verfügung.

Nach der Transplantation wird die Ent-nahmestelle mit Fettgaze abgedeckt und hochgelagert, um einer Ödembildung vor-zubeugen. Um eine Verschiebung des Transplantats zu vermeiden, darf die be-troff ene Körperregion bis zum ersten Ver-bandswechsel nach 3–5 Tagen nicht bewegt werden.

KontrakturprophylaxeWährend der Narbenbildung schrumpft die Haut, und es kommt zur Bewegungsein-schränkung der Gelenke, Sehnen und Mus-keln. Schon zu Beginn der Behandlung muss sich der Patient mehrmals täglich ak-tiv bewegen bzw. passiv bewegt werden. Be-wegungstherapie im Bad, selbstständige Übungen durch den Patienten und Früh-mobilisation schließen sich an. Bei erhöhter Kontrakturgefahr werden Schienen ange-fertigt, die die Gelenke in physiologischer Stellung halten.

Hypertrophe NarbenbildungBei großfl ächigen Verbrennungen kommt es  oft zur hypertrophen Narbenbildung (überschießendes Narbenwachstum). Durch Zug an dem darunterliegenden Gewebe sind Gelenke in ihrer Beweglichkeit stark einge-schränkt. Dies soll durch Kompressionsban-dagen verhindert werden, die sowohl für einzelne Körperteile wie auch als Ganzkör-peranzug angefertigt werden. Sie sitzen wie eine zweite Haut, damit das Narbengewebe keine Möglichkeit hat sich auszudehnen. Diese Bandagen oder den Anzug muss der Patient 1–2 Jahre lang 23 Std. täglich tragen und darf sie nur zur Körperpfl ege abneh-men.

a b

Abb. 15.21 Spalthauttransplantat. [F453]

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15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege

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Plastische Chirurgie6–12 Monate nach dem Verbrennungsun-fall kann ein chirurgischer Eingriff zur funktionellen oder kosmetischen Korrektur vorgenommen werden.

Psychische Situation schwerbrandver-letzter PatientenDer schwerbrandverletzte Patient ist extre-men psychischen Belastungen ausge-setzt. Bei Einweisung ins Krankenhaus steht er meist noch unter dem Einfluss des Unfallschocks. Nach der Akutphase bis zum Einsetzen der Heilung (z. B. nach Transplantation) stehen die Angst ums Überleben und die Schmerzen im Vorder-grund. Im weiteren Verlauf wird sich der Patient der körperlichen Folgen bewusst, und die Angst vor dauernder Entstellung durch Narbenbildung, Verlust von Freun-den und sozialen Kontakten wächst. Hinzu kommen oft Sorgen um den Arbeitsplatz. In dieser extremen Belastungssituation liegt der Patient je nach Art der Wundbe-handlung in einem Isolierzimmer, in dem er wenig Ansprache und Kontakt hat. Des-halb ist die psychische Unterstützung durch Pflegende und Ärzte sowie die Hilfe von speziell geschulten Psychologen für Patient und Angehörige unverzichtbarer Bestandteil der Therapie.

15.9.2 Kälteschäden

Erfrierung: Lokale, meist auf die Haut beschränkte Kälteschädigung ohne Absin-ken der Körperkerntemperatur.Unterkühlung (Hypothermie): Sinken der Körperkerntemperatur unter 35 °C. Akute Lebensgefahr bei Körpertemperaturen un-ter 30 °C.

ErfrierungErfrierungen treten besonders an den Ak-ren (Zehen, Finger, Ohrläppchen, Nasen-spitze) auf.

Ähnlich wie bei Verbrennungen ist der Heilungsverlauf von der Tiefenausdehnung abhängig. Man unterscheidet drei Schwere-grade. Wie bei der Verbrennung sind die Grade 1 und 2 auf Epidermis und Korium beschränkt und heilen zumeist folgenlos ab.

Erfrierung 1. Grades: Verfärbung. Zu-nächst ist die Haut durch den kältebe-dingten Gefäßkrampf weiß, kalt und ge-fühllos. Später färbt sie sich blaurot und wird äußerst schmerzhaft Erfrierung 2. Grades: Blasenbildung und schwere Schwellungen (Frostbeu-len). Die Schmerzempfi ndlichkeit ist er-halten

Erfrierung 3. Grades: Nekrose. Die ge-samte Haut und evtl. tiefere Weichteil-schichten sind durch die kältebedingte Minderdurchblutung zerstört und ver-färben sich schwarzblau.

ErstmaßnahmenDer betroff ene Körperteil wird langsam er-wärmt, z. B. im Wasserbad. Liegt eine schwere Erfrierung einer Extremität mit Unterkühlung vor, sollte keine Wärmeap-plikation erfolgen, da hierdurch der Sauer-stoffb edarf des geschädigten Gewebes rasch ansteigen würde – die wegen der Kälte ein-geschränkte Durchblutung wäre nicht in der Lage, den benötigten Sauerstoff „anzu-liefern“. In diesem Fall wird der gesamte Körper langsam erwärmt (Erwärmung von „innen nach außen“).

Die Hautschäden werden, ähnlich wie bei Verbrennungen, steril abgedeckt.

Bei allen Erfrierungen muss an eine gleichzeitig vorliegende Unterkühlung ge-dacht werden. Diese ist vorrangig zu be-handeln.

UnterkühlungDie Unterkühlung (Hypothermie) betrifft größere Körperregionen oder den gesamten Organismus.

Bei Überforderung der körpereigenen Gegenmaßnahmen (Muskelzittern, Eng-stellung der Hautgefäße) sinkt die Körper-kerntemperatur (also die „Betriebstempera-tur“ der wichtigsten Organe) mit gefährli-chen Folgen:

Verlangsamung des Stoff wechsels mit Schläfrigkeit und Bewusstseinsverände-rungLangsamerwerden des Herzschlags (Bra-dykardie)Nachlassen der Schmerzempfi ndungBei Frühgeborenen evtl. Hirnblutun-gen.

Bei etwa 27 °C sind die sichtbaren Lebens-äußerungen so stark eingeschränkt, dass man vom Scheintod (Vita minima mit Ko-ma, extrem langsamem Puls) spricht. Bei weiterem Sinken der Körpertemperatur tritt Kammerfl immern und später ein Herz-stillstand auf (Stadien der Unterkühlung

 Tab. 15.4).Unterkühlung tritt gehäuft auf:

Bei Bewusstlosen (keine angemessene Wärmeproduktion)Im Wasser (Wasser leitet Kälte 20-mal besser als Luft )Bei Wind (rasche Wärmeverluste über die Haut)

Unter Alkohol- und Arzneimittelwir-kung (Hypnotika, Tranquilizer) – insbe-sondere Alkohol führt durch Weitstel-lung der Hautgefäße zu raschen Wärme-verlustenBei alten Menschen (eingeschränkte Wärmeproduktion)Bei kleinen Kindern (relativ große Kör-peroberfl äche mit raschen Wärmeverlus-ten)Bei behinderten Menschen im Rollstuhl.

ErstmaßnahmenBei Kreislaufstillstand kardiopulmonale Reanimation durchführen. Da der Herz-schlag extrem verlangsamt sein kann, Puls bei der Erstuntersuchung ≥ 30 Sek. messenWeitere Kälteverluste verhindern. Nasse Kleider entfernen sowie den Unterkühl-ten gut bedeckt und windgeschützt (!) la-gern. Falls verfügbar, den Betroff enen in einen warmen Raum bringen. Warmen Tee nur bei voll erhaltenem Bewusstsein anbieten (keinen Alkohol!)Nur bei leichter Unterkühlung (Kern-temperatur > 30 °C) und erhaltener Herz-Kreislauf-Aktion äußere Erwär-mungsmaßnahmen ergreifen, z. B. durch Wärmepackungen in Achselhöhlen, am Hals oder in der Leistengegend. Bei allen schwer Unterkühlten drohen bei der ak-tiven Wiedererwärmung ernste Kompli-

TBL

Stadium Körpertem-peratur

Symptome

Mild 35–32 °C Patient zunächst bewusstseinsklar, Muskelzittern, Schmerzen, RR und Puls erhöht, Haut blass und kalt. Nach einiger Zeit zunehmende Apathie

Mäßig 31–28 °C Schläfrigkeit, Re-flexe abge-schwächt, kein Muskelzittern mehr, keine Schmerzen, RR und Puls ernied-rigt

Schwer < 28 °C Koma (Scheintod), Puls nicht tastbar, minimale Atmung, keine Reflexe, evtl. Herz-Kreis-lauf-Stillstand, Pupillen erweitert und starr

Tab. 15.4 Stadien der Unterkühlung.

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15.11 Erste Hilfe bei Ertrinken

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kationen, z. B. Herzkammerfl immern und Schock. Den Unterkühlten in die-sem Fall möglichst schonend transpor-tieren und nur unter ärztlicher Aufsicht aufwärmen! Frühzeitig den Rettungs-dienst aktivieren!

Vorsicht, • Im Zweifel Erfrierungsopfer immer re-

animieren, es sei denn, es liegt eine andere, zweifelsfreie Todesursache vor („keiner ist tot, bis er nicht warm und tot ist“): Lebenszeichen oder umge-kehrt den Tod festzustellen kann bei Hypothermie sehr schwierig sein, zu-dem ist die Überlebenszeit der Gewebe erheblich verlängert

• Niemals die Extremitäten isoliert er-wärmen (drohendes „Versacken“ des Blutes mit nachfolgendem Volumen-mangelschock  15.6.2)

• Niemals Autotransfusionslagerung oder größere Lageänderung am Unter-kühlten vornehmen (Gefahr des Kam-merflimmerns durch Rückfluss von kal-tem Schalenblut zum Herzen).

15.10 Erste Hilfe bei StromunfällenZu Stromverletzungen kann es kommen, wenn Strom durch den menschlichen Kör-per fl ießt. Als Sonderform des Stromun-falls kann der Blitzschlag aufgefasst wer-den.Das Maß der Schädigung hängt ab von:

Stromart. Wechselstrom ist gefährlicher als GleichstromSpannungsebene. Hochspannung (Spannung > 1.000 Volt) ist gefährlicher als Niederspannung (< 1.000 Volt)StromstärkeEinwirkzeitHautwiderstand. Feuchte Haut leitet Strom besserStromweg. Stromfl uss von Hand zu Hand ist gefährlicher als Stromfl uss von Hand zu Fuß.

Der Strom führt entweder zur direkten elektrischen Schädigung (Störungen der Reizleitung im Körper, häufi g bei Nieder-spannung) oder durch Umwandlung der Stromenergie in Hitze zur thermischen Schädigung (Verbrennung). Folgen sind:

Muskelverkrampfungen, solange die Stromeinwirkung besteht (insbesondere bei Wechselstrom). Hierdurch ist das Opfer oft nicht in der Lage, die Strom-quelle loszulassen, sodass es zur verlän-

gerten Stromeinwirkung kommt. Plötzli-che Muskelverkrampfungen können so stark sein, dass Muskelrisse oder Kno-chenbrüche – auch Wirbelsäulenverlet-zungen – entstehenHerzrhythmusstörungen bis zum Herz-stillstand

Hämodynamisch relevante Herzrhyth-musstörungen sind noch nach Tagen mög-lich, ein eventuelles Kammerflimmern kann nur durch möglichst frühe Defibrilla-tion behandelt werden. Deshalb muss jeder Stromunfallpatient stationär vorgestellt werden. In der Regel werden die Patienten auch bei unauffälli-gen Befunden mindestens 24 Std. per Mo-nitor überwacht.

Verbrennungen: Insbesondere an den Ein- und Austrittsstellen des Stroms kommt es zur Hitzeentwicklung mit ent-sprechenden StrommarkenEvtl. zentralnervöse Schädigungen wie Verwirrung, gestörte Atemregulation, Koma oder Atemstillstand. Auch ein akutes Nierenversagen oder Schwellun-gen der Schleimhäute (einschließlich der Atemwege) können auft reten.

ErstmaßnahmenDurch Kontakt zum Verletzten kann der Helfer in den Stromkreis geraten. Bei Unfäl-len mit elektrischem Strom hat die Eigen-sicherung deshalb höchste Priorität.

Bei Haushaltsunfällen zuerst Stromzu-fuhr durch Herausziehen des Netzste-ckers oder Ausschalten der Sicherung unterbrechen und vor erneutem Zu-schalten sichernBei Hochspannungsunfällen (z. B. an Hochspannungsleitungen) grundsätzlich sofort den Notarzt verständigen und z. B. durch Anruf beim örtlichen Stromwerk dafür sorgen, dass der Strom schnellst-möglich abgeschaltet wird. Weitere Hilfe kann erst nach dem Eintreff en von Fach-personal erfolgen (Feuerwehr hat Fach-personal!)Den Verunglückten in Ruhelage bringen und, wenn erforderlich, mit der Wieder-belebung beginnen. Wegen des häufi gen Kammerfl immerns hat die Defi brillation hohe Priorität!Möglicherweise vorhandene Strommar-ken wie Verbrennungswunden keimfrei bedecken.

15.11 Erste Hilfe bei ErtrinkenBeim Ertrinken füllt sich die Lunge durch refl ektorische Atembewegungen rasch mit Wasser, das die lebensnotwendige Atemluft verdrängt. Selten verhindert ein Krampf der Kehlkopfmuskulatur (Laryngospasmus ) das Eindringen von Wasser.

Ursachen sind fehlende Schwimmkennt-nisse, Erschöpfung, Unterkühlung, aber auch Intoxikationen (oft Alkohol), Trauma (Sprung ins fl ache Wasser), seltener epilep-tische Anfälle oder Herzinfarkt.

Der Ertrunkene ist in der Regel bewusst-los und zyanotisch. Meist besteht ein Atem-stillstand, selten noch eine Schnappatmung (   13.2.4.5). Anfänglich ist evtl. noch ein schneller Herzschlag vorhanden, der bei längerem Untertauchen langsamer wird und schwindet (zunächst Kammerfl im-mern, später Asystolie). Durch den Sauer-stoff mangel kommt es nicht selten zu Krampfanfällen. Erbrechen ist wegen der großen verschluckten Wassermengen häu-fi g. Typisch ist weißlicher bis blutiger Schaum vor Mund und Nase.

ErstmaßnahmenOpfer aus dem Wasser retten. Das Opfer sollte bei der Rettung stets horizontal lie-gen, um eine weitere Einschränkung der Hirndurchblutung zu verhindernBei allen Ertrinkungsunfällen und Tauchverletzungen an evtl. Wirbelsäu-lenverletzung denkenSo rasch wie möglich Mund-zu-Nase- oder Mund-zu-Mund-Beatmung durch-führen. Abweichend vom üblichen Vor-gehen wird bei der Reanimation mit fünf Atemspenden begonnen, da die Verbes-serung der Sauerstoff versorgung höchste Priorität hatKeinesfalls versuchen, „das Wasser aus der Lunge zu entfernen“, etwa indem das Opfer mit dem Kopf nach unten „ausgeschüttelt“ wird. Das in der Lunge verbliebene Wasser wird ohne weitere Maßnahmen rasch in den Körper aufge-nommenHeimlich-Handgriff (  Abb. 15.22) nur anwenden, wenn eine Fremdkörperob-struktion der Atemwege vermutet wirdBei Pulslosigkeit kardiopulmonale Re-animation durchführen (  15.4).

Meist besteht bei Ertrunkenen gleich-zeitig eine Unterkühlung. Sie sind deshalb wie Unterkühlungsopfer zu versorgen (  15.9.2).

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15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege

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15.12 Erste Hilfe bei epileptischen Anfällen

NotfallZeichen des epileptischen (hirnbeding-ten, zerebralen) Anfalls: • Plötzliches Hinfallen • Zuckende Bewegungen oder Verkramp-

fungen (tonisch-klonische Krämpfe) • Bewusstlosigkeit.

ErstmaßnahmenZiel der Erstmaßnahmen ist das Vermei-den von Verletzungen während des Anfalls. Dazu werden Hindernisse wie z. B. Stühle weggeräumt. Muss der Krampfende unbe-dingt transportiert werden (etwa von einer Treppe weg), so wird der Kopf von hinten gehalten und geführt. Krampfende Arme und Beine dürfen wegen der Verletzungs- und Frakturgefahr nicht festgehalten wer-den.

Die Injektion bzw. rektale Gabe krampf-lösender Arzneimittel (z. B. Diazepam ) ist bei einem einzelnen Krampfanfall um-stritten, bei Krampfserien oder langem, ununterbrochenem Krampfen (Status epi-lepticus) aber zwingend erforderlich (  34.8.2). Ist der Patient nach dem Anfall weiterhin bewusstlos, wird er (bei vorhan-dener Atmung) in die stabile Seitenlage gebracht.

15.13 Erste Hilfe bei VerschluckenVerschluckte Fremdkörper gelangen ent-weder in die Speiseröhre oder in die Atem-wege. Man spricht in letzterem Fall von Luft wegsobstruktion durch Fremdkörper oder Bolusgeschehen (  13.6.5.7).

Die betroff ene Person greift sich mit der Hand an den Hals und kann nicht mehr sprechen. Außerdem tritt oft ein starker Hustenreiz zusammen mit einem pfeifen-den Atemgeräusch auf.

Der Fremdkörper in der Speiseröhre löst Schluckbeschwerden und Schmerzen ausDer in die Luft röhre aspirierte Fremd-körper verursacht krampfh aft e Atemver-suche und bei mangelhaft er Lungenbe-lüft ung eine periphere Zyanose (blau-graue Verfärbung der Haut  18.2.4).

Erstmaßnahmen bei Luftwegsobstruktion durch FremdkörperIst der Betroff ene bei Bewusstsein, so wird er als Erstes aufgefordert, kräft ig zu husten.

Bringt dies keinen Erfolg, so werden zu-nächst Rückenschläge versucht. Dazu stellt sich der Helfer neben und leicht hinter den Patienten und beugt dessen Oberkörper nach unten. Während der Helfer die Brust des Patienten mit einer Hand von vorne un-terstützt, gibt er mit dem Handballen der anderen Hand bis zu fünf energische Schlä-ge zwischen die Schulterblätter. Dies soll Hustenstöße auslösen.

Bleibt der Erfolg aus, so kann der Heim-lich-Handgriff durchgeführt werden (   Abb.  15.22). Dieser ist allerdings nicht ungefährlich, da es dabei zu inneren Verlet-zungen sowie zur Verlagerung eines vorher nur teilweise blockierenden Fremdkörpers mit vollständiger Atemwegverlegung kom-men kann. Deshalb darf der Heimlich-Handgriff nie leichtfertig angewendet wer-den und muss der Patient danach unter ärztlicher Beobachtung bleiben. Ist der Heimlich-Handgriff auch nach 5-maligem Versuch erfolglos, so setzt der Helfer erneut Schläge zwischen die Schulterblätter ein.

Ist oder wird das Opfer bewusstlos, geht der Helfer folgendermaßen vor:

Notruf tätigenKardiopulmonale Reanimation beginnenBeim Freimachen der Atemwege Mund des Patienten öff nen (  15.4.2) und Mundhöhle inspizieren

– Sichtbare Fremdkörper mit dem gebo-genen Zeigefi nger entfernen

– Bei nicht sichtbarem Fremdkörper kein „blindes“ Entfernen versuchen

Bei Verfügbarkeit entsprechender Geräte z. B. Absaugen des Fremdkörpers versu-chen.

Erstmaßnahmen bei Insektenstich in Mund und RachenEin Insektenstich in Mund bzw. Rachen kann wie eine Fremdkörperaspiration zu einer Verlegung der oberen Luft wege mit denselben Symptomen führen.

Der Ersthelfer lässt den Betroff enen stän-dig Eis lutschen, legt kalte Umschläge um den Hals und alarmiert den Rettungsdienst (Notruf 112,   15.3.3). Bei Atemstillstand erfolgt die Atemspende.

Luftwegsobstruktion durch Fremdkörper bei Kindern Wegen ihrer „unvernünft igen“ Erforschung der Umwelt mit dem Mund kommt es gera-de bei jüngeren Kindern leicht zur Verle-gung der Atemwege durch „verschluckte“ Gegenstände. Betroff en sind fast immer Kinder unter fünf Jahren, zumeist Säuglin-ge und Kleinkinder. Am häufi gsten werden Nahrungsmittel (Bonbons, Nüsse, Trau-ben), Spielsachen (besonders gefürchtet: Luft ballons) oder andere kleine Gegenstän-de (z. B. Münzen) aspiriert.

Eine Verlegung der Atemwege äußert sich durch plötzliche Atemnot mit Husten, Würgen oder Pfeift önen (Stridor, Giemen).

Erstmaßnahmen bei KindernBei Kindern über ein Jahr gelten dieselben Regeln wie bei Erwachsen – auch hier soll-ten keine Versuche des blinden „Herausfi n-gerns“ unternommen werden, da der Fremdkörper auf diese Weise noch tiefer in die Atemwege gedrückt werden könnte. Ist das Kind noch bei Bewusstsein, sollte es die Position einnehmen dürfen, die ihm am be-quemsten ist.

Solange das Kind noch eff ektiv hustet und Luft bekommt, sollten keinerlei spezifi -sche Maßnahmen erfolgen (kein Entfernen des Fremdkörpers versuchen!). Das Kind wird schnellstmöglich, möglichst von Fach-personal, in die Klinik gebracht. Es sollte bequem und möglichst angstfrei gelagert sein, z. B. in den Armen der Mutter.

Sind die Atemwege dagegen stark verlegt (schwere Atemnot, schwaches Schreien, in-eff ektives Husten, graue Hautfarbe), wer-den folgende Schritte unternommen:

Bis zu fünf Rückenschläge zwischen die Schulterblätter geben (  Abb. 15.23). Beim Kind kann dazu wie beim Erwach-senen vorgegangen werden. Kleinere Kinder und Säuglinge werden am besten in Bauchlage über den Schoß des Helfers gelegt. Wichtig ist, dass der Kopf nach unten gelagert ist. Beim Säugling wird

Abb. 15.22 Heimlich-Handgriff am stehenden Patienten: Der Helfer schlingt von hinten die Arme um die Taille des Patienten. Er platziert seine Faust im epigastrischen Winkel des Be-troff enen und umfasst sie mit der anderen Hand. Dann drückt er die Faust mit Unterstüt-zung der anderen Hand kräftig, notfalls bis zu fünfmal, in die Bauchdecke in Richtung Zwerchfell. [L138]

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15.15 Massenanfall von Verletzten, Erkrankten und Beteiligten (MANV)

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dabei der Kopf immer festgehalten (etwa am Kiefer)Lösen die Rückenschläge den Fremdkör-per nicht, so wird auch bei Kindern der Heimlich-Handgriff durchgeführt. Der Helfer kniet dazu eventuell hinter dem Kind. Bei Säuglingen dagegen wird das Vorgehen wegen der häufi geren Verlet-zungen nicht angewendet. Dafür werden feste Th oraxkompressionen vorgenom-men. Der Säugling wird dazu auf den Rücken gedreht. Der Handballen wird wie bei regulären Th oraxkompressionen aufgesetzt, allerdings sind die Stöße här-ter und werden in größerem Abstand ge-geben (  Abb. 15.23)Löst sich der Fremdkörper noch immer nicht, wird wieder mit Rückenschlägen begonnen und die Sequenz wiederholt, bis sich der Fremdkörper löst.

Wird das Kind ohnmächtig, so wird wie folgt vorgegangen:

Mund öff nen und nach Fremdkörper se-henSichtbare Fremdkörper mit dem Finger entfernenAtemwege frei machen (Kinn anheben, Nacken etwas überstrecken)Fünfmal beatmen (  15.4.2). Erfolg kon-trollieren (Brustkorbhebung? Husten, Bewegungen?)Bei mangelndem Erfolg mit Th oraxkom-pressionen beginnen (ohne vorherige Pulskontrolle)Nach einer Minute kardiopulmonaler Reanimation Notruf aktivieren (falls noch nicht geschehen).

15.14 Erste Hilfe bei Nadelstichverletzungen Nadelstichverletzungen sind in Arztpra-xen und Krankenhäusern häufi g: Im deut-schen Gesundheitswesen kamen vor Ein-führung sicherer Instrumente (   16.5.1) jährlich schätzungsweise 500.000 Nadel-stichverletzungen vor, nur etwa 10 % davon

wurden gemeldet. Die dabei entstehenden kleineren Wunden sind harmlos – die Ge-fahr besteht darin, dass über bereits ge-brauchte Instrumente Infektionen übertra-gen werden, insbesondere eine Hepatitis B, C oder eine HIV-Infektion. Die Serokonver-sionsrate (also der Anteil derer, bei denen danach erstmalig spezifi sche Antikörper nachweisbar sind) nach Nadelstichverlet-zung liegt für Hepatitis B bei schätzungs-weise 30 %, für Hepatitis C bei ungefähr 3 % und für HIV wohl unter 0,3 %. Das Risiko wird durch weitere Einfl üsse modifi ziert, es ist z. B. wesentlich höher bei tiefen Verlet-zungen oder Stich mit einer Kanüle, die un-mittelbar zuvor mit dem Blut des Patienten in Kontakt war.

In einer großen deutschen Universitäts-klinik wurden in 18 Monaten 519 Nadel-stichverletzungen gemeldet. 20,5 % der 449 untersuchten Index-Patienten („Spender-Patienten“) hatten mindestens eine durch Blut übertragene Infektion. Auch wenn die-se Zahlen nicht unbedingt repräsentativ sind – die Gefahr bei Nadelstichverletzun-gen ist real und darf nicht unterschätzt wer-den (  [4]).

NotfallNadelstichverletzungen und Sekretsprit-zer auf Schleimhäute sind Notfälle! Die Erstmaßnahmen sind nicht durch die Ver-letzung, sondern durch das Infektionsrisi-ko bedingt. • Bei Nadelstich-/Instrumentenverlet-

zung: Verletzte Stelle mindestens eine Minute durch Druck auf das umliegen-de Gewebe (nicht die verletzte Stelle selbst!) ausbluten lassen, Wunde dann intensiv mit einem Antiseptikum spü-len. Nadel/Instrument falls möglich si-cherstellen

• Bei Verspritzen (fraglich) kontaminier-ten Materials auf verletzte Haut: Mit Antiseptikum gründlich abspülen

• Bei Verspritzen (fraglich) kontaminier-ten Materials in Augen oder Mundhöh-le: mit reichlich Wasser über mehrere Minuten spülen

• Unverzüglich Durchgangsarzt aufsu-chen. Dieser leitet folgende Maßnah-men ein. – Das Blut des Betroffenen sowie des

Index-Patienten (falls bekannt) wird auf das Vorliegen einer HIV-, Hepati-tis-B- und -C-Infektion untersucht

– Ggf. erfolgt beim Verletzten eine ak-tive und passive Immunisierung ge-gen Hepatits B (  22.4.1), antivirale Therapie mit Interferon und Ribavi-rin gegen Hepatits C (  22.4.1) und/oder medikamentöse Post expo si-tions prophylaxe gegen HIV (  28.1.3)

– Weitere Blutentnahmen beim Betrof-fenen bis 6 Monate nach der Verlet-zung sind zur Verlaufskontrolle er-forderlich.

Kanülenverletzungen verhindernEntscheidend ist die Vorbeugung:

• Falls technisch möglich, sichere Instru-mente verwenden und, falls erforder-lich, unmittelbar nach Benutzung Si-cherungsmechanismus betätigen

• Falls die Verwendung sicherer Instru-mente nicht möglich ist (Mehrfachver-wendung am gleichen Patienten), un-mittelbar nach Gebrauch einhändiges sicheres Recapping gemäß Hersteller-angaben durchführen

• „Herkömmliche“ spitze oder scharfe Instrumente (Verwendung nur erlaubt, wenn obige Möglichkeiten technisch nicht realisierbar) niemals liegen las-sen, sondern sofort ohne Verpackung in den dafür vorgesehenen Entsor-gungsbehälter werfen

• Wegwerfbehälter regelmäßig leeren, wegen Gefahr durch herausstehende Spitzen nicht „nachdrücken“ ( [5],

 [9]).

15.15 Massenanfall von Verletzten, Erkrankten und Beteiligten (MANV)

Massenanfall von Verletzten, Erkrank-ten und Beteiligten (MANV, nach DIN 13050: 2009–02): Notfall mit einer größe-ren Anzahl von Verletzten oder Erkrankten sowie anderen Geschädigten oder Betrof-fenen, der mit der vorhandenen und ein-setzbaren Vorhaltung des Rettungsdiens-tes aus dem Rettungsdienstbereich nicht bewältigt werden kann. Unterteilt in vier Versorgungsstufen mit zunehmender Zahl von Betroffenen und steigendem Bedarf an Einsatzmitteln.Katastrophe (nach Katastrophenschutz-gesetz, KatSG) : Großschadensereignis mit einer Gefahr für das Leben oder die Ge-sundheit vieler Menschen, für die Um-

Abb. 15.23 Links Rückenschläge, rechts Brustkompressionen beim Säugling mit Atemwegs-obstruktion [L138]

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15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege

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welt oder sonstige bedeutsame Rechtsgü-ter, das durch die örtlichen Behörden (und Rettungsdienste) nicht alleine bewältigt werden kann.

Zu jeder Zeit und an jedem Ort kann ein Großschadensereignis eintreten. Zu seiner Bewältigung ist eine andere Strategie nötig als bei der alltäglichen Individualmedizin oder der Pfl ege und Versorgung von Patien-ten oder Heimbewohnern. Ziel ist es, bei Vorliegen einer großen Zahl von Notfallpa-tienten Leben zu retten und physische und psychische Folgeschäden auszuschließen oder zu minimieren („für möglichst viele Patienten das Beste tun“).

Nach dem Krankenpfl egegesetz von 2004 sollen Pfl egende auch bei Maßnahmen im Krisen- und Katastrophenfall mitwirken. Dazu sollen sie Feuerschutz- und Evakuie-rungsmaßnahmen, Verhalten im Katastro-phenfall, Kriseninterventionspläne, Not-standsgesetze, nationale und internationale Hilfsorganisationen kennen und natürlich sicher bei medizinischen Maßnahmen und der Ersten Hilfe sein.

Die Arbeitsgruppe MANV der Hilfsor-ganisationen im Bundesamt für Bevölke-rungsschutz und Katastrophenhilfe hat ein Konzept zur überörtlichen Hilfe bei MANV OLE_LINK2:STARTOLE_LINK1:START( [6OLE_LINK2:ENDOLE_LINK1:END]) erarbeitet, das u. a. Struk-tur und Zuständigkeiten im Falle eines Großschadensereignisses beinhaltet. Re-gionale Behörden müssen mit allen Be-teiligten (z. B. Hilfsorganisationen) ein an die lokalen Begebenheiten angepasstes Konzept entwickeln. Gemeinsame theore-tische und praktische Veranstaltungen der verschiedenen Berufsgruppen fördern das Verständnis und die Akzeptanz untereinan-der und damit die reibungslose Zusammen-arbeit.

15.15.1 Aufbauorganisation bei einem MANV, Einsatzorte und Tätigkeiten von Pfl egenden und Mitarbeitern von Gesund-heitsfachberufenDie folgenden Ausführungen basieren auf dem genannten Konzept zur überörtlichen Hilfe bei MANV ( [6],   Abb. 15.24). Pfl egende unterstützen sowohl das dienst-habende Personal der Klinik als auch das Katastrophenmanagement am externen Einsatzort. Das Rettungsfachpersonal am Einsatzort benötigt Pfl egende, die in erwei-terten lebensrettenden Sofortmaßnahmen geschult und handlungssicher sind.

Struktur bei MANVDas jeweilige Landesrecht und entsprechen-de Einsatzpläne legen fest, wer Einsatzleiter ist. Ein leitender Notarzt (LNA) übernimmt die medizinischen Führungs- und Koordi-nierungsaufgaben. Einsatzabschnittsleiter im Bereich Patientenbehandlung sind Ret-tungssanitäter oder -assistenten mit Lei-tungsqualifi kation (v. a. Zusatzqualifi kation „Organisatorischer Leiter Rettungsdienst“).

Einsatzabschnitt Schadensbekämpfung An der Schadensbekämpfung wirken die Feuerwehr und der Zivil- und Katastro-phenschutz (u. a. Technisches Hilfswerk, Arbeiter-Samariter-Bund, Malteser Hilfs-dienst, DLRG, Berg- und Wasserwacht, Deutsches Rotes Kreuz, Medizinischen Ka-tastrophenhilfswerk Deutschland) mit.

Einsatzabschnitt PatientenbehandlungAn der Patientenbehandlung sind der Ret-tungsdienst, Hilfsorganisationen, Zivil- und Katastrophenschutz beteiligt. Dieser Ein-satzabschnitt wird weiter untergliedert in:

Patientenablage: Stelle an der Grenze, aber außerhalb des Gefahrenbereichs, an der Verletzte gesammelt und erstver-sorgt werden. Von dort werden sie zum Behandlungsplatz oder in eine medizini-sche Einrichtung transportiertBehandlungsplatz: Einrichtung, in der Verletzte notfallmedizinisch versorgt werden. Vom Behandlungsplatz erfolgt der Transport in weiterführende medizi-nische EinrichtungenTransportorganisation: Sie organisiert die Verteilung und den Transport in wei-terbehandelnde medizinische Einrich-tungen.

Sichtung (Triage) von PatientenGrundanliegen bei einem MANV ist, mög-lichst viele Menschen zu retten und nicht einzelne zu behandeln, um dann mehrere zu verlieren. Aus diesem Grund erfolgt eine Sichtung der Patienten, anschließend fi n-det eine notfallmäßige Versorgung nach der medizinischen Dringlichkeit statt:

Sichtungskategorie I (SK I, Triage 1, T1), rot: Vitale Bedrohung, SofortbehandlungSK II (T2), gelb: Schwer verletzt/er-krankt, dringliche BehandlungSK IIb (T2b), gelb: verzögerte Transport-priorität gegenüber T2SK III (T3), grün: Leicht verletzt/erkrankt, nichtdringliche BehandlungSK IV (T4), blau: Ohne Überlebenschan-ce, palliative BetreuungKennzeichnung schwarz: Tote.

Einsatzabschnitt BereitstellungsraumDies ist die Stelle, an der die Einsatzkräft e und Einsatzmittel für den unmittelbaren Einsatz gesammelt, gegliedert und bereitge-stellt oder in Reserve gehalten werden. Not-wendig ist der Aufb au einer geeigneten Lo-gistik und Kommunikation, ggf. auch der Einsatz von Lotsen. Der Hubschrauberlan-deplatz ist separat.

Einsatzabschnitt BetreuungEs ist davon auszugehen, dass es bei einem MANV auch unverletzte oder sonstige Be-teiligte gibt, die Betreuung in Form von so-zialer Betreuung, psychosozialer Betreuung, Verpfl egung und Unterbringung oder Transport benötigen. An einer Anlaufstelle werden die Betroff enen außerhalb des Ge-fahrenbereichs aufgefangen, ggf. registriert und zu einem zentralen Betreuungsplatz ge-bracht.

Behandlungsplatz PatiententransportPatientenablage

Einsatzleitung

EinsatzabschnittSchadens-

bekämpfung

EinsatzabschnittPatienten-

behandlung

EinsatzabschnittBereitstellungs-

raum

EinsatzabschnittBetreuung

Abb. 15.24 Mögliche Führungs- und Aufbauorganisation bei einem MANV . Nach Landesrecht wird eine Einsatzleitung gebildet. Verschiedene Einsatzabschnitte (EA) sorgen für ein strukturiertes Vor-gehen. (Darstellung nach: Arbeitsgruppe der Hilfsorganisationen im Bundesamt für Bevölkerungs-schutz und Katastrophenhilfe: Konzepte zur überörtlichen Hilfe bei MANV. Bonn-Bad Godesberg 2006.) [L143]

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15.15 Massenanfall von Verletzten, Erkrankten und Beteiligten (MANV)

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Elsevier Gmbh, München – Pfl ege Heute, 6.A., 2014

Einsatzorte und Tätigkeiten von Pfl egendenBei einem MANV können Pfl egende an fol-genden Einsatzorten eingesetzt werden:

Im „eigenen“ Krankenhaus auf der Sta-tion oder in der NotaufnahmeIn einem anderen Krankenhaus zur Un-terstützungAls Transportassistenz in Rettungsmit-teln, z. B. dem RettungswagenIn allen Bereichen des Einsatzabschnitts PatientenbehandlungIm Einsatzabschnitt Betreuung.

Pfl egende können aufgrund ihrer Ausbil-dung bei allen medizinisch-pfl egerischen Tätigkeiten mitwirken, aber auch im Be-reich der sozialen und psychosozialen Be-treuung.

VorsichtNiemals Eigenschutz vergessen!

15.15.2 Psychische Hilfe bei MANV Bei jedem akuten Ereignis kann das psychi-sche Gleichgewicht des Menschen gestört werden, Hilfl osigkeit, Panik und Angst sind möglich. Dazu kommen die Sorgen der Be-troff enen um Angehörige und die Frage, wie geht es wohl weitergeht. Schmerzen, Verschüttung, Einklemmung, Blutungen, sichtbare und nicht sichtbare Verletzungen sowie Atemnot können die Angst, Panik und Ratlosigkeit verschlimmern.

Folgende Maßnahmen der Psychischen Ersten Hilfe sind möglich:

Patienten abschirmen, vor Gaff ern schützenBlickkontakt herstellen und auf Augen-höhe gehenSofern möglich, ruhiges Umfeld realisie-ren (Zelt, Haus, Bus)Begrüßen und mit Namen und Funktion vorstellenNach dem Namen des Patienten fragen, Patienten mit Namen ansprechen, ab 16. Lebensjahr mit „Sie“Bei nicht Deutsch sprechenden Personen Übersetzer hinzuziehenAngehörige wenn irgend möglich zu-sammenlassenDezenten Körperkontakt anbieten (Hand halten, Puls tasten)Aktiv zuhören, sofern der Patient etwas sagen möchteGenannte Telefonnummern und Kon-taktpersonen aufschreiben

Verbindung zur gewünschten Person (telefonisch) herstellenKompetenz vermitteln durch sicheres Auft reten und korrekte TätigkeitAlle medizinisch notwendigen Handlun-gen erklären (sofern möglich)Als Vermittler zwischen Patient und Ret-tungsfachpersonal auft retenPsychologen, Seelsorger, KIT(Kriseninterventionsteam)-Berater informierenGeistlichen Beistand nach Wunsch des Patienten organisierenKeinerlei Auskunft geben, dazu ist nur die Einsatzleitung berechtigt.

Krisenintervention bezeichnet eine einma-lige, kurzzeitige Intervention für Menschen nach einem akuten Ereignis, auch einem Großschadensereignis. Kriseninterventions-teams (KIT) bestehen aus (meist ehrenamtli-chen) Mitarbeitern mit einer meist medizi-nischen Fachausbildung und einer speziali-sierte Weiterbildung im Bereich Psychotrau-matologie. Notfallseelsorger (NFS) sind im Auft rag der christlichen Kirchen tätig.Kernpunkte der Krisenintervention sind:

Vorbehaltloses Akzeptieren des Betroff e-nenAussprechen von persönlich ErlebtemAussprechen und Annehmen von Gefüh-len, dadurch werden sie kognitiv verar-beitet statt verdrängtBetrachten jeglicher Reaktionen als „normal“Echte Unterstützung, z.B. durch aktives Zuhören, Kontaktherstellung mit Ange-hörigen, Abschirmung von „Gaff ern“ und Herstellung eines möglichst ruhigen Umfelds, Information über organisatori-sche Abläufe, Möglichkeit der Abschied-nahme von AngehörigenWeitervermittlung an „das soziale Netz“, z.B. Familie, Selbsthilfegruppen, Bera-tungsstellen, Th erapeuten.

Vorrangiges Ziel der Krisenintervention ist, dass der Betroff ene aus seiner passiv erlebten Opferrolle herausgebracht wird und wieder Handlungsfähigkeit und Selbstwert gewinnt.

Psychische Folgeschäden nach MANVGroßschadensereignisse können psychi-sche Folgeschäden hinterlassen – bei den Betroffenen wie den Einsatzkräften (  Abb. 15.25). Es droht eine Posttraumatische Be-lastungsstörung (PTBS), die noch Wochen bis Monate nach dem Ereignis auftreten kann (  35.9.1) und bis zu einer dauerhaf-ten Persönlichkeitsveränderung führen kann. Deshalb wird allen beteiligten Ein-satzkräften eine professionelle Aufarbei-tung der Belastungssituation angeboten.

Für Einsatzkräft e gibt es verschiedene Me-thoden, dauerhaft e Folgen einer extremen Belastungssituation zu vermeiden. Im deut-schen Sprachraum wird meist von Stress-bearbeitung nach belastenden Ereignis-sen (SbE) gesprochen. Möglichkeiten sind:

Demobilization (Gruppeninformationen über den Einsatz und mögliche Stressre-aktionen unmittelbar am Einsatzende) Debriefi ng (durch Fach- und Einsätzkräf-te mit entsprechender Zusatzausbildung, da sonst auch negative Eff ekte möglich sind): mehrstündige und mehrstufi ge Nachbesprechung einige Tage nach dem Ereignis, u.a. mit Beschreibung des Er-eignisses, Th ematisierung der Reaktio-nen und Symptome nach dem Ereignis, Psychoedukation Defusing: kürzere Variante des Debrie-fi ngs, zeitnäher am Ereignis (noch am gleichen Tag) One-on-One: Debriefi ng-Einzelgespräch.

Dabei geht es immer darum, dass die Helfer gemeinsam oder alleine über den Einsatz sprechen, ihre Gefühle äußern, bevor sie zu lange nachdenken und zu falschen Inter-pretationen kommen.

Abb. 15.25 Ein Großscha-densereignis kann, muss aber nicht zu psychischen Folgeschäden führen, und zwar sowohl beim Verun-fallten als auch bei Erst-helfern und professionel-len Helfern. [J787]

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15 Sofortmaßnahmen in der Pfl ege

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Literatur und Kontaktadressen

 OLE_LINK4:STARTOLE_LINK3:STARTOLE_LINK4:ENDOLE_LINK3:ENDLiteraturnachweis 1. Bundesärztekammer (Hrsg.). Reanima-

tion – Empfehlungen für die Wiederbe-lebung. 5. Aufl ., Deutscher Ärzte-Ver-lag, Köln 2011.

2. European Resuscitation Council: Guidelines for Resuscitation 2010. https://www.cprguidelines.eu/2010/ (Abgerufen: 2.7.2013).

3. Adams, H. A., Hartmann, B., Lehnhardt, M., et al.: Erste Hilfe bei Brandverlet-zungen – eine Empfehlung der Deut-schen Gesellschaft für Verbrennungs-medizin (DGV). http://www.verbrennungsmedizin.de/leitlinien-erste-hilfe-brandverletzungen. php (Abgerufen: 2.7.2013).

4. Himmelreich, H., Rabenau, H. F., Rin-dermann, M. et al.: Management von

Nadelstichverletzungen. Deutsches Ärzteblatt 5/2013, S. 61–67.

5. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: TRBA 250, Biologische Arbeitsstoff e im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspfl ege, Version vom 25.4.2012; www.baua.de/nn_15116/de/Th emen-von-A-Z/Biologische-Arbeitsstoff e/TRBA/pdf/TRBA-250.pdf (Abgerufen: 2.7.2013).

6. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Konzept zur über-örtlichen Hilfe bei einem MANV, April 2006; http://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/GesBevS/Hilfekonzept_bei_MANV.pdf;jsessionid=E5A30B9FF8B96ED42F411408915C7D3F.1_cid345?__blob=publicationFile (Abgerufen: 2.7.2013).

Vertiefende Literatur   Kontaktadressen

7. European Resuscitation Council, http://www.erc.edu

8. Bundesärztekammer, http://www.bundesaerztekammer.de

9. Stop Nadelstich – Prävention von Schnitt- und Nadelstichverletzungen, http://www.stopnadelstich.de/Home. html

10. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, http://www.bbk.bund.de/DE/Home/home_node.html

11. Akademie für Krisenmanagement, Not-fallplanung und Zivilschutz (AKNZ), http://www.bbk.bund.de/DE/AufgabenundAusstattung/AKNZ/aknz_node