Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    Adelbert von Chamisso

    Peter Schlemihls

    wundersame Geschichte

    An meinen alten Freund Peter Schlemihl

    Da fllt nun deine Schrift nach vielen Jahren

    Mir wieder in die Hand, und - wundersam! -

    Der Zeit gedenk ich, wo wir Freunde waren,

    Als erst die Welt uns in die Schule nahm.

    Ich bin ein alter Mann in grauen Haaren,

    Ich berwinde schon die falsche Scham,

    Ich will mich deinen Freund wie ehmals nennen

    Und mich als solchen vor der Welt bekennen.

    Mein armer, armer Freund, es hat der Schlaue

    Mir nicht, wie dir, so bel mitgespielt;

    Gestrebet hab ich und gehofft ins Blaue,

    Und gar am Ende wenig nur erzielt;

    Doch schwerlich wird berhmen sich der Graue,

    Da er mich jemals fest am Schatten hielt;

    Den Schatten hab ich, der mir angeboren,

    Ich habe meinen Schatten nie verloren.

    Mich traf, obgleich unschuldig wie das Kind,

    Der Hohn, den sie fr deine Ble hatten.-

    Ob wir einander denn so hnlich sind?!-

    Sie schrien mir nach: Schlemihl, wo ist dein

    Schatten?

    Und zeigt ich den, so stellten sie sich blind ermatten?

    Und konnten gar zu lachen nicht ermatten.

    Was hilft es denn! man trgt es in Geduld,

    Und ist noch froh, fhlt man sich ohne Schuld.

    Und was ist denn der Schatten? mcht ich fragen,

    Wie man so oft mich selber schon gefragt,

    So berschwenglich hoch es anzuschlagen,

    Wie sich die arge Welt es nicht versagt?

    Das gibt sich schon nach neunzehn Tausend Tagen,

    Die, Weisheit bringend, ber uns getagt;

    Die wir dem Schatten Wesensonst verliehen,

    Sehn Wesen jetzt als Schattensich verziehen.

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    Wir geben uns die Hand darauf, Schlemihl,

    Wir schreiten zu, und lassen es beim Alten;

    Wir kmmern uns um alle Welt nicht viel,

    Es desto fester mit uns selbst zu halten;

    Wir gleiten so schon nher unserm Ziel,

    Ob jene lachten, ob die andern schalten,

    Nach allen Strmen wollen wir im Hafen

    Doch ungestrt gesunden Schlafes schlafen.

    Berlin, August 1834

    Adelbert von Chamisso

    An Julius Eduard Hitzig

    von Adelbert von Chamisso

    Du vergissest niemanden, Du wirst Dich noch eines

    gewissen Peter Schlemihls erinnern, den Du in frhe-

    ren Jahren ein paar Mal bei mir gesehen hast, ein

    langbeiniger Bursch, den man ungeschickt glaubte,

    weil er linkisch war, und der wegen seiner Trgheit

    fr faul galt. Ich hatte ihn lieb - Du kannst nicht ver-

    gessen haben, Eduard, wie er uns einmal in unserer

    grnen Zeit durch die Sonette lief, ich brachte ihn mit

    auf einen der poetischen Tees, wo er mir noch wh-

    rend des Schreibens einschlief, ohne das Lesen abzu-

    warten. Nun erinnere ich mich auch eines Witzes, den

    Du auf ihn machtest. Du hattest ihn nmlich schon,

    Gott wei wo und wann, in einer alten schwarzen

    Kurtka gesehen, die er freilich damals noch immer

    trug, und sagtest: der ganze Kerl wre glcklich zu

    schtzen, wenn seine Seele nur halb so unsterblich

    wre, als seine Kurtka. - So wenig galt er bei

    Euch. - Ich hatte ihn lieb. - Von diesem Schlemihl

    nun, den ich seit langen Jahren aus dem Gesicht ver-

    loren hatte, rhrt das Heft her, das ich Dir mitteilen

    will. - Dir nur, Eduard, meinem nchsten, innigsten

    Freunde, meinem beren Ich, vor dem ich kein Ge-

    heimnis verwahren kann, teil ich es mit, nur Dir und, es

    versteht sich von selbst, unserm Fouqu, gleich Dir

    in meiner Seele eingewurzelt - aber in ihm teil ich es

    blo dem Freunde mit, nicht dem Dichter.-

    Ihr werdet einsehen, wie unangenehm es mir sein

    wrde, wenn etwa die Beichte, die ein ehrlicher Mann

    im Vertrauen auf meine Freundschaft und Redlichkeit

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    an meiner Brust ablegt, in einem Dichterwerke an den

    Pranger geheftet wrde, oder nur wenn berhaupt un-

    heilig verfahren wrde, wie mit einem Erzeugnis

    schlechten Witzes, mit einer Sache, die das nicht ist

    und sein darf. Freilich mu ich selbst gestehen, da es

    um die Geschichte Schad ist, die unter des guten

    Mannes Feder nur albern geworden, da sie nicht von

    einer geschickteren fremden Hand in ihrer ganzen ko-

    mischen Kraft dargestellt werden kann. - Was wrde

    nicht Jean Paul daraus gemacht haben! - brigens,

    lieber Freund, mgen hier manche genannt sein, die

    noch leben; auch das will beachtet sein.-

    Noch ein Wort ber die Art, wie diese Bltter an

    mich gelangt sind. Gestern frh bei meinem Erwachen

    gab man sie mir ab - ein wunderlicher Mann, der

    einen langen grauen Bart trug, eine ganz abgentzte

    schwarze Kurtka anhatte, eine botanische Kapsel dar-

    ber umgehangen, und bei dem feuchten, regnichten

    Wetter Pantoffeln ber seine Stiefel, hatte sich nach

    mir erkundigt und dieses fr mich hinterlassen; er

    hatte, aus Berlin zu kommen, vorgegeben. ---Kunersdorf,

    den 27. Sept. 1813

    Adelbert von Chamisso

    P. S. Ich lege Dir eine Zeichnung bei, die der

    kunstreiche Leopold, der eben an seinem Fenster

    stand, von der auffallenden Erscheinung entworfen

    hat. Als er den Wert, den ich auf diese Skizze legte,

    gesehen hat, hat er sie mir gerne geschenkt.1

    An Ebendenselben von Fouqu

    Bewahren, lieber Eduard, sollen wir die Geschichte

    des armen Schlemihl, dergestalt bewahren, da sie

    vor Augen, die nicht hineinzusehen haben, beschirmt

    bleibe. Das ist eine schlimme Aufgabe. Es gibt sol-

    cher Augen eine ganze Menge, und welcher Sterbliche

    kann die Schicksale eines Manuskriptes bestimmen,

    eines Dinges, das beinah noch schlimmer zu hten ist,

    als ein gesprochenes Wort. Da mach ich's denn wie

    ein Schwindelnder, der in der Angst lieber gleich in

    1Das hier erwhnte Bild befand sich bei den ersten

    Ausgaben des Schlemihls.

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    den Abgrund springt: ich lasse die ganze Geschichte

    drucken.

    Und doch, Eduard, es gibt ernstere und bessere

    Grnde fr mein Benehmen. Es trgt mich alles, oder

    in unserm lieben Deutschlande schlagen der Herzen

    viel, die den armen Schlemihl zu verstehen fhig sind

    und auch wert, und ber manch eines echten Lands-

    mannes Gesicht wird bei dem herben Scherz, den das

    Leben mit ihm, und bei dem arglosen, den er mit sich

    selbst treibt, ein gerhrtes Lcheln ziehn. Und du,

    mein Eduard, wenn Du das grundehrliche Buch an-

    siehst, und dabei denkst, da viele unbekannte Her-

    zensverwandte es mit uns lieben lernen, fhlst auch

    vielleicht einen Balsamtropfen in die heie Wunde

    fallen, die Dir und allen, die Dich lieben, der Tod ge-

    schlagen hat.

    Und endlich: es gibt - ich habe mich durch man-

    nichfache Erfahrung davon berzeugt - es gibt fr die

    gedruckten Bcher einen Genius, der sie in die rech-

    ten Hnde bringt, und, wenn nicht immer, doch sehr

    oft die unrechten davon abhlt. Auf allen Fall hat er

    ein unsichtbares Vorhngschlo vor jedwedem echten

    Geistes- und Gemtswerke, und wei mit einer ganz

    untrglichen Geschicklichkeit auf- und zuzuschlieen.

    Diesem Genius, mein sehr lieber Schlemihl, ver-

    traue ich Dein Lcheln und Deine Trnen an, und

    somit Gott befohlen!

    Nennhausen, Ende Mai 1814

    Fouqu

    An Fouqu von Hitzig

    Da haben wir denn nun die Folgen Deines verzwei-

    felten Entschlusses, die Schlemihlshistorie, die wir als

    ein blo uns anvertrautes Geheimnis bewahren soll-

    ten, drucken zu lassen, da sie nicht allein Franzosen

    und Englnder, Hollnder und Spanier bersetzt,

    Amerikaner aber den Englndern nachgedruckt, wie

    ich dies alles in meinem gelehrten Berlin des Breite-

    ren gemeldet; sondern, da auch fr unser liebes

    Deutschland eine neue Ausgabe, mit den Zeichnungen

    der englischen, die der berhmte Cruikshank nach

    dem Leben entworfen, veranstaltet wird, wodurch die

    Sache unstreitig noch viel mehr herum kommt. Hielte

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    ich Dich nicht fr Dein eigenmchtiges Verfahren

    (denn mir hast Du 1814 ja kein Wort von der Heraus-

    gabe des Manuskripts gesagt) hinlnglich dadurch be-

    straft, da unser Chamisso bei seiner Weltumsegelei,

    in den Jahren 1815 bis 1818, sich gewi in Chile und

    Kamtschatka, und wohl gar bei seinem Freunde, dem

    seligen Tameiamaia auf O-Wahu darber beklagt

    haben wird, so forderte ich noch jetzt ffentlich Re-

    chenschaft darber von Dir.

    Indes - auch hievon abgesehen - geschehn ist ge-

    schehn, und Recht hast Du auch darin gehabt, da

    viele, viele Befreundete in den dreizehn verhngnis-

    vollen Jahren, seit es das Licht der Welt erblickte, das

    Bchlein mit uns lieb gewonnen. Nie werde ich die

    Stunde vergessen, in welcher ich es Hoffmann zuerst

    vorlas. Auer sich vor Vergngen und Spannung,

    hing er an meinen Lippen, bis ich vollendet hatte;

    nicht erwarten konnte er, die persnliche Bekannt-

    schaft des Dichters zu machen, und, sonst jeder Nach-

    ahmung so abhold, widerstand er doch der Versu-

    chung nicht, die Idee des verlornen Schattens in seiner

    Erzhlung: Die Abenteuer der Sylvesternacht2,

    durch das verlorne Spiegelbild des Erasmus Spikher,

    ziemlich unglcklich zu variieren. Ja - unter die Kin-

    der hat sich unsre wundersame Historie ihre Bahn zu

    brechen gewut; denn als ich einst, an einem hellen

    Winterabend, mit ihrem Erzhler die Burgstrae hin-

    aufging, und er einen ber ihn lachenden, auf der

    Glitschbahn beschftigten Jungen unter seinen Dir

    wohlbekannten Brenmantel nahm und fortschleppte,

    hielt dieser ganz stille; da er aber wieder auf den

    Boden niedergesetzt war, und in gehriger Ferne von

    den, als ob nichts geschehen wre, weiter Gegange-

    nen, rief er mit lauter Stimme seinem Ruber nach:

    Warte nur, Peter Schlemihl!

    So, denke ich, wird der ehrliche Kauz auch in sei-

    nem neuen, zierlichen Gewande viele erfreuen, die ihn

    in der einfachen Kurtka von 1814 nicht gesehen; die-

    sen und jenen aber es auerdem noch berraschend

    sein, in dem botanisierenden, weltumschiffenden, ehe-

    2Fantasiestcke in Callots Manier, im letzten Teil.

    Vergl. auch: Aus Hoffmanns Leben und Nachla.

    Bd. II. S. 112.

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    mals wohlbestallten Kniglich Preuischen Offizier,

    auch Historiographen des berhmten Peter

    Schlemihl,nebenher einen Lyriker kennen zu lernen,3

    der, er

    mge malaiische oder litauische Weisen anstimmen,

    berall dartut, da er das poetische Herz auf der rech-

    ten Stelle hat.

    Darum, lieber Fouqu, sei Dir am Ende denn doch

    noch herzlich gedankt fr die Veranstaltung der ersten

    Ausgabe, und empfange mit unsern Freunden meinen

    Glckwunsch zu dieser zweiten.

    Berlin, im Januar 1827

    Eduard Hitzig

    Peter Schlemihls

    wundersame Geschichte

    I

    3Die zweite Ausgabe des Peter Schlemihl hatte einen

    Anhang von Liedern und Balladen des Dichters, wor-

    auf sich dies bezog.

    Nach einer glcklichen, jedoch fr mich sehr be-

    schwerlichen Seefahrt, erreichten wir endlich den

    Hafen. Sobald ich mit dem Boote ans Land kam,

    belud ich mich selbst mit meiner kleinen Habselig-

    keit, und durch das wimmelnde Volk mich drngend,

    ging ich in das nchste, geringste Haus hinein, vor

    welchem ich ein Schild hngen sah. Ich begehrte ein

    Zimmer, der Hausknecht ma mich mit einem Blick

    und fhrte mich unters Dach. Ich lie mir frisches

    Wasser geben, und genau beschreiben, wo ich den

    Herrn Thomas John aufzusuchen habe; - Vor dem

    Nordertor, das erste Landhaus zur rechten Hand, ein

    groes, neues Haus, von rot und weiem Marmor mit

    vielen Sulen. Gut. - Es war noch frh an der Zeit,

    ich schnrte sogleich mein Bndel auf, nahm meinen

    neu gewandten schwarzen Rock heraus, zog mich

    reinlich an in meine besten Kleider, steckte das Emp-

    fehlungsschreiben zu mir, und setzte mich alsbald auf

    den Weg zu dem Manne, der mir bei meinen beschei-

    denen Hoffnungen frderlich sein sollte.

    Nachdem ich die lange Norderstrae hinaufgestiegen,

    und das Tor erreicht, sah ich bald die

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    Sulen durch das Grne schimmern - also hier,

    dacht ich. Ich wischte den Staub von meinen Fen

    mit meinem Schnupftuch ab, setzte mein Halstuch in

    Ordnung, und zog in Gottes Namen die Klingel. Die

    Tr sprang auf. Auf dem Flur hatt ich ein Verhr zu

    bestehn, der Portier lie mich aber anmelden, und ich

    hatte die Ehre, in den Park gerufen zu werden, wo

    Herr John - mit einer kleinen Gesellschaft sich er-

    ging. Ich erkannte gleich den Mann am Glanze seiner

    wohlbeleibten Selbstzufriedenheit. Er empfing mich

    sehr gut - wie ein Reicher einen armen Teufel, wand-

    te sich sogar gegen mich, ohne sich jedoch von der

    brigen Gesellschaft abzuwenden, und nahm mir den

    dargehaltenen Brief aus der Hand. - So, so! von

    meinem Bruder, ich habe lange nichts von ihm gehrt.

    Er ist doch gesund? - Dort, fuhr er gegen die Gesell-

    schaft fort, ohne die Antwort zu erwarten, und wies

    mit dem Brief auf einen Hgel, dort la ich das neue

    Gebude auffhren. Er brach das Siegel auf und das

    Gesprch nicht ab, das sich auf den Reichtum lenkte.

    Wer nicht Herr ist wenigstens einer Million, warf

    er hinein, der ist, man verzeihe mir das Wort, ein

    Schuft! O wie wahr! rief ich aus mit vollem ber-

    strmenden Gefhl. Das mute ihm gefallen, er l-

    chelte mich an und sagte: Bleiben Sie hier, lieber

    Freund, nachher hab ich vielleicht Zeit, Ihnen zu sagen,

    was ich hiezu denke, er deutete auf den Brief,

    den er sodann einsteckte, und wandte sich wieder zu

    der Gesellschaft. - Er bot einer jungen Dame den

    Arm, andere Herren bemhten sich um andere Sch-

    nen, es fand sich, was sich pate, und man wallte dem

    rosenumblhten Hgel zu.

    Ich schlich hinterher, ohne jemandem beschwerlich

    zu fallen, denn keine Seele bekmmerte sich weiter

    um mich. Die Gesellschaft war sehr aufgerumt, es

    ward getndelt und gescherzt, man sprach zuweilen

    von leichtsinnigen Dingen wichtig, von wichtigen f-

    ters leichtsinnig, und gemchlich erging besonders der

    Witz ber abwesende Freunde und deren Verhltnis-

    se. Ich war da zu fremd, um von alle dem vieles zu

    verstehen, zu bekmmert und in mich gekehrt, um den

    Sinn auf solche Rtsel zu haben.

    Wir hatten den Rosenhain erreicht. Die schne

    Fanny, wie es schien, die Herrin des Tages, wollte aus

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    Eigensinn einen blhenden Zweig selbst brechen, sie

    verletzte sich an einem Dorn, und wie von den dun-

    keln Rosen, flo Purpur auf ihre zarte Hand. Dieses

    Ereignis brachte die ganze Gesellschaft in Bewegung.

    Es wurde Englisch Pflaster gesucht. Ein stiller, dn-

    ner, hagrer, lnglichter, ltlicher Mann, der neben

    mitging, und den ich noch nicht bemerkt hatte, steckte

    sogleich die Hand in die knapp anliegende Schota-

    sche seines altfrnkischen, grautaffentnen Rockes,

    brachte eine kleine Brieftasche daraus hervor, ffnete

    sie, und reichte der Dame mit devoter Verbeugung

    das Verlangte. Sie empfing es ohne Aufmerksamkeit

    fr den Geber und ohne Dank, die Wunde ward ver-

    bunden, und man ging weiter den Hgel hinan, von

    dessen Rcken man die weite Aussicht ber das grne

    Labyrinth des Parkes nach dem unermelichen Ozean

    genieen wollte.

    Der Anblick war wirklich gro und herrlich. Ein

    lichter Punkt erschien am Horizont zwischen der

    dunklen Flut und der Blue des Himmels. Ein Fern-

    rohr her! rief John, und noch bevor das auf den Ruf

    erscheinende Dienervolk in Bewegung kam, hatte der

    graue Mann, bescheiden sich verneigend, die Hand

    schon in die Rocktasche gesteckt, daraus einen sch-

    nen Dollond hervorgezogen, und es dem Herrn John

    eingehndigt. Dieser, es sogleich an das Aug brin-

    gend, benachrichtigte die Gesellschaft, es sei das

    Schiff, das gestern ausgelaufen, und das widrige

    Winde im Angesicht des Hafens zurcke hielten. Das

    Fernrohr ging von Hand zu Hand, und nicht wieder in

    die des Eigentmers; ich aber sah verwundert den

    Mann an, und wute nicht, wie die groe Maschine

    aus der winzigen Tasche herausgekommen war; es

    schien aber niemandem aufgefallen zu sein, und man

    bekmmerte sich nicht mehr um den grauen Mann, als

    um mich selber. Erfrischungen wurden gereicht, das

    seltenste Obst

    aller Zonen in den kostbarsten Gefen. Herr John

    machte die Honneurs mit leichtem Anstand und rich-

    tete da zum zweiten Mal ein Wort an mich: Essen

    Sie nur; das haben Sie auf der See nicht gehabt. Ich

    verbeugte mich, aber er sah es nicht, er sprach schon

    mit jemand anderem.

    Man htte sich gern auf den Rasen, am Abhange

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    des Hgels, der ausgespannten Landschaft gegenber

    gelagert, htte man die Feuchtigkeit der Erde nicht ge-

    scheut. Es wre gttlich, meinte wer aus der Gesell-

    schaft, wenn man trkische Teppiche htte, sie hier

    auszubreiten. Der Wunsch war nicht sobald ausge-

    sprochen, als schon der Mann im grauen Rock die

    Hand in der Tasche hatte, und mit bescheidener, ja

    demtiger Gebrde einen reichen, golddurchwirkten

    trkischen Teppich daraus zu ziehen bemht war. Be-

    diente nahmen ihn in Empfang, als msse es so sein,

    und entfalteten ihn am begehrten Orte. Die Gesell-

    schaft nahm ohne Umstnde Platz darauf; ich wieder-

    um sah betroffen den Mann, die Tasche, den Teppich

    an, der ber zwanzig Schritte in der Lnge und zehn

    in der Breite ma, und rieb mir die Augen, nicht wis-

    send, was ich dazu denken sollte, besonders da nie-

    mand etwas Merkwrdiges darin fand.

    Ich htte gern Aufschlu ber den Mann gehabt,

    und gefragt, wer er sei, nur wut ich nicht, an wen

    ichmich richten sollte, denn ich frchtete mich fast noch

    mehr vor den Herren Bedienten, als vor den bedienten

    Herren. Ich fate endlich ein Herz, und trat an einen

    jungen Mann heran, der mir von minderem Ansehen

    schien als die andern, und der fter allein gestanden

    hatte. Ich bat ihn leise, mir zu sagen, wer der gefllige

    Mann sei dort im grauen Kleide. - Dieser, der wie

    ein Ende Zwirn aussieht? der einem Schneider aus der

    Nadel entlaufen ist? Ja, der allein steht - den

    kenn ich nicht, gab er mir zur Antwort, und, wie es

    schien, eine lngere Unterhaltung mit mir zu vermei-

    den, wandt er sich weg und sprach von gleichgltigen

    Dingen mit einem andern.

    Die Sonne fing jetzt strker zu scheinen an, und

    ward den Damen beschwerlich; die schne Fanny

    richtete nachlssig an den grauen Mann, den, so viel

    ich wei, noch niemand angeredet hatte, die leichtsin-

    nige Frage: ob er nicht auch vielleicht ein Zelt bei

    sich habe? Er beantwortete sie durch eine so tiefe

    Verbeugung, als widerfahre ihm eine unverdiente

    Ehre, und hatte schon die Hand in der Tasche, aus der

    ich Zeuge, Stangen, Schnre, Eisenwerk, kurz, alles,

    was zu dem prachtvollsten Lustzelt gehrt, heraus-

    kommen sah. Die jungen Herren halfen es ausspan-

    nen, und es berhing die ganze Ausdehnung des Tep-

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    pichs - und keiner fand noch etwas Auerordentliches

    darin.- Mir war schon lang unheimlich, ja graulich zu

    Mute, wie ward mir vollends, als beim nchst ausge-

    sprochenen Wunsch ich ihn noch aus seiner Tasche

    drei Reitpferde, ich sage Dir, drei schne, groe Rap-

    pen mit Sattel und Zeug herausziehen sah! - denke

    Dir, um Gotteswillen! drei gesattelte Pferde noch aus

    derselben Tasche, woraus schon eine Brieftasche, ein

    Fernrohr, ein gewirkter Teppich, zwanzig Schritte

    lang und zehn breit, ein Lustzelt von derselben

    Gre, und alle dazu gehrigen Stangen und Eisen,

    herausgekommen waren! - Wenn ich Dir nicht beteu-

    erte, es selbst mit eigenen Augen angesehen zu haben,

    wrdest Du es gewi nicht glauben.-

    So verlegen und demtig der Mann selbst zu sein

    schien, so wenig Aufmerksamkeit ihm auch die an-

    dern schenkten, so ward mir doch seine blasse Er-

    scheinung, von der ich kein Auge abwenden konnte,

    so schauerlich, da ich sie nicht lnger ertragen konn-

    te.

    Ich beschlo, mich aus der Gesellschaft zu stehlen,

    was bei der unbedeutenden Rolle, die ich darinnen

    spielte, mir ein Leichtes schien. Ich wollte nach der

    Stadt zurckkehren, am andern Morgen mein Glck

    beim Herrn John wieder versuchen, und, wenn ich den

    Mut dazu fande, ihn ber den seltsamen grauen Mann

    befragen. - Wre es mir nur so zu entkommen ge-

    glckt! Ich hatte mich schon wirklich durch den

    Rosen-

    hain, den Hgel hinab, glcklich geschlichen, und be-

    fand mich auf einem freien Rasenplatz, als ich aus

    Furcht, auer den Wegen durchs Gras gehend ange-

    troffen zu werden, einen forschenden Blick um mich

    warf. - Wie erschrak ich, als ich den Mann im grauen

    Rock hinter mir her und auf mich zukommen sah. Er

    nahm sogleich den Hut vor mir ab, und verneigte sich

    so tief, als noch niemand vor mir getan hatte. Es war

    kein Zweifel, er wollte mich anreden, und ich konnte,

    ohne grob zu sein, es nicht vermeiden. Ich nahm den

    Hut auch ab, verneigte mich wieder, und stand da in

    der Sonne mit bloem Haupt wie angewurzelt. Ich sah

    ihn voller Furcht stier an, und war wie ein Vogel, den

    eine Schlange gebannt hat. Er selber schien sehr ver-

    legen zu sein er hob den Blick nicht auf, verbeugte

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    sich zu verschiedenen Malen, trat nher, und redete

    mich an mit leiser, unsicherer Stimme, ungefhr im

    Tone eines Bettelnden.

    Mge der Herr meine Zudringlichkeit entschuldi-

    gen, wenn ich es wage, ihn so unbekannter Weise auf-

    zusuchen, ich habe eine Bitte an ihn. Vergnnen Sie

    gndigst- - Aber um Gotteswillen, mein Herr!

    brach ich in meiner Angst aus, was kann ich fr

    einen Mann tun, der - wir stutzten beide, und wur-

    den, wie mir deucht, rot.

    Er nahm nach einem Augenblick des Schweigens

    wieder das Wort: Whrend der kurzen Zeit, wo ich

    das Glck geno, mich in Ihrer Nhe zu befinden, hab

    ich, mein Herr, einige Mal - erlauben Sie, da ich es

    Ihnen sage - wirklich mit unaussprechlicher Bewun-

    derung den schnen, schnen Schatten betrachten

    knnen, den Sie in der Sonne, und gleichsam mit

    einer gewissen edlen Verachtung, ohne selbst darauf

    zu merken, von sich werfen, den herrlichen Schatten

    da zu Ihren Fen. Verzeihen Sie mir die freilich

    khne Zumutung. Sollten Sie sich wohl nicht abge-

    neigt finden, mir diesen Ihren Schatten zu berlas-

    sen.

    Er schwieg, und mir ging's wie ein Mhlrad im

    Kopfe herum. Was sollt ich aus dem seltsamen An-

    trag machen, mir meinen Schatten abzukaufen? Er

    mu verrckt sein, dacht ich, und mit verndertem

    Tone, der zu der Demut des seinigen besser pate, er-

    widerte ich also: Ei, ei! guter Freund, habt Ihr denn

    nicht an Eurem eignen Schatten genug? das hei ich

    mir einen Handel von einer ganz absonderlichen

    Sorte. Er fiel sogleich wieder ein: Ich hab in meiner

    Tasche manches, was dem Herrn nicht ganz unwert

    scheinen mchte; fr diesen unschtzbaren Schatten

    halt ich den hchsten Preis zu gering.

    Nun berfiel es mich wieder kalt, da ich an die Ta-

    sche erinnert ward, und ich wute nicht, wie ich ihn

    hatte guter Freund nennen knnen. Ich nahm wieder das

    Wort, und suchte es, wo mglich, mit unendlicher

    Hflichkeit wieder gut zu machen.

    Aber, mein Herr, verzeihen Sie Ihrem untertnig-

    sten Knecht. Ich verstehe wohl Ihre Meinung nicht

    ganz gut, wie knnt ich nur meinen Schatten -- Er

    unterbrach mich: Ich erbitte mir nur Dero Erlaubnis,

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    hier auf der Stelle diesen edlen Schatten aufheben zu

    drfen und zu mir zu stecken; wie ich das mache, sei

    meine Sorge. Dagegen als Beweis meiner Erkennt-

    lichkeit gegen den Herrn, berlasse ich ihm die Wahl

    unter allen Kleinodien, die ich in der Tasche bei mir

    fhre: die echte Springwurzel, die Alraunwurzel,

    Wechselpfennige, Raubtaler, das Tellertuch von Ro-

    lands Knappen, ein Galgenmnnlein zu beliebigem

    Preis; doch, das wird wohl nichts fr Sie sein: besser,

    Fortunati Wnschhtlein, neu und haltbar wieder re-

    stauriert; auch ein Glckssckel, wie der seine gewe-

    sen. - Fortunati Glckssckel, fiel ich ihm in die

    Rede, und wie gro meine Angst auch war, hatte er

    mit dem einen Wort meinen ganzen Sinn gefangen.

    Ich bekam einen Schwindel, und es flimmerte mir wie

    doppelte Dukaten vor den Augen.-

    Belieben gndigst der Herr diesen Sckel zu be-

    sichtigen und zu erproben. Er steckte die Hand in die

    Tasche und zog einen mig groen, festgenhten

    Beutel, von starkem Korduanleder, an zwei tchtigen

    ledernen Schnren heraus und hndigte mir selbigen ein.

    Ich griff hinein, und zog zehn Goldstcke daraus,

    und wieder zehn, und wieder zehn, und wieder zehn;

    ich hielt ihm schnell die Hand hin: Topp! der Handel

    gilt, fr den Beutel haben Sie meinen Schatten. Er

    schlug ein, kniete dann ungesumt vor mir nieder, und

    mit einer bewundernswrdigen Geschicklichkeit sah

    ich ihn meinen Schatten, vom Kopf bis zu meinen

    Fen, leise von dem Grase lsen, aufheben, zusam-

    menrollen und falten, und zuletzt einstecken. Er stand

    auf, verbeugte sich noch einmal vor mir, und zog sich

    dann nach dem Rosengebsche zurck. Mich dnkt',

    ich hrte ihn da leise fr sich lachen. Ich aber hielt

    den Beutel bei den Schnren fest, rund um mich her

    war die Erde sonnenhell, und in mir war noch keine

    Besinnung.

    II

    Ich kam endlich wieder zu Sinnen, und eilte, diesen

    Ort zu verlassen, wo ich hoffentlich nichts mehr zu

    tun hatte. Ich fllte erst meine Taschen mit Gold,

    dann band ich mir die Schnre des Beutels um den

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    Hals fest, und verbarg ihn selbst auf meiner Brust. Ich

    kam unbeachtet aus dem Park, erreichte die Landstra-

    e, und nahm meinen Weg nach der Stadt. Wie ich in

    Gedanken dem Tore zu ging, hrt ich hinter mir

    schreien: Junger Herr! he! junger Herr! hren Sie

    doch! - Ich sah mich um, ein altes Weib rief mir

    nach: Sehe sich der Herr doch vor, Sie haben Ihren

    Schatten verloren. - Danke, Mtterchen! ich warf

    ihr ein Goldstck fr den wohlgemeinten Rat hin, und

    trat unter die Bume.

    Am Tore mut ich gleich wieder von der Schild-

    wacht hren: Wo hat der Herr seinen Schatten gelas-

    sen? und gleich wieder darauf von ein paar Frauen:

    Jesus Maria! der arme Mensch hat keinen Schatten!

    Das fing an mich zu verdrieen, und ich vermied sehr

    sorgfltig, in die Sonne zu treten. Das ging aber nicht

    berall an, zum Beispiel nicht ber die Breitestrae,

    die ich zunchst durchkreuzen mute, und zwar, zu

    meinem Unheil, in eben der Stunde, wo die Knaben

    aus der Schule gingen. Ein verdammter buckeliger

    Schlingel, ich seh ihn noch, hatte es gleich weg, da

    mir ein Schatten fehle. Er verriet mich mit groem

    Geschrei der smtlichen literarischen Straenjugend

    der Vorstadt, welche sofort mich zu rezensieren und

    mit Kot zu bewerfen anfing: Ordentliche Leute

    pflegten ihren Schatten mit sich zu nehmen, wenn sie

    in die Sonne gingen. Um sie von mir abzuwehren,

    warf ich Gold zu vollen Hnden unter sie, und sprang

    in einen Mietswagen, zu dem mir mitleidige Seelen

    verhalfen.

    Sobald ich mich in der rollenden Kutsche allein fand,

    fing ich bitterlich an zu weinen. Es mute schon

    die Ahnung in mir aufsteigen: da, um so viel das

    Gold auf Erden Verdienst und Tugend berwiegt, um

    so viel der Schatten hher als selbst das Gold ge-

    schtzt werde; und wie ich frher den Reichtum mei-

    nem Gewissen aufgeopfert, hatte ich jetzt den Schat-

    ten fr bloes Gold hingegeben; was konnte, was

    sollte auf Erden aus mir werden!

    Ich war noch sehr verstrt, als der Wagen vor mei-

    nem alten Wirtshause hielt; ich erschrak ber die Vor-

    stellung, nur noch jenes schlechte Dachzimmer zu be-

    treten. Ich lie mir meine Sachen herabholen, empfing

    den rmlichen Bndel mit Verachtung, warf einige

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    Goldstcke hin, und befahl, vor das vornehmste Hotel

    vorzufahren. Das Haus war gegen Norden gelegen,

    ich hatte die Sonne nicht zu frchten. Ich schickte den

    Kutscher mit Gold weg, lie mir die besten Zimmer

    vorn heraus anweisen, und verschlo mich darin, so-

    bald ich konnte.

    Was denkest Du, das ich nun anfing? - O mein lie-

    ber Chamisso, selbst vor Dir es zu gestehen, macht

    mich errten. Ich zog den unglcklichen Sckel aus

    meiner Brust hervor, und mit einer Art Wut, die, wie

    eine flackernde Feuersbrunst, sich in mir durch sich

    selbst mehrte, zog ich Gold daraus, und Gold, und

    Gold, und immer mehr Gold, und streute es auf den

    Estrich, und schritt darber hin, und lie es klirren, und

    warf, mein armes Herz an dem Glanze, an dem

    Klange weidend, immer des Metalles mehr zu dem

    Metalle, bis ich ermdet selbst auf das reiche Lager

    sank und schwelgend darin whlte, mich darber

    wlzte. So verging der Tag, der Abend, ich schlo

    meine Tr nicht auf, die Nacht fand mich liegend auf

    dem Golde, und darauf bermannte mich der Schlaf.

    Da trumt' es mir von Dir, es ward mir, als stnde

    ich hinter der Glastre Deines kleinen Zimmers, und

    she Dich von da an Deinem Arbeitstische zwischen

    einem Skelet und einem Bunde getrockneter Pflanzen

    sitzen, vor Dir waren Haller, Humboldt und Linn

    aufgeschlagen, auf Deinem Sofa lagen ein Band Goe-

    the und der Zauberring, ich betrachtete Dich lange

    und jedes Ding in Deiner Stube, und dann Dich wie-

    der, Du rhrtest Dich aber nicht, Du holtest auch

    nicht Atem, Du warst tot.

    Ich erwachte. Es schien noch sehr frh zu sein.

    Meine Uhr stand. Ich war wie zerschlagen, durstig

    und hungrig auch noch; ich hatte seit dem vorigen

    Morgen nichts gegessen. Ich stie von mir mit Unwil-

    len und berdru dieses Gold, an dem ich kurz vor-

    her mein trichtes Herz gesttiget; nun wut ich ver-

    drielich nicht, was ich damit anfangen sollte. Es

    durfte nicht so liegen bleiben - ich versuchte, ob es

    der Beutel wieder verschlingen wollte - Nein. Keines

    meiner Fenster ffnete sich ber die See. Ich mute mich

    bequemen, es mhsam und mit sauerm Schwei

    zu einem groen Schrank, der in einem Kabinet stand,

    zu schleppen, und es darin zu verpacken. Ich lie nur

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    einige Handvoll da liegen. Nachdem ich mit der Ar-

    beit fertig geworden, legt ich mich erschpft in einen

    Lehnstuhl, und erwartete, da sich Leute im Hause zu

    regen anfingen. Ich lie, sobald es mglich war, zu

    essen bringen und den Wirt zu mir kommen.

    Ich besprach mit diesem Manne die knftige Ein-

    richtung meines Hauses. Er empfahl mir fr den nhe-

    ren Dienst um meine Person einen gewissen Bendel,

    dessen treue und verstndige Physiognomie mich

    gleich gewann. Derselbe war's, dessen Anhnglichkeit

    mich seither trstend durch das Elend des Lebens be-

    gleitete und mir mein dstres Los ertragen half. Ich

    brachte den ganzen Tag auf meinen Zimmern mit her-

    renlosen Knechten, Schustern, Schneidern und Kauf-

    leuten zu, ich richtete mich ein, und kaufte besonders

    sehr viele Kostbarkeiten und Edelsteine, um nur etwas

    des vielen aufgespeicherten Goldes los zu werden; es

    schien mir aber gar nicht, als knne der Haufen sich

    vermindern.

    Ich schwebte indes ber meinen Zustand in den

    ngstigendsten Zweifeln. Ich wagte keinen Schritt aus

    meiner Tr und lie abends vierzig Wachskerzen in

    meinem Saal anznden, bevor ich aus dem Dunkel

    heraus kam. Ich gedachte mit Grauen des frchterlichen

    Auftrittes mit den Schulknaben. Ich be-

    schlo, so viel Mut ich auch dazu bedurfte, die ffent-

    liche Meinung noch einmal zu prfen. - Die Nchte

    waren zu der Zeit mondhell. Abends spt warf ich

    einen weiten Mantel um, drckte mir den Hut tief in

    die Augen, und schlich, zitternd wie ein Verbrecher,

    aus dem Hause. Erst auf einem entlegenen Platz trat

    ich aus dem Schatten der Huser, in deren Schutz ich

    so weit gekommen war, an das Mondeslicht hervor;

    gefat, mein Schicksal aus dem Munde der Vorber-

    gehenden zu vernehmen.

    Erspare mir, lieber Freund, die schmerzliche Wie-

    derholung alles dessen, was ich erdulden mute. Die

    Frauen bezeugten oft das tiefste Mitleid, das ich ihnen

    einflte; uerungen die mir die Seele nicht minder

    durchbohrten, als der Hohn der Jugend und die hoch-

    mtige Verachtung der Mnner, besonders solcher

    dicken, wohlbeleibten, die selbst einen breiten Schat-

    ten warfen. Ein schnes, holdes Mdchen, die, wie es

    schien, ihre Eltern begleitete, indem diese bedchtig

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    nur vor ihre Fe sahen, wandte von ungefhr ihr

    leuchtendes Auge auf mich; sie erschrak sichtbarlich,

    da sie meine Schattenlosigkeit bemerkte, verhllte ihr

    schnes Antlitz in ihren Schleier, lie den Kopf sin-

    ken, und ging lautlos vorber.

    Ich ertrug es lnger nicht. Salzige Strme brachen

    aus meinen Augen, und mit durchschnittenem Herzen

    zog ich mich schwankend ins Dunkel zurck. Ich

    mute mich an den Husern halten, um meine Schritte

    zu sichern, und erreichte langsam und spt meine

    Wohnung.

    Ich brachte die Nacht schlaflos zu. Am andern

    Tage war meine erste Sorge, nach dem Manne im

    grauen Rocke berall suchen zu lassen. Vielleicht

    sollte es mir gelingen, ihn wieder zu finden, und wie

    glcklich! wenn ihn, wie mich, der trichte Handel

    gereuen sollte. Ich lie Bendel vor mich kommen, er

    schien Gewandtheit und Geschick zu besitzen - ich

    schilderte ihm genau den Mann, in dessen Besitz ein

    Schatz sich befand, ohne den mir das Leben nur eine

    Qual sei. Ich sagte ihm die Zeit, den Ort, wo ich ihn

    gesehen; beschrieb ihm alle, die zugegen gewesen,

    und fgte dieses Zeichen noch hinzu: er solle sich

    nach einem Dollondschen Fernrohr, nach einem gold-

    durchwirkten trkischen Teppich, nach einem Pracht-

    lustzelt, und endlich nach den schwarzen Reitheng-

    sten genau erkundigen, deren Geschichte, ohne zu be-

    stimmen wie, mit der des rtselhaften Mannes zusam-

    menhinge, welcher allen unbedeutend geschienen, und

    dessen Erscheinung die Ruhe und das Glck meines

    Lebens zerstrt hatte.

    Wie ich ausgeredet, holt ich Gold her, eine Last,

    wie ich sie nur zu tragen vermochte, und legte Edel-

    steine und Juwelen noch hinzu fr einen grern Wert.

    Bendel, sprach ich, dieses ebnet viele Wege

    und macht vieles leicht, was unmglich schien; sei

    nicht karg damit, wie ich es nicht bin, sondern geh,

    und erfreue deinen Herrn mit Nachrichten, auf denen

    seine alleinige Hoffnung beruht.

    Er ging. Spt kam er und traurig zurck. Keiner

    von den Leuten des Herrn John, keiner von seinen

    Gsten, er hatte alle gesprochen, wute sich nur ent-

    fernt an den Mann im grauen Rocke zu erinnern Der

    neue Teleskop war da, und keiner wute, wo er herge-

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    kommen, der Teppich, das Zelt waren da noch auf

    demselben Hgel ausgebreitet und aufgeschlagen, die

    Knechte rhmten den Reichtum ihres Herrn, und kei-

    ner wute, von wannen diese neuen Kostbarkeiten

    ihm zugekommen. Er selbst hatte sein Wohlgefallen

    daran, und ihn kmmerte es nicht, da er nicht wisse,

    woher er sie habe; die Pferde hatten die jungen Her-

    ren, die sie geritten, in ihren Stllen, und sie priesen

    die Freigebigkeit des Herrn John, der sie ihnen an

    jenem Tage geschenkt. So viel erhellte aus der aus-

    fhrlichen Erzhlung Bendels, dessen rascher Eifer

    und verstndige Fhrung, auch bei so fruchtlosem Er-

    folge, mein verdientes Lob erhielten. Ich winkte ihm

    dster, mich allein zu lassen.

    Ich habe, hub er wieder an, meinem Herrn Be-

    richt abgestattet ber die Angelegenheit, die ihm am

    wichtigsten war. Mir bleibt noch ein Auftrag

    auszurichten, den mir heute frh jemand gegeben,

    welchem ich vor der Tr begegnete, da ich zu dem

    Geschfte ausging, wo ich so unglcklich gewesen.

    Die eigenen Worte des Mannes waren: Sagen Sie

    dem Herrn Peter Schlemihl, er wrde mich hier nicht

    mehr sehen, da ich bers Meer gehe, und ein gnsti-

    ger Wind mich so eben nach dem Hafen ruft. Aber

    ber Jahr und Tag werde ich die Ehre haben, ihn sel-

    ber aufzusuchen und ein anderes, ihm dann vielleicht

    annehmliches Geschft vorzuschlagen. Empfehlen Sie

    mich ihm untertnigst, und versichern ihn meines

    Dankes. Ich frug ihn, wer er wre, er sagte aber, Sie

    kennten ihn schon.

    Wie sah der Mann aus? rief ich voller Ahnung.

    Und Bendel beschrieb mir den Mann im grauen

    Rocke Zug fr Zug, Wort fr Wort, wie er getreu in

    seiner vorigen Erzhlung des Mannes erwhnt, nach

    dem er sich erkundigt.-

    Unglcklicher! schrie ich hnderingend, das

    war er ja selbst! und ihm fiel es wie Schuppen von

    den Augen. - Ja, er war es, war es wirklich! rief er

    erschreckt aus, und ich Verblendeter, Bldsinniger

    habe ihn nicht erkannt, ihn nicht erkannt und meinen

    Herrn verraten!

    Er brach, hei weinend, in die bittersten Vorwrfe

    gegen sich selber aus, und die Verzweiflung, in der er

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    war, mute mir selber Mitleiden einflen. Ich

    sprachihm Trost ein, versicherte ihn wiederholt, ich

    setzte

    keinen Zweifel in seine Treue, und schickte ihn als-

    bald nach dem Hafen, um, wo mglich, die Spuren

    des seltsamen Mannes zu verfolgen. Aber an diesem

    selben Morgen waren sehr viele Schiffe, die widrige

    Winde im Hafen zurckgehalten, ausgelaufen, alle

    nach anderen Weltstrichen, alle nach anderen Ksten

    bestimmt, und der graue Mann war spurlos wie ein

    Schatten verschwunden.

    III

    Was hlfen Flgel dem in eisernen Ketten fest An-

    geschmiedeten? Er mte dennoch, und schrecklicher,

    verzweifeln. Ich lag, wie Faffner bei seinem Hort, fern

    von jedem menschlichen Zuspruch, bei meinem Golde

    darbend, aber ich hatte nicht das Herz nach ihm, son-

    dern ich fluchte ihm, um dessentwillen ich mich von

    allem Leben abgeschnitten sah. Bei mir allein mein

    dstres Geheimnis hegend, frchtete ich mich vor dem

    letzten meiner Knechte, den ich zugleich beneiden

    mute; denn er hatte einen Schatten, er durfte sich

    sehen lassen in der Sonne. Ich vertrauerte einsam in

    meinen Zimmern die Tag' und Nchte, und Gram

    zehrte an meinem Herzen.

    Noch einer hrmte sich unter meinen Augen ab, mein

    treuer Bendel hrte nicht auf, sich mit stillen

    Vorwrfen zu martern, da er das Zutrauen seines g-

    tigen Herrn betrogen, und jenen nicht erkannt, nach

    dem er ausgeschickt war, und mit dem er mein trauri-

    ges Schicksal in enger Verflechtung denken mute.

    Ich aber konnte ihm keine Schuld geben, ich erkannte

    in dem Ereignis die fabelhafte Natur des Unbekann-

    ten.

    Nichts unversucht zu lassen, schickt ich einst Ben-

    del mit einem kostbaren brillantenen Ring zu dem be-

    rhmtesten Maler der Stadt, den ich, mich zu besu-

    chen, einladen lie. Er kam, ich entfernte meine

    Leute, verschlo die Tr, setzte mich zu dem Mann,

    und, nachdem ich seine Kunst gepriesen, kam ich mit

    schwerem Herzen zur Sache, ich lie ihn zuvor das

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    strengste Geheimnis geloben.

    Herr Professor, fuhr ich fort, knnten Sie wohl

    einem Menschen, der auf die unglcklichste Weise

    von der Welt um seinen Schatten gekommen ist, einen

    falschen Schatten malen? -- Sie meinen einen

    Schlagschatten? - den mein ich allerdings. -

    Aber, frug er mich weiter, durch welche Unge-

    schicklichkeit, durch welche Nachlssigkeit konnte er

    denn seinen Schlagschatten verlieren? - Wie es

    kam, erwiderte ich, mag nun sehr gleichgltig sein,

    doch so viel, log ich ihm unverschmt vor: In Ru-

    land, wo er im vorigen Winter eine Reise tat, fror

    ihmeinmal, bei einer auerordentlichen Klte, sein

    Schat-

    ten dergestalt am Boden fest, da er ihn nicht wieder

    los bekommen konnte.

    Der falsche Schlagschatten, den ich ihm malen

    knnte, erwiderte der Professor, wrde doch nur ein

    solcher sein, den er bei der leisesten Bewegung wie-

    der verlieren mte - zumal wer an dem eignen ange-

    bornen Schatten so wenig fest hing, als aus Ihrer Er-

    zhlung selbst sich abnehmen lt; wer keinen Schat-

    ten hat, gehe nicht in die Sonne, das ist das Vernnf-

    tigste und Sicherste. Er stand auf und entfernte sich,

    indem er auf mich einen durchbohrenden Blick warf,

    den der meine nicht ertragen konnte. Ich sank in mei-

    nen Sessel zurck, und verhllte mein Gesicht in

    meine Hnde.

    So fand mich noch Bendel, als er herein trat. Er sah

    den Schmerz seines Herrn, und wollte sich still, ehrer-

    bietig zurckziehen. - Ich blickte auf - ich erlag

    unter der Last meines Kummers, ich mute ihn mittei-

    len. Bendel, rief ich ihm zu, Bendel! Du Einziger,

    der du meine Leiden siehst und ehrst, sie nicht erfor-

    schen zu wollen, sondern still und fromm mitzufhlen

    scheinst, komm zu mir, Bendel, und sei der Nchste

    meinem Herzen. Die Schtze meines Goldes hab ich

    vor dir nicht verschlossen, nicht verschlieen will ich

    vor dir die Schtze meines Grames. - Bendel, verlas-

    se mich nicht. Bendel, du siehst mich reich, freigebig,

    gtig, du whnst, es sollte die Welt mich verherrli-

    chen, und du siehst mich die Welt fliehn und mich vor

    ihr verschlieen. Bendel, sie hat gerichtet, die Welt,

    und mich verstoen, und auch du vielleicht wirst dich

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    von mir wenden, wenn du mein schreckliches Ge-

    heimnis erfhrst: Bendel, ich bin reich, freigebig,

    gtig, aber - o Gott! - ich habe keinen Schatten! -

    Keinen Schatten? rief der gute Junge erschreckt

    aus, und die hellen Trnen strzten ihm aus den

    Augen. - Weh mir, da ich geboren ward, einem

    schattenlosen Herrn zu dienen! Er schwieg, und ich

    hielt mein Gesicht in meinen Hnden.-

    Bendel, setzt ich spt und zitternd hinzu, nun

    hast du mein Vertrauen, nun kannst du es verraten.

    Geh hin und zeuge wider mich. - Er schien in

    schwerem Kampfe mit sich selber, endlich strzte er

    vor mir nieder und ergriff meine Hand, die er mit sei-

    nen Trnen benetzte. Nein, rief er aus, was die

    Welt auch meine, ich kann und werde um Schattens

    willen meinen gtigen Herrn nicht verlassen, ich

    werde recht, und nicht klug handeln, ich werde bei

    Ihnen bleiben, Ihnen meinen Schatten borgen, Ihnen

    helfen, wo ich kann, und wo ich nicht kann, mit Ihnen

    weinen. Ich fiel ihm um den Hals, ob solcher unge-

    wohnten Gesinnung staunend; denn ich war von ihm

    berzeugt, da er es nicht um Gold tat.

    Seitdem nderten sich in etwas mein Schicksal und

    meine Lebensweise. Es ist unbeschreiblich, wie vor-

    sorglich Bendel mein Gebrechen zu verhehlen wute.

    berall war er vor mir und mit mir, alles vorherse-

    hend, Anstalten treffend, und wo Gefahr unversehens

    drohte, mich schnell mit seinem Schatten ber-

    deckend, denn er war grer und strker als ich. So

    wagt ich mich wieder unter die Menschen, und be-

    gann eine Rolle in der Welt zu spielen. Ich mute

    freilich viele Eigenheiten und Launen scheinbar an-

    nehmen. Solche stehen aber dem Reichen gut, und so

    lange die Wahrheit nur verborgen blieb, geno ich

    aller der Ehre und Achtung, die meinem Golde

    zukam. Ich sah ruhiger dem ber Jahr und Tag verhei-

    enen Besuch des rtselhaften Unbekannten entgegen.

    Ich fhlte sehr wohl, da ich mich nicht lange an

    einem Ort aufhalten durfte, wo man mich schon ohne

    Schatten gesehen, und wo ich leicht verraten werden

    konnte; auch dacht ich vielleicht nur allein noch

    daran, wie ich mich bei Herrn John gezeigt, und es

    war mir eine drckende Erinnerung, demnach wollt

    ich hier blo Probe halten, um anderswo leichter und

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    zuversichtlicher auftreten zu knnen - doch fand sich,

    was mich eine Zeitlang an meiner Eitelkeit festhielt:

    das ist im Menschen, wo der Anker am zuverlssig-

    sten Grund fat.

    Eben die schne Fanny, der ich am dritten Ort wie-

    der begegnete, schenkte mir, ohne sich zu erinnern, mich

    jemals gesehen zu haben, einige Aufmerksam-

    keit, denn jetzt hatt ich Witz und Verstand. - Wenn

    ich redete, hrte man zu, und ich wute selber nicht,

    wie ich zu der Kunst gekommen war, das Gesprch so

    leicht zu fhren und zu beherrschen. Der Eindruck,

    den ich auf die Schne gemacht zu haben einsah,

    machte aus mir, was sie eben begehrte, einen Narren,

    und ich folgte ihr seither mit tausend Mhen durch

    Schatten und Dmmerung, wo ich nur konnte. Ich war

    nur eitel darauf, sie ber mich eitel zu machen, und

    konnte mir, selbst mit dem besten Willen, nicht den

    Rausch aus dem Kopf ins Herz zwingen.

    Aber wozu die ganz gemeine Geschichte Dir lang

    und breit wiederholen? - Du selber hast sie mir oft

    genug von andern Ehrenleuten erzhlt. - Zu dem

    alten, wohlbekannten Spiele, worin ich gutmtig eine

    abgedroschene Rolle bernommen, kam freilich eine

    ganz eigens gedichtete Katastrophe hinzu, mir und ihr

    und allen unerwartet.

    Da ich an einem schnen Abend nach meiner Ge-

    wohnheit eine Gesellschaft in einem Garten versam-

    melt hatte, wandelte ich mit der Herrin Arm in Arm,

    in einiger Entfernung von den brigen Gsten, und

    bemhte mich, ihr Redensarten vorzudrechseln. Sie

    sah sittig vor sich nieder und erwiderte leise den

    Druck meiner Hand; da trat unversehens hinter uns

    der Mond aus den Wolken hervor - und sie sah nur ihren

    Schatten vor sich hinfallen. Sie fuhr zusammen

    und blickte bestrzt mich an, dann wieder auf die

    Erde, mit dem Auge meinen Schatten begehrend; und

    was in ihr vorging, malte sich so sonderbar in ihren

    Mienen, da ich in ein lautes Gelchter htte ausbre-

    chen mgen, wenn es mir nicht selber eiskalt ber den

    Rcken gelaufen wre.

    Ich lie sie aus meinem Arm in eine Ohnmacht sin-

    ken, scho wie ein Pfeil durch die entsetzten Gste,

    erreichte die Tr, warf mich in den ersten Wagen, den

    ich da haltend fand, und fuhr nach der Stadt zurck,

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    wo ich diesmal zu meinem Unheil den vorsichtigen

    Bendel gelassen hatte. Er erschrak, als er mich sah,

    einWort entdeckte ihm alles. Es wurden auf der Stel-

    le Postpferde geholt. Ich nahm nur einen meiner Leute

    mit mir, einen abgefeimten Spitzbuben, namens Ra-

    scal, der sich mir durch seine Gewandtheit notwendig

    zu machen gewut, und der nichts vom heutigen Vor-

    fall ahnen konnte. Ich legte in derselben Nacht noch

    dreiig Meilen zurck. Bendel blieb hinter mir, mein

    Haus aufzulsen, Gold zu spenden und mir das N-

    tigste nachzubringen. Als er mich am andern Tage

    einholte, warf ich mich in seine Arme, und schwur

    ihm, nicht etwa keine Torheit mehr zu begehen, son-

    dern nur knftig vorsichtiger zu sein. Wir setzten

    unsre Reise ununterbrochen fort, ber die Grenze und

    das Gebirg, und erst am andern Abhang, durch das hohe

    Bollwerk von jenem Unglcksboden getrennt,

    lie ich mich bewegen, in einem nah gelegenen und

    wenig besuchten Badeort von den berstandenen

    Mhseligkeiten auszurasten.

    IV

    Ich werde in meiner Erzhlung schnell ber eine

    Zeit hineilen mssen, bei der ich wie gerne! verweilen

    wrde, wenn ich ihren lebendigen Geist in der Erinne-

    rung herauf zu beschwren vermchte. Aber die

    Farbe, die sie belebte, und nur wieder beleben kann,

    ist in mir verloschen, und wenn ich in meiner Brust

    wieder finden will was sie damals so mchtig erhob,

    die Schmerzen und das Glck, den frommen Wahn, -

    da schlag ich vergebens an einen Felsen, der keinen

    lebendigen Quell mehr gewhrt, und der Gott ist von

    mir gewichen. Wie verndert blickt sie mich jetzt an,

    diese vergangene Zeit! - Ich sollte dort in dem Bade

    eine heroische Rolle tragieren, schlecht einstudiert,

    und ein Neuling auf der Bhne, vergaff ich mich aus

    dem Stcke heraus in ein Paar blaue Augen. Die El-

    tern, vom Spiele getuscht, bieten alles auf, den Han-

    del nur schnell fest zu machen, und die gemeine Posse

    beschliet eine Verhhnung. Und das ist alles, alles!

    - Das kommt mir albern und abgeschmackt vor, und

    schrecklich wiederum, da so mir vorkommen kann,

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

    23/64

    was damals so reich, so gro, die Brust mir schwellte.

    Mina, wie ich damals weinte, als ich dich verlor, so

    wein ich jetzt, dich auch in mir verloren zu haben.

    Bin ich denn so alt worden? - O traurige Vernunft!

    Nur noch ein Pulsschlag jener Zeit, ein Moment jenes

    Wahnes, - aber nein! einsam auf dem hohen, den

    Meere deiner bittern Flut, und lngst aus dem letzten

    Pokale der Champagner Elfe entsprht!

    Ich hatte Bendel mit einigen Goldscken voraus ge-

    schickt, um mir im Stdtchen eine Wohnung nach

    meinen Bedrfnissen einzurichten. Er hatte dort viel

    Geld ausgestreut, und sich ber den vornehmen Frem-

    den, dem er diente, etwas unbestimmt ausgedrckt,

    denn ich wollte nicht genannt sein, das brachte die

    guten Leute auf sonderbare Gedanken. Sobald mein

    Haus zu meinem Empfang bereit war, kam Bendel

    wieder zu mir und holte mich dahin ab. Wir machten

    uns auf die Reise.

    Ungefhr eine Stunde vom Orte, auf einem sonni-

    gen Plan, ward uns der Weg durch eine festlich ge-

    schmckte Menge versperrt. Der Wagen hielt. Musik,

    Glockengelute, Kanonenschsse wurden gehrt, ein

    lautes Vivat durchdrang die Luft - vor dem Schlage

    des Wagens erschien in weien Kleidern ein Chor

    Jungfrauen von ausnehmender Schnheit, die aber vor

    der Einen, wie die Sterne der Nacht vor der Sonne,

    verschwanden. Sie trat aus der Mitte der Schwestern

    hervor; die hohe zarte Bildung kniete verschmt err-

    tend vor mir nieder, und hielt mir auf seidenem Kis-

    sen einen aus Lorbeer, lzweigen und Rosen gefloch-

    tenen Kranz entgegen, indem sie von Majestt, Ehr-

    furcht und Liebe einige Worte sprach, die ich nicht

    verstand, aber deren zauberischer Silberklang mein

    Ohr und Herz berauschte, - es war mir, als wre

    schon einmal die himmlische Erscheinung an mir vor-

    ber gewallt. Der Chor fiel ein und sang das Lob

    eines guten Knigs und das Glck seines Volkes.

    Und dieser Auftritt, lieber Freund, mitten in der

    Sonne! - Sie kniete noch immer zwei Schritte von

    mir, und ich, ohne Schatten, konnte die Kluft nicht

    berspringen, nicht wieder vor dem Engel auf die

    Kniee fallen. Oh, was htt ich nicht da fr einen

    Schatten gegeben! Ich mute meine Scham, meine

    Angst, meine Verzweiflung tief in den Grund meines

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

    24/64

    Wagens verbergen. Bendel besann sich endlich fr

    mich, er sprang von der andern Seite aus dem Wagen

    heraus, ich rief ihn noch zurck und reichte ihm aus

    meinem Kstchen, das mir eben zur Hand lag, eine

    reiche diamantene Krone, die die schne Fanny hatte

    zieren sollen. Er trat vor, und sprach im Namen seines

    Herrn, welcher solche Ehrenbezeugungen nicht an-

    nehmen knne noch wolle; es msse hier ein Irrtum

    vorwalten; jedoch seien die guten Einwohner der Stadt

    fr ihren guten Willen bedankt. Er nahm indes

    den dargehaltenen Kranz von seinem Ort und legte

    den brillantenen Reif an dessen Stelle; dann reichte er

    ehrerbietig der schnen Jungfrau die Hand zum Auf-

    stehen, entfernte mit einem Wink Geistlichkeit,

    Magistratus und alle Deputationen. Niemand ward

    weiter vorgelassen. Er hie den Haufen sich teilen

    und den Pferden Raum geben, schwang sich wieder in

    den Wagen, und fort ging's weiter in gestrecktem Ga-

    lopp, unter einer aus Laubwerk und Blumen erbauten

    Pforte hinweg, dem Stdtchen zu. - Die Kanonen

    wurden immer frischweg abgefeuert. - Der Wagen

    hielt vor meinem Hause; ich sprang behend in die

    Tr, die Menge teilend, die die Begierde, mich zu

    sehen, herbeigerufen hatte. Der Pbel schrie Vivat

    unter meinem Fenster, und ich lie doppelte Dukaten

    daraus regnen. Am Abend war die Stadt freiwillig er-

    leuchtet.-

    Und ich wute immer noch nicht, was das alles be-

    deuten sollte und fr wen ich angesehen wurde. Ich

    schickte Rascaln auf Kundschaft aus. Er lie sich

    denn erzhlen, wasmaen man bereits sichere Nach-

    richten gehabt, der gute Knig von Preuen reise

    unter dem Namen eines Grafen durch das Land; wie

    mein Adjutant erkannt worden sei, und wie er sich

    und mich verraten habe; wie gro endlich die Freude

    gewesen, da man die Gewiheit gehabt mich im Orte

    selbst zu besitzen. Nun sah man freilich ein, da ich

    offenbar das strengste Inkognito beobachten wolle,

    wie sehr man Unrecht gehabt, den Schleier so zu-

    dringlich zu lften. Ich htte aber so huldreich, so

    gnadenvoll gezrnt - ich wrde gewi dem guten

    Herzen verzeihen mssen.

    Meinem Schlingel kam die Sache so spahaft vor,

    da er mit strafenden Reden sein Mglichstes tat, die

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

    25/64

    guten Leute einstweilen in ihrem Glauben zu bestr-

    ken. Er stattete mir einen sehr komischen Bericht ab,

    und da er mich dadurch erheitert sah, gab er mir selbst

    seine verbte Bosheit zum besten. - Mu ich's beken-

    nen? Es schmeichelte mir doch, sei es auch nur so, fr

    das verehrte Haupt angesehen worden zu sein.

    Ich hie zu dem morgenden Abend unter den Bu-

    men, die den Raum vor meinem Hause beschatteten,

    ein Fest bereiten und die ganze Stadt dazu einladen.

    Der geheimnisreichen Kraft meines Sckels, Bendels

    Bemhungen und der behenden Erfindsamkeit Ra-

    scals gelang es, selbst die Zeit zu besiegen. Es ist

    wirklich erstaunlich, wie reich und schn sich alles in

    den wenigen Stunden anordnete. Die Pracht und der

    berflu, die da sich erzeugten; auch die sinnreiche

    Erleuchtung war so weise verteilt, da ich mich ganz

    sicher fhlte. Es blieb mir nichts zu erinnern, ich

    mute meine Diener loben.

    Es dunkelte der Abend. Die Gste erschienen und

    wurden mir vorgestellt. Es ward die Majestt nicht

    mehr berhrt; aber ich hie in tiefer Ehrfurcht und

    Demut: Herr Graf. Was sollt ich tun? Ich lie mir den

    Grafen gefallen, und blieb von Stund an der Graf

    Peter. Mitten im festlichen Gewhle begehrte meine

    Seele nur nach der Einen. Spt erschien sie, sie, die

    die Krone war und trug. Sie folgte sittsam ihren El-

    tern, und schien nicht zu wissen, da sie die Schnste

    sei. Es wurden mir der Herr Forstmeister, seine Frau

    und seine Tochter vorgestellt. Ich wute den Alten

    viel Angenehmes und Verbindliches zu sagen; vor der

    Tochter stand ich wie ein ausgescholtener Knabe da,

    und vermochte kein Wort hervor zu lallen. Ich bat sie

    endlich stammelnd, dies Fest zu wrdigen, das Amt,

    dessen Zeichen sie schmckte, darin zu verwalten. Sie

    bat verschmt mit einem rhrenden Blick um Scho-

    nung; aber verschmter vor ihr, als sie selbst, brachte

    ich ihr als erster Untertan meine Huldigung in tiefer

    Ehrfurcht, und der Wink des Grafen ward allen G-

    sten ein Gebot, dem nachzuleben sich jeder freudig

    beeiferte. Majestt, Unschuld und Grazie beherrsch-

    ten, mit der Schnheit im Bunde, ein frohes Fest. Die

    glcklichen Eltern Minas glaubten ihnen nur zu Ehren

    ihr Kind erhht; ich selber war in einem unbeschreib-

    lichen Rausch. Ich lie alles, was ich noch von den

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    Juwelen hatte, die ich damals, um beschwerliches

    Gold los zu werden, gekauft, alle Perlen, alles

    Edelgestein in zwei verdeckte Schsseln legen und

    bei Tische, unter dem Namen der Knigin, ihren Ge-

    spielinnen und allen Damen herumreichen; Gold ward

    indessen ununterbrochen ber die gezogenen Schran-

    ken unter das jubelnde Volk geworfen.

    Bendel am andern Morgen erffnete mir im Ver-

    trauen, der Verdacht, den er lngst gegen Rascals

    Redlichkeit gehegt, sei nunmehr zur Gewiheit wor-

    den. Er habe gestern ganze Scke Goldes unterschla-

    gen. La uns, erwidert ich, dem armen Schelmen

    die kleine Beute gnnen; ich spende gern allen,

    warum nicht auch ihm? Gestern hat er mir, haben mir

    alle neuen Leute, die du mir gegeben, redlich gedient,

    sie haben mir froh ein frohes Fest begehen helfen.

    Es war nicht weiter die Rede davon. Rascal blieb

    der erste meiner Dienerschaft, Bendel war aber mein

    Freund und mein Vertrauter. Dieser war gewohnt

    worden, meinen Reichtum als unerschpflich zu den-

    ken, und er sphte nicht nach dessen Quellen; er half

    mir vielmehr, in meinen Sinn eingehend, Gelegenhei-

    ten ersinnen, ihn darzutun und Gold zu vergeuden.

    Von jenem Unbekannten, dem blassen Schleicher,

    wut er nur so viel: Ich drfe allein durch ihn von

    dem Fluche erlst werden, der auf mir laste, und

    frchte ihn, auf dem meine einzige Hoffnung ruhe.

    brigens sei ich davon berzeugt, er knne mich

    berall auffinden, ich ihn nirgends, darum ich, den

    versprochenen Tag erwartend, jede vergebliche Nach-

    suchung eingestellt.

    Die Pracht meines Festes und mein Benehmen

    dabei erhielten anfangs die starkglubigen Einwohner

    der Stadt bei ihrer vorgefaten Meinung. Es ergab

    sich freilich sehr bald aus den Zeitungen, da die

    ganze fabelhafte Reise des Knigs von Preuen ein

    bloes ungegrndetes Gercht gewesen. Ein Knig

    war ich aber nun einmal, und mute schlechterdings

    ein Knig bleiben, und zwar einer der reichsten und

    kniglichsten, die es immer geben mag. Nur wute

    man nicht recht, welcher. Die Welt hat nie Grund ge-

    habt, ber Mangel an Monarchen zu klagen, am we-

    nigsten in unsern Tagen; die guten Leute, die noch

    keinen mit Augen gesehen, rieten mit gleichem Glck

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    bald auf diesen, bald auf jenen - Graf Peter blieb

    immer, der er war.-

    Einst erschien unter den Badegsten ein Handels-

    mann, der Bankerot gemacht hatte, um sich zu berei-

    chern, der allgemeiner Achtung geno und einen brei-

    ten, obgleich etwas blassen Schatten von sich warf. Er

    wollte hier das Vermgen, das er gesammelt, zum

    Prunk ausstellen, und es fiel sogar ihm ein, mit mir

    wetteifern zu wollen. Ich sprach meinem Sckel zu,

    und hatte sehr bald den armen Teufel so weit, da er,

    um sein Ansehen zu retten, abermals Bankerot ma-

    chen mute und ber das Gebirge ziehen. So ward ichihn

    los. - Ich habe in dieser Gegend viele Taugenicht-

    se und Miggnger gemacht!

    Bei der kniglichen Pracht und Verschwendung,

    womit ich mir alles unterwarf, lebt ich in meinem

    Hause sehr einfach und eingezogen. Ich hatte mir die

    grte Vorsicht zur Regel gemacht, es durfte, unter

    keinem Vorwand, kein anderer, als Bendel, die Zim-

    mer, die ich bewohnte, betreten. So lange die Sonne

    schien, hielt ich mich mit ihm darin verschlossen, und

    es hie: der Graf arbeite in seinem Kabinet. Mit die-

    sen Arbeiten standen die hufigen Kuriere in Verbin-

    dung, die ich um jede Kleinigkeit abschickte und er-

    hielt. - Ich nahm nur am Abend unter meinen Bu-

    men, oder in meinem nach Bendels Angabe geschickt

    und reich erleuchteten Saale Gesellschaft an. Wenn

    ich ausging wobei mich stets Bendel mit Argusaugen

    bewachen mute, so war es nur nach dem Frstergar-

    ten, und um der Einen willen; denn meines Lebens in-

    nerlichstes Herz war meine Liebe.

    O mein guter Chamisso, ich will hoffen, Du habest

    noch nicht vergessen, was Liebe sei! Ich lasse Dir

    hier vieles zu ergnzen. Mina war wirklich ein liebe-

    wertes, gutes, frommes Kind. Ich hatte ihre ganze

    Phantasie an mich gefesselt, sie wute in ihrer Demut

    nicht, womit sie wert gewesen, da ich nur nach ihr

    geblickt; und sie vergalt Liebe um Liebe mit der vol-

    len jugendlichen Kraft eines unschuldigen Herzens. Sie

    liebte wie ein Weib, ganz hin sich opfernd; selbst-

    vergessen, hingegeben den nur meinend, der ihr

    Leben war, unbekmmert, solle sie selbst zu Grunde

    gehen, das heit, sie liebte wirklich.-

    Ich aber - o welche schreckliche Stunden- schreck-

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    lich! und wrdig dennoch, da ich sie

    zurckwnsche - hab ich oft an Bendels Brust ver-

    weint, als nach dem ersten bewutlosen Rausch ich

    mich besonnen, mich selbst scharf angeschaut, der

    ich, ohne Schatten, mit tckischer Selbstsucht diesen

    Engel verderbend, die reine Seele an mich gelogen

    und gestohlen! Dann beschlo ich, mich ihr selber zu

    verraten; dann gelobt ich mit teuren Eidschwren,

    mich von ihr zu reien und zu entfliehen; dann brach

    ich wieder in Trnen aus und verabredete mit

    Bendeln, wie ich sie auf den Abend im Frstergarten

    besuchen wolle.-

    Zu andern Zeiten log ich mir selber vom nahe be-

    vorstehenden Besuch des grauen Unbekannten groe

    Hoffnungen vor, und weinte wieder, wenn ich daran

    zu glauben vergebens versucht hatte. Ich hatte den

    Tag ausgerechnet, wo ich den Furchtbaren wieder zu

    sehen erwartete; denn er hatte gesagt, in Jahr und Tag,

    und ich glaubte an sein Wort.

    Die Eltern waren gute, ehrbare, alte Leute, die ihr

    einziges Kind sehr liebten, das ganze Verhltnis ber-

    raschte sie, als es schon bestand, und sie wuten nicht,

    was sie dabei tun sollten. Sie hatten frher nicht

    getrumt, der Graf Peter knne nur an ihr Kind den-

    ken, nun liebte er sie gar und ward wieder geliebt. -

    Die Mutter war wohl eitel genug, an die Mglichkeit

    einer Verbindung zu denken, und darauf hinzuarbei-

    ten; der gesunde Menschenverstand des Alten gab sol-

    chen berspannten Vorstellungen nicht Raum. Beide

    waren berzeugt von der Reinheit meiner Liebe - sie

    konnten nichts tun, als fr ihr Kind beten.

    Es fllt mir ein Brief in die Hand, den ich noch aus

    dieser Zeit von Mina habe.- Ja, das sind ihre Zge!

    Ich will Dir ihn abschreiben.

    Bin ein schwaches, trichtes Mdchen, knnte mir

    einbilden, da mein Geliebter, weil ich ihn innig,

    innig liebe, dem armen Mdchen nicht weh tun mch-

    te. - Ach, Du bist so gut, so unaussprechlich gut;

    aber mideute mich nicht. Du sollst mir nichts opfern,

    mir nichts opfern wollen; o Gott! ich knnte mich

    hassen, wenn Du das ttest. Nein - Du hast mich un-

    endlich glcklich gemacht, Du hast mich Dich lieben

    gelehrt. Zeuch hin! - Wei doch mein Schicksal, Graf

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    Peter gehrt nicht mir, gehrt der Welt an. Will stolz

    sein, wenn ich hre: das ist er gewesen, und das war

    er wieder, und das hat er vollbracht; da haben sie ihn

    angebetet, und da haben sie ihn vergttert Siehe,

    wenn ich das denke, zrne ich Dir, da Du bei einem

    einfltigen Kinde Deiner hohen Schicksale vergessen

    kannst. - Zeuch hin sonst macht der Gedanke mich

    noch unglcklich, die ich, ach! durch Dich so glck-

    lich, so selig bin. - Hab ich nicht auch einen lzweig

    und eine Rosenknospe in Dein Leben geflochten, wie

    in den Kranz den ich Dir berreichen durfte? Habe

    Dich im Herzen, mein Geliebter, furchte nicht, von

    mir zu gehen - werde sterben, ach, so selig, so unaus-

    sprechlich selig durch Dich. -

    Du kannst Dir denken, wie mir die Worte durchs

    Herz schneiden muten. Ich erklrte ihr, ich sei nicht

    das, wofr man mich anzusehen schien; ich sei nur

    ein reicher, aber unendlich elender Mann. Auf mir

    ruhe ein Fluch, der das einzige Geheimnis zwischen

    ihr und mir sein solle, weil ich noch nicht ohne Hoff-

    nung sei, da er gelst werde. Dies sei das Gift mei-

    ner Tage: da ich sie mit in den Abgrund hinreien

    knne, sie, die das einzige Licht, das einzige Glck,

    das einzige Herz meines Lebens sei. Dann weinte sie

    wieder, da ich unglcklich war. Ach, sie war so lie-

    bevoll, so gut! Um eineTrne nur mir zu erkaufen,

    htte sie, mit welcher Seligkeit, sich selbst ganz hin-

    geopfert.

    Sie war indes weit entfernt, meine Worte richtig zu

    deuten, sie ahnete nun in mir irgend einen Frsten,

    den ein schwerer Bann getroffen, Irgend ein hohes,

    gechtetes Haupt, und ihre Einbildungskraft malte

    sich geschftig unter heroischen Bildern den Geliebten

    herrlich aus.

    Einst sagte ich ihr: Mina, der letzte Tag im knfti-

    gen Monat kann mein Schicksal andern und entschei-

    den - geschieht es nicht, so mu ich sterben, weil ich

    dich nicht unglcklich machen will. - Sie verbarg

    weinend ihr Haupt an meiner Brust. ndert sich dein

    Schicksal, la mich nur dich glcklich wissen, ich

    habe keinen Anspruch an dich. - Bist du elend, binde

    mich an dein Elend, da ich es dir tragen helfe. -

    Mdchen, Mdchen, nimm es zurck, das rasche

    Wort, das trichte, das deinen Lippen entflohen - und

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

    30/64

    kennst du es, dieses Elend, kennst du ihn, diesen

    Fluch? Weit du, wer dein Geliebter -- was er -? -

    Siehst du mich nicht krampfhaft zusammenschaudern,

    und vor dir ein Geheimnis haben? Sie fiel schluch-

    zend mir zu Fen, und wiederholte mit Eidschwur

    ihre Bitte.-

    Ich erklrte mich gegen den hereintretenden Forst-

    meister, meine Absicht sei, am ersten des nchstknf-

    tigen Monats um die Hand seiner Tochter anzuhalten

    - ich setzte diese Zeit fest, weil sich bis dahin man-

    ches ereignen drfte, was Einflu auf mein Schicksal

    haben knnte. Unwandelbar sei nur meine Liebe zu

    seiner Tochter.-

    Der gute Mann erschrak ordentlich, als er solche

    Worte aus dem Munde des Grafen Peter vernahm. Er

    fiel mir um den Hals, und ward wieder ganz verschmt,

    sich vergessen zu haben. Nun fiel es ihm

    ein, zu zweifeln, zu erwgen und zu forschen; er

    sprach von Mitgift, von Sicherheit, von Zukunft fr

    sein liebes Kind. Ich dankte ihm, mich daran zu mah-

    nen. Ich sagte ihm, ich wnsche in dieser Gegend, wo

    ich geliebt zu sein schien, mich anzusiedeln, und ein

    sorgenfreies Leben zu fhren. Ich bat ihn, die schn-

    sten Gter, die im Lande ausgeboten wurden, unter

    dem Namen seiner Tochter zu kaufen, und die Bezah-

    lung auf mich anzuweisen. Es knne darin ein Vater

    dem Liebenden am besten dienen. - Es gab ihm viel

    zu tun, denn berall war ihm ein Fremder zuvorge-

    kommen; er kaufte auch nur fr ungefhr eine Milli-

    on.

    Da ich ihn damit beschftigte, war im Grunde

    eine unschuldige List, um ihn zu entfernen, und ich

    hatte schon hnliche mit ihm gebraucht, denn ich mu

    gestehen, da er etwas lstig war. Die gute Mutter

    war dagegen etwas taub, und nicht, wie er, auf die

    Ehre eiferschtig, den Herrn Grafen zu unterhalten.

    Die Mutter kam hinzu, die glcklichen Leute dran-

    gen in mich, den Abend lnger unter ihnen zu bleiben;

    ich durfte keine Minute weilen: ich sah schon den auf-

    gehenden Mond am Horizonte dmmern. - Meine

    Zeit war um.-

    Am nchsten Abend ging ich wieder nach dem Fr-

    stergarten. Ich hatte den Mantel weit ber die Schulter

    geworfen, den Hut tief in die Augen gedrckt, ich

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

    31/64

    ging auf Mina zu; wie sie aufsah, und mich anblickte,

    machte sie eine unwillkrliche Bewegung; da stand

    mir wieder klar vor der Seele die Erscheinung jener

    schaurigen Nacht, wo ich mich im Mondschein ohne

    Schatten gezeigt. Sie war es wirklich. Hatte sie mich

    aber auch jetzt erkannt? Sie war still und gedanken-

    voll - mir lag es zentnerschwer auf der Brust - ich

    stand von meinem Sitz auf. Sie warf sich stille wei-

    nend an meine Brust. Ich ging.

    Nun fand ich sie fters in Trnen, mir ward's fin-

    ster und finsterer um die Seele - nur die Eltern

    schwammen in berschwenglicher Glckseligkeit; der

    verhngnisvolle Tag rckte heran, bang und dumpf,

    wie eine Gewitterwolke. Der Vorabend war da - ich

    konnte kaum mehr atmen. Ich hatte vorsorglich einige

    Kisten mit Gold angefllt, ich wachte die zwlfte

    Stunde heran. - Sie schlug.-

    Nun sa ich da, das Auge auf die Zeiger der Uhr

    gerichtet, die Sekunden, die Minuten zhlend, wie

    Dolchstiche. Bei jedem Lrm, der sich regte, fuhr ich

    auf, der Tag brach an. Die bleiernen Stunden ver-

    drngten einander, es ward Mittag, Abend, Nacht; es

    rckten die Zeiger, welkte die Hoffnung; es schlug

    eilf, und nichts erschien, die letzten Minuten der letz-

    ten Stunde fielen, und nichts erschien, es schlug der

    erste Schlag, der letzte Schlag der zwlften Stunde, und

    ich sank hoffnungslos in unendlichen Trnen auf

    mein Lager zurck. Morgen sollt ich - auf immer

    schattenlos, um die Hand der Geliebten anhalten; ein

    banger Schlaf drckte mir gegen den Morgen die

    Augen zu.

    V

    Es war noch frh, als mich Stimmen weckten, die

    sich in meinem Vorzimmer, in heftigem Wortwechsel,

    erhoben. Ich horchte auf. -

    Bendel verbot meine Tr; Rascal schwur hoch und

    teuer, keine Befehle von seines Gleichen anzunehmen,

    und bestand darauf, in meine Zimmer einzudringen.

    Der gtige Bendel verwies ihm, da solche Worte,

    falls sie zu meinen Ohren kmen, ihn um einen vor

    teilhaften Dienst bringen wrden. Rascal drohte Hand

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    an ihn zu legen, wenn er ihm den Eingang noch lnger

    vertreten wollte Ich hatte mich halb angezogen, ich

    ri zornig die Tr auf, und fuhr auf Rascaln zu -

    Was willst du Schurke -- er trat zwei Schritte zu-

    rck, und antwortete ganz kalt: Sie untertnigst bit-

    ten, Herr Graf, mir doch einmal Ihren Schatten sehen

    zu lassen, - die Sonne scheint eben so schn auf dem

    Hofe. -

    Ich war wie vom Donner gerhrt. Es dauerte lange, bis

    ich die Sprache wieder fand. - Wie kann ein

    Knecht gegen seinen Herrn -? Er fiel mir ganz ruhig

    in die Rede: Ein Knecht kann ein sehr ehrlicher

    Mann sein und einem Schattenlosen nicht dienen wol-

    len, ich fordre meine Entlassung. Ich mute andere

    Saiten aufziehen. Aber, Rascal, lieber Rascal, wer

    hat dich auf die unglckliche Idee gebracht, wie

    kannst du denken --? er fuhr im selben Tone fort:

    Es wollen Leute behaupten, Sie htten keinen Schat-

    ten - und kurz, Sie zeigen mir Ihren Schatten, oder

    geben mir meine Entlassung.

    Bendel, bleich und zitternd, aber besonnener als

    ich, machte mir ein Zeichen, ich nahm zu dem alles

    beschwichtigenden Golde meine Zuflucht - auch das

    hatte seine Macht verloren - er warf's mir vor die

    Fe: Von einem Schattenlosen nehme ich nichts

    an. Er kehrte mir den Rcken und ging, den Hut auf

    dem Kopf, ein Liedchen pfeifend, langsam aus dem

    Zimmer. Ich stand mit Bendel da wie versteint, gedan-

    ken- und regungslos ihm nachsehend.

    Schwer aufseufzend und den Tod im Herzen,

    schickt ich mich endlich an, mein Wort zu lsen, und,

    wie ein Verbrecher vor seinen Richtern, in dem Fr-

    stergarten zu erscheinen. Ich stieg in der dunklen

    Laube ab, welche nach mir benannt war, und wo sie

    mich auch diesmal erwarten muten. Die Mutter kam

    mir sorgenfrei und freudig entgegen. Mina sa da, bleich

    und schn, wie der erste Schnee, der manchmal

    im Herbste die letzten Blumen kt, und gleich in bit-

    tres Wasser zerflieen wird. Der Forstmeister, ein ge-

    schriebenes Blatt in der Hand, ging heftig auf und ab,

    und schien vieles in sich zu unterdrcken, was, mit

    fliegender Rte und Blsse wechselnd, sich auf sei-

    nem sonst unbeweglichen Gesichte malte. Er kam auf

    mich zu, als ich hereintrat, und verlangte mit oft un-

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    terbrochenen Worten, mich allein zu sprechen. Der

    Gang, auf den er mich, ihm zu folgen, einlud, fhrte

    nach einem freien, besonnten Teile des Gartens - ich

    lie mich stumm auf einen Sitz nieder, und es erfolgte

    ein langes Schweigen, das selbst die gute Mutter nicht

    zu unterbrechen wagte.

    Der Forstmeister strmte immer noch ungleichen

    Schrittes die Laube auf und ab, er stand mit einem

    Mal vor mir still, blickte ins Papier, das er hielt, und

    fragte mich mit prfendem Blick: Sollte Ihnen, Herr

    Graf, ein gewisser Peter Schlemihl wirklich nicht un-

    bekannt sein? Ich schwieg - ein Mann von vorzg-

    lichem Charakter und von besonderen Gaben - Er

    erwartete eine Antwort. - Und wenn ich selber der

    Mann wre? - dem, fgte er heftig hinzu, sein

    Schatten abhanden gekommen ist!! - O meine Ah-

    nung, meine Ahnung! rief Mina aus, ja, ich wei es

    lngst, er hat keinen Schatten! und sie warf sich in

    die Arme der Mutter, welche erschreckt, sie krampfhaft

    an sich schlieend, ihr Vorwrfe machte,

    da sie zum Unheil solch ein Geheimnis in sich ver-

    schlossen. Sie aber war, wie Arethusa in einen Tr-

    nenquell gewandelt, der beim Klang meiner Stimme

    hufiger flo, und bei meinem Nahen strmisch

    aufbrauste.

    Und Sie haben, hub der Forstmeister grimmig

    wieder an, und Sie haben mit unerhrter Frechheit

    diese und mich zu betrgen keinen Anstand genom-

    men; und Sie geben vor, sie zu lieben, die Sie so weit

    heruntergebracht haben? Sehen Sie, wie sie da weint

    und ringt. O schrecklich! schrecklich! -

    Ich hatte dergestalt alle Besinnung verloren, da

    ich, wie irre redend, anfing: Es wre doch am Ende

    ein Schatten, nichts als ein Schatten, man knne auch

    ohne das fertig werden, und es wre nicht der Muhe

    wert, solchen Lrm davon zu erheben. Aber ich fhlte

    so sehr den Ungrund von dem, was ich sprach, da

    ich von selbst aufhrte, ohne da er mich einer Ant-

    wort gewrdigt. Ich fgte noch hinzu: was man ein-

    mal verloren, knne man ein andermal wieder finden.

    Er fuhr mich zornig an. - Gestehen Sie mir's,

    mein Herr, gestehen Sie mir's, wie sind Sie um Ihren

    Schatten gekommen? Ich mute wieder lgen: Es

    trat mir dereinst ein ungeschlachter Mann so flmisch

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    in meinen Schatten, da er ein groes Loch darein

    ri - ich habe ihn nur zum Ausbessern gegeben,

    dennGold vermag viel, ich habe ihn schon gestern

    wieder

    bekommen sollen. -

    Wohl, mein Herr, ganz wohl! erwiderte der

    Forstmeister, Sie werben um meine Tochter, das tun

    auch andere, ich habe als ein Vater fr sie zu sorgen,

    ich gebe Ihnen drei Tage Frist, binnen welcher Sie

    sich nach einem Schatten umtun mgen; erscheinen

    Sie binnen drei Tagen vor mir mit einem wohlange-

    paten Schatten, so sollen Sie mir willkommen sein:

    am vierten Tage aber - das sag ich Ihnen - ist meine

    Tochter die Frau eines andern. - Ich wollte noch

    versuchen, ein Wort an Mina zu richten, aber sie

    schlo sich, heftiger schluchzend, fester an ihre Mut-

    ter, und diese winkte mir stillschweigend, mich zu

    entfernen. Ich schwankte hinweg, und mir war's, als

    schlsse sich hinter mir die Welt zu.Der liebevollen Aufsicht Bendels entsprungen,

    durchschweifte ich in irrem Lauf Wlder und Fluren.

    Angstschwei troff von meiner Stirne, ein dumpfes

    Sthnen entrang sich meiner Brust, in mir tobte

    Wahnsinn.-

    Ich wei nicht, wie lange es so gedauert haben

    mochte, als ich mich auf einer sonnigen Heide beim

    rmel anhalten fhlte. - Ich stand still und sah mich

    um -- es war der Mann im grauen Rock, der sich

    nach mir auer Atem gelaufen zu haben schien. Er

    nahm sogleich das Wort: Ich hatte mich auf den

    heutigen Tag angemeldet,

    Sie haben die Zeit nicht erwarten knnen. Es steht

    aber alles noch gut, Sie nehmen Rat an, tauschen

    Ihren Schatten wieder ein, der Ihnen zu Gebote steht,

    und kehren sogleich wieder um. Sie sollen in dem

    Frstergarten willkommen sein, und alles ist nur ein

    Scherz gewesen; den Rascal, der Sie verraten hat und

    um ihre Braut wirbt, nehm ich auf mich, der Kerl ist

    reif.

    Ich stand noch wie im Schlafe da. - Auf den heu-

    tigen Tag angemeldet -? ich berdachte noch einmaldie Zeit- er hatte Recht, ich hatte mich stets um einen

    Tag verrechnet. Ich suchte mit der rechten Hand nach

    dem Sckel auf meiner Brust - er erriet meine Mei-

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    nung, und trat zwei Schritte zurck.

    Nein, Herr Graf, der ist in zu guten Hnden, den

    behalten Sie. - Ich sah ihn mit stieren Augen, ver-

    wundert fragend an, er fuhr fort: Ich erbitte mir blo

    eine Kleinigkeit zum Andenken, Sie sind nur so gut,

    und unterschreiben mir den Zettel da. - Auf dem

    Pergament standen die Worte:

    Kraft dieser meiner Unterschrift vermache ich dem

    Inhaber dieses meine Seele nach ihrer natrlichen

    Trennung von meinem Leibe.

    Ich sah mit stummem Staunen die Schrift und den

    grauen Unbekannten abwechselnd an. - Er hatte un-

    terdessen mit einer neu geschnittenen Feder einen

    Tropfen Bluts aufgefangen, der mir aus einem fri-

    schen Dornenri auf die Hand flo, und hielt sie mir

    hin.-

    Wer sind Sie denn? frug ich ihn endlich. Was

    tut's, gab er mir zur Antwort, und sieht man es mir

    nicht an? Ein armer Teufel, gleichsam so eine Art vonGelehrten und Physikus, der von seinen Freunden fr

    vortreffliche Knste schlechten Dank erntet, und fr

    sich selber auf Erden keinen andern Spa hat, als sein

    bichen Experimentieren - aber unterschreiben Sie

    doch. Rechts, da unten: Peter Schlemihl.

    Ich schttelte mit dem Kopf und sagte: Verzeihen

    Sie, mein Herr, das unterschreibe ich nicht. -

    Nicht? wiederholte er verwundert, und warum

    nicht? -

    Es scheint mir doch gewissermaen bedenklich,

    meine Seele an meinen Schatten zu setzen. -- So,

    so! wiederholte er, bedenklich, und er brach in ein

    lautes Gelchter gegen mich aus. Und, wenn ich fra-

    gen darf, was ist denn das fr ein Ding, Ihre Seele?

    haben Sie es je gesehen, und was denken Sie damit

    anzulangen, wenn Sie einst tot sind? Seien Sie doch

    froh, einen Liebhaber zu finden, der Ihnen bei Le-

    benszeit noch den Nachla dieses X, dieser galvani-

    schen Kraft oder polarisierenden Wirksamkeit, und

    was alles das nrrische Ding sein soll, mit etwas

    Wirklichem bezahlen will, nmlich mit Ihrem

    leibhaftigen Schatten, durch den Sie zu der Hand IhrerGeliebten und zu der Erfllung aller Ihrer Wnsche

    gelangen knnen. Wollen Sie lieber selbst das arme

    junge Blut dem niedertrchtigen Schurken, dem Ra-

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    scal, zustoen und ausliefern? - Nein, das mssen Sie

    doch mit eigenen Augen ansehen; kommen Sie, ich

    leihe Ihnen die Tarnkappe hier, (er zog etwas aus der

    Tasche) und wir wallfahrten ungesehen nach dem

    Frstergarten. -

    Ich mu gestehen, da ich mich beraus schmte,

    von diesem Manne ausgelacht zu werden. Er war mir

    von Herzensgrunde verhat, und ich glaube, da mich

    dieser persnliche Widerwille mehr als Grundstze

    oder Vorurteile abhielt, meinen Schatten, so notwen-

    dig er mir auch war, mit der begehrten Unterschrift zu

    erkaufen. Auch war mir der Gedanke unertrglich, den

    Gang, den er mir antrug, in seiner Gesellschaft zu un-

    ternehmen. Diesen hlichen Schleicher, diesen hohn-

    lchelnden Kobold, zwischen mich und meine Gelieb-

    te, zwei blutig zerrissene Herzen, spttisch hintreten

    zu sehen, emprte mein innigstes Gefhl. Ich nahm,

    was geschehen war, als verhngt an, mein Elend als

    unabwendbar, und mich zu dem Manne kehrend,sagte ich ihm:

    Mein Herr, ich habe Ihnen meinen Schatten fr

    diesen an sich sehr vorzglichen Sckel verkauft, und

    es hat mich genug gereut Kann der Handel zurckgehen,

    in Gottes Namen! Er schttelte mit

    dem Kopf und zog ein sehr finsteres Gesicht. Ich fuhr

    fort; - So will ich Ihnen auch weiter nichts von mei-

    ner Habe verkaufen, sei es auch um den angebotenen

    Preis meines Schattens, und unterschreibe also nichts.

    Daraus lt sich auch abnehmen, da die Verkappung

    zu der Sie mich einladen, ungleich belustigender fr

    Sie als fr mich ausfallen mte; halten Sie mich also

    fr entschuldigt, und da es einmal nicht anders ist, -

    lat uns scheiden! -

    Es ist mir leid, Monsieur Schlemihl, da Sie ei-

    gensinnig das Geschft von der Hand weisen, das ich

    Ihnen freundschaftlich anbot. Indessen, vielleicht bin

    ich ein andermal glcklicher. Auf baldiges Wiederse-

    hen! - A propos, erlauben Sie mir noch, Ihnen zu zei-

    gen, da ich die Sachen, die ich kaufe, keineswegs

    verschimmeln lasse, sondern in Ehren halte, und da

    sie bei mir gut aufgehoben sind. -Er zog sogleich meinen Schatten aus seiner Tasche,

    und ihn mit einem geschickten Wurf auf der Heide

    entfaltend, breitete er ihn auf der Sonnenseite zu sei-

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    nen Fen aus, so, da er zwischen den beiden ihm

    aufwartenden Schatten, dem meinen und dem seinen,

    daher ging, denn meiner mute ihm gleichfalls gehor-

    chen und nach allen seinen Bewegungen sich richten

    und bequemen.

    Als ich nach so langer Zeit einmal meinen armen

    Schatten wieder sah, und ihn zu solchem schnden

    Dienst herabgewrdigt fand, eben als ich um seinet-

    willen in so namenloser Not war, da brach mir das

    Herz, und ich fing bitterlich zu weinen an. Der Ver-

    hate stolzierte mit dem mir abgejagten Raub, und er-

    neuerte unverschmt seinen Antrag:

    Noch ist er fr Sie zu haben, ein Federzug, und

    Sie retten damit die arme unglckliche Mina aus des

    Schusters Klauen in des hochgeehrten Herrn Grafen

    Arme - wie gesagt, nur ein Federzug. Meine Trnen

    brachen mit erneuter Kraft hervor, aber ich wandte

    mich weg, und winkte ihm, sich zu entfernen.

    Bendel, der voller Sorgen meine Spuren bis hieherverfolgt hatte, traf in diesem Augenblick ein. Als

    mich die treue, fromme Seele weinend fand, und mei-

    nen Schatten, denn er war nicht zu verkennen, in der

    Gewalt des wunderlichen grauen Unbekannten sah,

    beschlo er gleich, sei es auch mit Gewalt, mich in

    den Besitz meines Eigentums wieder herzustellen,

    und da er selbst mit dem zarten Dinge nicht umzuge-

    hen verstand, griff er gleich den Mann mit Worten an,

    und ohne vieles Fragen, gebot er ihm stracks, mir das

    Meine unverzglich verabfolgen zu lassen. Dieser,

    statt aller Antwort, kehrte dem unschuldigen Bur-

    schen den Rcken und ging. Bendel aber erhob den

    Kreuzdornknttel, den er trug, und, ihm auf den Fer-

    sen folgend, lie er ihn schonungslos unter wiederholtem

    Befehl, den Schatten herzugeben, die

    volle Kraft seines nervichten Armes fhlen. Jener, als

    sei er solcher Behandlung gewohnt, bckte den Kopf,

    wlbte die Schultern, und zog stillschweigend ruhigen

    Schrittes seinen Weg ber die Heide weiter, mir mei-

    nen Schatten zugleich und meinen treuen Diener ent-

    fhrend. Ich hrte lange noch den dampfen Schall

    durch die Einde drhnen, bis er sich endlich in derEntfernung verlor. Einsam war ich wie vorher mit

    meinem Unglck.

  • 8/13/2019 Chamisso - Peter Schlemihls wundersame Geschichte

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    VI

    Allein zurckgeblieben auf der den Heide, lie ich

    unendlichen Trnen freien Lauf, mein armes Herz von

    namenloser banger Last erleichternd. Aber ich sah

    meinem berschwenglichen Elend keine Grenzen, kei-

    nen Ausgang, kein Ziel, und ich sog besonders mit

    grimmigem Durst an dem neuen Gifte, das der Unbe-

    kannte in meine Wunden gegossen. Als ich Minas

    Bild vor meine Seele rief, und die geliebte, se Ge-

    stalt bleich und in Trnen mir erschien, wie ich sie zu-

    letzt in meiner Schmach gesehen, da trat frech und

    hhnend Rascals Schemen zwischen sie und mich, ich

    verhllte mein Gesicht und floh durch die Einde,

    aber die scheuliche Erscheinung gab mich nicht frei,

    sondern verfolgte mich im Laufe, bis ich atemlos an

    den Boden sank, und die Erde mit erneuertem Trnen-

    quell befeuchtete.Und alles um einen Schatten! Und diesen Schatten

    htte mir ein Federzug wieder erworben. Ich ber-

    dachte den befremdenden Antrag und meine Weige-

    rung. Es war wst in mir, ich hatte weder Urteil noch

    Fassungsvermgen mehr.

    Der T