Chemikalien in der Umwelt

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Symposiumsberichte Chemikalien in der Umwelt Sgmposiumsberiehte: Chemikalien in der Umwelt UWSF-Symposium im Rahmen der 11. Miinchner Gefahrstofftage Mimchen, 30.11.95 ,,Chemikalien in der Umwelt" - damit sind bestimmtc Che- mikalien gemeint, deren Vorkommen in der Umwelt aus besonderen Grfinden betrachtet wi,'d. Prof. Gfinzler gelei- tete die Teilnehmerlnnen anschaulich durch die vier Vor- tr~ige, welche sich schwerpunktm/if~ig mit der Atmos- phfirenchemie und ihren Folgen ftir Klima und Mensch be- fagten. Zu Beginn rcferierte Prof. Schlomnann vom Bundesmini- sterium ftir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit /iber Neuere inlernationale Enw,icklungen im Chemika- lienbereich. Nach der UN-Konferenz ,,Umwelt und Entwicktung" in Rio 1992 wurde - von der Presse weitgehend unbemerkt - ein zwischenstaatliches Forum zur Chemikaliensicherheit gegriindet, welches die internationalen A,'beiten bew/iltigen soil: IFCS (Intergovernmenta[ Forum on Chemical Safety). Mit I lilfe de," IFCS soll die OECI)- und EU-Chemiepolitik weltweit umgesetzt werden. Im IFCS sollen folgende sechs Programmschwerpunkte des Kapitel 19 de," Agenda 21 be- raten werden: 1. Ausweitung und Verstfirkung de," internationalen Risi- kobewertung von Chemikalien 2. Harmonisierung der Einstufung und Kennzeichnung yon Chemikalien 3. Informationsaustausch i;lber Gefahrstoffe und deren Ri- siken 4. Aufbau yon Programmen der Risikoreduzierung 5. Verst/irkung der nationalen M6glichkeiten und Kapa- zitfiten ftir eine umweltgerechte Cbemiepolitik 6. Vermeidung des illegalen internationalen Transports von toxischen und geffihrlichen P,'odukten In Deutschland erfolgt bereits seit vielen Jahren erfolgreich auf freiwiiliger Basis eine Bearbeitung yon Altstoffen, in die das Beratergremium fi;H:umwelt,'elevante Altstoffe (BUA) sowie die Berufsgenossenschaft (BG) Chemic einbezogen sind (Ab 18.09.81 mi.issen alle neu eingesetzten Stoffe an- gemeldet werden; alle Stoffe davor gelten als Altstoffe). Mit Inkrafttreten der Altstoff-Verordnung (EWG) Nr. 793/93 am 05.06.1993 ist die freiwillige Altstoffbea,-beitung auf eine rechtlich verbindliche Grundlage gestellt worden. Es kann bereits jetzt festgestellt werden, dag der l[)bergang in diese neue Phase der Altstoffbearbeitung mit erheblichen Schwierigkeiten und Reibungen verbunden ist - eben weil vide Mitgliedsstaaten der EU auf diesem Gebiet keine Er- fahrungen haben. Jedes Land bekommt einige Stoffe de," EU-Priorit/itenliste zur Bearbeitung. Bei der Verabschie- dung der 2. l.iste im Juni 1995 machte die deutsche 1)ele- gation auf einen Migstand aufmerksam und stimmte gegen die Liste: sic enthSilt Stoffe, von denen bereits abgeschlos- sene Stoffberichte, insbesondere von dem BUA, vorliegen. Die Engl/inder zeichneten sich z.B. bei der Bea,'beitung ih- rer ihnen zugewiesenen Stoffe damit aus, dag sic von 8 Stoffen ffir 6 Stoffe fertige BUA-Be,'ichte vorlegten. Andere l.[4nder haben keine personellen Kapazitfiten, um die Alt- stoffverordnung zt, bearbeiten. Aus diesem Grund wurde bei einer IPCS/OE('D Sitzung (Research Triangle Park, North Carolina, USA, 30.01. - 03.02.1995) ein Verfahren zur Internationalisierung von nationaten (z.B. BUA) bzw. regionalen (z.B. OECD) Stoffberichten verabredet: Der un- ver/inderte nationale Stoffbericht (in Deutschland z.B. BUA) wird du,'ch ein zus/itzliches, englisches Dokument er- gfinzt, dem CICAD (Concise International Chemical Asses- sment Document). hn CICAD ist die Risikobewertung dar- gestellt und die neueste Literatur einbezogen. CICAD wird dann weltweit an die Kontaktgruppe von IPCS (Internatio- nal Program on Chemical Safety) versandt und danach von einer internationalen Expertengruppe, die durch die WHO berufen wird, endgiiltig fiberarbeitet und vcr6ffentlicht. Der unver/inderte nationale Stoffbericht, erg~inzt durch CI- CAD, ist die abschliegende Bearbeitung eines Altstoffes einschlief.~lich Risikobeschreibung und Risikobewertung. Unabdingbare Voraussetzung ist die gegenseitige Anerken- nung (u.a. IPCS, OEC1), EU) der erbrachten Ergebnisse. Ki;lrzlich gefatgte Beschlfisse der OECD zu," Guten Labor- praxis (GLP) miissen in nationales Recht umgesetzt wer- den. Dazu sind auch fi.nde,'ungen der entsprechenden EG- Richtlinien notwendig. Dr. I.ammel vom Max-Planck-lnstitut ftir Meteorologie in Hamburg berichtete im zweiten Referat fiber Atmos- phiirenchemie und Klima: Wechselwirkungen. Eine Reihe yon atmosph~irischen Spurenstoffen sind klimawirksam aufgrund ihrer Eigenschaft, langwellige Strahlung zu ab- sorbieren, kurzwellige aber fast ungehindert durchzulassen (in Analogie zur Wirkung eines Treibhauses werden sic Treibhausgase genannt) oder indem sie Sonnenstrahlung verstfi,'kt reflektieren (z.B. Aerosole). Ein ver/indertes Klima wirkt wiederum auf die Atmosphfi,'enchemie zurfick. lnnerhalb der letzten Jahrzehnte hat sich der anthropogene Anteil am Treibhauseffekt stark erh6ht. Die Spurengase ha- ben nun den vierfachen Effekt verglichen mit dem Jahr UWSF- Z. Umweltchem.Okotox. 8 (I) 57-6{) (1996) 57 ecomed verlagsgesellschaft AG & Co.KG Landsberg

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Symposiumsberichte Chemikalien in der Umwelt

Sgmposiumsberiehte:

Chemikalien in der Umwelt UWSF-Symposium im Rahmen der 11. Miinchner Gefahrstofftage

Mimchen, 30.11.95

,,Chemikalien in der Umwelt" - damit sind bestimmtc Che- mikalien gemeint, deren Vorkommen in der Umwelt aus besonderen Grfinden betrachtet wi,'d. Prof. Gfinzler gelei- tete die Teilnehmerlnnen anschaulich durch die vier Vor- tr~ige, welche sich schwerpunktm/if~ig mit der Atmos- phfirenchemie und ihren Folgen ftir Klima und Mensch be- fagten.

Zu Beginn rcferierte Prof. Schlomnann vom Bundesmini- sterium ftir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit /iber Neuere inlernationale Enw,icklungen im Chemika- lienbereich.

Nach der UN-Konferenz ,,Umwelt und Entwicktung" in Rio 1992 wurde - von der Presse weitgehend unbemerkt - ein zwischenstaatliches Forum zur Chemikaliensicherheit gegriindet, welches die internationalen A,'beiten bew/iltigen soil: IFCS (Intergovernmenta[ Forum on Chemical Safety). Mit I lilfe de," IFCS soll die OECI)- und EU-Chemiepolitik weltweit umgesetzt werden. Im IFCS sollen folgende sechs Programmschwerpunkte des Kapitel 19 de," Agenda 21 be- raten werden:

1. Ausweitung und Verstfirkung de," internationalen Risi- kobewertung von Chemikalien

2. Harmonisierung der Einstufung und Kennzeichnung yon Chemikalien

3. Informationsaustausch i;lber Gefahrstoffe und deren Ri- siken

4. Aufbau yon Programmen der Risikoreduzierung 5. Verst/irkung der nationalen M6glichkeiten und Kapa-

zitfiten ftir eine umweltgerechte Cbemiepolitik 6. Vermeidung des illegalen internationalen Transports

von toxischen und geffihrlichen P,'odukten

In Deutschland erfolgt bereits seit vielen Jahren erfolgreich auf freiwiiliger Basis eine Bearbeitung yon Altstoffen, in die das Beratergremium fi;H: umwelt,'elevante Altstoffe (BUA) sowie die Berufsgenossenschaft (BG) Chemic einbezogen sind (Ab 18.09.81 mi.issen alle neu eingesetzten Stoffe an- gemeldet werden; alle Stoffe davor gelten als Altstoffe). Mit Inkrafttreten der Altstoff-Verordnung (EWG) Nr. 793/93 am 05.06.1993 ist die freiwillige Altstoffbea,-beitung auf eine rechtlich verbindliche Grundlage gestellt worden. Es kann bereits jetzt festgestellt werden, dag der l[)bergang in diese neue Phase der Altstoffbearbeitung mit erheblichen Schwierigkeiten und Reibungen verbunden ist - eben weil vide Mitgliedsstaaten der EU auf diesem Gebiet keine Er- fahrungen haben. Jedes Land bekommt einige Stoffe de,"

EU-Priorit/itenliste zur Bearbeitung. Bei der Verabschie- dung der 2. l.iste im Juni 1995 machte die deutsche 1)ele- gation auf einen Migstand aufmerksam und stimmte gegen die Liste: sic enthSilt Stoffe, von denen bereits abgeschlos- sene Stoffberichte, insbesondere von dem BUA, vorliegen. Die Engl/inder zeichneten sich z.B. bei der Bea,'beitung ih- rer ihnen zugewiesenen Stoffe damit aus, dag sic von 8 Stoffen ffir 6 Stoffe fertige BUA-Be,'ichte vorlegten. Andere l.[4nder haben keine personellen Kapazitfiten, um die Alt- stoffverordnung zt, bearbeiten. Aus diesem Grund wurde bei einer IPCS/OE('D Sitzung (Research Triangle Park, North Carolina, USA, 30.01. - 03.02.1995) ein Verfahren zur Internationalisierung von nationaten (z.B. BUA) bzw. regionalen (z.B. OECD) Stoffberichten verabredet: Der un- ver/inderte nationale Stoffbericht (in Deutschland z.B. BUA) wird du,'ch ein zus/itzliches, englisches Dokument er- gfinzt, dem CICAD (Concise International Chemical Asses- sment Document). hn CICAD ist die Risikobewertung dar- gestellt und die neueste Literatur einbezogen. CICAD wird dann weltweit an die Kontaktgruppe von IPCS (Internatio- nal Program on Chemical Safety) versandt und danach von einer internationalen Expertengruppe, die durch die WHO berufen wird, endgiiltig fiberarbeitet und vcr6ffentlicht. Der unver/inderte nationale Stoffbericht, erg~inzt durch CI- CAD, ist die abschl iegende Bearbeitung eines Altstoffes einschlief.~lich Risikobeschreibung und Risikobewertung. Unabdingbare Voraussetzung ist die gegenseitige Anerken- nung (u.a. IPCS, OEC1), EU) der erbrachten Ergebnisse.

Ki;lrzlich gefatgte Beschlfisse der OECD zu," Guten Labor- praxis (GLP) miissen in nationales Recht umgesetzt wer- den. Dazu sind auch fi.nde,'ungen der entsprechenden EG- Richtlinien notwendig.

Dr. I.ammel vom Max-Planck-lnstitut ftir Meteorologie in Hamburg berichtete im zweiten Referat fiber Atmos- phiirenchemie und Klima: Wechselwirkungen. Eine Reihe yon atmosph~irischen Spurenstoffen sind klimawirksam aufgrund ihrer Eigenschaft, langwellige Strahlung zu ab- sorbieren, kurzwellige aber fast ungehindert durchzulassen (in Analogie zur Wirkung eines Treibhauses werden sic Treibhausgase genannt) oder indem sie Sonnenstrahlung verstfi,'kt reflektieren (z.B. Aerosole). Ein ver/indertes Klima wirkt wiederum auf die Atmosphfi,'enchemie zurfick.

lnnerhalb der letzten Jahrzehnte hat sich der anthropogene Anteil am Treibhauseffekt stark erh6ht. Die Spurengase ha- ben nun den vierfachen Effekt verglichen mit dem Jahr

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1950. Dieser Effekt geht zur H~ilfte auf CO 2 und zur ande- ren H/ilfte auf andere Spurengase zurtick:

Methan ist sowohl direkt als auch indirekt - aufgrund von Wechselwirkungen mit anderen Spurengasen - klimawirk- sam. Der Strahlungseffekt yon 1 kg Methan entspricht dem yon 35 kg CO 2. Die Zunahme des Methans erfolgte im letzten Jahrhundert parallel zur Zunahme der Erdbev61ke- rung; Methan entweicht bei Energieerzeugung, Tierhal- tung, Abwasserbehandlung, Reisanbau und aus Miilldepo- nien sowie bei der nattirlichen und gezielten Biomassever- brennung (pro Jahr brennt etwa die Flfiche der alten Bun- desrepublik ab, entsprechend 10 x 10 9 t Biomasse). Auf~er- dem entsteht aus Methan Wasser und Kohlendioxid. In der Stratosph~ire ist diese Quelle von H20 wichtig.

FCKW sind bekannte Treibhausgase. Die Zuwachsraten haben sich aufgrund yon Produktionsbeschr~inkungen yon 5 % Anfang der 80er Jahre auf jetzt unter 2 % pro Jahr ab- geschw/icht. Einzelne wichtige FCKW zeigen bereits sta- gnierende Konzentration.

Die Zunahme des Distickstoffoxids geht auf anthropogene Quellen zurtick. Es wird in der Stratosph~ire in Stickoxide umgewandelt, welche ihrerseits wesentlich zum Ozonab- bau beitragen. Die Emission von Stickoxiden, Kohlenwas- serstoffen und Kohlenmonoxid ftihrt bei Sonnenschein zur Bildung des Treibhausgases Ozon. W~ihrend das stratos- ph~irische Ozon in jtingster Zeit global einer dramatischen Abnahme unterlag, gilt ftir das troposph~irische Ozon das Gegenteil. Stickoxide ( N O = NO + NO2) wirken bei der photochemischen Bildung troposph/irischen Ozons als Ka- talysatoren. Ammonium-Ionen in B6den, die deponierten Produkte der Ammoniak-Emissionen, tragen wiederum fiber mikrobiologische Prozesse (Nitrifikation) zur ver- mehrten Freisetzung v o n N20 aus B6den bei. Dieser Kreis- lauf wird stark vom Menschen angetrieben (Landwirt- schaft, v.a. Tierproduktion und Dtingemitteleinsatz).

Die Klimawirksamkeit von Schwefeldioxid stammt aus sei- net Eigenschaft, der wichtigste Ausgangsstoff ftir luftgetra- gene Partikel und fiir diejenigen Keime zu sein, an denen sich Wolkentropfen bilden. Aerosole und Wolken greifen stark in den Strahlungshaushalt ein: einerseits reflektieren sie die Sonneneinstrahlung verst/irkt und bewirken so eine Abktihlung der Atmosph~ire. Andererseits wird jedoch auch die W~irmeabstrahlung yon der Erde durch Wolken mit ihrer H6he steigend vermindert.

Treibhauswirksame Spurenstoffe werden ineinander umge- wan&It (z.B. Methan zu Kohlendioxid, Wasser und Ozon); nicht direkt treibhauswirksame Spurenstoffe werden in di- rekt wirkende umgesetzt.

Aus dem Wissensstand der Atmosph~irenchemie sind fol- gende Schlul~folgerungen zu ziehen:

- Emissionen langlebiger Spurenstoffe haben Fernwirkung bis in alle Erdteile und in die Stratosphfire. Sie fiihren zu - ftir die menschlichen Zeitbegriffe - irreversiblen St6rungen des nattirlichen Systems.

- Emissionen vieler chemisch reaktiver (kurzlebiger) Spu- renstoffe haben ebenfalls ein Treibhauspotential, das aber wegen ihrer ungeklfirten Verteilung prinzipiell nicht

auf einfache Weise (z.B. durch eine Zahl) zu quantifizie- ten ist.

- Solange das Systemverhalten nicht tiberschaubar ist (und auch der Ist-Zustand nicht hinreichend bekannt ist), mut~ weiter mit Oberraschungen gerechnet werden. Im Sinne des Vorsorgeprinzips sind die St6rungen des nattirlichen Systems zu minimieren.

Prof. Grafgl, Direktor der World Climate Research Pro- gramme (WCRP), sprach i.m dritten Referat tiber Klimava- riabilit~it und Klimatrends.i

Im vergangenen Jahrzehnt hat sich das Verst~indnis der Kli- mavariabilit/it stark erh6ht: W~ihrend man bisher nur Wet- ter bis zu h6chstens zwei Wochen vorhersagen konnte, ist es heute in Teilen der Tropen m6glich, erfolgreiche Vorher- sagen der Klimavariabilit~it ftir die nSchste Jahreszeit bzw. sogar bis zu ca. einem Jahr zu machen. Das ist ftir L~inder, die besonders yon Klimaanomalien betroffen sind, 6kono- misch wichtig. Weiterhin ist wahrscheinlich, daf~ bald auch der Charakter des asiatischen Monsuns und Schwankun- gen von Jahr zu Jahr in mittleren Breiten in Form von phy- sikalisch begrtindeten Wahrscheinlichkeitsaussagen einge- sch/itzt werden k6nnen.

Es besteht kein Zweifel mehr dariiber, dag seit ca. 100 Jah- ren die Erdoberfl/iche im Mittel um ca. 0,5 ~ w~irmer wurde, der Meeresspiegel um 10 bis 25 cm anstieg, die Ge- birgsgletscher im Mittel geschrumpft sind, die h6heren n6rdlichen Breiten h6heren Jahresniederschlag bekommen, die Stratosph/ire sich seit 1960 (seit Beobachtungen vorlie- gen) abktihlt, die Tagesamplitude der Temperatur tiber den Kontinenten der n6rdlichen Erdh~ilfte schrumpft und die Heftigkeit der Niederschlfige mit der Temperatur zunimmt.

Ob die Extremereignisse zugenommen haben, bleibt auf- grund der Schwierigkeit, bei stets ver~inderlichem Klima eine Extremwertstatistik zu erstellen, unsicher. Fast alle A1- penhochw~isser und Vermurungen z.B. sind ,,hausge- macht": der Permafrostschwund in Gletschermorfinen ftihrt dazu, datg der geschmolzene Untergrund bei starkem Niederschlag als Schlammlawine beginnt und als Mure bis ins Tal vordringt.

Seit der 2. Weltklimakonferenz vom November 1990 sind folgende Grundaussagen zu anthropogenen Klima/inderun- gen m6glich:

- Der Anstieg der Konzentration langlebiger Treibhausgase ist anthropogen. Nach Bedeutung ftir Klimafinderungen gereiht sind es: CO2, CH4, FCKW, N20.

- Seit 160 000 Jahren sind hohe CO 2- und CH4-Konzen- trationen mit hoher globaler Mitteltemperatur an der Erdoberfl~iche verbunden.

- Bei unver~indertem Verhalten der Menschheit tibersteigt die rasche globale Erw~irmung schon im kommenden Jahrhundert alle historischen Beispiele seit mindestens 10 000 Jahren.

Die UN-Klimakonvention stellte in Rio de Janeiro im Juni 1992 fest:

- Zeitabhfingige Rechnungen mit gekoppelten Ozean-At- mosphS~re-Modellen zeigen keine generell ver~inderte

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Empfindlichkeit des Klimasystems gegenfiber einer Treib- hausgaszunahme im Vergleich zu den fr/iheren Gleichge- wichtsrechnungen bei fest vo,gegebener Treibhausgaszu- nahme, jedoch eine Verz6gerung der vollen Wirkung um einige Jahrzehnte.

- Die iiberraschend krMtige Ozonabnahme in der Strato- sph~ire au/gerhalb der "liopen sowie die aus Schwefeldio- xid in der Atmosph~ire gebildeten Sulfataerosole ~lber g,'ogen Industrieregionen pr~igen ,'egionale Muster einer Strahlungsbilanzst6rung, die die Zunahme des Treibhaus- effektes regional zumindest teilweise maskieren k6nnen.

Nach Inkrafttreten der UN-Klimakonvention im M/irz 1994 und noch vor der 1. Vertragsstaatenkonferenz zur Konvention im M/irz/April 1995 in Berlin kam hinzu:

- Die Zunahme des Ozons in der Tmposph/ire vor allem fiber I,ldustrieregionen in der n6rdlichen Erdh/ilfte und i;~ber Gebieten im Lee grotger Vegetationsbr/inde ist - so- gar global gemittelt - von /ihnlicher Wirkung auf die Strahlungsbilanz wie die Methanzunahme.

- Selbst bei Akzeptanz eines CO2-Stabilisierungszieles yon 750 millionstel Volumenanteilen (vor der Industrialisie- rung waren es 280; jetzt sind 360 erreicht) und damit massiven Klima'ande,'ungen mug sp~itestens im Jahre 2100 die globale CO2-Emission unter gegenw/irtige Werte sinken.

Das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) stellte im November 1995 in Madrid lest:

- Die beobachtete und die berechnete Zunahme der globa- len Mitteltemperatur stimmen seit 1860 im Rahmen ty- pischer natOrlicher Schwankungen [iberein, wenn neben dem Treibhausgasanstieg auch die Effekte yon Sulfatae- rosolen beachtet werden.

- Die geographischen Muster der beobachteten Tempera- tur/inderungen (iiberwiegend Erw/irmung) an der Erd- oberfl'ache sowie die der Abkfihlung in der Statosph/ire k6nuen nut mit der gemeinsamen Aktion von Treibhaus- gasanstieg, Ozonabnahme in der Stratosph/ire und Zu- nah,ne der Sulfataerosole erkl~i,'t werden, d.h. das an- thropogene Signal ist aus den nati;~rlichen Schwankungen herausgewachsen und die l,-,-tumswahrscheinlichkeit dafiir ist unter 5 % gesunken.

- D ie Klimaerw/irmung der letzten 100 Jahre kann nicht mehr allein mit nat i ir l i chen Vorgiingen erkl~irt werden. Die Erw/ i rmung s t a m m t z u m i n d e s t t e i lwe i se y o n uns, un- ser Ante i l l i igt s ich aber n o c h nicht quant i ta t iv me sse n .

1.aut Prof. Gragl geht es heute nicht mehr darum, den zu- s~itzlichen Treibhauseffekt und damit die globale Erw~ir- mung zu verhindern, sondern da,'um, den Zuwachs zu ver- langsamen, damit den Okosystemen gen%end Zeit gege- ben wird, sich den neuen Klimabedingungen anzupassen. Die Frage ist also: sind die Gletscher Osterreichs im Jahre 2040 oder 2080 im wesentlichen ve,'schwunden? Um die Erw'a,'mung zu verlangsamen, sollten die Emissionen fol- gender Verbindungen reduziert bzw. eingestellt werden: CO2, CH4, SO_,, NzO, N O + VOC, llalone, H-FCKW, FKW, Nt 13, H20 , Ruf.r

Entgegen den h~iufig anderslautenden Meldungen im Fern- sehen, auf ,,Klimaseminaren" und in Zeitungen k6nnen

wir also davon ausgehen, dalg es sich bei den beobachteten Klimave,'~nderungen der vergangenen Jahrzehnte nicht nur um eine natiirliche Schwankung handelt nach dem Motto ,,Eiszeiten hat es ja auch immer wieder gegeben".

lm letzten Vortrag ging I)r. Krupp, Klimaschutzkoordina- tot der I.andeshauptstadt Kid, auf das Thema Klimafolgen ein:

Das Klima stellt einen wesentlichen Teil der physikalischen Rahmenbedingungen fiir die Entwicklung der Menschen daL Gimstige meteorologische Bedingungen f6rdern die ge- sellschaftliche Entwicklung. Ext,'eme,'eignisse fi;lgen dem Menschen schwere Sch~iden und Verluste zu.

Moderne lndustriegesellschaften w/ihnen sich relativ tmab- h/ingig vom Klima. Dabei wird h~iufig iibersehen, dag dies das Ergebnis st/indiger Anpassung ist. Die Geschichte kennt auch Kulturen, die aufgrund ver/inderter klimati- scher Bedingungen untergegangen sind.

Klimaver~inderungen verlangen yon der Gesellschaft neue Anpassungsleistungen. Diese sind mit Kosten, Konflikten, Struktur- und Kulturbrfichen verbunden. Nicht jede An- passung ist m6glich und nicht jede ist bezahlbar.

Von der Klimafolgenforschung wird eine Vorausschau der Problemlagen erwartet. Klima~inderungen 16sen prim~ire Folgen aus, die wiederum Anpassungsreaktionen der Men- schen hervorrufen. Erst diese Reaktionen erzeugen die we- sentlichen, weil bleibenden Ver/inderungen, die als sekun- d~ire Folgen bezeichnet werden und nicht allein yore Klima abh~ingen. Die Klimafolgenforschung liefert daher Orien- tierung und keine Prognosen. Eine wesentliche Funktion ist die Obersetzung der abstrakten Daten und Modelle aus der Klimaforschung in m6gliche vorstellbare Entwicklungen. Die am weitesten verbreiteten Konzepte sind dabei die Konstruktion von Szenarien und die Beschreibung der Ver- wundbarkeit und Sensitivit/it yon nat{irlichen und sozialen Systemen gegentiber einem KlimawandeL

Zur Absch~itzung anthropogener Klima/inderungen werden heute globale Klimamodelle eingesetzt. Fiir das Szenario A ,,business as usual" des IPCC wird ein globaler Tempera- turanstieg yon etwa 3 ~ berechnet, der weltweit aber nicht gleich verteilt ist. Damit geht ein Anstieg des Meeresspie- gels um etwa 70 cm bis zum Jahr 2100 einher. Es wird eine Zunahme der ~iquivalenten COz-Konzentration um etwa 1 % pro Jahr angenommen. Dies entspricht einer Zunahme der Konzentration um etwa 50 % gegenfiber dem heutigen Wert bis zum Jahr 2030. Dat e, diese Annahme nicht unrea- listisch ist, zeigt eme Prognose der World Energy Council (1993), die bei moderaten Eingriffen eine Zunahme des Prim'arenergieverbrauchs um 50 % und der CO,_-Emissio- hen um 4 1 % bereits zum Jahr 2020 erwartet. In zahh'ei- chen Studien wurde die Sensitivit/it von einzelnen Regionen und Sektoren gegen~iber einem Klimawandel dieser Gr6genordnung abgesch~itzt:

- Eine Temperaturerh6hung yon 1 ~ entspricht einer Ver- schiebung der Vegetationszonen auf der E,'de um etwa 200 km polw/irts und im Gebirge um 150 bis 200 m in die H6he. Da der Klimawechsel etwa 15 bis 40 real schneller stattfindet als nach der letzten Eiszeit, besteht

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die Gefahr eines beschleunigten Artensterbens und des Zusammenbruchs ganzer Okosysteme. Z.B. wtirden etwa ein Drittel der W/ildel; die dutch die I,anglebigkeit der B~iume und deren langer Generationsdauer besonders betroffen sind, einer Ver/inderung des Vegetationstyps unterliegen. In vielen F'allen w/;lrde der Klimastreg schon bestehende Stret.Cfaktoren verst~irken, tteute bereits be- sonders gef~ihrdete Okosysteme wie z.B. im t tochgebirge und an den Kiisten w/iren besonders betroffen.

- Schon kleine Ver~inde,'ungen in Temperatur und Nieder- schlag haben erhebliche Auswirkungen auf die Wasser- ressourcen und den Abflug- insbesondere in ariden und semiariden Gebieten. Die L/ruder, die heute bereits Schwierigkeiten bei de," Versorgung ihrer Bev61kerung mit Wasser haben, k6nnten sich einem chronischen Was- sermange[ ausgesetzt sehen.

- Mit den Vegetationszonen verschieben sich auch die landwirtschaftlichen Anbaugebiete um etwa 200 km pol- wiirts pro Grad Temperaturerh/Jhung. Die wohl schwer- ste Belastung w~ire das zunehmende Di;lrre-Risiko ft'lr die I,~ndm~ die heute schon unter Dtirren leiden und dutch einen Klimawandel noch viel st~irker betroffen wi;lrden.

- Ein Anstieg des Meeresspiegels k6nnte im Falle der klei- nen Inseln ganze Staaten in ihrer Existenz bedrohen. Das bekannteste Beispiel sind die Malediven. Ein Meeresspie- gelanstieg von 1 m wiirde 12-15 % der zu bebauenden Fl~iche in Agypten und 14 % des Ackerlandes yon Bang- ladesh gef/ihrden. Die lnfrastruktur wtirde zerst6rt und Siilgwasserw)rkommen versalzen. Kf~stenschutzbauten, Verkehrswege, Kraftwerke und Briicken miif.Cten umge- staltet we,'den.

- Eine Temperaturerh6hung um 2 ~ wtlrde die Si;ldgrenze der heute vom Permafrost eingenommenen Klimazonen um etwa 500-700 km polw~irts verschieben.

- Es ist zu beftlrchten, dag Infektionskrankheiten wie Ma- laria und Gelbfieber unter w~irmeren Klimabedingungen auch in h6heren Breitengraden auftreten wiMden.

Fflr die Industriel~inder stellt keine dieser beschriebenen Wirkungen eine katastrophale Bedrohung dar. Alle Pro- bleme dieser Art konnten, zumindest im Prinzip, in der Ver- gangenheit erfolgreich gel6st we,'den. Die Kosten wiirden nut einen Bruchteil der gew6hnlichen Rflstungsausgaben betragen.

Dagegen sind die I,/inder de," Dritten Welt nicht nut viel verwundbarer, sondern sic wiirden auch h'arter getroffen, da dort oft die nati;lrlichen ()kosysteme die Quellen yon Nahrung, Brennstoffen, l leilmitteln, Baumaterial und Fa- se,'produkten darstellen. Bestimmte Entwicklungsl/inder sind besonders verwundbar, da sic sich bcreits heute an der Grenze ihrer Fiihigkeit befinden, mit den klimatischen Be- dingungen zurechtzukommen. Mit einem Klimawandel wtirde daher insbesondere eme Versch~irfung des Nord- Si~ld-Konfliktes einhergehen.

Das System Erde kennt bevorzugte Zust~inde. l)e," 0bergang von einem zum anderen Zustand wird durch winzige Anst6f.Ce verursacht. Wenn ein Zustand angestogen ist, hilft fast keine Medizin mehl, Wit wissen abe," nicht, wie nahe wir schon zu einem neuen Zustand sind: den rapiden Abbau der Ozon- schicht v.a. fiber der Antarktis haben wir gerade noch erkannt und wit haben reagiert. Aber auch die reduzierte oder ge- stoppte (?) Tiefenwasserbildung im Nordatlantik kann mas- sive ~mderungen des globalen Klimas zur Fo{ge haben.

Die Devise heit~t heute: Minimierung der St6rung. Das sollte ernst genommen werden und nicht unter dem Vor- wand v o n - im Verhiiltnis minimalen - Kosten zum Rou- lettspiel mit unserer Erde benutzt werden.

Der Kongressband zu den 11. Mfmchner Gefahrstofftagen kann ftir I)M 68,00 beim ecomed Kongref~-Service, Post- fach 1752, 86887 Landsberg bestellt werden.

Doris Maus Redaktio~l UWSF

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