Chronik nsu drr 2012 2015

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rand der rechte magazin von und für antifaschistInnen Chronik des NSU veröffentlicht im antifaschistischen Magazin Januar 2012 bis Januar 2015

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randder rechtemagazin von und für antifaschistInnen

Chronik des NSUveröffentlicht im antifaschistischen Magazin

Januar 2012 bis Januar 2015

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randder rechtemagazin von und für antifaschistInnen

H 8040 FISSN 1619-140426. JahrgangNummer 152Januar | Februar 20153,50 Euro

DeutscheRassisten

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18 der rechte rand 152/201518 der rechte rand 152/2015

19. Mai: Jürgen Helbig sagt im NSU-Prozess aus, die Polizei habe 1998 ein heimliches Treffen zweier NSU-Helfer – wobei er einer der beiden am Treffen beteiligten Männer war – und die Übergabe eines Beutels bei Zwickau überwacht. Die Ermittler des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA) wussten 1999 offenbar auch davon, dass Jürgen Helbig bei einer weiteren Kurierfahrt im Auftrag der Flüchtigen innerhalb von Jena einen weiteren Beutel abgeben sollte.

20. Mai: Am 113. Verhandlungstag befasst sich der NSU-Prozess mit dem letzten der 15 Raubüberfälle von Uwe Mundlos und Uwe Böhn-hardt. Die beiden hatten am Morgen des 4. November 2011 in Eisenach in einer Bank 71.915 Euro erbeutet.

21. Mai: Laut Aussage des Rechtsmediziners vor dem Oberlandesgericht München waren Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 sofort tot. Beide hatten jeweils eine Schussverletzung einer großkalibrigen Waffe am Kopf.

26. Mai: Andreas Rachhausen – angeblicher Betreiber des Stützpunktes des »Thüringer Heimatschutzes« (THS) in den 1990er Jahren – sagt im NSU-Prozess aus, er habe 1998 das mutmaßliche Fluchtfahrzeug der drei abgetauchten NSU-Mitglieder aus Dresden zurückgeholt. Das Auto gehörte Ralf Wohlleben.

2. Juni: Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in Hamburg verkün-det, dass es Ende Februar eine DVD erhielt, auf der von einem »NSU« die Rede ist. Es soll Anhaltspunkte dafür geben, dass die DVD im Jahr 2006 von dem V-Mann »Corelli« an eine Quelle des Geheimdienstes versandt worden sei. »Corelli« – Thomas Richter – wurde am 7. April 2014 tot in seiner Wohnung nahe Paderborn aufgefunden. Das Hamburger Landes-amt übersandte die DVD im März 2014 an den Generalbundesanwalt. Dort wird derzeit zu den Hintergründen der DVD ermittelt.

3./4./5. Juni: Der NSU-Prozess beschäftigt sich mit dem Sprengstoff-anschlag in der Kölner Probsteigasse. In einem Lebensmittel- und Ge-tränkeshop explodierte am 19. Januar 2001 eine Bombe. Auf dem NSU-Bekenner-Video mit der Paulchen-Panther-Trickfilmfigur sind Fernseh-bilder von den Ermittlungen am Tatort zu sehen. Dem Angeklagten André Eminger wird im Prozess vorgeworfen, in der Zeit zwischen 19. und 21. Dezember 2000 ein Wohnmobil gemietet und so geholfen zu haben, den Sprengstoffanschlag mit vorzubereiten.

6. Juni: »Der Spiegel« berichtet, dass er bei der Auswertung der NSU-Er-mittlungsakten auf Indizien für einen Zusammenhang mit einem Doppel-mord in Dresden im Jahre 1995 gestoßen sei. Unbekannte hatten damals den in der rechten Szene als »Verräter« geltenden Dresdener Skinhead Sven Silbermann und dessen Bruder Michael getötet. Der Doppelmord wird derzeit neu aufgerollt.

13. Juni: Der MDR meldet, der Verfassungsschutz in Thüringen habe seit 2002 eine konspirative Außenstelle in der Häßlerstraße im Erfurter Süden betrieben. Von dort aus sollen V-Leute geführt worden sein. Der NSU-Untersuchungsausschuss (UA) Thüringen wurde bisher über diese Nebenstelle nicht informiert.

18. Juni: Beamte führen bei dem mutmaßlichen Unterstützer des NSU und jahrelangen V-Mann des Verfassungsschutzes in Thüringen, Tino Brandt, eine Razzia durch. Es liege der Verdacht vor, dass Brandt ein illegales Prostitutionsgeschäft mit minderjährigen Jugendlichen be-treibe.

19. Juni: Das Internetportal »Publikative« veröffentlicht, dass Unterla-gen, die im April 2013 von der Staatskanzlei in Hannover dem NSU-UA des Bundestages zur Verfügung gestellt wurden, belegen, dass Thomas Gerlach zwischen 2000 und 2001 einen stetigen Briefverkehr mit dem Neonazi Thorsten Heise führte. Heise aus Northeim saß zu der Zeit eine Gefängnisstrafe in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel ab. Die neuen Akten belegen nicht nur den Kontakt, sondern auch die Tatsache, dass die beiden Neonazis in ihrer Vernehmung maßgeblich taktiert haben könnten. Dieser Kontakt könnte eine Bedeutung bei der geplanten Flucht der drei NSU-Mitglieder nach Südafrika gehabt haben.

24. Juni: Die Enquete-Kommission zum NSU im Landtag Baden-Würt-temberg nimmt ihre Arbeit auf.

24. Juni: In der Schweiz wird Hans-Ulrich Müller befragt. Er lebte Anfang der 1990er Jahre in Thüringen und soll bei der Beschaffung der wichtigs-ten NSU-Mordwaffe eine Rolle gespielt haben.Im Oktober 2013 sagte er als Zeuge im NSU-Prozess aus, er habe die aus Tschechien stammende Waffe mit einem Schalldämpfer am 10. April 1996 geliefert bekommen und einen Tag später an Anton Peter Germann verschickt.

26. Juni: Der Schweizer Zeuge, Anton Peter Germann, wird in der Schweiz vernommen. Er war nach Überzeugung der Anklagebehörde der Vorbe-sitzer der »Ceska«-Pistole der NSU-Mordserie. Weder Anton Peter Ger-mann noch Hans-Ulrich Müller sind bereit, als Zeugen im NSU-Prozess aufzutreten.

29. Juni: Der sächsische NSU-UA ist beendet. Der Bericht der Oppo-sitionsparteien Grüne, LINKE und SPD zählt eine beispiellose Serie von Fehlentscheidungen auf, der Vorwurf: Behördenversagen.

1. Juli: Der Mitangeklagte im NSU-Prozess, Ralf Wohlleben, lehnt den Gerichtssenat wegen Befangenheit ab.

2. Juni: Dem Zeugen Enrico Theile droht ein Strafverfahren wegen Falschaussagen. Der 38-Jährige soll laut Anklageschrift für seinen Thü-ringer Freund Jürgen Länger den Kontakt zum Schweizer Hans-Ulrich Müller hergestellt haben, dem die NSU-Mordwaffe »Ceska 83« gehörte. Im Frühjahr 2000 soll die Waffe von Müller aus über Jürgen Länger und eine weitere Person in Jena an die Angeklagten Ralf Wohlleben und Cars-ten Schulze gelangt sein. Schulze hat im Prozess zugegeben, die Waffe in Chemnitz Mundlos und Böhnhardt übergeben zu haben.

4. Juni: Durch das Buch »Heimatschutz« von Stefan Aust und Dirk Laabs wird bekannt, dass der ehemalige Mitarbeiter des Verfassungsschutz und V-Mann Führer von »Tarif«, Martin Thein, seit 2011 als Buchautor und »Fanforscher« in der Fußball-Szene unterwegs ist.

9. Juli: Im NSU-Prozess verweigert Matthias Dienelt die Aussage. Er mie-tete die Wohung in Zwickau an, in der von 2001 bis 2011 Böhnhardt, Mundlos und Beate Zschäpe lebten.

10. Juli: Das Bundeskriminalamt (BKA) geht neuen Hinweisen zu den NSU-Verbindungen Tino Brandts nach.

Chronik des NSU – XI(10. Mai 2014 bis 18. Dezember 2014)

von Annelies Senf

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15. Juli: Brandt sagt im NSU-Prozess aus, er erinnere sich grob, dass er im Juni 1999 mit dem Neonazi Thorsten Heise über eine Flucht des NSU-Trios nach Südafrika gesprochen habe.

17. Juli: Zschäpe entzieht ihren AnwältInnen das Vertrauen.

6. August: Zwei Beamte, die im NSU-Prozess als Zeugen auftreten, wer-fen dem hessischen Verfassungsschutz Behinderung bei den Ermittlun-gen zum Mord an Halit Yozgat im April 2006 in Kassel vor.

16. September: Die »Thüringer Allgemeine« veröffentlicht, dass das BKA bereits 2005 eine Waffenspur in die Schweiz verfolgte. Die Ermittler hatten damals herausgefunden, dass bei den Morden an Migranten türkischer und griechischer Herkunft seit dem Jahr 2000 immer dieselbe Pistole der Marke »Ceska 83« benutzt wurde.

17. September: Die Fraktion der Linkspartei im hessischen Landtag drängt im NSU-UA auf den Beginn öffentlicher Anhörungen im Landtag.

23. September: Die Grünen im baden-württembergischen Landtag wollen vorerst keinen NSU-Untersuchtungsausschuss.

25. September: Das »Hamburger Abendblatt« berichtet, die General-bundesanwaltschaft (GBA) vernahm den Hamburger V-Mann, der von »Corelli« den Datenträger erhalten hatte. Zu der Zeugenvernehmung äu-ßern sich weder GBA noch Landesamt für Verfassungsschutz.

2. Oktober: Die Grünen im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bun-destags beantragen eine Sondersitzung zum Fall »Corelli«. Er lieferte dem BfV im Jahr 2005 eine Daten-CD, auf der Dateien mit der Bezeichnung NSU/NSDAP zu finden waren.

7. Oktober: Jerzy Montag – ehemaliger Grünen-Abgeordneter – soll als Sonderermittler des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Ge-heimdienste der CD mit Bezug zum NSU aus dem Jahre 2005 nachge-hen.

15. Oktober: Der Zeuge Jan Botho Werner – ehemaliger Anführer der sächsischen Sektion der Skinhead-Vereinigung »Blood & Honour« – ver-weigert vor dem Münchner Oberlandesgericht die Aussage. Gegen ihn läuft eines der zehn Ermittlungsverfahren, die die Bundesanwaltschaft derzeit gegen mutmaßliche Unterstützer des NSU führt. Somit hat er ein Aussageverweigerungsrecht.

20. Oktober: Wie »Der Spiegel« berichtet, lebte der Thüringer Neonazi Mario Brehme von 1997 bis 2008 im Verbindungshaus der Bayreuther Burschenschaft »Thessalia zu Prag«. 1998 flog Brehme laut Verfas-sungsschutz-Informationen gemeinsam mit dem Neonazi André Kapke nach Südafrika, um einen Unterschlupf für Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos zu suchen – so Kapke. Die Flugtickets für rund 3.400 Mark buchte und bezahlte Brehme laut dem »Nordbayerischen Kurier« in ei-nem Bayreuther Reisebüro.

21. Oktober: Im NSU-Prozess sagt eine Kriminalkommissarin des LKA Baden-Württemberg aus, dass es zahlreiche Verbindungen zwischen Chemnitzer Neonazis und Baden-Württemberg, aber auch nach Thürin-gen gab. Vor allem Zschäpe und Mundlos sollen immer wieder in Lud-wigsburg gesehen worden sein, Mundlos zuletzt 2001.

25. Oktober: Das BfV hat noch sämtliche Quellenberichte des V-Manns »Tarif« in seinem Archiv, so informiert das Bundesinnenministerium den

Bundestag. Bisher ging der NSU-UA des Bundestages davon aus, dass die Akte des Spitzels – zusammen mit anderen V-Mann-Akten – sieben Tage nach dem Auffliegen des NSU am 4. November 2011 vernichtet wurde und nur zum Teil rekonstruiert werden konnte. Michael See alias »Tarif« war von 1995 bis 2001 V-Mann. See belastete im März 2014 Thorsten Heise. André Kapke habe ihn 1998 um Hilfe bei der Suche nach einem Unterschlupf für Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gebeten.

5. November: Der Landtag in Baden Württemberg beschließt einstimmig die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu den Morden des NSU.

11. November: Wie die TAZ berichtet, hat die Chemnitzer Polizei bei einer Razzia gegen die »Nationalen Sozialisten Chemnitz« (NSC) am 28. März 2014 bei dem Chemnitzer Neonazi Maik Arnold eine weitere CD mit Hin-weisen auf den NSU beschlagnahmt.

12./19. November: Der fränkische Neonazi und V-Mann Kai Markus Da-lek wird im NSU-Prozess vernommen. Seine Vernehmungen werfen die Frage auf, ob der THS mit Billigung oder gar auf Anweisung des Verfas-sungsschutzes aufgebaut wurde.

20. November: In ihrer ZeugInnenaussage im NSU-Prozess schwärmt Antje Böhm (ehemals Probst und Inhaberin des Szeneladens »Sonnen-tanz« in Limbach-Oberfrohna bei Chemnitz) von ihren Erfahrungen bei »Blood & Honour«. Sie zählt zu den MitbegründerInnen des »Blood & Honour«-Ablegers in Sachsen und organisierte Konzerte in den 1990er Jahren mit. Mit ihr vervollständigt sich die Riege des »Blood & Honour«-Umfeldes des NSU: Thomas Starke, Jan Botho Werner, Andreas Graub-ner, Thomas Probst und Carsten Szczepanski. Ein von Zschäpe genutzter Pass lief auf ihren Namen.

27. November: Die Verteidigung Zschäpes stellt erneut einen Befangen-heitsantrag gegen Richter Manfred Götzl. Die VerteidigerInnen des mitan-geklagten Wohlleben schließen sich an. Der Konflikt um die Befragung von ZeugInnen, die sich an lang zurücklie-gende Sachverhalte nicht erinnern können und dann von Götzl mit Vor-halten aus Protokollen konfrontiert werden, schwelt schon länger.

3. Dezember: Im NSU-Prozess sagt der frühere V-Mann »Piatto« – Cars-ten Szczepanski – aus, dass er bereits im Sommer 1998 dem branden-burgischen Geheimdienst berichtete, Jan Botho Werner habe den Auftrag gehabt, »die drei Skinheads« mit Waffen zu versorgen – gemeint waren offenkundig Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. An die Meldung kann sich Szczepanski nicht mehr erinnern.

9. Dezember: Die Grünen im mecklenburgischen Landtag kritisieren den Abschlussbericht von Innenminister Lorenz Caffier (CDU) über Ermitt-lungspannen in der Mordserie des NSU.

17. Dezember: Der NSU-Untersuchungsausschuss in Nordrhein-West-falen nimmt seine Arbeit auf. Dieser soll sich mit den Anschlägen in der Probsteigasse und Keupstraße in Köln sowie mit dem Mord an dem Ki-oskbesitzer Mehmet Kubasik in Dortmund befassen.

18. Dezember: Das Landgericht Gera verurteilt Tino Brandt zu fünfein-halb Jahren Haft wegen sexuellen Missbrauchs von Jungen und Förde-rung sexueller Handlungen Minderjähriger.

Detaillierte Protokolle der Verhandlungstage im NSU-Prozess unter: www.nsu-watch.info

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erster Mai leider nicht nazifrei.

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Eine Chronik des NSU – X(23. Oktober 2013 bis 9. Mai 2014)

von Ernst Kovahl

23. Oktober: Im Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstüt-zerInnen des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) beantragt die Nebenklage Ermittlungen zur Rolle des hessischen Geheimdienstlers Andreas Temme. Er war am Tag des Mordes an Halit Yozgat am Tatort. An seinem damaligen Weg zur Arbeit lagen mehrere Orte, die auf Plänen des NSU als mögliche Tatorte gekennzeichnet waren.

24. Oktober: Hamburg beschließt, eine Straße nach dem 2001 vom NSU ermordeten Süleyman Tasköprü zu benennen.

30. Oktober: An die Kanzlei des Cottbuser Anwalts Olaf Klemke, der im NSU-Prozess den Neonazi Ralf Wohlleben vertritt, wird der Slogan »Nazi-Anwalt aufdecken« gesprüht.

2. November: 1.000 Menschen demonstrieren in Berlin anläss-lich des zweiten Jahrestages der Aufdeckung des NSU unter dem Motto »Das Problem heißt Rassis-mus« gegen Neonazis, Rassismus und die Sicherheitsbehörden. In Heilbronn gehen 500 Menschen mit der Forderung »Naziterror und Rassismus bekämpfen! Verfas-sungsschutz auflösen!« auf die Straße.

5. November: Im NSU-Prozess schildern Angehörige von Mehmet Ku-basik, wie sie nach dessen Ermordung durch den NSU als mitschuldig verdächtigt wurden.

8. November: In München werden Gedenktafeln für die beiden NSU-Opfer Habil Kiliç und Theodoros Boulgarides eingeweiht.

13. November: Ein Gutachten der Zeitschrift »Stern« kommt zu dem Schluss, dass Beate Zschäpe Co-Autorin eines Manifestes des NSU war. NebenklageanwältInnen im NSU-Prozess wollen das Gutachten als Be-weismittel heranziehen.

16. November: 350 Menschen demonstrieren in Schwäbisch Hall anläss-lich des zweiten Jahrestages des Auffliegens des NSU gegen Nazi-Terror und Behördenversagen.

21. November: Der Neonazi André Kapke sagt im NSU-Prozess, der Geheimdienstspitzel und Gründer des »Thüringer Heimatschutz« (THS) Tino Brandt habe ihm bei der Beschaffung von Pässen und Autos für die späteren NSU-Mitglieder geholfen.

29. November: 500 Menschen demonstrieren in Göttingen unter dem Motto »2. Jahrestag der Aufdeckung des NSU – Rassismus bekämpfen – Verfassungsschutz auflösen!«.

4. Dezember: Im NSU-Prozess sagt ein Ex-Spitzel des Hessischen Ge-heimdienstes aus, der von Andreas Temme geführt wurde. Temme, der während des NSU-Mordes 2006 an Halit Yozgat in Kassel am Tatort war, habe damals auffallend nervös gewirkt.

19. Dezember: Thüringens CDU-Fraktionschef Mike Mohring sagte im Landtag während einer Debatte zum NSU: »Die Morde sind außerhalb des Freistaats geschehen. Gefasst wurden die Mörder in Thüringen, von unserer Polizei. Unsere Polizei hat nicht versagt.«

30. Dezember: CDU und SPD in Zwickau wollen kein Denkmal für die NSU-Opfer. Man könne nichts dafür, dass die Neonazi-Gruppe in der Stadt gelebt habe.

7. Januar: Der Innenpolitiker Wolfgang Bosbach (CDU) begründet seine Forderung nach der Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-verbindungen mit der missglückten Fahndung nach dem NSU.

10. Januar: Die »Gewerkschaft der Polizei« lobt den Polizisten Marko Gro-sa für seine Bereitschaft, im Thüringer Untersuchungsausschuss (UA) zum NSU gegen seinen Dienstherren auszusagen. Grosa berichtete, er sei 2003 von seinem damaligen Vorgesetzten und heutigen Präsidenten des Landeskriminalamtes (LKA) Werner Jakstat angewiesen worden, bei seinen Ermittlungen zum NSU nichts herauszufinden.

16. Januar: Im NSU-Prozess sagt der Polizist Martin Arnold aus, der 2007 den NSU-Anschlag in Heilbronn auf ihn und seine Kollegin Michè-le Kiesewetter schwer verletzt überlebte. Er hat kaum Erinnerungen an die Tat.

22. Januar: Die »Gewerkschaft der Polizei« in Baden-Württemberg for-dert einen UA zum NSU-Mord an Michèle Kiesewetter in Heilbronn.

24. Januar: Die »Linke« im Thüringer Landtag macht öffentlich, dass das Berliner LKA den Neonazi und früheren Polizeispitzel Nick Greger Ende 2012 besuchte und dabei angeblich bedrohte, damit er keine Aussagen zu einem Brandenburger Spitzel macht.

4. Februar: Rassistische Ermittlungen wirft der »Zentralrat Deutscher Sinti und Roma« der Polizei bei der Fahndung nach den MörderInnen von Michèle Kiesewetter vor und erstattet Anzeige. In Polizeiakten sei die Rede von »Negern« und »Zigeunern«, die »typischerweise lügen«.

10. Februar: Thüringens Ex-Innenminister Christian Köckert (CDU) sagt vor dem NSU-UA, die Behörden hätten die Gefährlichkeit der NSU-Mitglieder nicht erkannt. Sie seien kein vorrangiges Ziel der Fahndung gewesen.

11. Februar: Der Stadtrat von Köln beschließt, zehn Jahre nach dem NSU-Nagelbombenanschlag in der Keupstraße ein Denkmal zu bauen.

12. Februar: Laut dem Bericht der »Ermittlungsgruppe Umfeld« des LKA Baden-Württemberg zum NSU sei keine weitere Aufklärung nötig. Es gebe kein Unterstützungsnetzwerk in dem Land.

17. Februar: Der Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses ver-sucht zu klären, wie der militante Neonazi Nick Greger (»VP 598«) 2001 als Spitzel des Berliner LKA angeworben wurde. Greger hatte Kontakt zu dem Spitzel »Piato« (Carsten Szczepanski) aus dem Umfeld des NSU.

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Innensenator Frank Henkel (CDU) streitet ab, dass Greger Informationen zum NSU hatte.

20. Februar: Dem »Stern« sagte Gamze Kubasik, Tochter des 2006 in Dortmund vom NSU ermordeten Mehmet Kubasik, sie sei von Bun-deskanzlerin Angela Merkel (CDU) enttäuscht. Deren Versprechen von »rückhaltloser Aufklärung« sei nicht eingelöst worden.

20. Februar: Anlässlich der Debatte im Bundestag zu den Schlussfol-gerungen aus dem NSU-UA fordert die Kampagne »Verfassungsschutz abschaffen!« die Auflösung der deutschen Geheimdienste. In einem ge-meinsamen Antrag aller Bundestagsfraktionen werden noch einmal die Empfehlungen des Abschlussberichts des NSU-UA bekräftigt.

24. Februar: Der »Zentralrat der Muslime in Deutschland« fordert als Kon-sequenzen aus der NSU-Affäre die Einführung eines »Antirassismus-Be-auftragten« und eines »Nachrichtendienstbeauftragten«. Die Vorhaben der Bundesregierung seien nicht ausreichend.

25. Februar: Der MDR berichtet, nach dem Abtauchen des NSU 1998 sei das Handy von Uwe Böhnhardt vier Wochen lang abgehört worden. Die Staatsanwaltschaft Gera habe angewiesen, die aufgezeichneten Ge-spräche zu löschen.

25. Februar: Die »Europäische Kommission gegen Rassismus und Into-leranz des Europarates« fordert Deutschland zu strikteren Maßnahmen gegen Rassismus auf. Der NSU zeige die Ineffektivität der deutschen Be-hörden im Kampf gegen rassistische Gewalt.

26. Februar: In Rostock wird durch die Stadt ein Mahnmal für das NSU-Opfer Mehmet Turgut eingeweiht.

10. März: Vor dem Thüringer NSU-UA sagt die Polizistin und ehema-lige Partnerin des Onkels der vom NSU ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter aus. Sie sei nach Erhalt der Ladung in den UA von zwei Männer einer Behörde bedroht worden. Ihr sei geraten worden, sich nicht zu erinnern. Ihr heutiger Ehemann hatte Kontakte in die Neonazi-Szene.

12. März: Die »Berliner Zeitung« berichtet, der hessische Geheimdienst-ler Andreas Temme, der 2006 während des Kasseler NSU-Mordes am Tatort war, sei dienstlich mit den damals sogenannten »Ceska-Morden« befasst gewesen.

15. März: Thüringen spendet den Angehörigen der NSU-Opfer 50.000 Euro unter anderem für Reisen zum NSU-Prozess. Einen Gedenkort für die Opfer gibt es in Thüringen bisher nicht.

19. März: Als Konsequenz aus dem NSU fordern die »Piraten« im Land-tag von Schleswig-Holstein die Abschaffung des Geheimdienstes. CDU, FDP, Grüne und SPD sprechen sich für den Erhalt aus.

27. März: Der frühere V-Mann-Führer Norbert Wießner des Gründers des THS Tino Brandt sagte im NSU-Prozess, der enge Bekannte der späteren NSU-Mitglieder sei ein »unheimlich kooperativer« Spitzel gewesen.

27. März: Vor dem Thüringer NSU-UA bestreitet Innenminister Jörg Gei-bert (CDU), einen aussagewilligen Beamten unter Druck gesetzt und als »Verräterschwein« bezeichnet zu haben. Zuvor war der Chef des Thürin-ger LKA von einem anonymen Zeugen beschuldigt worden, die Fahndung nach dem NSU behindert zu haben.

1. April: Barbara John, Ombudsfrau der Bundesregierung für die Ange-hörigen der NSU-Opfer, kritisiert den NSU-Prozess: »Die Opferfamilien sehen sich im Prozessgeschehen am Rande stehend. Sie sind zur Teil-nahme aufgefordert, doch jede aktive Anwesenheit ist ihnen durch die Strafprozessordnung verwehrt.«

1. April: Mehr als zwei Jahre nach ihrem Tod erhält der Thüringer NSU-UA den Obduktionsbericht der NSU-Mitglieder Böhnhardt und Mundlos. Anders als bisher behauptet, fanden sich in deren Lungen keine Rußpar-tikel ihres brennenden Wohnmobils, was die bisherige Selbstmordthese in Frage stellt.

6./7. April: In Kassel wird der Gedenkstein für die Opfer des NSU mit Farbe beschmiert.

15. April: Im NSU-Prozess sagt erneut der hessische Ex-Geheimdienstler Andreas Temme aus, der beim NSU-Mord an Halit Yozgat 2006 in Kassel am Tatort war und den Mord nicht bemerkt haben will. Halit Yozgats Vater entgegnete ihm vor Gericht: »Ich glaube Dir überhaupt nicht.«

16. April: Die niedersächsische Landesregierung legt ihren Bericht »Re-form des niedersächsischen Verfassungsschutzes« vor. Verbände türki-scher MigrantInnen kritisieren, dass keine Auseinandersetzung mit Ras-sismus in Ämtern stattfindet.

17. April: Die Görlitzer Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen wegen des Verschwindens von NSU-Akten zu Banküberfällen des NSU ein. Strafbares Verhalten sei nicht erkennbar, zudem sei die Verjährungsfrist abgelaufen.

25. April: Der »Blick nach rechts« berichtet, dass sich der Angeklagte im NSU-Prozess André Eminger zum Zeitpunkt des NSU-Nagelbombenan-schlags 2004 in der Nähe des Kölner Tatortes aufhielt.

29. April: Der Hamburger Senat legt seinen öffentlichen Bericht zu den »Ermittlungen, Aufarbeitung, Konsequenzen in Hamburg« im Zusam-menhang mit dem NSU vor.

30. April: Grüne und SPD setzen im Landtag von Baden-Württemberg eine »Enquete-Kommission »Rechtsextremismus/NSU« ein. Die CDU stimmte dagegen und beklagte, dass in der Kommission »Linksextremis-mus« und »religiös bedingter Extremismus« nicht bearbeitet würden.

2. Mai: Die »Piraten« im Landtag von Nordrhein-Westfalen kündigen an, im Juni einen Antrag für einen UA zum NSU einzubringen. Unterstützung erhalten sie möglicherweise von der CDU, die den Vorschlag »wohlwol-lend« prüft. Die Koalition aus SPD und Grünen sowie die FDP lehnen einen UA ab.

7. Mai: Am ersten Jahrestag des Beginns des NSU-Prozesses demonst-rieren in Regensburg 300 Menschen unter dem Motto »Gegen Naziterror, rassistische Zustände und den Verfassungsschutz«.

9. Mai: Der Thüringer NSU-UA kritisiert, dass das Innenministerium in Erfurt im März Dokumente des Ausschusses ohne Erlaubnis an den Ge-neralbundesanwalt übergeben hat, um zu prüfen, ob Dokumente illegal weitergegeben wurden. Zuvor hatte ein NSU-Nebenkläger dem Aus-schuss Dokumente aus dem Prozess übergeben, die dem Gremium von der Justiz bis dahin vorenthalten waren.

Detaillierte Protokolle der Verhandlungstage im NSU-Prozess unter: www.nsu-watch.info

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AUFMARSCH DER MITTE

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11. September: Am 13. Todestag von Enver Şimşek wird in seiner Hei-matstadt Schlüchtern eine Gedenktafel enthüllt.

11. September: Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster im Streit um die Versetzung zweier Mitarbeiter des »Bundesamtes für Verfassungs-schutz« wegen Aktenvernichtungen wird bekannt. Die Vorgesetzten des Beamten, der für die Vernichtung verantwortlich war, können wieder auf ihre Posten zurückkehren.

12. September: Ein NSU-Opferanwalt fordert für Baden-Württemberg ei-nen UA. Es gebe zu viele Unklarheiten mit Bezügen zu dem Bundesland. Die Gewerkschaft »IG BAU« fordert die Fortsetzung des Bundestags-UA nach der Wahl.

16. September: Der 21-jährige Florian H. verbrennt in seinem Auto in Stuttgart-Bad Cannstatt. Er sollte von der »Ermittlungsgruppe Umfeld« des Landeskriminialamtes (LKA) Baden-Württemberg zu möglichen NSU-Kontakten befragt werden. Die Polizei geht von Selbstmord aus.

17. September: Die Verteidigung von Zschäpe verlangt vom Gericht mehr Geld und lässt deswegen Prozesstermine platzen. Unter anderem wegen dieser Forderung reisen mehrere ZeugInnen und Angehörige der Opfer umsonst zum Prozess.

1. Oktober: Der frühere hessische Geheimdienst-Mitarbeiter Andreas Temme wiederholt im NSU-Prozess seine Behauptung, er habe, obwohl er vor Ort war, von dem Mord in einem Kasseler Internetcafé nichts mit-bekommen.

1. Oktober: Der MDR berichtet, die Geheimdienst-Quelle »Tarif« sei der langjährige führende Neonazi Michael See. Er hatte unter anderem Ver-bindungen zum »Thüringer Heimatschutz« und mutmaßlichen NSU-Mit-gliedern und -helfern. See lebt heute in Schweden.

4. Oktober: Der »Bayerische Rundfunk« enthüllt, dass auch bei der Fahndung nach den Tätern des ebenfalls mutmaßlichen NSU-Bomben-anschlags im Juni 1999 in einer Nürnberger Kneipe die Polizei vor al-lem das türkische Opfer und drei türkische Gäste verdächtigte; für einen Deutschen am Tatort interessierte sie sich nicht.

17. Oktober: Im NSU-Prozess sagt ein ehemaliger Schweizer Waffen-händler, er habe die mutmaßliche NSU-Tatwaffe »Česka« mit Schall-dämpfer an einen Kunden in der Schweiz verkauft. Von dort gelangte sie offenbar über Zwischenhändler an den mutmaßlichen NSU-Helfer Carsten Schultze.

17. Oktober: Bei einer Razzia in einem Chemnitzer Computerladen im Zu-sammenhang mit dem NSU werden eine Softairwaffe und ein Luftdruck-gewehr gefunden. Der Ladeninhaber ist verdächtig, bei der Beschaffung der NSU-Waffen geholfen zu haben.

20. Oktober: Die SPD Baden-Württemberg lehnt die Forderung der Jusos nach einem NSU-UA ab. Ende 2013 will Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) einen Bericht vorlegen.

22. Oktober: NebenklägerInnen aus dem NSU-Prozess verlangen neue Ermittlungen zum hessischen Geheimdienstler Temme. An seiner frühe-ren Fahrtroute zur Arbeit liegen mehrere ausgespähte mögliche NSU-Anschlagsziele in Kassel.

Protokolle aller Verhandlungstage am Münchner OLG im NSU-Prozess gibt es unter www.nsu-watch.info, die Stellungnahmen der Nebenkläge-rInnen unter www.nsu-nebenklage.de.

Eine Chronik des NSU – IX(22. August bis 22. Oktober 2013)

von Ernst Kovahl

22. August: Der »Zentralrat der Muslime in Deutschland« fordert Kon-sequenzen aus dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses (UA) des Bundestages zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU). Rassismus in der Gesellschaft müsse aufgearbeitet und die Sicherheits-behörden reformiert werden.

27. August: Die »Türkische Gemeinde in Deutschland« legt einen »Schat-tenbericht« zur NSU-Mordserie und politischen Konsequenzen vor. Die Organisation fordert weitere Aufklärung und Schritte gegen Rassismus und Neonazismus.

28. August: »Der Spiegel« berichtet, dass das mutmaßliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe in die Taten von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos einge-weiht war. Nach deren letzten Banküberfällen 2011 habe sie im Internet nach Polizeimeldungen aus den Orten gesucht.

29. August: Das Münchener Oberlandesgericht (OLG) lädt den Polizei-beamten Martin A., der 2007 einen dem NSU zugerechneten Anschlag in Heilbronn überlebte, als Zeugen. Der UA des Bundestages hatte auf seine Aussage verzichtet.

1. September: Thüringen will den Geheimdienst stärker an das Innenmi-nisterium anbinden, V-Leute besser kontrollieren und einen zivilgesell-schaftlichen »Beirat« zur Begleitung der Spitzelarbeit aufbauen.

2. September: Der Bundestag debattiert den Abschlussbericht des NSU-UA. Angehörige der Opfer nehmen an der Sitzung teil.

2. September: Der NDR berichtet über Kontakte der späteren NSU-Mit-glieder zu Hamburger Neonazis. So soll unter anderem Böhnhardt 1997 an einer Schulung von Szene-Anwältin Gisa Pahl teilgenommen haben. Das »Deutsche Rechtsbüro« habe auch auf einer möglichen Spendenlis-te des NSU gestanden.

5. September: Im NSU-Prozess werden Überwachungsvideos von 2004 aus Köln gezeigt, auf denen neben Böhnhardt und Mundlos kurz vor dem Bombenanschlag weitere Personen zu sehen sind, die nach Ansicht von NebenklägerInnen in bisher ungeklärtem Zusammenhang zum NSU ste-hen könnten.

6. September: Im NSU-Prozess sagt eine Zeugin, sie habe die mutmaßli-chen Mörder von Ismail Yasar 2005 gesehen und 2006 auf Videoaufnah-men vom Bombenanschlag in Köln wiedererkannt. Die Polizei verfolgte diese Spur nicht.

7. September: Der Präsident des »Zentralrats der Juden in Deutschland«, Dieter Graumann, kritisiert die früheren Aussagen von Sicherheitsbehör-den, es gebe in Deutschland keinen Rechtsterrorismus.

9. September: Im Thüringer UA sagt der frühere Leitende Oberstaatsan-walt in Gera, Arndt Koeppen, es habe in seiner Behörde immer Speku-lationen gegeben, dass der Geheimdienst die Fahndung nach den 1998 Abgetauchten sabotiert habe.

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RECHTER WAHLKAMPF

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Eine Chronik des NSU – VIII (6. Mai - 22. August 2013)

von Christian Schaft und Frederik Müller

06. Mai: Vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) beginnt der Pro-zess gegen die mutmaßliche Terroristin des »Nationalisozialistischen Untergrundes« (NSU) Beate Zschäpe und die mutmaßlichen NSU-Un-terstützer Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, Carsten Schultze und André Eminger.

13. Mai: Bei einer ZeugInnenvernehmung im Untersuchungsausschuss (UA) des Thüringer Landtages wird bekannt, dass die fehlerhafte Kom-munikation zwischen dem Landeskriminalamt (LKA) und dem »Thürin-ger Landesamt für Verfassungsschutz« (TLfV) 1998 zum Fluchterfolg der späteren NSU-Mitglieder beitrug. Nicht alle Informationen über die Ver-dächtigen wurden an das LKA gegeben, so dass sich die Razzia am 26. Januar 1998 verzögerte.

14. Mai: Am zweiten Verhandlungstag des NSU-Prozesses wird unter anderem der Anklagesatz, eine Zusammenfassung der fast 500-seitigen Anklageschrift, verlesen. Zschäpe wird die Mittäterinnenschaft bei zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen vorgeworfen.

16. Mai: Am vierten Prozesstag in München gab Richter Manfred Götzl bekannt, der Anschlag in der Kölner Keupstraße bleibe Teil des Verfah-rens, es werde keinen zweiten NSU-Prozess geben. Auf Grund des Um-fangs des Prozesses war diskutiert worden, das Attentat gesondert zu verhandeln.

16. Mai: Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat zum Abschluss seiner 15-monatigen Arbeit den Behörden ein misera-bles Zeugnis ausgestellt. In den Verfassungsschutzämtern sei »für den Rechtsextremismus nicht unbedingt das qualifizierteste Personal vorhan-den«, sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD).

04. Juni: Am fünften Verhandlungstag im NSU-Prozess gesteht der Mit-angeklagte Schultze, zusammen mit dem Mitangeklagten Wohlleben die Ceska-Pistole mit Schalldämpfer besorgt und an Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt übergeben zu haben. Er hatte dies schon im Ermittlungsver-fahren gestanden. Gedanken darüber, was Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe mit der Waffe vorhatten, habe er sich nicht gemacht.

06. Juni: Vor dem Thüringer NSU-UA sagt die Mutter des mutmaßlichen NSU-Mitgliedes Böhnhardt zu den Umständen der Hausdurchsuchung und der Flucht ihres Sohnes 1998 aus. Ihren Aussagen nach hatte Böhn-hardt vor seiner Flucht durch eine Polizistin einen Hinweis auf die dro-hende Verhaftung erhalten. Auch sei es ihm möglich gewesen, Mundlos und Zschäpe vor der Flucht zu kontaktieren. Weiterhin wird bekannt, dass sich die Eltern während der Zeit des Untertauchens mehrfach im Geheimen mit ihrem Sohn getroffen haben.

07. Juni: Der Angeklagte Gerlach gibt in der Vernehmung beim NSU-Prozess zu, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe mit Reisepässen, Führer-scheinen und 2001 oder 2002 einer Waffe versorgt zu haben, die Wohl-leben beschafft hatte.

10. Juni: Vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss sagen zwei Zeugen der Polizeiabteilung des Thüringer Innenministeriums aus. Nach der Aussage des vernommenen und 1998 ermittelnden Beamten Robert Ryczko, haben die BeamtInnen während der Garagendurchsuchung die »Ansage gehabt«, niemanden festzunehmen, solange es keine außerge-wöhnlichen Funde gebe. Das Fluchtpotential der Verdächtigen habe man unterschätzt.

11. Juni: Die Aussage des Angeklagten Schultze bewegt im NSU-Prozess die Staatsanwaltschaft dazu, einen weiteren ungeklärten Anschlag in Nürnberg im Zusammenhang mit dem NSU zu prüfen. Es gebe einen Zusammenhang zwischen einem Rohrbombenschlag in einer Gaststätte eines türkischen Betreibers. Ein Helfer des Betreibers habe am 24. Juni 1999 einen etwa 30 Zentimeter langen Gegenstand entdeckt, der wie eine »Taschenlampe« ausgesehen habe, und beim Anschalten explodierte. Das Opfer erlitt Verbrennungen. Die Bundesanwaltschaft musste einräumen, dass es eine aktualisierte Liste mit Personen aus dem Umfeld des NSU gebe. Die sogenannte »129er-Liste« umfasse nun etwa 500 Personen.

13. Juni: Der UA des Bundestages trifft sich zu einer geheimen Son-dersitzung. Es soll um mögliche Hinweise eines V-Mannes aus Baden-Württemberg zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter gehen. Die-ser soll in Zusammenhang mit dem Mord eine Verbindung in die rechte Szene vor Ort belegen können.

18. Juni: Der Generalbundesanwalt gibt bekannt, dass gegen Zschäpe ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen des Anschlags von 1999 in Nürnberg eingeleitet wird.

18. Juni: Im NSU-Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtages wird bekannt, dass die ermittelnden Behörden schon 2007 von einer Gruppe namens »NSU« gehört hätten. Ein Beamter sagte, der Verfas-sungsschutz aus Thüringen oder Sachsen habe die Mitteilung gemacht, dass es eine rechte, terroristische Vereinigung NSU gebe, »das heißt dann Nationalsozialistischer Untergrund«. Der NSU könnte etwas mit der ungeklärten Mordserie zu tun haben. Später nimmt die Staatsan-waltschaft München Ermittlungen gegen den Beamten wegen möglicher Falschaussage auf.

19. Juni: Die Rostocker Bürgerschaft beschließt, einen Gedenkstein für das NSU-Opfer Mehmet Turgut zu errichten.

20. Juni: Aufgrund des Auffindens neuer, bisher nicht registrierter Akten zu »Blood & Honour«, dem »Ku-Klux-Klan« sowie der Geheimdienstope-ration »Terzett« beim Sächsischen Verfassungsschutz wird dessen stell-vertretender Präsident Olaf Vahrenhold entlassen.

21. Juni: Berlins Landeskriminalamt hatte noch einen dritten V-Mann im Umfeld des NSU. Neben Thomas S. (»V-Mann 562«) und dem Spitzel »VP 620« habe laut Akten auch der »V-Mann 773« über das Umfeld der Abgetauchten berichtet.

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24. Juni: Die »taz« berichtet, daß 2004 aufgenommene Überwachungs-videos aus Köln, die Böhnhardt und Mundlos kurz vor dem Platzieren der Nagelbombe in der Keupstraße zeigen, nicht vollständg ausgewertet wurden. Darauf seien mögliche weitere ZeugInnen zu sehen, die Neben-klage will die vollständigen Videos als Beweisstücke in das Verfahren ein-bringen.

27. Juni: Ein Hinweis auf eine weiteres, 1998 bei Böhnhardt aufgefun-denes »Telefonnummernverzeichnis relevanter Personen« taucht in den Akten des Thüringer Untersuchungsausschusses auf. Die Liste wurde nie ausgewertet und ist offenbar vernichtet worden.

27. Juni: Der Bruder des NSU-Mordopfers Süleyman Tasköprü aus Ham-burg kritisiert, dass weder Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch Präsident Joachim Gauck bisher die Angehörigen in Hamburg besucht hätten und sich die Sicherheitsbehörden bisher nicht bei der Familie für falsche Ver-dächtigungen und Ermittlungen gegen sie im Zusammenhang mit dem Mord entschuldigt hätten.

1. Juli: Merkel trifft in Berlin 40 Angehörige der NSU-Opfer, sie fordern von der Regierung unter anderem stärkeres Bemühen um die Aufklärung der NSU-Morde.

3. Juli: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und der Chef des »Bundesamtes für Verfassungsschutz« (BfV), Hans-Georg Maaßen, kündigen als Lehren aus dem NSU für den Geheimdienst 130 Reform-maßnahmen für die interen Arbeitsabläufe und den Umgang mit Akten an. BeobachterInnen nannten die Auflistung eine »Hitliste der Banalitä-ten«.

8. Juli: »Der Spiegel« berichtet, die frühere Partnerin des mutmaßlichen NSU-Helfers Wohlleben sei unter dem Tarnnamen »Jule« Informantin des TLfV gewesen. 1998 und 1999 soll sie Informationen über ihn und seine Kontakte in der Neonazi-Szene berichtet haben.

10. Juli: Der MDR meldet, das TLfV habe 2001 versuchte, den NSU-Helfer Carsten Schultze als Informanten zu gewinnen. Das gehe aus Unterlagen des Amtes hervor. Ob er tatsächlich angesprochen oder geworben wurde, ist bislang unklar. Schultze verneint eine Ansprache durch das TLfV.

13. Juli: In Dortmund wird ein Gedenkstein für die NSU-Opfer eingeweiht. In der Stadt wurde Mehmet Kubasik als erstes Opfer des NSU ermordet.

17. Juli: Der Bayerische Landtag diskutiert den Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses. In dem öffentlichen Dokument wer-den den Behörden Fehler bei der Fahndung wegen der fünf Morde des NSU in Bayern vorgeworfen. Zudem sei der Geheimdienst ahnungslos, inenffizient und voreingenommen gewesen.

18. Juli: Im NSU-Prozess sagt ein BKA-Beamter aus, der V-Mann des TLfV Tino Brandt habe in den 1990er Jahren die späteren NSU-Mitglie-der darin bestärkt, Gewalt anzuwenden.

23. Juli: Laut einer repräsentativen Studie glauben zwei Drittel der in Deutschland lebenden TürkInnen nicht an eine lückenlose Aufklärung

der NSU-Morde. Nur neun Prozent denken, daß die Rolle der Sicher-heitsbehörden geklärt werde und nur sieben Prozent der Befragten glau-ben, dass die Bundesregierung den politischen Willen zur Aufklärung hat. 70 Prozent sagen, die Taten hätten ihre privates Leben beeinflußt. Es würden heute erhöhte Sicherheitsvorkehrungen getroffen und Pläne zur Auswanderung gemacht.

26. Juli: In einem Positionspapier wirft Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) dem Innenminister des Landes, Jörg Geibert (CDU), und dem TLfV vor, aus dem NSU nichts gelernt zu haben. In den Behörden habe sich »nichts geändert«.

30. Juli: Die »Stuttgarter Zeitung« berichtet, daß SPD und Grüne die Ein-setzung eines Untersuchungsausschusses zum NSU ablehnen, obwohl zahlreiche Spuren des NSU nach Baden-Württemberg führen. So bleibt der letzte Mord der Neonazis 2007 an einer Polizistin in Heilbronn bis heute völlig rätselhaft.

31. Juli: Die Staatsanwaltschaft Erfurt stellt die Ermittlungen gegen Zschä-pe wegen einer Schießerei am Bahnhof Erfurt am Silvesterabend 1996 ein. Drei Neonazis – zwei Männer und eine Frau – hätten damals nach einem Streit auf zwei andere Männer geschossen. Sie wollen nach dem Auffliegen des NSU Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe als Täter wieder-erkannt haben. Die Staatsanwaltschft ist der Auffassung, es gebe keinen Anfangsverdacht für eine MittäterInnenschaft Zschäpes.

04. August: Der MDR schreibt, daß die Thüringer Landesregierung erst mit einer Verspätung von eineinhalb Jahren Geheimdienst-Unterlagen zum NSU der Bundesanwaltschaft zur Verfügung gestellt hat. Die Akten zur versuchten Anwerbung von Carsten Schultze als Spitzel seien erst jetzt in einem Panzerschrank des Geheimdienstes aufgefunden worden.

06. August: Ein Bayerischer Ermittler sagte im NSU-Prozess, er sei nach dem Mord an Ismail Yasar 2005 »selbstverständlich« von einem rassis-tischen Hintergrund ausgegangen, es seien dann aber keine konkreten Spuren gefunden worden.

10. August: Die »Stuttgarter Zeitung« berichtet, der NSU habe in 14 Städ-ten in Baden-Württemberg potentielle Anschlagsziele ausgespäht. Einzel-personen, Geschäfte von MigrantInnen und Parteibüros seien von den mutmaßlichen NSU-Mitgliedern auf einer Liste registriert worden.

18. August: »Der Spiegel« berichtet, das Bundesinnenministerium ver-langt vor der Veröffentlichung des Abschlussberichtes des UA des Bun-destages zum NSU die Bearbeitung von insgesamt 118 Textstellen und die komplette Streichung von 47 Passagen.

22. August: Der UA des Bundestages übergibt nach eineinhalb Jahren Arbeit seinen öffentlichen Abschlussbericht an den Bundestag und stellt ein »beispielloses Versagen der Behörden« fest. Der Bericht umfast knapp 1.400 Seiten, basiert auf 12.000 Akten und den Aussagen von 107 ZeugInnen.

Protokolle aller Verhandlungstage am Münchener OLG im NSU-Prozess gibt es unter: www.nsu-watch.info

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SKINHEADSNAZIS1. MAI

H 8040 FISSN 1619-140424. JahrgangNummer 142Mai | Juni 20133,00 Euro

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Eine Chronik des NSU – VII (November 2012 bis 6. Mai 2013)

von Annelies Senf und Christian Schaft

3. November 2012: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungs-schutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, fordert ein zentrales Register für V-Leute der Geheimdienste.

4. November: Ein erst jetzt öffentlich gewordenes Papier des Bundes-kriminalamtes (BKA) von 1997 vermerkt, dass der Verfassungsschutz wichtige Neonazi-Funktionäre, die als V-Leute tätig waren, in den 1990er Jahren offenbar systematisch vor Strafverfolgung geschützt und sie durch Geld erst handlungsfähig gemacht habe. Neun Personen werden na-mentlich genannt, berichtete »Der Spiegel«.

7. November: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Beate Zschäpe und vier weitere Verdächtige. Sie wird wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung und Mittäterschaft bei den Morden und Über-fällen des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) angeklagt. Wei-tere Beschuldigte sind Ralf Wohlleben, Carsten Schultz, André Eminger und Holger Gerlach. Zugelassen wurde die Anklage am 31. Januar 2013.

14. November: Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss (UA) im Baye-rischen Landtag bestätigt der frühere Präsident des Bayerischen Verfas-sungsschutzes, Gerhard Forster, Kontakte bayerischer Neonazis in den 1990er Jahren nach Thüringen. Am 25. Oktober berichtete das Magazin »Kontrovers« des »Bayerischen Rundfunks«, dass in einer Telefonliste des NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt von 1998 auch die Nummer der »Ti-roler Höhe«, eines früheren Neonazitreffpunkts in Nürnberg, stand.

14. November: Nach Bekanntwerden weiterer Aktenvernichtungen beim Berliner Verfassungsschutz zum Neonazi-Netzwerk »Blood & Honour« tritt die Amtschefin Claudia Schmid zurück.

17. Dezember: Die »Freie Presse« berichtet, dass Chemnitzer Helfe-rInnen des NSU Kontakte nach Baden-Württemberg hatten. Das gehe aus einer Liste der Behörden mit 100 Personen hervor und sei von dem Zeugen Thomas S. bestätigt worden. Auf der Liste stehen neben den Angeklagten und Beschuldigten im Ermittlungsverfahren der Bundesan-waltschaft gegen den NSU weitere 86 Personen, die mit dem NSU oder seinen HelferInnen Kontakt gehabt haben sollen.

12. Januar 2013: Die »Freie Presse« berichtet, dass sich Personen des Chemnitzer NSU-UnterstützerInnenrings noch heute in der Szene be-wegen. Der 31-jährige Eric Fröhlich, der seit 2000 mit mindestens vier NSU-UnterstützerInnen Kontakt hatte, zähle zu den Köpfen der »Natio-nalen Sozia listen Chemnitz«. Seine Telefonkontakte mit dem inhaftierten Wohlleben sind über Abhörprotokolle dokumentiert. 2011 fanden Beam-te in den Papieren des NSU auch den Ausweis von Fröhlich, der das Dokument zuvor als verloren gemeldet hatte. Auch die Papiere von Ralph H. seien in der Wohnung des NSU gefunden worden, dieser gehöre zum »Freien Netz«.

16. Januar: Es wird bekannt, dass das BKA 1998 an der Suche nach Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt beteiligt gewesen sein soll. Bekannt war eine Liste mit Adressen und Telefonnummern möglicher Aufenthalts-orte und Kontakte in Thüringen, Sachsen und Süddeutschland. Dennoch habe das BKA die Spuren nicht verfolgt. Die Liste mit 35 Kontakten wurde bei der Razzia 1998 in der Jenaer Garage des späteren NSU gefunden.

17. Januar: Die Zeugenbefragung im NSU-UA Thüringen deckt auf, dass der Thüringer Geheimdienst offenbar 1997 überlegt hatte, Zschäpe an-

zuwerben. Der Plan wurde nicht umgesetzt, weil sie Drogen genommen haben soll.

21. Januar: Sachsens Vizepräsident des Verfassungsschutzes, Olaf Vah-renhold, sagte vor dem sächsischen NSU-UA, dass der Schutz von Quel-len (V-Leute) über der Verfolgung und Verhinderung von Straftaten stehe. Er wurde dazu befragt, warum Informationen zu dem V-Mann »Piato« (Carsten Szczepanski) nicht an die Polizei in Brandenburg übermittelt wurden. »Piato« berichtete dem Brandenburger Geheimdienst 1998, dass die späteren NSU-Mitglieder Jan Werner aus Sachsen beauftragt hatten, eine Schusswaffe zu besorgen. Der V-Mann meldete, dass Werner persönlichen Kontakt zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gehabt habe.

28. Januar: Gegen den mutmaßlichen Unterstützer des NSU André Kap-ke wird ein Verfahren eingeleitet. Die Behörden prüfen, ob der Jenaer Neonazi Böhnhardt und Mundlos zu dem Banküberfall am 4. November 2011 in Eisenach begleitet hat. Nach dem Tod der beiden soll er Zschä-pe darüber telefonisch informiert haben. Laut Ermittlungsakten loggte sich die auf Kapke registrierte Handy-Nummer zwischen 13.54 Uhr und 14.06 Uhr in einer Mobilfunkzelle ein, in deren Bereich das Wohnmobil von Böhnhardt und Mundlos stand. Mit dem Handy soll Kapke zudem eine Internetverbindung zu Zschäpe hergestellt haben.

28. Januar: »Der Spiegel« berichtet, dass der Geheimdienst einen weite-ren V-Mann im Umfeld des NSU führte. Der ehemalige Neonazi Ralf M. aus Zwickau, der heute in der Schweiz lebt, war zwischen 1992 und 2002 V-Mann (»Primus«) für den Dienst. Ein Zeuge habe ihn Ende der 1990er Jahre bei einem Fußballturnier im thüringischen Greiz mit Böhnhardt und Mundlos gesehen. Zschäpe soll in seinem Laden gearbeitet haben. In einer Vernehmung bestritt »Primus«, die Drei persönlich gekannt zu haben.

7. Februar: Laut »taz« war der ehemalige Chef eines deutschen Able-gers des »Ku-Klux-Klan«, Achim S., mehrere Jahre V-Mann des baden-württembergischen Geheimdienstes. Das BfV hatte mit Thomas Richter (»Corelli«) in der Gruppe zudem einen eigenen V-Mann. Für mögliche Verbindungen zum Umfeld des NSU und zu einem Opfer interessiert sich auch der NSU-UA des Bundestages.

11. Februar: Vor dem NSU-UA des Bundestages mussten Berliner LKA-Beamte Auskunft über weitere V-Männer erteilen. Anlass sind Hinweise auf einen zweiten V-Mann, der in Unterlagen des Berliner LKA gemein-sam mit dem früheren V-Mann Thomas Starke genannt wird. Die Bun-desanwaltschaft führt S. im NSU-Verfahren als Beschuldigten. Der zweite V-Mann »VP 620« habe »etwas zur rechten Musikszene gesagt, was ei-nen Beschuldigten des NSU-Verfahrens betraf«, teilte ein Polizeisprecher mit. Unter den Personen, gegen die die Behörden als Beschuldigte im NSU-Fall ermitteln, ist als bekannter Akteur der Musikszene auch der Sachse Jan Werner vertreten. Er steht in Verdacht, dem NSU Waffen beschafft zu haben. Der V-Mann Thomas Starke hatte 2002 Werner als Quelle für seinen Hinweis auf das Trio genannt.

18. Februar: Bundespräsident Joachim Gauck lädt Angehörige der NSU-Opfer ein. Nicht alle kommen der Einladung nach, sie fordern die voll-ständige Aufklärung der NSU-Morde.

19. Februar: Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), legt der »Parlamentarischen Kontrollkommission« einen

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nichtssagenden Bericht über die Verbindungen von Neonazis aus dem Bundesland zum NSU und die Ermittlungen der Behörden zu dem NSU-Mord in Rostock vor.

24. Februar: »Bündnis 90/Die Grünen« verlangen von Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) die Herausgabe von Akten im Fall des V-Mannes »Corelli«. Bisher habe sich der Innenminister in der »Parlamentarischen Kontrollkommission« des Landtags geweigert, das Material zu dem Mann aus dem NSU-Umfeld zur Verfügung zu stellen.

28. Februar / 1. März: Eine weitere Ermittlungspanne des BKA und des Thüringer LKA kommt im NSU-UA des Bundestages ans Licht. Ermittle-rInnen haben 1998 bei der Suche nach den Untergetauchten versäumt, Adress- und Telefonlisten auszuwerten, die sich aus heutiger Sicht wie ein Verzeichnis der späteren NSU-UnterstützerInnen lesen. Neben der bereits bekannten Liste, die bei der Razzia gegen die späteren NSU-Mitglieder in Jena 1998 gefunden wurde, war eine zweite Liste aufge-taucht. Die ErmittlerInnen des LKA Thüringen und des BKA betrachteten die Liste damals als »für das Ermittlungsverfahren ohne Bedeutung«. Die Adressen hätten die ErmittlerInnen rechtzeitig auf die Spur des Tri-os bringen können, wurden aber offensichtlich nicht ausgewertet. Den ZielfahnderInnen, die dann vergeblich nach dem späteren Terror-Trio suchten, wurde die Liste nicht einmal ausgehändigt.

5. März: »Bündnis 90/Die Grünen« in Mecklenburg-Vorpommern lehnen nach der Veröffentlichung des NSU-Berichtes von Innenminister Caffier die Einrichtung eines eigenen UA zum NSU ab. 6. März: Die »Badische Zeitung« berichtet, dass das Innenministerium in Baden-Württemberg eine eigene Ermittlungsgruppe zum NSU gründet.

7. März: Im NSU-UA Thüringen wurden zwei Verfassungsschützer be-fragt, die vom Thüringer Innenministerium als Auswerter von Informati-onen des V-Mannes Tino Brandt benannt worden waren. Es zeigte sich, dass beide nie als Auswerter gearbeitet und Informationen von dem Neo-nazi und Gründer des »Thüringer Heimatschutz« (THS) erhalten haben.

8. März: Es wird bekannt, dass Ermittlungsbehörden 1998 vor Ort wa-ren, als ein Kurier Geld für die abgetauchten Jenaer Neonazis an einen Mittelsmann übergab. Von der Übergabe auf einem Parkplatz in Zwickau sollen Fotos existieren. Ein Kurier sagte, das Thüringer LKA habe ihm die Fotos 1999 in der Bundeswehrkaserne Mellrichstadt vorgelegt, wo er damals Dienst leistete. Die Befragung ist in LKA-Akten dokumentiert. Aus den Akten geht auch hervor, dass der Jenaer dem LKA mehrere Kurierfahrten nach Sachsen bestätigt habe. Unklar ist, wo die Fotos sind, wer sie gemacht hat und ob die ErmittlerInnen versucht haben, den Mit-telsmann zu identifizieren.

11. März: Der NSU-UA Thüringen stellt einen 554-seitigen Zwischenbe-richt der Öffentlichkeit vor. Das Dokument mit dem vorläufigen Resümee aus 31 Sitzungen des Ausschusses, der bisher 55 ZeugInnen vernom-men hat und dem von der Landesregierung etwa 5.000 Akten übergeben wurden, befasste sich bisher mit der Zeit bis zum Untertauchen des NSU 1998.

14. März: Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat vor dem NSU-UA des Bundestags die »politische Verantwortung« für das Versagen bei den NSU-Ermittlungen übernommen. Einen Tag nach dem Nagelbombenanschlag in der Keupstraße in Köln am 9. Juni 2004 hatte er erklärt, die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden deuteten »nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein kriminelles Milieu.«

Gleichzeitig bestritt er im UA, die Situation damals falsch eingeschätzt zu haben.

17. März: Es wurde bekannt, dass die Polizei zwischen 2005 und 2006 in Jena einen Neonazi als »Vertrauens-Person« (VP) geführt hat. Das In-nenministerium hatte dagegen noch im Mai 2012 im Thüringer Landtag erklärt, dass die Polizei keine V-Personen in der Neonazi-Szene habe.

18. März: Thüringens Innenminister Geibert (CDU) will in Folge des NSU-Skandals die Eigenständigkeit des LfV aufgeben und das Amt als Abtei-lung in das Ministerium integrieren.

24. März: Das BKA hat mit dem BfV eine Liste von 129 Personen zusam-mengestellt, die den NSU direkt oder über Mittelsleute unterstützt oder zu ihm Kontakt gehabt haben sollen.

26. März: Das bayerische Oberlandesgericht akkreditierte 50 Journalis-tInnen für den NSU-Prozess. Darunter befinden sich bisher keine türki-schen PressevertreterInnen.

29. März: Die Bundesanwaltschaft prüft, ob der Neonazi und frühere V-Mann Ralf M. (»Primus«) Autos für zwei Morde des NSU gemietet hat. Zwei Anmietungen durch seine Baufirma überschneiden sich zeitlich mit Morden in Nürnberg und München 2001.

2. April: nsu-watch.info, ein Zusammenschluss antifaschistischer Initia-tiven, kündigt eine unabhängige und öffentliche Beobachtung des NSU-Prozesses in München an.

3. April: Die »Berliner Zeitung« nennt 24 Personen, die im Umfeld des THS und des NSU als Spitzel verschiedener Geheimdienste tätig waren.

10. April: Die Bundesanwaltschaft durchsucht erneut die Wohnung von Susann Eminger, Ehefrau des Angeklagten André Eminger, in Zwickau. Sie steht im Verdacht, den NSU unterstützt und Zschäpe bei der Flucht geholfen und so Strafvereitelung betrieben zu haben.

15. April: Das Oberlandesgericht verschiebt die Eröffnung des NSU-Prozesses aufgrund der Auseinandersetzung um die Presseplätze. Unter anderem hatte die türkischen Zeitung »Sabah« dagegen geklagt, dass sie bei der Vergabe der Plätze ebenso wie andere internationale Medien nicht berücksichtig wurde. Das Gericht entscheidet, die Presseplätze nun zu verlosen.

29. April: Unter großer medialer Beachtung verlost das Gericht die Pres-seplätze, erneut erhalten relevante Medien keinen Platz. Die Klage gegen das neue Vergabeverfahren eines freien Journalisten wird später abge-wiesen, ein Presseplatz muss später aufgrund eines Fehlers neu verlost werden.

5. Mai: Mehrere VertreterInnen der NebenklägerInnen umfassende Auf-klärung gefordert. Sie glauben, habe aus mehr als nur drei einzelnen Neonazis bestanden. Auch das »Versagen« des Staates und das Umfeld des NSU müssten im Prozess behandelt werden. »Es geht nicht darum, in möglichst kurzer Zeit maximale Strafen zu erreichen, sondern um mög-lichst umfassende Aufklärung«, sagte die Münchner Anwältin Angelika Lex.

6. Mai: Der Prozess gegen Zschäpe und die mutmaßlichen NSU-Unter-stützer beginnt in München. Der erste Tag ist geprägt von einem großen medialen Interesse und Anträgen der Verteidigung. Zur Verlesung der Anklage kommt es nicht.

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ISSN 1619-1404

23. Jahrgang

Nummer 139

November | Dezember 2012

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magazin von und für antifaschistInnen

NAZITERROR – EIN JAHR NACH DEM AUFFLIEGEN DES NSU

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der rechte rand 139/2012 11

11. September 2012: Thüringens früherer Innenminister Richard Dewes

(SPD) sagt im NSU-UA des Thüringer Landtages aus: »Wir sind […] nicht

davon ausgegangen, dass rechter Terrorismus real droht.« Es wird be-

kannt, dass der »Militärische Abschirmdienst« (MAD) 1995 Uwe Mundlos

als Spitzel anwerben wollte. 2002 hatte der Dienst gegenüber dem Thü-

ringer Landeskriminalamt (LKA) behauptet, keine Erkenntnis zu haben.

13. September: Der Chef des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt Vol-

ker Limburg tritt zurück. In dem Amt war eine angeblich verschwunde-

ne Kopie einer MAD-Akte aufgetaucht, in der es um Mundlos geht, der

während des Wehrdienstes durch neonazistische Aktivitäten auffi el. Der

Untersuchungsausschuss (UA) des Bundestages stellt Fehler bei der

Aufklärung des NSU-Mordes an der Po-

lizistin Michèle Kiesewetter 2007 fest.

Der Bundesgerichtshof teilt mit, dass

Beate Zschäpe in Untersuchungshaft

bleibe, da mit einer Anklage innerhalb

von drei Monaten zu rechnen sei.

13. September: Der zeitweilige Part-

ner von Zschäpe und das »Blood &

Honour«-Mitglied Thomas Starke aus

Sachsen wurde vom LKA Berlin im

Umfeld der NSU-Mitglieder als Spitzel

geführt. Er gilt als einer der NSU-Be-

schuldigten, da er in den 1990er Jah-

ren 1,1 Kilo Sprengstoff besorgte und

bei der Flucht half. Die Unterstützung

gesteht er im Interview mit der »Welt am

Sonntag« (23.09.2012). Er lieferte dem

LKA mehrfach Hinweise auf den Auf-

enthaltsort der Abgetauchten, sie wur-

den nicht verfolgt. Auch die UA wurden

nicht informiert.

17. September: Bundeskanzlerin Angela

Merkel (CDU) kritisiert die NSU-Aufklä-

rung, sie laufe »an etlichen Stellen nicht

so, wie wir es für richtig halten«. Eine

Kommission solle Reformvorschläge für

die Sicherheitsarchitektur entwickeln.

18. September: Der Neonazi Thomas R.

(»Corelli«) aus Sachsen-Anhalt war V-

Mann des BfV. Er hatte Kontakt zu den

späteren NSU-Mitgliedern und gewähr-

te ihnen auf der Flucht Unterkunft. Sein

Name stand auf einer Telefonliste, die 1998 bei Mundlos beschlagnahmt

wurde. Thomas R. betrieb Neonazi-Websites, war Herausgeber der Zei-

tung »Nationaler Beobachter« und bei B&H aktiv.

19. September: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) startet

die zentrale »Rechtsextremisten-Datei«, auf die 36 Sicherheitsbehörden

zugreifen.

22. September: Der MDR veröffentlicht Fotos von einer Kreuzverbrennung

im Stil des »Ku-Klux-Klans« (KKK), die 1996 bei Jena stattfand. Mit dabei

unter anderen Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben.

24. September: In Dortmund wird in der Malinckrodtstraße ein Gedenk-

stein für den am 4. April 2006 vom NSU ermordeten Mehmet Kubasık

eingeweiht.

26. September: Ein Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft sagt, er könne

sich aus dem NPD-Verbotsverfahren an einen V-Mann erinnern, der un-

ter den NSU-Beschuldigten sei.

27. September: Der UA des Bundestages kritisiert die Ermittlungen gegen

die Mörder der Polizistin Michèle Kiesewetter. Eine Spur zur Tatwaffe sei

nicht verfolgt worden, stattdessen hätte sich die Polizei auf türkische Waf-

fenkäufer konzentriert.

Berlins Innensenator Dirk Henkel (CDU) hat Oberstaatsanwalt Dirk Feu-

erberg als Sonderermittler eingesetzt, um zu klären, ob die Berliner Be-

hörden mit den Informationen ihres Spitzels Thomas Starke die NSU-

Mitglieder hätten fi nden können.

28. September: Thüringen hat dem UA des Bundestags 778 Ordner mit

ungeschwärzten Akten des »Thüringer Landesamtes für Verfassungs-

schutz« (TLfV) geschickt. Das Land will weitere Akten liefern. Um die

Übergabe der Akten zu verhindern, hätten mehrere Bundesländer ver-

sucht, die LKWs zu stoppen.

2. Oktober: In der »taz« berichten zwei Männer, wie sie am 31. Dezember

1996 am Bahnhof Erfurt von Neonazis beschossen wurden, es sollen

Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gewesen sein.

4. Oktober: Der ehemalige Chef des TLfV Helmut Roewer stellt sein Buch

»Nur für den Dienstgebrauch. Als Verfassungsschutz-Chef im Osten

Deutschlands« vor, das im extrem rechten »Ares Verlag« erscheint.

9. Oktober: Medien berichten, der mutmaßliche NSU-Unterstützer Wohl-

leben sei aus dem Thüringer Gefängnis Gräfentonna nach München ver-

legt worden.

11. Oktober: In der »tageszeitung« bestätigt Thüringens Innenminister

Jörg Geibert (CDU), der Transport von ungeschwärzten Akten für den UA

des Bundestages sollte verhindert werden. Medien berichten, der Minis-

ter habe sich gesorgt, dass »interessante Bestandteile« »verschwinden«

könnten, wenn MitarbeiterInnen des TLfV die Akten bearbeiten, daher

hätten PolizistInnen die Unterlagen kopiert. Das BKA rechnet 100 Perso-

nen dem »engeren und weiteren Umfeld« des NSU zu.

13. Oktober: Bis 2010 fahndete der Sächsische Geheimdienst unter an-

derem mit Abhörmaßnahmen nach den Mitgliedern des NSU, somit län-

ger als bisher bekannt.

15. Oktober: Daniel »Gigi« Giese wird vor dem Amtsgericht Meppen auf-

grund seines Songs »Döner Killer« (s. drr Nr. 134) wegen Volksverhet-

zung und Billigung von Straftaten zu sieben Monaten Haft auf Bewährung

und einer Geldstrafe von 600,- Euro verurteilt. Seine Anwältin kündigte

an, Rechtsmittel einzulegen.

16. Oktober: Der ehemals führende Neonazi Kai Dalek wird als V-Mann

Bayerns geoutet. Der Spitzel fi ndet sich auch auf der 1998 beschlag-

nahmten Adressliste von Mundlos. Dalek unterhielt enge Kontakte zur

»Anti-Antifa-Ostthüringen« und war am Aufbau von Neonazi-Strukturen

in Thüringen beteiligt. Er nahm an Treffen mit den späteren NSU-Mitglie-

dern teil.

17. Oktober: Das BfV hat laut Bundesinnenministerium nach dem Auffl ie-

gen des NSU 310 Akten geschreddert. Ein Teil der Akten enthielt Infor-

mationen zum Umfeld des NSU.

18. Oktober: Ein V-Mann des Geheimdienstes von Baden-Württemberg

hat laut »Tagesspiegel« den KKK aufgebaut. In der Gruppe waren auch

zwei Kollegen der vom NSU ermordeten Polizistin Kiesewetter. Ein Beam-

ter des Geheimdienstes steht im Verdacht, den Chef des KKK vor Über-

wachung gewarnt zu haben.

20. Oktober: Das BKA sucht 110 abgetauchte Neonazis.

Eine Chronik des NSU – VIvon Ernst Kovahl

Page 18: Chronik nsu drr 2012 2015

H 8040 F

ISSN 1619-1404

23. Jahrgang

Nummer 138

September | Oktober 2012

3,00 Euro randder rechte

magazin von und für antifaschistInnen

UNPOLITISCHE

FREUNDSCHAFTEN

Page 19: Chronik nsu drr 2012 2015

der rechte rand 138/2012 11

4. Juli 2012: Das »Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz« (TLfV)

verfügt laut Presseberichten über mehr Akten zu der geheimdienstlichen

»Operation Rennsteig« gegen den neonazistischen »Thüringer Heimat-

schutz« (THS) als bisher bekannt, darunter Dokumente des »Militäri-

schen Abschirmdienstes«.

4. Juli: VertreterInnen des Untersuchungsausschusses (UA) des Bun-

destages zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) erklären, die

Mitglieder der Gruppe seien keine V-Leute des »Bundesamtes für Verfas-

sungsschutz« (BfV) gewesen. Sie konnten Unterlagen des Amtes mit den

Klarnamen von V-Leuten einsehen. Im Thüringer UA erklären BeamtIn-

nen des Landeskriminalamtes (LKA), sie seien bei Ermittlungen gegen

Neonazis durch das TLfV behindert worden.

5. Juli: Hinterbliebene von Opfern des NSU haben wegen der Vernich-

tung von Akten im BfV Anzeige gegen GeheimdienstmitarbeiterInnen ein-

gereicht.

6. Juli: Der frühere Leiter der Abteilung »Rechtsextremismus« des BfV sagt

vor dem NSU-UA des Bundestages, das TLfV habe bei der Suche nach

den abgetauchten späteren NSU-Mitgliedern Unterstützung abgelehnt.

9. Juli: Der frühere Chef des TLfV Helmut Roewer weist vor dem Thürin-

ger NSU-UA Kritik an seiner Arbeit zurück. Bei seinem Amtsantritt seien

die Mitarbeiter des TLfV nicht qualifi ziert gewesen. 2000 habe er dem

Innenministerium den Entwurf einer Verbotsverfügung gegen den THS

geschickt. Laut Ministerium fehlten jedoch die Voraussetzungen für ein

Verbot. Ein anderer Zeuge aus dem TLfV sagt, es habe keine effektive

Aufsicht durch das Innenministerium gegeben.

10. Juli: Der Präsident des »Sächsischen Landesamt für Verfassungs-

schutz« (SLfV) Reinhard Boos tritt zurück. Sein Amt hatte Akten zum

NSU zurückgehalten, zudem waren nach dem Auffl iegen der Terror-

Gruppe Unterlagen vernichtet worden.

13. Juli: Der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer beginnt im Auf-

trag der Thüringer Landesregierung mit einer Prüfung des TLfV. Er soll

Reformvorschläge für den Dienst erarbeiten. Es wird bekannt, dass das

SLfV 1998 und 1999 den »Blood & Honour«-Aktivisten Jan W., der zeit-

weise während ihres Lebens im Untergrund mit dem NSU-Mitglied Beate

Zschäpe liiert war, observierte.

15. Juli: Erst Monate nach dem Auffl iegen des NSU werden in den Ar-

chiven der Thüringer Kriminalpolizei tausende Dokumente zum THS und

dem Umfeld des Terror-Trios gefunden. Die Akten standen vorher den

UA, dem Bundeskriminalamt und der Thüringer »Schäfer-Kommission«

nicht zur Verfügung.

17. Juli: Der Thüringer NSU-UA sichtet die V-Mann-Akten und Klarna-

men-Datei des TLfV. Auch der ehemalige Vize-Chef des Amtes Peter

Nocken wird vernommen. Es wird bekannt, dass sich der frühere Innen-

staatssekretär Michael Lippert offenbar vor seiner Vernehmung im UA

Informationen aus dem Innenministerium über frühere Polizeiaktionen

und MitarbeiterInnen besorgte.

19. Juli: Nachdem die Vernichtung von Akten im BfV bekannt geworden

ist, fordern die Mitglieder des NSU-UA des Bundestages die Behörden

Eine Chronik des NSU – Vvon Ernst Kovahl

auf, das Akten-Schreddern einzustellen. Der Vorsitzende des UA Sebasti-

an Edathy (SPD) sagt, es sei »nachdrücklich klar geworden, dass es eine

Vertuschungsaktion gegeben hat«.

27. Juli: Im Thüringer Innenministerium tauchen bisher unbekannte

Akten einer vom Ministerium 2000 eingerichteten »Sonderkommission

Rechte Gewalt« auf, die gegen den THS ermittelte.

30. Juli: Zwei Polizisten aus dem Umfeld der 2007 vom NSU in Heilbronn

ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter waren Mitglied im »Ku-Klux-

Klan« (KKK). Einen Zusammenhang mit dem Mord sehen die Behörden

nicht. Auch ein Thüringer war Mitglied der Gruppe.

10. August: Hunderte Akten der Thüringer Kriminalpolizei über das Um-

feld des THS und des NSU werden vom Thüringer Innenminister Jörg

Geibert (CDU) der Presse präsentiert.

13. August: Laut »Der Spiegel« wurden an einer Hose aus der Wohnung

des NSU in Zwickau DNA-Spuren der ermordeten Polizistin Michèle Kie-

sewetter und auf Taschentüchern in der Hose Spuren von dem NSU-

Mitglied Uwe Mundlos gefunden.

15. August: Die Bundesanwaltschaft beantragt, das NSU-Mitglied Beate

Zschäpe auch wegen der Beteiligung an zehn Morden, 14 Banküberfäl-

len und einem versuchten Mord im Zusammenhang mit Brandstiftung

anzuklagen und weiterhin in Untersuchungshaft zu behalten.

16. August: Laut der »tageszeitung« (taz) war der Neonazi Thomas R. aus

Sachsen-Anhalt, dessen Name auf einer bei einer Razzia in Jena 1998

gefundenen Adressliste von Mundlos stand, Mitglied des KKK.

20. August: Der Neonazi Thomas S. hat laut »Der Spiegel« gestanden,

Ende der 1990er Jahre den Mitgliedern des späteren NSU Sprengstoff

übergeben zu haben.

27. August: Laut alten Akten des TLfV und des BfV soll ein Polizist Ende

der 1990er Jahre Mitglieder des THS vor Polizeiaktionen gewarnt haben.

Trotzdem übernahm ihn das TLfV, wo er als V-Mann-Führer arbeitete.

Der Beamte bestreitet die Vorwürfe. Auch ein zweiter Polizist soll privat

Kontakte in die Szene gepfl egt haben. Weder die Polizei noch das Minis-

terium wurden über die seit 13 Jahren bekannten Vorwürfe informiert.

27. August: Eine Quelle des TLfV soll 2001 informiert haben, dass die

drei abgetauchten Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate

Zschäpe in Chemnitz seien, schreibt »Der Spiegel«.

28. August: Auf der Innenminister-Konferenz wird die Umstrukturierung

der Inlandsgeheimdienste diskutiert. Die Vorschläge zielen auf zusätz-

liche Kompetenzen für die Ämter und eine Zentralisierung der Arbeit.

Davor warnt der Bundesbeauftragte für Datenschutz.

1. September: Der Politologe Horst Meier und der Direktor des Kultur-

wissenschaftlichen Instituts Essen Claus Leggewie fordern in der taz als

Konsequenz aus dem NSU die Aufl ösung des Inlandsgeheimdienstes.

4. September: Bis zu 40 Spitzel seien laut Hochrechnungen der UA im

THS gewesen, berichtet die »Thüringer Allgemeine«.

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H 8040 FISSN 1619-140423. JahrgangNummer 137Juli | August 20123,00 Euro randder rechte

magazin von und für antifaschistInnen

POGROM20. JAHRESTAG

ROSTOCK LICHTENHAGEN

Page 21: Chronik nsu drr 2012 2015

4 der rechte rand 137/20124 der rechte rand 137/2012

3. Mai 2012: Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt (BKA) durch-suchen Räume des NPD-Abgeordneten des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern, David Petereit. Er war Herausgeber des Neonazi-Fanzines »Der Weiße Wolf«. In der 18. Ausgabe war 2002 ein möglicher Hinweis auf den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) erschienen. Nach eigenen Angaben hat Petereit erst später das Fanzine verantwortet. Bei der Razzia findet sich ein Exemplar eines 2002 vom NSU verfassten Briefs.

3. Mai: Der Präsident des »Thüringer Landesamtes für Verfassungs-schutz« (TLfV) Thomas Sippel räumt Fehler ein. Damit reagiert er laut MDR auf die für den 8. Mai angekündigte Veröffentlichung des Buches »Made in Thüringen? Naziterror und Verfassungsschutzskandal«.

5. Mai: Die »Süddeutsche Zeitung« zitiert aus Unterlagen der Sonder-kommission »Bosporus«, zwischen BKA und den Landeskriminalämtern hätte es Kontroversen wegen der NSU-Ermittlungen gegeben. So sei die »Rechtsextremismus-These« nur »halbherzig geprüft« worden.

8. Mai: Laut »Cicero« finden sich an einer der in Eisenach gefundenen NSU-Waffen DNA-Spuren einer vierten Person.

10. Mai: Der frühere leitende bayerische Oberstaatsanwalt Walter Kimmel erklärt im NSU-UA des Bundestages, die Polizei habe in Nürnberg einen Döner-Imbiss betrieben, um die in der organisierten Kriminalität vermu-teten Täter der Morde aufzuspüren. Nur vier von 160 BeamtInnen waren mit der Untersuchung eines rechten Motivs befasst.

11. Mai: Der Präsident des BKA Jörg Ziercke bedauert in einem Brief an den »Zentralrat Deutscher Sinti und Roma«, dass eine »Bevölkerungs-gruppe unter Generalverdacht« gestellt wurde.

15. Mai: Die Thüringer »Schäfer-Kommission« legt ihren Bericht vor. Sie recherchierte Gründe für die 1998 gescheiterte Festnahme der späte-ren NSU-Mitglieder. Ergebnis: Die Behörden hätten Fehler begangen. Der Neonazi und Spitzel Tino Brandt erklärt, er sei vom TLfV mehrfach vor Razzien gewarnt worden. Informationen mit Hinweisen zu den Abge-tauchten seien im TLfV nicht ausgewertet worden.

15. Mai: Laut »taz« zählte das Thüringer LKA Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe 1998 »zum harten Kern der Blood & Honour-Bewegung«.

21. Mai: Der »Focus« berichtet von Fehlern bei den Ermittlungen zum Heilbronner Mord: Das Wohnmobilkennzeichen und DNA-Spuren seien nicht bearbeitet worden.

21. Mai: Der Thüringer NSU-UA befragt ehemalige Minister sowie Leiter von LKA und TLfV. Sie berichten von Kontroversen in den Behörden und personellen Defiziten. Ex-Justizminister Hans-Joachim Jentsch (CDU) verweigert die Aussage.

24. Mai: Bayerns früherer Innenminister und Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) streitet im NSU-UA des Bundestags Versäumnisse der Bayerischen Polizei ab. 2000 hatte er ein rassistisches Motiv für den Mord in Nürnberg vermutet.

Eine Chronik des NSU – IVvon Sören Frerks und Ernst Kovahl

25. Mai: Der Haftbefehl gegen Holger G. wird aufgehoben. Es gebe kei-nen dringenden Tatverdacht, eine Unterstützung des NSU werde aber angenommen.

29. Mai: Carsten S. und Matthias D. kommen frei. S. habe umfassend aus-gesagt. Beiden wird weiter vorgeworfen, den NSU unterstützt zu haben.

29. Mai: Der »Berliner Kurier« schreibt, Zschäpe sei am 4. November 2011, nachdem sich Böhnhardt und Mundlos in Eisenach erschossen hatten und sie ihre Wohnung in Zwickau in Brand gesetzt hatte, mehrfach von einer Telefonnummer angerufen worden, die auf das Sächsische In-nenministerium registriert ist.

30. Mai: Ein Zielfahnder des Thüringer LKA wird versetzt. Polizeigewerk-schaft und Opposition kritisieren dies als »Bauernopfer«.

31. Mai: Das BKA glaubt, Zschäpe habe das NSU-Bekennervideo mit erstellt und sei maßgeblich an der Organisierung des Trios beteiligt ge-wesen.

2. Juni: Das »Bündnis gegen das Schweigen« diskutiert auf einer Anhö-rung in Berlin Konsequenzen aus der rassistischen Mordserie.

5. Juni: Der MDR veröffentlicht Auszüge aus dem »Gasser-Bericht«. Demnach habe sich das TLfV unter Helmut Roewer der Kontrolle durch das Innenministerium entzogen. Roewer habe nur dem damaligen Innen-minister Richard Dewes (SPD) berichtet. Auch Roewers Personalpolitik, seine Tarnfirma und Informanten werden kritisiert.

11. Juni: Im Thüringer NSU-UA zeigt sich, dass das TLfV in der Region Jena einen weiteren V-Mann führte. Günther Holland, Leiter der ehemali-gen »Soko Rex«, bestätigt die Gefährlichkeit der damaligen Neonazis. Von Ungereimtheiten bei der Kooperation zwischen LKA und Geheimdiensten spricht der frühere Saalfelder »Staatsschützer« Klaus-Dieter Isselt.

Juni: Die »Berliner Zeitung« berichtet von der »Operation Rennsteig«, einer gemeinsamen Aktion des »Bundesamtes für Verfassungsschutz« (BfV), des TLfV und des »Militärischen Abschirmdiensts« zwischen 1997 und 2003. Ziel war der »Thüringer Heimatschutz«, zu dem auch die spä-teren NSU-Mitglieder gehörten. Zeitweise führten die Dienste mindestens zehn V-Leute in der Struktur. Relevante Akten wurden 2011 vom BfV ver-nichtet. Weder die UA noch die »Schäfer-Kommission« wurden offenbar über diese Aktion informiert.

28. Juni: Es wird bekannt, dass das BfV im November 2011 Akten zur »Operation Rennsteig« vernichtet hat.

2. Juli: Der »Spiegel« berichtet, dass im BfV Computerdaten manipuliert wurden. Nicht alle V-Leute seien erfasst worden.

2. Juli: Heinz Fromm, Chef des BfV, erklärt seinen Rücktritt.

3. Juli: Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) entlässt den Präsi-denten des TLfV Thomas Sippel. Er habe das Vertrauen des Parlaments verloren.

Page 22: Chronik nsu drr 2012 2015

H 8040 FISSN 1619-140423. JahrgangNummer 136Mai | Juni 20123,00 Euro randder rechte

magazin von und für antifaschistInnen

Rückkehr der Geister

UNGARN

Page 23: Chronik nsu drr 2012 2015

4 der rechte rand 136/20124 der rechte rand 136/2012 5 der rechte rand 136/2012

29. Februar: Der Bundesgerichtshof lehnt eine Haftbeschwerde von Be-ate Zschäpe wegen Fluchtgefahr ab. Die Richter sehen in ihr ein »voll-wertiges Mitglied« des NSU. Zudem habe sie versucht, Beweismittel zu vernichten.

11. März: Der mutmaßliche NSU-Unterstützer André K. könnte einer Ver-urteilung entgehen. Nach einem Bericht der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« (FAS) würde bei ihm Verjährung eintreten, sollten keine Beweise für eine Unterstützung der Terrorgruppe nach 2001 gefunden werden.

15. März: Gegen den früheren Chef des »Thüringer Heimatschutz« (THS) und Spitzel des »Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz« (TLfV) Tino Brandt wurden zwischen 1994 und 1997 insgesamt 35 Ermittlungs-verfahren geführt, die alle eingestellt wurden. Das geht aus der Antwort des Thüringer Innenministeriums vom 15. März auf eine Anfrage hervor.

20. März: Das Fernsehmagazin »Fakt« berichtet von zwei weiteren mut-maßlichen Unterstützern des NSU, den Brüdern Gunther und Armin F. aus Chemnitz. Sie sollen dem Trio 1998 Unterschlupf geboten und einen gefälschten Reisepass besorgt haben.

25. März: Generalbundesanwalt Harald Range sagt der FAS, dass 13 von ihm bei Amtsantritt im November 2011 überprüfte Fälle seit 1995 in sei-ner Zuständigkeit »aus heutiger Sicht einen Bezug zum ›NSU‹-Verfahren« aufwiesen. Allerdings hätte er noch im November »in allen Fällen […] die Auskunft bekommen, ein rechtsterroristischer Zusammenhang sei nicht anzunehmen. Wir konnten also die Verfahren nicht übernehmen.«

28. März: Die Polizei durchsucht unter anderem das Wohnhaus von Brandt in Rudolstadt und die Wohnung des früheren Thüringer NPD-Funktionärs und V-Mannes des TLfV Thomas Dienelt in Leipzig-Gohlis. Es wird wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs gegen 13 Beschuldigte, mehrere mit Bezug zu »rechter Klientel«, ermittelt. Auch Waffen wurden beschlagnahmt. Was mit dem Geld des Versicherungsbetrugs geschah, ist unbekannt.

28. März: Das »Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum« macht auf ein öffentliches Bekenntnis zur rechten Terrorzelle NSU aus dem Jahr 2002 aufmerksam. Damals war im Fanzine »Der Weisse Wolf« die Parole »Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter…« zu lesen.

30. März: Die Eltern des NSU-Mitglieds Uwe Böhnhardt standen nach dem Abtauchen des Trios jahrelang in Kontakt zu der Gruppe. Der »Focus« berichtet, sie hätten von 1998 bis 2002 enge Verbindungen zu den Untergetauchten gehalten. Neben Telefonaten gab es Treffen, zu-meist in einem Park in Chemnitz. Am 19. April strahlt die ARD ein aus-führliches Interview mit den Eltern aus, in dem sie das bestätigen.

31. März: Vor dem Verwaltungsgericht Weimar wollte Helmut Roewer, der frühere Präsident des TLfV, mit einer Klage erzwingen, dass der sogenann-te »Gasser-Bericht« über die katastrophalen Zustände in seinem Amt nicht von den Untersuchungsausschüssen eingesehen werden darf. Es wird eine Einigung zwischen Thüringer Innenministerium und Roewer angestrebt.

3. April: Sieben Städte erklären, mit Mahnmalen an die Mordopfer des NSU erinnern zu wollen.

Eine Chronik des NSU – IIIvon Sören Frerks und Ernst Kovahl

5. April: Die Thüringer Landesregierung hatte mehr Kenntnisse über Schießübungen von Neonazis in den 1990er Jahren als bisher bekannt. Auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz in Milbitz / Teichel schossen im September 1995 Neonazis mit scharfer Munition. 1995 und 1996 sei-en zudem laut Presseberichten Ermittlungen gegen Neonazis aus dem Umfeld des THS-Chefs Brandt wegen Schießübungen geführt worden, unter anderem auf einem Gartengrundstück in Kahla, das bis heute im Besitz des Neonazi-Verlegers Peter Dehoust ist und von Brandt gepachtet wurde. Auch an einem Stausee nahe Möckern im Saale-Holzland-Kreis sei damals von Neonazis geschossen worden.

17. April: Der NSU-Untersuchungsausschuss im Sächsischen Landtag kommt erstmals zusammen.

23. April: In einer Anhörung des Untersuchungsausschusses des Thü-ringer Landtags zum NSU attestieren fast alle geladenen Wissenschaftle-rInnen, ExpertInnen und AntifaschistInnen den Thüringer Behörden und der Landesregierung Versagen beim Kampf gegen Rechts in den 1990er Jahren. Die Thüringer Neonazis seien hoch aktiv, militant und gut orga-nisiert gewesen. Warnungen hätten die Behörden oft ignoriert. Die CDU hatte als Experten die Verfechter der Extremismus-Theorie Rudolf van Hüllen, früher Referatsleiter beim »Bundesamt für Verfassungsschutz«, und Eckhard Jesse, Professor an der Technischen Universität Chemnitz, geladen. Jesse sagte seine Teilnahme ab.

26. April: Bayerische Ermittler sagen vor dem Bundestags-Untersu-chungsausschuss aus. Man habe wegen der Mordserie damals rund 112.000 Personen überprüft, 16 Millionen Funkzellen-, 13 Millionen Kre-ditkarten- und 60.000 Verkehrsdaten, 27.000 Hotelbuchungen, 90.000 Haftzeitdaten sowie eine Million Mietwagenrechnungen geprüft. Auch der Verbleib hunderter Waffen sei geprüft worden. Das FBI vermutete 2007 einen rassistischen Hintergrund der Morde. Auch deutsche Ermitt-lerInnen gingen rassistischen Motiven nach und stellten Fahrräder als Tatmerkmale fest. Auch die Verknüpfung der Morde mit dem Bomben-anschlag 2001 in Köln sei in Betracht gezogen worden. Dennoch war es angeblich nicht möglich, die TäterInnen zu finden.

26. April: Das BKA durchsucht Wohnungen und Garagen in Hessen, Sachsen und Thüringen. Unter anderem soll damit die Herkunft der Waf-fen des NSU geklärt werden. Es gebe aber bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass die beiden Personen aus Hessen und Thüringen den NSU wissentlich unterstützt hätten. Eine Frau aus Sachsen, bei der die Poli-zei durchsuchte, wird dagegen verdächtigt, mögliche Unterstützerin des NSU zu sein.

^ Grundstück in Kahla

Page 24: Chronik nsu drr 2012 2015

DERRECHTERAND | Nummer 135 | März | April 2012 5

2011 9. Dezember: Nach Aufforderung

durch das Bundeskriminalamt soll die

Bundespolizei Handy-Daten des mut-

maßlichen NSU-Unterstützers André

Eminger gelöscht haben. In Medien-

berichten wird der Verdacht laut, dass

Beweismittel vernichtet worden seien.

Nachdem die Löschung im Februar

2012 öffentlich wurde, bestätigte ein

Sprecher des »Bundeskriminalamtes«

(BKA) den Vorgang und erklärte, die

Daten seien nur bei der Bundespolizei

gelöscht worden, beim BKA aber wei-

terhin vorhanden.

12. Dezember: In einem Geheimbericht

des »Bundesamtes für Verfassungs-

schutz«, der mehreren Medien vorliegt,

wird von Kontakten des »Nationalsozia-

listischen Untergrundes« (NSU) zur

sächsischen Sek tion von »Blood & Ho-

nour« berichtet.

201216. Januar: Laut eines Berichts der

»Berliner Zeitung« sollen mindestens

fünf V-Leute über den »Thüringer Hei-

matschutz« (THS) informiert haben.

Neben dem Thüringer »Landesamt für

Verfassungsschutz«, das außer Tino

Brandt noch eine zweite Person geführt

habe, seien drei weitere Bundesbehör-

den aktiv gewesen, auch das »Bundes-

amt für Verfassungsschutz« und der

»Militärische Abschirmdienst«.

20. Januar: Die Schweizer Polizei

nimmt einen Mann wegen des Ver-

dachts fest, illegal Waffen weitergege-

ben zu haben, die später in den Besitz

des NSU gelangt seien. Seine Frau

komme aus Thüringen. Er wird nach

zwei Tagen wieder aus der Untersu-

chungshaft entlassen; er habe keine

Kontakte in Neonazikreise.

25. Januar: Die Polizei durchsucht

die Wohnungen von vier mutmaßlichen

Unterstützern des NSU in Dresden,

Ludwigsburg und den thüringischen

Gemeinden Laasdorf und Wolfersdorf.

Es bestehe der Verdacht, die Personen

hätten dem NSU zwischen 1998 und

2003 Sprengstoff beziehungsweise

Schusswaffen besorgt. Zwei der Per-

sonen sollen Inhaber des mittlerweile

geschlossenen Neonaziladens »Mad-

ley« in Jena gewesen sein. Außerdem

wurden ein Video- und Computerspiel-

verleih in Chemnitz sowie eine Wohnung

in Ehrenfriedersdorf durchsucht. Dort

wurden unter anderem Schreckschuss-

pistolen und Neonazi-Devotionalien ge-

funden. Die Mitarbeiter des Geschäfts,

Pierre J. und Hermann S., sind ver-

dächtig, dem NSU eine Waffe besorgt

zu haben. Sie bestreiten die Vorwürfe.

26. Januar: Die »tageszeitung« be-

richtet, einer der von der Polizei am 25.

Januar Durchsuchten sei der ehemalige

Anführer der sächsischen Sektion von

»Blood & Honour«, Jan W., der den

NSU mit Waffen und Geld unterstützt

haben soll. Zudem habe Jan W. gute

Kontakte in die Schweiz.

30. Januar: »Die Welt« berichtet,

dass die Mitglieder des NSU von 1998

bis 2011 ununterbrochen in Woh-

nungen in Sachsen gewohnt haben

sollen.

1. Februar: Ein fünfter mutmaß-

licher NSU-Helfer wird in Düsseldorf

festgenommen. Der ehemalige stellver-

tretende Landesvorsitzende der thürin-

gischen »Jungen Nationaldemokraten«,

Carsten Schultze, soll 2001 oder 2002

eine Schusswaffe und Munition an Ralf

Wohlleben weitergegeben haben, der

diese per Kurier den Zwickauer Neo-

nazis zukommen ließ. Außerdem habe

er 1999 und 2000 als Einziger Telefon-

kontakt zum NSU gehabt. Schultze be-

hauptet hingegen, 2000 aus der Neo-

naziszene ausgestiegen zu sein.

5. Februar: Der »Spiegel« meldet,

das BKA habe bis zum jetzigen Zeit-

punkt 64 Mietverträge für Wohnmobile

und Leihwagen im Zusammenhang mit

dem NSU sichergestellt. 17 davon könnten

mit den Morden des NSU in Verbindung

gebracht werden. Sie seien unter dem

Namen Holger Gerlach, der Tarnidentität

Uwe Böhnhardts, angemietet worden.

7. Februar: In der Schweiz wird eine

weitere Person wegen des Verdachts ei-

ner Waffenlieferung festgenommen. Dem

Mann aus dem Berner Oberland wird vorgeworfen, die Tat-

waffe, eine Pistole der tschechischen Marke »Ceska«, weiter-

gegeben zu haben. Er soll nicht zur Neonaziszene gehören.

9. Februar: Der Bundestags-Untersuchungsausschuss

zum NSU nimmt seine Arbeit auf. Im Thüringer Landtag be-

ginnt der dortige Untersuchungsausschuss am 16. Februar

die Aufarbeitung von Fehlern und möglichen Kontakten von

Polizei, Verfassungsschutz und Justiz zu den drei aus Jena

stammenden Neonazis. Der Ausschuss beschließt einstim-

mig eine Befragung des mutmaßlichen NSU-Mitgliedes Beate

Zschäpe. In Sachsen fordert die Opposition ebenfalls einen

Untersuchungsausschuss, die Landesregierung aus CDU und

FDP lehnt das bisher ab.

18. Februar: Generalbundesanwalt Harald Range kündigt

im Interview mit der »Süddeutschen Zeitung« an, im Herbst

2012 wegen der Mordserie des NSU Anklage zu erheben. Er

behauptet, ein neonazistisches »Netzwerk« sei im Zusam-

menhang mit den Morden nicht zu erkennen, eine organisa-

torische Verbindung über den engen Kreis des NSU hinaus

existiere nicht. Überschneidungen zur NPD seien Einzelfälle.

18. Februar: Semiya Simsek, die Tochter des ersten Mord-

opfers des NSU, erhebt öffentlich schwere Vorwürfe gegen die

Sicherheitsbehörden. Dem »Tagesspiegel« sagt sie: »Jahre-

lang hat die Polizei versucht, etwas aus uns herauszubekom-

men, was nicht da war. Man hat uns vorgeworfen, wir würden

schweigen, weil wir Türken sind. Man hat uns auch nicht ge-

glaubt, weil wir Türken sind.« Ihr Vater Enver Simsek war am

9. September 2000 in Nürnberg erschossen worden.

20. Februar: Der Sänger der Neonaziband »Gigi & Die

braunen Stadtmusikanten«, Daniel G., wird wegen Volksver-

hetzung angeklagt. Er soll das Lied »Döner-Killer-Song« ge-

schrieben und veröffentlicht haben. Die Behörden ermitteln,

ob es in der Band NSU-Mitwisser gab. Am selben Tag wird

bekannt, dass das Bundesinnenministerium die Morde des

NSU nun offi ziell als »rechtsextremistische« Tat zählt.

23. Februar: Der Anwalt des festgenommenen Carsten

Schultze teilt per Pressemitteilung mit, sein Mandant habe

»mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« zwischen

Herbst 1999 und Sommer 2000 die Mordwaffe, eine »Ceska

83«, für den NSU beschafft. Auch sei er von Herbst 1998

bis Sommer 2000 Kontaktperson für die drei Untergetauchten

gewesen. Er habe die Waffe von dem Jenaer Andreas S. ge-

kauft, damals Mitinhaber des rechten Szeneladens »Madley«

in Jena.

Eine Chronik des NSU – FortsetzungVon Sören Frerks und Ernst Kovahl

^ v. l. n. r. Inhaftierter Holger GerlachWaffe, mit der Michelle Kiesewetter erschossen wurde

Page 25: Chronik nsu drr 2012 2015

6 DERRECHTERAND | Nummer 134 | Januar | Februar 2012

1992 Nach dem Verbot des »Hess-Aufmarsches« in Wunsiedel

marschieren 2.000 Neonazis in Rudolstadt auf. Einer der Or-

ganisatoren ist Tino Brandt.

1994Erstmalige Erwähnung der »Anti-Antifa Ostthüringen« im Be-

richt des Thüringer »Landesamtes für Verfassungsschutz«

(LfV).

Anwerbung des Führungsmitgliedes der »Anti-Antifa Ost-

thüringen« des »Thüringer Heimatschutzes« (THS) Tino

Brandt durch das Thüringer LfV als V-Mann, das ihn bis 2001

führt.

1995Die »Anti-Antifa Ostthüringen« agiert seit 1995 auch unter

dem Namen »THS«.

Das LfV Thüringen berichtet von Diskussionen in der Neo-

nazi-Szene über die Bildung terroristischer Gruppen. Uwe

Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe werden als

»Rechtsextremisten« im nachrichtendienstlichen Informati-

onssystem NADIS gespeichert.

199613. April: Uwe Böhnhardt hängt an einer Autobahnbrücke

einen Puppentorso mit Davidstern und Schild (»Jude«) auf,

zwei Kabel verbinden die Puppe mit einer Bombenattrappe, er

wird im Oktober 1997 dafür zu zwei Jahren und drei Monaten

Jugendstrafe verurteilt, die er nie antritt.

Herbst: Aggressiver Auftritt unter anderem von den THS-

Aktivisten Böhnhardt, Mundlos, André Kapke und Ralf Wohl-

leben bei einem Prozess gegen den Rechtsterroristen Manfred

Roeder in Erfurt.

6. Oktober: Am Ernst-Abbe-Sportfeld in Jena wird eine wei-

tere Bombenattrappe gefunden.

30. Dezember 1996 – 2. Januar 1997: Bei der Stadtver-

waltung, der Polizei und der »Thüringischen Landeszeitung«

in Jena gehen Briefbomben-Attrappen mit Hakenkreuzen ein.

Gegen mehrere Mitglieder des THS wird ermittelt.

199717. Juni: Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen der

Briefbomben-Attrappen.

2. September: Vor dem Theaterhaus in Jena wird in einem

mit einem Hakenkreuz bemalten Koffer eine Bombe mit 10

Gramm TNT ohne Zünder gefunden.

11. Oktober: Aushebung eines Waffenlagers in einer Gast-

stätte in Heilsberg, dem Treffpunkt des THS.

18. November: Die Polizei fi ndet in Stadtroda eine Bombe

an einem Haus, in dem portugiesische Arbeiter wohnen.

24. November: Das LfV Thüringen beginnt eine Observie-

rung Böhnhardts bis zum 1. Dezember.

26. Dezember: An der Gedenkstätte für den antifaschi-

stischen Widerstand auf dem Nordfriedhof in Jena wird eine

Bombenattrappe in einem Koffer mit Hakenkreuz gefunden.

1998Das Hamburger LfV bezeichnet in seinem Jahresbericht für

1997 die drei Flüchtigen als »Angehöri-

ge des militanten Kameradschaftsnetz-

werks ›Thüringer Heimatschutz‹«.

26. Januar: Hausdurchsuchungen

bei Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe.

Es werden unter anderem vier funkti-

onsfähige Rohrbomben, 1,4 kg TNT

und Propagandamaterial in einer von

Zschäpe gemieteten Garage gefunden.

Böhnhardt entfernt sich ungehindert

vom Ort der Durchsuchung, anschlie-

ßend tauchen die drei unter.

28. Januar: Internationaler Haft-

befehl für Böhnhardt, Mundlos und

Zschäpe ausgestellt und Zielfahndung

angeordnet.

September: Das LfV Brandenburg

meldet an die LfV in Sachsen und Thü-

ringen, ein Neonazi beschaffe Waffen

für Böhnhardt und Zschäpe.

September: Zielfahnder des LKA

Thüringen sollen Böhnhardt, Mundlos

und Zschäpe in Chemnitz ausfi ndig

gemacht haben, ein geplanter Zugriff

durch die Polizei ist laut MDR wieder

abgesagt worden.

Nach Auskunft des LfV Thüringen

sollten dem Trio 1998 oder 1999 über

einen V-Mann und eine dritte Person

2.000,- DM zur Beschaffung falscher

Ausweise zugeleitet werden. Das Vorha-

ben scheitert, weil die Person das Geld

unterschlug. Ein Mann aus Chemnitz

soll den Untergetauchten Unterkunft

und Papiere überlassen haben, damit

sei in Chemnitz ein Reisepass für Mund-

los ausgestellt worden.

In einem Interview mit dem Neonazi-

Blatt »Blood & Honour« (Nr. 8/1998)

bekunden die Mitglieder der Band

»Eichenlaub« Solidarität mit Zschäpe,

Böhnhardt und Mundlos. Man stehe »zu

dem, was unsere 3 Kameraden da getan

haben. Wir, die sie wohl mit am besten

kannten, können uns mittlerweile ganz

gut vorstellen, warum sie diesen sehr

zweifelhaften Weg gegangen sind«. Ein

Bandmitglied soll im THS aktiv gewesen

sein. Später veröffentlicht die Band das

Lied »5. Februar«, das für Böhnhardt,

Mundlos und Zschäpe sein soll.

1999März: Das LfV Thüringen bietet dem An-

walt von Bönhardt einen Deal zur Ver-

ringerung der voraussichtlichen Strafe

an, der zuständige Oberstaatsanwalt in

Gera lehnt das ab. Im selben Monat soll

der NPD Anwalt Hans-Günter Eisen-

ecker mit einer Vollmacht von Zschäpe

bei der Staatsanwaltschaft Gera Akten-

einsicht verlangt haben.

Frühjahr: Der Generalbundesan-

walt schließt sich der Einschätzung der

Staatsanwaltschaft Gera an, bei der

Gruppe von Böhnhardt, Mundlos und

Zschäpe handele es sich nur um »ein

loses Gefl echt von Einzeltätern«, eine

terroristische Vereinigung sei nicht zu

erkennen und somit die Übernahme

der Ermittlungen durch den General-

bundesanwalt nicht möglich.

August: Das LfV Thüringen bittet das

LfV Niedersachsen, Holger Gerlach zu

observieren, da der Verdacht bestand,

er könnte ein Quartier für die Unterge-

tauchten organisieren.

September: Der THS organisiert in

Jena eine Veranstaltung mit dem in

Südafrika lebenden Rassisten und Pu-

blizisten Claus Nordbruch zur Arbeit

des Verfassungsschutzes.

6. und 27. Oktober: Erste Banküber-

fälle in Chemnitz.

200015. Mai: Bei einer Observation in Chem-

nitz wird ein Foto von Böhnhardt ge-

macht, die Identifi zierung dauert meh-

rere Wochen.

Juni: Enttarnung des Neonazis Tho-

mas Dienel, der 1996/97 als V-Mann

des LfV Thüringen tätig war und Sus-

pendierung des verantwortlichen Präsi-

denten des Amtes Helmut Roewer.

10. August: Anschlag auf einen tür-

kischen Imbiss in Eisenach, Verurtei-

lung von Patrick Wieschke (THS und

»Nationales und Soziales Aktionsbünd-

nis Westthüringens«) am 29. Mai 2002

zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und

neun Monaten wegen Anstiftung zur

Herbeiführung einer Sprengstoffexplo-

sion.

9. September: Mord am Blumen-

händler Enver Simsek in Nürnberg mit

der Ceská 83, die auch bei den wei-

teren NSU-Morden an Migranten ver-

wendet wird.

30. September: Beamte des Verfas-

sungsschutzes zeichnen zwei der un-

tergetauchten Neonazis beim Besuch

von mutmaßlichen UnterstützerInnen

in Chemnitz bei einer automatisierten

Videoobservation auf. Ein Zugriff unter-

bleibt. Sachsens Verfassungsschutzprä-

Eine Chronik des NSUVon Annelies Senf und Ernst Kovahl

Page 26: Chronik nsu drr 2012 2015

DERRECHTERAND | Nummer 134 | Januar | Februar 2012 7

sident Reinhard Boos weist den Vorwurf

zurück, die Festnahme der Neonazis

vermasselt zu haben. »Ein Zugriff durch

unsere Behörde ist generell nicht mög-

lich, sondern kann nur durch die Polizei

erfolgen.«

Oktober: Der THS erklärt, Böhnhardt,

Mundlos und Zschäpe seien keine Mit-

glieder des THS.

30. November: Banküberfall in

Chemnitz.

2001Mai: Enttarnung des stellvertretenden

NPD-Landesvorsitzenden und THS- Ka-

ders Tino Brandt als langjähriger V-Mann

des LfV Thüringen. Nach eigenen An-

gaben hatte er 200.000,- DM für seine

Tätigkeit als Spitzel erhalten und für po-

litische Arbeit verwendet. Bereits 2000

war er kurzzeitig vom damaligen Präsi-

denten des LfV Roewer »abgeschaltet«

worden, dessen kommissarischer Nach-

folger Peter Nocken setzt Brandt wieder

ein und entlässt ihn im Januar 2001.

19. Januar: Explosion eines Spreng-

satzes in dem Geschäft einer deutsch-

iranischen Familie in Köln. Auf der 2011

gefundenen Bekenner-DVD des NSU

wird auf dieses Attentat verwiesen.

26. Februar: Die Thüringer Landes-

regierung antwortet auf eine Anfrage

im Parlament, es gäbe keine Anhalts-

punkte dafür, dass Thüringer Rechts-

extremisten an rechtsterroristischen

Aktivitäten beteiligt seien. Sie sähe auch

keine Ansätze für solch eine Struktur.

»Bundeskriminalamt« (BKA) und das

»Bundesamt für Verfassungsschutz«

würden diese Auffassung teilen.

13. Juni: Ermordung von Abdurra-

him Özüdogru in Nürnberg.

27. Juni: Ermordung des Obsthänd-

lers Süleyman Tasköprü in Hamburg.

5. Juli: Banküberfall in Zwickau.

29. August: Ermordung des Obst-

händlers Habil Kilic in München.

Zschäpe zieht laut Medienberichten

nach Zwickau (2001 bis 2008).

200225. September: Banküberfall in Zwi-

ckau

200323. Juni: Verfolgungsverjährung wegen

der Vorbereitung eines Sprengstoff- Ver-

brechens 1996/97 tritt ein, die Staatsan-

waltschaft Gera teilt am 17. September

die Einstellung der Ermittlungen gegen

Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe mit.

Sie seien »wie vom Erdboden ver-

schluckt«. Unmittelbar nach der Ver-

jährung sollen sich die drei über einen

Anwalt bei der Justiz gemeldet haben.

23. September: Banküberfall in

Chemnitz.

200425. Februar: Ermordung des Verkäufers

Mehmet Turgut in Rostock.

14. und 18. Mai: Banküberfälle in

Chemnitz.

9. Juni: Detonation einer Nagelbom-

be in Köln-Mülheim mit 22 Verletzten.

20059. Juni: Ermordung von Ismail Yazar

in Nürnberg. Nach dieser Tat geht das

BKA von der Möglichkeit aus, »dass

die Opfer in Verbindung mit türkischen

Drogenhändlern aus den Niederlanden

standen«.

15. Juni: Ermordung von Theodoros

Boulgarides in München.

22. November: Banküberfall in

Chemnitz.

20064. April: Ermordung von Mehmet Kuba-

sik in Dortmund.

6. April: Ermordung des Betreibers

eines Internet-Cafés Halit Yozgat in Kas-

sel. Kurz vor oder während des Mordes

befand sich ein Mitarbeiter des LfV Hes-

sen im Café. Er hatte den Spitznamen

»Klein-Adolf«, bei einer Durchsuchung

fanden sich legale Waffen, illegale Mu-

nition und NS-Material bei ihm.

5. Oktober: Banküberfall in Zwickau.

7. November: Banküberfall in Stral-

sund.

200718. Januar: Banküberfall in Stralsund.

20. April: Auf eine Anfrage im Par-

lament antwortet die Bundesregierung,

das BKA und die eingesetzte »Son-

derkommission Bosporus« ermittelten

bisher erfolglos wegen der Morde seit

2000 an acht türkischen und einem

griechischen Gewerbetreibenden. Man

gehe von einem Täter aus, da dieselbe

Waffe verwandt worden sei.

25. April: Ermordung der Polizistin

Michèle Kiesewetter in Heilbronn.

2008Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe be-

ziehen in Zwickau eine Wohnung.

20117. September: Banküberfall in Arn-

stadt.

4. November: Banküberfall in Eise-

nach. Tod von Mundlos und Böhnhardt

durch Erschießen in ihrem brennenden Wohnmobil.

Wenige Stunden später legt Zschäpe in der Zwickauer

Wohnung einen Brand. Die Polizei fi ndet unter anderem 19

Waffen, Bekenner-DVDs und weitere Tatmittel.

8. November: Zschäpe stellt sich in Jena in Begleitung

eines Anwaltes der Polizei. Am folgenden Tag wird sie den

Ermittlungsrichtern in Zwickau vorgeführt und später in ein

Hochsicherheitsgefängnis nach Köln überstellt.

11. November: Der Generalbundesanwalt übernimmt die

Ermittlungen wegen des dringenden Verdachts der Bildung

der terroristischen Vereinigung »Nationalsozialistischer Unter-

grund«.

13. November: Festnahme von Holger Gerlach als mut-

maßlicher Helfer des NSU-Terrornetzes. Er soll seinen Führer-

schein und Pass gestellt beziehungsweise mehrere Wohnmo-

bile gemietet haben.

24. November: Festnahme von André Eminger, Betreiber

des Online-Versands »Caput Mortuum« in Zwickau. Vorwürfe:

Unterstützung des NSU, er soll an der Erstellung des NSU-

Bekennervideos im Jahr 2007 beteiligt gewesen sein und soll

von 1999 bis 2001 eine Wohnung in Chemnitz für die Unter-

getauchten angemietet haben.

29. November: Festnahme von Ralf Wohlleben in Jena.

Vorwürfe: Beihilfe zu sechs Morden und einem versuchten

Mord des NSU, Hilfe für Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe

bei der Flucht, 2000 oder 2001 Sendung einer Waffe mit Mu-

nition an die Gruppe und fi nanzielle Unterstützung.

10. Dezember: Festnahme von Matthias Dienelt. Vorwurf:

Anmietung zweier Wohnungen in Zwickau 2001 und 2008 für

Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, damit habe er die Verbre-

chen »zumindest billigend in Kauf genommen«.

Dezember: Ermittlungen gegen Mandy Struck (Johann-

georgenstadt/Schwarzenberg) und Max-Florian B. (Chemnitz

/Dresden) wegen Unterstützung des NSU. In der Zeitung »Die

Welt« erklärt Struck, sie habe den Untergetauchten die Woh-

nung ihres damaligen Freundes zum Untertauchen zur Verfü-

gung gestellt. Da Zschäpe den Namen Struck nutzte, wird ihr

vorgehalten, auch Papiere zur Verfügung gestellt zu haben. B.

wird vorgeworfen, er habe seine Papiere und Unterkunft ge-

geben. Mit seinem Ausweis sei von der Einwohnermeldestelle

in Chemnitz ein Reisepass mit Foto von Mundlos ausgestellt

worden.

Mitte Dezember: Bei der Auswertung der Daten des neona-

zistischen internen Online-Forum »Hard to Hate« des »Freien

Netzes« werden Verbindungen von Thomas Gerlach (Meusel-

witz bei Altenburg), Mitorganisator des »Festes der Völker«

und ehemaliger THS-Aktivist, zur NSU deutlich. Er benutzte

das Passwort »struck-mandy« in nazistischen Internetforen.

30. Dezember: Der Vorsitzende des »Zentralrats der Ju-

den« in Deutschland, Dieter Graumann, wirft den Behörden

schweres Versagen vor. Die Ermittlungen seien ein »Desa-

ster«, zwei Monate nach Bekanntwerden der Taten seien die

»Ermittler in eine Art Winterschlaf gefallen«.

20127. Januar: »Spiegel online« meldet Gerlach kooperiere mit den

Behörden. Laut seinen Angaben habe er die NSU bis Mai 2011

unterstützt, mit Geld sowie Pass, Führerschein, Krankenkas-

senkarten und einer ADAC-Karte. Gerlach soll ferner Wohlle-

ben schwer belastet haben.

9. Januar: Der »Wartburgkreis Bote«, für den Patrick Wie-

schke aus dem NPD-Bundesvorstand verantwortlich ist, be-

zeichnet die NSU-Mordserie als ›inszenierten Terror‹.