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Corporate Citizenship Frank Dubielzig und Stefan Schaltegger erschienen in: Althaus, M.; Geffken, M. & Rawe, S. (Hrsg.): Handlexikon Public Affairs, 2005, Münster: Lit Verlag. Seite 235-238 Corporate Citizenship (CC) ist ein vergleichsweise junger Begriff, dessen Bedeutung seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts jedoch geradezu exponentiell in Kreisen der Wirtschaft, der Politik und der Wissenschaft zugenommen hat. Eine häufig vorzufindende Übersetzung ins Deutsche ist die des gesellschaftlichen oder bürgerschaftlichen Engagements von Unternehmen. Corporate Citizenship äußert sich im Bestreben eines Unternehmens als „guter Bürger der Gesellschaft“ wahrgenommen zu werden. Die Bedeutungszunahme des Ansatzes kommt in der vermehrten Bezugnahme in der Unternehmenskommunikation bei vielen Firmen zum Ausdruck sowie in der Erklärung des World Economic Forums zu Global Corporate Citizenship, in der Schaffung des Global Compact der Vereinten Nationen, in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen und der Schaffung von wissenschaftlichen Instituten, die sich der Forschung und Lehre zum Thema Corporate Citizenship verschrieben haben. Ungeachtet der starken wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik und der Anwendung von bzw. der Bezugnahme auf CC insbesondere in weiten Kreisen transnationaler Unternehmen gibt es keine einheitliche Definition von Corporate Citizenship. Die bestehenden Definitionen und Ansätze lassen sich zum Großteil jedoch zwei Gruppen zuordnen, die sich durch ihr Verhältnis zu Corporate Social Responsibility (CSR) unterscheiden. Definitionen der ersten Gruppe sind dadurch gekennzeichnet, dass Corporate Citizenship verschiedene Formen wohltätiger Handlungen des Unternehmens umfasst und auch als Philantropie bezeichnet wird. Im anglo-amerikanischen Raum wird dies häufig als Corporate Giving oder giving back to society beschrieben. Ein Zurückgeben an die Gesellschaft insofern, als dass die Gesellschaft Unternehmen wirtschaftliche Erfolge erst ermöglicht. Eine beispielhafte Form dieser Sichtweise äußert sich in dem Viersäulen-Modell zu CSR von Carroll. Danach umfasst CSR eine ökonomische, legale, ethische und eine philantropische Verantwortung. Letztere wurde von Carroll als Corporate Citizenship bezeichnet. In diesem Verständnis nimmt Corporate Citizenship folglich einen Teilbereich von Corporate Social Responsibility ein. Vertreter der zweiten Strömungsrichtung erachten Corporate Citizenship und Corporate Social Responsibility als austauschbare Begriffe. Bestehende konzeptionelle Überlegungen zu CSR bekommen danach nur ein neues Gewand durch die Benennung als Corporate Citizenship. Umfangreichere konzeptionelle Neuerungen bleiben dabei aus. Ein Vertreter dieser Sichtweise ist wiederum Carroll der einige Jahre nach der Entwicklung seines Viersäulen-Modells zu CSR von den vier Gesichtern des Corporate Citizenships spricht. Diese vier Gesichter entsprechen den vier Säulen von Corporate Social Responsibilty. Hier stellt sich die Frage, weshalb der neue Begriff des Corporate Citizenship eingeführt wurde, wenn sich dahinter bereits bestehende Ansätze „verbergen“. Als Erklärungsansatz hierfür können die Begrifflichkeiten an sich herangezogen werden. Viele Unternehmensvertreter sind gegenüber dem Begriff Corporate Social Responsibility nicht grundsätzlich positiv eingestellt, da er so interpretiert werden könnte, dass Unternehmen bisher nicht verantwortlich gehandelt hätten oder dies dem bisherigen Geschäftverhalten entgegenstehe. Hingegen hat Corporate Citizenship insofern einen positiveren Bedeutungsumfang, als dass sich Unternehmen im Rahmen von Corporate Citizenship als Teil der Gesellschaft verstehen und ihren Platz neben anderen Organisationen und Bürgern einnehmen. In dieser Gemeinschaft sind die Mitglieder gegenseitig voneinander abhängig und aufeinander angewiesen. Citizenship fokussiert damit auf die Rechte und Verantwortlichkeiten der Mitglieder in der Gemeinschaft. Somit ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Ausdruck Corporate Citizenship und das Verständnis

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Corporate Citizenship Frank Dubielzig und Stefan Schaltegger erschienen in: Althaus, M.; Geffken, M. & Rawe, S. (Hrsg.): Handlexikon Public Affairs, 2005, Münster: Lit Verlag. Seite 235-238 Corporate Citizenship (CC) ist ein vergleichsweise junger Begriff, dessen Bedeutung seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts jedoch geradezu exponentiell in Kreisen der Wirtschaft, der Politik und der Wissenschaft zugenommen hat. Eine häufig vorzufindende Übersetzung ins Deutsche ist die des gesellschaftlichen oder bürgerschaftlichen Engagements von Unternehmen. Corporate Citizenship äußert sich im Bestreben eines Unternehmens als „guter Bürger der Gesellschaft“ wahrgenommen zu werden. Die Bedeutungszunahme des Ansatzes kommt in der vermehrten Bezugnahme in der Unternehmenskommunikation bei vielen Firmen zum Ausdruck sowie in der Erklärung des World Economic Forums zu Global Corporate Citizenship, in der Schaffung des Global Compact der Vereinten Nationen, in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen und der Schaffung von wissenschaftlichen Instituten, die sich der Forschung und Lehre zum Thema Corporate Citizenship verschrieben haben. Ungeachtet der starken wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik und der Anwendung von bzw. der Bezugnahme auf CC insbesondere in weiten Kreisen transnationaler Unternehmen gibt es keine einheitliche Definition von Corporate Citizenship. Die bestehenden Definitionen und Ansätze lassen sich zum Großteil jedoch zwei Gruppen zuordnen, die sich durch ihr Verhältnis zu Corporate Social Responsibility (CSR) unterscheiden. Definitionen der ersten Gruppe sind dadurch gekennzeichnet, dass Corporate Citizenship verschiedene Formen wohltätiger Handlungen des Unternehmens umfasst und auch als Philantropie bezeichnet wird. Im anglo-amerikanischen Raum wird dies häufig als Corporate Giving oder giving back to society beschrieben. Ein Zurückgeben an die Gesellschaft insofern, als dass die Gesellschaft Unternehmen wirtschaftliche Erfolge erst ermöglicht. Eine beispielhafte Form dieser Sichtweise äußert sich in dem Viersäulen-Modell zu CSR von Carroll. Danach umfasst CSR eine ökonomische, legale, ethische und eine philantropische Verantwortung. Letztere wurde von Carroll als Corporate Citizenship bezeichnet. In diesem Verständnis nimmt Corporate Citizenship folglich einen Teilbereich von Corporate Social Responsibility ein. Vertreter der zweiten Strömungsrichtung erachten Corporate Citizenship und Corporate Social Responsibility als austauschbare Begriffe. Bestehende konzeptionelle Überlegungen zu CSR bekommen danach nur ein neues Gewand durch die Benennung als Corporate Citizenship. Umfangreichere konzeptionelle Neuerungen bleiben dabei aus. Ein Vertreter dieser Sichtweise ist wiederum Carroll der einige Jahre nach der Entwicklung seines Viersäulen-Modells zu CSR von den vier Gesichtern des Corporate Citizenships spricht. Diese vier Gesichter entsprechen den vier Säulen von Corporate Social Responsibilty. Hier stellt sich die Frage, weshalb der neue Begriff des Corporate Citizenship eingeführt wurde, wenn sich dahinter bereits bestehende Ansätze „verbergen“. Als Erklärungsansatz hierfür können die Begrifflichkeiten an sich herangezogen werden. Viele Unternehmensvertreter sind gegenüber dem Begriff Corporate Social Responsibility nicht grundsätzlich positiv eingestellt, da er so interpretiert werden könnte, dass Unternehmen bisher nicht verantwortlich gehandelt hätten oder dies dem bisherigen Geschäftverhalten entgegenstehe. Hingegen hat Corporate Citizenship insofern einen positiveren Bedeutungsumfang, als dass sich Unternehmen im Rahmen von Corporate Citizenship als Teil der Gesellschaft verstehen und ihren Platz neben anderen Organisationen und Bürgern einnehmen. In dieser Gemeinschaft sind die Mitglieder gegenseitig voneinander abhängig und aufeinander angewiesen. Citizenship fokussiert damit auf die Rechte und Verantwortlichkeiten der Mitglieder in der Gemeinschaft. Somit ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Ausdruck Corporate Citizenship und das Verständnis

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von Unternehmen als guter Bürger von Praxisvertretern entwickelt und von Seiten der Wissenschaft erst danach aufgegriffen wurde. Aus Sicht von Vertretern einer neueren dritten Strömungsrichtung greift ein derartiges Übertragen von Citizenship bzw. Citizen auf Unternehmen jedoch zu kurz. Danach können Unternehmen nicht den Status von Bürgern erlangen, sondern vielmehr ist es ihre Aufgabe, bestimmte Aspekte von Citizenship für Bürger zu übernehmen. Diese, seit einigen Jahrzehnten teilweise von staatlichen Institutionen übernommenen Aspekte betreffen Sozialrechte (z.B. Recht auf Bildung), Bürgerrechte (z.B. Versammlungsfreiheit) und politische Rechte (z.B. Recht auf Teilnahme an politischen Prozessen). Es ist jedoch fraglich, ob diese Sichtweise Anklang findet. Wenn Unternehmen Aufgaben des Staates (wieder) wahrnehmen sollen oder gar müssen, ist der Aspekt der Freiwilligkeit in Frage gestellt. Corporate Citizenship geht jedoch nicht nur über die eigentliche Geschäftstätigkeit hinaus, sondern erfolgt freiwillig. Dementsprechend stoßen heute primär die beiden ersten Sichtweisen auf Interesse. Sieht man CC als philantropischen Ansatz an, so kommen hier insbesondere zwei instrumentelle Umsetzungsvarianten zum Tragen:

- Corporate Giving: Unterstützung von gemeinnützigen Organisationen, Projekten oder Aktivitäten durch Spenden; Errichtung von gemeinnützigen Stiftungen usw.

- Corporate Volunteering: Einsatz von Personalressourcen eines Unternehmens für gesellschaftliche Anliegen; Unterstützung durch Geld- und Sachmittel des Unternehmens usw.

Bewegt sich das Verständnis von Corporate Citizenship in Richtung CSR, so beschränkt sich CC nicht auf einzelne Wohltätigkeitsaktionen, sondern folgt einer langfristigen und koordinierten Strategie, nutzt die spezifischen Kompetenzen und Ressourcen des Unternehmens, bildet Partnerschaften und kommuniziert hierzu aktiv mit den Stakeholdern. Im Unterschied zu der vorherrschenden CSR-Literatur diskutieren Publikationen zu CC operative Umsetzungsmaßnahmen, die auch explizit den für das Unternehmen anfallenden Nutzen konkreter zu klären versuchen. Zusätzlich zu den philanthropischen Maßnahmen erlangen vor allem folgende explizite Aktivitäten des CC Bedeutung:

- Official Giving bei dem auch eine gezielte Werbewirkung auf das Unternehmen fällt: Sponsoring, Fördermittel des Unternehmens, unentgeltliche Zurverfügungstellung von Produkten usw.

- Know how Support: Übernahme kaufmännischer Arbeiten für NGOs, Unterstützung bei der Erstellung von betriebswirtschaftlichen Konzepten von NGOs usw.

- Corporate Community Investment: Regionales Engagement an Standorten Zu den wichtigsten impliziten Aktivitäten des CC zählen:

- Geschäftsintegrität: Redlichkeit im Verhalten gegenüber Stakeholdern - Art der Produkte und Produktqualität: keine gesellschaftlich problematischen Produkte

und keine versteckten Mängel - Verteilungsgerechtigkeit: die vom Unternehmen erarbeitete Wertschöpfung wird

gerecht verteilt Dabei können mit CC folgende Ziele verfolgt werden:

- Legitimation der Unternehmenstätigkeit und Sicherung der sozialen Akzeptanz („reservoir of goodwill“)

- Verbesserung der Ausgangslage für Kooperationen mit gesellschaftlichen Anspruchsgruppen („licence to co-operate“)

- Reduktion von Widerständen und Reibungsverlusten im Umgang mit gesellschaftlichen und politischen Akteuren („licence to operate“)

- Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit - Steigerung des Unternehmenswertes - Aufbau und Sicherung von Reputation und positivem Image

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Ein allgemein akzeptierter Ansatz von Corporate Citizenship, der allgemeine Anerkennung findet, existiert bisher nicht. Maßnahmen zur Operationalisierung von Corporate Citizenship werden derzeit laufend weiterentwickelt und getestet, wobei teilweise die Grenze zu den primär geschäftsorientierten Kommunikations- und Marketingaktivitäten verschwimmt, wie zum Beispiel beim Sponsoring. Die Herangehensweise über die Definition von Citizenship als Bürgerschaft und die Ableitung von Rechten und Pflichten eines Unternehmens als in die Gesellschaft eingebettete Institution kann hilfreich sein, zukünftig zu allgemein anerkannten Grundcharakteristika von Corporate Citizenship zu gelangen. Gegenwärtig gibt es jedoch noch starke Unterschiede im Verständnis wie stark Corporate Citizenship marktorientiert sein soll oder darf, welche Themenbereiche unter Corporate Citizenship fallen und vor allem wie das Verhältnis zu anderen Ansätzen wie Corporate Social Responsibility, Corporate Philantropy, Stakeholder-Dialog usw. aussehen kann. Literatur: Carroll, A. (1998): „The Four Faces of Corporate Citizenship“, Business and Society Review,

Vol. 100/101, 1-4. Habisch, A. & Schmidpeter, R. (2003): Corporate Citizenship: Gesellschaftliches Engagement

von Unternehmen in Deutschland. Berlin: Springer. Marsden, C. (2000): “The New Corporate Citizenship of Big Business: Part of the Solution to

Sustainability?”, Business and Society Review, Vol. 105, Nr. 1, 9-25. Matten, D.; Crane, A. & Chapple, W. (2003): „Behind the Mask: Revealing the True Face of

Corporate Citizenship”, Journal of Business Ethics, Vol. 45, Nr. 1, 109-120. McIntosh, M.; Thomas, R.; Leipziger, D. & Coleman, G. (2003): Living Corporate

Citizenship: Strategic Routes to Socially Responsible Business. London.: Financial Times Prentice Hall.