Dantons Tod BW 2014 S Probeklausur

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Probeklausur Texte Medien 1 Georg Büchner: Dantons Tod © 2012 Bildungshaus Schulbuchverlage Westermann Schroedel Diesterweg Schöningh Winklers GmbH, Braunschweig • www.zentralabitur-online.de Interpretationsaufsatz mit übergreifender Teilaufgabe zu einer Pflichtlektüre Thema: Georg Büchner (1813–1837): »Dantons Tod« (II. Akt, 5. Szene) Max Frisch (1911–1991): »Homo faber« Aufgabenstellung: 1 Skizzieren Sie den Handlungsverlauf, der zur vorliegenden Szene führt. 2 Interpretieren Sie die Textstelle; beziehen Sie die sprachliche und szenische Gestaltung ein. 3 Büchners »Dantons Tod« und Frischs »Homo faber«: Untersuchen Sie in vergleichender Betrachtung den Umgang beider Titelhelden mit persönlicher Schuld Georg Büchner Dantons Tod II. Akt, 5. Szene Ein Zimmer Es ist Nacht. Danton (am Fenster) Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühn und der Schall nie modern? Will's denn nie still und dunkel werden, dass wir uns die garstigen Sünden einander nicht mehr anhören und ansehen? – September! – Julie (ruft von innen) Danton! Danton! Danton He? Julie (tritt ein). Was rufst du? Danton Rief ich? Julie Du sprachst von garstigen Sünden, und dann stöhntest du: September! Danton Ich, ich? Nein, ich sprach nicht; das dacht' ich kaum, das waren nur ganz leise, heimliche Ge- danken. Julie Du zitterst, Danton! Danton Und soll ich nicht zittern, wenn so die Wände plaudern? Wenn mein Leib so zerteilt ist, daß meine Gedanken unstet, umirrend mit den Lippen der Steine reden? Das ist seltsam. Julie Georg, mein Georg! Danton Ja, Julie, das ist sehr seltsam. Ich möchte nicht mehr denken, wenn das gleich so spricht. Es gibt Gedanken, Julie, für die es keine Ohren geben sollte. Das ist nicht gut, daß sie bei der Geburt gleich schrei- en wie Kinder; das ist nicht gut. Julie Gott erhalte dir deine Sinne! – Georg, Georg, erkennst du mich? Danton Ei warum nicht! Du bist ein Mensch und dann eine Frau und endlich meine Frau, und die Erde hat fünf Weltteile, Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien, und zwei mal zwei macht vier. Ich bin bei Sinnen, siehst du. – Schrie's nicht September? Sagtest du nicht so was? Julie Ja, Danton, durch alle Zimmer hört ich's. Danton Wie ich ans Fenster kam – (er sieht hinaus:) die Stadt ist ruhig, alle Lichter aus... Julie Ein Kind schreit in der Nähe. Danton Wie ich ans Fenster kam – durch alle Gassen schrie und zetert' es: September! Julie Du träumtest, Danton. Faß dich! Danton Träumtest? Ja, ich träumte; doch das war anders, ich will dir es gleich sagen – mein armer Kopf ist schwach – gleich! So, jetzt hab ich's: Unter mir keuchte die Erdkugel in ihrem Schwung; ich hatte sie wie ein wildes Roß gepackt, mit riesigen Gliedern wühlt' ich in ihren Mähnen und preßt' ich ihre Rippen, das Haupt abwärts gewandt, die Haare flatternd über dem Abgrund; so ward ich geschleift. Da schrie ich in der Angst, und ich erwachte. Ich trat ans Fenster – und da hört' ich's, Julie. Was das Wort nur will? Warum gerade das? Was hab ich damit zu schaffen? Was streckt es nach mir die blutigen Hände? Ich hab es nicht geschlagen. – O hilf mir, Julie, mein Sinn ist stumpf! War's nicht im September, Julie? Julie Die Könige waren nur noch vierzig Stunden von Paris... Danton Die Festungen gefallen, die Aristokraten in der Stadt... Julie Die Republik war verloren. Danton Ja, verloren. Wir konnten den Feind nicht im Rücken lassen, wir wären Narren gewesen: zwei Feinde auf einem Brett; wir oder sie, der Stärkere stößt den Schwächeren hinunter – ist das nicht billig? Julie Ja, ja. Danton Wir schlugen sie – das war kein Mord, das war Krieg nach innen. Julie Du hast das Vaterland gerettet. Danton Ja, das hab ich; das war Notwehr, wir mußten. Der Mann am Kreuze hat sich's bequem gemacht: es muß ja Ärgernis kommen, doch wehe dem, durch welchen Ärgernis kommt! – Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet? Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! die Schwer- ter, mit denen Geister kämpfen – man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen. – Jetzt bin ich ruhig. Julie Ganz ruhig, lieb Herz? Danton Ja, Julie; komm, zu Bette! Entnommen aus: Georg Büchner: Dantons Tod. Erar- beitet von Jelko Peters (Texte.Medien). Braunschweig: Schroedel 2007, S. 52–54. ISBN 978-3-507-47022-4. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85

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Interpretationsaufsatz mit übergreifender Teilaufgabe zu einer Pflichtlektüre

Thema:Georg Büchner (1813–1837): »Dantons Tod« (II. Akt, 5. Szene)Max Frisch (1911–1991): »Homo faber«

Aufgabenstellung:

1 Skizzieren Sie den Handlungsverlauf, der zur vorliegenden Szene führt.

2 Interpretieren Sie die Textstelle; beziehen Sie die sprachliche und szenische Gestaltung ein.

3 Büchners »Dantons Tod« und Frischs »Homo faber«: Untersuchen Sie in vergleichender Betrachtung den Umgang beider Titelhelden mit persönlicher Schuld

Georg BüchnerDantons Tod II. Akt, 5. Szene

Ein Zimmer

Es ist Nacht.

Danton (am Fenster) Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühn und der Schall nie modern? Will's denn nie still und dunkel werden, dass wir uns die garstigen Sünden einander nicht mehr anhören und ansehen? – September! –

Julie (ruft von innen) Danton! Danton!Danton He?Julie (tritt ein). Was rufst du?Danton Rief ich?Julie Du sprachst von garstigen Sünden, und dann

stöhntest du: September!Danton Ich, ich? Nein, ich sprach nicht; das dacht'

ich kaum, das waren nur ganz leise, heimliche Ge-danken.

Julie Du zitterst, Danton!Danton Und soll ich nicht zittern, wenn so die Wände

plaudern? Wenn mein Leib so zerteilt ist, daß meine Gedanken unstet, umirrend mit den Lippen der Steine reden? Das ist seltsam.

Julie Georg, mein Georg!Danton Ja, Julie, das ist sehr seltsam. Ich möchte nicht

mehr denken, wenn das gleich so spricht. Es gibt Gedanken, Julie, für die es keine Ohren geben sollte. Das ist nicht gut, daß sie bei der Geburt gleich schrei-en wie Kinder; das ist nicht gut.

Julie Gott erhalte dir deine Sinne! – Georg, Georg, erkennst du mich?

Danton Ei warum nicht! Du bist ein Mensch und dann eine Frau und endlich meine Frau, und die Erde hat fünf Weltteile, Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien, und zwei mal zwei macht vier. Ich bin bei Sinnen, siehst du. – Schrie's nicht September? Sagtest du nicht so was?

Julie Ja, Danton, durch alle Zimmer hört ich's.Danton Wie ich ans Fenster kam – (er sieht hinaus:) die

Stadt ist ruhig, alle Lichter aus...Julie Ein Kind schreit in der Nähe.Danton Wie ich ans Fenster kam – durch alle Gassen

schrie und zetert' es: September!Julie Du träumtest, Danton. Faß dich!

Danton Träumtest? Ja, ich träumte; doch das war anders, ich will dir es gleich sagen – mein armer Kopf ist schwach – gleich! So, jetzt hab ich's: Unter mir keuchte die Erdkugel in ihrem Schwung; ich hatte sie wie ein wildes Roß gepackt, mit riesigen Gliedern wühlt' ich in ihren Mähnen und preßt' ich ihre Rippen, das Haupt abwärts gewandt, die Haare flatternd über dem Abgrund; so ward ich geschleift. Da schrie ich in der Angst, und ich erwachte. Ich trat ans Fenster – und da hört' ich's, Julie.

Was das Wort nur will? Warum gerade das? Was hab ich damit zu schaffen? Was streckt es nach mir die blutigen Hände? Ich hab es nicht geschlagen. – O hilf mir, Julie, mein Sinn ist stumpf! War's nicht im September, Julie?

Julie Die Könige waren nur noch vierzig Stunden von Paris...

Danton Die Festungen gefallen, die Aristokraten in der Stadt...

Julie Die Republik war verloren.Danton Ja, verloren. Wir konnten den Feind nicht im

Rücken lassen, wir wären Narren gewesen: zwei Feinde auf einem Brett; wir oder sie, der Stärkere stößt den Schwächeren hinunter – ist das nicht billig?

Julie Ja, ja.Danton Wir schlugen sie – das war kein Mord, das war

Krieg nach innen.Julie Du hast das Vaterland gerettet.Danton Ja, das hab ich; das war Notwehr, wir mußten.

Der Mann am Kreuze hat sich's bequem gemacht: es muß ja Ärgernis kommen, doch wehe dem, durch welchen Ärgernis kommt! – Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?

Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! die Schwer-ter, mit denen Geister kämpfen – man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen. – Jetzt bin ich ruhig.

Julie Ganz ruhig, lieb Herz?Danton Ja, Julie; komm, zu Bette!

Entnommen aus: Georg Büchner: Dantons Tod. Erar-beitet von Jelko Peters (Texte.Medien). Braunschweig: Schroedel 2007, S. 52–54. ISBN 978-3-507-47022-4.

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Vorbemerkungen

Zur Bearbeitung der Aufgaben sind verschiedene Kompetenzen nötig, deren Vertiefung Sie anhand fol-gender Kapitel in TM+ üben können:S. 18–33: Texte planen, verfassen, überarbeitenS. 62–65: Einen dramatischen Text erschließen,

Analyse aspekte nutzenS. 72–74: Dramatische Texte vergleichenS. 79–85: KlausurvorbereitungS. 86–89: Glossar: Fachbegriffe zur DramatikUmschlagtext, S. VI: Wichtige rhetorische Mittel

Vor der Bearbeitung der drei Aufgaben verfassen Sie eine Einleitung, die in die zentrale Problematik der vor-liegenden Aufgabe einführt. Diese Einleitung sollte sich deutlich von einer bloßen Inhaltsangabe unterscheiden. Je nach Aufgabenstellung können Sie beispielsweise den geschichtlichen Hintergrund des Stücks und des Autors, dessen poetisch-philosophischen Grundpositionen und die Bedeutung der Problematik für unsere Zeit zur Sprache bringen. Wichtig hierbei ist, dass diese Aspekte nicht nur als Aufhänger benutzt und dann vergessen werden. Vielmehr sollten sie der folgenden Interpreta-tion als roter Faden dienen und auch in der Schlussbe-trachtung aufgegriffen werden.

Aufgabe 1

Die Aufgabe erfordert eine knappe und präzise Hinfüh-rung zur vorliegenden Szene. Zentrale Handlungs-stränge und Konflikte müssen deutlich werden. Diese Handlungsskizze ist nicht mit einer Inhaltsangabe zu verwechseln.

Danton ist in die Stadt zurückgekehrt, nachdem er auf »Freiem Feld« (II,4) mit dem Gedanken an eine Flucht gespielt, letztlich aber erkannt hat, dass er der Verant-wortung für seine Taten nicht entfliehen kann. Zudem glaubt er, dass sein Ruf als Revolutionär ihn vor Schlimmerem bewahren werde.

Zentrale Handlungsstränge, die zur vorliegenden Szene führen, sind Dantons Selbstzweifel, die sich aus der Einsicht in die Sinnlosigkeit des Lebens speisen (vgl. I,1), und – kontrastiv dazu – der revolutionäre Eifer Ro-bespierres und vor allem St. Justs (vgl. I,6), die kaltblütig gegen vermeintliche Feinde der Revolution vorgehen wollen. Hinzu kommt die schwankende Haltung des Volkes, das sich von den Regungen des Augenblicks treiben lässt.

Aufgabe 2

Die Interpretation der vorliegenden Textstelle verlangt, die sprachlichen und szenischen Elemente auf die In-haltsebene zu beziehen. Die Deutung hat eng am Text zu erfolgen und ist durch direkte oder indirekte Zitate mit Zeilenangaben abzusichern. Bei indirekten Zitaten ist auf die Verwendung des Konjunktivs zu achten.

Die Rückkehr in die Stadt hat bei Danton offensicht-lich nicht die erhoffte Bereitschaft zum Gegenschlag gegen seine Feinde geweckt. Vielmehr zeigt er sich im Gespräch mit Julie als ein von Selbstzweifeln und Schuldgefühlen geplagter Revolutionär.

Die Szene spielt in der Privatsphäre Dantons (»Ein Zimmer«). So kann er seine innere Zerrissenheit offen ansprechen. Diese resultiert nicht zuletzt aus dem Ver-lust der Sicherheit in seiner Rolle als bedenkenlos vor-wärtsstürmender Revolutionär. Die Dunkelheit (»Es ist Nacht.«) spiegelt die Verlorenheit Dantons wieder, des-sen einst gefestigte Identität zusehends von inneren Dä-monen zersetzt wird. Der Blick aus dem Fenster in die Finsternis der Nacht veranschaulicht die Perspektivlo-sigkeit von Dantons Existenz als Politiker. Drei Fragen mit parallelem Satzbau, die eine Sehnsucht nach dem Ende der Schuldgefühle zum Ausdruck bringen, blei-ben ohne Antwort.

Danton wird heimgesucht von Schuldgefühlen: Seine Beteiligung an den Septembermorden von 1792 lässt ihm keine Ruhe. Das Anakoluth verdeutlicht Dantons innere Aufwühlung (»Wie ich ans Fenster kam – durch alle Gassen schrie …«). Es kommt ihm vor, als höre er das Wort »September!« in den Gassen. Julies Versuche, dies als Traum zu verharmlosen, schlagen fehl.

Danton schildert metaphorisch verdichtet seinen letztlich erfolglosen Versuch, die Revolution zu zäh-men. Er hat Mühe, Julie klar zu schildern, was ihn um-treibt (»mein armer Kopf ist schwach«). Danton erzählt von einem Traum, in dem er »ein wildes Roß«, das die Revolution symbolisiert, bändigen wollte. Aber schon die Tatsache, dass Dantons Kopf nach unten hängt und seine Haare über dem Abgrund flatterten, führt vor Au-gen, dass sein Unterfangen misslingt. Die Revolution lässt sich nicht in geordnete Bahnen lenken. Sie schleift selbst starke Einzelne mit.

Nach dem Erwachen aus diesem Albtraum tritt Dan-ton ans Fenster, wo ihn Julie zu Beginn der Szene antraf. Wieder reiht sich Frage an Frage. Das anklagende »Sep-tember« wird personifiziert durch »die blutigen Hände«, die nach Danton greifen. In seiner inneren Not fleht Danton seine Frau um Hilfe an. Julie unternimmt einen erneuten Anlauf, die Geschehnisse vom Septem-ber 1792 zu rationalisieren: Die konterrevolutionäre Koalition der ausländischen Monarchen würde in weni-ger als zwei Tagen Paris erreichen. Danton nimmt die-sen Faden auf und verweist elliptisch, fast stammelnd

Lösungshinweise

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auf weitere Gefahren, die der Revolution seinerzeit drohten. Das sei kein Mord gewesen. Und Julie ver-sucht – wie in einem therapeutischen Gespräch – Dantons Selbstzweifel Schritt für Schritt zu entkräften: »Du hast das Vaterland gerettet.«

Julies Strategie scheint zu gelingen. Danton qualifi-ziert sein damaliges Handeln als »Notwehr«, als ge-schichtliche Notwendigkeit, die er – wie Jesus das Kreuz – auf sich genommen hat. Danton vergleicht sich mit dem Gottessohn, was die Dringlichkeit seines An-liegens unterstreicht: Als Erlöser von der Bedrohung durch die Konterrevolutionäre habe er die Schuld auf sich genommen, um die Republik retten. Die Ge-schichte der Revolution wird somit zur Heilsgeschichte.

Allerdings hält diese Selbstberuhigung nicht lange an. Ein drittes Mal stellt Danton Fragen nach Schuld und Verantwortung. Seine Antwort lautet nun: Der Mensch hängt wie eine Puppe am Faden anonymer Mächte, die den Einzelnen zum Werkzeug ihrer Zwecke machen. Wie im Märchen sieht man nur die Schwerter (d. h. in diesem Fall die Revolutionäre), nicht aber jene, die sie führen.

Julie beschließt das Gespräch, indem sie fragend Dantons Rückkehr in einen Zustand der Ruhe bekräf-tigt. Danton pflichtet dem bei. Beide gehen zu Bett.

Aus dem Dialog wird ersichtlich, dass Dantons in-nere Zerrissenheit, der Verlust eines ungebrochenen revolutionären Selbstbewusstseins nur mühsam und – wie im weiteren Verlauf zu sehen ist – letztlich verge-bens zu heilen ist. Julie gibt sich alle erdenkliche Mühe, ihrem untreuen Ehemann seine Schuldgefühle zu neh-men. Einfühlsam geht sie auf Dantons eigene Ansätze zur Bewältigung der Schuld ein und führt diese zu ei-nem auf den ersten Blick logischen Ende.

Aufgabe 3

Die Vergleichsaufgabe lässt sich prinzipiell auf zweierlei Weise bearbeiten. Entweder Sie betrachten zunächst Dantons Umgang mit der Schuld, um sich anschließend eingehend mit Walter Faber zu befassen. Oder Sie ver-gleichen aspektorientiert, wechseln also zwischen Dan-ton und Faber, um einzelne Gesichtspunkte im direkten Vergleich zu analysieren. Bei der Vergleichsaufgabe können Sie sich auf das Wesentliche konzentrieren. De-taillierte Textarbeit wie bei der Interpretation der vor-liegenden Textstelle (2. Arbeitsanweisung) wird nicht erwartet. Sie sollten aber dennoch zentrale Ergebnisse am Text absichern, d. h. mit Zitaten belegen.

Danton wird geplagt von Schuldgefühlen, die mit sei-ner Rolle bei den Septembermorden 1792 in Zusam-menhang stehen. Wie die vorliegende Textstelle ein-drucksvoll vor Augen führt, gelingt es Danton nicht, diese Seelenqualen abzuschütteln. Nicht einmal die sensible Gesprächsführung Julies vermag Danton aus dem Teufelskreis aus Schuld, Nihilismus und Fatalis-mus zu befreien.

Im Gespräch mit Julie basiert Dantons Versuch, die Dämonen seiner Psyche unter Kontrolle zu bringen und somit seine Identität als Revolutionär wiederherzu-stellen, auf zwei Ansätzen. Zum einen flüchtet er sich in die Rolle des Vaterlandsretters, der die Revolution durch ein Massaker vor ihren Feinden bewahrte. Zum anderen wälzt Danton persönliche Schuld ab, indem er sich als Marionette am Faden eines unpersönlichen Schicksals charakterisiert. Hierin gleicht er ein Stück weit seinem Widersacher St. Just, der sich selbst als Voll-strecker des Weltgeists sieht. Doch während St. Just aus diesem Selbstverständnis die Rechtfertigung für weitere Morde ableitet, intensiviert Dantons Einsicht in den Fa-talismus der Geschichte sein Gefühl des Ausgeliefert-seins, der Hilflosigkeit und der Passivität.

Ein weiterer Aspekt von Dantons schuldhaftem Ver-halten ist sein Umgang mit Frauen. Julie betrügt er, in-dem er sich in Bordelle flüchtet, um seiner Genussphi-losophie zu frönen und der Last des politischen Alltags zu entkommen. Diese extremen Stimmungsschwan-kungen zwischen Genussstreben und tiefster Melan-cholie sind ebenfalls Ausdruck seiner Schuldgefühle.

»Was ist denn meine Schuld?« (Homo faber, S. 123). Walter Fabers Umgang mit der persönlichen Schuld spielt sich auf zwei Ebenen ab. Zum einen muss er sich die Frage stellen, welche Verantwortung er für den In-zest und den Tod seiner Tochter Sabeth trägt. Sein Ver-halten nach dem Sturz Sabeths in Akrokorinth ist ge-prägt von dem Versuch, die wahren Zusammenhänge zu vertuschen. Deshalb kann Sabeth nicht angemessen behandelt werden und stirbt in Athen. Fabers Versagen muss jedoch zum anderen in einen weiteren Kontext eingebettet werden. Denn Max Frischs Roman erzählt die Geschichte eines verfehlten Lebens. Faber hat sich in den dreißiger Jahren aus der Verantwortung gestoh-len, als er die schwangere Hanna verließ. In den folgen-den Jahren lebt Faber ein eindimensionales Leben als Techniker, der Gefühle nicht zulässt und jede Art von Schicksalsglauben von sich weist. Er verdrängt so tie-fere Schichten des Bewusstseins, was ihm und vor allem Sabeth zum Verhängnis wird, als diese sich zufällig auf einem Schiff über den Weg laufen.

Fabers Unvermögen, Menschen vorurteilsfrei zu be-gegnen, seine Angewohnheit, sie in Schubladen zu ste-cken und anderen Lebensentwürfen mit Herablassung zu begegnen, lassen ihn schuldig werden. Sein kompro-missloser Rationalismus, der das Leben für berechenbar hält, führt zu tiefstem Irrationalismus. Und sein Um-gang mit Frauen zeigt, wie wenig er bereit ist, für andere Verantwortung zu übernehmen bzw. über seinen Schat-ten zu springen.

Während also Danton von Schuldgefühlen geplagt wird, die sein Handeln lähmen und ihn in ein Wechsel-bad von Depressionen, philosophischen Erwägungen und hemmungslosem Genussstreben treiben, verdrängt Faber bis zum Tod Sabeths alles, was ihm den Blick auf Verantwortung und Schuld ermöglichen könnte. Erst auf der Zweiten Station versucht Faber, sich seiner Ver-antwortung für ein verfehltes Leben und den Tod seiner Tochter zu stellen. Doch diese Aufarbeitung kommt zu

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spät. Er stirbt ebenso wie Danton. Beide Titelhelden scheitern an einer Identität, die Risse bekommt, als sie sich mit den Widersprüchen eines verfehlten Lebens auseinanderzusetzen beginnt.

Der Schluss führt die zentralen Ergebnisse des Ver-gleichs zusammen, ohne neue Aspekte zu thematisieren. Insgesamt ist bei der Interpretation auf eine struktu-rierte und differenzierte Analyse sowie auf sprachliche Richtigkeit zu achten.