«Darf ich denn Kindertexte in der ersten Klasse … · Abbildung 1: Sechs-Stufenmodell (Frith...

12
Online-Plattform für Literalität www.leseforum.ch | www.forumlecture.ch – 3/2016 1 «Darf ich denn Kindertexte in der ersten Klasse verbessern?» Zur Unsicherheit von Lehrkräften, Orthographie von Anfang an beim Schreiben zu berücksichtigen Hanna Sauerborn Abstract Die meisten Kinder im deutschsprachigen Raum lernen das Schreiben zunächst im Sinne eines segmentalen Ansatzes auf Grundlage des Prinzips der Lauttreue, nach dem jeder Buchstabe einem Laut entspricht. In ei- ner zweiten Phase werden meist ab Klasse zwei Regeln zur Erklärung von Ausnahmen zum Lautprinzip ein- geführt und geübt. Schwache Rechtschreibleistungen von Schülerinnen und Schülern führen bei manchen Lehrkräften zu einer Hinterfragung der gängigen Praxis. Im Rahmen einer Fortbildung wurden Lehrkräfte (N=21) zu ihren epistemologischen Überzeugungen (Reusser et al. 2011) zur Orthographie im Anfangsunter- richt befragt. Die Daten wurden nach dem Prinzip des offenen Kodierens ausgewertet. Die Ergebnisse zei- gen, dass die Lehrkräfte das freie Schreiben vor allem aus motivationalen Gesichtspunkten schätzen, je- doch große Unsicherheiten im Hinblick auf das Korrigieren von Kindertexten vorliegen. Schlüsselwörter Orthographie, Rechtschreibung, Anfangsunterricht, lautgetreues Schreiben, subjektive Theorien, epistemo- logische Überzeugungen Titre, chapeau et mots-clés en français à la fin de l’article Autorin Hanna Sauerborn, Pädagogische Hochschule Freiburg, Institut für deutsche Sprache und Literatur, Kun- zenweg 21, D-79117 Freiburg, [email protected]

Transcript of «Darf ich denn Kindertexte in der ersten Klasse … · Abbildung 1: Sechs-Stufenmodell (Frith...

Online-PlattformfürLiteralität

www.leseforum.ch|www.forumlecture.ch–3/2016 1

«DarfichdennKindertexteindererstenKlasseverbessern?»ZurUnsicherheitvonLehrkräften,OrthographievonAnfanganbeimSchreibenzuberücksichtigenHannaSauerborn

AbstractDiemeistenKinderimdeutschsprachigenRaumlernendasSchreibenzunächstimSinneeinessegmentalenAnsatzesaufGrundlagedesPrinzipsderLauttreue,nachdemjederBuchstabeeinemLautentspricht.Inei-nerzweitenPhasewerdenmeistabKlassezweiRegelnzurErklärungvonAusnahmenzumLautprinzipein-geführtundgeübt.SchwacheRechtschreibleistungenvonSchülerinnenundSchülernführenbeimanchenLehrkräftenzueinerHinterfragungdergängigenPraxis.ImRahmeneinerFortbildungwurdenLehrkräfte(N=21)zuihrenepistemologischenÜberzeugungen(Reusseretal.2011)zurOrthographieimAnfangsunter-richtbefragt.DieDatenwurdennachdemPrinzipdesoffenenKodierensausgewertet.DieErgebnissezei-gen,dassdieLehrkräftedasfreieSchreibenvorallemausmotivationalenGesichtspunktenschätzen,je-dochgroßeUnsicherheitenimHinblickaufdasKorrigierenvonKindertextenvorliegen.

SchlüsselwörterOrthographie,Rechtschreibung,Anfangsunterricht,lautgetreuesSchreiben,subjektiveTheorien,epistemo-logischeÜberzeugungen

⇒Titre,chapeauetmots-clésenfrançaisàlafindel’article

AutorinHannaSauerborn,PädagogischeHochschuleFreiburg,InstitutfürdeutscheSpracheundLiteratur,Kun-zenweg21,D-79117Freiburg,[email protected]

HannaSauerborn 2

«DarfichdennKindertexteindererstenKlasseverbessern?»ZurUnsicherheitvonLehrkräften,OrthographievonAnfanganbeimSchreibenzuberücksichtigenHannaSauerborn

EinealteunddennochaktuelleDebatteüberdieSchriftvermittlungNichtnurinderSprachdidaktikwirddieFragenachderbestenFormderSchriftvermittlungimmerwiedergestellt,vielmehrführenvermeintlichschwacheRechtschreibleistungenvonSchülerinnenundSchülernimmerwiederzueineröffentlichenDebattedarüber.DabishernochkeineStudiedieÜberlegenheiteinerMethodenachweisenkonnte,müssensichLehrkräfteaufGrundlageihresWissensundihrerErfahrungenfüreineFormderSchriftvermittlungentscheiden.ImRahmendiesesBeitragssollesumdieÜberzeugun-genvonLehrkräftenimHinblickaufdieSchriftvermittlungimAnfangsunterrichtgehen.

ZunächstwirddieEntwicklungderrechtschriftlichenKompetenzskizziert.DarauffolgteineBeschreibungderinvielenKlassenaktuellpraktiziertenVorgehensweisezurSchriftvermittlung.AndieAuseinanderset-zungmitdemKonstruktderberufsbezogenenÜberzeugungenvonLehrkräften(Reusseretal.2011)schließtsichdieDarstellungderErgebnisseauseinerBefragungvon21LehrkräftenunddarausresultierendenFol-gerungenan.

DieEntwicklungderrechtschriftlichenKompetenzIndenvergangenen40JahrenwurdenverschiedeneModellezumSchriftspracherwerbundzurEntwick-lungderrechtschriftlichenKompetenz(weiter-)entwickelt.VieleAutorinnenundAutorenbauenihreÜber-legungenaufdemStufenmodellvonFrith(1986)auf(z.B.Günther1995;Thomé2003;Valtin2000),dassichzunächstaufdasLesenlernenbezieht,dasSchreibenjedochintegriert.DasvonFrithbeschriebeneModellausdreiStufen(logographemisch,alphabetischundorthographisch)wurdevonderAutorinschließlichineinSechs-Phasenmodelltransformiert(Abbildung1).

Abbildung1:Sechs-Stufenmodell(Frith1986:225)

DerÜbergangvoneinerStufeindienächsteerfolgedurchdieVerschmelzungeinerälterenschongeübtenStrategiemiteinerneuenStrategie(Frith1986,S.223),wobeidiealteStrategienichtautomatischaufge-geben,sonderninderneuenStrategie(latent)weitergeführtwerde(ebd.,S.224).DabeihinkedasRecht-schreibenderWorterkennungbeimLesenhinterher,wasmananFehlernimGeschriebenensehenkönne(ebd.).AufbauendaufdenPhasenvonFrithundinderSyntheseausdiversenanderenModellen,be-schreibtThomé(2003)einweiteresmodifiziertesModell,dassichjedochausschließlichaufdiebasalenRechtschreibkenntnissebezieht(Abbildung2).

HannaSauerborn 3

Abbildung2:EntwicklungderbasalenRechtschreibkenntnisse(Thomé2003,S.371ff.)

Thoméerklärt,dasskeinSchülertextausschließlichSchreibungenaufweise,dienureinereinzigenPhasezuzuordnenwären:„VielmehrfindetsichinjedemTexteineKombinationvonSchreibungen,diedasparal-leleNebeneinanderunterschiedlicherRechtschreibphasen(unterderDominanzeinerPhase)belegen“(Thomé2003,S.375).

ZweiPhaseninderSchriftvermittlungAnalogzudenbeschriebenenModellenzumSchriftspracherwerb,diezunächstvoneineralphabetischenunddanneinerorthographischenPhaseausgehen,kanndiegängigeVermittlungderSchriftalsinzweiPhasenablaufendverstandenwerden(BredelundRöber2011):IndererstenPhasewürdenKinderprimärderAnweisung„Schreib,wiedusprichst!“folgen.InderzweitenPhasedesSchrifterwerbs,derenBeginnBredelundRöberinderzweitenKlassesehen,würdevondenKindernvermehrterwartet,orthographischrichtigzuschreiben(ebd.).EinesolchezweiphasigeModellierungdes(Recht-)SchreibunterrichtsspiegeltdieVorgabenindiversenBildungsplänen.Sodefiniertderbaden-württembergischeBildungsplanalseinesdererstenZieledesAnfangsunterrichtsdaslautgetreueSchreibenundbetont:„DerSchriftspracherwerbstellteineeigenaktive(Re-)KonstruktionderSchriftdar.LautorientiertesSchreibenunterstütztdiesenProzess“(MinisteriumfürKultus2015,S.7).DaraufaufbauenderwürbenKinderStrategien,„wieGespro-cheneszunehmendnormgerechtverschriftetwerdenkann“(ebd.,S.7).DieseModellierungdesSchrift-spracherwerbslässtsichnebendemVerweisaufModellezurEntwicklungderRechtschreibkenntnisse(s.o.)aufverschiedeneÜberzeugungenzurückführen:AussprachwissenschaftlicherSichtspiegeltsichdarindieVorstellungvonSchriftlichkeitalssekundäremZeichensystem,indemSchriftnurzumZweckbesteht,Mündlichkeitdarzustellen(Saussure,Bally,&Sechehaye2001,S.28)undSchrift„dieAbfolgederLaute,dieimWortaufeinanderfolgen,wiederzugebensucht“(ebd.2001,S.31).DieseAuffassungwirdauchalsDe-pendenzhypothesebezeichnetundvonverschiedenenSprachwissenschaftlernkritischbeurteilt(z.B.Dür-scheid&Spitzmüller2012).AberselbstbeiAnnahmederDependenzhypotheseergibtsichaussprachdidak-tischerSichtimHinblickaufdieAnwendungderAnweisung„Schreib,wiedusprichst!“unteranderemausdemungleichenVerhältnisvonPhonemenundGraphemenimDeutscheneineSchwierigkeit.SokannesfüreinPhonemverschiedeneGraphemegeben(z.B.[t]à<t>,<d>,<tt>,<dt>und<th>)bzw.füreinGraphemverschiedenenPhoneme(z.B.<r>à[ʀ],[ɐ]bzw.weitere(dialektale)Varianten;<e>à[e],[ɛ],[ɘ]oderinKombinationmit<r>wie[ɐ]).Der„Laut-Buchstaben-Bezughängt[nämlich]abvonderPositiondesLautsbzw.BuchstabensinnerhalbderSilbe“(Röber-Siekmeyer2001,S.41).SostelltFrithdar,dassdiehäufigstenFehlersolcheseien,diemiteineralphabetischenStrategieunvermeidlichseien:„phonetischplausible

Protoalphabe+sch-phone+schePhase

StufederrudimentärenVerschri9ungen

Stufederbeginnendenlautorien+ertenSchreibungen

Stufederphone+schorien+ertenSchreibungen

Alphabe+schePhase

Stufederphone+sch-phonologischenSchreibungen

Stufederphonologischorien+ertenSchreibungen

OrthographischePhase

Stufedersemi-arbitärenÜbergeneralisierungen

Stufedersilbischodermorphologischorien+erten

Übergeneralisierungen

StufederkorrektenSchreibungenmit

wenigenÜbergeneralisierungen

HannaSauerborn 4

RechtschreibfehlerundVerwechslungvonhomophonenElementen“(Frith1986,S.227).FrithsModellbe-ziehtsichzunächstaufdasEnglische,einemimVergleichzumDeutschennochtieferesSchriftsystem,indemderPhonem-Graphem-Bezugdahernochintransparenterist.DochauchbeieinemSelbstversuchbeimSchreibendeutscherWörtermiteinerumgestaltetenAnlauttabelleunddemkonsequentenVersuch,dieor-thographischeBrilleabzulegenundtatsächlichlautanalytischvorzugehen,wirddeutlich,dassdiewenigs-tenWörterderdeutschenSprachedemPrinzipderLauttreuefolgenundsomitphonetischplausibleRecht-schreibfehlerimSinneFrithsindenmeistendeutschenWörternzuerwartensind.DaheristorthographischrichtigesSchreibenaufderGrundlageeinerAnlauttabelleundderBefolgungderAnweisung,„Schreib,wiedusprichst!“weitgehendunmöglich.WörterwieRollerwerdenz.B.zuRola,EntezuÄntä,SträußezuSchtroisäusw.FehlschreibungenderKinderzeigenfolglichzunächsteinmaleinegenauelautanalytischeLeistung(vgl.Röber-Siekmeyer2001,S.41).

LerntmandieSchriftvonderPrämissederLauttreueausgehend,müssendieimVerlaufderSchulzeitzulernendenorthographischenRegelnalldieAusnahmenerklären,beidenendieRegel„Schreib,wiedusprichst!“nichtzutrifft.ArbeitenvonRöber(2009)oderBredel,Fuhrhop,&Noack(2011)liefernaussprachwissenschaftlicherundsprachdidaktischerSichtArgumente,diegegeneinesolcheVermittlungderSchriftanzuführensind.IhrHauptkritikpunktlässtsichzusammenfasseninderfehlenden„HinführungzueinemsystematischenLernen,dasdasEntdeckenderorthographischenRegularitätendurchdieKinderini-tiiertbzw.stützt.Stattdessenwerden‚Abweichungen‘voneiner‚lautgetreuen‘Schreibungvorgeführt“(Bredel&Röber2011).Bredel(2012)gehtnochweiterundkonstatiert,dassdie

„füreinenerfolgreichenSchriftspracherwerberforderlichekognitiveDurchdringungdesSprachsystems(…)nichtnurnichtgestützt,sonderndurchdasVerharrenaufderPhonographieunddieBlockierungvonschülerseitigenErkenntnisinteressenunterminiert[wird].“(Bredel2012,S.11)

MotivationalswichtigenFaktorAuspädagogischerSichtstütztsichdasVorgehendeslautgetreuenSchreibensaufdieÜberzeugung,dassdieMotivationzumSchreibendannbesondershochsei,wennKindervonAnfanganSchriftzurKommuni-kationfürihreZweckeverwendenkönnten(vgl.Spitta1997).SogeheesbeiderSprachentwicklung„we-nigerumdasEinübenvonFähigkeiten,sonderndarum,demKindvonkleinaufGelegenheitzumaktivenSprachgebrauchzugeben“(Reiche2003,S.192).EnderssiehtineinemsolchenAnsatzeine„MythisierungvonKindertexten“beidereine„FixierungaufdasMotivieren“stattfände(Enders2007,S.150).DiesesehrkritischeSichtweisebleibtzuhinterfragen,geradewennmanberücksichtigt,wiezentralMotivationfürjeg-lichenLernprozessist(vgl.z.B.Byman&Kansanen2008,S.604).JedochzeigtdasZitatvonEnders,dassmethodischeEntscheidungennichtalleinaufderGrundlagevonMotivationsfragengetroffenwerdenkön-nen.DennochsolltenimHinblickaufdieSchriftvermittlungdieFaktorenMotivationundVolitioneinewich-tigeRollespielen,wennauchineinemanderenSinnealsmancheLehrkraftesbisherversteht.VolitionistdabeidiementaleKraftundderWille,eineTätigkeitnichtnurzubeginnen(wofürdieMotivationaus-reicht),sondernauchkonstantauszuführen,wiePintrichundSchunk(2002)darstellen:

“Itmayseemthatmanyactionsoccurautomatically,butvolitionoftenplaysarolebecauseithelpsexecutetheintendedactionbyactivatingamentalrepresentation.Volitionhasitsgreatesteffectwhenvariousin-tentionscompeteforaction.(...)Weneedthetypeofvolition‘fiat,mandate,orexpressconsent’totransla-teintensionsintoactions”(Pintrich&Schunk,2002,S.21).

Sobleibtzufragen,obeinVerharrenaufderStufedeslautgetreuenSchreibensnichtnurwieBredel(2012,sieheZitatoben)beschreibt,ErkenntnisseüberdieSchriftblockiert,sondernbeimanchenKindernzudemdiemotivationaleundvolitionaleGrundlagenzum(späteren)orthographischrichtigenSchreibennimmt.BrügelmannundBrinkmannerklären,esseiwichtig,dass„dieorthographischePerspektiveschonimLaufedererstenKlasseindenBlickgenommen[wird]unddieKinderbeiderAuseinandersetzungmitRecht-schreibmusternunterstütztwerden“(Brügelmann&Brinkmann2012,S.16).EngmitdermöglichenBe-rücksichtigungderOrthographieimAnfangsunterrichtverbundenistdieFragenacheinergeeignetenMe-thodezurVermittlungderSchrift.

HannaSauerborn 5

Gibteseine(besonders)geeigneteMethode?DieDiskussionumdierichtigeMethodeistnichtneuundwurdeschonvorknapphundertJahrengeführt(Schründer-Lenzen2009,S.136).IndenletztenJahrzehntenhatsich„derMethodenstreitmehrundmehraufdieFragezugespitzt,obsichSchriftspracherwerbeherschüler-oderlehrerzentriert,ehernon-direktivoderdirektivvollzieht“(ebd.,S.148).BrügelmannundBrinkmannbezweifeln,dass„mandieÜberlegen-heitirgendeinespädagogischen‚Konzepts‘odereinerdidaktischen‚Methode‘empirischbeweisenkönne.“(Brügelmann&Brinkmann2012,S.2).ZudiesemErgebniskommtauchWeinhold(2009)ineinerStudieimBereichderfachdidaktischenLehr-undLernforschung,indersiedieSchriftspracherwerbsprozesseinAb-hängigkeitvonfachdidaktischenAnsätzenübervierGrundschuljahrehinuntersucht.InderStudiewerdenKlassen,dienachdersilbenanalytischenMethode,mitFibelnsowienachdemKonzeptLesendurchSchreibenunterrichtetwurden,berücksichtigt(Weinhold2009,S.53).DabeiwurdedieRechtschreibleis-tungbeidergesamtenStichprobemitderHamburgerSchreibprobeerfasst(ebd.,S.60).WenngleichdiesilbenanalytischeMethodeaussprachwissenschaftlicherSichtfundiertist,konnteninderStudiekeinebes-serenLese-undSchreibleistungendernachdersilbenanalytischenMethodeunterrichtetenSchülerinnenundSchülerimVergleichzumRestderuntersuchtenStichprobenachgewiesenwerden(ebd.,S.70),wobeidieGruppedernachLesendurchSchreibenunterrichtetenKinderwegenzugeringerGrößeausdenquan-titativenAnalysenherausgenommenwurde.Weinholdfolgert:

„Da(...)erfolgreicherErwerbderSchriftsprachewiejederLernprozesskeinResultateinfacherÜbernahmevonimUnterrichtexplizitgemachtenStrukturenist,sonderneineigenaktiverKonstruktionsprozess,derdiedeklarativenundprozeduralenAngeboteeinesmethodisch-didaktischenAnsatzesjefürsichunterschiedlichnutzt,sinddieEntwicklungsverläufeimLesenundSchreibenlernenverschieden.“(ebd.,S.72–73)

Diesmagumsomehrgelten,alsdassvieleLehrkräfteaufverschiedeneMaterialienzurückgreifen,wasTreutleinetal.alseineklektischesVorgehenbezeichnen(Treutlein,Roos,&Schöler2009,S.148).Unter-richtistjedochnichtnurbestimmtvondengewähltenMaterialienundMethoden,vielmehrwirddieAus-wahlbeidersowiedasUnterrichtenselbstinhohemMaßevondensubjektivenTheorienderLehrkraftbe-stimmt.

BerufsbezogeneÜberzeugungenvonLehrkräftenWagner(2016)definiertsubjektiveTheorieninderPsychologieals„kognitiveAggregatszustände(…),dievoneinerPersonselbststammenundsomit(zumindestzunächst)subjektivsind“(Wagner2016,S.10).DerBegriffsubjektiveTheorienwirdalseineVariantedesOberbegriffsLehrerkognitionenverwendet(Lamy2015,S.90).AndereBegrifflichkeitenfürdasKonstruktsindLehrerwissen,Überzeugungen,Lehrererwartun-gen,Vorstellungen,Sichtweisen,KonzeptionenoderHaltungen(ebd.).Reusseretal.(2011)verwendenimZusammenhangmitdemLehrerberufdenBegriffderberufsbezogeneÜberzeugungenundverstehendiesalseine

„übergreifendeBezeichnungfürjeneFacettenderHandlungskompetenzvonLehrpersonen,welcheüberdasdeklarativeundprozeduralepädagogisch-psychologischeunddisziplinär-fachlicheWissenhinausgehen.(…)wir[verstehen]unterÜberzeugungenvonLehrpersonen(teacherbeliefs)affektivaufgeladene,eineBewertungskomponentebeinhaltendeVorstellungenüberdasWesenunddieNaturvonLehr-Lernprozessen,Lerninhalten,dieIdentitätundRollevonLernendenundLehrenden(sichselbst)sowiedeninstitutionellenundgesellschaftlichenKontextvonBildungundErziehung,welchefürwahroderwertvollgehaltenwerdenundwelcheihremberufsbezogenenDenkenundHandelnStruktur,Halt,SicherheitundOrientierunggeben."(Reusser,Pauli,&Elmer2011,S.642–643)

DaberufsbezogeneÜberzeugungenimmereinenGegenstandsbezughätten,seiensieintentionalstetsaufetwasgerichtet,wiez.B.aufdisziplinäreoderpädagogischeFachinhalte,Lern-oderBildungsprozessmerk-male,PersonenoderBildungsstruktur-oderKontextmerkmale(ebd.S.644).SomitkönnenEinschätzungenvonLehrkräftenzurVermittlungderOrthographieebensoalsberufsbezogeneÜberzeugungenverstandenwerden,eshandeltsichhierbeiumepistemologischeÜberzeugungen(Abbildung3).

HannaSauerborn 6

Abbildung3:GegenstandsbereichevonberufsbezogenenÜberzeugungen(Reusseretal.2011,S.650)

Reusseretal.legendar,dasseszudembeiberufsbezogenenÜberzeugungenimVergleichzureinfachli-chemundpädagogischenBerufswissenum„emotionalaufgeladenementaleKonfigurationenmitnorma-tiv-evaluativemCharakter“gehe(ebd.,2011,S.644).Esbleibtzuklären,obdiesauchaufdieDebatteumeinegeeigneteVermittlungderSchriftzutrifft.

InderForschunggibtesbereitszahlreicheStudienzuindividuellenEntwicklungsverläufendesOrthogra-phieerwerbs,derenErgebnissesichunterandereminEntwicklungsmodellenspiegeln.AuchimHinblickaufverschiedenenMethodenwurdeimmerwiederderVersuchunternommen,diebesteMethodeempirischnachzuweisen.BeidePunktewurdenindenvorherigenAbschnittenkurzdiskutiert.Ebensowirdu.a.indenMedienimmerwiederkritischüberdieorthographischenLeistungenderSchülerinnenundSchülergeurteilt(z.B.John,2013).UnberücksichtigtbleibtinderDebatteoftdieStimmederLehrkräfte─dieFragenachih-renepistemologischenÜberzeugungenzurSchriftvermittlung.DiesstellteinDesideratdar,geradewennmandieRollederLehrkraftimHinblickaufdieWirksamkeitvonUnterrichtbedenkt.SoverstehenHattieundBeywl(2013)dieLehrpersonenalseinederwirkungsvollstenEinflussgrößenbeimLernen(Hattie&Beywl2013,S.280).

DasInteresseandenepistemologischenÜberzeugungenvonLehrkräftenistumsogrößer,wennesumdiePlanungvonFortbildungengeht,dieeinenachhaltigeUmstrukturierungvonÜberzeugungenanstreben.DenneinesolcheUmstrukturierungkannerstdannproduktivaufdieHandlungsebenedurchdringen,wenn─nebendenbekannten─alternativeWahrnehmungsmuster,StrategienoderRoutinenobjektivundsub-jektivzurVerfügungstehen(Reusseretal.2011,S.645).SokönnenvorhandenenÜberzeugungenidentifi-ziertundbewusstgemachtwerdenundaufdieserBasisalternativeKonzeptediskutiertwerden.

DaheristdasAnliegendieserArbeit,ineinerdeskriptivenundexplorativenUntersuchungHinweisezurStrukturundBeziehungderepistemologischenÜberzeugungenvonLehrerinnenundLehrernzuOrtho-graphievermittlungunddemOrthographieerwerbzugewinnen.

DesignImRahmeneinerFortbildunganderPädagogischenHochschuleinFreiburgzumThemaRichtigschreibenvonAnfanganwurden21LehrerinnenundLehrerschriftlichundausdieserGruppezudemfünfLehrkräfteinleitfadengestütztenInterviews(dietranskribiertwurden)zuihrenFragenundÜberlegungenzumOr-thographieerwerbund-unterrichtinderGrundschulebefragt.DieMethodederBefragungmittelsFrage-bogenwurdegewählt,umdieberufsbezogenenÜberzeugungenallerTeilnehmendenderFortbildungzuerfassen.DieInterviewsreflektiereninbesondererWeisedenexplorativenCharakterderStudie.ZudemwurdendreivonGrundschulenimInternetveröffentlichteErläuterungenzumRechtschreiberwerbundzumRechtschreibunterrichtindieAnalyseeinbezogen.DieserZugangwurdegewählt,umeineweiterePerspektiveimHinblickaufdieberufsbezogenenÜberzeugungenzurSchriftvermittlungzuerhalten,diediegängigePraxisspiegelt.DieAuswertungallerDatenerfolgtenachdemPrinzipdesoffenenKodierens(Strauss&Corbin,1999).

HannaSauerborn 7

Esistdavonauszugehen,dassLehrkräfte,dieeineFortbildungzudemo.g.Themabesuchen,sichbereitsmitdenFragenumeinegeeigneteVermittlungderOrthographiebeschäftigenundu.U.nichtvollständigzufriedensindmitderSituation.DahersowieaufgrundderkleinenundunkontrolliertgezogenenStichpro-beerhebtdieDarstellungderErgebnissenichtdenAnspruchderRepräsentativität.Eshandeltsichviel-mehrumeinenerstenEinblickindasForschungsfeldundbeschreibtdieberufsbezogenenÜberzeugungeneinigerLehrkräfte,diesichzumZeitpunktderBefragungmitderFragenacheinerfürsiegeeignetenFormderSchriftvermittlungauseinandersetzen.

Ergebnisse

KindertextenichtkorrigierenDieBefragungenderLehrkräfteunddieDokumentenanalysebestätigendieweiterobenbeschriebenePraxisvonzweiPhasenbeimSchrifterwerbmiteinemsegmentalenVorgehen:DieSchriftwirdindererstenKlasseausgehendvondemPrinzipderLauttreueunterNutzungvonAnlauttabellenvermittelt.Dabeihan-deltessichnichtnurumdieReichen-Methoden.VielmehrverwendenalleFibelnheuteAnlauttabellenunddenKindernwirdzujedemBuchstabendasjeweiligePhonemdesBuchstabensimAnlautbeigebracht(vgl.auchdieErgebnissevonTreutleinetal.(2009,S.148),nachdenenin71%deruntersuchtenKlassenAnlaut-tabellenachReichenverwendetwerden).LautAussagederLehrkräftewerdenFehlerinfreienSchreibun-gen(zunächst)kaumbisgarnichtkorrigiert.DieswirdauchdenElternvermittelt,welchenachDarstellungzweierLehrkräfteausdenInterviewsaufgefordertwerden,FehlerindenTextenihrerKindernichtzuver-bessern.FastalleLehrerstellendar,dassvermehrtabKlassezweiRechtschreibregelneingeführtbzw.Strategienvermitteltwerden,dieseRegelnerklärendieAbweichungenvonderinKlasseeinsgelerntenAnweisung„Schreib,wiedusprichst!“AlseineKonsequenzdieserModellierung,beklagteinerderbefrag-tenLehrer,dernurKlassedreiundvierunterrichtet,u.a.müsseermitdemarbeiten,wasdieLehrerindervorherigenzweiJahrenindieserZeitaufgebautbzw.nichtaufgebauthabe.WennindenerstenbeidenJahrengarnichtaufRechtschreibunggeachtetwordensei,wäreesinKlassedreifastunmöglich,dieKin-derzumrichtigenSchreibenzumotivieren:„DieKinderschreibenwiesiewollen,(…)sehennichtdieNot-wendigkeitkonstantaufrichtigesSchreibenzuachten.(…)SiehaltennichteinmalWortgrenzenein.“

SchwacheRechtschreibleistungenderSchülerinnenundSchülerDieindemZitatangesprochenenschwachenRechtschreibleistungenwerdenvonverschiedenenBefragtenangeführt.SoschreibteineLehrerin:„RS-SchwierigkeitenvonS.[Schülern]werdenimmergrößer,nehmenstetigzu.“EineandereLehrerinäußertsich:„Mirfälltauf,dassdieRechtschreibleistungenvonSchülernimmerschlechterwerden,trotzFRESCH-Methodeetc.“IndieserUnzufriedenheitmitdenorthographi-schenLeistungenderSchülerinnenundSchülerliegtfürdieBefragtenauchderGrund,anderFortbildungteilzunehmen.WenngleichalleLehrkräftealsodenVorgabenimBildungsplanhinsichtlichdeszunächstlautgetreuenSchreibensfolgen,zeigtsicheinegroßeDifferenzzwischendem,wasLehrkräfteamEndederGrundschulzeitimHinblickaufdieRechtschreibungeigentlichvondenSchülerinnenundSchülernerwartenunddem,wasvieleKinderleisten.

ZweiKernfragenAusdiesemSpannungsfeldherauslassensichzweiKernfragenderLehrerinnenundLehreridentifizieren,diesichinallenBefragungenspiegelnunddiewiederuminParallelitätzurzweiphasigenVermittlungderSchriftzusehensind:

− AbwanndarfmanFehlerinKinderschreibungenverbessern?(Phase1)− WiekommtmanvonlautgetreuemSchreibenzurrichtigenSchreibung?(Phase2)

IndererstenFragezeigtsicheinegroßeUnsicherheitbeidenbefragtenLehrkräften,dieumsoerstaunli-cherist,wennmandasVerhaltenvonLehrkräftenimHinblickaufdasVerbessernvonFehlerninanderenFächernberücksichtigt.SosagteineLehrerin:„InMatheweißich,waswirverbessern.(…)AberbeiunsanderSchuledarfmanFehlerbeimSchreibenindererstenKlassenichtkorrigieren(…).DahabeicheinganzschlechtesGefühlimBauch,wennichdas[dieFehler]einfachsostehenlasse.“DieDoktrin,lautgetreueSchreibungennichtzukorrigieren,scheintindenKöpfenderLehrkräfteverankert.BegünstigendaufÜber-

HannaSauerborn 8

zeugungendieserArtkönntenauchVorgabenimBildungsplanwirken,dervorgibt,veröffentlichteTexteanorthographischenNormenzuorientieren(MinisteriumfürKultus,JugendundSportBaden,2016,S.7).WaseineOrientierunganorthographischenNormenheißt,bleibtunspezifischunddamiteinerInterpretationfrei,SchreibungenderKindernichtzukorrigieren.

DochwarumverbessernLehrkräftedieSchreibungenderKindernicht?EinGrundkönntedarinliegen,dassEntwicklungsmodellezurRechtschreibentwicklungsuggerieren,Fehlerseienentwicklungsbedingtnormal,fehlerhafteSchreibungenwürdenmitderZeitdurchorthographischekorrekteSchreibungenersetztwer-den.SpittasprichtindiesemZusammenhangvonsogenannten„Privatschreibungen“(Spitta1997,S.76),aufBasisdererKinderdurchdenregelmäßigenundeigenständigenUmgangmitderSchriftspracheihreTheorieüberSchriftkorrigierenwürden.SpittaverstehtdiesePrivatschreibungenals„abgebildeteDenk-versuche“(ebd.),diekeineFehlerseien(ebd.).EineSchule,derenElterninformationzumRechtschreiber-werbindieAnalyseeinbezogenwurde,erklärtganzimSinneSpittas:

„EinKindmussdieseStrategien[lautgetreueSchreibung]inRuhedurchlaufenunderprobenkönnen,umzueinemsicherenRechtschreiberzuwerden.WirdKinderninihrerindividuellenLernentwicklungZeitgelas-sen,sosindsieimVerlaufdervierGrundschuljahreimmerbesserinderLage,dieeinzelnenStrategieneinzu-setzen,siezukombinierenundeinsicheresRechtschreibgespürzuentwickeln.“(ErichKästnerGrundschule2006,S.1)

DasVerständnis,Fehlschreibungenentwicklungsbedingtzuerklären,sienichtalsFehlersondernalsDenk-schrittzudeklarierenundnichtzuverbessern,berücksichtigtnicht,dassdieSchreibungenderKinderRe-sultatdesUnterrichtssind,densiedurchlaufen.BringtmanKindernbei,sozuschreiben,wiemanspricht,können–wieobenausgeführtwurde–nurfehlerhafteSchreibungenentstehen.WenndieseSchreibungenwiederumnichtkorrigiertwerdenundKinderdieWörterausschließlichfehlerhaftverschriften,habensie(zunächst)keineGelegenheit,ihrerechtschriftlicheKompetenzzuentwickelnbzw.diederSchriftimma-nentenStrukturenzuentdecken.ÄhnlichäußertsichBredel,diefeststellt,dassKindernichtlernenwürden,„wosiebereitszielführendeHypothesenaufgebauthabenundwonicht,nochbekommensieHilfestel-lungen,dieihremLernprozesseinesystematischeRichtunggebenwürde“(Bredel2012,S.11).

KinderfragennachderrichtigenSchreibungErstaunlichistdennoch,dassmehrereLehrkräftedavonberichten,dassKindersichindererstenKlasseversichernwollen,obeineselbstkonstruierteSchreibungrichtigsei.AlsAntwortdaraufhabemaninderLehrerausbildunggelernt,dassdieSchreibung–vorausgesetztalleLautesindabgebildet–inKinderschriftrichtigsei,abernochnichtinErwachsenenschrift.AusdiesenAntwortenlässtsichfolgern,dassdasMiss-konzeptvonzweiSchriften(KinderschriftundErwachsenenschrift,bzw.PrivatschriftbeiSpitta)sympto-matischzuseinscheintfürdenAnfangsunterrichtimFachDeutschundinkeinemanderenSchulfacheinPendantzufinden.SowerdenimMathematikunterricht–wiedasZitatderLehrerinweiterobenzeigt–fehlerhafteLösungenzuAufgabenauchdannalsfalschbezeichnet,wenndasKindsienochnichtrechnenkönnenkann.

VerlustderSchreibmotivationdurchKorrekturen?EinegroßeSorgederLehrkräfteimHinblickaufdasKorrigierenvonFehlernliegtimpotentiellenVerlustderSchreibmotivationoderdemSpaßamSchreibenbeidenKindern:EineLehrerinmöchteaufkeinenFall„durchzuvielInterventiondenSuS[SchülerinnenundSchülern]denSpaßamSchreibenlernenverderben“.Eineanderebetont:„DieFreudeamSchreibensollerhaltenbleiben.“AllebefragtenLehrkräftesehendasKorrigierenvonFehlernalsdemotivierendan.EineLehrkraftbeschreibtvorallemdiemangelndeMotivati-oninKlassedreiundvierzurKorrektureigenerSchreibungenundfragtdieausderSichtvonLernendenplausibleFrage:„Wennes[daslautgetreueSchreiben]dochbisherinOrdnungwar,warumsollesdannjetztanderssein?“BeidenSchülerinnenundSchülernscheintsichlautAussageeinigerLehrkräftefolglichimerstenJahrinderSchuleeinebestimmteVorstellungvonSchreibenzufestigen,diedieBerücksichti-gungderRechtschreibungnichtunbedingteinschließt.DieswirduntermauertvonderAussageeinerLehr-kraft,dievoneinemSchülerinKlasseviererzählt,derbeimGeschichtenschreibenbetont,eskämenunnichtaufdieRechtschreibungan,RechtschreibungseibeimGeschichtenschreibenegal.AnderÄußerung

HannaSauerborn 9

istabzuleiten,dassdievolitionaleBereitschaftmancherKinder,orthographischeNormenbeimSchreibenzuberücksichtigen,abeinembestimmtenPunktkaumodergarnichtmehrvorhandenzuseinscheint.

VermittlungvonRegeln/StrategienHinsichtlichderzweitenPhasedesSchrifterwerbs,wennesumdieErarbeitungvonRechtschreibregelnbzw.Strategiengeht,fragensichdieLehrerinnenundLehrernvorallem,abwannmandiesebehandelnsol-le.Dabeiwirddeutlich,dassindererstenKlassenursehrzurückhaltendRegeln/Strategienvermitteltwer-den.BeieinigenLehrkräftenscheintsichdieThematisierungorthographischerPhänomenevorallemaufdieleistungsstärkereGruppezubegrenzen:„Da[die]Kidserst½JahrinderSchulesind,gebeichbishernurabundzukleineTippsbeistarkenSuS,wennichsichergehenkann,dassesnichtdemotivierendist&sieevtl.einenHinweiseschon‚abspeichern‘.“EineähnlicheVorstellungvonderFörderungvonRecht-schreibunginAbhängigkeitvonderLeistungsfähigkeitderKinderwirdauchineinemanderenZitatdeut-lich:„LautgetreueSchreibungistfürmancheErstklässlerschwieriggenug,aberwiefördereichdieRecht-schreibungderbesonders‚fitten‘Erstklässler?“

SyntheseZusammenfassendlassensichausdenAussagenderindieAuswertungeinbezogenenLehrpersonenundDokumentefolgendePunkteherausstellen:

− KinderindererstenKlassewollenwissen,obetwasrichtiggeschriebenist.Darinkannmandenna-türlichenWunschzumrichtigenLernenerkennen.

− DieAnwendungdesPrinzipsderLauttreuegehtbeivielenLehrkräftenmitdemVerständniseinher,dassdieKorrekturenaneigenenTextenfürKinderdemotivierendsind.

− DievolitionaleBereitschaft,richtigzuschreiben,scheintmanchenKindernmitderVerinnerlichungdeslautgetreuenSchreibenszuverschwinden.

− DieBerücksichtigungvonOrthographieimAnfangsunterricht(VerbessernoderEinführungvonRe-geln)wird–wennüberhaupt–nurimHinblickaufdieleistungsstärkereKindergruppediskutiert.BeidenleistungsschwächerenvermutenvieleLehrkräfteeineÜberforderung.

− DievermeintlichedidaktischeReduktion(PhaseI:lautgetreueSchreibung,PhaseII:EinführungvonRegeln,dieAbweichungenvonderLauttreueerklären)führtbeivielenKinderzuschwachenRecht-schreibleistungeninderGrundschule.

ZusammenfassungundFolgerungenDieErgebnissederBefragungenzeigenausschnitthaftdieepistemologischenÜberzeugungenderLehr-kräfteimHinblickaufdieOrthographievermittlung.SichtbarwerdenUnsicherheitenmancherLehrkräfte,diemitdervorherrschendenlautorientiertenMethodederSchriftvermittlungimAnfangsunterrichteinher-gehen.Fragenbeziehensichvorallemdarauf,abwannFehlerkorrigiertwerdenkönntenbzw.sollten.EinDilemmaergibtsichdaraus,dassdasSchreibenfreierTextefürKindersehrmotivierendist,Lehrkräfteje-dochannehmen,dassdieseTextezunächstnichtkorrigiertwerdensollten,dadiesdieSchreibmotivationderSchülerinnenundSchülereinschränke.DasNicht-KorrigierenwiederumwidersprichtderintuitivenÜberzeugungmancherLehrkräfte,Fehlerzuverbessern.Eswäreinteressantzuprüfen,obeinesolchein-dimensionaleSichtweise,nachderMotivationvermeintlichdurchKorrekturabnimmt,indieserAusschließ-lichkeitanzunehmenist.TrotzeinerkritischenSichtweiseaufdasKorrigierenvonKindertextenverdeutli-chendieErgebnissederBefragungderLehrkräfteeineHinterfragungdervorherrschendenVorgehensinderSchriftvermittlung,dasbeiderfestzustellendenVerbreitungalseine„kollektivePraxisinstitutionali-sierterBildung“bezeichnetwerdenkann(vgl.Reusseretal.2011,S.644).EsistAufgabederSprachdidak-tik,ZweifelderLehrkräfteaufzugreifenundgemeinsammitLehrerinnenundLehrernKonzeptezurOrtho-graphievermittlungzuentwickeln,diedieFreudederKinderamSchreibenerhaltenundausbauen.Aufdie-seArtkönntenvorherrschendeepistemologischeÜberzeugungenumstrukturiertwerdenundaufdieHandlungsebenedurchdringen.

HannaSauerborn 10

DenkanstößeanstellemöglicherEmpfehlungenIndieserArbeitwirdkeineandereMethodeempfohlen.ImAnbetrachtderempirischenErgebnissezudenverschiedenenMethodenderSchriftvermittlungscheintdieskaummöglich.Daherwerdenanstellemögli-cherEmpfehlungeneinigeFragengestellt,diealsDenkanstößezuverstehensind,aufBasisdererLehrkräf-tesichmitihreneigenenberufsbezogenenÜberzeugungenauseinandersetzenkönnen:

− WäreeineNeubewertungderKorrekturenvonSchreibungenimAnfangsunterrichtsinnvoll?− SinnKorrekturenzwangsläufigmotivationshemmend?− WelchezumRotstiftalternativenFormenderKorrekturkannesgeben?− IstdasBildvonKinder-bzw.Erwachsenenschriftkorrekt?− SolltenKindervonAnfanganerfahren,dassesEINSchriftsystemgibt,dassieselbernachundnach

erwerben?− Kanndie(Re-)ProduktionorthographischrichtiggeschriebenerTexteKindernhelfen,implizitdie

MusterderSchriftzuerwerbenundihrebisherigenTheorienzuüberprüfen?− WiekannOrthographiebereitsimAnfangsunterrichtbehandeltwerden,ohnedassKinderdieFreude

amSchreibenunddasInteresseanSchriftverlieren?− WelcheSystematikistfürdieVermittlungderOrthographiesinnvoll,sodassdasKonzeptvonSchrift

einerseitskontinuierlicherweiterbaristundbeidemsichandererseitskeineinschneidenderUm-bruchinnerhalbdesKonzeptsergibt?

AufdieseFragenmagesindividuelleAntwortengeben.EmpirischeErgebnisselassensichjedochnochnichtvorweisen.

AusblickImHinblickaufdieepistemologischenÜberzeugungenderbefragtenLehrkräftescheinteinehandlungslei-tendeModifikationdervorhandenenÜberzeugungenalleinaufgrunddergemachtenUnterrichtserfahrun-gennichtgegeben.ZudominantwirktdiekollektivePraxisdervorherrschendenSchriftvermittlung.UmsobedeutenderistdieempirischeBeschäftigungmitdenepistemologischenÜberzeugungenvonLehrkräftenfürdieFachdidaktik,denndiesbietetAnknüpfungspunktefürFortbildungsangeboteundfachdidaktischeAbhandlungen,indeneneineAuseinandersetzungderLehrkräftemitdeneigenenÜberzeugungenalsAus-gangspunktfürneueDenkanstößeverstandenwerdenkann.

LiteraturBredel,U.(2012).ÜberAnalphabetismus.SchriftenreiheFachdidaktischeForschung.httS://www.uni-

hildesheim.de/media/forschung/fff/Schriftenreihe/Bredel_12-2012.pdf

Bredel,U.,Fuhrhop,N.,&Noack,C.(2011).WieKinderlesenundschreibenlernen.Tübingen:Francke.

Bredel,U.,&Röber,C.(2011).ZurGegenwartdesOrthographieunterrichts.InU.Bredel&T.Reißig(Eds.),WeiterführenderOrthographieerwerb(Bd.5,S.3–9).Baltmannsweiler:Schneider-VerlagHohengehren.

Brügelmann,H.&Brinkmann,E.(2012).FreiesSchreibenimAnfangsunterricht?:EinekritischeÜbersichtüberBefundederForschung.http://www.leseforum.ch/myuploaddata/files/2012_2_bruegelmann.pdf

Byman,R.,&Kansanen,S.(2008).PedagogicalThinkinginaStudent'sMind:Aconceptualclarificationonthebasisofself-determinationandvolitiontheories.ScandinavianJournalofEducationalResearch,52(6),603–621.doi:10.1080/00313830802497224

Dürscheid,C.,&Spitzmüller,J.(2012).EinführungindieSchriftlinguistik(4.,überarb.undaktualisierteAufl.).UTBSprachwis-senschaften:Vol.3740.Göttingen:Vandenhoeck&Ruprecht.

Enders,A.(2007).DerVerlustvonSchriftlichkeit:ErziehungswissenschaftlicheundkulturtheoretischeDimensionendesSchrift-spracherwerbs.Univ.,Habil.-Schr.[erm.]--Augsburg,2006.Literatur-Kultur-Medien:Vol.9.Berlin:Lit.http://deposit.d-nb.de/cgi-bin/dokserv?id=3015801&prov=M&dok_var=1&dok_ext=htm

ErichKästnerGrundschule.(2006).InformationenzumErlernenderRechtschreibung.http://www.erich-kaestner-grundschule.de/pdf/elterninfo/Rechtschreibung.pdf

Frith,U.(1986).PsychologischeAspektedesorthographischenWissens:EntwicklungundEntwicklungsstörung.InG.Augst(Ed.),Newtrendsingraphemicsandorthography(S.218–233).Berlin,NewYork:deGruyter.

Grotlüschen,A.&Riekmann,W.(2011).leo.:leo.-LevelOneStudie.LiteralitätvonErwachsenenaufdenunterenKompetenz-nieveaus.http://blogs.epb.uni-hamburg.de/leo/files/2011/12/leo-Presseheft_15_12_2011.pdf

HannaSauerborn 11

Günther,H.(1995).DieSchriftalsModellderLautsprache.OBST.OsnabrückerBeiträgezurSprachtheorie,51(Mai1995),15–32.Hattie,J.,&Beywl,W.(2013).VisibleLearning.Lernensichtbarmachen:ÜberarbeitetedeutschsprachigeAusgabevonVisible

Learning.Baltmannsweiler:SchneiderHohengehren.

John,B.(2013).DasEndedesLesens,dasEndedesSchreibens.http://www.tagesspiegel.de/meinung/rechtschreibung-das-ende-des-lesens-das-ende-des-schreibens/8425296.html

Lamy,C.(2015).DieBewältigungberuflicherAnforderungendurchLehrpersonenimBerufseinstieg.Wiesbaden:SpringerFach-medienWiesbaden.

MinisteriumfürKultus,J.u.S.B.W.(2015).Bildungsplan2016:AllgemeinbildendeSchulenGrundschule.AnhörungsfassungDeutsch.http://www.bildungspläne-bw.de/site/bildungsplan/get/documents/lsbw/export-pdf/a/gs/D/bildungsplan_a_gs_D.pdf

MinisteriumfürKultus,JugendundSportBaden.(2016).Bildungsplan2016:AllgemeinbildendeSchulenGrundschule.Endfas-sung.http://www.bildungspläne-bw.de/site/bildungsplan/get/documents/lsbw/export-pdf/ALLG/GS/D/bildungsplan_ALLG_GS_D.pdf

Pintrich,S.R.,&Schunk,D.H.(2002).Motivationineducation:Theory,research,andapplications(2nded.).EnglewoodCliffs,N.J.:MerrillPrentice-HallInternational.

Reiche,S.(2003).DerKindergartenalsTeildesBildungswesens.InE.Hammes-DiBernardo(Ed.),Jahrbuch/Pestalozzi-Fröbel-Verband:Vol.8.StartchanceSprache.[SprachealsSchlüsselzurBildungundChancengleichheit](S.192–197).Baltmannswei-ler:Schneider-Verl.Hohengehren.

Reusser,K.,Pauli,C.,&Elmer,A.(2011).BerufsbezogenenÜberzeugungenvonLehrerinnenundLehrern.InE.Terhart,H.Bennewitz,&M.Rothland(Eds.),HandbuchderForschungzumLehrerberuf(S.478–495bzw.642-661).Münster:Waxmann.

Röber,C.(2009).DieLeistungenderKinderbeimLesen-undSchreibenlernen:GrundlagenderSilbenanalytischenMethode;einArbeitsbuchmitÜbungsaufgaben.Baltmannsweiler:SchneiderVerlagHohengehren.

Röber-Siekmeyer,C.(2001).DerMythosderLauttreue:FüreineanderePräsentationderSchrift.Grundschule.(6),40–42.Saussure,F.de,Bally,C.,&Sechehaye,A.(2001).GrundfragenderallgemeinenSprachwissenschaft(3rded.).DeGruyterStu-

dienbuch.Berlin,NewYork:W.deGruyter.Schründer-Lenzen,A.(2009).SchriftspracherwerbundUnterricht:BausteineprofessionellenHandlungswissens(3.Aufl.).Wies-

baden:VSVerl.fürSozialwiss.Spitta,G.(1997).KinderschreibeneigeneTexte:Klasse1und2:LesenundSchreibenimZusammenhang;spontanesSchreiben;

Schreibprojekte(6.Aufl.,[Nachdr.]).Lehrer-BüchereiGrundschule.FrankfurtamMain:CornelsenScriptor.Strauss,A.,&Corbin,J.(1999).Groundedtheory:GrundlagenqualitativerSozialforschung(Unveränd.Nachdr.derletztenAufl.,

1996).Weinheim:BeltzPsychologieVerlagsUnion.

Thomé,G.(2003).EntwicklungderbasalenRechtschreibkenntnisse.InU.Bredel(Ed.),UTBPädagogik,Sprachwissenschaft:Vol.8235.DidaktikderdeutschenSprache.EinHandbuch(S.369–379).Paderborn:Schöningh.

Treutlein,A.,Roos,J.,&Schöler,H.(2009).MerkmaledesAnfangsunterrichts.InJ.Roos&H.Schöler(Eds.),EntwicklungdesSchriftspracherwerbsinderGrundschule.LängsschnittanalysezweierKohortenüberdieGrundschulzeit(1sted.,S.145–162).Wiesbaden:VSVerlagfürSozialwissenschaften/GWVFachverlageGmbHWiesbaden.

Valtin,R.(2000).EinEntwicklungsmodelldesRechtschreibenlernens.InR.Valtin(Ed.),BeiträgezurReformderGrundschule:Vol.109.RechtschreibenlernenindenKlassen1-6.GrundlagenunddidaktischeHilfen(S.17–22).FrankfurtamMain:Grund-schulverband-ArbeitskreisGrundschule.

Wagner,R.F.(2016).UnterrichtausSichtderLehrerinnenundLehrer:SubjektiveTheorienzurUnterrichtsgestaltungundihreVeränderungdurcheinTrainingzuneuenUnterrichtsmethoden.KlinkhardtForschung.BadHeilbrunn:Klinkhardt,Julius.

Weinhold,S.(2009).EffektefachdidaktischerAnsätzeaufdenSchriftspracherwerbinderGrundschule.DidaktikDeutsch,15(27),53–75.

AutorinDr.HannaSauerbornarbeitetalsakademischeMitarbeiterinanderPHFreiburgundgibtinRahmendieserTätigkeitregelmäßigFortbildungenfürLehrkräfte.SieistaußerdemGrundschullehrerin.ZurzeitwirdsiedurchdasSchlieben-LangeProgrammdesMWKBaden-Württemberggefördert.

DieserBeitragwurdeinderNummer3/2016vonleseforum.chveröffentlicht.

HannaSauerborn 12

«Puis-jeaméliorerlestextesdesenfantsdepremièreannée?»L’incertitudedesenseignant-e-squantàtenircomptedel’orthographedèsledébutdel’apprentissagedel’écritureHannaSauerborn

ChapeauDanslemondegermanophone,laplupartdesenfantsapprennentàécrired’abordavecuneapprochesegmentaire,enapplicationduprincipeselonlequelchaquelettrecorrespondàunson.Cen’estqu’endeuxièmeannéequel’onenseigneetexercelesrèglesexpliquantlesexceptionsàceprincipe.Lafaiblessedesperformancesdenombreuxélèvesenorthographepoussentbeaucoupd’enseignant-e-sàremettreenquestionlapratiquecourante.Desenseignant-e-s(N=21)ontétéinterrogéssurleursconvictionsépistémo-logiques(Reusseretal.2011)concernantl’orthographedanslespetitesclassesàl’occasiond’uncoursdeformationcontinue.Lesdonnéesontétéévaluéesselonleprincipeducodageouvert.Lesrésultatsmon-trentquesilesenseignant-e-ssontfavorablesàl’écriturelibreavanttoutpourdesraisonsdemotivation,ilsn’enressententpasmoinsunegrandeinsécuritéparrapportàlacorrectiondestextesdesélèves.

Mots-clésorthographe,enseignementpourdébutants,écrituresyllabique,théoriessubjectives,convictionsépisté-mologiques

Cetarticleaétépubliédanslenuméro3/2016deforumlecture.ch