Das AMNOG – ein lernendes System? · 2017-03-08 · AMNOG als Erfolgsgeschichte, da alle...

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24 Jahrbuch Healthcare Marketing 2013 Das AMNOG – ein lernendes System? Das 3. Diskussionsforum „Market Access & Health Economics“ des Georg Thieme Verlags zu den Themen AMNOG, Preisverhandlungen und Mehrwert- verträge neun ein geringer; bei einem Präparat konnte kein Zusatznutzen gefunden werden. Bei drei Arznei- mitteln war der Zusatznutzen nicht quantifizierbar, sieben Dossiers konnten wegen Unvollständigkeit nicht bewertet werden. Ein erheblicher Zusatz- nutzen wurde bisher noch keinem Arzneimittel bescheinigt. Bei Pharmaka mit nachgewiesenem Zusatznutzen verhandeln der GKV-Spitzenverband und der Arzneimittelhersteller innerhalb von sechs Monaten den GKV-Erstattungsbetrag als Preisra- batt auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens. Arzneimittel ohne Zusatznutzen werden einer Festbetragsgruppe zugeordnet. Wie die Nutzenbewertungen zustande kommen, wel- che zweckmäßige Vergleichstherapie ausgewählt wird und wie Zusatznutzen und Nebenwirkungen miteinander verrechnet werden, war in den ver- gangenen zwei Jahren immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Mit dem 2011 in Kraft getretenen Arzneimit- telmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) wurden grundlegend neue Rahmenbedingungen für die Preisbildung von innovativen pharmazeutischen Präparaten geschaffen. Seither müssen alle neu zugelassenen Arzneimittel einer frühen Nutzen- bewertung unterzogen werden. Die pharmazeu- tischen Unternehmen legen dafür ein umfang- reiches Dossier vor, das vom Gemeinsamen Bun- desausschuss (G-BA) und dem Institut für Quali- tät und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) begutachtet wird. Der Georg Thieme Ver- lag hat mit seiner Veranstaltungsreihe „Market Access & Health Economics“ ein Forum geschaf- fen, in dem das neue Gesetz diskutiert wird. Inzwischen haben G-BA und IQWiG 27 neue Arz- neimittel bewertet. Bei fünf Arzneimitteln wurde ein beträchtlicher Zusatznutzen festgestellt, bei Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA, bezeichnete das AMNOG als „im Großen und Ganzen gelungenes Gesetz“

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Das AMNOG – ein lernendes System?Das 3. Diskussionsforum „Market Access & Health Economics“ des Georg Thieme Verlags zu den Themen AMNOG, Preisverhandlungen und Mehrwert-verträge

neun ein geringer; bei einem Präparat konnte kein Zusatznutzen gefunden werden. Bei drei Arznei-mitteln war der Zusatznutzen nicht quantifizierbar, sieben Dossiers konnten wegen Unvollständigkeit nicht bewertet werden. Ein erheblicher Zusatz-nutzen wurde bisher noch keinem Arzneimittel bescheinigt. Bei Pharmaka mit nachgewiesenem Zusatznutzen verhandeln der GKV-Spitzenverband und der Arzneimittelhersteller innerhalb von sechs Monaten den GKV-Erstattungsbetrag als Preisra-batt auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens. Arzneimittel ohne Zusatznutzen werden einer Festbetragsgruppe zugeordnet. Wie die Nutzenbewertungen zustande kommen, wel-che zweckmäßige Vergleichstherapie ausgewählt wird und wie Zusatznutzen und Nebenwirkungen miteinander verrechnet werden, war in den ver-gangenen zwei Jahren immer wieder Gegenstand von Diskussionen.

Mit dem 2011 in Kraft getretenen Arzneimit-telmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) wurden grundlegend neue Rahmenbedingungen für die Preisbildung von innovativen pharmazeutischen Präparaten geschaffen. Seither müssen alle neu zugelassenen Arzneimittel einer frühen Nutzen-bewertung unterzogen werden. Die pharmazeu-tischen Unternehmen legen dafür ein umfang-reiches Dossier vor, das vom Gemeinsamen Bun-desausschuss (G-BA) und dem Institut für Quali-tät und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) begutachtet wird. Der Georg Thieme Ver-lag hat mit seiner Veranstaltungsreihe „Market Access & Health Economics“ ein Forum geschaf-fen, in dem das neue Gesetz diskutiert wird.

Inzwischen haben G-BA und IQWiG 27 neue Arz-neimittel bewertet. Bei fünf Arzneimitteln wurde ein beträchtlicher Zusatznutzen festgestellt, bei

Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA, bezeichnete das AMNOG als „im Großen und Ganzen gelungenes Gesetz“

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� Ein „Im Großen und Ganzen erfolg- reiches Gesetz“ mit Verbesserungs- bedarf

Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA, bezeichnete das AMNOG als „im Großen und Ganzen gelungenes Gesetz“, räumte aber ein, dass es durchaus an zwei oder drei Stellen Verbesse-rungsbedarf gebe. So soll künftig eine Beratung vor Beginn der Zulassungsstudien unter Beteiligung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin-produkte (BfArM) oder des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) stattfinden. Er appellierte an die pharma-zeutischen Unternehmen, von dieser Vorprüfung Gebrauch zu machen. Hecken versprach den Arz-neimittelherstellern Planungssicherheit und ver-bindliche Spielregeln. Er hofft, dass es gemeinsam gelingen werde, die Schwachstellen im „lernenden System“ des AMNOG zu beseitigen.

Prof. Dr. Jürgen Windeler, Leiter des IQWiG, zog ebenfalls eine positive Bilanz der letzten Monate. Den größten Teil der Bewertungen habe das IQWiG auf der Basis patientenrelevanter Endpunkte vor-nehmen können. Die Bewertung des Kölner Insti-tuts habe in den meisten Fällen mit denen des G-BA übereingestimmt, gelegentlich habe es jedoch Abweichungen gegeben. Vor allem unter dem Aspekt der Transparenz sieht Windeler das AMNOG als Erfolgsgeschichte, da alle Bewer-tungen publiziert würden und daher allen Beteili-gten zur Verfügung stünden.

� Georg Thieme Verlag bietet Diskus - sionsplattform über das AMNOG

Auch der Georg Thieme Verlag – ein Anbieter von Büchern, Zeitschriften, elektronischen Medien und Dienstleistungen rund um Medizin und Gesund-heitswesen – beschäftigt sich mit dem Thema AMNOG und Market Access. So werden zum Beispiel immer wieder verschiedene Aspekte des Gesetzes in den Fachzeitschriften des Verlags, wie etwa der Deutschen MeDiZinischen Wochenschrift oder gesunDheitsökonoMie & QualitätsManageMent, erörtert. 2010 hat Thieme erstmals zum Diskussi-onsforum „Market Access & Health Economics“ unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Reinhard Rychlik, Burscheid, eingeladen. In diesem Rahmen treffen sich seitdem jedes Jahr Befürworter und Kritiker des Gesetzes, um über Erwartungen und Erfah-rungen zu diskutieren. Ging es hier 2010 noch um Fragen zur Umsetzung des AMNOG und 2011 um einen ersten Erfahrungsaustausch, so konnte 2012 Bilanz gezogen werden. Vor 150 Teilnehmern aus Industrie, Agenturen und Krankenkassen diskutier-ten im Oktober 2012 in Berlin namhafte Experten über Arzneimittel zwischen Preisverhandlungen, Zusatznutzen und Erstattungsbetrag. Dabei zeigte sich erneut, dass die Meinungen über das AMNOG weit auseinandergehen: Während der Gesetzge-ber und die Vertreter des G-BA, IQWiG und GKV-Spitzenverbandes von einem erfolgreichen Gesetz sprechen, bescheinigt die pharmazeutische Indus-trie dem AMNOG erhebliche Mängel.

Beim Diskussionsforum „Market Access & Health Economics“ des Georg Thieme Verlags beteilig-ten sich auch viele der 150 Teilnehmer an der Debatte über das Für und Wider des AMNOG

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Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie. Das Ziel fairer Ergebnisse sei durch das AMNOG nicht erreicht worden, denn „faire Ergebnisse benö-tigen faire Verfahren“. Und diese seien im AMNOG nicht gegeben: Die Beratung durch den G-BA sei nicht dialogorientiert, Transparenz nicht vorhanden und die pharmazeutischen Unternehmen seien vom Beschlussverfahren ausgeschlossen. Er fordert eine nachvollziehbare und akzeptierte Methodik zur Bewertung des Zusatznutzens sowie weitere Verbesserungen des AMNOG. Sonst, so Fahren-kamp, müsse Deutschland Innovationen bald aus Polen oder Frankreich zukaufen.

Dr. Karl Broich, Vizepräsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), räumte ein, dass die Arzneimittelzulassung in Europa zwar harmonisiert sei, die Bewertung des Zusatznutzens jedoch überall anders gehandhabt werde, was für die pharmazeutische Industrie schwierig sei. Das BfArM habe eine umfangreiche Beratungsexpertise und biete sich als proaktiver Partner der Industrie an, auch beim AMNOG.

Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Ver-bandes forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa), sieht noch erhebliche „Webfehler“ im

Die „Preisfindung im GKV-Spitzenverband“ war das Vortragsthema von Dr. Antje Haas, Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel im GKV-Spitzen-verband. Sie wies darauf hin, dass völlig intranspa-rent sei, wie ein pharmazeutisches Unternehmen seinen Abgabepreis ermittelt. Daher könne auch der Erstattungspreis, der zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Arzneimittelhersteller ausgehandelt wird, nicht vom Abgabepreis abge-leitet werden. Die Auswahl der zweckmäßigen Vergleichstherapie habe keinen Einfluss auf den Erstattungspreis.

Dr. Christoph Straub, Vorsitzender des Vorstands der Barmer GEK, sprach das Thema Mehrwertver-träge und Versorgungsforschung an. Laut AMNOG kann der G-BA mit pharmazeutischen Unterneh-men Versorgungsstudien vereinbaren. Die Barmer GEK sei nach Abschluss der Preisverhandlungen auch offen für Mehrwertverträge über innovative Arzneimittel.

� Unfair und intransparent

„Was heißt hier fair? Zwei Jahre AMNOG aus Sicht der Industrie“, lautete der Titel des Referats von Henning Fahrenkamp, Hauptgeschäftsführer des

Angeregte Diskussion über das AMNOG unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Reinhard Rychlik (Institut für Empirische Gesundheitsökonomie): Dieter Paar (Sanofi-Aventis), Birgit Fischer (vfa), Henning Fahrenkamp (BPI), Dr. Karl Broich (BfArM) und Prof. Dr. Beate Kretschmer (Lilly) (von links)

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AMNOG. Kein Verfahren laufe von Anfang an rund, meinte sie, aber es sei wichtig, auf die Mängel zu achten und kritikbereit zu sein. Sie wünschte sich einen anderen Umgang der einzelnen Verhand-lungspartner miteinander, bei der Kooperation und Partnerschaft im Vordergrund stünden und ein fairer Interessenausgleich gesucht würde. Sie warnte auch vor einem „Kellertreppeneffekt“ des Arzneimittelpreises durch die internationale Preis-referenzierung. In den abschließenden Vorträgen erläuterten Die-ter Paar, Chief Medical Officer bei Sanofi-Aventis Deutschland, und Prof. Dr. Beate Kretschmer, Lei-terin Health Care Strategy, Lilly Deutschland GmbH, ihre Erfahrungen mit dem AMNOG am Beispiel der Bewertungen von Cabazitaxel und Linagliptin. Beide stellten die Wahl der zweckmäßigen Ver-gleichstherapie und die Quantifizierung des Zusatz-nutzens infrage und mahnten verlässliche Bewer-tungsparameter an. Das lernende System AMNOG hat ihrer Ansicht nach noch ein gewaltiges Lern-pensum vor sich.

� Auch 2013 wieder AMNOG-Update des Georg Thieme Verlags

Die Veranstaltung „Market Access & Health Eco-nomics“ zeigte, dass weiterhin Klärungs- und Handlungsbedarf besteht, denn viele Fragen rund um das AMNOG sind noch nicht beantwortet, und Änderungen im „lernenden Gesetz“ sind zu erwar-ten. Der Konflikt zwischen der politisch gewünsch-ten Senkung des Erstattungsbetrags und der Siche-rung der Zukunftsfähigkeit der innovativen Arz-neimittelforschung in Deutschland ist noch nicht gelöst. Die Diskussion wird weitergehen – auch beim nächsten Diskussionsforum „Market Access & Health Economics“ im Herbst 2013 in Berlin.

Dr. Wolfram Wiegers

ist Verlagsbereichsleiter bei KliniK und Praxis im Georg Thieme Verlag. Nach einem

naturwissenschaftlichen Studium und ersten Berufsjahren im Pharma-Marketing war er im wissenschaftlichen Verlagswesen und im Internet-Agenturgeschäft tätig. Seit 2003 verantwortet er bei Thieme ein aus Büchern, Zeitschriften, E-Medien und Kongressver-anstaltungen bestehendes Produktportfolio in der medizinischen Fachinformation. Zu diesem zählt unter anderem die deutsche medizinische Wochenschrift, eine der bekann-testen medizinischen Fachzeitschriften im deutschen Sprachraum. Als Dozent für das Gebiet „Verlagswesen und digitale Medien“ war er unter anderem an der Berufsakade-mie Mannheim tätig.

* [email protected]

Dr. Stefanie Conrads

ist Projektplanerin bei KliniK und Praxis im Georg Thieme Verlag. Sie studierte Medizin und arbei-

tete als Ärztin am Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München. Seit 1995 ist sie bei Thieme tätig, wo sie zunächst Chefredakteurin der Studentenzeitschrift Via medici war und derzeit für verschiedene medizinische Fachzeitschriften verantwort-lich ist.

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