Das BKA in der Hand von Alt-Nazis

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BKA in der Hand von Alt-Nazis? Die braunen Wurzeln des BKA Spät, aber wahr: Das Bundeskriminalamt entdeckt in diesen Tagen seine NS- Vergangenheit. Offenbar waren noch Ende der 50er Jahre die meisten Beamten ehemaliges Führungspersonal der SS. Warum beginnen die Ermittlungen erst jetzt? Von Hans Leyendecker Als nach dem Krieg die Kommandohöhen der deutschen Polizei neu besetzt wurden, waren die alten Kameraden sofort wieder zur Stelle: Der Chef-Fahnder des Berliner Reichskriminalpolizeiamts (RKPA) Kurt Amend, Ex-Mitglied im Sicherheitsdienst der SS, der im Großdeutschen Reich nach "Elementen" hatte jagen lassen, wurde Chef-Fahnder des Wiesbadener Bundeskriminalamts (BKA). Sein Kollege, der Chef-Biologe Otto Martin, der sich unter anderem in der SS- Forschungsgemeinschaft "Das Ahnenerbe e.V." bewährt hatte, wurde wieder Chef bei den Biologen. Und der Chef der Personenfeststellungszentrale und der Fingerabdrucksammlung im RKPA Heinz Drescher wurde Chef des Erkennungsdienstes des BKA . Ihre Lebensläufe weisen Unterschiede auf, aber jede Kritik, die sich ans scheinbar Individuelle heftet, würde in die Irre führen: Die moralische Schieflage war beim Aufbau des BKA die Norm. Noch Ende der fünfziger Jahre waren fast alle leitenden Positionen der im März 1951 gegründeten Behörde mit ehemaligen Nazis besetzt: Von den 47 Beamten auf der Führungsetage hatten nur zwei eine weiße Weste. Die anderen waren bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gewesen, bei marodierenden Einsatzgruppen oder bei der Geheimen Feldpolizei. Allein 33 der Führungsbeamten hatten zum Führungspersonal der SS gehört. Ungebrochene Überzeugungen Der Neuaufbau war also ein Wiederaufbau. Organisator der Seilschaften war der frühere SS-Mann Paul Dickopf gewesen, der sich erst eine Widerstands-Legende zugelegt hatte, dann als graue Eminenz im Bundesministerium des Innern wirkte und 1965 vierter BKA-Präsident wurde. Hochgeehrt ging er in Pension: Der Strippenzieher der Polizei-Kameradschaft wurde von Politikern als "Vorbild für die gesamte deutsche Polizei" gewürdigt. Mit Hilfe von drei öffentlichen Fachtagungen versucht in diesen Tagen die Hausspitze des BKA die dunkle Gründungsgeschichte der Behörde aufzuhellen. Die Polizei sei, so hatte es BKA-Präsident Jörg Ziercke bei seinem Einführungsvortrag am 8. August gesagt, "Stütze" des menschenverachtenden Systems der Gewaltherrschaft gewesen. Polizeiverbände seien "in den

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"Das BKA ist von ehemaligen Nazi-Tätern aufgebaut worden." Dieter Schenk Buch kaufen: http://www.amazon.de/Die-braunen-Wurzeln-BKA-Dokumentationen/dp/359615782X Interview mit Dieter Schenk lesen: http://www.linksnet.de/de/artikel/24718

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BKA in der Hand von Alt-Nazis?

Die braunen Wurzeln des BKASpät, aber wahr: Das Bundeskriminalamt entdeckt in diesen Tagen seine NS-Vergangenheit. Offenbar waren noch Ende der 50er Jahre die meisten Beamtenehemaliges Führungspersonal der SS. Warum beginnen die Ermittlungen erstjetzt?Von Hans Leyendecker

Als nach dem Krieg die Kommandohöhen der deutschen Polizei neu besetztwurden, waren die alten Kameraden sofort wieder zur Stelle: Der Chef-Fahnderdes Berliner Reichskriminalpolizeiamts (RKPA) Kurt Amend, Ex-Mitglied imSicherheitsdienst der SS, der im Großdeutschen Reich nach "Elementen" hattejagen lassen, wurde Chef-Fahnder des Wiesbadener Bundeskriminalamts (BKA).

Sein Kollege, der Chef-Biologe Otto Martin, der sich unter anderem in der SS-Forschungsgemeinschaft "Das Ahnenerbe e.V." bewährt hatte, wurde wieder Chefbei den Biologen. Und der Chef der Personenfeststellungszentrale und derFingerabdrucksammlung im RKPA Heinz Drescher wurde Chef desErkennungsdienstes des BKA. Ihre Lebensläufe weisen Unterschiede auf, aberjede Kritik, die sich ans scheinbar Individuelle heftet, würde in die Irre führen: Diemoralische Schieflage war beim Aufbau des BKA die Norm.

Noch Ende der fünfziger Jahre waren fast alle leitenden Positionen der im März1951 gegründeten Behörde mit ehemaligen Nazis besetzt: Von den 47 Beamtenauf der Führungsetage hatten nur zwei eine weiße Weste. Die anderen waren beider Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gewesen, bei marodierendenEinsatzgruppen oder bei der Geheimen Feldpolizei. Allein 33 derFührungsbeamten hatten zum Führungspersonal der SS gehört.

Ungebrochene Überzeugungen

Der Neuaufbau war also ein Wiederaufbau. Organisator der Seilschaften war derfrühere SS-Mann Paul Dickopf gewesen, der sich erst eine Widerstands-Legendezugelegt hatte, dann als graue Eminenz im Bundesministerium des Innern wirkteund 1965 vierter BKA-Präsident wurde. Hochgeehrt ging er in Pension: DerStrippenzieher der Polizei-Kameradschaft wurde von Politikern als "Vorbild für diegesamte deutsche Polizei" gewürdigt.

Mit Hilfe von drei öffentlichen Fachtagungen versucht in diesen Tagen dieHausspitze des BKA die dunkle Gründungsgeschichte der Behörde aufzuhellen.Die Polizei sei, so hatte es BKA-Präsident Jörg Ziercke bei seinemEinführungsvortrag am 8. August gesagt, "Stütze" des menschenverachtendenSystems der Gewaltherrschaft gewesen. Polizeiverbände seien "in den

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Systems der Gewaltherrschaft gewesen. Polizeiverbände seien "in denVernichtungskrieg und Völkermord systematisch einbezogen" worden: Juden,Sinti und Roma, Homosexuelle, politisch Andersdenkende wurden von der Polizeiverfolgt, ermordet.

Die Täter kamen zumeist ungestraft davon. Nach dem Krieg hätten sich "Cliquenund Seilschaften" von SS- und Gestapo-Leuten "gegenseitig bei derWiedereinstellung in die Polizei geholfen". Es waren Spezialisten, die zum Teilihren Kommissarlehrgang an der "SS-Führungsschule - Schule derSicherheitspolizei" in Berlin Charlottenburg gemacht hatten und im BKA meist "dieCharlottenburger" genannt wurden. Ein verschworener Haufen von Leuten, diePflicht und Gehorsam auch dem Bösen gegenüber praktiziert hatten."Altkriminalisten" wurden sie auch genannt: Staatsdiener ohne Staatsgefühl.

Das letzte Kolloquium, auf dem BKA-Mitarbeiter auch über Führungsgrundsätzeund Ausbildungsinhalte in den fünfziger und sechziger Jahren sprechen werden,findet am heutigen Mittwoch in Wiesbaden statt. Konsequenz aller Befragungenwird vermutlich die Einsetzung einer unabhängigen Kommission ausWissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen sein, die die Verflechtungenfrüherer Spitzenbeamter mit dem Naziregime untersuchen soll.

Nun hat sich die junge westdeutsche Republik nach 1949 in fast allen Sparten aufTäter, Mittäter und rasende Mitläufer gestützt. Die Funktionsträger des altenRegimes saßen in der Politik, in den Chefetagen der Wirtschaft, in Medien, inBehörden, Kirchen und Verbänden - und in der Polizei. Aus Judenverfolgernwurden praktischerweise Kommunistenjäger; wer beispielsweise Sinti und Romaverfolgt hatte, konnte munter weiter verfolgen.

Der Hauptorganisator der "Zigeuner-Transporte" im Dritten Reich beispielsweise übernahm nach dem Krieg das "Zigeuner-Referat" beim bayerischenLandeskriminalamt. Einer seiner Kollegen stellte als Referent im BKA fest: "AlleMaßnahmen und Verfolgungen haben den Lebenswillen der Zigeuner nicht zubrechen vermocht". Der Nazi-Jargon, die alten Feindbilder blieben bis in diesiebziger Jahre. Verheerender noch als die ungebrochenen Karrieren waren dieMentalitäten und Überzeugungen, die der Verbrechensbekämpfung auch nachdem Krieg zugrunde lagen.

Ein strenger deutscher Beigeschmack haftet dieser Geschichtsaffäre an. Sosuchte Hans Globke, der Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, dasSpitzenpersonal der Polizei mit aus. "Wir sollten jetzt mit der Nazi-RiechereiSchluss machen", hatte 1951 sein Chef Konrad Adenauer, der erste Kanzler derRepublik, erklärt. Im Gründungsjahr des BKA wurde der Artikel 131 desGrundgesetzes verabschiedet, der die Wiedereinstellung von Beamten regelte,die wegen ihrer NS-Vergangenheit entlassen worden waren. Der Ost-West-Konflikt eskalierte, kalte Krieger waren gefragt.

Ignoranz und Besserwisserei

Diese Welle der heimlichen Amnestie erfasste auch den jungen Rudolf Augstein,der eine Weile SS-Leute und NS-Propagandisten beschäftigte. In der längstenSerie, die jemals im Spiegel erschien, "Das Spiel ist aus - Arthur Nebe" (30Folgen), hatte sich das Blatt ab 1949 mit den Kriminalgeschichten des SS-Gruppenführers und ehemaligen Chefs des Reichskriminalpolizeiamtes Nebebeschäftigt.

Der Autor der Serie, die anonym erschien, war ein Ex-Hauptsturmführer der SSBernhard Wehner, der Nebe einen "anständigen, ehrlichen Ausrottungshäuptling"

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Bernhard Wehner, der Nebe einen "anständigen, ehrlichen Ausrottungshäuptling"nannte und sich für die Wiedereinstellung der "alten Sherlock Holmes" einsetzte.Augstein kommentierte 1950 die Serie: Den "heutigen Polizei-Verantwortlichen"sei "vor Augen geführt worden", dass die Kriminalpolizei "auf ihre alten Fachleutezurückgreifen muss, auch wenn diese mit einem SS-Dienstrang angeglichenworden waren".

Warum hat es so lange gedauert, bis das BKA mit den Ermittlungen in eigenerSache beginnt? Ein paar Versuche hatte es schon vor Ziercke gegeben. Dersechste BKA-Präsident, Heinrich Boge, bat 1984 einen Mitarbeiter der Behörde,die "belastende und stürmische Entwicklung des Amtes" aufzuarbeiten. GroßeVerdienste um Aufklärung hat sich der frühere Kriminaldirektor des BKA, DieterSchenk, erworben, der in einer Monographie 2001 "die braunen Wurzeln desBKA" beschrieb.

Prompt warfen ihm Kritiker eine "Überdosis Moralin" oder "die Anmaßung einesnormativen Absolutheitsanspruches" vor. Eher auf Ignoranz und Besserwissereideutete eine Antwort, die 2001 das damals SPD-regierte Bundesinnenministeriumauf eine einschlägige Anfrage im Bundestag gab. O-Ton: Das BKA hat "keinenationalsozialistische Vergangenheit. Es ist im Jahre 1951 gegründet worden".

Die neuen Ermittlungen des BKA in eigener Sache sind aus vielerlei Gründenverdienstvoll. Hausinterne Untersuchungen, Forschungsprojekte und öffentlicheErörterungen müssten jetzt auch bei anderen Sicherheitsbehörden wie demBundesnachrichtendienst (BND) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz(BfV) folgen, aber das kann dauern.

Der Auslandsnachrichtendienst plant schon seit etwa einem Jahrzehnt angeblichdie Aufarbeitung seiner Geschichte, und beim 1950 gegründetenInlandnachrichtendienst fehlt es angeblich an Akten. Ob die branchenüblicheMimikry durchzuhalten sein wird, ist ungewiss.

(SZ vom 31.10.2007)

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Eichmann bei der

Verkündung seines Urteils

in Israel.

Foto: AP

Hans Globke, enger

Berater Adenauers und

CIA-Dokumente

Deutscher Geheimdienst schützte EichmannBereits 1958, zwei Jahre bevor israelische Nazi-Jäger den Leiter des "Judenreferats"aufspürten, wussten Deutsche und Amerikaner, dass Adolf Eichmann in Argentinienlebte. Doch sie blieben stumm - aus Sorge um den Ruf eines deutschenSpitzenpolitikers.

Deutsche Geheimdienstmitarbeiter wussten bereits 1958,dass der Kriegsverbrecher Adolf Eichmann unter demNamen Clemens in Argentinien lebte, und sie informiertendarüber den US-Geheimdienst CIA.

Allerdings bemühten sich weder die Deutschen noch dieAmerikaner darum, einen der wichtigsten Organisatorendes Holocaust festzunehmen, noch gaben sie ihr Wissenan die Israelis weiter, obwohl die seit Jahren nach demNazi-Verbrecher suchten.

Das geht aus Dokumenten der CIA hervor, wie derHistoriker Timothy Naftali von der University of Virginiaberichtet.

Sorgen um Globke

Die westdeutsche Regierung war Ende der 50er Jahre offenbar besorgt darüber,dass Eichmann nach einer Festnahme wichtige Regierungsmitarbeiter wie HansGlobke belasten könnte, sagte Naftali der New York Times.

Globke war nach dem Krieg Staatssekretär unter Bundeskanzler Konrad Adenauer(CDU) geworden und Ende der 50er Jahre einer der wichtigsten Berater desBundeskanzlers. Unter Hitler war der Jurist ein wichtiger Beamter imReichsinnenministerium gewesen und hatte zum Beispiel die NürnbergerRassengesetze kommentiert.

Als das Magazin Life 1960 die Memoiren Eichmannsveröffentlichen wollte, wurde die Bonner Regierungoffenbar erneut bei der CIA vorstellig.

Auf Bitten der Deutschen hin brachte die CIA die Zeitschriftdazu, einen Hinweis auf Globke in den Eichmann-Unterlagen nicht zu veröffentlichen.

Wie das ehemalige Kongressmitglied Elizabeth Holtzmander New York Times sagte, zeigen die Papiere, dass dieCIA „keinen Finger gerührt hat“, um Eichmann zu jagen.

Israelische Nazi-Jäger spürten Eichmann - zur

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Berater Adenauers und

einer der umstrittensten

Politiker der

Nachkriegszeit

Foto: AP

SS-Obersturm-

bannführer Adolf

Eichmann

Foto: AP

Setzte für seinen

Geheimdienst auch auf

alte Nazi-Kameraden:

Reinhard Gehlen.

Foto: AP

Israelische Nazi-Jäger spürten Eichmann - zur Überraschung der CIA - trotzdem auf, allerdings erst zweiJahre später. Sie entführten den ehemaligen Leiter des fürdie Deportation der Juden zuständigen Referats desReichssicherheitshauptamtes nach Israel, wo Eichmann derProzess gemacht wurde.

1962 wurde der ehemalige SS-Obersturmbannführer, der für die Ermordung vonetwa sechs Millionen Juden mitverantwortlich war, im Gefängnis von Ramleh bei TelAviv hingerichtet.

Die von Naftali untersuchten Papiere gehören zu 27.000Geheimdokumenten des Geheimdienstes, die kürzlichdem US-Nationalarchiv übergeben wurden.

Die Freigabe war erfolgt, nachdem der Kongress daraufbestanden hatte, Akten über Beamte des Nazi-Regimeszu veröffentlichen, die von den USA als Agenteneingesetzt wurden, berichtet die New York Times.

Seit 1998 untersucht die so genannte Nazi War Crimesand Japanese Imperial Government Records InteragencyWorking Group (IGW) insgesamt acht Millionen zuvorgeheime Dokumente und bereitet sie zur Veröffentlichungvor.

Seit mehreren Jahren weiß man aufgrund dieserDokumente, dass sowohl das FBI als auch US-

Geheimdienste eng mit Ex-Nazis zusammengearbeitet hatten.

Die US-Regierung hatte während des Kalten Krieges offenbar kein Interesse daran,ehemalige Nazis zu jagen, die sich beim Kampf gegen die Bedrohung aus demOsten als wertvoll hätten erweisen können.

Etliche KGB-Nazi-Agenten in der Organisation Gehlen

Aus den Dokumenten geht allerdings auch hervor, dass die früheren Nazis für dieUSA selten von Nutzen waren – einige arbeiteten sogar als Doppelagenten für densowjetischen KGB.

Die Informationen „zwingen uns, uns nicht nur mit demmoralischen Schaden auseinanderzusetzen, sondern auchmit dem praktischen Schaden“, der dadurch entstanden sei,dass die USA sich auf Geheiminformationen von Ex-Nazisverlassen hätten, erklärte Holtzman, die auch dem IGWangehört, der New York Times.

Wie Norman Goda von der Ohio University in der US-Zeitung berichtet, zeigen die Dokumente, wie sehr dieOrganisation Gehlen, der von der US-Armee und der CIAunterstützte erste Geheimdienst der jungenBundesrepublik, und der daraus entstandeneBundesnachrichtendienst BND vom KGB unterwandertwaren.

Offenbar hatten die Russen gleich eine ganze Reihe vonEx-Nazis, die mit dem Segen der Amerikaner in Gehlens

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Foto: AP

Ex-Nazis, die mit dem Segen der Amerikaner in GehlensGeheimdienst arbeiteten, umgedreht. Bekannt ist etwa derFall des ehemaligen SS-Offiziers Heinz Felfe, der als Fachmann für sowjetischeGegenspionage arbeitete. Aus Zorn über die Bombardierung seiner HeimatstadtDresden, so Goda, spionierte Felfe zugleich für den KGB.

(sueddeutsche.de)

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Zuerst Nazi, dann BKA-Referatsleiter: Theo Saevecke inUniform eines SS-HauptsturmführersFoto: ddp

Dunkle Gründerjahre des BKA

Braune WurzelnZuerst Gestapo, dann Bundeskriminalamt: Viele hohe Beamte der frühen BKA-Jahre hatten NS-Vergangenheit.Nun arbeitet die Behörde die Zeit auf.Von Hans Leyendecker

Ende der fünfziger Jahre bestand die Führungsetage des Bundeskriminalamtes (BKA)aus 47 Beamten. Nur zwei von ihnen hatten keine braune Weste. Viele waren bei derGeheimen Staatspolizei (Gestapo) gewesen, bei Einsatzgruppen oder der GeheimenFeldpolizei, die vor allem in Weißrussland schwere Verbrechen an der jüdischenBevölkerung begangen hatte. 33 der Beamten hatten als ehemalige SS-Führergedient.

Auch einige der Gründer des BKA waren dem Terrorregime der Nazis willfähriggewiesen, bei etlichen ihrer engsten Mitarbeiter handelte es sich entweder um Täteroder zumindest um frühere Mitläufer. Sie fanden damals leicht Zuflucht im neuenPolizei- und Sicherheitsapparat und auch im Bundesinnenministerium. Für einFortkommen in der von alten Kameraden durchsetzten Behörde war die frühereTeilnahme an Lehrgängen der "Führerschule" hilfreich und nicht etwa ein Hindernis.

Erstmals wird nun das BKA über diese dunkle Gründerzeit diskutieren. In dreiKolloquien soll die Geschichte der Behörde aufgearbeitet werden. Auf derEröffnungsveranstaltung an diesem Mittwoch in Wiesbaden sprechen BKA-Präsident

Jörg Ziercke, der Schriftsteller Ralph Giordano und der Historiker Hans-Gerd Jaschke.

In den BKA-Kolloquien soll auch darüber diskutiert werden, "ob und mit welchem Inhalt Kriminalbekämpfungsansätzeund Konzepte bruchlos fortgeschrieben" wurden und ob sich, wie manche Kritiker meinen, noch "Verbindungslinien zurheutigen Aufgabenwahrnehmung zeigen".

Erst nach der für Oktober geplanten Abschlussveranstaltung soll entschieden werden, ob bei Historikern eine gründlicheStudie über die NS-Vergangenheit der Behörde in Auftrag gegeben wird. Andere Ministerien, wie beispielsweise dasAuswärtige Amt, haben schon vor Jahren Historiker mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte beauftragt.

Noch vor zwei Jahren hatte der damalige Dienstherr der Sicherheitsbehörden, Bundesinnenminister Otto Schily (SPD),erklären lassen, es bedürfe keiner solchen Studie. Zu dem Thema gebe es bereits "umfassende historischeUntersuchungen", einschließlich "der Rolle und der Tätigkeit der ehemaligen Reichsregierung".

Zum Thema BKA und NS-Zeit liegt aber - neben ein paar kleineren Studien - lediglich eine größere Arbeit des früherenBKA-Direktors Dieter Schenk vor. In seinem vor sechs Jahren erschienenen Buch "Auf dem rechten Auge blind - Diebraunen Wurzeln des BKA" hatte er die Übernahme belasteter Funktions- und Elitenträger des Dritten Reiches in denBereich der Polizei geschildert.

Mit großer Mehrheit war 1951 vom Bundestag der Artikel 131 des Grundgesetzes verabschiedet worden. Darin wurdedie Wiedereinstellung von Beamten geregelt, die "aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen" entlassenworden waren - wegen ihrer NS-Vergangenheit. "Wir sollten jetzt mit der Nazi-Riecherei Schluss machen" erklärte einJahr später der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer. Das war der Startschuss zu einer Art Resozialisierung derNS-Kriminalbeamten.

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Einer von ihnen war der Alt-Nazi Theo Saevecke, der im BKA Referatsleiter für Hoch- und Landesverrat wurde. AlsPolizeichef von Mailand hatte er die Erschießung von Widerstandskämpfern geleitet. Er überstand im Amt alleDisziplinarverfahren. Erst 1999 wurde er in Italien wegen seiner Verbrechen in Abwesenheit zu lebenslanger Haftverurteilt. Ein Jahr später starb er.

Das Leitungspersonal des BKA der fünfziger und sechziger Jahre, so Schenk, sei "auf schlimmste Weise unmittelbar indie Verbrechen der Nationalsozialisten verstrickt" gewesen. Dementsprechend hätten "Duckmäusertum,Wagenburgverhalten und autoritärer Führungsstil" geherrscht. Spätestens 1943, SS-Chef Heinrich Himmler war vonHitler zum Innenminister berufen worden, war die Einheit von Schutzpolizei, SS und Gestapo fast erreicht.

Die Sicherheitsbehörden agierten als Vollstrecker und organisierten den Staatsterror der Nazis. Beispielsweise wurdensogenannte Asoziale von der Kripo in Konzentrationslager verschleppt. Dazu schreibt Schenk: "Es war nicht dieAufgabe der Gestapo, sondern der Kriminalpolizei, Menschen durch einen Vorbeugehaftbefehl in den oft sicheren Todzu schicken."

(SZ vom 8.8.2007)

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Hans Globke (r.) war enger

Mitarbeiter des ersten deutschen

Bundeskanzlers Konrad Adenauer

Foto: AP

Filbinger-Debatte

Lückenhafte EntnazifizierungNach dem Krieg machten viele überzeugte Nationalsozialisten in Politik und Gesellschaft Karriere. Einige wurdenerst spät entlarvt. Bekanntes Beispiel ist der CDU-Mann Hans Globke - Staatssekretär unter Adenauer.Von Joachim Käppner

Oettingers den Fakten hohnsprechende Beweihräucherung des NS-Marinerichters Filbinger erinnert an jene Skandale,welche die alte Bundesrepublik immer wieder erschüttert haben. Der erste, ganz große Skandal drehte sich ab 1960 umden CDU-Staatssekretär Hans Globke, über den Kanzler Konrad Adenauer seine schützende Hand hielt. Globke hatteals Jurist einen wohlwollenden Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 verfasst, mit denen dieEntrechtung der Juden in ein neues Stadium eingetreten war.

Globkes bester Schutz war der Kalte Krieg. Zahlreiche Enthüllungen gingen auf Stasi-Material aus NS-Archiven inOstdeutschland zurück; das MfS streute die Akten gezielt gegen den „Bonner Staat der Kriegsverbrecher“. Das machtees den Angegriffenen leicht, sich als Opfer kommunistischer Hetzkampagnen aufzuspielen und der Frage nach dereigenen Verantwortung auszuweichen.

Akten aus der DDR

Die Ost-Berliner Akten stürzten 1960 den Bonner Vertriebenenminister Theodor Oberländer, der wegen seinerangeblichen Beteiligung an der Ermordung jüdischer Professoren in Lemberg in der DDR sogar in Abwesenheit zulebenslanger Haft verurteilt wurde. Diese Tat konnte dem ehedem überzeugten Nazi und Antisemiten aber nienachgewiesen werden.

Ein weniger bekannter Fall war ausgerechnet Oberstaatsanwalt Erwin Schüle, der erste Leiter der Zentralstelle für dieVerfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg; er hatte wohlweislich seine Mitgliedschaft in NSDAP und SAverschwiegen. Dass er 1965 gehen musste, lag allein daran, dass ein Mann mit dieser Vorgeschichte in der Positionnicht haltbar war; die Mitgliedschaften allein galten noch keineswegs als ehrenrührig.

Hans Filbinger, und darin liegt die Bedeutung seines Falls, steht für einen derWendepunkte im Umgang mit der NS-Vergangenheit von Vertretern aus Politik undGesellschaft. Sein demonstrativer Opfergestus entsprach völlig der Haltung, die vielefrühere Parteigänger des NS-Regimes verkörperten. 1978 genügte diese Art derSelbstrechtfertigung nicht mehr. Filbinger trat ab - aber wie einst auch Oberländerohne jede Einsicht.

Doch die Zeit hatte sich gewandelt. In den fünfziger und sechziger Jahren hätte diebeiläufige Selbstenthüllung des Schriftstellers Günter Grass, als Halbwüchsiger kurzMitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, wohl kaum jemanden aufgeregt.Wahrscheinlich wäre es ihm damals sogar als Bekenntnismut ausgelegt worden.

Heute fragen jüngere Generationen nach der persönlichen Verantwortung. Spektakulärwar noch in den neunziger Jahren die Enthüllung, dass es sich bei dem AachenerHochschulrektor Hans Schwerte in Wahrheit um den früheren SS-HauptsturmführerHans Ernst Schneider handelte, der sich mit dem symbolträchtigen Satz rechtfertigte:

„Ich habe mich doch selbst entnazifiziert!“

(SZ vom 17.04.2007)

(SZ vom 17.04.2007)