Das chronische Beingeschwür beim fortgeschrittenen ... · pra- oder epifaszialen...

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12 - WITTEN transparent Mai 2012 Wunden Bis zu 80 % aller Un- terschenkelgeschwüre werden durch Erkran- kungen des Venenap- parates hervorgerufen. Patienten, die in die Klinik kommen, haben nicht selten bereits ei- nen längeren Leidens- weg hinter sich. Ihre Wunden sind häufig mit Keimen infiziert und verursachen star- ke Schmerzen. Hinzu kommt, dass die Be- troffenen aufgrund der Wundabsonderungen mit den unangenehmen Begleitgerüchen oft sozial isoliert sind. Das fortgeschrittene Venenleiden Bei dem chronischen Unter- schenkelgeschwür (Ulcus cruris venosum) handelt es sich um krankhaft verändertes Gewebe des Unterschenkels. Dieses ent- steht, wenn das Blut in den Ve- nen des Beines nicht vollstän- dig abfließen kann, z.B. nach einer Thrombose. Es bildet sich ein Blutstau im Bein, wodurch in den Venen ein starker Druck entsteht. Ärzte sprechen dann von einer „chronisch venösen Insuffizi- enz“, deren schwerste Ausprä- gung das „offene Bein“ dar- stellt. Ursachen Postthrombotisches Syndrom Die häufigste Ursache für ein fortgeschrittenes Venenleiden ist das postthrombotische Syn- drom. Dies ist eine Folgeerkran- kung nach einer ausgeprägten Beinvenenthrombose, d.h. ei- nem großen Blutgerinnsel, das durch Blutstauungen in den Ve- nen entstanden ist. Da sich die Schäden unter einer Hülle aus Bindegewebe, die die Muskeln umschließt (Faszie), bilden, sprechen Ärzte auch von einer „subfaszialen Veneninsuffizi- enz“. Oberflächliche Krampfadererkrankung Eine weitere Ursache ist die oberflächliche Krampfaderer- krankung (Varikosis). Meistens sind dabei die kleine (Vena saphena parva) oder die große Rosenkranzvene (Vena saphena magna) betroffen. Die erkrank- ten Venen befinden sich in die- sem Fall direkt unter der Haut. Ärzte sprechen von einer „su- pra- oder epifaszialen Venenin- suffizienz“. Transfasziale Veneninsuffizienz Daneben gibt es noch eine „transfasziale Veneninsuffizi- enz“. Hierbei liegt eine Funk- tionsuntüchtigkeit jener Venen vor, die das oberflächliche und das tiefe Venensystem verbin- den. Wenn aufgrund einer der ge- nannten Ursachen der Blutab- fluss in den Venen versagt, staut sich das Blut im betrof- fenen Bein. Die Wadenmuskel- pumpe kann die Blutmenge nicht mehr abfördern. Dadurch steigt der Druck in der Vene immer weiter an und die Er- nährung der Zellen wird ein- geschränkt. Eine Kaskade von krankhaften Veränderungen setzt sich in Gang. Die Folge: Die Bindegewebshülle, die die Muskeln umschließt, verändert sich und die Haut reißt – gera- Das chronische Beingeschwür beim fortgeschrittenen Venenleiden (Ulcus cruris venosum) Abb.1: Seit Monaten bestehendes stark schmerzhaftes chronisches Unterschenkelgeschwür bei chro- nisch venöser Insuffizienz. Abb.2: Apparative Diagnostik: rechts Digitale Photophlethysmographie der Beinvenen, links Ultraschall-Untersuchung der Beinvenen.

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12 - WITTEN transparent

Mai 2012

Wunden

Bis zu 80 % aller Un-terschenkelgeschwüre werden durch Erkran-kungen des Venenap-parates hervorgerufen. Patienten, die in die Klinik kommen, haben nicht selten bereits ei-nen längeren Leidens-weg hinter sich. Ihre Wunden sind häufig mit Keimen infiziert und verursachen star-ke Schmerzen. Hinzu kommt, dass die Be-troffenen aufgrund der Wundabsonderungen mit den unangenehmen Begleitgerüchen oft sozial isoliert sind.

Das fortgeschrittene VenenleidenBei dem chronischen Unter-schenkelgeschwür (Ulcus cruris venosum) handelt es sich um krankhaft verändertes Gewebe des Unterschenkels. Dieses ent-steht, wenn das Blut in den Ve-nen des Beines nicht vollstän-dig abfließen kann, z.B. nach einer Thrombose. Es bildet sich

ein Blutstau im Bein, wodurch in den Venen ein starker Druck entsteht.Ärzte sprechen dann von einer „chronisch venösen Insuffizi-enz“, deren schwerste Ausprä-gung das „offene Bein“ dar-stellt.

UrsachenPostthrombotisches SyndromDie häufigste Ursache für ein fortgeschrittenes Venenleiden ist das postthrombotische Syn-drom. Dies ist eine Folgeerkran-kung nach einer ausgeprägten Beinvenenthrombose, d.h. ei-nem großen Blutgerinnsel, das durch Blutstauungen in den Ve-nen entstanden ist. Da sich die Schäden unter einer Hülle aus Bindegewebe, die die Muskeln

umschließt (Faszie), bilden, sprechen Ärzte auch von einer „subfaszialen Veneninsuffizi-enz“.

OberflächlicheKrampfadererkrankungEine weitere Ursache ist die oberflächliche Krampfaderer-krankung (Varikosis). Meistens sind dabei die kleine (Vena saphena parva) oder die große Rosenkranzvene (Vena saphena magna) betroffen. Die erkrank-ten Venen befinden sich in die-sem Fall direkt unter der Haut. Ärzte sprechen von einer „su-pra- oder epifaszialen Venenin-suffizienz“.

Transfasziale VeneninsuffizienzDaneben gibt es noch eine

„transfasziale Veneninsuffizi-enz“. Hierbei liegt eine Funk-tionsuntüchtigkeit jener Venen vor, die das oberflächliche und das tiefe Venensystem verbin-den.Wenn aufgrund einer der ge-nannten Ursachen der Blutab-fluss in den Venen versagt, staut sich das Blut im betrof-fenen Bein. Die Wadenmuskel-pumpe kann die Blutmenge nicht mehr abfördern. Dadurch steigt der Druck in der Vene immer weiter an und die Er-nährung der Zellen wird ein-geschränkt. Eine Kaskade von krankhaften Veränderungen setzt sich in Gang. Die Folge: Die Bindegewebshülle, die die Muskeln umschließt, verändert sich und die Haut reißt – gera-

Das chronische Beingeschwür beim fortgeschrittenenVenenleiden (Ulcus cruris venosum)

Abb.1: Seit Monaten bestehendes stark schmerzhaftes chronisches Unterschenkelgeschwür bei chro-nisch venöser Insuffizienz.

Abb.2: Apparative Diagnostik: rechts Digitale Photophlethysmographie der Beinvenen, links Ultraschall-Untersuchung der Beinvenen.

de in Höhe der Sprunggelenke – auf. So entsteht ein Gewebe-defekt (Abbildung 1).

DiagnostikDie Grundlage der Diagnose bildet – wie bei jedem Patien-tenkontakt – die Anamnese, d.h. das Gespräch mit dem Pa-tienten in dem die Krankheits-geschichte (abgelaufene Throm-bosen, Venenoperationen etc.) erfasst wird.Nach einer eingehenden kör-perlichen Untersuchung schlie-ßen sich apparative Methoden an. Dabei wird die Größe des Geschwürs dokumentiert und es erfolgt ein Wundabstrich. Um auszuschließen, dass die Arterien (Schlagadern, die vom Herzen wegführen) erkrankt sind, wird eine sogenannte Verschlussdopplerdruckmes-sung durchgeführt. Mit einer Ultraschalluntersuchung (Ab-bildung 2) beurteilt der Arzt dann die oberflächlichen und tiefen Venen. Die Untersuchung der Venen mit Kontrastmittel (Phlebographie) ist nur noch Sonderfällen vorbehalten. Wei-tere Messmethoden zur Erfas-sung der Venenfunktion sind

die Venen-Verschluss-Plethys-mographie (VVP) und die Licht-reflex-Rheographie (LRR, DPPG) (Abbildung 2).

TherapieKompressionstherapieIm ersten Schritt wird die Krankheit mit einer Kompres-sionstherapie behandelt. Dabei kommen medizinische Binden oder medizinische Kompres-sionstrümpfe in Kombination mit Bewegung zum Einsatz. Durch die Binden bzw. Kom-pressionsstrümpfe werden die Venen zusammengedrückt und so deren Durchmesser reduziert Dies verringert die Blutmenge in dem gestauten Bereich. Der Stau löst sich und damit verrin-gert sich der Hochdruck in den Beinvenen.

OperationDarüber hinaus stehen ver-schiedene Operationsmethoden zur Auswahl.Bei der primären Varikosis – ei-ner sackartig, erweiterten und geschlängelten oberflächlichen Vene – werden bei einer Ope-ration die erkrankten ober-flächlichen und transfaszialen Venen ausgeschaltet. Dabei

handelt es sich einerseits um Venen, die ober-halb des muske-lumschließenden Gewebes liegen und andererseits um jene, die diese oberfläch-lichen Venen mit den tiefen Ve-nen verbinden. Bei dem Ein-griff werden die Stammvenen mit der sogenann-ten „Stripping“-Methode durch kleine Schnitte in der Leiste oder Kniekehle an den Ein-mündungen in die tiefen Venen durchtrennt. Wenn dies medi-zinisch notwendig ist, entfernt der Chirurg sie im Anschluss mit Hilfe von Sonden. Bei be-stimmten Patienten kann die Leistenvene auch mit Hilfe ei-ner Hitzebehandlung (Radio-frequenzverfahren) von innen verlötet werden. Dies geschieht ohne Leistenschnitt über eine Punktion in Kniegelenkshöhe.Eine Operation ist jedoch nicht in allen Fällen möglich. Liegt ein postthrombotisches Syn-drom vor, ist die operative Versorgung nur in Einzelfällen möglich. Gegebenenfalls be-steht die Option erkrankte Ve-nenabschnitte auch zu veröden.

WundreinigungBei allen Unterschenkelge-schwüren erfolgt eine Wundrei-nigung (Debridement). Dabei wird abgestorbenes Gewebe chirurgisch entfernt. Bei größe-ren Schäden der Haut, die bis in das Bindegewebe reichen können (Ulzerationen), wird die „Shave-Therapie“ ange-wendet. Dabei entfernt der Arzt das oberhalb der muskelum-schließenden Hülle liegende er-krankte Gewebe mit einem be-sonderen, hobelartigen Messer (Dermatom).Bei besonders schweren Mit-erkrankungen der muskelum-schließenden Hülle, muss die-se aufgeschnitten oder sogar teilweise entfernt werden. So entsteht Platz, in dem sich die darunter gelegene Muskula-tur ausdehnen kann. Dies ver-hindert, dass sie abstirbt. Der entstandene Wundgrund wird sofort oder später mit Spalt-haut bedeckt. Hierfür wird in der Regel Haut vom seitlichen Oberschenkel entnommen und

verwendet (Abbildung 3). Nach dem Eingriff gilt es, die Wun-de entsprechend ihres Schwe-regrads zu behandeln und zu versorgen. (s. Beitrag von Dr. E. Franzen an anderer Stelle in dieser Ausgabe).

KrankengymnastikDa die Patienten nicht selten eine Bewegungseinschränkung im Sprunggelenk aufweisen, ist die Krankengymnastik ein wich-tiger Bestandteil der Therapie. BegleitinfektionLiegt eine Begleitinfektion vor, wird nach Abstrich und Austes-tung das notwendige Antibioti-kum verabreicht. Die notwendi-ge Schmerztherapie erfolgt in Absprache mit der Anästhesio-logischen Abteilung nach einem festgelegten Schema.

Dies alles ist erforderlich um erfolgreich Patienten mit einem Ulcus cruris venosum zu versor-gen. Das Angebot der Gefäßchi-rurgischen Klinik des Marien-Hospitals in Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Kol-legen bietet eine komplette Versorgung dieses schweren Krankheitsbildes an.

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Mai 2012

Wunden

Venen – die Blutautobahnen im BeinVenen leiten das Blut aus den unteren Extremitäten – Füßen und Beinen – mit Hilfe eines ausgedehnten Klappenapparates über oberflächliche und tiefer lie-gende Leitstrukturen zum Herzen zurück.

Im Beinbereich werden drei verschiedene Venensys-teme unterschieden:

q Der größte Anteil des Blutrückflusses zum Herzen verläuft durch die tiefen Venen. Sie liegen innerhalb des muskelumschließenden Gewebes, der Faszie, nah an den Muskeln.

q Der geringere Teil des Blutrückflusses geschieht über das oberflächliche Venensystem. Es liegt im lo-ckeren Bindegewebe unter der Haut und außerhalb des muskelumschließenden Gewebes.

q Die Perforansvenen verbinden das oberflächliche und das tiefe Venensystem und durchstoßen dabei das muskelumschließende Gewebe. Man nennt sie auch transfasziale Venen.

Abb.3: Spalthaut („Mesh-graft“) zur Defektdek-kung eines Ulcus cruris, 3 Wochen nach der Hautverpflanzung. Die Haut wurde am Ober-schenkel des gleichen Beines entnommen.

Dr. Michael HaidukLeitender Oberarzt

Klinik für GefäßchirurgieEndovaskuläre Chirurgie -

Phlebologie / Marien-Hospital