Das deutsche Umweltstrafrecht – ein Erfolgsmodell?

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4 Ergebnis § 5 Abs. 2 BNatSchG verlangt, dass bei der landwirtschaft- lichen Nutzung die „gute fachliche Praxis“ beachtet wird und normiert dazu in Nr. 1 bis 6 naturschutzrechtliche und -fachliche inhaltliche Kriterien. Die in diesem Katalog ge- nannten Anforderungen können nicht mehr – wie noch bei der rahmenrechtlichen Vorgängerregelung – als bloße Zielsetzungen, Programmsätze oder Appelle angesehen werden, sondern sind gesetzlich begründete, unmittelbar geltende rechtsverbindliche Bewirtschaftungsvorgaben mit Ge- bzw. Verbotscharakter. Die einzelnen Tatbe- stände enthalten zwar zahlreiche unbestimmte Rechtsbe- griffe und eröffnen dadurch einen – zum Teil sehr – weiten Auslegungsspielraum, genügen jedoch noch den Voraus- setzungen des Bestimmtheitsgebotes. Mit Hilfe der in § 17 Abs. 2 BBodSchG aufgeführten zusätzlichen Kriterien und den in der landwirtschaftlichen Praxis vorhandenen bzw. zu erwartenden Kenntnissen und Erfahrungen las- sen sich die Inhalte der jeweiligen Bewirtschaftungsvor- gaben so weit konkretisieren, dass hoheitliche Maßnah- men zu ihrem Vollzug getroffen und ggf. auch gerichtlich überprüft werden können. Deshalb ist die Naturschutz- behörde befugt, nach Maßgabe des § 3 Abs. 2 BNatSchG Anordnungen zur Einhaltung und Durchsetzung der in § 5 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 (Nr. 6 verweist lediglich auf fachge- setzliche Regelungen) BNatSchG genannten Anforderun- gen zu treffen. Das Änderungsgesetz zur Umsetzung der Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt nimmt einige Ergänzungen der bereits bestehenden §§ 324 ff. StGB und des Artenschutz-Straftat- bestandes im BNatSchG vor. Das dabei verfolgte Konzept der Lü- ckenschließung und Erweiterung rechtfertigt eine kritische Bilanz der bereits vorhandenen Strafvorschriften, die einige theoretische Brüche aufweisen und in der Praxis unter einem erheblichen Voll- zugsdefizit leiden, sich letztlich aber besser bewährt haben als von manchen Kritikern behauptet. I. 1. und 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 1971, d. h. vor 40 Jahren, forderten die sog. Alternativ- professoren in ihrem Alternativentwurf zum Strafrecht BT Straftatbestände zum Schutz der Umwelt in das StGB aufzunehmen. 1 Mit dem 18. StrÄndG wurden dann zum 1. 7. 1980 tatsächlich die §§ 324 ff. in einem eigenen 28. Ab- schnitt als „Straftaten gegen die Umwelt“ in das StGB ein- gefügt. 2 Zuvor waren die einschlägigen Strafvorschriften als Annex einzelner verwaltungsrechtlicher Gesetze, z. B. in § 38 WHG, § 64 BImSchG, § 16 a AbfbesG geregelt. Mit dem 1. UKG wurden insbesondere die Tatbestände der Gewässerverunreinigung (§ 324), der Luftverunreinigung (§ 325), des unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfäl- len (§ 326) und des unerlaubten Betreibens von Anlagen (§ 327) „Kernstrafrecht“. In der Folgezeit entwickelte sich gewissermaßen eine Hochphase des Umweltstrafrechts. Die Wissenschaft be- fasste sich intensiv mit dem Thema. 3 Bei Polizei und Staatsanwaltschaften wurden Stellen für Umweltdezer- nenten, bei einigen größeren Gerichten Spezialzustän- digkeiten für Umweltstrafsachen geschaffen. Erste beglei- tende kriminologische Untersuchungen begannen, die bald den Vorwurf erbrachten, dass vor allem Bagatellen verfolgt würden. 4 Die Strafverfolgungspraxis musste fest- stellen, dass das geltende Recht doch einige Mängel und Prof. Dr. Michael Pfohl, Leitender Oberstaatsanwalt, Staatsanwaltschaft Hechingen und Honorarprofessor an der Universität Tübingen, Hechingen, Deutschland Lücken aufwies, so etwa fehlende Straftatbestände für die Bodenverunreinigung und den unerlaubten Export ge- fährlicher Abfälle. 1986 folgte ein wesentlicher Einschnitt: das Reaktor- unglück in Tschernobyl am 26. 4. 1986, der Unfall bei der Firma Sandoz in Basel am 1. 11. 1986, der eine erhebliche Verschmutzung des Rheins zur Folge hatte. Unser da- maliger Bundesumweltminister Klaus Töpfer trat an die Presse und verkündete, er werde dafür sorgen, dass wir in Deutschland das schärfste Umwelthaftungs- und Umwelt- strafrecht in Europa bekämen. Das zivilrechtliche Umwelt- haftungsgesetz folgte am 10. 12. 1990, 5 die Bestimmungen des Umweltstrafrechts wurden erst nach einer langwieri- gen Diskussion durch das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität (2. UKG) im Jahr 1994 wesentlich erweitert. 6 Dabei wurden unter anderem § 324 a (Boden- verunreinigung), § 326 Abs. 2 (unerlaubte Ein-, Aus- und DOI: 10.1007/s10357-012-2232-1 Das deutsche Umweltstrafrecht – ein Erfolgsmodell?* Michael Pfohl © Springer-Verlag 2012 NuR (2012) 34: 307–315 307 Pfohl, Das deutsche Umweltstrafrecht – ein Erfolgsmodell? 123 *) Schriftliche Fassung der Antrittsvorlesung an der Juristischen Fa- kultät der Eberhard Karls-Universität Tübingen am 13. 10. 2011. Die Vortragsform wurde weitgehend beibehalten. Die Nachweise sind nicht erschöpfend. 1) AE BT: Straftaten gegen die Person (1971), §§ 151 ff.; näher dazu Baumann ZRP 1972, 51. 2) Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität – vom 28. 3. 1980, BGBl. I 373. Aus dem Schrifttum zum 18.StrÄndG: Her- mann ZStW 92 (1980), 1054; Laufhütte/Möhrenschlager ZStW 92 (1980) 912; Möhrenschlager ZRP 1979, 97; Rogall JZ – GD 1980, 101; Sack NJW 1980, 1424; Tiedemann, Die Neuordnung des Umweltstrafrechts, 1980; Triffterer, Umweltstrafrecht, 1980. Zur früheren geschichtlichen Entwicklung des Umweltstrafrechts: Heine GA 1989, 116. 3) Vgl. die nach Erscheinungsjahren gegliederten Literaturübersichten im Kommentar von Sack, Umweltschutzstrafrecht, 5. Aufl., 2010. 4) Albrecht/Heine/Meinberg ZStW 96 (1984), 943; Meinberg ZStW 100 (1988), 112; Hümbs-Krusche/Krusche, Die strafrechtliche Erfas- sung von Umweltbelastungen, 1983. 5) BGBl. I 2634; zul. geänd. am 23. 11. 2007; kommentiert von Lands- berg/Lülling, Umwelthaftungsrecht, 1991; Salje/Peter, Umwelthaf- tungsgesetz, 2. Aufl. 2005. 6) 31. StrÄndG – 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkrimi- nalität – v. 27. 6. 1994, BGBl. I 1440. Vgl. dazu Möhrenschlager NStZ 1994, 513, 566; Schmidt/Schöne NJW 1994, 2514; Otto Jura 1995, 134.

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4 Ergebnis

§ 5 Abs. 2 BNatSchG verlangt, dass bei der landwirtschaft-lichen Nutzung die „gute fachliche Praxis“ beachtet wird und normiert dazu in Nr. 1 bis 6 naturschutzrechtliche und -fachliche inhaltliche Kriterien. Die in diesem Katalog ge-nannten Anforderungen können nicht mehr – wie noch bei der rahmenrechtlichen Vorgängerregelung – als bloße Zielsetzungen, Programmsätze oder Appelle angesehen werden, sondern sind gesetzlich begründete, unmittelbar geltende rechtsverbindliche Bewirtschaftungsvorgaben mit Ge- bzw. Verbotscharakter. Die einzelnen Tatbe-stände enthalten zwar zahlreiche unbestimmte Rechtsbe-griffe und eröffnen dadurch einen – zum Teil sehr – weiten

Auslegungsspielraum, genügen jedoch noch den Voraus-setzungen des Bestimmtheitsgebotes. Mit Hilfe der in § 17 Abs. 2 BBodSchG aufgeführten zusätzlichen Kriterien und den in der landwirtschaftlichen Praxis vorhandenen bzw. zu erwartenden Kenntnissen und Erfahrungen las-sen sich die Inhalte der jeweiligen Bewirtschaftungsvor-gaben so weit konkretisieren, dass hoheitliche Maßnah-men zu ihrem Vollzug getroffen und ggf. auch gerichtlich überprüft werden können. Deshalb ist die Naturschutz-behörde befugt, nach Maßgabe des § 3 Abs. 2 BNatSchG Anordnungen zur Einhaltung und Durchsetzung der in § 5 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 (Nr. 6 verweist lediglich auf fachge-setzliche Regelungen) BNatSchG genannten Anforderun-gen zu treffen.

Das Änderungsgesetz zur Umsetzung der Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt nimmt einige Ergänzungen der bereits bestehenden §§ 324 ff. StGB und des Artenschutz-Straftat-bestandes im BNatSchG vor. Das dabei verfolgte Konzept der Lü-ckenschließung und Erweiterung rechtfertigt eine kritische Bilanz der bereits vorhandenen Strafvorschriften, die einige theoretische Brüche aufweisen und in der Praxis unter einem erheblichen Voll-zugsdefizit leiden, sich letztlich aber besser bewährt haben als von manchen Kritikern behauptet.

I. 1. und 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität

1971, d. h. vor 40 Jahren, forderten die sog. Alternativ-professoren in ihrem Alternativentwurf zum Strafrecht BT Straftatbestände zum Schutz der Umwelt in das StGB aufzunehmen. 1 Mit dem 18. StrÄndG wurden dann zum 1. 7. 1980 tatsächlich die §§ 324 ff. in einem eigenen 28. Ab-schnitt als „Straftaten gegen die Umwelt“ in das StGB ein-gefügt. 2 Zuvor waren die einschlägigen Strafvorschriften als Annex einzelner verwaltungsrechtlicher Gesetze, z. B. in § 38 WHG, § 64 BImSchG, § 16 a AbfbesG geregelt. Mit dem 1. UKG wurden insbesondere die Tatbestände der Gewässerverunreinigung (§ 324), der Luftverunreinigung (§ 325), des unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfäl-len (§ 326) und des unerlaubten Betreibens von Anlagen (§ 327) „Kernstrafrecht“.

In der Folgezeit entwickelte sich gewissermaßen eine Hochphase des Umweltstrafrechts. Die Wissenschaft be-fasste sich intensiv mit dem Thema. 3 Bei Polizei und Staatsanwaltschaften wurden Stellen für Umweltdezer-nenten, bei einigen größeren Gerichten Spezialzustän-digkeiten für Umweltstrafsachen geschaffen. Erste beglei-tende kriminologische Untersuchungen begannen, die bald den Vorwurf erbrachten, dass vor allem Bagatellen verfolgt würden. 4 Die Strafverfolgungspraxis musste fest-stellen, dass das geltende Recht doch einige Mängel und

Prof. Dr. Michael Pfohl, Leitender Oberstaatsanwalt, Staatsanwaltschaft Hechingen und Honorarprofessor an der Universität Tübingen, Hechingen, Deutschland

Lücken aufwies, so etwa fehlende Straftatbestände für die Bodenverunreinigung und den unerlaubten Export ge-fährlicher Abfälle.

1986 folgte ein wesentlicher Einschnitt: das Reaktor-unglück in Tschernobyl am 26. 4. 1986, der Unfall bei der Firma Sandoz in Basel am 1. 11. 1986, der eine erhebliche Verschmutzung des Rheins zur Folge hatte. Unser da-maliger Bundesumweltminister Klaus Töpfer trat an die Presse und verkündete, er werde dafür sorgen, dass wir in Deutschland das schärfste Umwelthaftungs- und Umwelt-strafrecht in Europa bekämen. Das zivilrechtliche Umwelt-haftungsgesetz folgte am 10. 12. 1990, 5 die Bestimmungen des Umweltstrafrechts wurden erst nach einer langwieri-gen Diskussion durch das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität (2. UKG) im Jahr 1994 wesentlich erweitert. 6 Dabei wurden unter anderem § 324 a (Boden-verunreinigung), § 326 Abs. 2 (unerlaubte Ein-, Aus- und

DOI: 10.1007/s10357-012-2232-1

Das deutsche Umweltstrafrecht – ein Erfolgsmodell? *Michael Pfohl

© Springer-Verlag 2012

NuR (2012) 34: 307–315 307Pfohl, Das deutsche Umweltstrafrecht – ein Erfolgsmodell?

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*) Schriftliche Fassung der Antrittsvorlesung an der Juristischen Fa-kultät der Eberhard Karls-Universität Tübingen am 13. 10. 2011. Die Vortragsform wurde weitgehend beibehalten. Die Nachweise sind nicht erschöpfend.

1) AE BT: Straftaten gegen die Person (1971), §§ 151 ff.; näher dazu Baumann ZRP 1972, 51.

2) Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität – vom 28. 3. 1980, BGBl. I 373. Aus dem Schrifttum zum 18.StrÄndG: Her-mann ZStW 92 (1980), 1054; Laufhütte/Möhrenschlager ZStW 92 (1980) 912; Möhrenschlager ZRP 1979, 97; Rogall JZ – GD 1980, 101; Sack NJW 1980, 1424; Tiedemann, Die Neuordnung des Umweltstrafrechts, 1980; Triffterer, Umweltstrafrecht, 1980. Zur früheren geschichtlichen Entwicklung des Umweltstrafrechts: Heine GA 1989, 116.

3) Vgl. die nach Erscheinungsjahren gegliederten Literaturübersichten im Kommentar von Sack, Umweltschutzstrafrecht, 5. Aufl., 2010.

4) Albrecht/Heine/Meinberg ZStW 96 (1984), 943; Meinberg ZStW 100 (1988), 112; Hümbs-Krusche/Krusche, Die strafrechtliche Erfas-sung von Umweltbelastungen, 1983.

5) BGBl. I 2634; zul. geänd. am 23. 11. 2007; kommentiert von Lands-berg/Lülling, Umwelthaftungsrecht, 1991; Salje/Peter, Umwelthaf-tungsgesetz, 2. Aufl. 2005.

6) 31. StrÄndG – 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkrimi-nalität – v. 27. 6. 1994, BGBl. I 1440. Vgl. dazu Möhrenschlager NStZ 1994, 513, 566; Schmidt/Schöne NJW 1994, 2514; Otto Jura 1995, 134.

Durchfuhr umweltgefährdender Abfälle), § 328 Abs. 3 (un-erlaubter Umgang mit gefährlichen Stoffen und Gefahrgü-tern) und § 330 d (einzelne Begriffsdefinitionen) in das Ge-setz eingefügt.

Auch in den folgenden Jahren setzten sich Rechtspre-chung und Literatur intensiv mit dem Thema auseinander. Spätestens Ende der 90er Jahre ist das Interesse jedoch er-schlafft. Offenkundig wird dies etwa bei den Rechtspre-chungsübersichten von Schall, die zuletzt weniger ober-gerichtliche Entscheidungen zum Umweltstrafrecht, dafür aber vermehrt verwaltungsrichterliche Judikate wieder-geben. 7 Seit der Jahrtausendwende wurde nur noch eine einschlägige Entscheidung des BGH, und zwar zu § 328 Abs. 3, versteckt in Beck-online veröffentlicht. 8 Die spe-ziell zum Umweltstrafrecht geschriebenen (Kurz-)Lehr-bücher wurden 2000 bis 2002 letztmals aufgelegt. 9 Wis-senschaftliche Beiträge sind, abgesehen von der Tübinger Habilitationsschrift von Heger aus dem Jahr 2009, 10 seither nur noch in einzelnen Festschriftbeiträgen 11 und vereinzel-ten Dissertationen 12 zu finden.

II. Europäische Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt

Es fragt sich daher, weshalb sich eine Antrittsvorlesung un-ter diesen Umständen mit dem anscheinend aus der Mode gekommenen Rechtsgebiet befassen sollte. Nun, es gibt auch eine zweite gegenläufige Entwicklung. Nachdem ein Rahmenbeschluss über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht, den der Europäische Rat am 27. 1. 2003 verab-schiedet hatte, durch ein Urteil des EuGH vom 13. 9. 2005 wegen fehlender Kompetenz des Rats für nichtig er-klärt worden war, 13 legte die Kommission im Jahr 2007 den Vorschlag einer Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt vor, die von Parlament und Rat am 19. 11. 2008 erlassen wurde. 14 Diese Richtlinie war bis spä-testens 26. 12. 2010 in das nationale Recht umzusetzen. Zum Kontext wird in der Richtlinie ausgeführt, dass die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten zwar eine Fülle von Umweltschutzvorschriften verabschiedet haben, die der-zeit in den einzelnen Staaten geltenden Sanktionen jedoch nicht immer ausreichend sind, um die Gemeinschaftspolitik im Bereich Umweltschutz wirksam durchzusetzen. Nicht in allen Mitgliedstaaten würden gravierende Umweltstraf-taten durchweg geahndet. Dies habe unter anderem zur Folge, dass Straftäter die bestehenden Unterschiede zu ih-rem Vorteil ausnutzen könnten.

Die Richtlinie führt daher in Art. 3 eine Mindestzahl schwerer Umweltdelikte auf, die in der gesamten Gemein-schaft als strafbar eingestuft werden sollen, wenn sie vor-sätzlich oder zumindest grob fahrlässig begangen werden. Die Beihilfe und die Anstiftung zu solchen Taten sollen ebenfalls als Straftat behandelt werden. Gegen natürliche Personen sollen bei Umweltdelikten wirksame, angemes-sene und abschreckende strafrechtliche Sanktionen ver-hängt werden. Auch gegen juristische Personen oder Ver-bände sind Sanktionen vorzusehen. Zur Umsetzung wird den Mitgliedstaaten ein breiter Spielraum eingeräumt. So wird es den Staaten z. B. freigestellt, auch einfach fahrläs-sige Verstöße strafrechtlich zu verfolgen.

Mit Datum vom 4. 2. 2011, also mit erheblicher zeitli-cher Verzögerung, legte die Bundesregierung den zur Um-setzung der Richtlinie erforderlichen Gesetzentwurf vor. 15 Nach sehr knapp gehaltenen Anhörungen, insbesondere der Strafrechtspraxis, brachte der Bundesrat einige beach-tenswerte Einwände vor. 16 Es ist nun vorgesehen, das Ge-setz im November 2011 zu verabschieden. Zum Jahr 2012 werden wir also mit einem „3. UKG“ arbeiten dürfen und müssen.

Das Thema hat also doch wieder an Aktualität gewon-nen. Aber keine Angst: unsere Strafrechtskommentare müssen bei den §§ 324 ff. nicht wesentlich umgeschrie-

ben werden. Die anstehenden Änderungen des deutschen Kernstrafrechts sind überschaubar. 17 Es handelt sich um we-nige Lückenschließungen. So soll in § 330 d ausdrücklich aufgenommen werden, dass auch die Verletzung auslän-discher verwaltungsrechtlicher Pflichten tatbestandsmäßig sein kann. Praktische Probleme liegen dabei auf der Hand: so werden sich meine Kollegen im Rheintal wahrschein-lich darauf freuen, von Frankreich ausgehende Luftverun-reinigungen zu ermitteln und festzustellen, ob die Emis-sionen unter Verletzung französischen Verwaltungsrechts erfolgt sind.

In Fällen von Luftverunreinigungen mit schwerwiegen-den Folgen sieht die Richtlinie keine Beschränkungen für verkehrsbedingte Verschmutzungen im Sinne des § 325 Abs. 5 vor, weshalb diese Ausnahmeklausel in § 325 Abs. 7 des Entwurfs modifiziert wird. 18 Bei § 326 Abs. 2 soll auch die innerstaatliche Beförderung gefährlicher Abfälle unter Strafe gestellt werden und nicht nur die Ein-, Aus- oder Durchfuhr.

Schließlich soll in § 327 Abs. 2 der unerlaubte Betrieb be-stimmter gefährlicher Anlagen in anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sanktioniert werden, wenn aufgrund der §§ 3–9 StGB deutsches Strafrecht zur Anwendung kommen kann – eine weitere Herausforderung für die Strafverfol-gungspraxis! 19

III. Grundprobleme des geltenden Umweltstrafrechts

Diese und auch weitere Änderungen könnten nun im De-tail diskutiert werden. Für unseren Rahmen wäre dies aber zu speziell. Das Augenmerk soll vielmehr darauf gerich-tet werden, dass der Gesetzgeber mit diesem 3. UKG zum 2. Mal die Methode der Lückenschließung und kleinerer Korrekturen des bestehenden Rechts gewählt hat, obwohl die generelle Konzeption des Umweltstrafrechts nicht un-problematisch und nicht unumstritten ist. Einige „Knack-punkte“ dieser Konzeption sollen im Folgenden erörtert werden. Angezeigt ist dies auch, weil sich bereits die EU-Richtlinie maßgeblich am deutschen Umweltstrafrecht ori-entiert hat und einige Mitgliedstaaten ihr nationales Recht auch mit dem Blick auf das deutsche Recht ändern wollen.

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7) NStZ 1992, 209, 265; 1997, 420, 462, 577; NStZ-RR 1998, 353; 2001, 1; 2002, 33; 2003, 65; 2005, 33, 97, 161, 263, 292; 2007, 33; 2008, 97, 129.

8) Beck RS 2009, 20066.9) Busch/Iburg, Umweltstrafrecht, 2002; Franzheim/Pfohl, Umwelt-

strafrecht, 2. Aufl 2001; Kloepfer/Vierhaus, Umweltstrafrecht, 2. Aufl. 2002; Meinberg/Möhrenschlager/Link (Hrsg.), Umwelt-strafrecht, gesetzliche Grundlagen, verwaltungsrechtliche Zu-sammenhänge und praktische Anwendung, 1989; Michalke, Um-weltstrafsachen, 2. Aufl. 2000.

10) Die Europäisierung des Umweltstrafrechts, 2009.11) Dölling, FS Kohlmann, 2003, 111; Heine, FS Otto, 2007, 1015;

Rengier, FS Kohlmann, 2003, 225; Schall, FS Schwind, 2006, 395; Schall, FS Otto, 2007, 743; Schall, FS Amelung, 2009, 287.

12) Z. B. Hölzen, Auswirkungen des Öko-Audits auf das Umwelt-strafrecht, 2011.

13) EuGH, Urt. v. 13. 9. 2005 – C 176/03, JZ 2006, 307 m. Bespr. v. Wegener/Greenawalt ZUR 2005, 585; Braum wistra 2006, 121; Heger JZ 2006, 310; Böse GA 2006, 211.

14) ABl. 328/28 v. 6. 12. 2008. Näher dazu Möhrenschlager wistra 1/2009, VI.

15) BR-Drs. 58/11 vom 4. 2. 2011. Vgl. dazu Möhrenschlager wistra 3/2011, V sowie wistra 4/2011, V.

16) BR-Drs. 58/11 vom 18. 3. 2011. Vgl. auch die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum vorangegangenen Referenten-entwurf, Nr. 48/10, Homepage des Deutschen Richterbundes.

17) Näher dazu Möhrenschlager wistra 3/2011, V sowie wistra 4/2011, V.

18) Zu Recht skeptisch Kühl in: Tiedemann (Hrsg.), Wirtschafts-strafrecht in der Europäischen Union, 2002, S. 301.

19) Kritisch dazu auch Möhrenschlager wistra 3/2011, VII.

Es erscheint daher notwendig und sinnvoll, das bestehende deutsche Umweltstrafrecht 31 Jahre nach Inkrafttreten des 1. UKG einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

1. Geschützte Rechtsgüter

Das erste, in der Literatur ausgiebig diskutierte Thema soll nur kurz erwähnt werden, da es in der Praxis kaum rele-vant wird:

Dem geltenden Recht fehle es an Legitimation, da es keine anerkennenswerten Rechtsgüter schütze. 20 Der Schutz der Umwelt als solcher, d. h. ein rein ökologischer Ansatz wie in § 324, sei nicht vertretbar, noch viel weniger die Sankti-onierung bloßen Verwaltungsungehorsams, wie sie in § 327 vorgeschrieben sei.

Die h. L. sieht dies zutreffend weniger streng. Im Ein-klang mit Artikel 20 a GG verfolgt sie einen ökologisch-anthropozentrischen Ansatz. 21 Geschützt werden sollen die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen vor dem Menschen für den Menschen, und zwar auch für zukünf-tige Generationen. 22 Ohne dies hier näher zu vertiefen, lässt sich der Einwand der fehlenden Legitimation mit einem derart weit gefassten, zukunftsbezogenen Rechtsgutsbe-griff widerlegen.

2. Systematik der Umweltstraftatbestände

Zu bemängeln ist, dass die Tatbestände der §§ 324 ff. sehr unterschiedlich, z. T. unsystematisch ausgestaltet sind. 23 So erfasst § 324 jede nicht unerhebliche nachteilige Ver-änderung von Gewässereigenschaften. § 325 des geltenden Rechts ist im Vergleich dazu erheblich enger gefasst: Straf-bar sind bislang nur Luftverunreinigungen die beim Be-trieb einer Anlage erfolgen. Das durchaus beliebte „Ab-brennen von Kupferkabeln“ an stets unterschiedlichen Orten, bei dem erhebliche Dioxinbelastungen entstehen können, soll nun erst im Rahmen des „3. UKG“ über ei-nen neuen § 325 Abs. 3 erfasst und der Anlagenbezug ge-strichen werden. Auch § 328 Abs. 3 des geltenden Rechts enthält einen systematischen Bruch: Abgestellt wird hier auf die Gefährdung der Gesundheit oder fremder Sachen von bedeutendem Wert, nicht aber auf eine Gefährdung der Umweltrechtsgüter Gewässer, Luft oder Boden. Der Tatbestand entspricht insoweit § 315c. Auch dies soll nun im Rahmen der anstehenden Reform korrigiert und die Norm an § 325 angeglichen werden.

3. Verwaltungsakzessorietät a) Nachrangigkeit des Umweltstrafrechts

Den Kern der Legitimationsfrage des Umweltstrafrechts trifft die etwa bei Fischer leicht polemisch formulierte Kri-tik: „Dass etwa das Einleiten von 100 000 Tonnen tensidhal-tiger Abwässer in einen Fluss befugt ist, wenn es der Kon-kurrenzfähigkeit eines Waschmittelproduzenten dient, das Ausleeren eines Eimers Seifenlauge aber kriminelles Un-recht, wenn es dem Autowaschen am Flussufer dient, kann nur der akzeptieren, dem es auf die Unterscheidung zwi-schen Verbrechen und Ungehorsam letztlich nicht an-kommt.“ 24 Abgesehen davon, dass fraglich ist, ob der Eimer Seifenlauge schon die von der Rechtsprechung entwickelte Bagatellgrenze bei § 324 überschreitet, 25 werden mit diesem Vergleich die Folgen der Verwaltungsakzessorietät des Um-weltstrafrechts (überzeichnet) problematisiert. Um dies für den „Nicht-Strafrechtler“ verständlich zu machen: §§ 324, 326 setzen ein unbefugtes Verhalten voraus, §§ 324 a, 325, 328 verlangen eine Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten. Dabei geht der Gesetzgeber von dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung aus. Vereinfacht gesagt, soll derjenige nicht tatbestandsmäßig oder rechtswidrig handeln, der sich verwaltungsrechtskonform oder so verhält, wie es die zu-ständige Verwaltungsbehörde im Einzelfall gestattet hat.

Die aufgeworfene Sinnfrage stellt sich (auch für den Straf-rechtspraktiker) täglich: Einerseits wird ein Autoliebhaber wegen § 326 verfolgt, der sich nicht von seinem lieb gewor-denen Opel Kadett trennen kann und seit Jahren sein auf einem Gartengrundstück eingewachsenes Fahrzeug mit al-len wassergefährdenden Inhaltsstoffen lagert. Andererseits ist es verwaltungsrechtlich und somit auch strafrechtlich zulässig, dass in Deutschland tonnenweise radioaktiver Ab-fall produziert wird, von dem bislang niemand weiß, wie und wann er gefahrlos beseitigt werden kann und der u. U. noch Generationen nach uns beschäftigen wird. Hier hilft nur, sich an die subsidiäre Funktion des Strafrechts zu erin-nern. Die Frage, ob und in welchem Umfang Umweltbe-lastungen zugelassen werden, ist nach unserer rechtsstaat-lichen Kompetenzordnung zunächst vom Gesetzgeber zu entscheiden. Die jeweils auf die Zukunft bezogenen Zulas-sungen oder Erlaubnisse sind von den Verwaltungsbehör-den zu treffen. Diese Aufgabe obliegt nicht dem Strafrecht, könnte von ihm auch nicht bewältigt werden. Dies bedeu-tet aber nicht, dass auf ein Strafrecht, welches sich seiner begrenzten Funktion bewusst ist, verzichtet werden kann. Frisch hat dies treffend formuliert: „Das Strafrecht kann die Welt des Legalen nicht verändern, sondern lediglich (und auch das nur begrenzt) dem danach Illegalen entgegenwir-ken. Dieses Bedürfnis besteht auch dann, wenn die Welt des Legalen großzügig (vielleicht zu großzügig) bemessen sein sollte.“ 26 Im Übrigen, und das erstaunt bei der Diskus-sion um das Umweltstrafrecht immer wieder, handelt es sich hierbei um keine Besonderheit dieser Rechtsmaterie. Wer die derzeit aktuellen Debatten zum Thema Finanz-krise mit Leerverkäufen, Credit Default Swaps und ähn-lichen Instrumenten verfolgt, die manch einer gern straf-rechtlich erfassen würde, steht vor derselben Problematik: der nur sehr eingeschränkten Möglichkeiten des Straf-rechts, dem zwar als zutiefst unmoralisch erachteten, aber doch legalen Verhalten entgegenzuwirken.

b) Verwaltungsrechtsakzessorietät

Die geschilderte Verwaltungsakzessorietät ist auf den ersten Blick einleuchtend, soweit es um eine reine Verwaltungs-rechtsakzessorietät geht, d. h. sich etwa der Anlagenbetrei-ber so verhält, wie es das Verwaltungsrecht vorsieht. Dieser Gedanke findet sich in § 330 d Nr. 4 a ausdrücklich wieder. Erhebliche Probleme treten allerdings auf, wenn das Ver-waltungsrecht sich ständig ändernde, nicht einmal in sich kohärente, geschweige denn verständliche Normen bietet: Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen:

Nach § 327 Abs. 2 Nr. 1 StGB i. V. m. § 4 Abs. 1 BIm-SchG, §§ 1, 4 der 4. BImSchV und deren Anhang macht sich strafbar, wer eine dort angeführte immissionsschutz-rechtlich genehmigungsbedürftige Anlage ohne die da-nach erforderliche Genehmigung betreibt. Für einen „Au-toschrottplatz“ haben sich diese Vorgaben immer wieder geändert: 27 Bis 22. 4. 1993 waren diese Anlagen gemäß §§ 4, 7 Abfallgesetz a. F. planfeststellungsbedürftig. Da-nach ergab sich die Genehmigungspflicht aus § 4 Abs. 1

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20) Ausführlich dazu Frisch in: Leipold (Hrsg.), Umweltschutz und Recht in Deutschland und Japan, 2000, 361.

21) Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., 2011, Vor § 324 Rdnr. 7; Schmitz in: MünchKomm-StGB, 2006, Vor §§ 324 ff. Rdnr. 10; Rengier NJW 1990, 2506; Saliger in: Satzger/Schmitt/Widmaier-StGB, 2009, Vor §§ 324 ff. Rdnr. 11.

22) Steindorf in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl., 1997, Vor § 324 Rdnr. 17.

23) Vgl. Pfohl in: Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstraf-recht, 5. Aufl. 2011, § 54 Rdnr. 112.

24) Fischer, StGB, 58. Aufl., 2011, Vor § 324 Rdnr. 5a.25) BGH, Urt. v. 31. 10. 1986 – 2 StR 33/86, NStZ 1987, 323; OLG

Frankfurt, Urt. v. 22. 5. 1987 – 1 Ss 401/86, NJW 1987, 2753.26) Frisch (Fn 20).27) Ausführlicher dazu Henzler/Pfohl, wistra 2004, 331.

BImSchG i. V. m. der 4. BImSchV, Nr. 8.9 des Anhangs der 4. BImSchV für “ Anlagen zum Umgang und Behand-lung von Autowracks“, wenn diese länger als 1 Jahr betrie-ben werden sollten. Ab 1. 2. 1997 galt dies nur für Anlagen mit 5 Autowracks oder mehr. Dann trat die Altautover-ordnung in Kraft, die nicht mehr von Autowracks, son-dern von Altautos und Restkarossen spricht. Die Ein-Jah-resklausel wurde am 13. 7. 2001 gestrichen. Der Anhang zur 4. BImSchV wurde am 28. 7. 2001 wieder geändert: Nun war die Gesamtlagerfläche oder Kapazität für Autowracks oder aber die Durchsatzleistung von fünf Altautos maßgeb-lich. In der Abfallverzeichnisverordnung vom 12. 12. 2001 wurde schließlich auf Altfahrzeuge (mit und ohne *), aber nicht auf Altautos oder Autowracks abgestellt. Diese Auf-zählung könnte ohne weiteres bis zum heutigen Tag fort-geführt werden. Der Eindruck genügt: Autowrack – Rest-karosse – Altauto – Altfahrzeug mögen eine Spielwiese für Verwaltungsjuristen begründen. Für das Strafrecht sind sol-che Anbindungen untauglich.

Ein zweites Beispiel: Bei Großfeuerungsanlagen, die mit flüssigen Brennstoffen betrieben werden, richten sich die zulässigen Emissionswerte, d. h. die verwaltungsrechtli-chen Pflichten im Sinne des § 325 unter anderem nach § 4 der 13. BImSchV. Danach hat der Betreiber dafür zu sor-gen, dass

„1. kein Tagesmittelwert den Gesamtstaub – Emissionsgrenz-wert von 20 mg/m³ überschreitet, oder

2. kein Halbstundenmittelwert das Doppelte der oben ge-nannten Emissionsgrenzwerte überschreitet. Wenn leich-tes Heizöl oder vergleichbare flüssige Brennstoffe eingesetzt werden, gilt stattdessen die Rußzahl 1.“

Derartige Vorgaben sind allenfalls für einen Spezialisten, für den Strafrechtler hingegen kaum praktikabel und nach-vollziehbar.

Noch schwieriger wird es, wenn gelegentliche Kaprio-len des Europäischen Umweltverwaltungsrechts oder aber der Rechtsprechung des EuGH im Abfallrecht zu berück-sichtigen sind. Gemäß § 3 Abs. 1 KrW-/AbfG sind Abfälle „bewegliche Sachen“, deren sich der Besitzer entledigt … Im sog. van de Walle Urteil entschied der EuGH, dass auch nicht ausgehobenes, mineralölverunreinigtes Erdreich Abfall im Sinne der europäischen Abfallrichtlinie ist. 28 In der neuen Abfallrahmenrichtlinie der EU, die ebenfalls bis Dezember 2010 umzusetzen gewesen wäre, sollen gem. Erwägung 10 in den Vorbemerkungen die Regelungen auf alle beweglichen Sachen Anwendungen finden. In der Legaldefinition des Ab-fallbegriffs der neuen Richtlinie ist eine derartige Beschrän-kung hingegen nicht enthalten. Aus den Vorbemerkungen wird man aber schließen können, dass doch nur bewegli-che Sachen erfasst sein sollen. 29 Zwingend ist dies allerdings nicht, weshalb man einem besonders eifrigen Staatsanwalt, der diese Rechtsfrage einmal durch ein Strafgericht geklärt haben wollte, kaum einen Vorwurf machen könnte.

c) Verwaltungsaktsakzessorietät

Noch problematischer als die Verwal tungs rechts akzess orie-tät kann im Einzelfall die sogenannte Verwaltungsaktsak-zessorietät sein, d. h. die Anbindung des Strafrechts an den einzelnen Verwaltungsakt der Verwaltungsbehörde (330 d Nr. 4 b oder c). Hier bestehen (auch in der Praxis) einige Probleme, auf die hier aus räumlichen Gründen leider nur rudimentär eingegangen werden kann:

aa) Ungleiches Verwaltungshandeln

Nehmen wir an, dass in Tübingen zwei Lederfabriken an-sässig sind. Für den Betrieb A schreibt die Wasserbehörde einen Abwassergrenzwert für Phosphor von 2 mg/l, für den Betrieb B einen solchen von 6 mg/l vor. Beide Unterneh-men leiten mit einem Schadstoffgehalt von 4 mg/l ein. Hier gerät das Strafrecht in Legitimationsnöte, wenn Anlagen-

betreiber A verfolgt wird. Wünschenswert sind daher mög-lichst eindeutige Vorgaben an die Umweltverwaltungsbe-hörden, welche Grenzwerte festzusetzen sind, wie sie etwa in der Abwasserverordnung mit ihren zahlreichen Anhän-gen vorgesehen sind. 30

bb) Materiell rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt

Wie verhält es sich mit einer Erlaubnis, die zwar formell be-standskräftig, aber materiell rechtswidrig ist, also z. B. eine wasserrechtliche Erlaubnis, die wegen einer Fehleinschät-zung des Genehmigungsbeamten utopische Abwasserein-leitewerte zulässt? Im Rückschluss aus § 330 d Nr. 5 folgt die h. L. hier einem pragmatischen, aber letztlich wohl al-lein praktikablen Ansatz. 31 Sie stellt auf die formelle Wirk-samkeit der Entscheidung ab. Die rechtswidrig erteilte Er-laubnis ist für die Zukunft zurückzunehmen. Bis zu diesem Zeitpunkt darf sich der Genehmigungsempfänger auf sie verlassen und handelt nicht unbefugt. Etwas anderes gilt nur, wenn die Erlaubnis im Sinne des § 44 VwVfG nichtig ist oder § 330 d Nr. 5 StGB unterliegt. Diese Norm durch-bricht den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung. 32 Hier ist das Strafrecht strenger als das Verwaltungsrecht. Es erkennt Genehmigungen nicht an, wenn es dem Genehmi-gungsempfänger auf Grund seines eigenen Fehlverhaltens am Vertrauen in die Richtigkeit der Erlaubnis fehlt, z. B. weil er sie selbst durch Bestechung erlangt hat – eine durch-aus nachvollziehbare, begrüßenswerte Regelung.

cc) Materiell rechtswidriger belastender Verwaltungsakt

Ungelöst ist nach wie vor der Fall des rechtswidrig belas-tenden Verwaltungsakts. Gehen wir zum Beispiel davon aus, dass ein Anlagenbetreiber die Auflage erhält, bei sei-ner Feuerungsanlage nur leichtes Heizöl zu verwenden. Diese mit Sofortvollzug versehene Auflage wird von ihm jedoch nicht befolgt. Er bezieht schweres Heizöl und setzt dieses ein, zugleich klagt er gegen die Auflagenfestsetzung vor dem Verwaltungsgericht, das einige Jahre später fest-stellt, dass die Auflage materiell rechtswidrig war. Lau-fen Ermittlungs- oder Strafverfahren zum Verwaltungs-rechtsstreit parallel, kann es im Einzelfall (allerdings nicht bei missbräuchlicher Beschreitung des Verwaltungsrechts-wegs) sinnvoll sein, von den Aussetzungsmöglichkeiten der §§ 154 d, 262 StPO Gebrauch zu machen. Ist das Strafver-fahren aber bereits mit einer Verurteilung des Anlagenbe-treibers rechtskräftig abgeschlossen, bevor das Verwaltungs-gericht angerufen wird, ist bislang keine zufriedenstellende Lösung ersichtlich. In materiell-strafrechtlicher Hinsicht wird in der Literatur ein nachträglicher Strafaufhebungs-grund propagiert, 33 strafprozessual dürfte ein Wiederauf-nahmeverfahren jedoch erfolglos bleiben, da § 359 StPO eine derartige Konstellation nicht erfasst.

Die Beispiele zeigen, dass ein verwaltungsakzessorisches Strafrecht im Einzelfall erhebliche Probleme aufwerfen kann. Solche Fälle sind in der Praxis jedoch glücklicher-weise selten und begründen keine durchgreifenden Ein-wände gegen das („alternativlose“) Konzept eines verwal-tungsakzessorischen Umweltstrafrechts.

Pfohl, Das deutsche Umweltstrafrecht – ein Erfolgsmodell?

123

310 NuR (2012) 34: 307–315

28) EuGH, Urt. v. 7. 9. 2004 – C 1/03 (Paul van de Walle), NVwZ 2004, 1341. Vgl dazu Alt StraFo 2006, 441; Petersen/Lorenz NVwZ 2005, 257; Schall NStZ-RR 2006, 292; Versteyl NVwZ 2004, 1297; Wrede NuR 2005, 28.

29) So Petersen NVwZ 2009, 1063.30) Abwasser-V i. d. F. der Bek. v. 17. 6. 2004, BGBl. I 1108, zul.

geänd. am 31. 7. 2009, BGBl. I 2619.31) S/S/W-StGB/-Saliger (Fn. 21), Vor §§ 324 ff. Rdnr. 29 m. näherer

Begründung.32) Näher dazu Pfohl (Fn. 23), § 54 Rdnr. 133 m. w. N.33) Die hier vertretenen Ansichten finden sich zusammengefasst

bei LK/Steindorf (Fn. 22), § 324 Rdnr. 106a; Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, Vorbem. §§ 324 ff. Rdnr. 21 jew. m. w. N.

d) Strafbarkeit von Amtsträgern

Eng verknüpft mit der Thematik der Verwaltungsakzes-sorietät ist auch die Frage der Strafbarkeit von Amtsträ-gern. 34 Wenn Genehmigungsbeamte der Wasserbehörde schon über die Frage der Befugnis oder Unbefugtheit im Sinne des § 324, somit über die Reichweite des Strafrechts entscheiden, liegt es nahe zu prüfen, ob sie sich bei einer Fehleinschätzung selbst strafbar machen. Die Problematik als solche kann aus zeitlichen Gründen nicht ausgiebig dargestellt werden. Es soll aber kurz auf die Grundsatz-entscheidung des BGH eingegangen werden, die nur als „Notlösung“ zu sehen ist. 35 Vereinfacht dargestellt: Erteilt der Genehmigungsbeamte bewusst eine materiell rechts-widrige Erlaubnis, handelt der Anlagenbetreiber, der sich entsprechend dieser Erlaubnis verhält, nicht rechtswidrig. Eine Beihilfe des Amtsträgers durch die fehlerhafte Ge-nehmigungserteilung kommt mangels einer rechtswidri-gen Haupttat (§ 27 StGB) nicht in Betracht. Ein Bild von Horn aufgreifend, 36 hat der BGH den Amtsträger jedoch dem Bahnwärter gleichgestellt, der im falschen Moment die Bahnschranke, d. h. hier im Umweltbereich die Verbots-schranke hebt. Er kann als mittelbarer Täter der Gewässer-verunreinigung angesehen werden da – so der BGH – die Vornahme der Umweltbeeinträchtigung mit der Genehmi-gungserteilung steht und fällt. Selbst als verfolgungseifri-ger Staatsanwalt gerät man hier ins Grübeln. Ob von der wasserrechtlichen Erlaubnis Gebrauch gemacht wird, liegt in der freien Entscheidung des Genehmigungsempfängers, der häufig als Spezialist seines Faches mindestens so sach-verständig ist wie der Genehmigungsbeamte der Verwal-tungsbehörde. 37 Den Genehmigungsempfänger als gut-gläubiges Tatwerkzeug des Amtsträgers einzustufen, fällt daher zumindest bei einzelnen Fallgestaltungen schwer.

Geht man dennoch von dieser Rechtsprechung aus, erge-ben sich weitere Probleme: Die Täterschaft des Amtsträgers kommt nur bei Allgemein-, nicht aber bei Sonderdelikten in Betracht. 38 Dies bedeutet, dass die fehlerhafte Erteilung einer Erlaubnis zwar als Gewässerverunreinigung oder un-erlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen, begangen als Mittäter oder mittelbarere Täter, geahndet werden kann. Ein unerlaubtes Betreiben von Anlagen nach § 327 kann vom Amtsträger, der nicht selbst Anlagenbetreiber ist, nicht täterschaftlich verwirklicht werden. 39 Beihilfe scheitert an der fehlenden rechtswidrigen Haupttat. Amtsträger, die im Bereich der Wasser- und Abfallbehörde tätig sind, wer-den somit anders behandelt als jene Beamte, die für atom- oder immissionsschutzrechtliche Genehmigungen zustän-dig sind.

Hinzu kommt: Nach § 324 Abs. 3 und § 326 Abs. 5 sind auch nur fahrlässige Tatbegehungen unter Strafe gestellt. Schreitet also etwa die unerfahrene Verwaltungsbedienstete einer Wasserbehörde nicht rechtzeitig gegen illegale Ab-wassereinleitungen in ein Gewässer ein, weil sie den Sach-verhalt nicht richtig bewertet, kann sie gem. § 324 Abs. 1, Abs. 3 i. V. m. 13 StGB wegen fahrlässiger Gewässerverun-reinigung durch Unterlassen verfolgt werden. Erteilt hin-gegen der Bedienstete des Umwelt- oder Wirtschaftsminis-teriums als überzeugter Förderer der Kernenergie bewusst eine materiell rechtswidrige, zu großzügig bemessene atomrechtliche Genehmigung, kommen weder Beihilfe zum unerlaubten Anlagenbetrieb noch eine Täterschaft nach § 327 Abs. 1 in Betracht.

Das Bundesministerium der Justiz hatte diese Ungleich-behandlung gesehen und bereits im Rahmen des 2. UKG einen Tatbestand der Umweltstraftat im Amt (damals § 329 a StGB des Entwurfs) vorgeschlagen, und zwar für sämtli-che Vergehen der §§ 324 ff. 40 Beschränkt wurde dieser Tat-bestand auf die Schuldformen des Vorsatzes und der gro-ben Fahrlässigkeit. Der m. E. überzeugende Entwurf wurde nicht Gesetz: Die Lobby der öffentlichen Verwaltung sprach sich dagegen aus. Ein solcher Straftatbestand habe für die

Umweltverwaltung stigmatisierende Wirkung. Es sehe so aus, als ob nur die Bediensteten der Umweltverwaltung sich strafbar machen könnten, andere Verwaltungsbeamte hingegen nicht – eine nur auf den ersten Blick nachvoll-ziehbare Einschätzung. Es wäre eher im Interesse der Ver-waltung gewesen, hier weniger auf die Optik und mehr auf den Inhalt zu achten. Leider wurde der frühere Vor-schlag im Rahmen der anstehenden Umsetzung der euro-päischen Richtlinie nicht wieder aufgegriffen. Andere Mit-gliedstaaten sind uns in diesem Punkt voraus: das spanische Strafrecht etwa kennt einen entsprechenden Amtsträgertat-bestand. 41

e) Mangelnde Bestimmtheit der Tatbestände im Nebenstrafrecht

Bei der Verwaltungsrechtsakzessorietät war zu beklagen, dass das Umweltrecht, insbesondere das Umweltverwal-tungsrecht von unnötig komplizierten und schwer ver-ständlichen Normen durchzogen ist. In besonderem Maße gilt diese Kritik auch für die durchaus praxisrelevanten umweltbezogenen Tatbestände des Nebenstrafrechts, ins-besondere § 26 GefahrstoffV und § 71 BNatSchG. Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: 42

Gem. § 71 Abs. 2 i. V. m. § 69 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG i. V. m. Artikel 4 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 338/97 des (noch) geltenden Rechts macht sich strafbar, wer bei der Einfuhr eines Tieres oder Exemplars einer streng geschützten Art aus einem Drittland die erforderliche Einfuhrmeldung nicht rechtzeitig vorlegt. Welche Tiere streng geschützt sind, er-gibt sich gem. § 7 Abs. 2 Nr. 11 BNatSchG aus Anhang A und B der VO (EG) Nr. 338/97 oder dem Anhang IV der FFH-Richtlinie. Im Anhang A der genannten Artenschutz-verordnung findet sich unter anderem auch die maurische Landschildkröte. Führt ein Tourist einen entsprechenden Schildpattanhänger aus Tunesien nach Deutschland ein, wäre er an und für sich verpflichtet, zuvor eine entspre-chende Einfuhrgenehmigung einzuholen. Gem. Artikel 7 Nr. 3 der Durchführungsverordnung Nr. 865/2006 der EU gilt insoweit jedoch eine Ausnahme, wenn es sich um per-sönliche Gegenstände oder Haushaltsgegenstände handelt. Allerdings sieht Artikel 57 der Durchführungsverordnung eine Rückausnahme vor, wenn es sich um die erste Ein-fuhr des Exemplars handelt und dies durch Personen ge-schieht, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Gemein-schaft haben.

Hier stellt sich die Frage, ob bei einer solchen Regelung der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2

NuR (2012) 34: 307–315 311Pfohl, Das deutsche Umweltstrafrecht – ein Erfolgsmodell?

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34) Vgl. zum kaum noch überschaubaren Schrifttum die Zusam-menstellungen in LK/Steindorf (Fn. 22), Vor § 324 Fn. 366; Fi-scher (Fn. 24), Vor § 324 Rdnr. 13; MünchKommStGB/Schmitz (Fn. 21)‚ Vor §§ 324 ff. Rdnr. 92; S/S/W-StGB/Saliger (Fn. 21), Vor §§ 324 ff. Rdnr. 52.

35) BGH, Urt. v. 3. 11. 1993 – 2 StR 321/93, BGHSt 39, 381, bestä-tigt durch BVerfG, Beschl. v. 4. 10. 1994 – 2 BvR 322/94, NJW 1995, 186; kritisch dazu u. a. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT, 2. Aufl. 2009, 1061; Knopp DÖV 1994, 676; Mi-chalke NJW 1994, 1963; Rudolphi NStZ 1994, 433; Schirrmacher JR 1995, 386; Wohlers ZStW 108 (1996), 61.

36) NJW 1981, 1.37) Zutreffend kritisch daher auch Cramer/Heine, in: Schönke/Schrö-

der, StGB, 28. Aufl. 2010, Vorbem. §§ 324 ff. Rdnr. 35.38) Ausführlicher dazu Franzheim/Pfohl, Umweltstrafrecht, 2. Aufl.

2001, Rdnr. 606.39) Für eine etwas weitere Auslegung der Sonderdelikte in Rich-

tung Allgemeindelikte, wenn sich verwaltungsrechtliche Pflich-ten nach § 330 d Nr. 4a an jedermann richten: Rengier, FS Kohl-mann (2003), 225.

40) Nicht veröffentlichter RefE des BMJ für ein 2. UKG, vgl. auch den Entwurf der SPD , BT-Drs. 12/376, § 329 a sowie erläuternd Schmidt/Schöne NJW 1994, 2514.

41) Vgl. Pradel, in: Tiedemann (Fn. 18), S. 295.42) Vgl. hierzu auch das Beispiel von Henzler NuR 2005, 646.

GG tatsächlich noch gewahrt ist. 43 Bei § 327 Abs. 2 Nr. 1 hat das BVerfG die Bestimmtheit solcher Blankett-Straftat-bestände bejaht, und darauf verwiesen, dass auch lange Pa-ragrafenketten noch nachvollziehbar seien, im Übrigen An-lagenbetreiber eine besondere Sachkunde haben müssten. 44 Ob diese Erwägung mit der besonderen Sachkunde aller-dings auf den unbedarften Touristen übertragen werden kann, erscheint zweifelhaft. Zwar hat der BGH den Arten-schutzstraftatbestand des BNatSchG bislang im Einklang mit dem Bestimmtheitsgrundsatz gesehen, 45 die bisherigen Re-gelungen werden im Rahmen des „3. UKG“ nunmehr aber noch weiter verfeinert und verkompliziert, somit Anlass zu einer erneuten Befassung mit der Problematik bieten.

Ein weiteres Beispiel soll die Bedenken verstärken: Gem. § 71 Abs. 2 i. V. m. § 69 Abs. 4 Nr. 3 BNatSchG i. V. m. Arti-kel 3 Abs. 1 Satz 1 Tellereisenverordnung macht sich straf-bar, wer einen Pelz einer dort genannten Tierart entgegen der Tellereisenverordnung in die Gemeinschaft verbringt. Die genannte Verordnung wiederum belegt Erzeugnisse mit einem Importverbot, die aus Ländern stammen, in de-nen Tellereisen überhaupt Verwendung finden. Welche Länder dies sind, ergibt sich aus einer von der Kommission regelmäßig veröffentlichten Liste. 46

Hier fragt sich, wie ein Polizeibeamter, der vor einem Kürschnergeschäft steht und einen frisch aus Weißrussland eingeführten Pelz vorfindet, einigermaßen sicher beurtei-len soll, ob der Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Viel-mehr: es ist bereits zu bezweifeln, ob ein nicht auf diese Thematik spezialisierter Polizist überhaupt ein entspre-chendes Problembewusstsein hat.

4. Die tatsächliche Erledigung von Umweltstrafverfahren

Kommen wir zu einer weiteren zentralen, eher kriminolo-gisch basierten Kritik am geltenden Umweltstrafrecht, die kurz zusammengefasst Folgendes vorbringt: 47 Durch das 1. und 2. UKG hat sich zwar die Zahl der registrierten Um-weltstrafverfahren erheblich erhöht. Es werden aber zweck-widrig überwiegend Bagatelltaten verfolgt, was letztlich auch zu überproportional häufigen Verfahrenseinstellungen nach §§ 153, 153a StPO und geringfügigen Geldstrafen führt. An-gesichts dieser Ineffizienz handle es sich um ein Beispiel irre-führender symbolischer Gesetzgebung. Das Umweltstrafrecht habe nicht zu einem verbesserten Schutz der Umwelt geführt. Es gehöre – so die krasseste Forderung – abgeschafft. 48

Bemerkenswert an dieser Kritik ist zunächst, dass zum Beleg fast durchweg auf kriminologische Untersuchungen abgestellt wird, die in den 80er Jahren, spätestens Anfang der 90er Jahre erfolgt sind. Neuere signifikante, nachvoll-ziehbare Erhebungen stehen meines Wissens leider aus. Nur zwei Festschriftbeiträge von Dölling und Schall gehen auf aktuellere Daten ein. 49 Zum Versuch einer Aktualisierung sollen daher einige Zahlen aus der Strafverfolgungsstatis-tik dienen: 50 Die erste Tabelle gibt die Anzahl der Abge-urteilten in den alten Bundesländern einschließlich Ber-lin wieder, d. h. die Fälle, in denen ein Strafbefehlsantrag oder eine Anklage zu einem Strafgericht gelangt war, vgl. Abb. 1.

Dabei fällt folgende Tendenz auf: Die Gesamtzahl an Umweltstrafverfahren ist bis 1989 zunächst gestiegen, dann bis 1993 zurückgegangen und hat 1997 ihren Höhepunkt erreicht. Seither ist ein erneuter massiver Rückgang fast bis auf die Zahlen des Jahres 1981 zu verzeichnen. Die meisten Verfahren betreffen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen (im Jahr 1997 waren es 4019 von 5314 Verfahren insgesamt). Delikte der Gewässerverunrei-nigung sind von 2544 im Jahr 1989 auf 269 im Jahr 2009 zurückgegangen. Der Tatbestand der Bodenverunreini-gung wird konstant angewandt. Auch mit § 327 scheint die Praxis zu Recht zu kommen, §§ 325, 325 a spielen hingegen fast keine Rolle (z. B. 15 Verfahren im Jahr 2009).

Pfohl, Das deutsche Umweltstrafrecht – ein Erfolgsmodell?

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312 NuR (2012) 34: 307–315

43) Näher dazu Pfohl in: MünchKomm-StGB, 2007, § 66 BNatSchG Rdnr. 29; ebenso skeptisch Kraft, in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2011, § 69 Rdnr. 5.

44) BVerfG, Beschl. v. 6. 5. 1987 – 2 BvL 11/85, BVerfGE 75, 329 auf Vorlage des AG Nördlingen, Beschl. v. 22. 10. 1995 – Ds 300 Js 58742/85, NStZ 1986, 315.

45) BGH, Beschl. v. 30. 7. 1996 – 5 StR 37/96, NJW 1996, 3219; BGH, Beschl. v. 16. 8. 1996 – 1 StR 745/95, NJW 1996, 3220.

46) Vgl. zuletzt VO (EG) Nr. 1791/2006, ABl. L 363 vom 20. 12. 2006, S. 1.

47) Vgl. etwa MünchKomm – StGB/Schmitz (Rdnr. 21) Vor §§ 324 ff. Rdnr. 9 m. w. N.

48) Besonders kritisch Albrecht, Kriminologie, 4. Aufl., 2010 § 2 B I 3, § 6 C IV.

49) Dölling, FS Kohlmann, 2003, 111; Schall, FS Schwind, 2006, 395.

50) Diese Daten sind jeweils den vom Statistischen Bundesamt he raus-gegebenen Arbeitsunterlagen „Strafverfolgung“ entnommen.

Abb. 1

Bevor wir zu den mutmaßlichen Gründen für diese Ent-wicklung kommen, noch zwei weitere Übersichten, vgl. Abb. 2.

Während 1986 bei 3077 Abgeurteilten nur 1562 rechts-kräftig Verurteilte zu Buche standen, haben sich die beiden Zahlenreihen inzwischen angeglichen. In den letzten Jah-ren kann konstant von einer Verurteiltenquote von rund 2/3 bis zu 3/4 ausgegangen werden.

Wenden wir uns den gegenüber erwachsenen Tätern festgesetzten Strafen zu, vgl. Abb. 3.

1989 waren dies bei 2659 Verurteilungen 2583 Geldstra-fen und 76 Freiheitsstrafen. Die Zahl der Verurteilungen ist in der Folgezeit weit stärker zurückgegangen, die Zahl der Freiheitsstrafen ebenso, wobei allerdings der prozentuale Anteil an Freiheitsstrafen erheblich gestiegen ist.

5. Erläuterung der Daten

Schall stellt fest, dass die Trendwende in der Literatur gar nicht oder nur beiläufig zur Kenntnis genommen wurde. 51 Die Ursache für den starken Verfahrensrückgang sieht er

im geänderten polizeilichen Kontrollverhalten, veränder-tem (restriktiverem) privaten Anzeigeverhalten, dem Pa-radigmenwechsel des KrW-/AbfG: der verordnete Vorrang der Abfallverwertung vor der Abfallbeseitigung habe die Möglichkeit eröffnet, in größerem Umfang Abfälle nicht teuer zu entsorgen, sondern legal zu verwerten.

Aus Sicht des Strafrechtspraktikers ist dem nur beizu-pflichten. Der Rückgang festgestellter Umweltstraftaten wäre grundsätzlich erfreulich, ist es doch gerade das Ziel generalpräventiv wirkenden Strafrechts, sittenbildend zu wirken und die Zahl der Straftaten zurückzuführen. Al-lerdings ist fraglich, ob es tatsächlich um einen Rückgang der Umweltkriminalität handelt oder nicht nur um einen Rückgang der registrierten Kriminalität, d. h. – so die Ver-mutung der ganz h. M. – von einem großen Dunkelfeld auszugehen ist. 52

NuR (2012) 34: 307–315 313Pfohl, Das deutsche Umweltstrafrecht – ein Erfolgsmodell?

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51) Schall, FS Schwind, 2006, 395.52) Vgl. u. a. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf (Fn. 35), § 41 Rdnr. 9;

v. Danwitz, Examens-Repetitorium Kriminologie, 2004, S. 141.

Abb. 2

Abb. 3

Auffallend ist jedenfalls, dass die behördliche und polizei-liche Kontrolltätigkeit zumindest in Baden-Württemberg, so aber auch in vielen anderen Bundesländern, in den letz-ten Jahren massiv zurückgefahren wurde: In den 80er/90er Jahren wurden immer wieder Mitteilungen oder Strafan-zeigen von Bediensteten des Wasserwirtschaftsamts oder des Gewerbeaufsichtsamts erstattet, die bei Betriebskon-trollen vor Ort Missstände festgestellt hatten, so z. B. unzu-reichend arbeitende betriebliche Abwasserbehandlungsan-lagen, illegale Abfallvermischungen, o. ä. Beide Behörden wurden inzwischen aufgelöst und in die Landratsämter und Regierungspräsidien eingegliedert. Überprüfungen wur-den in Form von Eigenkontrollen verstärkt auf die Anla-genbetreiber verlagert. Die behördliche Kontrolle findet weit seltener vor Ort statt und erstreckt sich häufig nur auf vorgelegte Unterlagen.

Ebenfalls im Rahmen der Verwaltungsreform wurde in Baden-Württemberg die frühere „Umweltpolizei“, der Wirtschaftskontrolldienst, zum 1. 1. 2005 aufgelöst. Erfah-rene Umweltermittler wechselten und wurden Öffentlich-keitsreferenten, Revierleiter o. ä. Nur wenige erfahrene Bedienstete blieben zurück und wurden der Verkehrspo-lizei eingegliedert. Knowhow ging bereitflächig verlo-ren. Schließlich wurde die Abteilung für Umweltchemie bei der Chemischen Veterinär- und Untersuchungsanstalt geschlossen. Dies hat zur Folge, dass Gewässer-, Boden- oder Abfallproben, die heute gezogen werden, an private Labors zur Untersuchung gegeben werden müssen. Ent-stehende Kosten sind Polizeikosten, die vom Umweltsach-bearbeiter gegenüber dem Kostenbeamten im Haus der Po-lizei zu rechtfertigen sind. Es liegt auf der Hand, dass der einzelne Beamte unter diesen Umständen nur eine geringe Neigung verspürt, Proben zu nehmen. Ohne naturwissen-schaftlichen Beleg aber lassen sich die von §§ 324, 324 a, 326 geforderten Verunreinigungen bzw. die Gefährlichkeit des konkret vorgefundenen Abfalls nicht nachweisen. Die Auf-schrift auf einem Fass muss nicht unbedingt seinen Inhalt wiedergeben. Dies wird ein anwaltlich gut beratener Ange-klagter spätestens in der Hauptverhandlung vorbringen.

Andere Faktoren, die zum dargestellten Verfahrensrück-gang geführt haben, sind weit positiver zu beurteilen: Vor allem im Bereich der Gewässerverunreinigung ist ein gene-rell gestiegenes Umweltbewusstsein festzustellen. Fälle, in denen z. B. beim Aufräumen einer Garage alle vorgefunde-nen Flüssigkeiten, einschließlich der Pflanzenschutzmittel, einfach über einen vorbeifließenden Bach entsorgt werden, sind sehr selten geworden. Oberflächen- und grundwas-serschützende Maßnahmen der Industrie, die in den 80er und 90er Jahren vorgenommen wurden, zeigen Wirkung. Schließlich hat sich der Anschlussgrad an die öffentliche Kanalisation stark erhöht, mit der Konsequenz, dass immer weniger Abwässer unmittelbar in ein Gewässer, sondern vermehrt über die öffentliche Kanalisation (und dadurch kaum bemerkbar) in die Kläranlage gelangen. Die Kanali-sation aber ist kein Gewässer im Sinne des § 324, so dass in diesen Fällen bei unerlaubt entsorgten schadstoffhaltigen Abwässern nur § 326 zur Anwendung kommen kann.

Zu den Daten des § 326 wäre eine Aktenauswertung wünschenswert. Wie von erfahrenen Kollegen bestätigt, dürfte ein großer Teil der Fallzahlen aus den 90er Jahren und Anfang dieses Jahrtausends auf Verfahren wegen il-legal abgestellter Autowracks zurückzuführen sein. Hier wurden ähnlich wie bei Trunkenheitsfahrten formularmä-ßig Strafbefehle beantragt, erlassen und sehr häufig rechts-kräftig. Der Verfahrensrückgang dürfte u. a. auf die Recht-sprechung der Oberlandesgerichte zurück zu führen sein, die mit folgenden Überschriften gekennzeichnet werden könnte: 53 Wie konkret muss die Gefahr bei einem abs-trakten Eignungsdelikt sein? Ist bei Autowracks mit was-sergefährdenden Flüssigkeiten auch auf den Zustand der Leitungen und auf die Beschaffenheit des Untergrunds ab-zustellen? Hier finden sich zahlreiche, zum Teil voneinan-

der abweichende Entscheidungen der Oberlandesgerichte, die zu einer unterschiedlichen Rechtsanwendung im Bun-desgebiet geführt haben. So wird bei einer eher abstrakten Auslegung in Berlin regelmäßig mit Strafbefehlen reagiert, während in anderen Bundesländern Ordnungswidrigkei-ten nach dem KrW-/AbfG angenommen werden. Die Ge-legenheit, die Rechtsfrage gem. § 121 GVG dem BGH vor-zulegen, wurde bislang leider nicht ergriffen. 54

Der 2. Übersicht ist voranzustellen, dass sich die Einstel-lungsquote bei den Staatsanwaltschaften nach den Erhebun-gen von Schall der im Strafrecht üblichen Quote angeglichen hat. 55 Im allgemeinen Strafrecht betrage sie 53 %, im Um-weltstrafrecht 60 %. In gerichtlichen Verfahren sei die Einstel-lungsquote dem allgemeinen Strafrecht völlig angeglichen. Dies bestätigt die zweite Tabelle, aus der sich bei aller Vorsicht folgende Schlüsse ziehen lassen: Der in den 80er und wohl auch 90er Jahren großzügigen Anklagepraxis zumindest man-cher Staatsanwaltschaften folgten verhältnismäßig viele Ver-fahrenseinstellungen nach §§ 153, 153a StPO. Gründe dafür waren unter anderem, dass häufig Fahrlässigkeitstaten sozial-integrierter Täter vorlagen, Fehlverhalten von den Gerichten als Bagatellen eingeschätzt wurden, Verwaltungsbedienstete als Zeugen nicht immer den Eindruck besonders engagierter Umweltermittler machten, sondern eher als konziliante Ge-sprächspartner der Anlagenbetreiber auftraten. Inzwischen scheint sich die Lage einigermaßen stabilisiert und sich eine gewisse Sanktionspraxis verfestigt zu haben. Dies mag zu we-niger Anklagen und Strafbefehlsanträgen, aber auch zu einer prozentual höheren Verurteilungsquote führen.

Die dritte Tabelle dürfte für manche Kritiker den Beleg da-für liefern, dass im Umweltstrafrecht fast nur Bagatellen ver-folgt werden. Hier bietet sich ein Vergleich mit anderen Tat-beständen an, die wie § 324 mit Freiheitsstrafen bis zu 5 Jahren bedroht sind. Beim Diebstahl, § 242 StGB, wurden laut Straf-verfolgungsstatistik im Jahr 2009 81,1 % der Verurteilten mit Geldstrafen und 18,9 % mit Freiheitsstrafen bedacht. Bei Um-weltdelikten lag das Verhältnis bei 96,2 zu 3,7 %. Die Schere geht hier also weiter auseinander. Zu berücksichtigen ist da-bei allerdings, dass bei den Umweltdelikten ein relativ ho-her Teil reine Fahrlässigkeitstaten sind und häufig sozial inte-grierte Ersttäter betroffen sind. Liegen die Quoten hier weit auseinander, zeigt sich bei der Anzahl der verhängten Tages-sätze ein gegenläufiger Trend: bei Diebstahlstaten betragen 56,48 % der Verurteilungen bis zu 30 Tagessätze und 39,96 % bis zu 90 Tagessätze. Bei Umweltdelikten ist das Verhältnis umgekehrt: 39,76 % bis 30 Tagessätze, 54,65 % bis 90 Tages-sätze. Das Bild, das sich ergibt, ist somit zu differenziert, um den Schluss zu rechtfertigen, wonach im Umweltstrafrecht fast nur Bagatellen verfolgt würden.

Damit bestätigt sich die von Dölling anhand der Daten bis zum Jahr 2001 getroffene Feststellung auch für die Fol-gezeit. 56 Auch er verwies darauf, dass bei den insgesamt rückläufigen Strafverfahren die Verurteiltenquote seit 1985 von 55 % auf 81 % im Jahr 2001 gestiegen sei. Die Einstel-lungsquote sei gesunken. Bei den Geldstrafen seien früher 64 % im Bereich bis zu 30 Tagessätzen gelegen, 2001 lagen 47 % zwischen 31 und 90 Tagessätzen. Er resümierte: „Nach den vorliegenden Befunden lässt sich nicht sagen, dass das Umweltstrafrecht seine Funktionen überhaupt nicht erfüllt oder kontraproduktiv ist.“ Es könne durchaus einen Beitrag zur Stärkung der allgemeinen Rechtstreue im Bereich des Umweltschutzrechts leisten.

Die gegenteilige Einschätzung erweckt gelegentlich den Eindruck, maßgeblich durch das Vorverständnis geprägt zu sein, dass größere Umweltdelikte oder gar Umweltskandale

Pfohl, Das deutsche Umweltstrafrecht – ein Erfolgsmodell?

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314 NuR (2012) 34: 307–315

53) Näher dazu Pfohl (Fn. 23), § 54 Rdnr. 232 m. w. N. sowie zuletzt Krell, NuR 2011, 487.

54) Ebenso Krell NuR 2011, 487; Sack, NStZ 1998, 198.55) Schall, FS Schwind, 2006, 395.56) Dölling, FS Kohlmann, 2003, 111.

in unserem Land häufiger sind oder sein müssten. Belegt wird diese Annahme indes nicht. Auch bleibt eine Kontrollüber-legung unerwähnt: Wie würde die Öffentlichkeit und auch die Fachöffentlichkeit bei uns reagieren, wenn es tatsächlich zu einem Umweltunfall wie bei der Deep Water Horizon im Golf von Mexiko oder zum Auslaufen einer metall- und laugenhaltigen Brühe aus der Aluminiumproduktion käme wie vor einem Jahr in Ungarn und wir – bei Annahme reiner Fahrlässigkeit – allenfalls mit einem Bußgeldverfahren und nicht doch über § 324 Abs. 3 StGB strafrechtlich reagieren könnten? 57 Die Forderungen nach einer Verschärfung des Umweltstrafrechts wären sicher nicht zu überhören.

6. Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das deutsche Umweltstrafrecht kein Modell ist, an dem sich andere Län-der ohne wenn und aber orientieren sollten. Es ist aber bes-ser als sein Ruf: Wenn man vom Grundsatz der Subsidiarität des Strafrechts ausgeht, diesen ernst nimmt und akzeptiert, hat sich das geltende Recht bewährt. Es hat sich auch in der Strafrechtspraxis einigermaßen etabliert. Das mit dem neuen Strafrechtsänderungsgesetz verfolgte Konzept der Lückenschließung ist daher konsequent und zu begrüßen. Folgende Punkte sollten jedoch stärker beachtet werden:

1. Das Umweltverwaltungsrecht sollte klarer, einfacher und bestimmter gefasst und nicht ständig mit kompli-zierteren, kaum noch nachvollziehbaren Regelungen überfrachtet werden.

2. Das Umweltstrafrecht, insbesondere im Nebenstraf-recht, darf den Bestimmtheitsgrundsatz nicht aus den Augen verlieren.

3. Der Staat darf sich weder im Bereich der Umweltver-waltung noch bei der Polizei auf die bloße „Kontrolle am Schreibtisch“ zurückziehen. Erforderlich ist eine aufsuchende Kontrolltätigkeit, die auf eigener Sach-kunde beruht.

Für einen Praktiker bietet es sich an, mit einem Zitat aus einer Akte zu schließen. 1994 hat der BGH in der sogenann-ten Falisan- Entscheidung folgenden Leitsatz aufgestellt: 58

„Wer einen anderen mit der Beseitigung umweltgefähr-denden Abfalls beauftragt, muss sich vergewissern, dass dieser zur ordnungsgemäßen Abfallbeseitigung tatsächlich im Stande und rechtlich befugt ist; andernfalls verletzt er seine Sorgfaltspflicht und handelt fahrlässig.“

Bei der Durchsuchung eines Altölaufbereitungsunterneh-mens wurde ein interner Aktenvermerk gefunden, der sich auf eine Betriebsbesichtigung durch einen potentiellen Kun-den, ein größeres Automobilunternehmen, bezieht. Zitat: „Herr X war anzumerken, dass er über die Art und Weise, wie ich seine Fragen beantwortete, verstört war. Durch die treffend gestellten Fragen anhand eines Fragenkatalogs und Betriebsrundgangs war nicht zu verbergen, dass zumindest offene Fragen hinsichtlich dem Umgang mit wassergefähr-denden Stoffen auf unserem Betriebsgelände bestehen … Für die Firma XY bedeutet dies, dass frühestens nach einer Be-antwortung einiger offener Fragen in Erwägung gezogen werden kann, bei uns anzuliefern. Es war zu erkennen, dass die Firma XY nicht allein interessiert, was unsere Behörde genehmigt hat bzw. was gebilligt wird, sondern was Gesetz ist und üblicherweise gefordert werden kann. Dies geht selbst über mein Empfinden in Richtung Sicherheit hinaus. …

Wir arbeiten als Kleinbetrieb mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Sollten diese nicht genügen, müssen wir entweder auf solche Kunden verzichten oder die Auflagen erfüllen.“

Nicht nur der BGH dürfte sich über diesen Nachweis einer generalpräventiven Wirkung seiner Entscheidung freuen. Das Beispiel zeigt, dass auch das Umweltstrafrecht „sittenbildend“ wirken kann – ein individueller, kleiner, aber doch ein Erfolg des Umweltstrafrechts.

Die Einbindung der Öffentlichkeit in formelle Verwaltungsverfah-ren beschäftigt die Rechtswissenschaft seit geraumer Zeit. Seit dem Schlichtungsversuch zu Stuttgart-21 und dem Volksentscheid in Ba-den-Württemberg über die Frage, ob das Land an der Finanzierung zu Stuttgart-21 festhalten soll, ist die Öffentlichkeitsbeteiligung wieder vermehrt Gegenstand von rechtswissenschaftlichen Publikati-onen, Tagungen bis hin zu Parteiprogrammen und Gesetzesvorha-ben geworden. Der Beitrag möchte die bisherigen Ausführungen um eine weitere Facette anreichern: Der Klimawandel wird die Frage

Ass. iur. Simone Hafner, L. L. M., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Öffentliches Recht, insbesondere Technik- und Umweltrecht im Kompetenzzentrum für Klimaschutz und Klimaanpassung (CliMA) der Universität Kassel

aufwerfen, wie die Gesellschaft mit den klimatischen Veränderungen und Auswirkungen umgehen will und muss. Die Verwaltung wird in vielfältiger Weise durch Planung und Verfahrensentscheidungen Einfluss auf diese Fragen nehmen. Es ist daher notwendig, die Öf-fentlichkeitsbeteiligung bei Verwaltungsverfahren mit einem klima-anpassungsrelevanten Hintergrund einer kritischen Analyse zu un-terziehen. Es sollen Hinweise gegeben werden, welche Verfahren für Klimaanpassungsmaßnahmen relevant sind und wie die Beteiligung daran optimiert werden kann.

I. Zivilgesellschaftlicher Anspruch auf Mitbestimmung

Geht es um die Beteiligung der Zivilgesellschaft an staatli-chen Entscheidungen mit politischem Gehalt, fallen oft die

Die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Anpassung an die Folgen des KlimawandelsSimone Hafner

© Springer-Verlag 2012

NuR (2012) 34: 315–321 315Hafner, Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels

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57) Vgl. auch v. Danwitz (Fn. 52), S. 145: Die ersatzlose Streichung der §§ 324 ff. wäre kontraproduktiv, würde sie doch den Eindruck hervorrufen, dass Schädigungen der Umwelt kein strafwürdiges Verhalten mehr seien.

58) BGH, Urt. v. 2. 3. 1994 – 2 StR 620/93, BGHSt 40, 86 m. Anm. Hecker MDR 1995, 757; Michalke StV 1995, 137; Versteyl NJW 1995, 1071.