Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

11
Dr. Michael Kubiciel Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie Fakultät Rechtswissenschaft Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

description

Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik. Neue Rechtslage seit Dezember 2011: § 3a ESchG. Abs. 1: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr für die Durchführung einer PID Abs. 2: PID nicht rechtswidrig, wenn - das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit oder - PowerPoint PPT Presentation

Transcript of Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Page 1: Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Dr. Michael KubicielLehrstuhl für Strafrecht und RechtsphilosophieFakultät Rechtswissenschaft

Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Page 2: Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Dr. Michael KubicielLehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie Fakultät Rechtswissenschaft

Neue Rechtslage seit Dezember 2011: § 3a ESchG

Abs. 1: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr für die Durchführung einer PID

Abs. 2: PID nicht rechtswidrig, wenn- das hohe Risiko einer schwerwiegenden

Erbkrankheit oder - die hohe Wahrscheinlichkeit einer Tot-

oder Fehlgeburt bestehtAbs. 3: Voraussetzungen prüft vorab eine interdisziplinär zusammengesetzte Ethikkommission

Page 3: Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Dr. Michael KubicielLehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie Fakultät Rechtswissenschaft

Problem: Zweck und Grenzen der Vorschrift unklar

Ohne Klarheit über den Zweck des Verbots keine Klarheit über dessen

Grenzen

Die rechtliche Unklarheiten könnten zu Versuchen führen, die

politische und ethische Debatte um die PID im Ringen um die richtige

Anwendung des Rechts fortzusetzen.

Derartige Versuche stoßen indes auf die Eigenrationalität des Rechts.

Das heißt: Rechtspolitische und ethische Argumente wirken sich auf

die Auslegung nur aus, wenn- sie sich in Rechtsargumente übersetzen- und sich an bestehende rechtliche Strukturen anschließen

lassen.

Page 4: Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Dr. Michael KubicielLehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie Fakultät Rechtswissenschaft

Regelungshintergrund

Entscheidend also: Wie rekonstruiert das Recht die PID und ihren

ethischen Probleme?

Der Regelungshintergrund wird deutlich in der Entscheidung des BGH

aus dem Jahr 2010, die Anlass für die Schaffung des § 3a ESchG

war.

Die Urteilsbegründung lässt zwei Eckpunkt jeder Regelung der PID

erkennen:– PID begründet die Gefahr, dass werdendes menschliches Leben

getötet wird.– Aber: Recht schützt (werdendes) Leben nicht absolut. Erlaubnis

des Schwangerschaftsabbruchs setzt sich nach Auffassung des

BGH in Widerspruch zu einem Verbot der PID.

Page 5: Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Dr. Michael KubicielLehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie Fakultät Rechtswissenschaft

Widerspruch zwischen Verbot der PID und Gestattung des Schwangerschaftsabbruchs?

Gegner der PID versuchen, den Widerspruch aufzulösen:

1. PID wohne anders als der PND ein Selektionsautomatismus inne. Indes: Nicht jede

PID führt zu einer Verwerfung von Embryonen, während umgekehrt die Feststellung

einer Behinderung im Wege der PND in vielen Fällen in einem

Schwangerschaftsabbruch münden kann. Beide Diagnoseformen begründen also das

Risiko, das Embryonen verworfen werden; keiner von ihnen wohnt ein Automatismus

inne.

2. „Singuläre“ Situation der Schwangerschaft lasse sich nicht mit der PID vergleichen.

Aber: Unterschiede v.a. phänomenologischer Natur. Wertungsgesichtspunkt ist

hingegen derselbe: Wird nach einer PND die Schwangerschaft abgebrochen,

geschieht dies zur Abwendung einer psychischen Belastung, die aus der Aussicht auf

die Geburt eines behinderten Kindes resultiert. Der akute Konflikt entsteht also - wie

bei der PID - durch die Antizipation von Konflikten, die sich an eine Geburt

anschließen können.

Page 6: Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Dr. Michael KubicielLehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie Fakultät Rechtswissenschaft

Auslegung des § 3a - Schritt 1: Normzweck

1. Angesichts des sonst eintretenden Widerspruchs zur Gestattung

des Schwangerschaftsabbruchs hat Gesetzgeber richtigerweise

PID nicht vollständig verboten.

2. Im Streit um die Grenzen des Verbots ist im

Gesetzgebungsverfahren aber im Unklaren geblieben, weshalb

die PID überhaupt verboten werden soll. Diese Frage ist aber

vorrangig zu beantworten:

a) Gesetzgeber schuldet Bürgern eine Erklärung, wenn er Verbot

erlässt, insbesondere wenn im Übertretungsfall gestraft werden

soll.

b) Grenzen des Verbots können nur bestimmt werden, wenn

Klarheit über den Zweck des Verbots besteht.

Page 7: Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Dr. Michael KubicielLehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie Fakultät Rechtswissenschaft

Mögliche Zwecke des Verbots der PID:

1. § 3a als Antidiskriminierungstatbestand? Durchführung einer PID

enthält keine Aussage über Rechte lebender behinderter Menschen,

weil Recht und Gesellschaft zwischen werdendem und geborene,

Leben differenzieren.

2. § 3a als Gefühlsschutztatbestand? Risikopaare, die PID wünschen,

haben aber keine Solidaritätspflicht zur Stabilisierung der

Gefühlslage von Paaren mit behinderten Kindern.

3. Embryo als Träger eines subjektiven Lebensrechts? Moralischer

Status des Embryo lässt sich nicht streitfrei bestimmen.

Verfassungsrecht klärt diesen Streit nicht: GG enthält keine explizite

Aussage und Rechtsprechung des BVerfG ist in der Begründung

widersprüchlich; im Ergebnis gestattet BVerfG aber Tötung

werdenden Lebens. Dies spricht dagegen, dass Embryo Träger eines

subjektiven Lebensrechts ist.

Page 8: Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Dr. Michael KubicielLehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie Fakultät Rechtswissenschaft

Zweck des § 3a ESchG

Schutz des Lebens nicht als subjektives Recht, sondern als

objektiver Wert, genauer: Schutz eines gesellschaftlich

akzeptablen Umgangsstandards mit (werdendem)

menschlichem Leben

Schutzumfang wird von gesellschaftlichen Interessen

definiert. Dies wirkt sich auf Bestimmung der Grenzen des Verbots aus.

Page 9: Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Dr. Michael KubicielLehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie Fakultät Rechtswissenschaft

Auslegung des § 3a - Schritt 2: Umfang und Grenzen

1. Indikatoren einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine Tod- oder

Fehlgeburt? Vorherige Tod- oder Fehlgeburt nicht notwendig; es

reichen objektive Indizien.

2. Was ist eine „schwerwiegende Erbkrankheit“? PID muss zur

Vermeidung von Widersprüchen in all denjenigen Fällen gestattet

sein, in denen Ärzte zur Vornahme einer PND raten müssen.

3. Verhältnis der PID zur Dreier-Regel? Letztere lässt sich mit

Gestattung der PID nicht widerspruchsfrei vereinbaren, sie ist

derogiert worden.

4. Weitergabe von Überschussinformationen? Vorenthaltung nicht mit

strafrechtlich abgesicherter Aufklärungspflicht des Arztes vor

medizinischen Eingriffen wie Implantation des Embryo vereinbar.

Falls keine gesetzlichen Informationsverbote bestehen, gilt

Informationsgebot.

Page 10: Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Dr. Michael KubicielLehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie Fakultät Rechtswissenschaft

Fazit

Ausweitung der PID als Ausdruck eines Trends:Rückzug des Rechts und der Sozialethik von den Lebensrändern

Privatisierung der Entscheidungen als Preis der Freiheit

Page 11: Das Gesetz über die Präimplantationsdiagnostik

Dr. Michael KubicielLehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie Fakultät Rechtswissenschaft

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Anm.: Publikation der Vortragsfassung in Vorbereitung; nähere Informationen auf der

Homepage des Lehrstuhls)